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Reinhard Goering

Seeschlacht

Personen

 

Die Handelnden sind sieben Matrosen, die im Panzerturm eines Kriegsschiffs in die Schlacht fahren. Zu Beginn befinden sich alle mit Ausnahme des dritten, fünften und siebenten im Panzerturm; der sechste am weitesten im Hintergrund. Das Stück beginnt mit einem Schrei.

 

Der erste Matrose: Ein Zeichen! Ein Zeichen!

Der zweite Matrose: Was schreit einer da? Was für Unsinn schreit einer da!

Der erste Matrose: Ein Zeichen! Ein Zeichen, ob wir sie treffen und wie's ausgeht.

Der zweite Matrose: O alter Narr! Wo denn ein Zeichen?

Der erste Matrose: Ein Zeichen am blauen Himmel, ob wir sie treffen und wie's ausgeht.

Der zweite Matrose: O alter Narr! Sei froh, wenn du nichts siehst als Blau am blauen Himmel! War einer mal bei uns, der sah Zeichen am blauen Himmel. Sitzt heute hinterm Gitter! Der sang, der sang hinterm Gitter: O Himmelsblau! O Himmelsblau! Meine Blicke irren in dir wie Wandrer in der Wüste und sterben – durstig. Kläglich klang es. Wir lachten.

Der vierte Matrose: Lachen sollte auch hinters Gitter bringen.

Der zweite Matrose: Kläglich klang es. Wir lachten. Ist Lachen so ein schlimmes Ding? Wir haben manch Gelächter auf dem Kerbholz und müssen große Sünder sein demnach. Weinen ist besser wohl?

Der vierte Matrose: Weinen – wenn's das noch gibt – sollte bestraft werden.

Der zweite Matrose: Und was belohnt?

Der vierte Matrose: Nichts.

Der erste Matrose: Wenn aber einmal klar wird, was die oberen Mächte mit uns wollen –

Der zweite Matrose: O weh! Kommst du noch damit, Mann: Fängst du dir Flöh mit oberen Mächten? Gingst du drei Schritt allein mit oberen Mächten? Wie man nur Kinderlippen lügen lehrt mit diesem oberen Machtgeplapper, bis dann die bitteren Mäuler schrein, weil sie allein sind! Wie man den Augen Zutrauen zu sich selber stiehlt! Und Hinteraugen schafft mit Krötenblicken! Kein Tag ist heiter durch eine obere Macht! Oder Freund, hast du hier am Rohr schon mal so einen richten sehn von auswärts, unbekannt, nicht von unserer Farbe, mit Larvenfingern und geisterhaftem Glimmern übers Meer? Sahst du schon so was? Weibergeschwätz. Hutziehen derer, die nicht wagen! Sei auf der Hut davor!

Der erste Matrose: Du willst nicht leugnen, daß einer Ahnung haben kann, daß etwas in uns Zeichen gibt, aus denen wir, was kommen soll, erfahren?

Der zweite Matrose: Sei einmal ganz still, Junge! Hörst du es singen? Nenn's Keuchen, wenn du lieber willst. Keuchen, dem nie der Atem knapp wird! Sieh mal dahin! Gefällt nicht auch dir sehr dies Spiel, leicht, lautlos, katzenhaft und geduldig der Achsen hier? Dies Rohr von bestem Fleisch wie eine Kaiserin bedient! Das sind Zeichen, aus denen du ergründen magst, wie's uns gehen wird. Das und die verfluchten Leiber hier, und was drin blutgenährt ist! Wenn wir nichts weiter an Bord hier hätten, als was du sagst, worauf du baust, behaupte ruhig: Wir sind Schweine, die zum Metzger fahren. Doch was für langweiliges Orgeln! Kannst du tanzen? Konntest du's wenigstens? Bist Tänzer auch? Was willst du mehr als Tanz und Schlaf! Schlacht! Sagt man nicht »heißer Tanz« dafür? Schlaf! Ist Tod was anderes ? Haben wir unsere Köppe zu was Besserem als Trällern? Ist nicht heut letzter Mai? Wenn wir an Land auf Dunkel warteten, anstatt im Wasser hier auf Feind, es sollte ein lustiger Tanz heut werden! Weißt du! Du weißt doch!

Er trällert.

Der erste Matrose: Mit leisen Laternen schleicht hier oben etwas hin. Davon kann ich mit dir nicht sprechen, aus meilenlosen Ländern kommt das. Das wäre nichts? Ahnungen gäb's nicht? Oh, warum bin ich heute schwach und rede!

Der vierte Matrose: Von Zeichen spricht er immer noch?

Der zweite Matrose: Von Ahnung jetzt.

Der vierte Matrose: Ahnung! Morgennebel des Hirns! Kinder und Weiber stehen darin. Wenn einmal Sonne Mannheit aufschwebt zum Mittagspunkt, ist Ahnung nur ein übler Dunst im klaren Bau der Welt.

Der zweite Matrose: Was denn für Ahnung, Junge? Zeig mal!

Der erste Matrose: Daß wir sie diesmal treffen, und daß keiner zurückkommt.

Der vierte Matrose: Hoho! Du ahnst nach dem Gewitter! Wir alle, wie wir sind hier, sind doch ersoffen schon. Und ob's heute der Fall ist? Wie das wissen? Was nützt es wissen wollen? Kommt, wie es kommt. Was du dir ausdenkst, ist all Märchen. Man sollte der Märchen einmal müde werden.

Der zweite Matrose: Da hör den Mann! Ahnung kommt doch nicht gar von Angst? Bist doch nicht bange! Wie?

Der erste Matrose: Wenn wir heute abberufen werden, ist nicht viel Zeit mehr, sich bereitzumachen.

Der zweite Matrose: Der Mann ist nicht aus dieser Zeit. Spricht er schon lange so? Du hast sehr wenig wohl geküßt bis jetzt, dir tun die Veilchen leid, die, wie du zu spät siehst, man pflücken kann!

Der sechste Matrose: Vier Uhr. Hört ihr, Jungens? Wir sollen schlafen, schlafen, damit wir kräftig sind, wenn's Ernst wird. Legt euch hin, Jungens!

Der dritte Matrose tritt ein.

Der dritte Matrose: Wetten: Treffen sie! Wetten, daß wir sie treffen? Der halbe Tag ist rum, treffen wir sie, eh er zu Ende ist?

Der zweite Matrose: Wen denn?

Der dritte Matrose: Schiffe! Esel!

Der zweite Matrose: Hoho! Lacht! So warm sah ich ihn nur, wenn er nach Freundinnen frug. In jedem Hafen hat er welche. Siehst so sehnsüchtig aus, Junge!

Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe!

Der zweite Matrose: Malaische Umarmungen, die zwei Minuten leben; bis die Sirene wieder heult; ohne Gebet noch Andacht; nur die Tat: Da geht er kälter ran! Pfui wie der Mann aussieht!

Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe!

Der Zweite Matrose: Meister der Hafenliebe, die unter Püffen reif wird!

Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe! Laß mich Fleisch Feuer nennen, das weh tut. Ich will blöd und allein an Bord bleiben, wenn Ankerketten in fernen Häfen rasseln, alles tun, was ihr wollt. Soll ich nur Schlacht erleben, Kampf, Probe, Messen, wer besser ist und meerhafter, wir oder sie?

Der zweite Matrose: Geduld, Junge.

Der dritte Matrose: Geduld für Affen! Die Welt ist zu geduldig heute! Geduld ist kein Merkmal von Schönheit.

Der erste Matrose: Geduld selbst ist schön.

Der dritte Matrose: Schiffe! Schiffe! Warten, Untätigkeit: Dies Gift zehrt Männer schneller als eingesperrte Brunst.

Der zweite Matrose: Geduld! Da ist einer, der hat gesagt, daß wir sie heute treffen und daß es Schlacht gibt.

Der dritte Matrose: Wer? Der da? Wie weiß er das?

Der zweite Matrose: Von seiner Tante, die ihn schon immer warnte vor dem bösen Mai!

Der erste Matrose: Wilde Gesellen! Hab ich nicht wie ihr mein Teil gewacht hier auf dem Wasser und übers Meer geschaut zu Tag- und Nachtzeit? Und Schlacht gewünscht wie ihr? Fern, fern wie Strichchen sah ich Rauch von Schiffen. Das konnten Feinde sein. Wären sie's, sprach ich wie ihr! Doch meine Augen blieben unverführt. Niemand kann mir nachsagen, daß ich zu schnell gesehen oder zu rasch gerufen. Warum verlacht ihr mich? Wartet! Ihr werdet manches lernen, eh's Abend wird!

Der dritte Matrose: Wir lernen nichts mehr! Mein Kopf als Pfand. Was hätten wir zu lernen auch!

Der zweite Matrose: Gib acht, wie wir ersaufen können, wenn's sein muß, als hätten wir's gelernt. Wie wir die Blicke, noch voll vom Jugendglanz der Welt, ins salzige Wasser senken, salzige Tränen sparend.

Der dritte Matrose: Deshalb Schiffe! Schiffe! Für alles andre laß uns selber sorgen.

