Nikolai Gogol
Abende auf dem Vorwerke bei Dikanjka und andere Erzählungen
Nikolai Gogol

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Der Jahrmarkt zu Ssorotschinzy

I

Will zu Hause nicht versauern,
Führe mich doch aus dem Haus,
In die Welt, wo Lärm und Braus,
Wo die Mädchen Lieder singen,
Wo die Burschen lustig springen.
(Aus einer alten Legende)

Wie erquickend, wie herrlich ist so ein Sommertag in Kleinrußland. Wie ermattend heiß sind die Stunden, wenn der Mittag in Stille und Glut strahlt und der blaue, unermeßliche Ozean, der wie eine Kuppel von Wollust über der Erde schwebt, ganz versunken in Wonne, zu schlafen scheint, die Schöne mit seinen luftigen Armen umfangend und erdrückend! Keine Wolke steht auf ihm; kein Wort erschallt im Felde. Alles ist wie gestorben; nur oben in der Himmelstiefe zittert der Lerchensang, und die silbernen Lieder fliegen die luftigen Stufen zur verliebten Erde herab; nur ab und zu hört man den Schrei einer Möwe oder die helle Stimme einer Wachtel, die in der Steppe widerhallt. Träge und gedankenlos, wie Wandelnde ohne Ziel, stehen die in die Wolken ragenden Eichen, und die blendenden Blitze der Sonnenstrahlen entzünden auf einmal ganze Massen des malerischen Laubes und werfen auf andere einen Schatten so schwarz wie die Nacht, in dem nur bei starkem Winde goldene Funken aufleuchten. Smaragde, Topase und Saphire der ätherischen Insekten schwirren über den bunten, von stolzen Sonnenblumen überragten Gemüsegärten. Graue Heuschober und goldene Korngarben lagern wie ein Kriegsheer auf dem Felde, wie Nomaden auf seinem unermeßlichen Raume. Die unter der Last der Früchte sich beugenden breiten Äste der Kirsch-, Pflaumen-, Apfel- und Birnbäume, der Himmel und sein klarer Spiegel, der Fluß in seinem grünen, stolz erhobenen Rahmen . . . wie voll Wollust und Wonne ist der kleinrussische Sommer!

In solchem Prunk glänzte einer der heißen Augusttage des Jahres achtzehnhundert . . . achtzehnhundert . . . ja, es werden wohl dreißig Jahre her sein, als die Straße schon zehn Werst vor dem Flecken Ssorotschinzy vom Volke wimmelte, das von allen nahen und fernen Vorwerken zum Jahrmarkt eilte. Schon seit dem frühen Morgen zogen sich in endloser Reihe die Ochsenkarren mit Salz und Fischen hin. Ganze Berge von in Heu verpackten Töpfen bewegten sich langsam und schienen sich in ihrem dunklen Kerker zu langweilen; nur hie und da guckte eine grellbemalte Schüssel oder ein Mohntopf prahlerisch aus dem hoch über den Wagen gespannten Flechtwerk hervor und zog die gerührten Blicke der Freunde von Luxus auf sich. Viele der Vorübergehenden blickten neidisch den hochgewachsenen Töpfer an, den Besitzer dieser Schätze, der seinen Waren mit langsamen Schritten folgte und seine tönernen Gecken und Koketten sorgfältig in das ihnen so verhaßte Heu einwickelte.

Abseits schleppte sich ein einsamer, von müden Ochsen gezogener, mit Säcken, Hanf, Leinwand und allerlei Hausrat beladener Wagen, dem sein Besitzer in reinem Leinenhemd und schmutziger Leinenhose folgte. Mit träger Hand wischte er sich den Schweiß ab, der in Strömen von seinem braunen Gesicht lief und sogar von seinem langen Schnurrbart tropfte, der von jenem unerbittlichen Friseur gepudert war, der ungerufen zu jeder Schönen und zu jedem Krüppel kommt und schon seit einigen Jahrtausenden das ganze menschliche Geschlecht gewaltsam pudert. Neben ihm schritt eine an den Wagen gebundene Stute, deren demütiges Aussehen von ihrem hohen Alter zeugte. Viele von den Leuten, besonders die jungen Burschen, griffen nach den Mützen, wenn sie diesen Mann einholten. Es war aber weder sein Schnurrbart noch sein würdiger Gang, was sie dazu trieb; man brauchte nur die Augen ein wenig zu heben, um den Grund dieser Hochachtung zu sehen: oben auf dem Wagen saß die hübsche Tochter mit dem runden Gesichtchen, den schwarzen Brauen, die sich wie runde Bogen über ihren heiteren braunen Augen wölbten, mit den sorglos lächelnden rosa Lippchen, mit den roten und blauen Bändern auf dem Kopfe, die zusammen mit den langen Zöpfen und einem Strauß von Feldblumen als eine reiche Krone auf ihrem entzückenden Köpfchen ruhten. Alles schien sie zu beschäftigen; alles war ihr neu und wunderbar . . . und die hübschen Äuglein liefen fortwährend von einem Ding zum anderen. Wie sollte sie sich auch nicht zerstreuen! Zum ersten Male auf dem Jahrmarkte! Ein achtzehnjähriges Mädchen zum ersten Male auf dem Jahrmarkte! . . . Aber keiner von all den Leuten, die zu Fuß und zu Wagen vorbeizogen, wußte, welche Mühe es sie gekostet hatte, beim Vater durchzusetzen, daß er sie mitnehme; er hätte es auch herzlich gern getan, wenn die böse Stiefmutter nicht wäre, die sich angewöhnt hatte, ihn ebenso geschickt zu lenken, wie er seine alte Stute, die jetzt zum Lohne für ihren langen Dienst verkauft werden sollte. Die energische Gattin . . . Aber wir haben vergessen, daß auch sie hoch oben auf dem Wagen thronte in einer schmucken grünwollenen Jacke, die wie Hermelin mit kleinen Schwänzchen besetzt war, nur daß diese Schwänzchen von roter Farbe waren; sie trug auch noch einen Rock, so bunt wie ein Schachbrett, und ein farbiges Häubchen aus Kattun, das ihrem roten vollen Gesicht eine besondere Würde verlieh, dem Gesicht, das zuweilen einen so unangenehmen, so wilden Ausdruck zeigte, daß jeder sich sofort beeilte, den entsetzten Blick auf das lustige Gesichtchen der Tochter zu richten.

Vor den Augen unserer Reisenden lag bereits der Psjol; schon wehte aus der Ferne eine Kühle, die nach der ermattenden, versengenden Hitze um so fühlbarer war. Durch die dunkel- und hellgrünen Blätter der auf der Wiese verstreuten Weiden, Birken und Pappeln leuchteten feurige, doch kalte Funken, und der schöne Fluß entblößte strahlend seine silberne Brust, auf die die grünen Locken der Bäume üppig herabfielen. So launisch, wie eine Schöne in den herrlichen Stunden, wenn der treue, so beneidenswerte Spiegel ihr stolzes und blendendes, strahlendes Haupt, ihre lilienweißen Schultern und den marmornen, von einer dunklen, vom blonden Kopf herabfallenden Haarflut beschatteten Hals einschließt, wenn sie verächtlich ihre Schmucksachen von sich wirft, um sie durch andere zu ersetzen, und ihre Launen kein Ende nehmen wollen, – so wechselt auch der Strom jedes Jahr seine Umgebung, wählt einen neuen Weg und umgibt sich mit neuen, abwechslungsreichen Landschaften. Die Reihen der Mühlen hoben die breiten Wellen auf ihre schweren Räder, warfen sie mächtig zurück, zerschlugen sie zu Wasserstaub und erfüllten mit diesem Staube und dem Lärm die ganze Umgebung. Der Wagen mit unseren Bekannten fuhr um diese Zeit über die Brücke, und der Fluß bot sich ihren Blicken in seiner ganzen Pracht und Größe wie ein einziges Stück Glas. Der Himmel, die grünen und blauen Wälder, die Menschen, die Wagen mit den Töpfen, die Brücken – alles stand auf einmal auf dem Kopfe und bewegte sich mit den Füßen nach oben, ohne in den blauen herrlichen Abgrund zu stürzen. Unsere Schöne wurde beim herrlichen Anblick nachdenklich und vergaß sogar, ihre Sonnenblumenkerne zu knacken, mit denen sie sich während der ganzen Fahrt mit großem Eifer beschäftigt hatte, als plötzlich die Worte: »Ei, was für ein Mädel!« an ihr Ohr schlugen. Sie wandte sich um und sah einen Haufen Burschen auf der Brücke stehen, von denen der eine, der etwas feiner gekleidet war als die anderen, einen weißen Kittel trug und eine graue Lammfellmütze aufhatte, die Hände in die Hüften gestemmt, kühn die Vorüberfahrenden ansah. Die Schöne konnte nicht umhin, sein sonnverbranntes, doch anmutiges Gesicht und seine feurigen Augen zu bemerken, die sie durchbohren wollten, und schlug die Augen nieder beim Gedanken, daß er vielleicht die Worte gesprochen, die sie gehört hatte. »Ein feines Mädel!« fuhr der Bursche im weißen Kittel fort, ohne ein Auge von ihr zu wenden. »Ich würde meine ganze Wirtschaft darum geben, wenn ich sie nur einmal küssen könnte!« Von allen Seiten erhob sich Gelächter; aber diese Begrüßung gefiel der aufgeputzten Lebensgefährtin des langsam dahinschreitenden Gemahls recht wenig; ihre roten Wangen wurden zu feuerroten, und ein Geprassel auserlesener Worte regnete auf den Kopf des lustigen Burschen herab.

