Jeremias Gotthelf
Barthli der Korber
Jeremias Gotthelf

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Jeremias Gotthelf

Barthli der Korber

Erzählung (1852)

Im rueßigen Graben am südlichen Abhang hing ein kleines Häuschen. Man begriff nicht, warum es noch da hing und nicht längst den Graben hinuntergerutscht, denn es machte akkurat die Figur eines Menschen, der in vollem Lauf einen Berg hinuntergesprungen, plötzlich die Beine verstellt, stillhalten will und nicht recht kann. Wenn man das Dach betrachtete, so kam es einem vor, als höre man den Wind pfeifen, als kriege man Stöße. Es sah aus wie der Sack eines Bettlers, der das Flicken übel nötig hätte, jedoch bei allem Flicken immer ein Bettlersack bleiben wird. Die kleinen Türen zu Ställchen und Tenn stunden alle schief nach einem ganz eigenen Baustil. Hinter dem Hause fand man, wenn er nämlich nicht gerade zu Nutzen angelegt war, einen kleinen Düngerhaufen ungefähr von Gestalt und Größe eines ansehnlichen Zuckerstockes. Vor dem Hause war ein Gärtchen, in welchem eilf Mangoldstauden ihre breiten, ausdruckslosen Gesichter sonneten, sieben Bohnenstauden kühn an gebrechlichen Stecken hingen, zwischen denen zwei blühende Rosenstöcke gar freundlich hervorblickten. Um dasselbe lagen im Frieden die Gerüste eines ehemaligen Zaunes, harrend einer helfenden Hand zum Auferstehen.

Im Häuschen wohnten hinten eine Ziege und ihr Zieglein. Es war eine stattliche Ziege. Achtungsgebietend trug sie ihr Haupt, und in glänzendem, zottigen Felle ging sie würdigen Schrittes einher, während hinter ihr her, gleichsam der Hanswurst, das Töchterlein graziöse, lustige Sprünge machte. Vornen wohnten ebenfalls zwei Personen, ein alter, lahmer Korber oder Korbmacher und sein nicht lahmes Töchterlein. Der Alte hätte wirklich, was Anstand und Würde in Gang und Haltung betraf, viel von seiner Ziege lernen können, in beidem stund er ihr beträchtlich nach. Indessen der gute Alte war kaum mehr bildungsfähig, wenigstens sah man an ihm weder entschiedenen noch unentschiedenen Fortschritt, sondern gar keinen. Dagegen, wir gestehen es aufrichtig, gefiele uns das Töchterlein viel besser als das junge Geißlein. Dasselbe ist gar so anmütig und lieblich, kann auch springen leicht und hoch, daß es uns lieber wäre als zehn Geißlein, und wenn man uns die Wahl gelassen hätte, hinten oder vornen in dem Häuschen zu wohnen, so hätten wir ungeachtet der Würdigkeit der alten Ziege unbedenklich dem vordern Teile den Vorzug gegeben, wohlverstanden nicht von wegen dem alten, lahmen Korber, sondern wegen seinem schönen Töchterlein. Dasselbe wußte nicht einmal, wie hübsch es war, und das war nicht das Mindeste an ihm. Wenn es sich auch im Spiegel besah, kam es doch nicht zur umfassenden Einsicht; denn erstlich bestund sein Spiegel nur aus einem dreieckigten Scherben, zweitens durfte es sich bloß am Sonntag mit Muße waschen so recht um und um, und bis am Dienstag, vielleicht schon am Montag, hatte es bereits vergessen, wie es gestaltet war, andere Leute brachten es ihm auch nicht in Erinnerung.