Der zweite Matrose: Frei Meer! Frei Meer! Gefällt es nicht auch dir und ist's nicht rühmlich, 'wenn dann in Sommernächten die See liebkosend mit dem Sand ein Danklied uns als den Befreiern singt, oder die Welle dem spröden Fels von unseren Taten rauscht. Solange Welle rollt.

Der sechste Matrose: Schlaft, Männer! Schlaft! Bald werdet ihr neu gebraucht.

Der vierte Matrose: Durch Glut wie diese kocht man sich selber weich! Wenn Schiffe kommen, wenn erst ein Aug sie ausmacht und dann von Mann zu Mann die Kunde springt, wenn Kiele jagen, Rohre schwenken, Schlacht brüllt, nackte Männer in Kohlenbergen springen und alles ächzt vor Tat, sagt mir: was ist's weiter, als wir tun unsre Arbeit, wie sie uns zufiel? Was ist soviel geändert?

Der dritte Matrose: Fragst du das uns?

Der vierte Matrose: Ja euch!

Der dritte Matrose: Himmel und Hölle, wenn Schlacht ausbricht, Messen, Ernst, Probe, wer besser ist und meerhafter; wenn es sich zeigt, ob wir sind, was wir von uns halten; wenn Spiel Ernst wird und Wahrheit vortritt: Das nennt er: Nichts geändert!

Der vierte Matrose: Nenne ich nichts geändert.

Der dritte Matrose: Und du? Und du? Und du?

Der zweite Matrose: Mich dünkt, alles ist anders, wenn Schlacht anbricht, wie dieser es voraussagt.

Der vierte Matrose: Und mich: Männer sind solche, für die, was auch kommt, nichts ist geändert.

Der sechste Matrose: Schon geht es auf halb fünf. Schlaft Männer, schlaft! Bald werdet ihr neu gebraucht.

Der dritte Matrose: Wir müssen schlafen jetzt.

Der zweite Matrose: Frühes zu Bett gehen! Unsere Betten sind Eisenplatten, wo jeder Kopf schon seine Kaule hat.

Der vierte Matrose: Wie ist die See?

Der zweite Matrose: Still. Ruhig! Wie eine Schafherde. Wind aus Nordwest kost sie. Es wäre ein Tag, mit Mädels zu segeln. Vorhin passierten wir Sylt. Die feine, blonde Insel war nie geliebt von sanfter Welle.

Der vierte Matrose: Sahst du Posten am Land?

Der zweite Matrose: Überall. Und sie wachen! Sie sahen uns fahren. Ihr Herz folgt uns und ihr Neid.

Der vierte Matrose: Neid sagst du? Glaubst du wirklich Neid?

Der sechste Matrose: Schlafen. Die Zeit rinnt! Bald wird man neu uns brauchen.

Der zweite Matrose: Seht, wie er schon sein Rohr im Arme hat! Als wollte er Samoa träumen. Junge, wie wär's, damit wir besser schlafen, du gäbst uns was zum besten von Samoa! Wie dort Liebe nordische Keuschheit prellt.

Der dritte Matrose: Samoa! Insel! Soll ich noch schnell erzählen? Versprecht mir eins: wenn mich Tod holt, schreit mir nochmal das Wort ins Ohr!

Der zweite Matrose: Gut, wir versprechen's.

Der dritte Matrose: Oh, haha, Samoa! Als wir zum erstenmal dort landeten, glaubten wir, es sei Morgen und wir besoffen alle. Kerle, die plärrten in der Sonne und nannten kühl, närrisch, kalt, trostlos ihr Heimatland. Schworen, sie würden nicht mehr atmen können zu Haus. Was wollt ihr wissen? Unsere Väter waren Esel, daß sie nicht hingingen, und Schurken, daß sie uns dort nicht zeugten! Wir waren da drei Tage. Da war uns allen, als wären wir bis dahin Irrsinnige gewesen, Esel, die sich selbst beladen mit Kram und Umständen von anderen, ganz wertlosem Ballast und darunter keuchen.

Der fünfte Matrose tritt ein und geht, ohne jemanden zu beachten, in eine Ecke, wo er sich hinsetzt.

Da kommt einer zur rechten Zeit. Komm her, Junge, erzähl ihnen von Samoa. Warst ja dabei. Wenn sie schreien gleich: ich lüge, schrei du: Lügt nicht! Hörst du? Wie? Keinen Gruß? Stumm wie 'ne Wand? Keinen Gruß für uns?

Der vierte Matrose: Den laß schlafen. Er hat die dritte Wache hinter sich.

Der dritte Matrose: Jung, hör, wir sprechen von Samoa.

Der zweite Matrose: Laß ihn in Ruh. Erzähl uns weiter.

Der dritte Matrose: Weiber gibt's da! Wir nannten's: Dattelnpflanzen! Haben wir Datteln da gepflanzt! Einmal – ich lüge nicht – kommen wir ins Dorf. Zwei Wochen waren wir da. Da haben wir geglaubt zu leben. Was wir bis dahin kannten, war krüppelhaft. Waren freundliche Leute dort, hatten komische Sitten. Zum Beispiel sagten sie: Leben ist kurz. Mach dir's nicht künstlich schwer! Trüb es nicht selbst. Lieber erhängte einer sich, als daß er eine Stunde schief sah. Weiber waren immer zwei und zwei zusammen und immer zwei zählten für eine. Ich lüge nicht. Es waren lustige, flinke Dinger, halfen sich und den Männern, und wir sahen niemals eine Gesichter ziehen. Wir haben Datteln gepflanzt, so viel wir konnten.

Der zweite Matrose: Aufschneider! Was er uns da vorlügt. Sollen schlechte Träume haben.

Der vierte Matrose: Wer macht, daß man mal anderes als Seeschlacht träumt an Bord, den laß lügen!

Der dritte Matrose: Sagt einer da, ich lüge? Fragt doch den schläfrigen Mann dort hinter mir. Fragt ihn!

Der vierte Matrose: Macht leise, er schläft schon.

Der zweite Matrose: Die Augen hat er noch auf. Augen, Fische zu töten damit. Wie ein Küster, der Beten heuchelt.

Der dritte Matrose: Fragt ihn.

Der zweite Matrose: He, Junge!

Der dritte Matrose: Keine Antwort.

Der vierte Matrose: Ihr sollt ihn schlafen lassen.

Der dritte Matrose: Halt! Hab ich nicht den Burschen so gesehen? Wenn da in einem Hafen was besonders Nettes stand, wo es geschrieben war im Aug, um den gerafften Rock, auf lockrem Strumpf, in losem Ausschnitt, den Nacken kitzelnd, dann war der Bursch genauso. Sah hin, als hing er fest da. Ging nicht ran. Stand wie ein Pfosten. Plötzlich erinnert er sich, daß er an Bord noch was zu tun hat, und stürmt weg. So war der Mann. Holla, Junge!

Der zweite Matrose: Hört nicht.

Der erste Matrose: Lauscht anderen Stimmen als den euren.

Der zweite Matrose: Wird nicht viel hören dann.

Der erste Matrose: Oder denkt an Mutter, Freund oder Braut.

Der zweite Matrose: Haben Mütter auch und Freunde und was wie Braut aussieht. So viel wir wollen. Hören deshalb doch, wenn man ruft, und sagen: Guten Tag.

Der dritte Matrose: Was hilft schreien nach der Mutter. Genug, wenn sie nach uns schreien. Von Kommandant bis Koch gibt es nur einen Gedanken jetzt und den hat er: Paßt auf, wie es ihn hochbringt. Junge: Schiffe! Feindliche Schiffe!

Der zweite Matrose: Hier ist einer, der ahnt, daß es heute losgeht. Wir sollen viel lernen noch und dann ersaufen. Steht so im blauen Himmel.

Der vierte Matrose: Verdammte Schreier, wollt ihr den Mann in Ruh lassen, der euch zwei Wachen abnahm!

Der erste Matrose: Der sieht vielleicht, was wir nicht sehen; in dem geht vor, was in uns unten bleibt.

Der zweite Matrose: Solche Käuze gibt's. Doch der ist keiner davon.

Der erste Matrose: Wie willst du das wissen?

Der zweite Matrose: Der lacht den ganzen Tag. Das ist ein Lustiger wie wir!

Der dritte Matrose: Wecken wir ihn. Bei allen feinen Tagen, die wir hätten, und feineren, die wir haben werden, was ist in dich gefahren, Junge? Willst du was tun, und bist unschlüssig? Pack's bei der Gurgel. Frag nicht lang! Nicht erst das Wort suchen, das sagt: 's ist gut! Frei weg getan! Willst du schlafen? Dann Augen zu! Erst eins dann auch das andere! Uns friert sonst. Es muß Glanz sein in Augen, sonst taugt das Essen nicht.

Der vierte Matrose: Halb fünf! Nun ist es Zeit und ich befehle: Hinlegen, schlafen und kein Wort mehr! Gehorcht.

Der dritte Matrose: Wird wieder nichts aus dieser Meerfahrt. Hole der Deubel so ein Leben!

Der zweite Matrose: Wenigstens haben wir gelernt diesmal: das blaue Himmelsalphabet, und daß es Leute gibt, die in die Luft starren, hören nichts und sagen auch nicht guten Tag.

