Johann Wolfgang von Goethe
Drei dramatische Fragmente: Anekdote zu den Freuden des jungen Werthers / Erwin und Elmire / Hanswursts Hochzeit
Johann Wolfgang von Goethe

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Erwin und Elmire

ein Schauspiel mit Gesang

Den kleinen Strauß, den ich dir binde,
Pflückt' ich aus diesem Herzen hier.
Nimm ihn gefällig auf Belinde!
Der kleine Strauß, er ist von mir.

*

Personen

Olimpia

Elmire, ihre Tochter

Bernardo

Erwin

*

Der Schauplatz ist nicht in Spanien

*

Olimpia tritt herein, und findet Elmiren traurig an einem Tische sitzen, auf den sie sich stemmt. Die Mutter bezeigt ein zärtliches Mißvergnügen, und sucht sie zu ermuntern.

Olimpia
    Liebes Kind, was hast du wieder?
Welch ein Kummer drückt dich nieder?
Sieh! wie ist der Tag so schön;
Komm, laß uns in Garten gehn.

    War das ein Sehnen,
War das ein Erwarten:
Blühten doch die Blumen!
Grünte doch mein Garten!

    Sieh! die Blumen blühen all,
Hör! es schlägt die Nachtigall.

Was hast du? ich bitte dich, was hast du? klage, so lange du willst, nur das Schweigen ist mir unausstehlich.

Elmire Liebe Mama, man gibt sich den Humor nicht selbst.

Olimpia Wenns Humor wäre, wollt' ich kein Wort sagen. Wenn dir eine Ratte durch den Kopf läuft, daß du einen Morgen nichts reden magst, oder bei Tische das Maul hängst, sag' ich da was drüber? Hat man jemals eine schönere Haushaltung gesehn, als unsre, da man einander aus dem Wege geht, wenn man üblen Humors ist? Nein Liebchen, du sollst nicht lachen, wenn dirs weinerlich ist; aber ich wollte, daß dirs nicht weinerlich wäre. Was ist dir, was fehlt dir? sags! Rede!

Elmire Mir? Nichts, Mama.

Olimpia Da sei Gott vor, daß du so ohne Ursache den Kopf hängst. Nein, das ist nichts. Und doch begreif ich nicht – daß ein Mädel den Kopf hängt, die auf Erlösung paßt, wenn die nicht kommen will, das ist natürlich! daß eine verdrießlich ist, die nach allen Mannsleuten angelt und keinen fängt, sehr natürlich. – Ist denn das dein Fall? Du, die du sechse haben kannst für einen, die du eine Mutter hast, die sagt: nimm, welchen du willt von den sechsen, und wenn dir ein siebenter etwa in die Augen sticht, dir etwa am Herzen liegt; sag mir ihn, nenn mir ihn! Wir wollen sehn, wie wir ihm ankommen. Und doch immer Tränen in den Augen! bist du krank, willst mirs nicht sagen?

Elmire Ich bin ja lustig.

Sie lächelt, und wischt sich die Augen.

Olimpia Das ist eine aparte Art von Lustbarkeit. Unterdes ich wills so annehmen, (treffend) Ich weiß wohl, wo dirs stickt!

Elmire (lebhaft) Liebe Mama!

Olimpia (nach einer Pause) An all dem Mißvergnügen, der üblen Laune unsrer Kinder sind wir selber Schuld, ist die neumodische Erziehung Schuld. Ich fühls schon lang!

Elmire Liebe Mama, daß sie doch nie die Sorge gereuen möchte, die sie auf mich verwendet haben.

Olimpia Nicht das, meine Tochter. Ich sagts deinem Vater oft; er wollte nun einmal ein kleines Meerwunder aus dir gemacht haben, du wurdest's und bist nicht glücklicher.

Elmire Sie schienen doch sonst mit mir zufrieden zu sein.

Olimpia Und bin's noch, und hätte gar nichts zu klagen, wenn du nur mit dir selbst zufrieden wärst. Wie ich jung war, ich weiß nicht, es war alles ganz anders. Zwar wirft man den Alten vor: sie lobten töricht das Vergangene, und verachteten das Gegenwärtige, weil sie kein Gefühl dafür haben. Aber wahr bleibt wahr. Wie ich jung war, man wußte von all den Verfeinerungen nichts, so wenig man von dem Staate was wußte, zu dem man jetzt die Kinder gewöhnt. Man ließ uns lesen lernen und schreiben, und übrigens hatten wir alle Freiheit und Freuden der ersten Jahre. Wir vermengten uns mit Kindern von geringem Stand, ohne daß das unsre Sitten verderbt hätte. Wir durften wild sein, und die Mutter fürchtete nicht für unsern Anzug, wir hatten keine Falbalas zu zerreißen, keine Blenden zu verschmutzen, keine Bänder zu verderben; unsre leinene Kleidchen waren bald gewaschen. Keine hagre Deutsch-Französin zog hinter uns her, ließ ihren bösen Humor an uns aus, und prätendierte etwa, wir sollten so steif, so eitel, so albern tun, wie sie. Es wird mir immer übel, die kleinen Mißgeburten in der Allee auf und ab treiben sehn. Nicht anders siehts aus, als wenn ein Kerl in der Messe seine Hunde und Affen mit Reifröcken und Fantangen mit der Peitsche vor sich her in Ordnung und auf zwei Beinen hält, und es ihnen mit derben Schlägen gesegnet, wenn die Natur wiederkehrt, und sie Lust kriegen, einmal à leur aise auf allen vieren zu trappeln.

Elmire Darf ich sagen Mama, daß sie ungerecht sind, ein wenig übertreiben, und die gute Seite nicht sehen wollen. Welche Vorzüge gibt uns die gegenwärtige Erziehung! die doch noch lang nicht allgemein ist.

Olimpia Desto besser! Vorzüge? Ich dächte, der größte Vorzug in der Welt wäre, glücklich und zufrieden zu sein. So war unsere Jugend. Wir spielten, sprangen, lärmten, und waren schon ziemlich große Jungfern, da uns noch eine Schaukel, ein Ballspiel ergötzte, und nahmen Männer, ohne kaum was von einer Assemblee, von Kartenspiel, und Geld zu wissen. Wir liefen in unsern Hauskleidern zusammen, und spielten um Nüsse und Stecknadeln, und waren herrlich dabei; und eh man sich's versah, paff! hatten wir einen Mann.

