Johann Wolfgang von Goethe
Der Triumph der Empfindsamkeit
Johann Wolfgang von Goethe

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Vierter Act.

Andrasons Schloß,
eine rauhe und felsige Gegend, Höhle im Grunde.

(Mandandanens Kammerdiener als Askalaphus tritt auf mit einem Reverenz, und spricht den Prologus.)

Herrn und Frauen allzugleich,
Merkt wohl, das hier ist Pluto's Reich,
Und ich, wie ich mich vor euch stelle,
Das ich zuerst bedeuten muß,
Ich nenne mich Askalaphus,
Und bin Hofgärtner in der Hölle.

Die Charge ist hier unten neu:
Denn eh'mahls war Elysium da drüben,
Die rauhen Wohnungen da hüben,
Man ließ es eben so dabey.–

Nun aber kam ein Lord herunter,
Der fand die Hölle gar nicht munter,
44 Und eine Lady fand Elysium zu schön.
Man sprach so lang', bis daß der seltne Gusto siegte,
Und Pluto selbst den hohen Einfall kriegte,
Sein altes Reich als einen Park zu sehn.

Da schleppen nun Titanen ohne Zahl,
Den alten Sisyphus mit eingeschlossen,
Rastlos geschunden und verdrossen,
Gar manches schöne Berg und Thal
Zusammen.
Aus den fluthenden Flammen
Des Acherons herauf
Müssen die ewigen Felsen jetzt!
Und, gält's tausend Hände,
Sie werden an irgend einem Ende
Als Point de vue zurecht gesetzt.

Um Eins nur ist es Jammer Schade,
Um's schöne Erdreich in Elysium!
Aber es ist keine Gnade,
Wir gehn damit ganz sündlich um.
Sonst dankt man Gott, wenn man die Steine
Vom Acker hat:
Aber hier! sechs Meilen herum sind keine
Zu finden mehr, und wir haben es noch nicht satt;
Damit verschütten wir den Boden,
45 Wo das weichste Gras,
Die liebsten Blümchen blühen, und warum das?
Alles um des Mannigfaltigen willen.
Ein frischer Wald, eine feine Wiese,
Das ist uns Alles alt und klein;
Es müssen in unserm Paradiese
Dorn und Disteln seyn.

Dafür aber auch graben wir in den Hainen
Elysiums die schönsten Bäume aus,
Und setzen sie, wo wir es eben meinen,
An manche leere Stelle
Herüber in die Hölle,
Um des Cerberus Hundehaus,
Und formiren das zu einer Capelle.

Denn, Notabene! in einem Park
Muß Alles Ideal seyn,
Und, Salva Venia, jeden Quark
Wickeln wir in eine schöne Schal' ein.
So verstecken wir zum Exempel,
Einen Schweinstall hinter einen Tempel;
Und wieder ein Stall, versteht mich schon,
Wird geradeswegs ein Pantheon.
Die Sach' ist, wenn ein Fremder drin spaziert,
Daß Alles wohl sich präsentirt;
46 Wenn's dem denn hyperbolisch dünkt,
Posaunt er's hyperbolisch weiter aus.
Freylich der Herr vom Haus
Weiß meistens wo es stinkt.

Wie ich also sagte: unsre Elysischen Bäume
Schwinden wie Elysische Träume,
Wenn man sie verpflanzen will.
Ich bin zu allen Sachen still:
Denn in einem Park ist Alles Prunk;
Verdorrt ein Baum und wird ein Strunk,
Ha! sagen sie, da seht die Spur,
Wie die Kunst auch hinterdrein der Natur
Im Dürren ist. – Ja leider stark!
Was ich sagen wollte! Zum vollkommnen Park
Wird uns wenig mehr abgehn.
Wir haben Tiefen und Höhn,
Eine Musterkarte von allem Gesträuche,
Krumme Gänge, Wasserfälle, Teiche,
Pagoden. Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte,
Eine Menge Reseda und andres Gedüfte,
Weimuthsfichten, Babylonische Weiden, Ruinen,
Einsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen,
Moscheen und Thürme mit Cabinetten,
Von Moos sehr unbequeme Betten.
Obelisken, Labyrinthe, Triumphbogen, Arkaden,
47 Fischerhütten, Pavillons zum Baden,
Chinesisch-gothische Grotten, Kiosken, Tings,
Maurische Tempel und Monumente,
Gräber, ob wir gleich Niemand begraben,
Man muß es Alles zum Ganzen haben.

