Johann Wolfgang Goethe
Egmont
Johann Wolfgang Goethe

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Dritter Aufzug

Palast der Regentin

Margarete von Parma.

Margarete. Ich hätte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das Möglichste; und der von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mögliche. – O die Könige! – Ich hätte nicht geglaubt, daß es mich so verdrießen könnte. Es ist so schön zu herrschen! – Und abzudanken? – Ich weiß nicht, wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.

(Machiavell erscheint im Grunde.)

Regentin. Tretet näher, Machiavell. Ich denke hier über den Brief meines Bruders.

Machiavell. Ich darf wissen, was er enthält?

Regentin. So viel zärtliche Aufmerksamkeit für mich als Sorgfalt für seine Staaten. Er rühmt die Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue, womit ich bisher für die Rechte seiner Majestät in diesen Landen gewacht habe. Er bedauert mich, daß mir das unbändige Volk so viel zu schaffen mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen überzeugt, mit der Klugheit meines Betragens so außerordentlich zufrieden, daß ich fast sagen muß, der Brief ist für einen König zu schön geschrieben, für einen Bruder gewiß.

Machiavell. Es ist nicht das erstemal, daß er Euch seine gerechte Zufriedenheit bezeigt.

Regentin. Aber das erstemal, daß es rednerische Figur ist.

Machiavell. Ich versteh Euch nicht.

Regentin. Ihr werdet. – Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine üble Figur spielen! Wir hätten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die dem Bürger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, große Sprünge zu machen.

Machiavell. Es würde die Gemüter äußerst aufbringen.

Regentin. Der König meint aber, hörst du? – Er meint, daß ein tüchtiger General, so einer, der gar keine Räson annimmt, gar bald mit Volk und Adel, Bürgern und Bauern fertig werden könne; – und schickt deswegen mit einem starken Heere – den Herzog von Alba.

Machiavell. Alba?

Regentin. Du wunderst dich?

Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?

Regentin. Der König fragt nicht; er schickt.

Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten haben.

Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.

Machiavell. Ich möcht' Euch nicht vorgreifen.

Regentin. Und ich möchte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daß er förmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.

Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -

Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie möchten's gern gesäubert und gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O mir ist's, als wenn ich den König und sein Konseil auf dieser Tapete gewirkt sähe.

Machiavell. So lebhaft?

Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der ehrliche Rodrich, der so erfahren und mäßig ist, nicht zu hoch will, und doch nichts fallen läßt, der gerade Alonzo, der fleißige Freneda, der feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige Toledaner mit der ehrnen Stirne und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zähnen von Weibergüte, unzeitigem Nachgeben und daß Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und solche Späße, die ich ehemals von den politischen Herren habe mit durchhören müssen.

Machiavell. Ihr habt zu dem Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.

Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus der ich allenfalls malen könnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz wie Albas Gesichtsfarbe und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist bei ihm gleich ein Gotteslästerer, ein Majestätsschänder: denn aus diesem Kapitel kann man sie alle sogleich rädern, pfählen, vierteilen und verbrennen. – Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiß in der Ferne wie nichts aus, eben weil's gut ist. – Da hängt er sich an jeden Mutwillen, der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem Könige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit, daß er sich vorstellt, sie fräßen sich hier einander auf, wenn eine flüchtig vorübergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen ist. Da faßt er einen recht herzlichen Haß auf die armen Leute; sie kommen ihm abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und Schwert um und wähnt, so bändige man Menschen.

Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch. Bleibt Ihr nicht Regentin?

Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. – Ich bin in Staatsgeschäften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen verdrängt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen. – Erst wird er eine Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine geheime Instruktion vorschützen; wenn ich sie sehen will, wird er mich herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das ganz was anders enthält; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht mehr tun, als wenn ich redete. – Indes wird er, was ich fürchte, getan, und was ich wünsche, weit abwärts gelenkt haben.

Machiavell. Ich wollt', ich könnt' Euch widersprechen.

Regentin. Was ich mit unsäglicher Geduld beruhigte, wird er durch Härte und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein Werk verloren sehen und überdies noch seine Schuld zu tragen haben.

Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.

Regentin. So viel Gewalt hab ich über mich, um stille zu sein. Laß ihn kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich verdrängt.

Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?

Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's hergebracht hat, daß jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und genießt.

Klärchens Wohnung

Klärchen. Mutter.

Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.

Klärchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen summend).

Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du ihm ein wenig freundlich tätest, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.

Klärchen (singt).

Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt –
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Laß das Heiopopeia.

Klärchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab ich doch schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.

Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur nicht alles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten, sag ich dir. Er kann dich noch einmal glücklich machen.

Klärchen. Er?

Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! – Ihr Kinder seht nichts voraus und überhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.

