Jeremias Gotthelf
Hans Berner und seine Söhne
Jeremias Gotthelf

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Die Söhne polterten erst recht, als sie diesen Befehl hörten, aber es war doch etwas in ihrer Stimme, welches nach einem erschrockenen Herzen roch, und als sie hörten, daß ihr Vater schon lange hier gewesen, da ging selbst die Stimme ihnen aus; sie wurden einsilbig und dachten dem nach, was sie alles geredet und getan, und ob wohl der Vater dieses alles gesehen und gehört. Sie mußten es vermuten, aber aus dem Wirte brachten sie es nicht heraus, und wie sie auch aufredeten, was das für eine Manier sei, sie hier sitzen zu lassen, so lag doch eben in dieser Manier etwas, das ihnen sagte, der Vater hätte, wenn er einmal wollte, noch die Hand am Arm, verstände keinen Spaß und verstände noch zu zeigen, wer Meister sei.

So könnten sie aber nicht bleiben, sagten sie; der Wirt müsse sie heimführen lassen. »Es ist mir sehr leid, ihr Herren«, sagte er, »aber das Roß, welches im Wägelein geht, habe ich nicht daheim, und die andern sind junge Tiere, welche ungewohnt sind.« Es werde doch ein Fuhrwerk hier zu haben sein, frugen sie. Er zweifle daran, die Leute hätten ihre Rosse hart gebraucht, und überhaupt seien sie hier nicht im Roßland, aber wenn sie befehlen, so wolle er nachsehen lassen. Natürlich gaben sie den Befehl und brummten unterdessen über ihren Vater und redeten ab, wie sie ihm morgen den Marsch machen wollten und ihn fragen, was das für Manier sei. Der Neuenburger war sehr gut gewesen, und der war noch in ihnen. Bald darauf kam Bescheid, es wäre kein Fuhrwerk zu haben. Sie beschieden den Knecht herein, gaben ihm zu trinken, frugen ihn aus und vernahmen nichts; sie fluchten, es müsse doch ein wunderlich Ding sein, wenn in einem solchen Orte kein Fuhrwerk zu haben wäre, er hätte nur nicht recht nachsehen mögen usw. Ja, sagte der Knecht, Fuhrwerke wüßte er wohl, aber es seien vielleicht nicht die schönsten, und er dächte, solche Herren würden nicht darin fahren. Das sei ihnen gleich, sagten sie, wenn es nur gefahren sei, und sie wollten sich leiden, so schlecht werde es doch nicht sein. Der Knecht sagte, wenn man kein besseres hätte, so wäre es wohl gut genug, und erhielt den Auftrag, es zu bestellen und kommen zu lassen. Unterdessen nahmen sie noch einen, aber er mundete ihnen nicht mehr, und dunkel war es geworden, als man ihnen ansagte, daß das Fuhrwerk unten sei.

Als sie hinauskamen, waren viele Leute draußen; die lachten und rissen Witze. Aber meine Herren achteten nicht darauf, drängten sich ans Fuhrwerk und standen vor einem zweirädrigen Karren, mit einer Blache bedeckt, und ein Esel war angespannt. Da standen sie, hatten das Maul offen, und ringsum erscholl ein wütendes Gelächter. Wer weiß, vielleicht wären sie eingesessen, wenn das Gelächter nicht gewesen wäre; jetzt aber begannen sie zu schimpfen, daß sie sich nicht zum Narren halten ließen, und, je mehr sie schimpften, desto herzlicher lachte es rings ums Haus.