»Ersticken sollst du, nichtsnutziger Barkenschlepper! Ein Topf möge deinem Vater auf den Schädel fallen! Auf dem Eise möge er ausgleiten! der verdammte Antichrist! Der Teufel möge ihm in jener Welt den Bart anbrennen!«

»Hört nur, wie die schimpft!« sagte der Bursche, sie anstarrend, gleichsam verblüfft durch eine so starke Salve unerwarteter Begrüßungen. »Wie tut bloß der hundertjährigen Hexe bei solchen Worten die Zunge nicht weh!«

»Der hundertjährigen . . .!« fiel die bejahrte Schöne ein. »Ruchloser, geh und wasch dich zuerst! Du unnützer Lump! Ich habe deine Mutter nie gesehen, aber ich weiß, daß auch sie nichts taugt. Auch dein Vater und deine Tante sind ein Gesindel! Der hundertjährigen! . . . er ist hinter den Ohren noch nicht trocken . . .«

In diesem Augenblick fing der Wagen an, von der Brücke herunterzufahren, und die letzten Worte waren nicht mehr zu verstehen; aber der Bursche wollte offenbar noch nicht aufhören: ohne sich lange zu besinnen, packte er einen Klumpen Schmutz und warf ihn ihr nach. Der Wurf war gelungener, als man hätte erwarten können: die ganze neue Kattunhaube wurde mit dem Schmutz bespritzt, und das Lachen der ausgelassenen Nichtstuer tönte mit doppelter Kraft. Die wohlbeleibte Kokette entbrannte vor Zorn; aber der Wagen war indessen schon ziemlich weit weggefahren, und ihre Rache wandte sich gegen die unschuldige Stieftochter und den langsamen Gatten, der, da er an solche Erscheinungen längst gewöhnt war, hartnäckiges Schweigen bewahrte und die aufrührerischen Reden der erzürnten Gattin kaltblütig hinnahm. Trotzdem knatterte und arbeitete ihre unermüdliche Zunge so lange, bis sie endlich in der Vorstadt bei ihrem alten Bekannten und Gevatter Zybulja anlangten. Die Begegnung mit dem Gevatter, den sie lange nicht mehr gesehen hatten, vertrieb für eine Zeitlang das unangenehme Erlebnis aus ihrem Sinn, indem sie unsere Reisenden veranlaßte, von dem Jahrmarkt zu sprechen und nach der langen Reise auszuruhen.

II

Mein Gott, du lieber Gott! Was gibt es nicht alles auf so einem Jahrmarkt! Räder, Glas, Teer, Tabak, Riemen, Zwiebeln, Waren aller Art . . . und wenn ich auch dreißig Rubel in der Tasche hätte, könnte ich den ganzen Jahrmarkt doch nicht aufkaufen.
(Aus einem kleinrussischen Lustspiele)

Ihr habt wohl sicher einmal gehört, wie irgendwo in der Ferne ein Wasserfall herabstürzt, die ganze aufgestörte Umgebung mit Dröhnen erfüllend, so daß ein Chaos wunderlicher, unbestimmter Töne vor euch wirbelt. Nicht wahr, die gleichen Empfindungen erfassen euch plötzlich im Strudel eines ländlichen Jahrmarkts, wenn das ganze Volk zu einem einzigen Ungeheuer verschmilzt, das sich mit seinem ganzen Leibe über den Platz und die engen Gassen bewegt, schreit, tobt und johlt. Lärmen, Fluchen, Brüllen, Meckern, Blöken – alles fließt zu einem einzigen unharmonischen Geräusch zusammen. Ochsen, Säcke, Heu, Zigeuner, Töpfe, Weiber, Pfefferkuchen, Mützen – alles wirbelt in grellen, bunten, unordentlichen Haufen und flimmert vor den Augen. Verschiedenstimmige Reden ertränken einander, und kein einziges Wort kann dieser Sintflut entgehen; kein einziger Schrei kann deutlich vernommen werden. Man hört nur an allen Enden und Ecken des Jahrmarkts den den Kauf besiegelnden Handschlag der Händler. Ein Wagen zerbricht, Eisen klirrt, die auf den Boden herabgeworfenen Bretter poltern, und der vom Schwindel erfaßte Kopf weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Unser zugereister Bauer mit der schwarzbrauigen Tochter trieb sich schon lange im Gedränge herum: er trat an den einen Wagen, betastete die Waren auf einem anderen und erkundigte sich nach den Preisen; seine Gedanken drehten sich indessen ununterbrochen um die zehn Säcke Weizen und die alte Stute, die er zum Verkauf hergebracht hatte. Dem Gesicht der Tochter konnte man ansehen, daß es ihr nicht allzu angenehm war, sich zwischen den Wagen mit Mehl und Weizen herumzudrücken. Sie hätte gern dahin gewollt, wo unter leinenen Zeltdächern rote Bänder, Ohrringe, Kreuze aus Zinn und Messing und Dukaten hübsch aufgehängt waren. Aber auch hier fand sie vieles zur Beobachtung: es amüsierte sie außerordentlich, wenn ein Zigeuner und ein Bauer einander den Handschlag gaben und dabei selbst vor Schmerz schrien; wenn ein betrunkener Jude ein Bauernweib von hinten puffte; wenn die in Streit geratenen Händlerinnen einander mit Schimpfworten und Krebsen bewarfen; wenn ein Moskowiter mit der einen Hand seinen Ziegenbart streichelte und mit der anderen . . . Plötzlich spürte sie aber, wie sie jemand am gestickten Ärmel ihres Hemdes zupfte. Sie sah sich um, und der Bursche im weißen Kittel mit den strahlenden Augen stand vor ihr. Alle ihre Adern bebten, und ihr Herz klopfte so, wie es noch nie, bei keiner Freude und bei keinem Kummer geklopft hatte: so wunderbar und so wonnig kam es ihr vor, und sie konnte sich's nicht erklären, wie ihr geschah.

»Fürchte dich nicht, Herzchen, fürchte dich nicht!« sagte er ihr leise und ergriff ihre Hand. »Ich werde dir nichts Schlechtes sagen!«

– Vielleicht ist es auch wahr, daß du mir nichts Schlechtes sagen wirst –, dachte sich die Schöne, – aber es ist mir so wunderlich zumute . . . das macht gewiß der Böse! Ich weiß wohl selbst, daß es nicht recht ist, und doch habe ich nicht die Kraft, die Hand fortzuziehen. –

Der Bauer wandte sich um und wollte seiner Tochter etwas sagen, aber in diesem Augenblick hörte er plötzlich in der Nähe das Wort »Weizen«. Dieses magische Wort zwang ihn im Nu, sich zu den beiden laut sprechenden Kaufherren zu gesellen, und nichts vermochte mehr, seine auf sie gerichtete Aufmerksamkeit abzulenken. Die Kaufherren sprachen aber über den Weizen folgendermaßen.

III

Du staunst wohl über diesen Burschen:
Du findest keinen auf der Welt,
Der Schnaps so säuft, als wär' es Wasser!
(Kotljarewskij »Äneis«)

»Du denkst also, Landsmann, daß unser Weizen keinen Käufer findet?« sprach ein Mensch, seinem Aussehen nach ein zugereister Kleinbürger aus irgendeinem Flecken, in teerbeschmutzter und fettiger Pluderhose zu einem anderen Mann, der einen blauen, stellenweise geflickten Kittel trug und eine riesengroße Beule auf der Stirn hatte.

»Da gibt es nicht viel zu denken: ich bin bereit, mir eine Schlinge um den Hals zu legen und an diesem Baume zu baumeln wie eine Wurst vor Weihnachten in der Stube, wenn wir auch nur ein Maß verkaufen.«

»Wen willst du zum Narren halten, Landsmann? Es gibt doch gar keine Zufuhr von Weizen, wir sind die einzigen«, entgegnete der Mann in der leinenen Pluderhose.