Ein Einziges ist noch zurücke,
Und drauf ist jeder Lord so stolz:
Das ist eine ungeheure Brücke
Von Holz
Und Einem Bogen von Hängewerk,
Das ist unser ganzes Augenmerk.
Denn erstlich kann kein Park bestehn
Ohne sie, wie wir auf jedem Kupfer sehn.
Auch in unsern toleranten Tagen
Wird immer mehr drauf angetragen,
Auf Communication, wie bekannt,
Dem man sich auch gleich stellen muß;
Elysium und Erebus
Werden vice versa tolerant.

Wir freuten uns der Brücke schon;
Doch leider Acheron und Pyriphlegeton
Speyen ewige Flammen,
Da fehlt's uns an gescheidten Leuten;
Und bringen wir die Brücke nicht zusammen,
48 So will der ganze Park nichts bedeuten;
Das Costume leidet weder Erz noch Stein,
Von Holz muß so eine Brücke seyn.

Aber warum ich komme! ohne Zeit zu verlieren:
Pluto's schönes junges Weib
Geht gewöhnlich hierher spatzieren,
Denn drin ist nicht viel Zeitvertreib.
Da sucht sie bey den armen Todten
So schöne Gegenden, wie auf Siciliens Boden;
Wir haben's aber nur in Gedichten.
Dann fragt sie täglich nach herrlichen Früchten;
Wir haben aber keine zu reichen:
Pfirschen, Trauben, darnach liefen wir weit;
Holzbirn', Schleh'n, rothe Beerchen und dergleichen
Ist Alles, was bey uns gedeiht.

(Zwey höllische Geister bringen einen Granatenbaum in einem Kübel.)

Drum hab' ich zu einem Treibhaus gerathen,
Und brüte, zum Exempel, diese Granaten
In einem frostbedeckten Haus
Mit unterirdischem Feuer aus;
Den will ich in die Erde kleben,
    (Er macht Alles zurecht wie er's sagt.)
Mit Felsen, Rasen, Moos umgeben,
49 Daß meine Königinn vermeine,
Es wüchse Alles aus dem Steine,
Und wenn sie den Betrug verspürt,
Den Künstler lobe, wie sich's gebührt. (Ab.)


(Vorbereitende Musik, ahnend seltene Gefühle.)

Mandandane
als
Proserpina.

Halte! halt' einmahl, Unselige! Vergebens
Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her!
Endlos liegen vor dir die Trauergefilde,
Und was du suchst, liegt immer hinter dir.

Nicht vorwärts,
Aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen!
Die schwarze Höhle des Tartarus
Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels,
In die ich sonst
Nach meines Ahnherrn froher Wohnung
Mit Liebesblick hinan sah!
Ach! Tochter du des Jupiters,
Wie tief bist du verloren! –

50 Gespielinnen!
Als jene blumenreiche Thäler
Für uns gesammt noch blühten,
Als an dem himmelklaren Strom des Alpheus
Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten,
Einander Kränze wanden,
Und heimlich an den Jüngling dachten,
Dessen Haupte unser Herz sie widmete;
Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen,
Keine Zeit zu lang,
Um freundliche Geschichten zu wiederhohlen,
Und die Sonne
Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette
Sich auf, als wir voll Lust zu leben
Früh' im Thau die Rosenfüße badeten. –

O Mädchen! Mädchen!
Die ihr, einsam nun,
Zerstreut an jenen Quellen schleicht,
Die Blumen aufles't,
Die ich, ach Entführte!
Aus meinem Schooße fallen ließ,
Ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand!

Weggerissen haben sie mich,
Die raschen Pferde des Orcus;
51 Mit festen Armen
Hielt mich der unerbittliche Gott!
Amor! ach Amor floh lachend zum Olymp –
Hast du nicht, Muthwilliger,
Genug an Himmel und Erde,
Mußt du die Flammen der Hölle
Durch deine Flammen vermehren? –

Herunter gerissen
In diese endlosen Tiefen,
Königinn hier!
Königinn?
Vor der nur Schatten sich neigen.