Elmire Man kriegt heut zu Tage auch Männer, und ist auch lustig.

Olimpia Aber wie? Da führen sie ihre Kinder zusammen. Sie sitzen im Kreis, wie die Damen; trinken ihren Kaffee aus der Hand, wie die Damen, statt daß man sie sonst um einen Tisch setzte und es ihnen bequem machte; so müssen sie anständig sein, wie die Damen; und auch Langeweile haben, wie die Damen; und sind doch Kinder von innen, und werden durchaus verdorben, weil sie gleich von Anfang ihres Lebens nicht sein dürfen, was sie sind.

Elmire Unterdessen, unsre Lebensart verlangts doch jetzt. Wenn wir erzogen würden, wie vor Alters, was für eine Figur würden wir in der Gesellschaft spielen?

Olimpia Was für eine Figur, Mädchen? die Figur, die eure Mütter gespielt haben, und deren ihr euch nicht zu schämen haben würdet. Glaubst du denn nicht, daß man ein angenehmes Mädchen, eine rechtschaffne Frau werden könne, wenn man die Erlaubnis gehabt hat, ein Kind zu sein. Dein Vater hat weder Schande an mir in der großen Welt erlebt, noch hatte er sich über mein häuslich Leben zu beklagen. Ich sage dir, die Kinderschuhe treten sich von selbst aus, wenn sie einem zu eng werden; und wenn ein Weib Menschenverstand hat, kann sie sich in alles fügen. Gewiß! die besten, die ich unter unserm Geschlecht habe kennen gelernt, waren eben die, auf deren Erziehung man am wenigsten gewendet hatte.

Elmire Unsre Kenntnisse, unsre Talente!

Olimpia Das ist eben das verfluchte Zeug, das euch entweder nichts hilft, oder euch wohl gar unglücklich macht. Wir wußten von all der Firlfanzerei nichts; wir tappelten unser Liedchen, unsern Menuet auf dem Klavier, und sangen und tanzten dazu, jetzt vergeht den armen Kindern das Singen und Tanzen bei ihren Instrumenten, sie werden auf die Geschwindigkeit dressiert, und müssen, statt einfacher Melodien, ein Geklimpere treiben, das sie ängstigt und nicht unterhält; und wozu? Um sich zu produzieren! Um bewundert zu werden! Vor wem? wo? – Vor Leuten, die's nicht verstehen, oder plaudern, oder nur herzlich passen, bis ihr fertig seid, um sich auch zu produzieren, und auch nicht geachtet, und doch am Ende, aus Gewohnheit oder Spott, beklatscht zu werden.

Elmire Das ist nie meine Art gewesen. Ich habe immer mehr für mich gelebt, als für andre, und meine Gefühle, meine Ideen, die sich durch eine frühzeitige Bildung entwickelten, machten von jeher das Glück meines Lebens.

Olimpia Und machen jetzt dein Elend. Was sind alle die edelsten Triebe und Empfindungen, da ihr in einer Welt lebt, wo sie nicht befriedigt werden können, wo alles dagegen zu arbeiten scheint! gibt das nicht Anlage zum tiefsten Mißvergnügen, Anlaß zum ewigen Klagen?

Elmire Ich beklage mich nicht.

Olimpia Nicht mit Worten, doch leider mit der Tat. Was hat ein Mädchen zu wünschen? Jugendliche Freuden zu haben? die erlaub' ich dir. Ihre kleine Eitelkeit zu befriedigen? Ich lasse dirs an nichts fehlen. Zu gefallen? Mich deuchte, du gefielst. Freier zu haben? daran fehlt dirs nicht. Einen gefälligen rechtschaffnen wohlhabenden Mann zu bekommen? du darfst nur wählen! Und hernach ist es deine Sache, eine brave Frau zu sein, Kinder zu kriegen, zu erziehen, und deiner Haushaltung vorzustehen; und das gibt sich dünkt mich alles von selbst. Also Summa Summarum (sie klopft ihr auf die Backen) bist du ein Närrchen! Nicht wahr, Elmire?

Elmire (in Bewegung) Ich möchte!

Olimpia Nur nicht aus der Welt laufen, das verbitt' ich mir. Ich glaube, du gingst jetzo ins Kloster, wenn man dir die Freiheit ließe.

Elmire Warum nicht?

Olimpia Liebes Kind, ich versichre dich, es würde dir dort nicht besser werden, als dirs hier ist. Ein Bißchen schwer ists, sich mit sich selbst vertragen, und doch im Grund das einzige, woraufs ankäme. Jetzt da der junge Erwin; der hatte auch solche Knöpfe, es war ihm nirgends wohl. Und verzeih ihm Gott den dummen Streich, und die Not, die er seiner Mutter macht. Ich begreifs nicht, was ihn bewogen haben kann, auf einmal durchzugehen. Keine Schulden hatte er nicht, war sonst auch ein Mensch nicht zur Ausschweifung geneigt. Nur die Unruhe, die Unzufriedenheit mit sich selbst ists, die ihn ins Elend stürzt.

Elmire (bewegt) Glauben sie Mama!

Olimpia Was ist natürlicher? Er wird herumirren, er wird Mangel leiden, er wird in Not kommen, er wird kümmerlich sein Brot verdienen, wird unter die Soldaten gehn.

Elmire Gott im Himmel!

Olimpia Ich versichre dich, wenn dadraußen in der weiten Welt das Paradies der Dichter zu finden wäre, wir hätten uns in die Städte nicht eingesperrt.

Elmire (verlegen) Erwin!

Olimpia Er war ein lieber, guter Junge. Sonst so still, so sanft! Wie beliebt war er bei Hofe! Seine Geschicklichkeit, sein Fleiß ersetzte den Mangel eignes Vermögens. Hätte er warten können! Er ist von gutem Hause, ihm würd' es an Versorgung nicht gefehlt haben. Ich begreife nicht, was ihn zu dieser Entschließung gebracht hat – Höre Liebchen! Wenn du nicht in Garten willst, so geh ich allein.

