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II.
Seine Lebensgeschichte.

»Nun wollen wir erzählen … Ihnen zum Frommen und zur Belehrung …

Ich beginne vom Vater. Mein Vater war ein strenger und wohlanständiger Mann. Er erlangte an seinem 65. Lebensjahre eine volle Pension und übersiedelte nach einem Kreisstädtchen, wo er sich ein Häuschen gekauft hatte … Meine Mutter war eine Frau von gutem Herzen und heißblütigem Temperament, … so daß es auch möglich ist, daß mein Vater in Wahrheit gar nicht der meinige war. Er schonte mich nicht; für jede Kleinigkeit stellte er mich in den Winkel, oder peitschte mich mit dem Riemen. Die Mutter dagegen liebte mich, und gefiel es mir bei ihr gut. Für jedes Zettelchen, welches sie durch mich an ihre Herzensfreunde, und solche hatte sie immer, zu schicken pflegte, bekam ich von ihr gebührende Belohnung und für meine Bescheidenheit noch Besonderes.

Als der Vater verreist war, blieb ich auf der sechsten Klasse des Gymnasiums stecken, aus welcher ich bald darauf ausgeschlossen wurde, weil ich die Lehrer der Physik in Verwirrung gebracht hatte. Ich sollte nämlich Unterricht bei unsern Lehrern nehmen, nahm ihn aber beim Zimmermädchen des Inspektors. Der letztere verübelte mir das und jagte mich hinaus. Ich kam zum Vater und erklärte ihm, daß ich infolge eines Mißverständnisses, seitens des Inspektors, aus dem Tempel der Wissenschaft ausgestoßen wurde. Der Inspektor aber hatte, wie es sich herausstellte, in einem Briefe dem Vater den ganzen Sachverhalt auseinandergesetzt, dabei aber wohlweislich die Thatsache verschwiegen, daß er mich am Orte des Vergehens überrascht hatte, nämlich in der Kammer des Zimmermädchens; daß er selbst des Nachts im Schlafrock dort erschienen war, beim Eintritt in süßem Tone flüsternd: »Dunchen!« Das ist übrigens seine Sache. Freilich schimpfte nun der Vater auf mich, so oft er mich erblickte, und die Mutter ebenfalls. Sie schimpften hin, sie schimpften her und beschlossen mich nach Pskow zu schicken, wo ein Bruder meines Vaters wohnte. Man beförderte mich nach Pskow. Ich sehe, daß der Onkel roh und dumm ist, die Cousinen aber sind niedlich, – also es geht. Es stellte sich aber heraus, daß auch hier kein Heim für mich war. Nach drei Monaten schickte mich der Onkel nach Hause zurück mit der Beschuldigung, daß ich einen entarteten Lebenswandel führte und einen schlechten Einfluß auf seine Töchter ausübte. Von neuem schimpfte man auf mich, von neuem verschickte man mich, aber diesmal aufs Dorf zu einer Tante im Gouvernement Kasan. Die Tante war, wie ich fand, eine heitere, lebenslustige Frau, bei der eine ganze Menge junger Leute verkehrte. Aber zu jener Zeit waren alle von der thörichten Mode angesteckt, verbotene Bücher zu lesen. Bauz! Und siehe da, man sperrte mich ins Gefängnis, wo ich ungefähr vier Monate zugebracht haben dürfte. Die Mutter teilte mir schriftlich mit, daß ich sie getötet, der Vater berichtete mir, daß ich ihn entehrt hätte. Sehr langweilige Eltern hatte ich.

Wissen Sie, wenn dem Menschen erlaubt wäre, sich selbst Eltern zu wählen, das wäre viel bequemer als die jetzige Ordnung. – Nicht wahr? Nun, man entließ mich aus dem Gefängnis, und ich fuhr nach Nischni Nowgorod, wo eine verheiratete Schwester von mir wohnte. Ich fand die Schwester von einer großen Familie überbürdet, und infolgedessen böse … Was thun? Als Ausweg erschien mir der Jahrmarkt. Ich trat in einen Chor von Sängern ein. Meine Stimme war gut, mein Aeußeres war schön. Man stellte mich als Solisten an, ich sang auch. Sie denken womöglich, daß ich dabei tüchtig zu trinken pflegte, nein, ich trinke auch jetzt fast gar keinen Schnaps, und wenn ich es einmal thue, dann nur als Erwärmungsmittel. Ich war niemals das, was man einen Trinker nennt. Indessen betrank ich mich wohl einmal, wenn es gute Weine, namentlich Champagner zu trinken gab. Geben Sie mir Marsala, da betrinke ich mich unbedingt, weil ich diesen Wein liebe, wie Frauen. Die Frauen liebe ich bis zum Wahnsinn … Es kann aber auch sein, daß ich sie gerade hasse … weil ich, sobald ich von der Frau das, was ich wollte, empfangen habe, ich sofort das unüberwindliche Verlangen empfinde, ihr etwas Schimpfliches, Gemeines anzuthun. So etwas, wissen Sie, daß sie weder Schmerz noch Erniedrigung, sondern daß sie die Empfindung haben soll, als wenn ihr Blut und das Mark ihrer Knochen gesättigt sei von einer häßlichen Vergiftung, und daß sie das ganze Leben in sich diese eklige Vergiftung tragen und jeden Augenblick fühlen sollte. – Nun ja! Warum ich auf die Frauen so böse bin, weiß ich nicht, man kann es auch nicht erklären. Sie waren mir immer gewogen, weil ich hübsch und kühn war. Aber auch lügenhaft sind sie; indessen hole sie der Teufel! Ich liebe es, wenn sie weinen und stöhnen – du siehst es an, du hörst es und denkst –, aha! dem Diebe geschieht recht!

Nun also, ich singe ganz nett und lebe heiter. Einmal erscheint vor mir ein glattrasierter Mann und fragt: »Haben sie auf dem Theater schon zu spielen versucht?« Ich spielte wohl im häuslichen Spektakel. Der Betreffende fragt weiter: »Wollen sie auf Vaudevillerollen für 25 Rubel monatlich gehen?« Nun, so fuhren wir nach Perm. Ich spiele, ich singe in Divertissements – das Aeußere eines leidenschaftlichen Brünetten, die Vergangenheit eines politischen Verbrechers. Die Damen sind von mir entzückt. Man gab mir zweite Liebhaberrollen, ich spielte sie. ›Versuchen Sie‹ sagte man mir, ›Heldenrollen‹. Ich versuchte, in den »Irrlichtern« den Max zu spielen und fühlte selbst –, es gelang! Ich spielte die Saison durch. Zum Sommer wurde eine überaus heitere Tournee zusammengestellt. Man spielte in Wjatka; man spielte in Ufa, selbst in Elaburg. Zum Winter kehrten wir wieder nach Perm zurück.

Und in diesem Winter fühlte ich Haß und Widerwillen gegen die Menschen. Du gehst heraus – wissen Sie – auf die Scene, da starren dich sofort Hunderte von Dummköpfen und Niederträchtigen an. Es überläuft dich ein ängstlicher Schauder, und du empfindest ein Stechen, als wenn du dich in einen Ameisenhaufen hineingesetzt hättest. Sie sehen auf dich, wie auf ihr Spielzeug, wie auf eine Sache, die sie sich für einen Abend zur Benutzung gekauft haben. Ihnen steht es frei, dich zu verurteilen oder dich zu loben. Und siehe da, sie beobachten, ob du fleißig genug deine Kunststücke vor ihnen ausführst. Finden sie dich darin tüchtig, dann schreien sie wie die Esel an der Leine, sie brüllen, und du hörst sie an und fühlst dich befriedigt. Für eine Weile vergißt du, daß du ihr Eigentum bist. Hierauf erinnerst du dich daran, und dafür, daß dir ihr Beifall angenehm war, schlägst du dich selbst mit Fäusten.