Im rueßigen Graben machten die Leute sich selten Komplimente. Zudem war Züseli nicht besonders nach ihrem Geschmack; wenn es einen halben Zentner schwerer gewesen wäre, es hätte ihnen unendlich besser gefallen. Wärs in Östreich gewesen, es wäre ihm eine Arsenikkur angeraten worden. Arsenikfressen macht nämlich fett, wie man sagt. Wird aber mit Verstand geschehen müssen, sonst könnts fehlen. Es war nicht bloß ein liebliches, sondern auch ein liebes, emsiges Kind, das von früh bis spät nach dem Willen des Vaters tat und nie unwillig und ebenfalls vom Werte dieser Eigenschaft keine Ahnung hatte, viel weniger mit Geräusch sie geltend machte. Oder, um gebildet zu reden, es war ohne alle Ansprüche. Eigentlich ist dieses ein dumm Wort, hat aber dennoch einen tiefen Sinn. Die eigentliche Anspruchlosigkeit ist nichts anderes als der demütige, kindliche Sinn, dem, wie Christus selbst sagt, das Himmelreich gehört, der keiner Verdienste sich bewußt ist, aber ein inniges Danken hat für jede Gabe, jedes Zeichen der Liebe, nichts sehnlicher wünscht, an nichts größere Freude hat, als lieb zu sein Gott und Menschen, Gott und Menschen es recht zu machen. Diese harmlosen, bescheidenen Naturen sind nicht moderne Naturen.

Der alte Korber war dagegen nichts weniger als liebenswürdig, weder innen noch außen; man konnte eigentlich nicht begreifen, besonders am Sonntag nicht, wo Züseli um und um gewaschen war, wie die beiden zusammenkamen und noch dazu als Vater und Tochter. Der alte Barthli war hässig und häßlich, Sauersehen seine Freundlichkeit, gute Worte gab er nicht für Geld, geschweige umsonst, und dennoch galt er etwas in der Welt, denn er war etwas, eine Persönlichkeit, ein Charakter, würde man heutzutage sagen. Er war ein ausgezeichneter Korber, sehr ehrlich auf seine Weise, hielt Wort. Ja, da ist es einem Menschen wohl erlaubt, saugrob zu sein. Er war überdies noch sehr arbeitsam und sehr sparsam. Wenn er sich recht rühmen wollte, so sagte er, er hätte noch niemanden plaget, die Gemeinde nicht und andere Leute auch nicht. Das war wirklich viel gemacht in unserer Zeit, wo viele meinen, sie schenken der Gemeinde etwas, wenn sie ihre Hülfe nicht in Anspruch nehmen; einer so reichen und geduldigen Person was schenken, sei ja dumm. Barthlis Verdienst war nicht groß, aber er besaß das Ehrgefühl eines Mannes; er begriff, daß, wer selbständig sein wolle, vor allem imstande sein müsse, sich und die Seinigen selbst zu erhalten mit Gottes Hülfe. Es wäre gut, dieses Ehrgefühl wäre im Zu- statt im Abnehmen, dann wäre der Friede größer in der Welt; es wäre gut, wenn mancher Schöne und manche Schöne den wüsten Barthli zum Exempel nehmen würden und nichts begehrten, was man nicht selbst verdienen kann, keiner fliegen wollte, der keine Flügel hat.