Elmire Erlauben sie Mama –

Olimpia Ich will dich nicht irren. Komm nach, wenn du willt. (ab)

Elmire (allein) Liebste, beste Mutter! Wie viel Eltern verkennen das Wohl ihrer Kinder, und sind für ihre dringendsten Empfindungen taub; und diese Mutter vermöchte mir nicht zu helfen mit all dem wahren Anteil an meinem innersten Herzen. Wo bin ich? Was will ich? Warum vertraut' ich ihr nicht schon lang meine Liebe und nicht meine Qual? Warum nicht eh? Armer Erwin! Sie wissen nicht, was ihn quälte, sie kannten sein Herz nicht! – Weh dir Elende, die du ihn zur Verzweiflung brachtest! Wie rein, wie zärtlich war seine Liebe! War er nicht der edelste von allen, die mich umgaben, und liebt' ich ihn nicht vor allen? Und doch konnt' ich ihn kränken, konnte ihm mit Kaltsinn mit anscheinender Verachtung begegnen, bis sein Herz brach, bis er, in dem Überfall des heftigsten Schmerzens, seine Mutter, seine Freunde, und ach! Vielleicht die Welt verließ – Schrecklicher Gedanke! er wird mich ums Leben bringen.

    Erwin! o schau, du wirst gerochen;
Kein Gott erhöret meine Not.
Mein Stolz hat ihm das Herz gebrochen,
O Liebe! gib mir den Tod.

    So jung, so sittsam zum Entzücken!
Die Wangen! Welches frische Blut!
Und ach! in seinen nassen Blicken,
Ihr Götter! welche Liebesglut.

    Erwin, o schau, du wirst gerochen,
Kein Gott erhöret meine Not.
Mein Stolz hat ihm das Herz gebrochen.
O Liebe! gib mir den Tod.

Bernardo (kommt) Gnädiges Fräulein, wie stehts? Ums Himmelswillen, welche Miene! Versprachen sie mir nicht, sich zu beruhigen?

Elmire Habt ihr Nachricht von ihm, Bernardo? habt ihr Nachricht?

Bernardo Mein Fräulein,

Elmire Ihr habt keine, ich seh's, ich fühls euch an, das ist wieder das unerträgliche Alletagsgesicht, das ihr macht.

Bernardo Sonst war ihnen doch mein Gesicht nicht unerträglich, sie schienen die Ruhe der Seele zu schätzen, die mich begleitet.

Elmire Schätzt man doch alles, was man nicht hat. Und einem jungen wühlenden Herzen, wie beneidenswert muß ihm der ewige Sonnenschein über euern Augenbraunen sein!

Bernardo Ists denn nichts?

Elmire Stille nur, du ergrimmst mich. Wenn man euch kennen lernt, und so sieht, daß all eure Weisheit Mangel an Teilnehmung ist, und daß ihr in mitleidigem Erbarmen auf uns herabseht, weil euch das mangelt, was wir doch haben –

Bernardo Ein allerliebster Humor!

Elmire Erwin?

Bernardo schweigt.

Elmire Er ist verloren, und ich bin elend auf ewig!

Bernardo Überlassen sie der Zeit diesen Schmerz zu lindern. Glauben sie mir, alle Empfindungen werden nach und nach schwächer und wie eine Wunde verwächst, schwindet auch der Kummer aus der Seele.

Elmire Abscheulich! abscheulich!

Bernardo Was hab' ich verbrochen, daß sie auf mich zürnen? Weil ich ihnen Mut zuspreche, sind sie aufgebracht? Nehm' ich nicht am wärmsten Anteil an Erwinens Schicksal, liebt' ich den Knaben nicht, wie meinen Sohn? – Nun, daß wir am Ende alle sterblich sind –

Elmire Unglücksvogel!

Bernardo
    Hin ist hin,
Und tot ist tot!
Spare die vergebne Not,
Wirst ihn nicht dem Grab entziehn.
Tot ist tot!
Und hin ist hin!

    Verweine nicht die schönsten Zeiten;
Ich wett', ich freie dir den zweiten,
Jung, schön, und reich; keine Gefahr!
Wie manche trüge kein Bedenken,
Dem andern Herz und Hand zu schenken,
So würdig auch der erste war!

    Hin ist hin,
Und tot ist tot!
Spare die vergebne Not,
Wirst ihn nicht dem Grab entziehn.
Tot ist tot,
Und hin ist hin!

Elmire Ich erkenne dich nicht, Bernardo. Es fällt mir von den Augen, wie ein Schleier. So hab' ich dich noch nie gesehen. Oder bist du betrunken? so geh, und laß deinen Rausch bei einem Kammermädchen aus.

Bernardo Mir das, Fräulein?

Elmire Du siehst, ich möchte dich verteidigen. Bist du nicht der Mann, der in meiner ersten Jugend mir das Herz zu bessern Empfindungen öffnete, der nicht nur mein französischer Sprachmeister, sondern auch mein Freund und Vertrauter war. Du kommst, meines Schmerzens zu spotten, ohngefähr, wie ein reicher wollüstiger Esel seine Gemeinsprüche bei so einer Gelegenheit auskramen würde.

Bernardo Soll ich sie verderben? Soll ich ihnen mit leerer Hoffnung schmeicheln? Handl' ich nicht nach meinem Gewissen, wenn ich sie auf alle Weise zu bewegen suche, sich dem Schicksal zu ergeben?

Elmire Wenn ihr nur begreifen könntet, daß das gar nicht angeht. Schmerzenvolle Erinnerung, du bist das Labsal meiner Seele. Wäre er nicht so sittsam, so gut, so demütig gewesen, ich hätte ihn nicht so geliebt, und er wäre nicht unglücklich; er hätte merken müssen, daß ich mich oft nach ihm umsah, wenn er vor dem Schwarm unleidlicher eitler Verehrer zurücktrat. Nahm ich nicht seine Blumen mit Gefälligkeit an, aß ich nicht seine Früchte – doch immer fällts über mich, unerwartet fällts über mich in dem Augenblick, da ich mich sehnlichst entschuldigen möchte! Ich habe ihn gepeinigt, ich hab' ihn unglücklich gemacht.