Nun aber wurden die Herren Brüder fuchswild, wünschten Wirt, Zuschauer und Fuhrwerk zum Gugger, hatten aber Zeit, zu gehen, wenn sie nicht Schläge riskieren wollten. Fritz, der Metzger, hätte ds Prügeln nicht geflohen, aber Sämeli frug ihm nichts nach, er setzte seine Toilette solchen handgreiflichen Proben nicht gerne aus. Die beiden Brüder, die so stolz mit einem Fuchs angefahren waren, mußten nun bei einbrechender Nacht, freilich fuchswild, aber ohne Fuchs, nach Hause stolpern. Hinter ihnen her tosete noch lange der Bauern Gelächter. Die erste halbe Stunde liefen sie ganz preußisch, und man hätte glauben sollen, sie hätten Mut, wenigstens eine halbe Stadt aufzuspeisen mit Haut und Haar. Aber als die erste halbe Stunde vorbei war, begann es dem Sämeli jämmerlich zu werden, seine Stiefelchen drückten ihn, seine Beinchen schwankten, die Straße ward ihm zu einem Dornenfeld, die Welt schien ihm ein Tintenfaß, und er schwamm mitten drin; aber näher und näher stieg die Tinte seinem Munde, näher und näher kam ihm das Ertrinken, er wimmerte, er weinte, das trunkene Elend kam vollständig über ihn. Fritz hatte seine große Not mit Sämeli, und deswegen fing auch ihm an das Leben zu verleiden, und als er dann um Mitternacht nach Hause kam, war ihm gar elend zumut. Der Wein war verraucht, Leib und Seele waren jetzt matt, und am Morgen um sechs sollte er zum Vater, und wo war jetzt die Courage, mit welcher er ihm gegenüberstehen wollte? Er hatte jetzt nichts mehr als das Bewußtsein dessen, was geschehen war, und die Angst, was der Vater daraus machen werde, und das Gefühl, daß im Vater eine Kraft wohne, die ihm noch ebenso übermächtig sei als wie vor zehn Jahren; der üppige Übermut hatte auf einmal der Furcht wieder Platz gemacht.

Hans Berner war längstens heim. Auch er war nicht leichten Herzens heimgefahren; man kann es sich wohl denken. Aber es war nicht eitler Jammer oder hohler Zorn, die in ihm mächtig wurden, sein kräftiges Gemüt rang nach gutem Rat in dieser schweren Sache. Er sah bald, wo der Fehler lag, und daß er und die Mutter nicht ohne Schuld seien. Sie hatten an den Kindern zu große Freude gehabt und diese Freude merken lassen. Sie hatten den Kindern auch zu der Einbildung geholfen, daß, was sie in den Schulen lernten, die Hauptsache sei und sie zu andern Kerlissen machen werde als die Eltern, die es nicht könnten; sie hatten die Tätigkeit im Hause und die Teilnahme an allem Häuslichen ihnen erlassen, so daß die Schule zur Hauptsache ward, das Haus zur Nebensache, daß die Buben sich mehr dünkten als die Eltern und weit über sie hinausgewachsen; daher Übermut, und daß sie sich der Eltern schämten und ihres Berufes. Das alles dämmerte dem Hans Berner beim Heimfahren nach und nach auf, und er sah ein, daß alles darauf ankomme, daß er sich wieder über seine Buben stelle, den rechten Respekt wieder herstelle; dann erst könne er sehen, was sich aus ihnen noch machen lasse. Den größten Kummer dabei verursachte ihm ihre Herzlosigkeit; sie liebten niemand, sie lebten für niemand, sie liebten und lebten nur für sich, gönnten den Eltern den Tod, aber keinem Armen einen Bissen Brot. Recht eigentlich himmelangst wurde es Hans Berner, wenn er dachte, zu welchem Fluch sein großes Vermögen in solchen Händen werden müßte, zum Fluch für seine Kinder, zum Fluch für seine Mitbürger, denen seine Kinder nichts Gutes, sondern lauter Böses zudachten, und mit Geld läßt sich viel verrichten, wie man alle Tage erfährt. Das machte Hans Berner den meisten Kummer, denn, wo kein Herz mehr im Menschen ist, wie kann man ihm wieder eins hineinmachen? Und hier sah er nicht klar, wer schuld daran war; er hatte große Lust, diese Schuld nicht ganz auf seine und seiner Frauen Schultern zu nehmen. Aber dieser teilte er seine Erlebnisse mit, und auch ihr blutete das Herz, denn was schlägt wohl tiefer, als wenn man seine Kinder schweben sieht über dem Abgrunde, in dem Leib und Seele untergeht; erschrecken Eltern doch schon, daß ihnen die Glieder klingen, wenn sie ein Kind an einem Loche sehen, wo es höchstens ein Bein brechen kann. Aber die Frau war auch eine verständige Frau und nicht bloß eine blinde Mutter; sie trat daher nicht auf die Seite der Söhne, sondern war in der Hauptsache mit dem Vater durchaus einig, und so trat sie mit ihrem Rat zu seinem Rat, und was das eine nicht fand, fiel dem andern ein, und wo Mutter und Vater auf diese Weise Rat halten, da steht ihnen auch Gott bei und stärket ihre Augen.