Das Häuschen hatte er von seinem Vater geerbt und so viel Land dazu, daß er etwas pflanzen und zwei Ziegen halten konnte, wenn er die Zäune seiner Nachbaren nicht schonte und die Tiere lange Hälse hatten, um über die Zäune hinüber im jenseitigen Grase hospitieren zu können. Mit Reparaturen an der Hütte hatte er sich nie abgegeben. Ihm sei sie gut so; wenn sie ihn nur aushalte, hernach könnten die sehen, wo nachkämen, sagte er. Er galt für sehr ehrlich, obgleich er sich in dieser Beziehung bedenkliche Freiheiten herausnahm, nämlich mit den Weidenruten, welche er zu seinen Körben brauchte. Eine bedeutende Zeit des Jahres brachte er bei Bauern auf sogenannten Stören zu, wo er ihnen Körbe flocht und ausbesserte. Indessen machte er auch Körbe auf den Kauf, und namentlich sein Meitschi machte solche, denn dieses nahm er auf die Stören nicht mit, es mußte daheim zu Haus und Hof sehen. Die Ruten nun zu diesen Körben nahm er, wo er sie fand, unbekümmert darum, wem die Weiden gehörten, an denen sie gewachsen waren. Er trieb dieses nicht im Verborgenen mit äußerster Vorsicht, um nicht gesehen zu werden, er sagte offenherzig, sein Vater und sein Großvater seien Korber gewesen, hätten aber nie einen Kreuzer für Ruten ausgegeben, sondern die Wydli genommen, wie sie gewachsen, ein Bauer würde sich geschämt haben, einem armen Mannli einen Kreuzer dafür abzunehmen. Körbe habe man ihnen gemacht, alte plätzet, öppe wohlfeil genug, damit seien beide Teile wohlzufrieden gewesen. Jetzt sollte man ihnen jedes Wydli übergülden, dazu noch grusam danken, daß man fast um den Atem komme, und obendrein machten sie alle Weidenstöcke aus, nur hie und da ein alter Bauer lasse noch einen stehen zum Andenken, und damit die Kinder wüßten, wie so ein Weidstock gewesen. Dann könnten die Bauern seinetwegen Körbe flechten lassen aus den Schmachtzotteln, welche ihre Töchter über die Stirne herabzwängten mit Tüfelsgewalt. Trotzdem kam Barthli nie in Verlegenheit, keine Strenge, kein Verbot ward gegen ihn angewendet. Wohl hob hie und da ein Bauer die Hand drohend auf und sagte: »Barthli, Barthli, du machst es mir wohl gut, nimm dich in acht, sonst mache ich dir den Marsch. Ich habe bald nicht mehr Wydli für ein Erdäpfelkörbchen, und selb ist mir doch dann nicht anständig.« »Warum gönnst mir das Maul nicht und sagst, wenn du Körbe mangelst? Mir kann es nicht in Sinn kommen, und dWydli muß man nehmen, wenn es Zeit ist, und hausieren damit wirst du kaum wollen«, so antwortete Barthli keck, und sanftmütig redete der Bauer mit ihm eine Stör ab, sagte bloß: »DWydli bringst dann mit! Ein andermal wollte ich sie doch dann lieber selbst hauen.« »Warum nicht!« antwortete Barthli, »die Mühe mag ich dir wohl gönnen, aber machs zur rechten Zeit, sonst fahre ich zu.« »Aber frage doch dann zuerst!« meinte der Bauer. »Man kanns machen, wenn mans nicht vergißt«, entgegnete Barthli. »Fragen«, setzte er hinzu, »ist auch so eine neue Mode vom Tüfel. Man sagt, fragen schade nichts, jawolle, nichts schaden! Ich habs erfahren. Frage um nichts mehr mein Lebtag, wenn es nicht sein muß und es ungefragt auch zu machen ist.« Diese Schonung kam aus dem gleichen Grunde, aus welchem Barthli seine Rechte nahm, es war auch so eine Art von Grundrecht, entstanden aus uralter Gewohnheit, welches man ihm noch stillschweigend zugestand trotz der neuen Sitte, aus allem soviel Geld als möglich zu machen, welche man gegen alle andern mit aller Strenge in Anwendung brachte.

In diesem Punkte ist allerdings eine bedenkliche Änderung erfolgt, welche man bei Beurteilung des Verhältnisses unterer Klassen nicht außer acht lassen darf. In früheren Zeiten war viel wildes, viel fast herrenloses Land; was auf solchem Lande wuchs, war Beutepreis, und arme Leute hatten da eine reiche Fundgrube von allerlei, welches sie entweder selbst brauchen oder zu Geld machen konnten. Viele Handwerker, Rechenmacher, Küfer, Korber, Besenbinder und andere, selbst Wagner hatten gleichsam Hoheitsrechte auf solchem Lande, sie nahmen, was ihnen beliebte, und zwar unentgeltlich und ungefragt. In solchem Lande weideten die armen Leute den Sommer über Schafe und Ziegen, sammelten für den Winter Streu und Futter. Das ist anders geworden. Viel Land ist urbar gemacht, und herrenloses Land wird rar sein im Lande Kanaan. Was nicht Privaten angehört, hat der Staat an sich genommen, und wo dem Staate sieben magere Gräslein wachsen an einer Straße magerem Rande, verpachtet er sie, und um zu soliden Pächtern zu kommen, werden Steigerungen abgehalten, ganz splendide. So machen es auch die Privaten, und was einen Kreuzer giltet, verwerten sie in ihrem Nutzen. Sie haben vollkommen das Recht dazu, aber – aber jedenfalls sollte ob dem Kreuzer der Nächste nie vergessen werden.