Hoffnungslos ist ihr Schmerz!
Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück,
Und ich wend' es nicht.
Den ernsten Gerichten
Hat das Schicksal sie übergeben;
Und unter ihnen wandl' ich umher,
Göttinn! Königinn!
Selbst Sclavinn des Schicksals!

Ach, das fliehende Wasser
Möcht' ich dem Tantalus schöpfen,
Mit lieblichen Früchten ihn sättigen!
52 Armer Alter!
Für gereitztes Verlangen gestraft! –
In Ixions Rad möcht' ich greifen,
Einhalten seinen Schmerz!
Aber was vermögen wir Götter
Über die ewigen Qualen!
Trostlos für mich und für sie,
Wohn' ich unter ihnen und schaue
Der armen Danaiden Geschäftigkeit!
Leer und immer leer,
Nicht Einen Tropfen Wassers zum Munde,
Nicht Einen Tropfen Wassers in ihre Wannen!
Leer und immer leer,
Ach, so ist's mit dir auch, mein Herz!
Woher willst du schöpfen? – und wohin? –

Euer ruhiges Wandeln, Selige,
Streicht nur vor mir vorüber;
Mein Weg ist nicht mit euch;
In euern leichten Tänzen,
In euern tiefen Hainen,
In eurer lispelnden Wohnung,
Rauscht's nicht von Leben wie droben,
Schwankt nicht von Schmerz zur Lust
Der Seligkeit Fülle. –

53 Ist's auf seinen düstern Augenbraunen,
Im verschlossenen Blicke?
Magst du ihn Gemahl nennen?
Und darfst du ihn anders nennen?
Liebe! Liebe!
Warum öffnetest du sein Herz
Auf einen Augenblick,
Und warum nach mir,
Da du wußtest,
Es werde sich wieder auf ewig verschließen?
Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen,
Und setzte sie neben sich
Auf seinen kläglichen Thron?
Warum mich, die Tochter der Ceres?

O Mutter! Mutter!
Wie dich deine Gottheit verläßt
Im Verlust deiner Tochter,
Die du glücklich glaubtest,
Hinspielend, hintändelnd ihre Jugend!

Ach, du kamst gewiß
Und fragtest nach mir,
Was ich bedürfte?
Etwa ein neues Kleid,
Oder goldene Schuhe?
54 Und du fandest die Mädchen
An ihre Weiden gefesselt,
Wo sie mich verloren,
Nicht wieder fanden,
Ihre Locken zerrauften,
Erbärmlich klagten,
Meine lieben Mädchen! –

Wohin ist sie? Wohin? rufst du?
Welchen Weg nahm der Verruchte?
Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen?
Wohin geht der Pfad seiner Rosse?
Fackeln her!
Durch die Nacht will ich ihn verfolgen!
Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde,
Will keinen Gang scheuen,
Hierhin und dorthin. –

Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu,
Aller Pfade gewohnt folgen sie deinem Lenken:
In der unbewohnten Wüste treibt dich's irre –

Ach, nur hierher, hierher nicht!
Nicht in die Tiefe der Nacht,
Unbetreten den Ewiglebenden,
55 Wo bedeckt von beschwerendem Graus
Deine Tochter ermattet!

Wende aufwärts,
Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad,
Aufwärts nach Jupiters Wohnung!
Der weiß es,
Der weiß es allein, der Erhabene,
Wo deine Tochter ist! –

Vater der Götter und Menschen!
Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle,
Zu dem du mich Kleine
So oft mit Freundlichkeit aufhobst,
In deinen Händen mich scherzend
Gegen den endlosen Himmel schwenktest,
Daß ich kindisch droben zu verschweben bebte?
Bist du's noch, Vater? –

Nicht zu deinem Haupte,
In dem ewigen Blau
Des feuerdurchwebten Himmels,
Hier! hier! – –

Leite sie her!
Daß ich auf mit ihr
56 Aus diesem Kerker fahre!
Daß mir Phöbus wieder
Seine lieben Strahlen bringe,
Luna wieder
Aus den Silberlocken lächle!

