Goethe
Belagerung von Mainz
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Der König mit den Garden zog zuerst, die Regimenter folgten. Weiteren Anteil an den Unbilden des Krieges zu nehmen, ward nicht mehr verlangt; ich erhielt Urlaub, nach Hause zurückzukehren, doch wollt' ich vorher noch Mannheim wieder besuchen.

Mein erster Gang war, Ihro Königlichen Hoheit dem Prinzen Louis Ferdinand aufzuwarten, den ich ganz wohlgemut auf seinem Sofa ausgestreckt fand, nicht völlig bequem, weil ihn die Wunde am Liegen eigentlich hinderte; wobei er auch die Begierde nicht verbergen konnte, baldmöglichst auf dem Kriegsschauplatz persönlich wieder aufzutreten.

Darauf begegnete mir im Gasthofe ein artiges Abenteuer.

An der langen, sehr besetzten Wirtstafel saß ich an einem Ende, der Kämmerier des Königs, von Rietz, an dem andern, ein großer, wohlgebauter, starker, breitschultriger Mann; eine Gestalt, wie sie dem Leibdiener Friedrich Wilhelms gar wohl geziemte.

Er mit seiner nächsten Umgebung waren sehr laut gewesen und standen frohen Mutes von Tafel auf; ich sah Herrn Rietz auf mich zukommen; er begrüßte mich zutraulich, freute sich meiner lang gewünschten, endlich gemachten Bekanntschaft, fügte einiges Schmeichelhafte hinzu und sagte sodann: ich müsse ihm verzeihen, er habe aber noch ein persönliches Interesse, mich hier zu finden und zu sehen.

Man habe ihm bisher immer behauptet: schöne Geister und Leute von Genie müßten klein und hager, kränklich und vermüfft aussehen, wie man ihm denn dergleichen Beispiele genug angeführt.

Das habe ihn immer verdrossen, denn er glaube doch auch nicht auf den Kopf gefallen zu sein, dabei aber gesund und stark und von tüchtigen Gliedmaßen; aber nun freue er sich, an mir einen Mann zu finden, der doch auch nach etwas aussehe, und den man deshalb nicht weniger für ein Genie gelten lasse.

Er freue sich dessen und wünsche uns beiden lange Dauer eines solchen Behagens.

Ich erwiderte gleichfalls verbindliche Worte; er schüttelte mir die Hand, und ich konnte mich trösten, daß, wenn jener wohlgesinnte Obristlieutenant meine Gegenwart ablehnte, welcher wahrscheinlich auch eine vermüffte Person erwartet hatte, ich nunmehr, freilich in einer ganz entgegengesetzten Kategorie, zu Ehren kam.

In Heidelberg, bei der alten treuen Freundin Delph, begegnete ich meinem Schwager und Jugendfreund Schlosser.

Wir besprachen gar manches, auch er mußte einen Vortrag meiner Farbenlehre aushalten.

Ernst und freundlich nahm er sie auf, ob er gleich von der Denkweise, die er sich festgesetzt hatte, nicht loskommen konnte und vor allen Dingen darauf bestand, zu wissen: inwiefern sich meine Bearbeitung mit der Eulerischen Theorie vereinigen lasse, der er zugetan sei.

Ich mußte leider bekennen, daß auf meinem Wege hiernach gar nicht gefragt werde, sondern nur, daß darum zu tun sei, unzählige Erfahrungen ins Enge zu bringen, sie zu ordnen, ihre Verwandtschaft, Stellung gegeneinander und nebeneinander aufzufinden, sich selbst und andern faßlich zu machen.

Diese Art mochte ihm jedoch, da ich nur wenig Experimente vorzeigen konnte, nicht ganz deutlich werden.

Da nun hiebei die Schwierigkeit des Unternehmens sich hervortat, zeigt' ich ihm einen Aufsatz, den ich während der Belagerung geschrieben hatte, worin ich ausführte: wie eine Gesellschaft verschiedenartiger Männer zusammen arbeiten und jeder von seiner Seite mit eingereifen könnte, um ein so schwieriges und weitläufiges Unternehmen fördern zu helfen.

Ich hatte den Philosophen, den Physiker, Mathematiker, Maler, Mechaniker, Färber und Gott weiß wen alles in Anspruch genommen; dies hörte er im allgemeinen ganz geduldig an, als ich ihm aber die Abhandlung im einzelnen vorlesen wollte, verbat er sich's und lachte mich aus: ich sei, meinte er, in meinen alten Tagen noch immer ein Kind und Neuling, daß ich mir einbilde, es werde jemand an demjenigen teilnehmen, wofür ich Interesse zeige, es werde jemand ein fremdes Verfahren billigen und es zu dem seinigen machen, es könne in Deutschland irgend eine gemeinsame Wirkung und Mitwirkung stattfinden!

Ebenso wie über diesen Gegenstand äußerte er sich über andere; freilich hatte er als Mensch, Geschäftsmann, Schriftsteller gar vieles erlebt und erlitten, daher denn sein ernster Charakter sich in sich selbst verschloß und jeder heitern, glücklichen, oft hülfreichen Täuschung mißmutig entsagte.

Mir aber machte es den unangenehmsten Eindruck, daß ich, aus dem schrecklichsten Kriegszustand wieder ins ruhige Privatleben zurückkehrend, nicht einmal hoffen sollte auf eine friedliche Teilnahme an einem Unternehmen, das mich so sehr beschäftigte und das ich der ganzen Welt nützlich und interessant wähnte.

Dadurch regte sich abermals der alte Adam; leichtsinnige Behauptungen, paradoxe Sätze, ironisches Begegnen und was dergleichen mehr war, erzeugte bald Apprehension und Mißbehagen unter den Freunden: Schlosser verbat sich dergleichen sehr heftig, die Wirtin wußte nicht, was sie aus uns beiden machen sollte, und ihre Vermittlung bewirkte wenigstens, daß der Abschied zwar schneller als vorgesetzt, doch nicht übereilt erschien.

Von meinem Aufenthalt in Frankfurt wüßte ich wenig zu sagen, ebensowenig von meiner übrigen Rückreise; der Schluß des Jahrs, der Anfang des folgenden ließ nur Greueltaten einer verwilderten und zugleich siegberauschten Nation vernehmen.

Aber auch mir stand ein ganz eigener Wechsel der gewohnten Lebensweise bevor.

Der Herzog von Weimar trat nach geendigter Campagne aus preußischen Diensten; das Wehklagen des Regiments war groß durch alle Stufen, sie verloren Anführer, Fürsten, Ratgeber, Wohltäter und Vater zugleich.

Auch ich sollte von eng verbundenen trefflichen Männern auf einmal scheiden; es geschah nicht ohne Tränen der besten.

Die Verehrung des einzigen Mannes und Führers hatte uns zusammengebracht und gehalten, und wir schienen uns selbst zu verlieren, als wir seiner Leitung und einem heiteren verständigen Umgang untereinander entsagen sollten.

Die Gegend um Aschersleben, der nahe Harz, von dort aus so leicht zu bereisen, erschien für mich verloren, auch bin ich niemals wieder tief hineingedrungen.

Und so wollen wir schließen, um nicht in Betrachtung der Weltschicksale zu geraten, die uns noch zwölf Jahre bedrohten, bis wir von eben denselben Fluten uns überschwemmt, wo nicht verschlungen gesehen.


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