Schauderhaft widerlich war mir das Publikum, und oft überkam mich die Lust, auf dasselbe von der Bühne aus zu speien, es in den kräftigsten Ausdrücken zu beschimpfen. Zuweilen fühlst du es, wie ihre Blicke gleich Stecknadeln dir in den Körper hineindringen, und wie sie gierig warten, daß du sie kitzelst. Sie erwarten es mit der Zuversicht jener Gutsbesitzerin, der die Mägde in der Nacht die Sohlen streichelten. Du fühlst diese ihre Erwartung, und denkst, wie gut wäre es, so ein langes Messer in der Hand zu haben, daß man mit ihm allen Zuschauern der ersten Reihe die Nasen abschneiden könnte. Der Teufel möge sie alle holen!

Aber habe ich mich da nicht, wie es scheint, allzusehr einer lyrischen Stimmung hingegeben? Also, ich spielte, verachtete dabei gründlich das Publikum und wollte vor demselben davonlaufen. Darin kam mir die Gattin des Staatsanwalts zu Hilfe. Sie gefiel mir nicht, und das eben mißfiel ihr. Sie brachte ihren Gatten in Bewegung, und infolgedessen fand ich mich plötzlich in der Stadt Saransk ein, – so wie ein Stäubchen vom Wind wurde ich von den Ufern der Kama fortgetragen. Ach! Alles ist wie ein Traum in diesem abscheulichen Leben.

Ich sitze in der Stadt Saransk, und mit mir sitzt daselbst die junge Frau eines jungen Permer Kaufmanns. Es war ein entschlossenes Weib und hatte große Liebe zu meiner Kunst. Nun sitzen wir hier, ohne Geld, ohne Bekanntschaften. Mir ist's langweilig, ihr auch. Sie begann vor Langerweile mir Vorwürfe zu machen, daß ich sie nicht liebe. Anfangs duldete ich das, nachher wurde es mir lästig; ich sagte ihr auch: ›so gehe doch von mir zu allen Teufeln!‹ ›So also?‹ – entgegnete sie, ergriff den Revolver und feuerte auf mich los. Die Kugel drang mir direkt in die linke Schulter; ein wenig tiefer – und ich wäre bereits im Paradies. Nun, ich fiel allerdings auch hin. Sie erschrak, sprang vor Angst in den Brunnen und ertrank.

Man brachte mich nach dem Krankenhaus. Nun, selbstverständlich, erschienen Damen. – Diese brauchst du nicht mehr »mit Brot zu nähren«, wenn sie nur an einer Liebesangelegenheit sich beteiligen können. Sie machten sich mit mir zu schaffen, bis ich auf den Beinen war; und sobald ich aufgestanden war, verschafften sie mir eine Sekretärstelle bei der Polizei. Wie meinen Sie? Ist nicht bei der Polizei angestellt zu sein besser, als unter Aufsicht derselben zu stehn? So lebte ich nun ein, zwei, drei Monate …

Eben in diesen Tagen empfand ich, zum erstenmal in meinem Leben, eine niederdrückende, die Seele zermarternde Langeweile.

Es ist eine der abscheulichsten aller Stimmungen, welche den Menschen plagen und sein Gemüt entstellen. Alles um dich her hört auf interessant zu sein, und du hegst immer ein Verlangen nach etwas Neuem. Du wirfst dich hin, wirfst dich her, fragst, grübelst, findest etwas – und greifst zu, aber gar bald siehst du ein, daß es nicht das war, was du brauchst … Du fühlst dich wie gefangen von etwas Dunklem, fühlst dich im Innern gefesselt, unfähig, mit dir selbst in Frieden zu leben; und eben dieser Friede thut dem Menschen am meisten not. Ein abscheulicher Zustand!

Dies brachte mich auch dahin, daß ich mich verheiratete. Ein solches Verfahren von einem Menschen mit meinem Charakter ist ja auch nur möglich aus Kummer oder aus Katzenjammer.

Meine Frau war die Tochter eines Pfarrers. Sie lebte bei ihrer Mutter, – der Vater war gestorben –, und so genoß sie volle Freiheit. Sie hatte ein eigenes Häuschen, ja man kann sogar sagen ein Haus; auch hatte sie Geld. Sie war ein hübsches Mädchen, nicht dumm, von heiterem Charakter; sie liebte aber außerordentlich Büchelchen zu lesen. Und das eben war sowohl für sie, als für mich von schlechter Wirkung. Immerfort pflegte sie aus den Büchelchen allerlei Lebensregeln aufzuschnappen, und kaum hatte sie irgend eine Regel aufgegriffen, so kam sie damit sofort zu mir. Ich aber konnte schon von der Zeit »meiner ersten Nägel« die Moral nicht ausstehen …

Anfangs lachte ich meine Frau aus, später wurde es mir lästig, sie anzuhören. Ich sah, daß sie fortwährend durch Einfälle, die sie Büchern entnahm, zu glänzen suchte; das aus Büchern Gelesene steht einer Frau aber so schlecht, wie dem Lakaien der Anzug seines Herrn. Wir fingen an, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen … Inzwischen machte ich die Bekanntschaft eines Pfaffen. Dieser Pfaffe war ein eigentümlicher Mensch, Guitarrespieler, Sänger und ein Meister im Trinken. Für mich war er der beste Mann der Stadt, denn in seiner Gesellschaft ging es immer lustig zu. Meine Frau aber schimpfte über diese Bekanntschaft und wollte mich durchaus in ihre Gesellschaft von Büchermenschen und Pharisäern hineinziehen. Es erschienen bei ihr an den Abenden alle ernsten und besseren Männer der Stadt, wie sie dieselben nannte, für mich aber waren sie zu ernst und drückend. Ich selbst las damals zwar auch gern, aber ich konnte mich niemals über etwas Gelesenes in Unruhe versetzen, und ich sehe auch gar nicht ein, weshalb. Aber sie – die Frau und all die anderen Bekannten, – sobald sie irgend ein Büchelchen gelesen hatten, gerieten sie in solche Aufregung, als ob jedem von ihnen hundert Splitter unter die Haut getrieben wären. Meiner Meinung nach liegt die Sache so: ein Büchelchen? schön! – ein interessantes? noch besser! Aber jedes Büchlein hat ein Mensch geschrieben, und höher als sein Kopf konnte er doch auch nicht springen. Alle Bücher werden zu einem Zweck geschrieben; alle wollen beweisen, daß das Gute gut, und das Schlechte schlecht ist. Der Sinn wird immer derselbe bleiben, ob du hundert oder tausend davon durchgelesen hast. Meine Frau verschlang die Bücher dutzendweise, so daß ich ihr direkt sagte, ich würde viel besser leben, wenn ich den Pfaffen geheiratet hatte. Dieser allein rettete mich auch vor Langeweile, und wenn ich ihn nicht gehabt hätte, wäre ich meiner Frau davongelaufen. So kam es, daß so bald die Pharisäer zu ihr kamen, ich zum Pfaffen ging. Auf diese Weise lebte ich ungefähr anderthalb Jahre. Vor Langerweile half ich dem Pfarrer den Gottesdienst abhalten; bald las ich die Apostel, bald sang ich auf dem »Cliros« Kirchenchor. stehend: »Von meiner Jugend an bekämpfen mich meine Leidenschaften.«

Während dieser Zeit litt ich sehr viel, und von vielen meiner Sünden werde ich am jüngsten Gericht freigesprochen werden wegen dieser Leidenszeit. Aber da kam zu meinem Pfaffen eine Nichte zu Besuch. Sie kam deshalb, weil er Witwer war und auch aus dem Grunde, weil ihn die Schweine gefressen hatten, das heißt nicht ganz, sondern nur so, daß sie sein Aussehen entstellt hatten. Er war nämlich draußen auf dem Hofe betrunken hingefallen und eingeschlafen, da kamen die Schweine und fraßen ihm ein Ohr, eine Backe und den Hals an. Sie wissen doch, daß die Schweine allen Dreck fressen! Von diesem Schaden erkrankte mein Pfaffe, und ließ die Nichte herkommen, daß sie ihn pflegte und ich sie. Wir, ich und sie, nahmen uns also der Sache mit großem Eifer und mit Erfolg an, meine Frau aber erfuhr, was da vorging, und schimpfte selbstverständlich. Was blieb mir nun zu thun übrig? Ich begann auch zu schimpfen. Sie sagte zu mir: »Heraus aus meinem Hause!« Ich dachte nach und ging in Frieden fort – ganz aus der Stadt. So löste ich die Bande meiner Ehe … Meine Frau, wenn sie noch lebt, zählt mich gewiß schon zu den Toten.