Bernardo Wenn das so fort geht, will ich mich empfehlen. Das ist nicht auszustehn, wie sie sich selbst quälen!

Elmire Und ihn, ich hab' ihn nicht gequält? Habe nicht durch eitle leichtsinnige Launen ihm den tiefsten Verdruß in die Seele gegraben? Wie er mir die zwei Pfirschen brachte, auf die er so lang ein wachsames Auge gehabt hatte, die ein selbst gepfropftes Bäumchen zum erstenmale trug. Er brachte mir sie, mir klopfte das Herz, ich fühlte, was er mir zu geben glaubte, was er mir gab. Und doch hatte ich Leichtsinn genug, nicht Leichtsinn, Bosheit! auch das drückts nicht aus! Gott weiß, was ich wollte – ich präsentierte sie an die gegenwärtige Gesellschaft. Ich sah ihn zurückweichen, erblassen, ich hatte sein Herz mit Füßen getreten.

Bernardo Er hatte so ein Liedchen, mein Fräulein; ein Liedchen, das er wohl in so einem Augenblick dichtete.

Elmire Erinnerst du mich daran! Schwebt mirs nicht immer vor Seel und Sinn! Sing' ich's nicht den ganzen Tag? Und jedesmal da ichs ende, ist mir's als hätt' ich einen Gifttrank eingesogen.

    Ein Veilchen auf der Wiese stand
Gebückt in sich und unbekannt,
Es war ein herzigs Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin
Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,
Daher! Daher!
Die Wiese her, und sang.

    Ach denkt das Veilchen wär ich nur,
Die schönste Blume der Natur,
Ach! nur ein kleines Weilchen.
Bis mich das Liebchen abgepflückt,
Und an dem Busen matt gedrückt,
Ach nur! Ach nur!
Ein Viertelstündchen lang.

    Ach aber, ach! das Mädchen kam,
Und nicht in Acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Und sank und starb und freut sich noch,
Und sterb ich denn, so sterb ich doch
Durch sie! durch sie
Zu ihren Füßen doch!

Bernardo Das wäre denn nun wohl recht gut und schön, nur seh ich kein End' in der Sache. Daß sie, mein Fräulein, ein zärtliches liebes Herz haben, das weiß ich lange. Daß sie es unter dieser gleichgültigen manchmal spottenden Außenseite verbergen können, das ist ihr Glück; denn dies hat sie doch von manchem Windbeutel gerettet, der im Anfang vielleicht durch scheinende gute Eigenschaften einigen Eindruck auf sie gemacht hatte. Daß nun der arme Erwin drüber unglücklich geworden ist, haben sie sich nicht zuzuschreiben.

Elmire Ich weiß, daß du Unrecht hast, und kann dir doch nicht widersprechen; heißt man das nicht einen Sophisten, Bernardo? Mit all deinen Vernünfteleien wirst du mein Herz nicht bereden, mir zu vergeben.

Bernardo Gut, wenn sie von mir nicht absolviert sein wollen, so nehmen sie ihre Zuflucht zu einem Beichtiger, zu dem sie mehr Vertrauen haben.

Elmire Spottest du? Ich sage dir Alter, daß in solcher Lage der Seele nirgends Trost zu hoffen ist, als den uns der Himmel durch seine heiligen Diener gewährt. Gebet, tränenvolles Gebet, das mich auf meine Knie wirft, wo ich mein ganzes Herz drinne ausgießen kann, ist das einzige Labsal meines gequälten Herzens, der einzige trostvolle Augenblick, den ich noch genieße.

Bernardo Bestes edelstes Mädchen, mein ganzes Herz wird neu, mein Blut bewegt sich schneller, wenn ich sie sehe, wenn ich ihre Stimme höre. Ich bitte sie, verkennen sie mich nicht. Alles in der Welt, wo ich Güte des Herzens, Größe der Seele finde, erinnert mich an sie. Jede gute Stunde wünscht ich mit ihnen zu teilen. Ach! ehegestern, wie hab' ich an sie gedacht, wie hab' ich sie zu mir gewünscht!

Elmire Ist ihnen auf ihrer Spazierreise eine treffliche Gegend aufgestoßen? Haben sie ein Schauspiel reizender Unschuld, einfachen natürlichen Glücks begegnet?

Bernardo O meine beste! wie soll ich's ihnen ausdrücken, wie soll ich's ihnen erzählen! Ich ritt früh von meinem Freunde dem Pfarrer weg, um zeitig in der Stadt zu sein. Allein bald nach Sonnenaufgang kam ich in das schöne Tal, wo der kleine Fluß lieblich im Morgennebel hinunter wallte; ich ritt über die Furt, und sollte nun quer weiter meinen Weg. Da war's nun, wie ich hinab sah, gar zu schön! gar zu schön das Tal hin; ich denke: du hast Zeit, findest dich unten schon wieder, und so weiter – ritt ich am Fluß ganz gelassen hinunter.

Elmire Du wünschtest mich gewiß zu dir; so ein Morgen im Tale!

Bernardo Hören sie, mein Fräulein! ja, ich dachte an sie, an ihre Trauer, und murrte heimlich über das Schicksal, das die besten Herzen zu solcher Not geschaffen hat. Ritte dann ein Wäldchen hinein, kam wieder an den Fluß, dann über Hügel, und wollte auf meinen Weg wieder links einlenken, und fand, daß ich meine Direktion verloren hatte. Ich zerstudierte mich nach der Sonne, stieg ab, führte mein Pferd durch unwegsames Gebüsch, zerkratzte mich in den Sträuchen, zerstolperte mich, und stund, eh ich michs versah, wieder mit der Nase vor dem Fluß, der mit wunderbaren Krümmungen dahinabläuft. Es wurde felsiger, steiler; ich konnte weder auf, noch ab; weder hinter mich, noch vor mich.

Elmire Armer Ritter!

Bernardo An meiner Stelle hätten sie gewiß auch nicht gelacht. Aber wie war's mir, als ich aus dem Gebüsche mit freundlicher trauriger Stimme einen Gesang schallen hörte! Es war ein stilles andächtiges Lied. Ich rufe! ich gehe darauf los, ich schleppe mein Pferd hinter mir drein. Siehe! da erscheint mir ein Mann, voll Würde, edlen Ansehens, mit langem weißem Bart; und Jahre und traurige Erfahrung haben seine Gesichtszüge in unzählige bedeutende Falten gepetzt.