Die Leute legen sich hin und schicken sich an einzuschlafen. Der fünfte Matrose macht nach einer Weile einige Bewegungen mit den Armen.

Der zweite Matrose: Verdammt! Da fängt er an zu hampeln.

Der dritte Matrose: Laß ihn hampeln und strampeln. Können ihm nicht helfen.

Der zweite Matrose: Haut sich mit Geistern.

Der dritte Matrose: Macht wenig Lärm das.

Der zweite Matrose: Wischt sich Mücken aus dem Auge.

Der dritte Matrose: Wir haben keine drin. Vielleicht sieht er auch Männerchens wie neulich einer, der Leute übers Wasser kommen sah.

Der zweite Matrose: Krank also?

Der dritte Matrose: Geht uns jetzt nichts an.

Der erste Matrose: Was ihr für starre Kerls seid! Was für harte Kerls! Ich wundere mich.

Der dritte Matrose: Uns wundert nichts. Da beginnt der Mensch. Hör lieber jetzt die Wellen. Heiapopeia. Die Wellen wundern sich auch über nichts. Hörst du?

Der erste Matrose: Was seid ihr wilde Kerls!

Der dritte Matrose: Machen wenig Umstände. Das ist alles. Gewöhn dir's auch an, dann geht's dir besser. Heiapopeia, hör auf die Wellen. Machen auch wenig Umstände.

Die Leute schicken sich wieder an zu schlafen, nach einer Weile beginnt der fünfte Matrose zu murmeln.

Der zweite Matrose: Schockschwerenot, da fängt er an zu predigen.

Der dritte Matrose: Desto besser werden wir schlafen.

Der zweite Matrose: Sieh ihn dir doch mal an. Hör doch mal.

Der dritte Matrose: Warum so feierlich? Was ist denn los mit ihm?

Sie hören sich eine Weile das Murmeln des fünften Matrosen an, dann steht der dritte Matrose auf.

Der dritte Matrose: Flagge, verzeihe, was ich jetzt sage! Doch gesagt muß es werden. Hier an Bord ist einer, der Angst vorm Sterben hat. Wollt ihr wissen, wo er sitzt? Da! Verzeih mir, Flagge, daß ich es sagen muß. Grundlos beschuldige ich niemand. Der Mann hat Furcht vor Tod, das ist's.

Der vierte Matrose: Furcht vor Tod ist eine Sage geworden.

Der dritte Matrose: Ich habe eben gehört, wie er: Tod, Tod, weiter nichts als das murmelte. Einer, der Seeschlacht nicht wünscht, der lieber nach Haus führe, der Tod murmelt, Tod, Tod.

Der vierte Matrose: Furcht vor Tod gibt's nicht mehr.

Der zweite Matrose: Wer sie hatte, hat sie verlernt.

Der vierte Matrose: Ein Wort! Denken kann er sich nichts dabei.

Der dritte Matrose: Soviel ist sicher: Platz ist hier nicht mehr für den. Oder sollen wir einen hier drin haben, der uns vor Angst stirbt, ehe ein Schuß gefallen ist?

Der vierte Matrose: Unsinn, das tut keiner.

Der dritte Matrose: Was willst du mit ihm anfangen?

Der vierte Matrose: Was ich mit ihm anfangen will? Mit dem da? Nichts.

Der zweite Matrose: Nichts ist wenig.

Der dritte Matrose: Bei der Angst, die er im Kopp hat?

Der vierte Matrose: Ist doch gleich, was einer im Kopp hat. Darauf kommt's doch nicht an.

Der zweite Matrose: Ist krank, habe ich gesagt.

Der vierte Matrose: Die Krankheit kennen wir. Sobald es zu bummen anfängt, ist sie vorbei. Seid doch nicht so besessen, Jungens. Ist das der erste, den es anfällt? Geht eben allen so, die nicht warten können.

Der dritte Matrose: Wie ein Schlag ins Gesicht ist mir der jetzt.

Der vierte Matrose: Nehmt euch doch nicht so wichtig, Kerls! Bleibt sonst euer Leben lang Anfänger.

Der dritte Matrose: Der Mann muß raus! Wollt ihr? Wir schaffen ihn raus.

Der vierte Matrose: Langsam. Übereilt euch nicht. Einen Augenblick. Zu befehlen habe ich, glaube ich wenigstens. Hinlegen, schlafen! Es ist Befehl. Und ein für allemal: Ruhe. Du da, warte darauf, bis du abbitten wirst.

Der dritte Matrose: Abbitten! Das müßte wunderbar kommen.

Der vierte Matrose: Was ist die Zeit?

Der zweite Matrose: Dreiviertel fünf! Wir müssen nicht weit vom Skagerrak jetzt sein. Die See ist ruhig. Ab und zu nur ein Klatsch.

Der erste Matrose: Bald wird manch glasiger Mann am Land der Juten aus dem Wasser steigen.

Der zweite Matrose: Glasiger Mann? Was schwätzt du da?

Der erste Matrose: Bald wird manch glasiger Mann am Land der Juten aus dem Wasser steigen.

Die Leute schlafen nun ein. Das Murmeln des fünften Matrosen hebt wieder an und wird verständlich.

Der fünfte Matrose: Was tun? Es ist wie Schnaken, die einen nicht schlafen lassen. Die lauter summen, wenn man still liegt. Hat eine sich hergefunden, gleich sind tausend da. Vielleicht besser: sich stechen lassen, als rumhauen so! Mein Vater, dessen Vater, kannten das noch nicht. Sie hatten nur Gedanken, die ihnen nützlich waren. Ihr Hirn war ihnen, was dem Hund die Nas ist. Sie rochen denkend. Uns stehen Schwärme mit tausend Stacheln um den Kopf. Wenn da Blut ist, das fault im Schädel wie Wasser im alten Schwamm: Daraus mögen Blasen aufsteigen noch so schillernd: es ist Verwesung. Blase oder Licht: das entscheidet! Fort über das Meer, zur Nacht, zu den Wellen, wo euer Geschwister sich wiegt, unfaßbar, ungreifbar, doch so, daß wir träumen, wenn wir lang hinschauen. Ganz neue Blume? Hat man die schon werden sehen? Die Welt trottet zum selben Stall? Ist da aber etwas schwebend zwischen uns, das plötzlich einen anfällt, wie Pest Bauern und Herrn schlägt: Dann lieber doch, sich verkriechen, betäuben, schreien: Nicht ich, nicht ich! Ehe es einen ansteckt. Sind wir nicht gesattelt mit Lederglaubensartikeln, die Sturm und Wetter überdauern?

Die schlafenden Matrosen haben zu träumen begonnen und unterbrechen jetzt den fünften.

Der zweite Matrose: Mein Arm? Laß los!

Der dritte Matrose: Mein Knie? Geh runter!

Der zweite Matrose: Nichts.

Der dritte Matrose: Siehst du Strichchen?

Der zweite Matrose: Strichchen? Gebt einmal noch zu essen jedem Mann. Langt zu. Schlingt's in euch. Freßt.

Der dritte Matrose: Wozu mästet man uns?

Der zweite Matrose: Freßt! Schmeckt's? Freßt!

Der dritte Matrose: Hat nicht Geschmack.

Der zweite Matrose: Schmeißt allen Dreck von Deck.

Der dritte Matrose: Nichts.

Der zweite Matrose: Siehst du Strichchen?

Der vierte Matrose: Nicht schlafen. Kann nicht schlafen. Hilf einer schlafen mir!

Der zweite Matrose erhebt sich halb.

Der zweite Matrose: Noch nicht?

Er sinkt wieder hin; der dritte tut wie er.

Der dritte Matrose: Noch nicht?

Der zweite Matrose: Wann hört das Warten auf?

Der dritte Matrose: Wann hört das Warten auf?

Der vierte Matrose: Ich kann nicht schlafen. Hilf einer schlafen mir.

Die Leute sind wieder still, machen aber noch Bewegungen.

Der fünfte Matrose: Euer Traum? Ja. Meiner auch? Kommt ihr hoch, Kerls? Liegt wieder auf dem Ohr! Seemannsblut, das wie die Welle jäh steigt und fällt. Was zuckt und ruckt ihr? Was ist euer Wille? Schlacht. Dreimal Schlacht, ohne warum noch wie. Nur her damit. Schlacht! Liegt wieder auf dem Ohr.

Der fünfte Matrose tritt vor den vierten.

Der fünfte Matrose: Und dieser will, daß man ihm schlafen hilft. Schläfst du denn nicht? Ein Toter schliefe nicht besser. Und schreit doch: gebt mir Schlaf?

Der fünfte Matrose tritt vor den ersten.

Der fünfte Matrose: Aber dieser! Sagt gar nichts? Schläft! Als wollte er sagen: Ich bin geborgen. Schlaf süß! Schlaf süß!

Er tritt weg.

Der fünfte Matrose: Schlaft alle. Denn einer wacht ja hier. Wenn der jetzt schliefe, wäre es weiter nichts als Feigheit.

Der erste Matrose erhebt sich, tritt hinter den fünften und legt ihm die Hand auf die Schulter.