– Ihr könnt sagen, was ihr wollt –, dachte sich der Vater unserer Schönen, der sich kein Wort vom Gespräche der beiden Kaufherren entgehen ließ, – ich habe aber zehn Säcke im Vorrat. –

»Das ist es eben: wo der Teufel seine Hand im Spiel hat, kann man von einer Sache ebensoviel Nutzen erwarten wie von einem hungrigen Moskowiter«,sagte der Mann mit der Beule auf der Stirn bedeutungsvoll.

»Was für ein Teufel?« fragte der Mann in der leinenen Pluderhose.

»Hast du gehört, was die Leute sich erzählen?« fuhr der mit der Beule auf der Stirn fort, indem er ihn mit mürrischen Augen von der Seite ansah. – »Nun?«

»Nun, das ist es eben! Der Assessor – möge er sich nie mehr die Lippen nach dem herrschaftlichen Zwetschgenschnaps abwischen – hat für den Jahrmarkt einen so verdammten Ort bestimmt, daß man hier auch kein Körnchen verkaufen kann, selbst wenn man sich auf den Kopf stellt. Siehst du die alte zerfallene Scheune dort am Fuße des Berges? (Der neugierige Vater unserer Schönen rückte noch näher heran und schien ganz Ohr zu sein.) In dieser Scheune gibt es immer Teufelsspuk, und kein einziger Jahrmarkt an dieser Stelle ist ohne Unglück abgelaufen. Gestern ging der Gemeindeschreiber am späten Abend vorbei, da sah er, wie aus dem Dachfenster eine Schweineschnauze herausguckte, und sie grunzte ihn so an, daß es ihn kalt überlief. Jeden Augenblick kann der rote Kittel wieder auftauchen!«

»Was ist das für ein roter Kittel?« Hier standen aber unserem aufmerksamen Zuhörer die Haare zu Berge. Entsetzt wandte er sich um und sah, wie seine Tochter und der Bursche ruhig dastanden, sich umarmten, einander Liebeslieder sangen und alle Kittel in der Welt vergessen hatten. Das verscheuchte seine Angst und gab ihm seine frühere Sorglosigkeit wieder. »Ach so, Landsmann! Wie ich sehe, verstehst du dich aufs Umarmen! Ich aber habe erst am vierten Tage nach meiner Hochzeit gelernt, meine selige Chwessjka zu umarmen; und das auch nur dank meinem Gevatter, der es mich als Brautführer lehrte.«

Der Bursche merkte sofort, daß der Vater seiner Liebsten nicht allzu gescheit war, und er begann einen Plan auszuhecken, wie er ihn für sich gewinnen könnte.

»Du kennst mich wohl nicht, guter Mann, ich habe dich aber gleich erkannt.«

»Kann schon sein.«

»Wenn du willst, sag' ich dir deinen Vornamen und Zunamen und alles, was du willst: du heißt Ssolopij Tscherewik.«

»Stimmt, Ssolopij Tscherewik.«

»Schau mich mal gut an: erkennst du mich nicht?«

»Nein, ich erkenne dich nicht. Nimm's mir nicht übel: ich habe in meinem Leben schon so viele Fratzen gesehen, daß nur der Teufel sie alle behalten kann!«

»Dann ist es schade, daß du dich nicht an Golopupenkos Sohn erinnerst!«

»Bist du denn ein Sohn Ochrims?«

»Wer denn sonst?«

Die beiden Freunde zogen nun die Mützen, und das Küssen ging los. Der Sohn Golopupenkos beschloß sofort, ohne die Zeit zu verlieren, seinen neuen Bekannten zu übertölpeln.

»Nun, Ssolopij, wie du siehst, haben wir, ich und deine Tochter, uns so liebgewonnen, daß wir immer miteinander leben wollen.«

»Was meinst du, Paraska«, sagte Tscherewik, sich lachend an seine Tochter wendend, »soll man's vielleicht wirklich so machen, wie man so sagt, daß ihr zusammen auf dem gleichen Grase weidet? Wie? Abgemacht? Nun, mein neuer Schwiegersohn, jetzt müssen wir eins trinken!»

Und alle drei befanden sich bald in der bekannten Jahrmarktswirtschaft, unter dem Zelte der Jüdin, wo eine ganze Flotte von Flaschen, Krügen und Kruken jeder Art und jeden Alters herumstand.

»Ein tapferer Bursche! Das liebe ich!« sagte Tscherewik ein wenig angeheitert, als er sah, wie sein künftiger Schwiegersohn sich eine Kanne, die ein halbes Quart faßte, einschenkte, sie, ohne mit einer Wimper zu zucken, bis auf den Grund leerte und dann zerschlug, daß die Splitter nur so flogen. »Was sagst du dazu, Paraska? Was für einen Freier habe ich dir verschafft! Schau nur, schau, wie tapfer er säuft! . . .« Lachend und schwankend ging er mit ihr zu seinem Wagen zurück. Unser Bursche begab sich aber zu den Buden mit den Schnittwaren, wo selbst Kaufleute aus Gadjatsch und Mirgorod, jenen beiden berühmten Städten des Gouvernements Poltawa, ihren Handel trieben, um eine recht hübsche Holzpfeife mit schmuckem Messingbeschlag, ein rotgeblümtes Tuch und eine Mütze als Hochzeitsgeschenke für den Schwiegervater und alle anderen, denen es zukam, auszuwählen.

IV

Wenn's auch dem Manne nicht behagt,
Muß er, was seine Gattin sagt,
Ihr zu Gefallen machen . . .
(Kotljarewskij)

»Nun, Weib, ich habe für unsere Tochter einen Bräutigam gefunden!«

»So, das ist just die richtige Zeit, um einen Bräutigam zu suchen. Ein Dummkopf bist du, und es ist dir wohl schon so beschieden, dein Lebtag so ein Dummkopf zu bleiben! Wo hast du es gesehen, wo hast du gehört, daß ein anständiger Mensch heutzutage einem Bräutigam nachläuft? Hättest du doch lieber daran gedacht, wie du deinen Weizen absetzt. Das wird wohl ein netter Bräutigam sein! Ich denke mir, der zerlumpteste aller Lumpen.«

»Warum nicht gar! Du hättest sehen sollen, was das für ein Bursche ist! Sein Kittel allein ist mehr wert als deine grüne Jacke und die roten Stiefel. Und wie tapfer er den Schnaps trinkt! . . . Der Teufel soll uns alle beide holen, wenn ich schon je gesehen habe, daß ein Bursche ein halbes Quart auf einen Zug leerte, ohne mit der Wimper zu zucken.«

»Ja, so ist es: jeder Säufer und Landstreicher, den du findest, ist dein Mann. Ich möchte wetten, daß es derselbe Taugenichts ist, der uns auf der Brücke zugesetzt hat. Schade, daß er mir bisher noch nicht unter die Augen gekommen ist, ich hätte's ihm schon gezeigt!«

»Und wenn es auch derselbe ist, Chiwrja, warum soll er ein Taugenichts sein?«

»Warum er ein Taugenichts ist? Ach, du hirnloser Kopf! Hast du so was gehört! Warum er ein Taugenichts ist? Wo hattest du deine närrischen Augen versteckt, als wir an den Mühlen vorbeifuhren? Man beleidigt sein Weib vor seiner mit Tabak beschmierten Nase, und das geht ihn gar nichts an.«

»Ich sehe noch immer nichts Schlimmes dabei: der Bursche ist gut! Selbst wenn er dir die Fratze für einen Augenblick mit Kot verkleistert hat.«

»Aha! Wie ich sehe, willst du mich nicht zu Worte kommen lassen! Was soll das heißen? Seit wann bist du so? Du hast wohl schon was getrunken, ohne etwas verkauft zu haben?«

Hier merkte Tscherewik selbst, daß er zu viel gesagt hatte, und bedeckte augenblicklich seinen Kopf mit den Händen, da er ohne Zweifel annehmen mußte, daß seine erzürnte Lebensgefährtin nicht säumen werde, ihm mit ihren ehelichen Krallen ins Haar zu fahren.

– Zum Teufel! Da habe ich die Hochzeit! – dachte er bei sich, indem er der gegen ihn vordringenden Gattin auswich. – So werde ich einem guten Menschen so mir nichts dir nichts absagen müssen. Du lieber Gott, was hast du uns Sündern für Plagen geschickt! Es gibt doch ohnehin so viel Mist in der Welt, und da hast du auch noch die Weiber erschaffen. –

V

Bück dich nicht, du Ahornbaum,
Solange du noch grün bist;
Klage nicht, du junger Bursch,
Solange du noch jung bist!
(Kleinrussisches Lied)

Zerstreut blickte der Bursche im weißen Kittel, neben seinem Wagen sitzend, auf das dumpf um ihn herum brausende Volk. Die müde Sonne verließ die Welt, nachdem sie den ganzen Morgen und Mittag gebrannt hatte, und der erlöschende Tag schminkte sich verführerisch in ein flammendes Rot. Blendend leuchteten die Spitzen der weißen Zelte und Buden, von einem kaum merkbaren feurig rosigen Schein übergossen. Die Scheiben der zu einem Haufen aufgeschichteten Fensterrahmen glühten; die grünen Flaschen und Gläser auf den Tischen der Schenkwirtinnen verwandelten sich in Feuer; die zu Bergen aufgehäuften Melonen, Wassermelonen und Kürbisse schienen aus Gold und dunklem Kupfer gegossen. Der Lärm nahm ab und wurde merklich dumpfer, und die müden Zungen der Händlerinnen, Bauern und Zigeuner regten sich immer träger und langsamer. Hier und da glomm ein Feuerchen auf, und der wohlduftende Dampf von gekochten Klößen schwebte über die stiller werdenden Straßen.