Elmire Wie wurd's ihnen bei dem Anblick?

Bernardo Wohl! sehr wohl! ich glaubte an Engel und Geister mehr, als jemals, in diesem Augenblick. Als er den Verirrten sah, bat er mich, in seine Hütte einzukehren; ich bedurfte einiger Erholung, und er versprach mir, die Pfade durchs Gebüsch zu zeigen, die mich der Stadt gar bald nahe bringen sollten; und so folgt ich ihm. O meine beste, welche Empfindung fiel über mich her! alles, was wir von romantischen Gegenden geträumt haben, hält dieses Plätzchen in einem. Zwischen Felsen, etwas erhaben über den gedrängten Fluß, ein sanftsteigender Wald, tiefer hinab eine Wiese, und sein Gärtchen, das alles überschaut, und seine Hütte, die Reinlichkeit, die Armut, seine Zufriedenheit! – Was beschreib ich! Was red ich! Sie sollen ihn sehn.

Elmire Wenns möglich wäre.

Bernardo Sie sollen! Sie müssen! Nie wird aus meinem Herzen der Eindruck verlöschen, den er drinne zurückließ. Ich mag die goldnen Worte nicht wiederholen, die aus seinem Munde flossen. Sie sollen ihn selbst hören, sie sollen entzückt werden; und beruhigt in ihrem Herzen zurückkehren.

Elmire Du mußt meine Mutter bereden, ja Bernardo. Aber allein mit dir will ich hin! Will hin! die Würklichkeit des Traums, der Hoffnung zu sehen, die ich mir in einsamen Stunden mache, so entfernt der Welt in mich selbst gekehrt mein Leben auszuweinen, und an dem Busen der Natur eine freundliche Nahrung für meinen Kummer einzusaugen.

Ich muß, ich muß ihn sehen
Den Göttergleichen Mann!

Bernardo
Ich will, ich will nur sehen,
Ob er nicht trösten kann!

Elmire
Keinen Trost aus seinem Munde,
Nur Nahrung meinem Schmerz!

Bernardo
Er heilet deine Wunde,
Beseliget dein Herz.

Elmire ab.

Bernardo (allein) Wie's uns Alten so wohl wird, wenn wir eine feine Aussicht haben, ein paar gute junge Leute zusammen zu bringen! Weine nur noch ein Weilchen, liebes Kind! weine nur! es soll dir wohl werden. – Hab ich ihn doch wieder! und die Mutter ists zufrieden, wenn ich ihm ein Amt schaffe; und das gibt der Minister gern, wenn ich ihm nur Erwinen wieder schaffe. Sie mag ihm dann noch eine hübsche Aussteuer dazugeben. Die Sache ist richtig. Schön! trefflich schön! wenns auch so ein paar Geschöpfchen drum zu tun ist, sich zu haben, soll man nicht alles dazu beitragen? So ein alter Kerl ich bin, wo ich Liebe sehe, ist mir's immer, als wär' ich im Himmel.

    Ein Schauspiel für Götter,
Zween Liebende zu sehn!
Das liebste Frühlingswetter
Ist nicht so warm, so schön.

    Wie sie stehn,
Nach einander sehn,
In vollen Blicken
Ihre ganze Seele strebt!
In schwebendem Entzücken
Zieht sich Hand nach Hand,
Und ein schaudervolles Drücken
Knüpft ein daurend Seelenband.

    Wie um sie ein Frühlingswetter
Aus der vollen Seele quillt!
Das ist euer Bild ihr Götter!
Ihr Götter, euer Bild!

 
Zwischen Felsen eine Hütte, davor ein Garten

Erwin im Garten arbeitend. Er bleibt vor einem Rosenstock stehen, an dem die Blumen schon abfallen.

Erwin
    Ihr verblühet süße Rosen,
Meine Liebe trug euch nicht.
Blühtet, ach! dem Hoffnungslosen,
Dem der Gram die Seele bricht.

    Jener Tage denk ich traurend,
Als ich Engel an dir hing;
Auf das erste Knöspchen laurend,
Früh zu meinem Garten ging,
Alle Blüten, alle Früchte
Noch zu deinen Füßen trug,
Und vor deinem Angesichte
Hoffnungsvoll die Seele schlug.

    Ihr verblühet süße Rosen,
Meine Liebe trug euch nicht.
Blühtet, ach! dem Hoffnungslosen,
Dem der Gram die Seele bricht.

Was hab' ich getan! Welchen Entschluß hab' ich gefaßt! Was hab' ich getan! – Sie nicht mehr sehn! Abgerissen von ihr! Und fühlst du nicht Armseliger, daß der beste Teil deines Lebens zurückgeblieben ist, und das übrige nach und nach traurig absterben wird! O mein Herz! Wohin! Wo treibst du mich hin! Wo willst du Ruhe finden, da du von dem Himmel ausgeschlossen bist, der sie umgibt? Täusche mich Phantasie! wohltätige Zauberin täusche mich! Ich sehe sie hier, sie ist immer gegenwärtig vor meiner Seele. Die liebliche Gestalt schwebt vor mir Tag und Nacht. Ihre Augen blinken mich an! Ihre heiligen reinen Augen! In denen ich manchmal Güte, Teilnehmung zu lesen glaubte – und sollte meine Gestalt nicht auch ihr vorschweben, sollte ich, den sie so oft sah, nicht auch in zufälliger Verbindung ihrer Einbildungskraft erscheinen! – Elmire, und achtest du nicht auf diesen Schatten? Hältst du ihn nicht freundlich einen Augenblick fest? Fragst du nicht: was hast du angefangen? Erwin? wo bist du hin Junge? – Fragt man doch nach einer Katze, die einem entläuft. – Vergebens! Vergebens! in den Zerstreuungen ihrer bunten Welt vergißt sie den abgeschiednen, und mich umgibt die ewig einfache, die ewig neue Qual, dumpfer und peinigender, als die mich in ihrer Gegenwart faßte. Abwechselnde Hoffnung und Verzweiflung bestürmen meine rastlose Seele.