Der erste Matrose: Ich schlafe auch nicht, Kamerad.

Der fünfte Matrose: Gespenst!

Der erste Matrose: Verzeih, wenn ich dich erschreckt habe.

Der fünfte Matrose: Hölle und Teufel, ein Gespenst könnte nicht leiser sich erheben und tonloser ächzen wie du jetzt. Was willst du?

Der erste Matrose: Sagen, daß ich nicht schlief.

Der fünfte Matrose: Tatst aber so! Schienst doch so süß zu schlafen. Spieltest also? Was willst du jetzt bei mir hier spielen? Rede.

Der erste Matrose: Nichts spielen, Kamerad.

Der fünfte Matrose: Wie er das sagt: Nichts spielen. Was willst du dann? Warum schläfst du nicht?

Der erste Matrose: Mir war eben, als hörte ich einer Beschwörung zu. Als riefest du irgendwelche Geister an oder obere Mächte.

Der fünfte Matrose: Falsch. Ganz falsch. Mich selber rief ich an. Obere Mächte sind mir ganz unbekannt. Wer solche ehrt, heftet sich selbst den Draht an, der ihn zur Puppe macht.

Der erste Matrose: Puppen sind wir doch alle.

Der fünfte Matrose: Meinst du? Das nackte Leben, wie? Rede nicht weiter, Mann!

Der erste Matrose: Wie du dich quälst.

Der fünfte Matrose: Ließ ich dich's sehen?

Der erste Matrose: Immer vergeblich.

Der fünfte Matrose: Glaubst du?

Der erste Matrose: Weiß.

Der fünfte Matrose: Was willst du also?

Der erste Matrose: Das ist ein Rätsel.

Der fünfte Matrose: Was vermöchtest du?

Der erste Matrose: Dinge gibt es, die in der Luft liegen. Wenn ihre Zeit kommt, gehen sie durch jedes offne Fenster, ganz gleich, wer in dem Haus wohnt. Sie gehen auch durch geschlossene Fenster.

Der fünfte Matrose springt zurück.

Der fünfte Matrose: Mann, das ist wahr.

Der erste Matrose: Ist Wahrsprechen ein solches Ding, daß man davor erschrickt?

Der fünfte Matrose: Man sollte nicht.

Der erste Matrose: Was habe ich so Schreckliches gesagt?

Der fünfte Matrose: Wir beide werden nicht weiterreden. Leg dich schlafen wieder.

Der erste Matrose: Ich gehorche.

Der erste Matrose geht und legt sich wieder hin.

Der fünfte Matrose: Gehorcht! Was ist das nun? Habe kein Haar Recht an diesen Mann und er gehorcht mir, nennt es gehorchen. Dinge gibt's, die in der Luft liegen, sagte er. Kennt er sie auch? He, du da, Kamerad! Schläfst du schon wieder? Komm bitte! Steh auf, es muß gesprochen werden. Die Zeit brennt. Wir müssen Rauch von Feuer scheiden. Die Zeit ist spaßig. Wir müssen Kerne fassen, Schalen lassen. Locken und Lappen unsrer Person abschneiden. Nackt, frei von Eitelkeit durch den Strudel schwimmen. Ich will also beginnen. Komm!

Der erste Matrose erhebt sich wieder.

Der erste Matrose: Ich komme wie du rufst, doch du weißt wohl, jeder, ob er will oder nicht, ist für sich selbst.

Der fünfte Matrose: Ich weiß nichts. Wollen's abwarten.

Der erste Matrose: Was willst du also von mir?

Der fünfte Matrose: Sag mir mit einem Wort, was in der Luft liegt.

Der erste Matrose: Unmögliches verlangst du.

Der fünfte Matrose: Sprich! Rede frei heraus. Es hört uns keiner.

Der erste Matrose: Unmögliches verlangst du, sage ich.

Der fünfte Matrose: Die Art, wie du kamst eben, was du sagtest, wie du dich legtest und wiederkommst, erfüllt mich mit Erwartung. Täusche sie nicht.

Der erste Matrose: Vielleicht, wenn wir ganz ruhig und einfach sprächen, kämen wir mit vielen Worten zu irgendeinem Ziel.

Der fünfte Matrose: Viele Worte sind nicht mein Fall. Beginne gleichwohl!

Der erste Matrose: Was in der Luft liegt, fragst du mich? Hast du aufs Meer gesehen? Da liegt es auch.

Der fünfte Matrose: Das ist wahr, Mann! Das ist wieder wahr!

Der erste Matrose: Wir fahren hier schon lange auf dem Meer, Wasser unter und Himmel über uns. Das ist nicht gleichgültig für uns.

Der fünfte Matrose: Dies endlose Gewässer und dieser ewige Himmel regen die Seelen auf und lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Die Seele wacht, wenn sie auf Wellen starrt und wenn der Wind öde im Takelwerk singt.

Der erste Matrose: Wenn wir an solchen Mächten unsre Pläne prüfen und unsre Kraft an Kräften, die mit uns spielen.

Der fünfte Matrose: Was ist dann, Kamerad?

Der erste Matrose: Ja, was?

Der fünfte Matrose: Mann, wieder entschlüpfst du mir. Gib acht! Spürst du nicht, wie ich innerlich schon bebe und mich fast fürchte, mehr zu reden.

Der erste Matrose: Dann wollen wir lieber abbrechen, denn auch mir ist es neu, was jetzt die Stunde uns tun heißt. Ich bin wie ein Kind auf diesem Wege.

Der fünfte Matrose: Kinder gehen sicher, wo Große straucheln. Laß uns sein wie zwei Kinder und wie zwei Wanderer im Nebel, die nicht sich und den Weg verlieren wollen. Laß uns reden.

Der erste Matrose: Wie du willst. Vielleicht, daß wir, was wir direkt nicht nennen können, an seinen Wirkungen erkennen und dann auch Worte dafür finden. Hör also. Es ist uns doch befohlen, jetzt zu schlafen. Diese gehorchen, wie es Pflicht ist. Warum schlafen wir beide nicht?

Der fünfte Matrose: Weil wir nicht schlafen können. Man kann uns wohl befehlen, wie Schlafende zu liegen, doch Schlaf selbst kann niemand zwingen.

Der erste Matrose: Warum denn können wir nicht schlafen?

Der fünfte Matrose: Weil uns etwas anderes wach hält.

Der erste Matrose: Anders als was?

Der fünfte Matrose: Als was diese zu gehorchen antreibt.

Der erste Matrose: Sollten wir denn in unserer Seele nicht das nur dulden, was uns gehorsam macht?

Der fünfte Matrose: Wir sollten wohl.

Der erste Matrose: Doch unsre Seele weigert uns selbst den Gehorsam, weil sie von etwas anderem besessen ist. Kein Wunsch, keine Begierde macht uns zu Ungehorsamen. Sondern ein unnennbares Geschick der Seele.

Der fünfte Matrose: So ist es. Doch warte hier. Graust dir nicht auch? Wohin kann uns das führen. Sollen wir hier nicht lieber aufhören. Und noch gehorchen und hin uns legen.

Der erste Matrose: Wie du meinst. Wie du willst.

Der fünfte Matrose: O Mann, hältst du mich für so feig, daß ich nicht weiter zu gehen wagte, wo ich doch schon fast sicher bin, wir kommen zu einem schönen Ziele so. Ich will, daß wir fortfahren und wenn daraus auch Allerschlimmstes für uns entstünde.

Der erste Matrose: Wir sind jetzt Kletterer, die sich allein auf eigene Gefahr auf höchste Gipfel wagen. Laß uns, ehe wir gehen, die Mächte anrufen, die über uns unsre Tritte lenken.

Der fünfte Matrose: Halt, Mann! Nein! Tue du das allein. Das Mark in meinen Knochen ist dies: daß wir allein auf uns stehen in allen Welten und nur dahinkommen, wohin uns unser Fuß mit ruhigem Schritte trägt. Ich sauge Kraft daraus. Wir selbst sind unser Schicksal. Ich wollte lieber noch glauben: Daß wir Glas, Spielzeug, Puppen in eines irren Riesen Hand sind, als daß Sinnvolles waltet über uns.

Der erste Matrose: Ich habe gefleht. Wir können weitergehen.

Der fünfte Matrose: Furchtbar ist die Macht eines Wortes und der Gedanken. Ins Irre und ins Rechte führen sie einen allein und ganze Völker. Wir können vorsichtig sein.

Der erste Matrose: Wenn wir den Kern des Lebens halten, dann kann uns Nachdenken nur fördern, dann schließt es uns nur unser Wesen auf, wie Straßen und Kanäle ein reiches Land. Wir wären Tote, wenn wir nicht dächten, und viel ist tot, weil keiner es zu denken lehrte.

Der fünfte Matrose: Antworte mir nun!

Der erste Matrose: Was willst du fragen?

Der fünfte Matrose: Keiner hört uns?

Der erste Matrose: Die schlafen alle.

Der fünfte Matrose: Doch nicht mehr lang. Wir müssen uns kurz fassen und die Zeit nutzen. Was unser Land von uns verlangt, müssen wir tun, nicht wahr?

Der erste Matrose: Gewiß.