»Was bist du so traurig, Grizko?« rief ein langer, sonnverbrannter Zigeuner, indem er unseren Burschen auf die Schulter schlug. »Laß mir doch die Ochsen für zwanzig!«

»Du denkst nur an die Ochsen. Euer Volk denkt nur an Vorteile und wie ihr einen anständigen Menschen beschummeln und übers Ohr hauen könnt.«

»Pfui Teufel! Du bist ganz verrückt! Kommt das vielleicht aus Ärger, daß du dir selber eine Braut angehängt hast?«

»Nein, das ist nicht meine Art: ich halte mein Wort. Was ich einmal abgemacht habe, bleibt in Ewigkeit. Aber dieser alte Tscherewik hat wohl nicht für einen halben Heller Gewissen: erst hat er es versprochen und tritt dann zurück . . . Aber ihm kann man keine Vorwürfe machen: er ist nur ein Holzklotz. Das sind lauter Geschichten der alten Hexe, die wir Burschen heute auf der Brücke ordentlich ausgeschimpft haben! Ach, wenn ich ein Zar oder ein großmächtiger Herr wäre, so ließe ich selbst alle die Dummköpfe aufhängen, die sich von den Weibern satteln lassen . . .«

»Wirst du mir die Ochsen für zwanzig lassen, wenn wir den Tscherewik dazu bringen, daß er dir die Paraska gibt?«

Grizko sah ihn erstaunt an. In den braunen Zügen des Zigeuners lag etwas Boshaftes, Bissiges, Niedriges, zugleich aber Hochmütiges: jedermann, der ihn anblickte, mußte zugeben, daß in dieser wunderlichen Seele auch große Tugenden brodelten, für die es aber nur einen Lohn auf Erden gibt – den Galgen. Der zwischen der Nase und dem spitzen Kinn völlig eingefallene Mund, auf dem ständig ein giftiges Lächeln spielte, kleine, aber feurig lebhafte Augen und die in diesem Gesicht ständig wechselnden Blitze von Plänen und Unternehmungen – das alles schien eine eigentümliche, ebenso wunderliche Kleidung zu erfordern, die er auch wirklich anhatte. Dieser dunkelbraune Rock, der wohl bei der geringsten Berührung zu Staub zerfallen würde; lange, zottige, über die Schultern fallende Haare; die Schuhe, die er an den nackten braunen Füßen trug – alles schien mit ihm verwachsen zu sein und seine Natur auszumachen.

»Ich lasse sie dir nicht nur für zwanzig, sondern auch für fünfzehn, wenn du mich nur nicht belügst!« antwortete der Bursche, ohne die prüfenden Augen von ihm zu wenden.

»Für fünfzehn? Gut! Paß auf, vergiß es nicht: für fünfzehn! Da hast du einen blauen Lappen Anzahlung!«

»Und wenn du mich belügst?«

»Wenn ich dich belüge, so gehört die Anzahlung dir.«

»Gut, schlag ein!«

»Abgemacht!«

VI

Dieses Unglück: da kommt Roman, um mich durchzuwalken, und auch Ihr, Pan Choma, werdet nicht ohne Schläge davonkommen.
(Aus einem kleinrussischen Lustspiele)

»Hierher, Afanassij Iwanowitsch! Hier ist der Zaun etwas niedriger, hebt den Fuß und habt keine Angst: mein alter Narr schläft mit dem Gevatter heute nacht unter dem Wagen, damit ihm die Moskowiter nichts stibitzen.«

So ermutigte Tscherewiks strenge Gemahlin mit freundlichen Worten einen Popensohn, der ängstlich am Zaune klebte. Bald stieg er auf den Zaun und blieb oben unschlüssig wie ein langes, schreckliches Gespenst stehen, mit den Augen prüfend, wo es am besten wäre, hinunterzuspringen; schließlich polterte er ins Unkraut hinunter.

»Dieses Unglück! Habt Ihr Euch nicht wehgetan, habt Ihr Euch nicht, Gott behüte, den Hals gebrochen?« stammelte Chiwrja besorgt.

»Pst! Es ist nichts, es ist nichts, liebste Chawronja Nikiforowna!« flüsterte der Popensohn schmerzvoll, auf die Füße springend. »Abgesehen von den Bissen der Nesseln, dieser schlangenähnlichen Kräuter, wie sich der selige Protopope auszudrücken pflegte.«

»Kommt jetzt in die Stube, es ist niemand da. Ich hatte schon geglaubt, Afanassij Iwanowitsch, daß Ihr eine Beule oder Leibschmerzen habt; so lange habt Ihr Euch nicht sehen lassen. Wie geht es Euch? Ich habe gehört, daß Euer Herr Vater allerlei schöne Sachen bekommen hat!«

»Nicht der Rede wert, Chawronja Nikiforowna. Väterchen hat während der ganzen Fastenzeit nur an die fünfzehn Sack Sommergetreide, vier Sack Hirse und an die hundert Brote bekommen; wenn ich aber die Hühner zusammenzähle, so werden es auch keine fünfzig Stück sein; und die Eier sind zum größten Teil faul. Aber die wahrhaft süßen Gaben werde ich, bildlich gesprochen, einzig von Euch bekommen, Chawronja Nikiforowna!« fuhr der Popensohn fort, sie gerührt anblickend und näher heranrückend.

»Da habt Ihr eine Gabe, Afanassij Iwanowitsch!« sagte sie, indem sie die Schüsseln auf den Tisch setzte und geziert ihre Jacke zuknöpfte, als ob sie sie gar nicht absichtlich aufgeknöpft hätte: »Da sind Quarkkuchen, Klöße aus Weizenmehl, Krapfen und Fischklöße!«

»Ich möchte wetten, daß alldies von den geschicktesten Händen aus Evas Geschlecht zubereitet ist!« sagte der Popensohn, indem er sich an die Fischklöße machte und mit der anderen Hand die Krapfen an sich heranzog. »Aber, Chawronja Nikiforowna, mein Herz erwartet von Euch eine süßere Speise als alle diese Krapfen und Klöße.«

»Ich weiß wirklich nicht, was Ihr noch für eine Speise wollt, Afanassij Iwanowitsch!« antwortete die wohlbeleibte Schöne, die sich so stellte, als verstünde sie nichts.

»Selbstverständlich Eure Liebe, unvergleichliche Chawronja Nikiforowna!« flüsterte der Popensohn, in der einen Hand einen Quarkkuchen haltend und mit der anderen ihre breiten Hüften umschlingend.

»Was fällt Euch ein, Afanassij Iwanowitsch!« sagte Chiwrja, die Augen schamhaft senkend. »Ihr werdet vielleicht gar noch zu küssen anfangen!«

»Was dies betrifft, so will ich Euch etwas, wenn auch nur von mir selbst, erzählen«, fuhr der Popensohn fort: »Als ich beispielsweise noch im Seminar war, ich erinnere mich noch, als wäre es heute geschehen . . .«

Aber in diesem Augenblick tönte vom Hofe her Hundegebell und ein Klopfen ans Tor. Chiwrja lief schnell hinaus und kam ganz blaß zurück.

»Afanassij Iwanowitsch, da sind wir hereingefallen: ein ganzer Haufe Menschen klopft ans Tor, und auch die Stimme des Gevatters glaube ich darunter zu hören . . .«

Der Quarkkuchen blieb dem Popensohn in der Kehle stecken . . . Er glotzte so mit den Augen, als hätte er eben einen Besuch von einem Gast aus der anderen Welt bekommen.

»Kriecht da hinauf!« schrie die erschrockene Chiwrja und zeigte auf die Bretter, die dicht unter der Decke auf zwei Balken lagen und auf denen allerlei Gerümpel aufgehäuft war.

Die Gefahr gab unserem Helden Mut. nachdem er ein wenig zu sich gekommen war, sprang er auf den Ofen und kroch von dort vorsichtig auf die Bretter; Chiwrja aber lief ganz außer sich zum Tor, denn das Klopfen wiederholte sich mit größerer Kraft und Ungeduld.