Ich fühlte niemals das geringste Verlangen, sie wieder zu sehen, und ich nehme an, daß auch sie mich bereits vergessen hat und in Frieden lebt. Sie hat mir seiner Zeit arg zugesetzt.

So kam ich wieder als freier Mann nach Pensa. Ich versuchte bei der Polizei unterzukommen, fand aber keine Stelle für mich frei, anderswo hatte mein Versuch ebenfalls nur ungünstigen Erfolg! So trat ich denn bei den Psalmensängern ein Ich trat ein und sang und las Psalmen. In der Kirche wiederum das Publikum; von neuem tauchte in mir die alte Abneigung gegen dasselbe auf –, ein miserabler Verdienst und eine abhängige Lebensstellung. Schlecht ging es mir. Da kam mir eine Kaufmannsfrau zu Hilfe. Es war eine dicke, gottesfürchtige Frau, und das Leben war ihr langweilig. Nun gewann sie mich lieb zur geistigen Erbauung. Ich begann sie öfter zu besuchen, und sie mich zu pflegen. Ihr Mann war im Irrenhaus. Sie selbst verwaltete ein großes Mehlgeschäft. Ich machte mich also vorsichtig an sie heran. »Es ist Ihnen wohl schwer, alles zu bewältigen, Gnädigste.« »Jawohl, sehr schwer.« »Nehmen Sie mich doch zum Gehilfen.« »Du würdest mich doch betrügen,« meinte sie und nahm mich schließlich doch an. Nun begann für mich ein sehr gutes Leben. Die Stadt aber war sehr häßlich, weder Theater, noch gute Restaurants, noch interessante Menschen waren da … Selbstverständlich wurde es mir langweilig. Da schrieb ich an meinen Onkel einen Brief: ›Im Laufe meiner fünfjährigen Abwesenheit von Petersburg bin ich sehr vernünftig geworden. Ich bitte um Verzeihung für alles, was ich gethan habe, und verspreche, in Zukunft dergleichen zu vermeiden‹ Unter anderem fragte ich, ob es für mich nicht möglich sei, in Petersburg wohnen zu können. Der Onkel antwortete: »man kann, aber man muß vernünftig sein.« Da verabschiedete ich mich von meiner Kaufmannsfrau.

Wissen Sie, das war ein dummes, fettes, derbes und unschönes Weib. Ich hatte unter meinen Geliebten sehr hübsche, feine und vernünftige Weibchen … N–ja–a … Ich kam mit ihnen aber schlecht auseinander; entweder jagte ich das Weib mit Wut und Verachtung fort, oder das Weib that mir irgend eine Gemeinheit an. Dagegen hat mir diese Frau eine Achtung vor ihr eingeflößt … durch ihre Einfachheit …

Ich sagte ihr: »Lebe wohl!«

»Lebe wohl,« sagte sie, »mein Schatz! Mag es dir gut gehen …«

– »Thut dir denn die Trennung nicht leid?«

– »Wie soll es mir denn nicht leid thun, einen so hübschen und vernünftigen Mann zu verlieren? Ewig würde ich mich von dir nicht trennen, aber es muß doch geschehen … Ich kenne dich wohl … du bist ein freier Vogel! … Nun, so gehe in Gottes Namen!« – Dabei weinte sie bitterlich …

– Da sagte ich: »Verzeih' mir doch, Gnädigste!«

– »Ach, was … zu danken habe ich dir, nicht zu verzeihen!«

»Wieso denn danken? wofür denn danken?«

»Aber wie denn anders,« sagte sie, »bist du doch so ein Mann, der mich leicht an den Bettelstab hätte bringen können; ich hatte alles in deinen Händen, du konntest mich nach Belieben berauben, ohne daß ich dich darin zu hindern vermocht hätte; du wußtest es auch … du gehst aber ehrlich ab … Ja, ich weiß auch, wieviel du bei mir im Laufe der Zeit verdient hast – zusammen ungefähr 4000 Rubel. – Ein Anderer an deiner Stelle würde den ganzen Brei aufgezehrt und auch das Gefäß zertrümmert haben« …

N–ja–a …

Sehen Sie mal, was die alles gesagt hat … Das war ein liebes, nettes Weib!

Ich küßte sie nun zum Abschied, und mit einem Achtungsgefühl für sie, mit leichtem Herzen und mit 5000 Rubel in der Tasche – sie verrechnete sich nämlich – erschien ich nun in Petersburg. Hier lebte ich wie ein Edelmann, besuchte das Theater, machte Bekanntschaften, spielte auch manchmal vor Langerweile auf der Bühne, viel mehr aber – Karten! Eine schöne Beschäftigung, das Kartenspiel: du sitzest am Tisch, und im Laufe der Nacht stirbst du zehnmal und lebst wieder auf! Unheimlich wird dir zu Mute, wenn du weißt, daß in dem folgenden Augenblick dein letzter Rubel totgeschlagen wird und du ein Bettler geworden bist … Geh' hinaus … stiehl … oder erschieß' dich …! Ein ebenso eigentümlicher, wunderbar anregender Genuß ist es, zu merken, wie dein Nachbar oder Partner dasselbe unheimlich kitzelnde Gefühl bei seinen letzten Rubeln verspürt, das du selbst eben durchlebt hast … auf die roten und blassen Gesichter der Mitspielenden zu sehen, wie sie vor Angst zu verspielen und vor Gier nach Gewinn in grenzenlose Erregung geraten und zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Wut und Entzücken hin und her geworfen werden – und ihre Karten eine nach der andern zu schlagen … O, in welch' wunderliche Wallung bringt es Blut und Nerven! … Du schlägst eine Karte, und es ist, als wenn du einem Menschen stückweise das Fleisch samt Blut und Nerven aus dem Herzen herausrissest … Das ist recht saftig! … Dieses fortwährende Riskieren auf die Gefahr hin unterzugehen … das ist das Beste am Leben … Und wie drückt doch der Dichter diesen Gedanken so treffend aus:

»O, Wonnerausch – im Kampfesbraus,
Dort, an des düstern Abgrunds Rand!«

Ja, ein großer Genuß liegt darin … und überhaupt fühlst du dich nur dann wohl, wenn du etwas riskierst. Je mehr aufs Spiel gesetzt, desto mehr Leben! Haben Sie schon einmal hungern müssen? Mir passierte es schon, daß ich zwei Tage nach einander hungern mußte … Und eben dann, wenn dein Magen sich selbst zu verzehren beginnt, wenn du fühlst, wie deine Eingeweide »trocknen« und dein »Absterben« nahe ist – dann bist du bereit, für ein Stückchen Brot einen Menschen oder ein Kind zu töten … Du bist zu allem bereit … Und eben in diesem Bereitsein, ein Verbrechen zu begehen, liegt eine besondere Poesie … das ist ein wertvolles Empfinden, und, wenn du es durchgemacht hast, achtest du dich selbst mehr …!