O du hörst mich,
Freundlich-lieber Vater,
Wirst mich wieder,
Wieder aufwärts heben;
Daß, befreyt von langer, schwerer Plage,
Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze!

Letze dich, verzagtes Herz!
Ach Hoffnung!
Hoffnung gießt
In Sturmnacht Morgenröthe!

Dieser Boden
Ist nicht Fels, nicht Moos mehr;
Diese Berge
Nicht voll schwarzen Grauses!
Ach, hier find' ich wieder eine Blume!
Dieses welke Blatt,
Es lebt noch,
57 Harrt noch,
Daß ich seiner mich erfreue!

Seltsam! seltsam!
Find' ich diese Frucht hier?
Die mir in den Gärten droben
Ach! so lieb war –
    (Sie bricht den Granatapfel ab.)

Laß dich genießen,
Freundliche Frucht!
Laß mich vergessen
Alle den Harm!
Wieder mich wähnen
Droben in Jugend,
In der vertaumelten
Lieblichen Zeit,
In den umduftenden
Himmlischen Blüthen,
In den Gerüchen
Seliger Wonne,
Die der Entzückten,
Der Schmachtenden ward
    (Sie ißt einige Körner).
Labend! labend!

58 Wie greift's auf ein Mahl
Durch diese Freuden,
Durch diese offne Wonne,
Mit entsetzlichen Schmerzen,
Mit eisernen Händen
Der Hölle durch! – –
Was hab' ich verbrochen,
Daß ich genoß?
Ach, warum schafft
Die erste Freude hier mir Qual?
Was ist's? was ist's –
Ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken,
Mich fester zu umfassen!
Ihr Wolken, tiefer mich zu drücken!
Im fernen Schooße des Abgrunds
Dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen!
Und ihr weiten Reiche der Parzen,
Mir zuzurufen:
Du bist unser!

Die Parzen (unsichtbar). Du bist unser!
Ist der Rathschluß deines Ahnherrn!
Nüchtern solltest wiederkehren;
Und der Biß des Apfels macht dich unser!
Königinn, wir ehren dich!

59 Proserpina. Hast du's gesprochen, Vater?
Warum? warum?
Was that ich, daß du mich verstößest?
Warum rufst du mich nicht
Zu deinem lichten Thron auf!
Warum den Apfel?
O verflucht die Früchte!
Warum sind Früchte schön,
Wenn sie verdammen?

Parzen. Bist nun unser!
Warum trauerst du?
Sieh, wir ehren dich,
Unsre Königinn!

Proserpina. O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung,
Daß ich euch hin verwünschen könnte!
O wäre der Cocyt nicht euer ewig Bad,
Daß ich für euch
Noch Flammen übrig hätte!
Ich Königinn,
Und kann euch nicht vernichten!

In ewigen Haß sey ich mit euch verbunden! –
So schöpfet, Danaiden!
60 Spinnt, Parzen! wüthet, Furien!
In ewig gleich-elendem Schicksal
Ich beherrsche euch,
Und bin darum elender als ihr Alle.

Parzen. Du bist unser!
Wir neigen uns dir!
Bist unser! unser!
Hohe Königinn!

Proserpina. Fern! weg von mir
Sey eure Treu' und eure Herrlichkeit!
Wie haß' ich euch!
Und dich, wie zehnfach haß' ich dich –
Weh mir! ich fühle schon
Die verhaßten Umarmungen!

Parzen. Unser! Unsre Königinn!

Proserpina. Warum reckst du sie nach mir?
Recke sie nach dem Avernus!
Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor!
Sie steigen deinem Wink entgegen;
Nicht meine Liebe.
Wie haß' ich dich,
Abscheu und Gemahl,
61 O Pluto! Pluto!
Gib mir das Schicksal deiner Verdammten!
Nenn' es nicht Liebe! –
Wirf mich mit diesen Armen
In die zerstörende Qual!

Parzen. Unser! unser! hohe Königinn!

(Andrason erscheint bey den Worten: Abscheu und Gemahl &c. Mandandane richtet die Apostrophe an ihn, und flieht vor ihm mit Entsetzen. Er erstaunt, sieht sich um, und folgt ihr voller Verwunderung.)


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