Inneres Wühlen
Ewig zu fühlen;
Immer verlangen,
Nimmer erlangen;
Fliehen und streben,
Sterben und leben,
Höllische Qual
Endig' einmal!

Bernardo (kommt) Erwin!

Erwin Bernardo! grausamer Bernardo! verschonst du mich nicht mit deiner Gegenwart! ist es nicht genug, daß du meine einsame Wohnung ausspähtest, daß ich nicht mehr ruhig und einsam hier bleiben kann; mußt du mir so oft wieder erscheinen, jedes verklungene, jedes halb eingeschlafene Gefühl auf das menschenfeindlichste wecken! Was willst du? Was hast du mit mir? Laß mich, ich bitte dich!

Bernardo Immer noch in deiner Klause, immer noch fest entschlossen, der Welt abzusagen?

Erwin Der Welt? wie lieb ist mir's daß ich mich heraus gerettet habe. Es hat mich gekostet; nun bin ich geborgen. Mein Schmerz ist Labsal gegen das, was ich in dem verfluchten Neste von allen Seiten auszustehen hatte.

    Auf dem Land und in der Stadt
Hat man eitel Plagen!
Muß ums Bißchen, was man hat,
Sich mit'm Nachbar schlagen.
Rings auf Gottes Erde weit
Ist nur Hunger, Kummer, Neid,
Dich hinaus zu treiben.

Bernardo
Erdennot ist keine Not,
Als dem Feig' und Matten.
Arbeit schafft dir täglich Brot,
Dach und Fach und Schatten.
Rings, wo Gottes Sonne scheint,
Findst ein Mädchen, findst einen Freund,
Laß uns immer bleiben!

Erwin Sehr glücklich! Sehr weise!

Bernardo Junge! Junge! Wenn ich dich nicht so lieb hätte –

Erwin Hast du mich lieb, so schone mich!

Bernardo Daß du zu Grunde gehst!

Erwin Nur nicht, daß ich dir folgen soll, daß ich zurückkehren soll. Ich habe geschworen, ich kehre nicht zurück!

Bernardo Und weiter?

Erwin Habe Mitleiden mit mir. Du weißt, wie mein Herz in sich kämpft und bangt, daß Wonne und Verzweiflung es unaufhörlich bestürmen. Ach! warum bin ich so zärtlich, warum bin ich so treu!

Bernardo Schilt dein Herz nicht, es wird dein Glück machen.

Erwin In dieser Welt, Bernardo?

Bernardo Wenn ich's nun garantiere?

Erwin Leichtsinniger!

Bernardo Denn glaub mir, die Mädchen haben alle eine herzliche Neigung nach so einem Herzen.

    Sie scheinen zu spielen,
Voll Leichtsinn und Trug;
Doch glaub mir! sie fühlen:
Doch glaub, sie sind klug.

    Ein feuriges Wesen!
Ein trauriger Blick!
Sie ahnden, sie lesen
Ihr künftiges Glück.

Erwin Die Mädchen! – Ha! was kennen, was fühlen die! Ihre Eitelkeit ist's, die sie etwa höchstens einigen Anteil an uns nehmen läßt. Uns an ihrem Triumphwagen auf und ab zu schleppen! – Wenn sie Langeweile haben, wenn sie nicht wissen, was sie wollen, da sehnen sie sich freilich nach etwas; und dann ist ein Liebhaber oder ein Hund ein willkommnes Geschöpf. Den streichlen und halten sie wohl, bis es ihnen einfällt, ihn zu necken, und von sich zu stoßen; da denn der arme Teufel ein lautes Gepelfere verführt, und mit allen Pfötchen kratzt, wieder gnädig aufgenommen zu werden – und dann laßt ihnen einen andern Gegenstand in die Sinnen fallen, auf und davon sind sie, und vergessen alles, was man auch glaubte, daß ihnen noch so nah am Herzen läge.

Bernardo Wohl gesprochen.

Erwin Unterhalten, amusiert wollen sie sein, das ist alles, Sie schätzen dir einen Menschen, der an einem fatalen Abende in der Karte mit ihnen spielt, so hoch, als den, der Leib und Leben für sie hingibt.

Bernardo Wichtiger Mensch! Was hast du denn noch für ein Mädchen getan, daß du dich über sie beklagen darfst. Nimm ein liebenswürdig Weib, versorge sie, und ihre Kinder, trage Freud' und Leid des Lebens mit ihr; und ich versichre dich, sie wird dankbar sein, wird jeden Tag mit neuer Liebe und Treue dir um den Hals fallen.

Erwin Nein! Nein! Sie sind kalt, sie sind flatterhaft.

Bernardo Ists nicht schlimm für eine, wenn sie warm, wenn sie beständig ist; wenn sie da, wo ein junger Herr achttägigen Zeitvertreib bei ihr suchte, eine daurende Verbindung hofft, dem lügenhaften Schein traut, und sich einbildet, eine Aussicht von ganzem Glück ihres Lebens vor sich zu haben?

Erwin Ich will nichts hören! all deine Weisheit paßt nicht auf mich. Ich liebte sie für ewig! Ich gab mein ganzes Herz dahin. Aber da ich arm bin, war ich verachtet. Und doch hofft' ich durch meinen Fleiß sie so anständig zu versorgen, als einer von den übertünchten Windbeuteln. – Alles hätte ich getan, um sie zu besitzen.

Bernardo Alles getan? – Ja – unter andern gingst du auch auf und davon.

Erwin Wenn ich nicht umkommen, nicht an meiner ewig zurückgetriebenen Leidenschaft ersticken wollte!

    Sein ganzes Herz dahin zu geben,
Und Götter so verachtet sein!
Das untergräbt das innre Leben,
Das ist die tiefste Höllenpein.

Bernardo Hier gilt nun freilich nicht, was man sonst zu sagen pflegt: daß Verliebte so ein feines Gefühl haben, wie die Schnecken an den Hörnern, um zu spüren, ob man ihnen wohl will, oder nicht.

Erwin Wem auch das sein Herz nicht sagte, der wäre –

Bernardo Nur kein Esel, sonst kämst du in Gefahr –

Erwin Was?