VII

Das ist ja ein blaues Wunder,
werter Herr!
(Aus einem kleinrussischen Lustspiele)

Auf dem Jahrmarkte hatte sich etwas Sonderbares zugetragen: überall war das Gerücht aufgekommen, daß irgendwo zwischen den Waren der rote Kittel aufgetaucht wäre. Einer Alten, welche Brezeln verkaufte, war der Satan in Gestalt eines Schweines erschienen, das sich ständig über die Wagen beugte, als suche es etwas. Dieses Gerücht verbreitete sich schnell an allen Ecken und Enden des nun ruhenden Lagers, und alle hielten es für ein Verbrechen, nicht daran zu glauben, obwohl die Brezelverkäuferin, deren wandernder Laden sich neben der Bude der Schenkwirtin befand, den ganzen Tag über ohne jeden Grund Verbeugungen gemacht und mit den Füßen Figuren beschrieben hatte, die an ihre leckere Ware erinnerten. Hierzu gesellten sich noch übertriebene Nachrichten von dem Wunder, das der Gemeindeschreiber in der eingefallenen Scheune gesehen hatte, so daß bei Anbruch der Nacht alle Leute sich enger aneinander drängten; die Ruhe war gestört, und die Furcht hinderte einen jeden, die Augen zu schließen; diejenigen aber, die nicht zu den Tapferen gehörten und ein Nachtlager in Wohnungen hatten, begaben sich dorthin. Unter den letzteren befand sich auch Tscherewik mit seinem Gevatter und der Tochter; mit den Gästen, die sich ihnen aufgedrängt hatten, machten sie den großen Lärm, der unsere Chiwrja so sehr erschreckte. Der Gevatter war schon etwas angetrunken. Das konnte man daraus ersehen, daß er mit seinem Wagen zweimal um den Hof herumfuhr, ehe er das Haus fand. Auch die Gäste waren alle in bester Laune und traten ganz ohne Umstände noch vor dem Wirt in die Stube. Die Gattin unseres Tscherewik saß wie auf Nadeln, als sie anfingen, in allen Ecken der Stube umherzuscharren.

»Nun, Gevatterin«, schrie der eintretende Gevatter, »schüttelt dich noch immer kein Fieber?«

»Ja, es ist mir nicht ganz wohl«, antwortete Chiwrja, unruhig zu den Brettern hinaufblickend, die unter der Decke lagen.

»Frau, hol mal vom Wagen das Fäßchen!« sagte der Gevatter zu seinem Weib, das mit ihm gekommen war. »Wir wollen mit den guten Menschen eins trinken, denn die verdammten Weiber haben uns solche Angst gemacht, daß es eine Schande ist. Bei Gott, Brüder, wir haben gar keinen Grund gehabt, heimzufahren!« fuhr er fort, aus einem irdenen Becher trinkend. »Ich setze meine neue Mütze zum Pfand, daß die Weiber sich über uns nur lustig gemacht haben. Und wenn es selbst der Satan wäre – was ist der Satan? Spuckt ihm auf den Kopf! Wenn er jetzt in diesem Augenblick hier erscheint, zum Beispiel vor mir, so will ich ein Hundesohn sein, wenn ich ihm nicht eine Feige zeige!«

»Warum bist du dann plötzlich ganz blaß geworden?« schrie einer der Gäste, der alle um einen Kopf überragte und immer den Tapferen spielte.

»Ich? . . . Gott sei mit euch! Ihr träumt wohl?«

Die Gäste lächelten; ein zufriedenes Lächeln zeigte sich auf dem Gesichte des redseligen Helden.

»Wie sollte er jetzt blaß werden!« fiel ein anderer ein. »Seine Wangen blühen wie Mohn; jetzt ist er keine Zybulja (Zwiebel) mehr, sondern eine rote Rübe, oder richtiger – der rote Kittel selbst, der die Leute so erschreckt hat.«

Das Fäßchen rollte über den Tisch und stimmte die Gäste noch lustiger. Nun machte sich unser Tscherewik, den der rote Kittel schon längst quälte, so daß sein neugieriger Geist für keinen Augenblick Ruhe fand, an den Gevatter heran.

»Sei so gut, Gevatter, erzähle es! Ich bitte immer und kann es doch nicht erleben, daß ich die Geschichte von diesem verdammten Kittel zu hören bekomme.«

»Ach, Gevatter! Eigentlich darf man so was nicht bei Nacht erzählen; höchstens um dir und den guten Leuten (er wandte sich dabei an die Gäste), die, wie ich sehe, ebenso gern wie du von diesem Wunder hören wollen, einen Gefallen zu tun. Es sei. Hört also zu!«

Er kratzte sich die Schultern, wischte sich das Gesicht mit dem Rockschoß ab, legte beide Hände auf den Tisch und begann:

»Einmal wurde ein Teufel, ich weiß bei Gott nicht, für welche Schuld, aus der Hölle gejagt . . .«

»Wie ist es möglich, Gevatter,« unterbrach ihn Tscherewik, »daß man einen Teufel aus der Hölle gejagt hat?«

»Was soll ich machen, Gevatter! Man hat ihn eben hinausgejagt, einfach hinausgejagt, wie ein Bauer seinen Hund aus der Stube jagt. Vielleicht war ihm einmal der verrückte Gedanke gekommen, eine gute Tat zu tun; also wies man ihm die Tür. Nun hatte der arme Teufel solches Heimweh nach der Hölle, daß er sich hätte erhängen können. Was war da zumachen? Vor Kummer fing er zu trinken an. Er setzte sich in jener Scheune fest, die du dort am Fuße des Berges gesehen hast und an der jetzt kein guter Mensch vorübergeht, ohne vorher das Zeichen des Kreuzes zu machen, und wurde zu so einem Säufer, wie man ihn selbst unter den Burschen nicht findet: vom Morgen bis zum Abend sitzt er in der Schenke! . . .«

Der strenge Tscherewik unterbrach hier wieder unseren Erzähler:

»Gott weiß, was du sagst, Gevatter! Wie ist es möglich, daß jemand den Teufel in die Schenke hineinläßt? Er hat doch, Gott sei Dank, Krallen an den Pfoten und Hörnchen auf dem Kopfe.«

»Das ist es eben, daß er eine Mütze und Handschuhe anhatte. Wer kann ihn da erkennen? Er bummelte so lange, bis er alles versoff, was er bei sich hatte. Der Schenkwirt gab ihm lange auf Borg, hörte dann aber damit auf. So mußte der Teufel seinen roten Kittel fast um ein Drittel des Preises beim Juden verpfänden, der damals auf dem Jahrmarkte von Ssorotschinzy Branntwein ausschenkte. Er versetzte den Kittel und sagte zum Juden: ›Paß auf, Jud', wenn ein Jahr um ist, komme ich wieder, um den Kittel zu holen: heb ihn gut auf!‹ Und er verschwand, wie in die Erde gesunken. Der Jude sah sich den Kittel an: das Tuch war so fein, wie man es nicht mal in Mirgorod finden kann, und die rote Farbe leuchtete wie Feuer, so daß man sich gar nicht satt sehen konnte. Dem Juden kam es langweilig vor, auf die festgesetzte Zeit zu warten. Er kratzte sich an den Schläfenlocken und verkaufte den Kittel einem vorbeifahrenden Pan fast für ganze fünf Dukaten. An den Termin dachte der Jude nicht mehr. Aber eines Abends kam zu ihm ein Mann. ›Nun, Jud', gib mir meinen Kittel wieder!‹ Der Jude erkannte ihn anfangs nicht, und nachher, als er ihn erkannte, tat er so, als hätte er ihn nie gesehen. ›Was für einen Kittel? Ich habe gar keinen Kittel! Ich weiß nichts von deinem Kittel!‹ Jener zog ab. Aber am Abend, als der Jude seine Bude geschlossen und sein Geld in den Truhen gezählt hatte, als er sich ein Laken umwarf und anfing, auf Judenart zu Gott zu beten, hörte er plötzlich ein Geräusch . . . Und er sieht: aus jedem Fenster blickt eine Schweineschnauze herein . . .«

In diesem Augenblick ertönte wirklich ein unbestimmtes Geräusch, das ähnlich wie Schweinegrunzen klang; alle erbleichten . . . Der Schweiß trat dem Erzähler in die Stirn.

»Was ist denn?« fragte Tscherewik erschrocken.

»Nichts! . . .« antwortete der Gevatter, am ganzen Körper zitternd.

»Wie?« fragte einer der Gäste.