Der fünfte Matrose: Denn es ist immer gut, was unser Land von uns verlangt?

Der erste Matrose: Aber tun müssen wir, was es befiehlt, denn alles danken wir ihm.

Der fünfte Matrose: Was danken ihm die Ärmsten denn?

Der erste Matrose: Unendlich viel mehr als es Worte gibt, es aufzuzählen.

Der fünfte Matrose: Leben ist schön und süß. Die Sonne wirft uns Goldtage zu; aus den Wäldern lacht Mutwille. Liebe schmückt sich mit Blumen; Jugend tanzt berauscht auf den Wiesen. Da plötzlich trommelt's. Alles ist aus! Leben gilt nichts mehr; einer nach dem andern tritt vor den Tod. Zwei Jahre schon schweigt die frohe Weise. Zwei Jahre irren wir hier auf dem Wasser blind und besessen, tötend, Tod findend. Keiner entsinnt sich mehr eines anderen, keiner weiß anderes mehr, keiner kann anderes mehr, als töten und sterben.

Der erste Matrose: Wenn es das Land befiehlt, muß es so sein.

Der fünfte Matrose: Sterben ist nicht so schlimm. Aber wer sind wir denn und wer waren wir? Siehst du mit eigenen Augen noch? Weißt du, was dich ergriff?

Der erste Matrose: Wenn es das Land befiehlt, muß es so sein.

Der fünfte Matrose: Warum befiehlt es das Land?

Der erste Matrose: Weil es notwendig scheint.

Der fünfte Matrose: Kann nicht Wahnsinn herrschen unter einem ganzen Volk und denen zumal, die es leiten? Was Wahnsinnige wollen, müssen wir tun dann?

Der erste Matrose: Müssen wir tun.

Der fünfte Matrose: Für was kämpfen wir jetzt?

Der erste Matrose: Für freies Meer.

Der fünfte Matrose: Dafür also nährte die Mutter dich. Das ist also der Sinn deiner Seele, dazu ward dir der Leib.

Der erste Matrose: O nein, davon wußte weder meine Mutter noch ich die ganze Zeit.

Der fünfte Matrose: Was denn wuchs mit dir auf als Sinn?

Der erste Matrose: Dies: Gott zu dienen.

Der fünfte Matrose: Wehe, o weh! Ich stürze. Aus welchen Wolken stürzt du mich! Bis nah ans Richtige war das Gespräch geführt, Schritt für Schritt stieg es weiter. Ich glaubte schon, bald können wir es nennen, und nun du schmetterst mich hinab! Wo ist dein Gott? Welch anderer? Welcher, der immer ausweicht? Nahe dem einen Ziel, das greifbar ist, irrst du vorbei in um so schlimmeren Dunst.

Der erste Matrose: Kenntest du Gott und seinen Dienst!

Der fünfte Matrose: Kenntest du dich!

Der erste Matrose: Wer ihn hat, der hat alles.

Der fünfte Matrose: Wer sich hat, der hat alles. Doch so steht es, daß ich, seitdem ich ahne, was wirklich ist, an mir selbst zweifle und frage, ob ich bei Sinnen bin. Bin ich wahnsinnig denn, irrsinnig, toll oder seid ihr's, ist es die Zeit? Du wirst der Richter sein! Deshalb mußtest du wachen vorhin, deshalb mit deinen Worten wecken, was ich vielleicht eingeschläfert hätte. Deshalb bist du jetzt hier.

Der erste Matrose: Glaubst du mich abzubringen von meinem Grund?

Der fünfte Matrose: Ja, abbringen will ich dich und werde ich dich!

Der erste Matrose: Du willst erschüttern, was Jahre meines Lebens und Not vor allem nur mehr in mir gefestigt haben?

Der fünfte Matrose: Ich will dran blasen und es soll fallen!

Der erste Matrose: Du bist wahnsinnig.

Der fünfte Matrose: Höre!

Der erste Matrose: Sprich!

Der fünfte Matrose: Glaubst du, daß unter Menschen alles schon erfüllt ist, was zwischen Mensch und Mensch sein kann?

Der erste Matrose: Sprich deutlicher, daß ich nicht mißverstehe.

Der fünfte Matrose: Es gibt doch Dinge zwischen Mensch und Mensch?

Der erste Matrose: Freilich.

Der fünfte Matrose: Glaubst du, daß wir von diesen Dingen etwas wissen?

Der erste Matrose: Zuviel.

Der fünfte Matrose: O Mann, höre mich: Nichts. Ist es uns nicht das Nächste? Antworte mir weiter.

Der erste Matrose: Das Nächste freilich.

Der fünfte Matrose: Uns aber ist es fern noch, ferner als fernste Sterne. Nenn mir etwas, wofür man Leute lobt.

Der erste Matrose: Für Macht.

Der fünfte Matrose: Für Macht durch Macht?

Der erste Matrose: Freilich.

Der fünfte Matrose: Kennst du wohl eine Macht, die so erfleht ist, wie Macht durch Macht gehaßt? Die wirkend erzeugt, daß sie stets mehr begehrt wird und wächst durch solche Begierde? Nenn etwas anderes.

Der erste Matrose: Besitz.

Der fünfte Matrose: Kennst du wohl einen Besitz, der unerschöpfbar an Weite und Inhalt ist, an dessen Summe die Sterne von kleiner Zahl erscheinen?

Der erste Matrose: Was wirst du weiterreden?

Der fünfte Matrose: Könntest du ahnen nur, was zwischen Mensch und Mensch sein kann, dann wäre dir, als stritten wir um Schaufeln Sand, als wäre eine Schaufel Sand nicht blind wie wir.

Der erste Matrose: Von Ahnung ist leicht reden. Wissen tust du wohl nichts?

Der fünfte Matrose: Ich weiß. Ich weiß. Das ist es ja, ich weiß es ganz bestimmt!

Der erste Matrose: Was weißt du so bestimmt?

Der fünfte Matrose: Daß etwas zwischen Mensch und Menschen ist, das macht zu Wahnsinn alles, was wir tun und dies besonders. Was die auch sagen, die uns dazu verleiten.

Der erste Matrose: Wieder willst du beschuldigen, die uns führen?

Der fünfte Matrose: Sie und uns selbst und alle Zeit. Wir waren Feiglinge und wagten nicht zu hören noch zu sehen.

Der erste Matrose: So sprichst du jetzt!

Der fünfte Matrose: Ich weiß, Wahnsinn und Verbrechen ist es, was wir tun, und nur aus diesem Grunde ist es so: weil es Dinge gibt Zwischen Mensch und Mensch, die zu erfüllen heiligere Pflicht den Menschen ist als jeder andere Kampf.

Der erste Matrose: Und woher weißt du das?

Der fünfte Matrose: Ich weiß es. Und nicht ich allein nur.

Der erste Matrose: An Bord hier welche?

Der fünfte Matrose: Ich kenne einen. Er weiß nicht, daß ich es weiß von ihm.

Der erste Matrose: Mir bangt, was werde ich hören. Gefährlich sprichst du.

Der fünfte Matrose: Wir ließen heute nacht den Hafen. Ich hatte Wache und hörte dem Abschied eines Mannes zu von einem unsrer Kadetten. So war er: die Worte sind wie in Fels in mich gemeißelt: Geh hin, geh hin, mein Junge. Ich weiß, du kehrst nicht mehr zurück. Schon wogt dort draußen eine Welle unruhvoll auf und ab und Tod für dich heran. Schon hegt bereit ein Eisen, dem es nicht graust, in deinem Fleisch zu meißeln. Du kehrst nicht mehr zurück. Doch war auch nur ein Tag gewesen zwischen uns – es waren viele –, so wie die Sonne geht mit uns durch unsre Zeit und Sterne wandern mit uns durch die angstvolle Nacht, so wirkte dieser Tag, und so wirst du mit mir durchs Leben gehn bis Zeit für mich vorbei ist. Du kennst die Pflichten eines edlen Leibs. Gelassen sterben – wenn's sein muß – ist nur der kleinste Teil davon. Stirb denn gelassen! Stirb ohne Wahn! O hätten alle doch nur einem Tage von uns zugesehen, sie würden bekehrt von ihrem Irrtum! Froh sterben, laß die Besessenen! Gedenke dessen, was zwischen uns all war. Dessen, was sein kann zwischen Mensch und Mensch! Gedenke sein im letzten Augenblick. Nicht Hoffnung und nicht Götter nehmen dem Tod das Grauen. Nur dies: Gedenken dessen, was war und sein kann zwischen Mensch und Mensch. Und wenn wie ich nicht glaube - hinter dieser neue Welten für uns rollen und uns erreichbar: Dieser Gedanke ist der Sprung dorthin: Was sein kann zwischen Mensch und Mensch!

Der erste Matrose: So sprachen diese beiden? So?

Der fünfte Matrose: Sie sprachen leiser noch zusammen. Ich hörte den Älteren dem Jüngern Rat erteilen. Ich hörte Dinge von so verwandtem Klang, Dinge, so nah, so licht, daß ich weglief aus Furcht, zu schlecht zu wachen.

Der erste Matrose: So sprachen sie?