Des andern Morgens um sechs erwartete Hans Berner seine Söhne. Da selben Morgen Rat war, so war er als Ratsherr angezogen, aber an der Wand hing sein Metzgerkittel; schöne Metzgerwaffen und Stöcke zierten die Wände, und in der Ecke stand eine Lade mit Büchern, aber nicht solchen, welche man jetzt hat. Die meisten hatten hölzerne Deckel, waren mit Schweinsleder überzogen, und wer sie in eine Tasche hätte stecken wollen, müßte eine andere Kutte gehabt haben, als man sie heutzutage trägt.

Er mußte lange auf seine Söhne warten; endlich erschienen sie. Sie hatten fast das Aussehen von armen Sündern, wollten trotzig aussehen, aber sie hatten Katzenjammer an Leib und Seele. Da kann der Mensch nicht lange trotzig aussehen, er fällt immer wieder zusammen, und eines jämmerlichen Gesichtes kann er sich nicht erwehren.

Vor ihnen stand Hans Berner groß und mächtig, und wie er so dastand, hätte er männiglich Ehrfurcht eingeflößt; denn man sah ihm an, er war nicht nur ein Metzger, auch nicht bloß so ein Ratsherr, sondern er war ein Mann, und er fühlte es, daß er einer war. Und als der Vater so ernst und groß und schweigend vor ihnen stand, da fühlten es auch die Söhne, daß sie als Buben vor einem Manne stunden, und sie konnten sich des Zitterns fast nicht erwehren. Aber auch der Vater konnte sich der Tränen fast nicht erwehren, als er seine Söhne, die bald Männer sein sollten, noch so wie Buben vor sich sah, aber er bezwang sich, nahm sich zusammen, daß weder Zorn noch Weichheit über ihn kamen, und sprach endlich zu seinen Söhnen: »Was ich schon lange vermutet habe, das sah und hörte ich gestern, jetzt weiß ich, was ihr treibt, und was ihr denkt; wir hätten Ursache, die Mutter und ich, uns die Augen aus dem Kopf zu weinen oder euch zu verstoßen, denn wie gut ihr es mit uns meint, das wisset ihr, und wohin euer Leben führt, das wisset ihr freilich nicht, aber wir wissen es. Ihr werdet ein Leben führen, welches die Menschen verfluchen und Gott verdammt, denn wer Vater und Mutter den Tod wünscht, der hat kein Herz mehr für einen Menschen und keine Furcht vor Gott.

Noch leben wir aber, und das Vermögen ist unser, und Gleiches mit Gleichem könnten wir vergelten und, wie ihr es aus unsern Händen möchtet, dafür sorgen, daß es nicht in eure Hände käme, denn, wie wir es erworben, so können wir es auch aufbrauchen. Das wollen wir einstweilen nicht, aber das wollen wir, daß unser Vermögen in keine solchen Hände kommt, wie die euren gegenwärtig sind, das wollen ich und die Mutter nicht.

Ich bin ein Metzger und habe wenig die Schule besucht, aber manchen Abend habe ich durchgelesen, und ihr habt ein Sündengeld in der Schule gekostet, aber noch kein Buch habe ich in euren Händen gesehen, seit ihr aus der Schule seid, und des Abends seid ihr anderswo als daheim.