»Hast du was gesagt? . . .«

»Nein!« – »Wer hat denn gegrunzt?«

»Gott weiß, warum wir uns so aufregen! Es ist doch nichts!«

Alle fingen an, sich ängstlich umzusehen und in den Ecken herumzuscharren. Chiwrja war vor Schreck mehr tot als lebendig. »Ach, ihr Weibsbilder!« sagte sie laut, »ihr wollt noch Kosaken und Männer sein! Euch müßte man Spindeln und Flachskämme in die Hand geben! Einer hat vielleicht, Gott behüte, was verbrochen . . . oder unter jemand hat vielleicht eine Bank geknarrt, und ihr seid gleich aufgefahren wie Verrückte!«

Diese Worte beschämten unsere Helden und gaben ihnen Mut. Der Gevatter trank einen Schluck aus seinem Becher und erzählte weiter: »Der Jude erstarrte vor Schreck; aber die Schweine krochen mit ihren stelzenlangen Beinen durch die Fenster herein und machten den Juden mit dreimal geflochtenen Peitschen wieder lebendig und zwangen ihn, höher als bis zu diesem Balken zu springen. Der Jude fiel in die Knie und gestand alles . . . Aber den Kittel konnte niemand zurückgeben. Ein Zigeuner hatte den Pan unterwegs bestohlen und den Kittel einer Händlerin verkauft; jene brachte ihn wieder auf den Jahrmarkt von Ssorotschinzy, aber seit jener Zeit wollte niemand was bei ihr kaufen. Die Händlerin wunderte sich lange und merkte endlich, daß der rote Kittel an allem schuld war; nicht umsonst hatte sie, als sie ihn anzog, gefühlt, daß sie etwas drückte. Ohne lange nachzudenken, warf sie ihn ins Feuer – aber das teuflische Gewand wollte nicht brennen! . . . ›Das ist ja ein Geschenk des Teufels!‹ Die Händlerin kam auf den Einfall, den Kittel einem Bauern zuzustecken, der mit Butter zum Jahrmarkt fuhr. Der Dummkopf freute sich darüber, aber seine Butter wollte ihm niemand abnehmen. ›Das war gewiß eine böse Hand, die mir den Kittel zugesteckt hat!‹ Er nahm die Axt und hieb den Kittel in Stücke; aber sieh – ein Stück kriecht zum anderen, und der Kittel ist wieder ganz! Nun bekreuzigte er sich, hieb mit der Axt zum zweiten Male drein, warf die Stücke über den ganzen Platz und fuhr heim. Seit jener Zeit geht der Teufel mit der Schweineschnauze jedes Jahr, gerade zur Zeit des Jahrmarkts, über den Platz, grunzt und sucht die Stücke seines Kittels zusammen. Man sagt, daß ihm jetzt nur noch der linke Ärmel fehle. Die Leute hüten sich seit jener Zeit vor jenem Orte, und es sind bald zehn Jahre her, daß dort kein Jahrmarkt mehr gewesen ist. Jetzt mußte der Teufel den Assessor reiten, daß er den Jahr . . .«

Die andere Hälfte des Wortes erstarb dem Erzähler auf den Lippen: das Fenster krachte, die Scheiben sprangen klirrend heraus, und eine schreckliche Schweinefratze guckte herein, die Augen rollend, als wollte sie fragen: »Und was treibt ihr hier, ihr guten Leute?«

VIII

. . . Er zittert wie ein feiger Hase
Und zieht den Schwanz ein wie ein Hund,
Der Tabak quillt ihm aus der Nase.
(Kotljarewskij »Äneis«)

Entsetzen lähmte alle, die in der Stube waren. Der Gevatter erstarrte mit offenem Munde zu Stein; seine Augen traten so weit aus den Höhlen, als ob sie schießen wollten; die gespreizten Finger ragten unbeweglich in die Luft. Der lange Held sprang in unüberwindlicher Angst zur Decke und stieß mit dem Kopf gegen den Balken; die Bretter verschoben sich, und der Popensohn stürzte mit Donnergepolter zu Boden.

»Au! Au! Au!« schrie einer verzweifelt, entsetzt auf die Bank stürzend und mit den Armen und Beinen zappelnd.

»Hilfe!« schrie ein anderer, indem er sich mit einem Schafspelz bedeckte.

Der Gevatter, den dieser zweite Schreck aus der Erstarrung gerissen hatte, versteckte sich krampfhaft unter den Rock seiner Gattin. Der lange Held kroch in den Ofen und schlug selbst die Klappe hinter sich zu. Tscherewik sprang wie mit heißem Wasser begossen auf, stülpte sich statt einer Mütze einen Topf über den Kopf, stürzte zur Tür und rannte wie wahnsinnig durch die Straßen, ohne den Boden unter den Füßen zu fühlen; erst die Ermüdung zwang ihn, den schnellen Lauf zu verlangsamen. Sein Herz klopfte wie eine Stampfmühle; der Schweiß lief ihm in Strömen vom Gesicht. Er war schon bereit, vor Erschöpfung umzufallen, als es ihm plötzlich vorkam, als liefe ihm jemand nach . . . Sein Atem stockte . . .

»Der Teufel! Der Teufel!« schrie er, seine Kräfte verdreifachend, und einen Augenblick später fiel er, fast besinnungslos, zu Boden.

»Der Teufel! Der Teufel!« schrie es hinter ihm her, und er hörte noch, wie etwas mit großem Lärm gegen ihn losstürzte. Hier schwand sein Bewußtsein, und er blieb wie der schreckliche Bewohner eines engen Sarges stumm und regungslos mitten auf der Straße liegen.

IX

Vorne geht es noch, aber hinten ist es, bei Gott, der Teufel!
(Aus einem Volksmärchen)

»Hörst du, Wlas?« sagte einer aus der Schar, die im Freien übernachtete, aus dem Schlafe auffahrend. »Neben uns hat eben jemand den Teufel genannt!«

»Was geht es mich an?« brummte der Zigeuner, der neben ihm lag, und streckte sich. »Von mir aus könnte er auch dessen ganze Sippe erwähnen!«

»Er schrie aber so, als ob ihn jemand würgte!«

»Der Mensch kann sich im Schlafe alles einbilden!«

»Kannst sagen, was du willst, man muß doch nachschauen. Mach mal Feuer!«

Der andere Zigeuner stand brummend auf, beleuchtete sich zweimal mit Funken wie mit Blitzen, blies den Zunder mit dem Munde an und machte sich auf den Weg mit seiner Lampe – der gewöhnlichen kleinrussischen Lampe, die aus einem mit Hammeltalg gefüllten Topfscherben besteht – vor sich herleuchtend.

»Halt! Hier liegt etwas. Leuchte her!«

Zu ihnen gesellten sich noch einige Menschen.

»Was liegt da, Wlas?«

»Es sieht so aus, als ob es zwei Menschen wären, der eine oben, der andere unten. Wer von beiden der Teufel ist, kann ich nicht erkennen!«

»Wer liegt denn oben?«

»Ein Weib!«

»Dies ist eben der Teufel!«

Ein allgemeines Gelächter weckte fast die ganze Straße.

»Ein Weib ist auf den Mann gestiegen, das Weib wird wohl wissen, wie man reitet!« sagte einer aus der Menge.

»Schaut nur, Brüder!« sagte ein anderer, einen Scherben von dem Topfe aufhebend, von dem nur noch eine Hälfte auf dem Kopfe Tscherewiks geblieben war. »Was für eine Mütze sich der Bursch aufgesetzt hat!«

Der anwachsende Lärm und das Lachen riefen unsere Toten ins Leben zurück: es waren Ssolopij und dessen Gattin, die von der eben ausgestandenen Angst noch erfüllt, lange und entsetzt mit starren Augen auf die braunen Gesichter der Zigeuner blickten. Von dem unsicher flackernden Lichte erhellt, erschienen diese wie ein Heer von Gnomen, in der Dunkelheit der tiefsten Nacht von schweren unterirdischen Dämpfen umschwebt.

X

Verschwinde, Blendwerk des Satans!
(Aus einem kleinrussischen Lustspiele)

Die Kühle des Morgens wehte über dem erwachten Ssorotschinzy. Aus allen Schornsteinen stiegen Rauchwolken der aufgehenden Sonne entgegen. Der Jahrmarkt brauste. Schafe blökten, Pferde wieherten; das Schnattern der Gänse und der Händlerinnen zog über das ganze Lager, und das schreckliche Gerede vom roten Kittel, das dem Volke in der geheimnisvollen Stunde der Dämmerung solche Angst gemacht hatte, verschwand mit dem Anbruch des Morgens.

Gähnend und sich streckend schlummerte Tscherewik in der strohgedeckten Scheune des Gevatters, zwischen den Ochsen, Mehl- und Weizensäcken; er schien gar keinen Wunsch zu haben, sich von seinen Träumen zu trennen, als er plötzlich eine Stimme vernahm, die ihm ebenso bekannt vorkam wie die Zufluchtsstätte seiner Faulheit – der gesegnete Ofen seiner Stube oder wie die einer entfernten Verwandten gehörende Schenke, die sich keine zehn Schritt von seiner Schwelle befand.

»Steh auf, steh auf!« schrie ihm die zärtliche Gattin ins Ohr, indem sie ihn aus aller Kraft am Arm zerrte.