Der fünfte Matrose: Mir war es, diese lebten schon, was ich erst ahnte! Und hielten Leben der höchsten Mühe wert. Als hätten sie ein Etwas, aber in diesem Leben selbst, das sie erhaben machte über Tod und Leben.

Der erste Matrose: Wenn du so reich den Menschen machst, stirbt Gott von selbst.

Der fünfte Matrose: Wenn unter mir das Meer zu Feuer geworden wäre, wär ich nicht mehr erschrocken, wie als ich dies vernahm. Nun werde ich nicht Tod noch Schande scheuen!

Der erste Matrose: Wie sagst du: Tod und Schande?

Der fünfte Matrose: Nun, da ich dieses weiß, will ich nicht Tod noch Schande scheuen.

Der erste Matrose: Wie meinst du das? Wohin zielst du? Was ist?

Der fünfte Matrose: Schande und Tod sind sicher mir.

Der erste Matrose: Seeschlacht bedeutet Tod.

Der fünfte Matrose: Wie bist du blind!

Der erste Matrose: Wenn es zur Schlacht kommt, werden alle sterben!

Der fünfte Matrose: Und ich auch, wenn es nicht zur Schlacht kommt.

Der erste Matrose: Mann, Mann, was sinnst du? Laß dich warnen. Weißt du, was Tod ist!

Der fünfte Matrose: Ein Wort. Ein Ding, über das längst ward hinausgelebt.

Der erste Matrose: Was sinnst du? Mann, wehe, was sinnst du schon?

Der fünfte Matrose: Was mir gemäß ist.

Der erste Matrose: Welchen Weg?

Der fünfte Matrose: Den mir gemäßen.

Der erste Matrose: Kann ich nicht mitgehen?

Der fünfte Matrose: Du mitgehen?

Der erste Matrose: Einer, der mitginge? Allein geht keiner gern. Doch mancher muß.

In diesem Augenblick beginnen die schlafenden Matrosen in ihren Träumen wieder laut zu werden.

Der dritte Matrose: Nichts.

Der zweite Matrose: Strichchen?

Der dritte Matrose: Nichts.

Der zweite Matrose: Strichchen?

Der dritte Matrose: Bugschaum, weiß, fern! Bugschaum!

Der zweite Matrose: Wie?

Der dritte Matrose: Nichts.

Der zweite Matrose: Strichchen!

Der dritte Matrose: Schiffe, Schiffe!

Der zweite Matrose: Schiffe, Schiffe!

Der dritte Matrose: Schlacht! Schlacht!

Der zweite Matrose: Schlacht! Schlacht!

Der dritte Matrose: Die langen Rohre schwenken.

Der zweite Matrose: Heben ihr Maul zum Himmel.

Der dritte Matrose: Die kriegerischen Flaggen wehen.

Der zweite Matrose: Die Würfel heben sich – Still – fallen. Feuer, Dampfgewölk! Still! Schaut auf das Meer.

Der dritte Matrose: Tod tastet langfingrig die Schiffe ab. Schiffe, blind, vernichten sich. Sind fort.

Der zweite Matrose: Feuer, Blitz, Dampfgewölk! Dran! Dran! Wir werden für Tod gemästet. Schneller. Schneller. Schluckt's runter, es hat nicht Geschmack.

Der dritte Matrose: Die Stunde ist nur einmal, diese hier.

Der vierte Matrose: Hilf einer mir erwachen. Hilf einer doch erwachen mir! Wir träumen nur, merkt ihr denn nicht, wir träumen nur!

Der erste Matrose: Welch Lärm! Freund, was ist dir? Wo bist du jetzt?

Der zweite Matrose: Splitter, Qualm, Feuer. Der erste Tatzenhieb!

Der dritte Matrose: Ankündigung des zweiten! Haut, haut!

Der zweite Matrose: Seid tödlich sicher!

Der dritte Matrose: Wir sind, wofür wir hielten uns.

Der zweite Matrose: Gebt ihnen den Rest!

Der dritte Matrose: Den Rest! Den Rest!

Der zweite Matrose: Den Rest! Hahahaha!

Der dritte Matrose: Den Rest! Hahaha!

Sie lachen im Traum.

Der zweite Matrose: Haben sie nun den Rest?

Der dritte Matrose: Sie haben ihn.

Der zweite Matrose: Dann ruhig jetzt!

Die Leute sind ruhig geworden.

Der erste Matrose: Das war der Traum von Schlacht.

Der fünfte Matrose: Was für ein Stoff in ihnen!

Der erste Matrose: Wie sie lachten im Traum!

Der fünfte Matrose: Welch guter Stoff!

Der erste Matrose: Wie sie lachten!

Der fünfte Matrose: Das richtige Stichwort bloß fehlt ihnen. Kamerad, wenn es zur Schlacht jetzt kommt, was wirst du tun?

Der erste Matrose: Gehorchen. Was denn anders? Und du?

Der fünfte Matrose: Diesen das Stichwort geben!

Der erste Matrose: Es bleibt wohl keinem anderes, als gehorchen, gut gesinnt sein und untergehen. Im übrigen, was man auch täte, es reißt uns mit hinab.

Der fünfte Matrose: Wer nicht gehorcht, kann doch gehorchen!

Der erste Matrose: Wahnsinniger! Du denkst doch nicht –!

Der fünfte Matrose: Gehorche dem, was höher ist.

Der erste Matrose: Wahnsinniger! Wahnsinniger! Freund, Bruder, Kamerad, hör mich, hör, was ich sage!

Der fünfte Matrose: Nicht wahr, wir alle fühlen es.

Der erste Matrose: Gegen die unbarmherzigste Gewalt, gegen ein Ding, dem alles sich unterwirft, vor dem sich alle beugen, was auch sonst sie bewegt, gegen das keiner aufsteht –

Der fünfte Matrose: Einmal muß es zerbrechen!

Der erste Matrose: Nicht hier, Mann! Nicht hier auf dem Schiff, das in die Schlacht fährt. In diesem Gefüge von Stahl und Mensch, wo willst du da die schwache Stelle finden.

Der fünfte Matrose: So wenig also hast du mich verstanden vorhin?

Der erste Matrose: Selbstmörder! Du sündigst an dir selbst!

Der fünfte Matrose: Mörder eurer Selbst seid ihr alle!

Der erste Matrose: Wahnsinniger! Gegen dich allein rast du!

Der fünfte Matrose: Sagtest du nicht selbst vorhin –

Der erste Matrose: Sprach nur davon. Erwog nicht Taten.

Der fünfte Matrose: Erinnre dich und sei ein Mann.

Der erste Matrose: Was wird geschehen, o Himmel, was wird hier geschehen!

Der fünfte Matrose: Ermanne dich!

Der erste Matrose: Scheue Tat!

Der fünfte Matrose: Ward ich nicht Mann dazu!

Der erste Matrose: Tat ist immer ein Schlag in die Nacht.

Der fünfte Matrose: Funken schlägt sie heraus.

Der erste Matrose: Gewaltsam handeln ist eines Blinden Schlag in die Nacht. Mein Kamerad! Mein Freund! O höre! Was mein Leben gesehen hat, ist wenig, doch dies weiß ich: Tun ist verflucht immer. Laß werden! Warte, wie es von selbst kommt! Durch Tun zerstörst du immer, was an den Dingen groß und wertvoll ist.

Der fünfte Matrose: Schwaches Gejammer!

Der erste Matrose: Bedenke nicht vorher, was du tun wirst! Wisse nicht, wie du sein wirst. Es wissen wollen, das ist auch eine Art von Schwäche. Versprich mir, Kamerad: Warte, wie es von selbst kommt. Warte, warte!

Der fünfte Matrose: Wenn es zur Schlacht kommt, gut, wirst du gehorchen. Ich aber nicht. Nun weißt du es.

Der zweite, dritte und vierte Matrose sind erwacht und hören das Folgende.

Der erste Matrose: O käme es dann nicht dazu! Ginge der Tag vorbei! Wäre das noch möglich.

Der dritte Matrose: Hörst du? Hast du gehört?

Der zweite Matrose: Wir sind doch schon ganz wach?

Der fünfte Matrose: Auch wenn es nicht zur Schlacht kommt, werde ich nicht gehorchen mehr.

Der dritte Matrose: Da hast du's. Es steht fest.

Der zweite Matrose: Es ward gesagt!

Der dritte Matrose: Fassen wir ihn schon?

Der zweite Matrose: Fassen wir ihn!

Der dritte Matrose: Meutrer! He! Meutrer! Nehmt ihn fest!

Der zweite Matrose: Meutrer! Meutrer!

Der erste Matrose: Wer?

Der dritte Matrose: Ihr.

Der zweite Matrose: Ihr beide!

Der erste Matrose: Ich?

Der fünfte Matrose: Dieser nicht! Leute, ich schwör euch: Sein Gewissen ist rein.

Der zweite Matrose: Doch du!

Der dritte Matrose: Hast du nicht eben gesagt, daß du nicht mehr gehorchen willst, hast du nicht diesen verführen wollen? Wer weiß, was du noch plantest.

Der fünfte Matrose: Ihr kennt mich doch schon lange, wie ich euch auch. Seid ihr Bluthunde geworden plötzlich!