Aber setzen wir doch unsere bunte Erzählung fort; sie dehnt sich ohnehin in die Länge wie eine Begräbnisprozession, in der ich die Rolle des Verschiedenen einnehme … Pfui! … Was für ein närrischer Vergleich mir in den Kopf gekrochen ist … Na, meinetwegen, er ist vielleicht auch richtig … Warum indessen nicht vernünftiger werden?

Bei Herrn Balzac findet sich irgendwo ein sehr richtiger und treffender Ausdruck: »Es ist dumm wie ein Fakt.« Dumm? Nun es sei! Was geht mich der Unterschied zwischen dumm und vernünftig an?

Also ich lebte in Petersburg. Das ist eine gute Stadt, aber es wäre doppelt so gut, wenn man die Hälfte seiner Einwohner im Meer, das die Stadt umspült, ersäufte. Ich lebte also und verrichtete verschiedene Dinge, wie sie einem Menschen zukommen. Ich gefiel einer Dame, und sie erwarb mich, um mich auszuhalten. Wurden Sie niemals von Damen ausgehalten? Versuchen Sie es einmal, es ist interessant. Sie sind gleichzeitig Sache und Herrscher Ihrer Dame. Man hat Sie gekauft wie ein Spielzeug, aber Sie spielen mit dem, der Sie gekauft hat. Schließlich befindet sich dieser Käufer in Ihren Händen, und zwar in einer sehr lächerlichen Situation – weil Sie vor ihm immer die Rolle eines Pantoffels spielen können, der ein Hut sein will und fordert, daß man ihn auf dem Kopfe tragen soll. So lebte ich nun ein, zwei, drei Jahre – alles ging gut, das heißt, heiter und lustig. Da ereignete sich eine operettenartige Geschichte. Es kam nämlich ein sonst sehr guter Mann zu mir, der sich aber mit einer schlechten Sache befaßte – mit der Politik nämlich, derentwegen ich übrigens seiner Zeit feste brummen mußte. Er kam und sprach: »Erlange doch für mich einen Paß!« »Was für einen?« »Na,« – sagte er, »für ein Fräulein, brünett, zwanzig Jahre alt, mittlerer Wuchs, alles übrige – gewöhnlich.« »Wozu?« »Nun, es existiert nämlich ein solches Mädchen, es ist aber nötig, daß sie nicht mehr existiert, so will ich sie also unter fremdem Namen verheiraten.« »Na, warum denn nicht? Das ist ja ein drolliges Geschichtchen.« Zufällig war auch bei meiner Dame eine Zofe, die diesen Anforderungen ganz genau entsprach … Ich nahm ihren Paß und gab ihn diesem Charlatan. Schön! Es verging eine lange Zeit.

Auf einmal – Krach! erschienen zwei Gendarmen und sagten: »Bitte schön!« Ich ging mit … Irgend ein grauer und außerordentlich strenger Herr fragte mich: »Haben Sie für ein Mädchen, so und so, einen Paß verschafft?« »Jawohl, das stimmt, ich weiß aber nicht, ob es gerade für dieses Mädchen war.« »Wieso?« »Na, aber mein Freund vergaß wirklich mir das Mädchen zu nennen.« Der strenge Mann glaubt's mir nicht. »Wie ist das möglich?« sagte er. – »Sie kannten das Mädchen nicht und gaben ihr doch einen Paß?« »Ich gab ihn nicht dem Mädchen.« »Wem denn?« Ich sagte, wem. »Aha! –« sagte er – »so ist er nun endlich hineingeraten; ich danke für die Auskunft.« Sofort erließ er auch einen Befehl, meinen Freund zu fassen, mich aber in eine geräumige Zelle einzusperren. Nach zwei Tagen konfrontierte man mich mit meinem Freund, der selbstverständlich meine Worte bestätigte. Nun fragte man mich, wohin ich wegfahren möchte aus Petersburg. Ich sagte: »Ist es nicht möglich nach Zarskoje Sjelo?« »Nein« – erwiderte man – »weiter!« »Nach Russa vielleicht?« »Noch weiter!« Na, wir einigten uns auf Tula. »Sie können,« – sagte er – »noch weiter fahren, wenn Sie Lust haben sollten, aber hierher dürfen Sie vor drei Jahren sich nicht wieder melden. Ihre Dokumente werden Sie vorläufig bei uns lassen, zum Andenken an Ihre Person, dagegen bekommen Sie hier ein Durchgangszeugnis bis Tula. Nehmen Sie es in Empfang, und bemühen Sie sich, binnen vierundzwanzig Stunden von hier zu verschwinden.« Nun, was ist zu machen, dachte ich mir. Man muß seinem Vorgesetzten gehorchen. Wie soll man ihm denn den Gehorsam verweigern?

So verkaufte ich also meine ganze Habe meiner Wirtin für ein Butterbrot und ging zu meiner Dame. Sie weigerte sich, mich zu empfangen, die Hündin. Ich versuchte bei zwei, drei anderen Bekannten, sie begegneten mir wie einem Aussätzigen. Ich spie auf alle und ging nach einer gottgefälligen Stätte, um dort die letzten Stunden meines Lebens in Petersburg zuzubringen. Gegen sechs Uhr morgens ging ich von dort ohne einen Groschen in der Tasche, rein alles in Karten verspielt. So gründlich hatte mich ein Beamter gerupft, daß ich sogar in Rührung vor seinem Talent alles ohne Ueberlegung verspielte … Ja … Nun, wohin sollte ich mich jetzt wenden! Ich ging, ich weiß nicht warum, auf den Moskauer Bahnhof, trieb mich dort herum und sah, daß ein Zug gerade im Begriff war, nach Moskau abzufahren. Ich stieg in einen Wagen, setzte mich hin, war zwei Stationen gefahren, da warf man mich mit Triumph aus dem Wagen hinaus. Man wollte ein Protokoll aufnehmen, ließ mich aber, als ich mein Zeugnis zeigte, in Ruhe. »Gehen Sie weiter« – sagten sie. Ich ging. Nachdem ich nun ungefähr zehn Werst gegangen war, wurde ich müde und fühlte, daß ich essen mußte. Da sah ich ein Wächterhäuschen, darin der Eisenbahnwärter. Ich wandte mich an ihn: »Gieb mir doch, Freundchen, ein Stückchen Brot.« Er sah mich an und gab mir nicht allein Brot, sondern auch eine große Tasse Milch. Bei ihm übernachtete ich auch, das erste Mal während meines Landstreicherlebens, unter freiem Himmel auf Heu, hinter der Hütte. Am Morgen erwachte ich – die Sonne schien, die Luft erquickend, – grüne Fluren, Vogelgezwitscher! Ich nahm noch Brot von dem Wärter und ging weiter.

Sie müssen es begreifen, – im Landstreicherleben giebt es etwas Verlockendes und Hinreißendes. Es ist so angenehm, sich frei von Pflichten zu fühlen, frei von den verschiedenen kleinen Strickchen, welche deine Existenz unter Menschen fesseln, frei von allen Kleinigkeiten, welche dein Leben so verunstalten, daß es aufhört ein Vergnügen zu sein und nur noch als eine lästige Bürde, als ein schwerer Korb voll Pflichten empfunden wird … so die Pflichten, sich anständig anzuziehen, anständig zu sprechen und alles so zu thun, wie es gang und gäbe ist, aber nicht so, wie du es möchtest. Begegnet man einem Bekannten, muß man ihm, weil es so gebräuchlich ist, »guten Tag!« zurufen und nicht »krepiere!«, was man zuweilen doch lieber sagen möchte.