Klärchen (schaudert, schweigt und fährt auf). Mutter, laßt die Zeit kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! – Und wenn er kommt! Wenn wir müssen – dann – wollen wir uns gebärden, wie wir können – Egmont, ich dich entbehren! – (In Tränen.) Nein, es ist nicht möglich, nicht möglich.

Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt). Klärchen!

Klärchen (tut einen Schrei, fährt zurück). Egmont! (Sie eilt auf ihn zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Süßer! Kommst du? bist du da!

Egmont. Guten Abend, Mutter.

Mutter. Gott grüß' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen, daß Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet und gesungen.

Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?

Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.

Klärchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.

Mutter. Schmal genug.

Klärchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen großen Appetit haben, wenn ich bei ihm bin.

Egmont. Meinst du?

Klärchen (stampft mit dem Fuße und kehrt sich unwillig um).

Egmont. Wie ist dir?

Klärchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuß angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu haben.

Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer steht und dem Feinde etwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen, faßt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein Liebhaber -

Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich muß in die Küche; Klärchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt fürliebnehmen.

Egmont. Euer guter Wille ist die beste Würze. (Mutter ab.)

Klärchen. Und was wäre denn meine Liebe?

Egmont. So viel du willst.

Klärchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.

Egmont. Zuvörderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem prächtigen Kleide da.)

Klärchen. O je!

Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)

Klärchen. Laßt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurück.) Wie prächtig! Da darf ich Euch nicht anrühren.

Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.

Klärchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet nicht – Ach und das Goldne Vlies!

Egmont. Da siehst du's nun.

Klärchen. Das hat dir der Kaiser umgehängt?

Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter über meine Handlungen als den Großmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der Ritter.

Klärchen. O du dürftest die ganze Welt über dich richten lassen. – Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte! – Man weiß nicht, wo man anfangen soll.

Egmont. Sieh dich nur satt.

Klärchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzähltet mir die Geschichte und sagtet, es sei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh und Fleiß verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar – ich kann's deiner Liebe vergleichen. – Ich trage sie ebenso am Herzen – und hernach -

Egmont. Was willst du sagen?

Klärchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.

Egmont. Wieso?

Klärchen. Ich habe sie nicht mit Müh und Fleiß erworben, nicht verdient.

Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich nicht darum bewirbst – und die Leute erhalten sie auch meist allein, die nicht darnach jagen.

Klärchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze Anmerkung über dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?

Egmont. Hätt' ich nur etwas für sie getan! könnt' ich etwas für sie tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.

Klärchen. Du warst gewiß heute bei der Regentin?

Egmont. Ich war bei ihr.

Klärchen. Bist du gut mit ihr?

Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und dienstlich.

Klärchen. Und im Herzen?

Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sähe tief genug, wenn sie auch nicht argwöhnisch wäre. Ich mache ihr viel zu schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich keine habe.

Klärchen. So gar keine?

Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in den Fässern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere Unterhaltung für sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit gesetzt, daß er immer etwas Geheimes vorhabe: und nun sieht sie immer nach seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl richten möchte.

Klärchen. Verstellt sie sich?

Egmont. Regentin, und du fragst?

Klärchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?

Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten erreichen will.

Klärchen. Ich könnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch einen männlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nähterinnen und Köchinnen. Sie ist groß, herzhaft, entschlossen.

Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein wenig aus der Fassung.

Klärchen. Wieso?

Egmont. Sie hat auch ein Bärtchen auf der Oberlippe, und manchmal einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!

Klärchen. Eine majestätische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu treten.

Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft – Es wäre auch nicht Furcht, nur jungfräuliche Scham.

Klärchen (schlägt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich an ihn).

Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mädchen! du darfst die Augen aufschlagen. (Er küßt ihre Augen.)

Klärchen. Laß mich schweigen! Laß mich dich halten. Laß mich dir in die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? der große Egmont, der so viel Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hängen?

Egmont. Nein, Klärchen, das bin ich nicht.

Klärchen. Wie?

Egmont. Siehst du, Klärchen! – Laß mich sitzen! (Er setzt sich, sie kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen Schoß und sieht ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont, der an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen muß; geplagt, verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute für froh und fröhlich halten; geliebt von einem Volke, das nicht weiß, was es will; geehrt und in die Höhe getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von Freunden, denen er sich nicht überlassen darf; beobachtet von Menschen, die ihm auf alle Weise beikommen möchten; arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck meist ohne Lohn – O laß mich schweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zumute ist. Aber dieser, Klärchen, der ist ruhig, offen, glücklich, geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit voller Liebe und Zutrauen an das seine drückt. (Er umarmt sie.) Das ist dein Egmont!

Klärchen. So laß mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!


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