Der zweite Matrose: Ob du getan hast, was wir fragen?

Der fünfte Matrose: Was ich gesagt habe, geht mich allein an. Was ich jetzt sagen will, da paßt auf, das geht euch an.

Der erste Matrose (an der Luke): Noch hat er nichts getan und schon ist es über ihm. Rette ihn, rette ihn, Himmel! Hilf uns allen! Was ist dort? Was ist da? Augen, o meine Augen!

Der dritte Matrose: Uns geht nur an, ob du zugibst.

Der erste Matrose (an der Luke): Was steht da jetzt am Horizont? O Kameraden! Kameraden!

Der fünfte Matrose: Wer schrie da so?

Der zweite Matrose: Ob du zugibst?

Der fünfte Matrose: Ich gebe zu. Noch mehr: Ich werde handeln nach meinen Worten.

Der erste Matrose (an der Luke): Kameraden, Kameraden! Was ist das, was sich da gegenüber zeigt? Lebe wohl! Lebe wohl alles!

Der fünfte Matrose: Wer singt da so?

Der dritte Matrose: Gehen wir mit ihm zum Kommandanten!

Der vierte Matrose (der bisher beobachtet hat, erhebt sich): Nicht so rasch, nicht zu hitzig, Leute!

Der erste Matrose (an der Luke): Skagerrak! Skagerrak! Letzter Mai! Siegestag! Jammertag! Lebt wohl Heimat, Land, alles, alles.

Der zweite Matrose: Ein Meutrer, hast du gehört.

Der dritte Matrose: Ein Meutrer, wir hörten es.

Der vierte Matrose: Ich hörte auch.

Der zweite Matrose: Und stehst so ruhig!

Der dritte Matrose: Und stehst so ruhig!

Der vierte Matrose: Tut die Hand von ihm!

Der zweite Matrose: Das ist unerhört.

Der vierte Matrose: Gebt ihn frei!

Der zweite Matrose: Machst du Narren aus uns?

Der dritte Matrose: Was willst du tun? will ich wissen.

Der zweite Matrose: Wieder nichts? meinst du so?

Der vierte Matrose: Laßt ihn los!

Der dritte Matrose: Die Welt geht linksrum!

Der zweite Matrose: Einfacher Verstand genügt nicht mehr.

Der erste Matrose (an der Luke): Sie sind es! O Siegestag. O Jammertag! Letzter, letzter Mai. Wendepunkt, Ende! Schiffe, Schiffe, sie sind es.

Der vierte Matrose: Glaubt nicht zu sehr an das, was ihr gelernt habt, Leute. Die Dinge sind Lehrer ihrer selbst. Von ihnen lernt. Kennen wir den seit heute erst? Wißt ihr, was Worte sind! Nehmt doch nicht jeden Spatz so wichtig. Euer »Ernstnehmen« ist ein übles Wort. Was einer redet, mag ganz schön klingen. Wenn es ans Tun geht, ist einer wie der andre. Ruhe, Meutrer! Im wesentlichen, versteht sich. Macht doch nicht so viel Getu mit Nebensachen! Seid doch nicht umständlicher als der liebe Gott mit seinen sieben Schöpfungstagen. Welch ein Umstand! Kennt ihr den Mann seit heute erst? Habt ihr nicht einige Pfeifen Tabak mit ihm verraucht? Und jetzt nach zwei Worten schnellt ihr auf ihn und wenig fehlt, ihr risset ihn auseinander. Laßt aber mal Horn und Trommel kommen! Laßt ihm den Klang ins Blut springen, laßt ihn mal lauschen, die Ohren spitzen, das Altgewohnte hören! Mein Kopf: er tut, was er gelernt hat. Ruhe, Mann! Keiner kränkt dich. Was dich treibt, ist Voreingenommenheit, du wirst es sehen.

Der fünfte Matrose: Du wirst der erste sein –

Der vierte Matrose: Der erste ist keiner. Das ist all Unsinn. Solang du noch groß und klein, stumpf und fein und wer weiß was scheidest, sitzt du noch auf der Schulbank, bildlich gesprochen.

Der erste Matrose (an seiner Luke): Kameraden, Kameraden! Es ist so weit! Schiffe. Schiffe. Sie sind jetzt deutlich! Kommt her. Schiffe. Schiffe. Es ist so weit.

Der zweite Matrose: Himmel, was schreit einer da!

Der dritte Matrose: Was für Unsinn schreit einer da!

Der zweite Matrose: Mann, das ist doch nicht Wahnbild wieder, wie die am blauen Himmel?

Der dritte Matrose: Schiffe will er sehen? Schiffe?

Der vierte Matrose: Männer, ja da sind sie. Schiffe, Schatten von Schiffen, die nur Kriegsschiffe sein können! Dort drüben! Seht hin! Seht genau! Männer, die Stunde ist da!

Der zweite Matrose: Schlacht heißt das!

Der dritte Matrose: Jungens! Blaujacken! Jungens!

Der zweite Matrose: Schlacht heißt das ja!

Der dritte Matrose: Was mein ist, das ist euer!

Der vierte Matrose: Eure Stunde ist gekommen, Männer!

Der zweite Matrose: Schlacht also doch. Heute noch!

Der dritte Matrose: Engel seid Ihr, Engel! Was kann ich euch kaufen? Hold wie Rosen! Kommt laßt euch kriegen!

Der zweite Matrose: Wir werden verrückt.

Der dritte Matrose: Schlacht! Seeschlacht! Messen! Probe, wer besser ist und meerhafter!

In diesem Augenblick ertönen Trommel und Horn.

Der zweite Matrose: Horcht! Trommel und Horn! Horcht! Trommel und Horn!

Der dritte Matrose: Klar Schiff zu Gefecht. Wer nun Mann ist, jauchzt mit!

Der fünfte Matrose: Was tun sie? Was sehe ich? Was geht mit ihnen vor? Fängt es so an?

Der vierte Matrose: Sie umarmen sich und tanzen!

Der fünfte Matrose: Beginnt so Schlacht? Was ist das, Schlacht?

Der vierte Matrose: Sieh es dir an. Sei kein Esel. Sieh es dir an erst! Dann kannst du noch immer tun, was du mußt. Unsinn hat immer seine Zeit!

Der fünfte Matrose: Blitze versengen mich. Blitze. Was ist Schlacht! Was geht vor? Sind wir noch, die wir waren?

Der vierte Matrose: Das letzte kommt nun zum Vorschein, das was ist, Knabe!

Der zweite Matrose: Komm mit uns, Bruder! Komm! Lebe!

Der dritte Matrose: Komm mit uns, Bruder! Komm! Siege!

Der vierte Matrose: Komm einfach mit uns sterben, Junge!

Der fünfte Matrose: Mit euch? Mit euch? Himmel, Kerls, wie erscheint ihr mir! Was packt mich?

Der zweite Matrose: Wir und die Schlacht!

Der fünfte Matrose: Ich schwöre, ich schwöre das andere –

Der vierte Matrose: Wird kommen, wird auch kommen!

Trommel und Horn ertönen zum zweitenmal.

Der zweite Matrose: Hört ihr! Hört ihr!

Der fünfte Matrose: Welcher froher Ton!

Der zweite Matrose: Komm mit! Lebe!

Der dritte Matrose: Komm mit! Siege!

Der vierte Matrose: Kommt sterben alle!

Der fünfte Matrose: Schlacht! Schlacht! Wohin führt uns die Schlacht!

Alle ab. Einen Augenblick bleibt der Turm leer. Dann kehren die Leute zurück. Von nun an wechseln die aufgezeichneten Worte mit den Rufen und Befehlen ihrer Tätigkeit während des Kampfes.

Der zweite Matrose: Vier gegen vier.

Der dritte Matrose: Die Flotte beiderseits dahinter sollt ihr sehen.

Der zweite Matrose: Wird kein Spaß werden.

Der dritte Matrose: Jungens! Jungens! Blaujacken!

Der vierte Matrose: Ruhe. Keine Erregung! Alles in Ordnung? Daß alles klappt! Daß keiner patriotisch wird! Daß keiner schwatzt! Daß keiner ungeduldig wird! Daß keiner hierin was andres sieht, als seine Arbeit! Daß keiner ein Weib wird! Daß keiner prahlt! Was neue Art von Männern die Zeit schuf, das zeigt jetzt!

Der dritte Matrose: Jungens, Blaujacken, Jungens! Samoa war so schön!

Der zweite Matrose: Los!

Der dritte Matrose: Dauert lang.

Der erste Matrose: Sonne scheint drauf runter. Soll es wohl. Well auf Welle schlägt drüben auf den Sand. Sollen es wohl.

Der dritte Matrose: Blödsinnig heiß hier drin!

Klingelzeichen. Ein Schuß.

Der zweite Matrose (beobachtend): Dahinter.

Klingelzeichen. Ein Schuß.

Der zweite Matrose (wie oben): Davor.

Der dritte Matrose: Drei sitzt.

Klingelzeichen. Schuß.

Der zweite Matrose (wie oben): Sitzt. Qualm. Feuer! Ein Strahl schießt an die Wolken. Hat ihn!