Ueberhaupt, wenn man die Wahrheit sprechen wollte, sind all' diese feierlich-närrischen Beziehungen, die unter den anständigen städtischen Menschen sich eingebürgert haben, nichts als eine langweilige Komödie! Und dazu noch eine ganz gemeine, niederträchtige Komödie, weil niemand den andern in seiner Gegenwart einen Narren oder Schuft nennt, und wenn es einmal geschieht, so ist es nur in einem Anfall jener Aufrichtigkeit, welche man Bosheit nennt …

Im Landstreicherleben dagegen befindest du dich außerhalb all' dieser Plackereien, und eben der Umstand, daß du dich ohne Bedenken von verschiedenen Bequemlichkeiten des Lebens lossagen und ohne dieselben bestehen konntest – erhebt dich in deinen eigenen Augen so angenehm. Du wirst zu dir selbst viel herablassender … wiewohl ich gegen mich selbst niemals besonders streng war; ich zermarterte mich nie, und die Zähne meines Gewissens thaten mir niemals weh. Ich kratzte mein Herz niemals mit den Krallen meines Verstandes. Ich, sehen Sie, habe mir schon früh, für mich selbst unbemerkt, die allereinfachste und klügste Philosophie fest angeeignet: Wie du auch leben wirst – sterben mußt du immer. Warum denn mit sich selbst streiten? Warum sich selbst am Schwanze nach links zerren, während deine Natur mit der ganzen Macht dich nach rechts zwingt? Und die Menschen, welche dich entzweireißen wollen, kann ich nicht ausstehen. – Wozu denn wenden sie ihre Mühe an? Ich pflegte mich mit solchen Käuzen zu unterhalten. Du fragst einen solchen: Warum, Freund, stürmst du denn? warum, Bruder, drängst du so? Ich strebe, sagt er dir, nach Selbstvervollkommnung … Wozu denn? – Wieso: »Wozu denn?« In der Vervollkommnung des Menschen ist ja der Sinn des Lebens enthalten. – Nun, ich verstehe das nicht. Sehen Sie, in der Vervollkommnung eines Baumes sehe ich einen klaren Sinn. Er vervollkommnet sich, bis er zu einem Zweck tauglich wird. Dann braucht man ihn zur Deichsel, zu Särgen oder noch zu anderen für den Menschen nützlichen Dingen. – Nun schön! Du vervollkommnest dich – das ist deine Sache; aber sage mir doch, warum du dich aber an mich herandrängst und mich zu deinem Glauben bekehren willst? Daher nämlich, sagt er, weil du ein Vieh bist und keinen Sinn im Leben suchst. Aber ich habe ihn ja gefunden, wenn ich ein Vieh bin und das Bewußtsein meiner Tierheit mich durchaus nicht belästigt. Du lügst, sagt er, wenn du dieses erkannt hast, mußt du dich bessern. Wie soll ich mich denn bessern? Lebe ich doch in Frieden mit mir selbst, Verstand und Gefühl sind in mir einig, Wort und That in voller Harmonie! Das ist, sagt er, Gemeinheit und Cynismus … Und so pflegen sie alle zu urteilen. Ich fühle, daß sie lügen, daß sie Narren sind; ich fühle es, und kann sie daher nicht genug verachten. Weil, – o, ich kenne ja die Menschen! – wenn du alles, was heute gemein, schmutzig und böse, morgen als ehrenhaft, sauber und gut erklärst, so werden all' diese Unverschämten sich ohne einen mindesten innern Uebergangskampf in die ehrenhaften, saubern und guten verwandeln. Sie brauchen dazu nur eines, – ihre Feigheit in ihrem Innern zu zerstören. Ja, so ist's!

»Das geht zu weit,« sagen Sie? – das thut nichts; mag es auch allzuweit gehn, dafür ist es aber auch richtig … Sehen Sie, ich sage mir so: Diene dem Herrn oder dem Teufel, aber nicht dem Herrn und dem Teufel. Ein guter Schuft ist immer besser als ein unbedeutender ehrlicher Mensch. Es giebt Weißes, es giebt Schwarzes, aber mischst du beides, so giebt es immer etwas Schmutziges. Ich begegnete während meines ganzen Lebens nur unbedeutenden ehrlichen Leuten, solchen, wissen Sie, bei denen die Ehrlichkeit aus Stückchen zusammengesetzt war, genau so, als ob sie dieselbe unter den Fenstern aufgelesen hätten, wie Bettler. Das ist eine vielfarbige Ehrlichkeit, schlecht zusammengeflickt und überall voller Risse … Und dann giebt es noch eine Bücherehrlichkeit, die durch Lesen erworben wird; sie dient dem Menschen, wie seine besseren Beinkleider, für feierliche Gelegenheiten. Ist doch überhaupt alles Gute, bei den meisten sogenannten guten Menschen Festtägliches und Gemachtes; sie tragen es nicht in sich, sondern bei sich zur Schau, um damit voreinander zu glänzen. Ich begegnete Menschen, die ihrer Natur nach wirklich gut waren, aber man trifft sie selten und fast nur unter den einfachen Leuten, außerhalb der Mauern der Stadt. Bei solchen Menschen fühlst du sofort, sie sind gut! Und du siehst – sie sind gut geboren … Ja! …

Im übrigen hole sie alle der Teufel, die Guten wie die Schlechten! Was ist mir Hekuba …

Ich weiß, daß ich Ihnen Thatsachen meines Lebens kurz und oberflächlich erzähle, und daß es Ihnen schwer sein muß zu verstehen, warum und wieso … Aber das ist schon meine Sache. Ja, das Wesentliche ist nicht in den Facten, sondern in den Stimmungen. Die Facta, das ist Lumpenzeug und Schutt. Ich kann sehr viel Facta vollbringen, wenn ich nur Lust habe; ich nehme z. B. ein Messer und stoße es Ihnen in die Kehle, nun, das wäre eben ein Kriminalfact! Oder ich steche mir dasselbe durch die Brust, das wäre wiederum ein Fact. Ueberhaupt kann man die verschiedenartigsten Facta vollführen, wenn es die Stimmung erlaubt. Die ganze Sache liegt in den Stimmungen, sie erzeugen die Facta, sie schaffen die Gedanken und die Ideale. Und wissen Sie, was ein Ideal ist? Chi! Das ist einfach eine Krücke, ersonnen zu jener Zeit, als der Mensch ein schlechtes Vieh ward und auf den Hinterbeinen allein zu gehen anfing. Den Kopf von der grauen Erde erhebend, erblickte er über sich den blauen Himmel und war durch die Pracht seiner Helligkeit geblendet. Dann sagte er sich in seiner Dummheit: »Ich werde ihn erreichen!« Und seit der Zeit schleppt er sich mit dieser Krücke auf der Erde herum, sich mit Hilfe derselben bis auf den heutigen Tag noch immer auf den Hinterbeinen haltend.

Sie werden es wohl nicht glauben, daß auch ich in den Himmel will; ich habe in mir niemals ein solches Verlangen empfunden. Ich sagte dies bloß, um ein schönes Wort zu gebrauchen.