Bernardo Einen Sack nach der Mühle zu tragen.

Erwin Ich kann nicht sagen: leb wohl! denn ich bin zu Hause.

Bernardo Also wenn ich mich zu Gnaden empföhle –

Erwin Bernardo –

Bernardo Nähmst du's nicht übel.

Erwin Mensch ohne Gefühl! der du dies Heiligtum meines Schmerzens mit kalten Sophismen und Spott entweihst; hier, wo eine anhaltende reine Trauer umherschwebt und mich erhält und verzehrt –

Bernardo Und damit wir des Wesens ein Ende machen – zög' er nicht den Kopf aus dem schwarzen Loche des Todes wieder zurück, wenn einer ihn zupfte, und rief: sie liebt dich?

Erwin Es ist falsch!

Bernardo
Sein ganzes Herz dahin zu geben,
Und wieder ganz geliebt zu sein,
Ist das nicht reines Himmelsleben?
Und welch ein Tor macht sichs zur Pein?

Erwin
Sein ganzes Herz dahin zu geben,
Und Götter so verachtet sein!
Das untergräbt das innre Leben,
Das ist die tiefste Höllenpein.

Bernardo Erwin?

Erwin Bernardo?

Bernardo Sieh mich an!

Erwin Nein!

Bernardo Nicht wild, nicht wirre! sieh mich starr an, und gut, und fest! Erwin! – Erkennst du deinen Bernardo?

Erwin Was willst du mit mir?

Bernardo Sei ruhig und sieh mich an! – Bin ich Bernardo, der dein ganzes Zutrauen, dein ganzes Herz hatte? Bin ich Bernardo, der dich nie betrog, nie deiner Empfindung spottete, sie nie täuschte, – willst du mir glauben?

Erwin Wer widerstünde dieser Stimme, diesem Ausdruck des edelsten Herzens! Rede Bernardo! rede!

Bernardo Erwin! – Sie liebt dich.

Erwin (in äußerster Bewegung sich wegwendend) Nein! Nein!

Bernardo Sie liebt dich!

Erwin (ihm um den Hals fallend) Ich bitte dich, laß mich sterben!

Nach einer Pause hört man von weiten Elmiren singen, Erwin fährt auf.

Bernardo Horch!

Erwin Ich vergehe! – das ist ihre Stimme! Wie mir der Ton durch alle Sinnen lauft! Rede! Rede! – Sie ists!

Bernardo Sie kommt!

Erwin Weh mir! Wohin? Wohin?

Bernardo Geschwind in die Hütte. Du sollst mit eignen Ohren hören, mit eignen Augen sehen, Ungläubiger! (Er hebt einen Pack auf den er zu Anfang der Szene an einen Baum geworfen.) Hier hab ich deine Maske mitgebracht. Komm, heiliger Mann. Erhole dich, du bist außer dir.

Er führt Erwinen ab, der ihm in der größten Verwirrung folgt.

Elmire (kommt singend das Tal her)
    Mit vollen Atemzügen
Saug ich Natur aus dir
Ein schmerzliches Vergnügen.
Wie lebt
Wie bebt
Wie strebt
Das Herz in mir!

    Freundlich begleiten
Mich Lüftlein gelinde,
Flohene Freuden
Ach! säuseln im Winde,
Fassen die bebende
Strebende Brust.
Himmlische Zeiten!
Ach! wie so geschwinde
Dämmert und blicket
Und schwindet die Lust!

    Du lachst mir liebes Tal,
Und du, o reine Himmels Sonne,
Erfüllst mich wiederum einmal
Mit aller süßen Frühlingswonne.
Weh mir! Ach! sonst war meine Seele rein,
Genoß so friedlich deinen Segen.
Verbirg dich Sonne meiner Pein,
Verwildre dich Natur, und stürme mir entgegen!

                Die Winde sausen,
            Die Ströme brausen,
            Die Blätter rascheln
            Dürr ab ins Tal.
            Auf steiler Höhe
            Am nackten Felsen
            Lieg' ich, und flehe
            Im tiefen Schnee,
            Auf öden Wegen
            Gestöber und Regen,
            Fühl ich und flieh ich
            Und suche die Qual.

Bernardo Ach! sind sie da, mein Fräulein?

Elmire Ich schlenderte so das Tal herauf, wie du es haben wolltest.

Bernardo Was haben sie? Wie ist ihnen?

Elmire (sich erholend) Gut, recht gut. – Wie im Paradiese! – und die Hütte – sie ist's! kann ich ihn sehen! – Ein Schauer überfällt mich, da ich ihm nahen soll.

Bernardo Gleich. Er kommt gleich. – Ich fand ihn im Gebet begriffen – aber was übel ist: er gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß er ein Gelübde getan habe, einige Monate kein Wort zu reden.

Elmire Eben, da wir kommen?

Bernardo Indessen treten sie kecklich zu ihm, eröffnen sie ihm ihr Herz. Er wird ihre Leiden fühlen, und sein Schweigen selbst wird ihnen Trost sein, seine Gegenwart. Vielleicht gibt er ihnen schriftlich ein tröstend Wörtchen, und wenn wir ihn wieder besuchen, so ist die Bekanntschaft gemacht.

Erwin mit langem Kleide, weißem Bart verhüllt tritt aus der Hütte.

Bernardo Er kommt, ich lasse sie.

Elmire Mir vergeht Himmel und Erde bei seinem Anblick!

Erwin tritt näher; sie grüßt ihn; er ist in der äußersten Verlegenheit, die er zu verbergen sucht.

Elmire
    Sieh mich Heilger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin.
Angst und Kummer, Reu und Schmerz
Quälen dieses arme Herz.
Sieh mich vor dir unverstellt,
Herr, die schuldigste der Welt.

    Ach! es war ein junges Blut,
War so lieb, er war so gut,
Ach! so redlich liebt' er mich,
Ach! so heimlich quält er sich –
Sieh mich Heilger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin.

    Ich vernahm sein stummes Flehn,
Und ich konnt' ihn zehren sehn,
Hielte mein Gefühl zurück,
Gönnt ihm keinen holden Blick.
Sieh mich vor dir unverstellt,
Herr, die schuldigste der Welt.