Dort in jenem dicken Buche las ich einmal von einem Ritter, der durch seine Tapferkeit reich geworden war und geachtet im ganzen Lande. Der bauete oberhalb dem Städtlein Brugg eine Burg, desgleichen man im ganzen Lande nicht sah, und nannte sie Besserstein, und die Burg war fest, daß sie niemand einzunehmen vermochte. Dieser Ritter hatte aber zwei Söhne, und die freuten sich auch auf ihres Vaters Tod und rieten ab, wie sie dann hoch leben wollten und Land und Nachbarn schädigen und plündern von ihrer sichern Burg aus. Das vernahm der Vater, ließ seine Söhne vor sich kommen und sprach: ›Liebe Söhne, dieses Haus habe ich erbauet meinem Hause zum Trost, dem ganzen Lande zu Nutz. Nun aber ich euer Vorhaben vernommen hab, will ich nicht, daß von diesem Hause aus das Land geschädigt werde, noch daß ich Ursache haben soll des Schadens, welchen das Land empfangen soll.‹ Und er bezwang die beiden Knaben, daß sie mit eigener Hand das Schloß anzünden mußten, daß es verbrannte, also daß niemand darin wohnen mochte. Gestern beim Heimfahren kam mir diese Geschichte in Sinn, und wenn ich auch kein Ritter bin und keine Burg erbauet habe, so erkannte ich doch die Wahrheit in dieser Geschichte, daß, was die Eltern mit dem Segen Gottes erworben haben, sie den Kindern nicht zum Fluche hinterlassen, es eher verderben sollen. Und so sind die Mutter und ich entschlossen, es also zu machen: wir wollen, was wir erworben, brauchen, wie wir wollen; dafür wollen wir sorgen, daß es in euren Händen nicht zum Fluch werde. Aber ehe wir es machen wie jener Ritter, wollen wir es versuchen, mit Gottes Hülfe euch anders zu machen und eure Hände sauber. In die Kur wollen wir euch nehmen; wollt ihr derselben euch unterwerfen, und schlägt sie an, wohl und gut, so sollt ihr wieder unsere lieben Kinder werden, und unser Vertrauen, daß ihr unser Andenken in Ehren halten, nicht schänden werdet, wollen wir wieder auf euch setzen. Wollt ihr euch aber nicht unterziehen, wohlan, so wollen wir uns unser Andenken selbst sichern und zwar also, daß ihr nichts mehr daran machen könnt. Jetzt bedenkts, in drei Tagen will ich Antwort! Aber, aber vergeßt es nicht, wenn Hans Berner einmal die Augen offen hat, so ist er nicht mehr blind, und wer ihn einmal betrogen hat, betrügt ihn nicht wieder, und hat er einmal einen Entschluß gefaßt, so bricht ihn niemand wieder. Ihr sollt es erfahren, daß ich Hans Berner bin und nicht nur in der Metzg, nicht nur auf dem Rathause, sondern auch zwei solchen Buben gegenüber, die nichts können und nichts sind, die im Zustande, wie sie jetzt sind, nicht acht Tage ein ehrlich Brot sich erwerben könnten. Jetzt geht, in drei Tagen will ich Antwort, und, was ich dann sagen werde, das hält Hans Berner, und Hans Berner und seine Frau sind eins!«

So redete Hans Berner mit seinen Söhnen, und wie tausend Zentner lasteten seine Worte auf ihnen, und ächzend und bangend brachten nach drei Tagen die Söhne ein Ja hervor, daß sie sich unterwerfen wollten.

Eine harte Kur wurde angefangen; sie gelang endlich, und mit Freuden werden Hans Berner und seine Frau ihre Augen schließen, denn sie wissen, ihre wacker gewordenen Söhne werden ihr Andenken ehren und im Segen besitzen, was sie im Segen erworben.


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