Indessen bin ich von meiner Geschichte wieder abgeschweift; na, das thut aber nichts. Wickelt man doch bloß im Romane die Knäule der Geschehnisse regelrecht ab, unser Leben dagegen ist ein unregelmäßig verwickelter Knäuel. Dazu kommt noch, daß man für die Romane bezahlt, und ich strenge mich umsonst an. Weiß der Teufel wofür! …

Kurz, diese Lebensweise gefiel mir, sie gefiel mir um so mehr, als ich bald darauf die Mittel zu meinem Unterhalt entdeckte. Ich ging einst und sah in der Ferne ein Bauerngut im Glanze der Nachmittagssonne prangen. Mir entgegen bewegten sich zwischen dem ausgetrockneten Getreide drei wohlgestaltete Figuren, ein Herr und zwei Damen. Der Herr hatte schon einen graumelierten Bart, trug eine Brille und war sehr stattlich. Die Damen sahen abgemagert, aber ebenfalls wie Leute von besserem Stande aus. Ich machte das Gesicht eines Leidenden und bat, in das Bauernhaus eintreten zu dürfen, um dort zu übernachten. Sie erlaubten es und sahen sich gegenseitig bedeutungsvoll an. Ich verbeugte mich höflich, dankte und ging langsam von ihnen weg. Sie aber kehrten um, folgten mir und ließen sich mit mir in ein Gespräch ein: Wer? Woher? Wohin? Es waren Leute von humanem Temperament. Die Art ihrer Gesinnung war liberal und die Antworten haben sie mir gleichsam vorgesagt, so daß ich, als ich ins Haus kam, selbst fand, daß ich ihnen ungeheuer viel vorgelogen hatte: Als wenn ich das Volk studiere und belehre, und als wenn meine Seele von verschiedenen Ideen wie gefangen wäre und dergleichen mehr … Ich könnte schwören, alles dies kam deshalb so, weil sie es so hören wollten. Ich habe sie durch meine Antworten bloß nicht gehindert, mich für den zu halten, für den sie mich halten wollten. Als ich mir aber vorstellte, wie schwer die Rolle zu spielen war, die ich ihnen gegenüber übernommen hatte, wurde mir gar nicht gut zu Mute. Aber nach dem Abendbrot sah ich ein, daß es in meinem Interesse lag, diese Rolle zu spielen, weil diese Leute außerordentlich gut aßen. Sie aßen mit Gefühl, sie aßen wie gebildete Leute. Hieraus wies man mir ein Zimmerchen an, der Herr schenkte mir Hosen und andere Gegenstände, überhaupt behandelte man mich sehr gut. Nun, ich habe dafür, um sie zu unterhalten, meiner Phantasie die Zügel schießen lassen.

O himmlische Königin, was habe ich da alles gelogen! Was ist mir gegenüber Chlestakoff? ein russischer »Eulenspiegel«. Ein Idiot ist Chlestakoff! Ich log niemals, ohne das Bewußtsein zu verlieren, daß ich lüge. Ich freute mich selbst darüber, wie schön ich lügen konnte. So log ich, ich sage Ihnen, daß selbst das Schwarze Meer erröten würde, wenn es meine Lügen gehört hätte. Diese guten Leute hörten mich mit Vergnügen an, sie hörten, fütterten und pflegten mich wie ein eigenes krankes Kind. Und ich habe dafür Geschichten für sie verfaßt. Da sehen Sie, wie mir die Büchelchen, die ich gelesen, und die Dispute, die ich mit den Pharisäern meiner Frau geführt hatte, zu statten kamen.

Gut zu lügen ist ein hoher Genuß, sage ich Ihnen. Wenn du lügst und siehst, man glaubt dir, so fühlst du dich erhaben über die Menschen. Und sich höher zu fühlen als die Menschen, ist ein seltsames Gefühl! Die menschliche Aufmerksamkeit zu beherrschen und bei sich zu denken: »Dummköpfe!« Einen Menschen zum besten zu haben ist immer angenehm. Ja, auch ihm selbst, dem Menschen nämlich, ist es doch sehr angenehm, eine Lüge zu hören, aber eine gute, welche ihm seine Wolle streichelt; vielleicht ist auch jede Lüge gut, oder umgekehrt – alles Gute eine Lüge. Es giebt kaum in der Welt etwas, das mehr Aufmerksamkeit verdiente, als die verschiedenen menschlichen Einfälle: Schwärmereien und Träumereien und dergleichen mehr. Als Beispiel mag mal die Liebe genommen werden. Ich liebte immer an den Frauen genau das, was an ihnen niemals zu finden war, und dasjenige, womit ich sie ausstattete, war eben auch das Beste an ihnen. Du siehst z. B. ein frisches, fesches Weibchen, und sofort stellst du dir ungefähr folgendes vor: umarmen muß sie so, küssen wird sie so, ausgezogen wird sie so erscheinen, in Thränen macht sie diesen Eindruck, in Freuden sieht sie so aus. Und dann entsteht bei dir unmerklich die Ueberzeugung, daß dies alles bei ihr thatsächlich vorhanden ist, und zwar genau so, wie du es begehrst … Nun versteht es sich von selbst, daß, wenn du sie kennen lernst, wie sie wirklich ist – du feierlichst in der Patsche sitzest … Na, es ist dies indessen nicht so wichtig, kann man doch deshalb nicht ein Feind des Feuers sein, weil man sich zuweilen daran verbrennt, man muß nur bedenken, daß es immer wärmt, nicht wahr? … Nun denn! … Aus eben dem Grunde kann man aber die Lüge auch nicht schädlich nennen, sie immer tadeln, ihr die Wahrheit vorziehen … Weiß man doch noch gar nicht, was diese vielgepriesene Wahrheit eigentlich ist … hat doch noch niemand ihren Paß gesehen … Vielleicht erweist sie sich, wenn man ihre Dokumente genau besehen hat, als weiß der Teufel, was …

Indessen, ich philosophiere wie ein Sokrates, anstatt mich lieber mit der Sache zu befassen …

Ich log diesen ehrlichen Leuten bis zur Erschöpfung meiner Phantasie vor, und als ich mich dann in Gefahr sah, ihnen langweilig zu werden – ging ich fort, nachdem ich bei ihnen drei Wochen verlebt hatte. Reich beschenkt für die Reise ging ich von ihnen fort und schlug die Richtung nach der nächstliegenden Station ein, um von da nach Moskau zu wandern. Von Moskau fuhr ich nach Tula, aus Versehen des Schaffners unentgeltlich.

Nun befand ich mich in Tula vor dem dortigen Polizeimeister. Er sah mich scharf an und fragte:

»Womit wollen Sie sich hier beschäftigen?«

»Ich weiß nicht,« sagte ich.

»Weshalb« – fragte er – »entfernte man Sie aus Petersburg?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»Augenscheinlich wegen irgendwelcher Dinge, die im Kriminalkodex nicht vorgesehen sind?« erkundigte er sich forschend. –

Ich blieb aber undurchdringlich.

»Ein unbequemer Kunde sind Sie,« sagte er.