Tscherewik blähte, statt zu antworten, die Backen auf und fuchtelte mit den Armen, als ob er trommeln wollte.

»Verrückter!« schrie sie, dem Schwunge seiner Hand ausweichend, mit dem er sie beinahe getroffen hätte.

Tscherewik erhob sich, rieb sich die Augen und sah sich um.

»Hol' mich der Teufel, wenn mir deine Fratze nicht wie eine Trommel vorkam, auf der ich wie ein Soldat den Zapfenstreich schlagen mußte, von denselben Schweinefratzen gezwungen, von denen der Gevatter erzählt hat . . .«

»Hör auf, hör auf, dummes Zeug zu schwatzen! Geh, führ die Stute endlich zum Verkauf. Die Leute müssen ja wirklich über uns lachen: wir sind zum Jahrmarkt gekommen und haben noch keine Handvoll Hanf verkauft . . .«

»Wie kann ich hingehen, Frau?« fiel ihr Ssolopij ins Wort. »Man wird uns jetzt nur auslachen.«

»Geh, geh! Man lacht auch ohnehin über dich!«

»Du siehst doch, daß ich mich noch nicht gewaschen habe«, fuhr Tscherewik fort, gähnend und sich den Rücken kratzend; er bemühte sich, etwas Zeit für seine Faulheit zu gewinnen.

»So ungelegen ist dir jetzt der Einfall gekommen, auf Reinlichkeit zu achten! Wann denkst du sonst daran? Da ist ein Handtuch, wisch dir deine Larve ab.«

Sie ergriff etwas, das zu einem Knäuel zusammengerollt lag und schleuderte es entsetzt von sich: es war ein Aufschlag des roten Kittels!

»Geh, geh an deine Sache«, wiederholte sie, sich beherrschend, als sie sah, daß ihr Gatte vor Angst kein Bein rühren konnte und mit den Zähnen klapperte.

»Das wird jetzt ein gutes Geschäft sein!« brummte er vor sich hin, indem er die Stute losband und auf den Marktplatz führte. »Nicht umsonst war es mir, als ich zu diesem verdammten Jahrmarkt fuhr, so schwer ums Herz, als hätte mir jemand eine krepierte Kuh auf den Buckel geladen; auch wollten die Ochsen unterwegs von selbst zweimal umkehren. Ich glaube gar, wir sind auch an einem Montag abgefahren. Daher kommt das ganze Übel! . . . Auch dieser verdammte Teufel ist mir zu unruhig: er könnte doch wirklich den Kittel ohne einen Ärmel tragen: aber er muß den Leuten keine Ruhe gönnen. Wäre ich beispielsweise ein Teufel – Gott möge es verhüten –, würde es mir da einfallen, nachts den verdammten Fetzen nachzulaufen?« Das Philosophieren unseres Tscherewik wurde hier durch eine laute und schrille Stimme unterbrochen. Vor ihm stand ein langer Zigeuner.

»Was verkaufst du, guter Mann?«

Der Verkäufer schwieg eine Weile, maß den Zigeuner vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann mit ruhiger Miene, ohne stehenzubleiben und ohne die Zügel aus der Hand zu lassen: »Du siehst doch selbst, was ich verkaufe!«

»Riemen?« fragte der Zigeuner mit einem Blick auf die Zügel in Tscherewiks Hand.

»Ja, Riemen, wenn eine Stute einem Riemen ähnlich sieht.«

»Hol's der Teufel, Landsmann, du hast sie wohl mit Stroh gefüttert!«

»Mit Stroh?«

Tscherewik wollte die Zügel anziehen, um seine Stute zu zeigen und den schamlosen Verleumder Lügen zu strafen; aber seine Hand fuhr ihm mit ungewöhnlicher Leichtigkeit ans Kinn. Er blickte hin und sah die durchschnittenen Zügel, und an die Zügel gebunden – o Grauen! seine Haare standen ihm zu Berge – ein Stück vom Ärmel des roten Kittels! . . . Er spuckte aus und lief, sich bekreuzigend und mit den Armen fuchtelnd, von dieser unerwarteten Bescherung fort und verschwand flinker als ein junger Bursche in der Menge.

XI

Für mein Getreide krieg' ich auch noch Prügel.
(Sprichwort)

»Faßt ihn! Faßt ihn!« schrien einige Burschen am schmalen Ende der Straße, und Tscherewik fühlte sich plötzlich von kräftigen Händen gepackt.

»Bindet ihn! Es ist derselbe, der dem guten Mann die Stute gestohlen hat.«

»Gott mit euch! Warum bindet ihr mich?«

»Er fragt noch! Warum hast du aber einem zugereisten Bauern, Tscherewik, die Stute gestohlen?«

»Ihr seid von Sinnen, Burschen! Wo hat man je gesehen, daß ein Mensch sich selbst bestiehlt?«

»Alte Scherze! Alte Scherze! Warum bist du dann so gerannt, als wäre dir der Satan selbst auf den Fersen?«

»Man muß wohl laufen, wenn so ein Satanskittel . . .«

»He, Liebster, das kannst du anderen vorlügen. Du wirst jetzt vom Assessor was Schönes erleben, damit du die Leute nicht mehr mit Teufelsgeschichten erschreckst.«

»Faßt ihn! Faßt ihn!« ertönte ein Geschrei am anderen Ende der Straße. »Da ist er, der Flüchtling!«

Unser Tscherewik erblickte seinen Gevatter im jämmerlichsten Zustande, die Hände im Rücken gebunden und von einigen Burschen geführt.

»Wunder über Wunder!« sagte einer von diesen. »Ihr hättet nur hören sollen, was dieser Spitzbube erzählt, dem man gleich auf den ersten Blick den Dieb ansieht. Als man ihn fragte, warum er wie wahnsinnig rannte, sagte er: ›Als ich die Hand in die Tasche steckte, um eine Prise zu nehmen, zog ich statt der Dose ein Stück von dem teuflischen Kittel heraus, das gleich rot aufflammte.‹ Deshalb sei er davongerannt!«

»He, he! Es sind zwei Vögel aus dem gleichen Nest! Man binde sie zusammen.«

XII

»Was habe ich verbrochen, liebe Leute?
Was glotzt ihr so?« sprach unser Junger Mann.
»Was faßt ihr mich wie einen Schurken an?«
Und Tränen liefen über seine Wangen,
Dieweil sich Seufzer seiner Brust Entrangen.
(Artemowskij-Gulak »Herr und Hund«)

»Hast du vielleicht wirklich was stibitzt, Gevatter?« fragte Tscherewik, mit seinem Gevatter gebunden unter einem Strohdache liegend.

»Auch du kommst mir damit, Gevatter! Hände und Füße sollen mir verdorren, wenn ich je etwas gestohlen habe, außer den Quarkkuchen mit Sahne bei meiner Mutter, und auch das, als ich erst zehn Jahre alt war.«

»Wofür trifft uns denn diese Strafe? Dir geht es noch nicht so schlecht: dich beschuldigt man wenigstens, du hättest wen anders bestohlen; aber mich Unseligen verleumdet man, ich hätte mir selbst eine Stute stibitzt. Es ist uns wohl beiden beschieden, kein Glück im Leben zu haben, Gevatter!«

»Wehe uns armen Waisen!«

Die beiden Gevattern fingen an, laut zu schluchzen.

»Was ist mit dir los, Ssolopij?« fragte Grizko, der in diesem Augenblick eintrat. »Wer hat dich gebunden?«

»Ach, Golopupenko, Golopupenko!« schrie Ssolopij erfreut. »Gevatter, das ist der Bursch, von dem ich dir erzählte. Ist das ein tapferer Kerl! Gott soll mich hier auf der Stelle erschlagen, wenn er nicht vor meinen Augen einen Krug, fast so groß wie dein Kopf, auf einen Zug austrank und dabei mit keiner Wimper zuckte!«

»Warum hast du dann einem so vortrefflichen Burschen nicht den Gefallen getan, Gevatter?«

»Nun siehst du es«, fuhr Tscherewik fort, sich an Grizko wendend, »Gott hat mich wohl dafür gestraft, daß ich mich an dir vergangen habe. Vergib mir, guter Mann! Bei Gott, ich möchte für dich alles tun . . . Aber was kann ich machen? In meiner Alten sitzt der Teufel.«

»Ich trage nicht nach, Ssolopij! Wenn du willst, befreie ich dich!«

Er winkte den Burschen, und die gleichen Burschen, die Ssolopij bewacht hatten, eilten, ihn loszubinden.