    Ach! so neid'scht' und quält' ich ihn,
Und so ist der arme hin!
Schwebt in Kummer, Mangel, Not,
Ist verloren! Er ist tot!
Sieh mich Heilger, wie ich bin,
Eine arme Sünderin.

Erwin zieht eine Schreibtafel heraus, schreibt mit zitternder Hand einige Worte, faltet sie zusammen, und gibt sie ihr. Sie will es aufmachen, er hält sie ab, und macht ihr ein Zeichen, sich zu entfernen.

Elmire Ich verstehe dich, würdiger Sterblicher; ich soll weg, soll dich deinen heiligen Gefühlen überlassen, soll diese Tafel in deiner Gegenwart nicht eröffnen. Wann darf ich es tun? Wann darf ich diese heiligen Züge schauen, küssen, in mich trinken?

Erwin deutet in die Ferne.

Elmire Wenn ich werde an jene hohe Linde gekommen sein, die an dem Pfade neben dem Fluß steht?

Erwin nickt.

Elmire Leb wohl! für diesmal wohl! du fühlst, daß mein Herz bei dir zurückbleibt. (ab)

Erwin (mit ausgestreckten Armen schaut ihr einige Augenblicke stumm nach, dann reißt er die Maske weg, und den Mantel, und die Musik fällt ein)
    Ha sie liebt mich!
Sie liebt mich!
Welch schreckliches Beben!
Fühl ich mich selber?
Bin ich am Leben?
Ha! sie liebt mich!
Sie liebt mich!

    Ha! rings so anders!
Bist du's noch Sonne?
Bist du's noch Hütte?
Trage die Wonne
Seliges Herz!
Sie liebt mich!
Sie liebt mich!

Bernardo (hervortretend)
    Ja, sie liebt dich,
Sie liebt dich!

    Siehst du, die Seele
Hast du betrübet;
Immer, ach immer
Hat sie dich geliebet.

Erwin
    Ich bin so freudig,
Fühle so mein Leben!
Götter, selbst Götter
Würden mir vergeben.

Bernardo
    Ach! ihre Tränen
Tust ihr nicht gut.

Erwin
    Sie zu versöhnen,
Fließe mein Blut.
Sie liebt mich?

Bernardo
    Sie liebt dich!
Wo ist sie hin?

Erwin Ich habe sie den Weg hinab geschickt, um nicht von Füll und Freude des Tods zu sein. Ich schrieb ihr auf ein Täfelchen: Er ist nicht weit.

Bernardo Sie kömmt! nur einen Augenblick in dies Gesträuch.

Sie verbergen sich.

Elmire
    Er ist nicht weit!
Wo find' ich ihn wieder?
Er ist nicht weit!
Mir beben die Glieder,
O Hoffnung! o Glück!
Wo geh ich? Wo such ich?
Wo find' ich ihn wieder?
Ihr Götter erhört mich!
O gebt ihn zurück!
Erwin! Erwin!

Erwin Elmire, (er springt hervor)

Elmire Weh mir!

Erwin (zu ihren Füßen) Ich bin's.

Elmire (an seinem Hals) Du bist's.

Die Musik wage es,
die Gefühle dieser Pausen auszudrücken.

Bernardo
    O schauet hernieder,
Ihr Götter, dies Glück!
Da hast du ihn wieder,
Da nimm sie zurück.

Erwin
    Ich habe dich wieder,
Hier bin ich zurück!
O schauet hernieder,
Und gönnt mir das Glück.

Elmire
    Ich habe dich wieder,
Mir trübt sich der Blick.
Ich sinke darnieder,
Mich tötet das Glück.

Bernardo Empfindet, meine Kinder, empfindet den ganzen Umfang eurer Glückseligkeit! dieser Augenblick heilet alle Wunden eurer Herzen, die Welt wird wieder neu für euch, und ihr schaut in eine grenzenlose Aussicht von liebevoller ungetrennter Freude.

Erwin Mein Vater! Hier halt ich sie in meinen Armen! Sie ist mein!

Elmire Ich hab' eine Mutter, zwar eine liebevolle Mutter; doch, wird sie in unser Glück willigen?

Erwin Kann ich ihr wert scheinen? –

Bernardo Da seid unbesorgt vor! es ist, war ihr so angelegen, als mir, euch Närrchen zusammen zu bringen. Und wir beide haben mit größter Sorgfalt auch schon euern häuslichen und politischen Zustand in Ordnung gebracht, woran sich's meistenteils bei so idealischen Leutchen zu stoßen pflegt.

Erwin Himmel und Erde, was soll ich sagen?

Bernardo Nichts! das ist das sicherste Zeichen, daß dirs wohl ist, daß du dankbar bist! Nun kommt! unser Wagen hält eine Strecke das Tal droben. Ich bring' euch an das Herz eurer Mutter, welcher Jubel für die rechtschaffne liebevolle Alte! kommt.

Erwin Kommt!

Sie gehen, Erwin hält auf einmal, und kehrt sich nach der Hütte.

Ich gehe, und schaue mich nicht nach dir um! danke dir nicht! ehre dich nicht! sage dir kein Lebewohl, du freundlichste Wirtin meines Elends –

Entzückt zu Elmiren

O Mädchen, Mädchen, was macht ihr uns nicht vergessen!

Gegen die Hütte

                Vergib mir die Eile!
            Ich weile
            Nicht länger hier.
            Verzeihe!
            Ich weihe
            Noch diese Träne dir.

Zu Elmiren

                Engel des Himmels
            Deinem sanften Blicke
            Dank' ich all mein Glücke,
            Mein Leben dank ich dir!

Gegen die Hütte

                Verzeihe!
            Ich weihe
            Noch diese Träne dir.

Elmire
                Ach! ich atme freier,
            Du hast mir vergeben.
            All mein künftig Leben
            Liebster! weih ich dir

Bernardo
                Zu dem heilgen Orte
            Kehrt ihr einst zurücke,
            Fühlet alles Glücke
            Alles Lebens hier

Erwin
                Engel des Himmels!
            Deinem sanften Blicke
            Dank ich all mein Glücke,
            Mein Leben dank ich dir

 


 


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