»Jeder hat nun einmal seine Specialität, mein bester Herr!«

Er überlegte nun eine Weile und machte mir folgenden Vorschlag: »Da Sie sich doch selbst einen Wohnort gewählt haben,« – meinte er – »so können Sie ja auch, wenn es Ihnen bei uns nicht gefällt, weiterziehen. Es sind andere Städte da, z. B. Orel, Kursk, Smolensk. Es dürfte Ihnen doch ganz gleich sein, wo Sie wohnen. Sind Sie damit einverstanden? so will ich Ihnen ein anderes Durchgangszeugnis ausstellen. Es wird uns sehr angenehm sein, uns nicht um Ihre Gesundheit bekümmern zu müssen. Wir haben ohnehin eine Menge geschäftlicher Sorgen … und, Sie entschuldigen die Offenheit, Sie scheinen mir ein Mensch zu sein, der sehr dazu geeignet ist, die Sorgen der Polizei noch zu vermehren, Sie scheinen mir sogar extra zu diesem Zweck geschaffen.«

»So, so. Aber mir gefällt's hier« …

»Wollen Sie von hier gehen, so bekommen Sie einen Dreirubelschein auf die Reise?«

»Allzu billig schätzen Sie, bester Herr, Ihre Anstrengungen. Es ist doch besser, Sie erlauben mir unter dem Schutze der Tulaer Gesetze zu bleiben.«

Aber er will mich durchaus nicht haben … Es war ein Mann von vernünftiger Ueberlegung! Nun, da nahm ich von ihm fünfzehn Rubel und ging nach Smolensk. – So sehen Sie, jede mißliche Lage eines Menschen trägt in sich die Möglichkeit einer besseren. Ich behaupte dies aus Grund einer soliden Erfahrung und kraft meiner tiefen Ueberzeugung von der Tüchtigkeit und Gewandtheit der menschlichen Vernunft … Vernunft, Vernunft ist eine ungeheure Macht! … Sie sind noch ein junger Mann, da sage ich Ihnen: Vertrauen Sie nur der Vernunft, so werden Sie niemals zu Grunde gehen. Sie müssen wissen, daß jeder Mensch in seinem Innern einen Narren und einen Spitzbuben beherbergt. Der Narr – das ist sein Gefühl; der Spitzbube ist die Vernunft. Das Gefühl ist deshalb dumm, weil es schlecht und aufrichtig ist und sich nicht verstellen kann. Aber kann man denn leben, ohne sich zu verstellen? Es ist unbedingt nötig, sich zu verstellen; schon aus Mitleid zu den Menschen muß man es thun, weil sie doch immerhin mitleidswürdig sind und namentlich aber dann, wenn sie mit anderen Mitleid haben …

Also ich ging nach Smolensk mit dem Gefühl, daß der Boden unter meinen Füßen fest sei, und mit dem Bewußtsein, daß ich immer auf die Unterstützung humaner Leute einerseits und der Polizei andrerseits rechnen könnte. Den ersteren bin ich nötig, damit sie an mir ihre edlen Gefühle bethätigen können, für letztere dagegen bin ich nichts weniger als nötig, weshalb sowohl die einen als die anderen mir von ihrem Ueberfluß zu zahlen haben.

So ging es. –

Ich ging und lachte in mich hinein. Mein Aussehen war respektabel. Da kam mir ein Bäuerlein in den Wurf. Er sah sich um und fragte: »Sie werden wohl von den »Auskundschaftern« sein?« Was mag ein »Auskundschafter« eigentlich sein? dachte ich mir, und antwortete ihm: »Jawohl, von den echten.« »Wird ein Weg von hier« – fragte er – »nach Trepowka gebaut werden?« »Nach Trepowka, jawohl!« »Wird man bald« – fragte er – »das Volk dazu verwenden?« »Bald, bald.« »Hast du gehört, ob man Pfänder nehmen wird?« »Man wird.« »Hast du nicht gehört, wieviel pro Person?« »Ja, von zwanzig Kopeken ab.« »So, so,« sagte das Bäuerlein. Ich hatte mir schon gleich zurechtgelegt, was die Fragen bezweckten, und fragte ihn, woher er sei, wieviel Seelen es in seinem Dorfe gäbe, ob viele im stande seien, auf die Arbeit zu gehen, wieviel Fußgänger, wieviel Pferde. Nun, er verstand mich. »Nehmen Sie,« – bat er, – »die Leute aus unserem Dorf?« »Mir ist es egal, woher die Leute genommen werden,« sagte ich ihm. So nahm ich von ihm ein Fünfrubelstück für die Bevorzugung seines Dorfes vor den anderen. Außerdem zwanzig Kopeken von jedem Fußgänger, und dreißig Kopeken von jedem Pferdebesitzer, in Form einer Sicherstellung rechtzeitigen Erscheinens zur Arbeit zu einem bestimmten Termin. Man händigte mir auf diese Weise eine Summe von hundert Rubel ein, ich stellte ihnen Zettelchen aus, sprach freundliche Worte zu ihnen und verabschiedete mich.

Ich erschien in Smolensk, und da es bereits kalt war, so entschloß ich mich, hier zu überwintern. Schnell fand ich gute Leute und paßte mich ihnen an. Es ging, ich habe den Winter nicht langweilig verlebt. Da kam aber der Frühling, und glauben Sie mir, es lockte mich hinaus aus der Stadt. Ich bekam Lust zum Landstreichen. – Wer konnte mich hindern? So ging ich von neuem und trieb mich den ganzen Sommer herum. Zum Winter geriet ich nach Jelisawetgrad. Ich geriet in diese Stadt, konnte mich da aber nirgends zurechtfinden. Ich quälte mich nach verschiedenen Richtungen hin, und endlich fand ich doch meinen Weg. Ich bewarb mich nämlich um die Stelle eines Reporters bei der Ortszeitung. Eine unbedeutende Beschäftigung, man hat aber dabei seine Freiheit und findet einigermaßen sein Futter.

Hierauf machte ich Bekanntschaft mit Junkern, – in dieser Stadt giebt es nämlich eine Kavalleriejunkerschule – und benutzte diese Bekanntschaft, um Kartenspiele ins Werk zu setzen. Es wurde tüchtig gespielt, und das Resultat war für mich glänzend, ich heimste tausend Rubel ein. Und von neuem kam der Frühling, diesmal erwischte er mich mit Geld und dem Ansehen eines Gentleman.

Wohin gehen? Nach Slaviansk zur Wasserkur, dort spielte ich mit Erfolg bis zum August. In diesem Monat aber mußte ich wegfahren. Ich überwinterte in Schitomir mit einem Weibchen. Ein ordentlicher Schund war es, aber ein Weib von unvergleichlicher Schönheit!

Ich verlebte auf solche Weise die Jahre meiner Ausweisung aus Petersburg und fuhr dann wieder dorthin zurück. Weiß der Teufel, warum diese Stadt mich immer verlockte. Ich kam dorthin als Gentleman, mit Mitteln ausgestattet. Ich suchte Bekannte auf, und was stellte sich heraus? Die Art und Weise, wie ich im Moskauer Gouvernement unter liberalen Leuten gelebt hatte, war ihnen bekannt. Alle wußten, wie ich auf dem Bauerngute drei Wochen verlebt und die hungrigen Seelen mit den Früchten meiner Phantasie gespeist hatte. Sie wußten auch alle anderen Geschichten. Nun, was war denn dabei? Wahrscheinlich mußte es doch so sein. Wenn sieben Thüren dir verschlossen sind, so suche andere aufzuschließen. Aber es glückte mir doch nicht! Ich bemühte mich sehr darum, mir eine feste Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen, konnte es aber nicht! Mag es daran gelegen haben, daß ich im Laufe der drei Jahre die Geschicklichkeit verloren hatte, mich den Menschen wieder anzupassen, oder waren die Menschen inzwischen größere Käuze geworden. Nun, und siehe da, als mir so besonders schwül zu Mute war, trieb mich der Teufel, meine Dienste der Geheimpolizei anzubieten. Ich bot mich als Agent an, der die Aufsicht über Spielhäuser führen möchte. Ich wurde angenommen. Die Bedingungen waren gut. Zu dieser Geheimprofession fügte ich noch eine offenbare, und zwar fing ich an, mich mit Reportage für eine Zeitung zu beschäftigen. Ich pflegte ihr die Straßenchronik zu liefern und verfaßte dann und wann Feuilletons für sie. Und dann spielte ich. Ich ließ mich dermaßen vom Spiel verlocken, daß ich ganz vergessen hatte, der Obrigkeit darüber Mitteilung zu machen. Ich vergaß ganz und gar, daß dies meine Pflicht und Schuldigkeit war. Als ich verspielte, stieg in mir die Erinnerung auf, du mußt doch der Polizei Bericht erstatten. Aber nein, – dachte ich mir, – du mußt zuerst dein Geld zurückgewinnen, und dann der Obrigkeit Vortrag halten. Auf diese Weise schob ich die Erfüllung dieser Pflicht sehr lange hinaus, bis ich einmal am Orte des Verbrechens, am Kartentisch, von der Polizei überrumpelt wurde. Natürlich beschimpften mich die Polizeibeamten öffentlich, als sie in mir einen der Ihrigen erkannten. Auf den folgenden Tag wurde ich vorgeladen, wo es sich hin gehört. Man erteilte mir eine scharfe Rüge, sagte mir, daß ich gar kein Gewissen habe, und wies mich aus der Hauptstadt aus. Wiederum ausgewiesen! Ohne das Recht, innerhalb zehn Jahren zurückkommen zu dürfen.