»Dafür machst auch du, was sich gehört: eine Hochzeit! Und wir wollen so lustig sein, daß hinterher ein Jahr lang die Füße vom Tanzen wehtun!«

»Gut! Das ist gut!« sagte Ssolopij und schlug die Hände zusammen. »Es ist mir jetzt so froh zumute, als hätten mir die Moskowiter meine Alte entführt! Was gibt's da noch viel zu denken! Ob's recht ist oder nicht, wir feiern heute noch die Hochzeit, und die Sache hat ein Ende!«

»Paß auf, Ssolopij, in einer Stunde bin ich bei dir; jetzt aber geh heim, dort erwarten dich Leute, die dir die Stute und den Weizen abkaufen wollen!«

»Wie, ist denn die Stute wieder da?«

»Ja, sie ist wieder da!«

Tscherewik erstarrte vor Freude und blickte dem fortgehenden Grizko nach.

»Nun, Grizko, haben wir unsere Sache vielleicht schlecht gemacht?« fragte der lange Zigeuner den eilenden Burschen.

»Die Ochsen sind jetzt doch mein?«

»Sie sind dein, sie sind dein!«

XIII

Fürchte dich nicht, Mütterchen
Zieh die roten Schuhe an.
Tritt die Feinde
Mit den Füßen,
Daß die Eisen
Laut erklirren!
Daß die Feinde
Schweigen, schweigen!
(Hochzeitslied)

Das hübsche Kinn auf den Ellenbogen gestützt, saß Paraska nachdenklich allein in der Stube. Viele Träume umschwebten ihren blonden Kopf. Ab und zu glitt ein leichtes Lächeln über ihre roten Lippen, und ein freudiges Gefühl hob ihre dunklen Brauen in die Höhe; manchmal aber senkte sich eine Wolke von Nachdenklichkeit auf ihre hellen braunen Augen.

»Was nun, wenn das, was er sagt, nicht in Erfüllung geht?« flüsterte sie mit einem Ausdruck des Zweifels. »Was, wenn man mich ihm nicht gibt? Wenn . . . Nein, nein; es darf nicht sein! Die Stiefmutter tut alles, was ihr nur einfällt; warum soll ich nicht alles tun dürfen, was mir einfällt? Eigensinnig bin ich auch. Wie schön er doch ist! Wie wunderbar leuchten seine schwarzen Augen! Wie lieb sagt er mir: ›Parassja, mein Täubchen!‹ Wie gut steht ihm sein weißer Kittel! Wenn er auch noch einen etwas schöneren Gürtel dazu hätte! . . . Ich will ihm schon einen weben, wenn wir in unsere neue Stube einziehen. Ich kann nicht ohne Freude daran denken«, fuhr sie fort, indem sie einen kleinen, mit rotem Papier umklebten Spiegel aus dem Busen zog, den sie auf dem Jahrmarkte gekauft hatte, und mit heimlicher Freude hineinschaute, »wie ich dann irgendwo ihr begegne und mich vor ihr um nichts in der Welt verbeuge, und wenn sie auch zerspringt. Nein, Stiefmutter, du hast deine Stieftochter genug geschlagen! Eher wird Sand auf dem Steine wachsen oder die Eiche sich wie eine Weide zum Wasser neigen, als daß ich mich vor dir verneige! Ja, ich habe es vergessen . . . ich will doch eine Haube anprobieren, und wenn auch die der Stiefmutter, wie mag sie mir wohl stehen?«

Hier erhob sie sich mit dem Spiegelchen in der Hand, den Kopf darübergebeugt, und ging zitternd durch die Stube, als fürchtete sie, hinzufallen: sie sah vor sich statt des Fußbodens die Decke mit den darunterliegenden Brettern, von denen kürzlich der Popensohn herabgefallen war, und die Borde mit den Töpfen.

»Was ist denn mit mir, ich bin ganz wie ein Kind!« rief sie lachend: »Ich fürchte, einen Schritt zu machen!«

Und sie fing an, mit den Füßen zu stampfen, immer mutiger, schließlich sank ihre linke Hand herab und stemmte sich in die Seite, und sie begann zu tanzen, mit den Schuheisen klirrend, den Spiegel vor sich haltend und dabei ihr Lieblingslied singend:

»Liebliches Immergrün,
Neige dich tief!
Liebster, Schwarzäugiger,
Rücke zu mir!
Liebliches Immergrün,
Neige dich tiefer!
Liebster, Schwarzäugiger,
Rücke noch näher!«

Tscherewik blickte in diesem Augenblick zur Türe herein und blieb, als er seine Tochter vor dem Spiegel tanzen sah, stehen. Lange sah er zu und lachte über die seltsame Laune des Mädchens, das, ganz von ihren Gedanken hingerissen, nichts zu sehen und zu hören schien; als er aber die ihm bekannten Töne des Liedes hörte, geriet sein Blut ins Wallen: die Hände stolz in die Seiten gestemmt, trat er vor und begann, sich niederkauernd und wieder aufrichtend, zu tanzen, und vergaß alle seine Geschäfte. Das laute Lachen des Gevatters ließ alle beide zusammenfahren.

»Das ist schön, Vater und Tochter feiern hier selbst Hochzeit! Geht schneller hin: der Bräutigam ist gekommen.«

Paraska wurde bei den letzten Worten noch röter als das rote Band, das sie auf dem Kopfe hatte, und ihr sorgloser Vater erinnerte sich erst jetzt, warum er hierhergekommen war.

»Nun, Tochter, komm schneller! Chiwrja ist vor Freude darüber, daß ich die Stute verkauft habe, fortgelaufen«, sagte er, sich ängstlich umblickend, »fortgelaufen, um sich allerlei Röcke und Weiberlumpen zu kaufen, also müssen wir die Sache vor ihrer Rückkehr erledigen!«

Paraska hatte kaum die Schwelle der Stube überschritten, als sie sich schon auf den Armen des Burschen im weißen Kittel fühlte, der sie mit einer Menge Volkes draußen auf der Straße erwartete.

»Gott segne euch!« sagte Tscherewik, die Hände zusammenfaltend. »Sollen sie so leben, wie man die Kränze flicht!«So pflegen die Kleinrussen Verlobten Glück zu wünschen. Anmerkung Gogols

Hier entstand plötzlich im Volke ein Lärm.

»Ich will eher zerspringen, als daß ich das zulasse!« schrie die Lebensgefährtin Ssolopijs, die jedoch von der Menge unter Gelächter zurückgedrängt wurde.

»Wüte nicht, wüte nicht, Frau!« sagte Tscherewik kaltblütig, als er sah, daß einige kräftige Zigeuner sie an den Händen festhielten. »Was geschehen, ist geschehen; ich liebe nicht, etwas zu ändern!«

»Nein, nein! das wird nicht sein!« schrie Chiwrja, aber niemand hörte auf sie; einige Paare umringten das neue Paar und schützten es durch eine undurchdringliche tanzende Mauer.

Ein sonderbares, unsagbares Gefühl müßte sich eines jeden bemächtigen, welcher sähe, wie beim ersten Geigenstrich des Spielmanns im groben Rock mit dem langen gedrehten Schnurrbart sich alles, ob es wollte oder nicht, zu einem Ganzen vereinigte und zur Eintracht überging. Leute, über deren mürrisches Gesicht wohl noch nie ein Lächeln geglitten war, stampften mit den Füßen und zuckten mit den Schultern. Alles stürmte dahin, alles tanzte. Aber ein noch seltsameres, noch rätselhafteres Gefühl müßte sich in der Tiefe der Seele beim Anblick der alten Frauen regen, deren uralte Gesichter schon die Gleichgültigkeit des Grabes atmeten, die sich aber unter den neuen, lachenden, lebendigen Menschen drängten. Die Sorglosen! Selbst ohne kindliche Freude, ohne einen Funken von Mitgefühl, nur vom Rausch allein, wie leblose Automaten, von einem Mechaniker gezwungen, Bewegungen zu machen, die an menschliche Bewegungen erinnern, bewegten sie leise ihre berauschten Köpfe und hüpften im Takt mit dem tanzenden Volke, ohne auch nur einen Blick auf das tanzende junge Paar zu werfen.

Das Lärmen, Lachen und Singen ließ sich immer leiser und leiser vernehmen. Die Fiedel erstarb, und die unklaren Töne wurden immer schwächer und verloren sich in der leeren Luft. Noch hallte irgendwo ein Stampfen, etwas, was an das Brausen eines fernen Meeres erinnerte, und bald wurde alles leer und stumm.

Entschwindet uns nicht ebenso die Freude, der schöne und unbeständige Gast, während sich noch ein einzelner Ton vergeblich bemüht, die Heiterkeit auszudrücken? In seinem eigenen Echo hört er schon Trauer und Einsamkeit, und er lauscht ihnen mit wildem Entsetzen. Verlieren sich nicht ebenso die lustigen Freunde einer stürmischen und freien Jugend einer nach dem anderen, ihren alten Genossen allein zurücklassend? So trüb ist es dem Verlassenen zumute! So schwer und traurig wird es ihm ums Herz, und nichts vermag ihm zu helfen!


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