Mit den Körben, welche Barthli zu Hause machte, schickte er Züsi hausieren oder ging selbsten mit. Obgleich er kaum zwei Stunden von Bern entfernt wohnte, ging er doch selten dahin und ungern. Er möge mit den Stadtweibern nichts zu tun haben, sagte er, die hätten keinen Verstand von der Sache. Die bildeten sich ein, sie müßten bei allen Dingen markten bis zum Schwitzen, das sei die Hauptsache beim Handeln. Schätze er ihnen einen Korb um sieben Batzen, so böten sie ihm fünf Batzen, und schätze er ihnen ein andermal den gleichen Korb für vier Batzen, so seien sie imstande, ihm zwei Batzen zu bieten, soviel Verstand hätten sie. »Aber Barthli, da ist ja gut helfen«, sagte man ihm oft. »Schätze deine Körbe alle um neun Batzen, dann hast du ja immer sieben richtig.« Das wollte aber Barthli nicht. Jede Sache habe ihr Maß, sagte er, darüberaus fahre er nicht. Er wolle nicht, daß es heiße, der Barthli im rueßigen Graben sei ein Narr geworden. Sie könnten seinethalben in der Stadt sehen, wo sie ihre Körbe herbekämen, den seinen käme er sonstwo ab, wo die Leute Verstand hätten.

Sein Töchterlein hatte es umgekehrt. Tage in der Stadt waren ihm ganz andere als die übrigen Tage, Tage, wie die Juden sie sich im tausendjährigen Reiche dachten, wo die Sonne siebenmal größer ist und die Stadttore zu Jerusalem aus Diamanten und Rubinen gemacht, alle Bäume voll der süßesten Früchte, die Zäune voll Weintrauben, jede ungefähr so groß wie Goliath, und die Beeren wie Kürbisse. Man denke aber auch: die schönen Herren und Damen, die Läden voll Gold, Silber und freßbarer Herrlichkeiten, Schweinefleisch, daß es eine helle Pracht war, Brot und Brötchen von allen Sorten und Bänder und Sachen unter Glas und hinter Glas, denen es keinen Namen wußte, sondern dabei denken mußte, die kämen geradenwegs vom Himmel her! Man sieht oft Kinder in der Stadt, die offenbar nicht mehr wissen, sind sie über der Erde oder unter der Erde. Sie sperren Augen, Nase, Mund auf, daß das ganze Gesicht nur ein Loch ist, durch das die guten Kinder alle die Herrlichkeiten in sich hineinziehen möchten. Man kann sie stoßen, treten, sie merken es kaum, ja es ist zweifelhaft, ob sie es merken würden, wenn man sie zertreten täte. Manchmal hängt so ein Kind mit einer Hand an der Rocktasche des Vaters oder am Kittel der Mutter. Wie Schleppdampfschiffe segeln die Alten voraus, bewußtlos wird das Kind nachgezogen mit den aufgesperrten Löchern, und glücklich ist der Vater, wenn das Kind ihm noch am Rocke hängt, wenn er landet in einer Wirtschaft oder endlich hinaussegelt aus den Toren ins Weite. Dann macht das Kind das Gesicht zu. Das Chaos der Eindrücke beginnt sich zu ordnen, die einen schwinden, andere treten bestimmter hervor, prägen sich aus; Fragen, Erzählen beginnt, und sind die Menschen zu Bette, geht das Träumen an, eine neue Welt ist entstanden, ein bewegtes Leben regt sich, manchmal bleibts, manchmal stirbts wieder. Das eine, das bleibt, wächst auf zu des Herrn Freude, anderes gestaltet sich zum Distelfelde, auf dem vor allem der Neid wächst und Begehrlichkeiten von allen Arten.


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