Sechs Jahre also reise ich nun, und es geht an. Ich beklage mich nicht über mein Schicksal. Von dieser Zeit will ich Ihnen lieber nicht erzählen, weil es entweder allzu einförmig, oder allzu verschiedenartig ist. Im allgemeinen aber ist es ein heiteres Vogelleben. Nur fehlt es manches Mal an Körnern. Aber man darf auch nicht allzu große Ansprüche stellen, wenn man bedenkt, daß selbst Personen, die auf Thronen sitzen, nicht lauter Vergnügen empfinden. In einem Leben, wie ich es führe, giebt es keine Pflichten, das ist das erste Gute, und auch keine Gesetze außer dem Naturgesetz, das ist das zweite. Allerdings beunruhigen mich die Herren Schutzleute manches Mal, aber es giebt doch auch in den besten Gasthäusern Flöhe! Dafür aber können Sie nach rechts und links, vorwärts, rückwärts, überall wohin Sie nur wollen, gehen. Und zieht es dich nirgendhin, so versieh dich mit Brot von einem Bauern – der ist gut und giebt immer – versieh dich also mit Brot und liege, bis du Lust bekommst, weiter zu wandern.

Wo war ich denn nicht schon überall? Ich war in den Tolstoischen Kolonien, in den Küchen der Moskauer Kaufmannschaft ließ ich mich verpflegen. Ich lebte im Kloster zu Kiew und in Neu-Athen. Ich war in Czenstochau und in Murom. Zuweilen scheint es mir, daß ich mit meinen Tritten jeden Fußsteig im russischen Reiche zum zweiten Male beschreite. Sobald sich mir eine Gelegenheit bieten sollte, mein Aeußeres zu renovieren, so gehe ich ins Ausland! Nach Rumänien ziehe ich, und von dort sind mir alle Wege geöffnet. In Rußland ist es mir schon langweilig. In diesem Lande habe ich ja alles vollbracht, was ich konnte.

Ich denke, daß ich in der That während dieser sechs Jahre viel vollbracht habe. Wieviel wunderliche Worte sprach ich, wieviel Wunder habe ich erzählt! Du kommst in ein Dorf, bittest um ein Nachtquartier, und wenn man dich satt gefüttert hat, so stimmst du auf der Harfe deiner Phantasie etwas an! Vielleicht habe ich auch neue Sekten gegründet, weil ich viel, sehr viel von der »Schrift« zu sprechen pflegte. Und der Bauer, wissen Sie, ist in Bezug auf die Schrift mit einem Spürsinn ausgestattet, so daß er auf zwei Worte hin eine solche neue Glaubenslehre begründen kann, daß, – o du! … Und wie viel Gesetze wegen Aufteilung und Abgrenzung des Bodens habe ich nicht verfaßt! Ja, ich habe viel Phantasie in das Leben hineingegossen!

Nun, so lebe ich auch, lebe und bin überzeugt, wenn ich Seßhaftigkeit wünschen sollte, erreiche ich es auch, denn ich habe Vernunft, und die Weiber schätzen mich. Da komme ich nach Nikolajew, begebe mich nach der Vorstadt, wo die Tochter eines alten Soldaten aus der Nikolauszeit wohnt. Es ist eine Witfrau, hübsch und vermögend. Ich komme zu ihr und sage: »Kappchen, mache ein Bad zurecht, wasche mich ab, und ziehe mich an. Ich bleibe dann bei dir von Mond zu Mond.« Alles geschieht sofort, und wenn sie außer mir noch einen Liebhaber hat, jagt sie ihn weg. Ich bringe bei ihr einen Monat und mehr zu, solange ich will. Ich lebte bei ihr im dritten Jahre der Wanderung zwei Wintermonate, im vorigen Jahre sogar drei Monate. Ich würde bei ihr den ganzen Winter bleiben, wenn sie vernünftiger gewesen wäre. So aber war es mir zu langweilig bei ihr. Außer ihrem Gemüsegarten, der ihr zweitausend Rubel jährlich einbrachte, wollte sie von nichts wissen.

Oder ich gehe sonst nach Kuban ins Lager der Labinen. Dort giebt es einen Kosaken, Peter den Schwarzen, der mich als einen heiligen Mann betrachtet. – Viele betrachten mich als einen Mann gerechten Lebens. Viele einfache und gläubige Leute sprechen zu mir: »Nimm, Väterchen, dies und stelle dem Heiligen ein Licht hin, wenn du bei ihm sein wirst.« Ich nehme es an … Ich schätze die gläubigen Leute und will sie nicht durch die schändliche Wahrheit verletzen, daß ich für ihr aufrichtig gespendetes Scherflein nicht ein Licht für einen Heiligen, sondern Tabak für mich kaufen werde.

Es liegt doch viel Reiz in dem Bewußtsein, der Menschheit entfremdet zu sein, in dem klaren Begreifen der Höhe und Dauerhaftigkeit jener Mauerwand der Versündigungen gegen dieselbe, welche du selbst fein aufgerichtet hast. Auch ist viel Süßes und Pikantes in dem beständigen Risiko, entlarvt zu werden. Das Leben ist ein Spiel. Ich setze auf meine Karte alles, das heißt eine Null, und gewinne daher immer, ohne Gefahr, was anderes zu verlieren, außer meinen Rippen. Aber ich bin überzeugt, daß, wenn man mich mal hauen sollte, man mich nicht verwunden wird, sondern totschlagen. Das kann niemand beleidigen, und wäre es thöricht, davor Angst zu haben.

Nun, junger Mann, habe ich Ihnen meine Lebensgeschichte erzählt. Und auch mit Umschweifen erzählt. Denn in meiner Geschichte war auch Philosophie, und wissen Sie, mir gefällt das, was ich erzählt habe, mir scheint, daß ich ordentlich erzählt habe. Ich gehe weiter, völlig überzeugt, daß ich hier viel verfaßt habe, und ich schwöre, wenn ich etwas gelogen hatte, so log ich's an der Hand von Thatsachen. Sehen Sie nicht auf diese, sondern auf die Art meiner Darstellung. Diese ist, ich versichere es Ihnen, mit dem Original meiner Seele übereinstimmend. Ich gab Ihnen einen Braten aus Phantasie, mit der Sauce der reinsten Wahrheit.

Aber übrigens, wozu habe ich das Ihnen gesagt? Daher, mein Lieber, weil ich fühle, wie wenig Sie mir glauben. Ich freue mich über Sie. So! Glauben Sie dem Menschen nicht! Weil er immer, wenn er von sich erzählt, lügt! Er lügt im Unglück, um für sich mehr Mitleid zu erwecken; er lügt im Glück, damit man ihn noch mehr beneide; er lügt bei allen möglichen Gelegenheiten, um eine größere Aufmerksamkeit zu erzielen.

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