Der dritte Matrose: Holt Atem, die Karre läuft.

Der zweite Matrose: Wer treffen will, trifft.

Der sechste Matrose: Wen's treffen soll, trifft's.

Der zweite Matrose: Übungsschießen, Jungens!

Der dritte Matrose: Übungsschießen, nichts weiter.

Der vierte Matrose: Jedenfalls, wer noch mal 'ne Kartoffel ins Maul kriegt, grüßt sie von mir.

Der zweite Matrose: Wer noch mal 'nen Maikäfer fängt, küß ihn von mir.

Der dritte Matrose: Wer noch mal ein Elfchen sieht, tut's ihr von mir!

Der zweite Matrose: Da sind andre für da! Haben's gelernt mit andren.

Der dritte Matrose: Brauchten's zu lernen!

Der fünfte Matrose: Wir sind wohl mitten drin schon. Halt, langsamer, nicht so schnell. Ich komme nicht mit. Sagt ihr gar nichts? Seid ihr nicht erstaunt über mich? Leute, mir war noch nie im Leben so. Leute, hört einen Augenblick zu, ich habe noch was zu sagen.

Der vierte Matrose: Behalt's für dich!

Der fünfte Matrose: Es betrifft euch aber und mich.

Der vierte Matrose: Wissen's! Behalt's für dich!

Der zweite Matrose: Dies Schießen!

Der dritte Matrose: Unsre Leiber! Aber satt sollen wir werden, hier nicht, aber hier. (Er steigt zuerst auf den Bauch, dann auf die Brust.) Hat einer schon mal Arbeit wie die hier getan!

Der zweite Matrose: Wird gut bezahlt auch.

Der dritte Matrose: Ich frage bloß, ob einer schon mal Arbeit getan hat, wie die hier.

Der zweite Matrose: Tempo! Tanz! Tempo im Tanz. Wen darf ich vormerken für Tempo im Tanz?

Gelächter.

Der dritte Matrose: Jetzt sieht man doch mal, was man kann!

Der zweite Matrose: Braucht nicht Kinder zu machen, wenn man was tun will!

Der dritte Matrose: Maul halten von Weibern jetzt!

Der zweite Matrose: Aber nachher? Was dann? Kommt der süße Lohn!

Der erste Matrose: Seid doch nicht so ganz blind, Jungens, und höhnisch. Jede Sekunde kann uns hinabholen. Dann ist es aus mit uns.

Der dritte Matrose: Was weiter?

Der zweite Matrose: Tempo im Tanz.

Der dritte Matrose: Meinst wohl, wir könnten noch schnell was lernen? Irrst dich erbärmlich. Weder so noch so. Sind wie wir sind. Spar deine Liebe. Satt werden wir vorher, hier nicht, aber hier. Darauf allein kommt's an.

Der fünfte Matrose: Kann man was sehen?

Der zweite Matrose: Nichts mehr. Sonne ist fort. Rauch und Dunst überall über dem Meer.

Der fünfte Matrose: Es schießt nicht mehr drüben.

Der zweite Matrose: Wir schießen auch nicht.

Der dritte Matrose: Schade, daß man so eingemauert ist. Weiß nichts, sieht nichts, bis man krepiert.

Der zweite Matrose: Ist doch anderswo genauso. Aber satt wirst du, hier nicht, aber hier!

Der fünfte Matrose: Warum steht die Schlacht?

Der vierte Matrose: Wer fragt das?

Der fünfte Matrose: Ich.

Der vierte Matrose: Seht mir den Mann. Wirst wohl warm allmählich?

Der dritte Matrose: Sollen ihm jetzt wohl abbitten?

Der fünfte Matrose: Abbitten? Was? Wer? Wofür?

Der dritte Matrose: Ich hielt dich vorhin für'n Feigling, als du so dasaßt und brummtest.

Der zweite Matrose: Wollte ja auch meutern, der Kerl.

Der dritte Matrose: Das ist eine andere Sache.

Der fünfte Matrose: Warum steht die Schlacht? Auf, laßt sie entbrennen. In ihrer ganzen Größe und Furchtbarkeit. Meine Brust füllt sich mit ihrem Atem, meine Pulse singen Schlacht, Schlacht über uns! Was mal gepflanzt ist, das soll wachsen, und wenn es uns zerschmettert! Was mal gelöst ist, das soll rollen, und wenn wir darunter kommen! Was angefangen ist, soll fertig werden! Seid keine Lämmer beim Morden! Seid Tiger an euch selbst! Geht bis zum Schluß. Wer bis ans Ende beharrt – Peitscht die Sterne, wenn sie nicht wollen!

Der zweite Matrose: Friedlich, Mann! Friedlich! Wo hast du so schöne Gleichnisse und Bilder her?

Der erste Matrose: Meine Beine zittern.

Der zweite Matrose: Angst natürlich!

Der vierte Matrose: Mit Angst oder ohne Angst: weiter!

Der erste Matrose: Ist schon vorbei.

Klingelzeichen. Ein Schuß.

Der zweite Matrose (beobachtend): Dunst überall. Vorbei der Schuß! Ha! Nein! Feuerstrahl, Flammen himmelwärts! Es hebt sich etwas auf! Es sinkt zusammen! Rauchwolken, Flammen, Dampf, weißer Dampf. Himmel und Hölle, da ist's still. Nichts mehr. Nichts. Da ist ein Schiff gesunken eben.

Alle: Ein Schiff gesunken!

Der sechste Matrose: Wie schnell ein Schiff sinkt.

Der zweite Matrose: Kommst grad noch einmal dazu –

Der sechste Matrose: Schön muß das sein.

Der dritte Matrose: Jungens! Jungens! Blaujacken. Jetzt fängt es an. Satt sollen wir werden, hier nicht, aber hier! Bringt sie zur Ordnung! Brecht ihr Übermaß! Dann wollen wir alles ihnen verzeihen und wieder Freunde sein!

Der zweite Matrose: Gebt frei die See, dann wollen wir wieder Freunde sein.

Der dritte Matrose: Satt werden wir, hier nicht, aber hier.

Der zweite Matrose: Und wenn der Bauch platzt.

Der erste Matrose: Ich fange wieder an zu zittern. Es ist über uns.

Der dritte Matrose: Was sagt da einer! Was für Unsinn sagt einer da!

Der erste Matrose: Es ist über uns!

Der zweite Matrose: Warum nicht unter uns!

Der vierte Matrose: Ruhe! Stillhalten! Nicht schreien!

Der zweite Matrose: Wen's trifft, den trifft's.

Der sechste Matrose: Da kommt's! Da kommt's! Wehe! Wehe! Raus, fort von hier. Laß mich raus. Ich will nicht, will nicht!

Der vierte Matrose: Nützt dir was nicht zu wollen! Stillhalten, nur stillhalten!

Explosion im Turm. Er füllt sich mit Rauch. Alle liegen am Boden, nur der dritte Matrose steht sterbend gegen die Panzerung gelehnt.

Der zweite Matrose: Das fängt gut an. Wie? Das nennt man wie? Wie? Aber der Panzer hielt. Wie? Alle doch noch am Leben. Wie? Danke schön, Panzer, danke schön, danke schön! Auf und ans Rohr!

Der erste Matrose: So kommt der Schlag. So kommt er, ohne daß man weiß wie. Ob du bereit bist oder nicht. Wir könnten jetzt alle schon drunten sein, allesamt.

Der zweite Matrose: Quatsch nicht, Mann! Steh auf. Und hilf den andern. Auf alle Mann, lustig! Es ist noch immer, immer gut gegangen! Seht zu, daß ihr nicht zu viel schluckt, das macht taumelig und verdirbt die Köpfe! Wer treffen will, trifft, wen's trifft, den trifft's.

Der dritte Matrose (sterbend): Öl, Öl, sanftes Öl über mein Haupt! Vorwärts, gebt mir Maßliebchen und Öl! Musik, spiele! Akkorde, volle Akkorde, weiche, süße, volle Akkorde, gebt sie mir! Öl, Öl, sanftes Öl über mein Haupt! Legt blaue Farben an, setzt bunte Mützen auf! Und spielt, spielt, spielt! Tanzt! Tanzt! Öl, Öl, sanftes Öl über mein Haupt! Binden vor meine Augen! Binden, Binden! Freunde, so tanz ich vor!

Er stirbt und fällt um.

Der zweite Matrose: Mann, quatsch nicht! Wie? Ist er getroffen! Bist du getroffen, Junge? Kerl, Spaßmacher! Jungchen! Sag nein, nein, nein! Es ist bloß Spaß! Ja, ja, ja! Steh auf! Ans Rohr. Es bleibt noch viel zu tun. Der stirbt wohl? Das sieht ja aus, als stürbe er? Der ist ja wohl schon tot? Samoa! He Samoa! Schreit, brüllt: Samoa! Satan, wie schnell das geht! Das geht fast zu schnell! Samoa. Samoa. Hin ist hin.

Die übrigen erheben sich allmählich alle wieder.

Der vierte Matrose: Keine Betrachtungen! Ans Rohr!

Der zweite Matrose: Wie freundlich mir dieser Kadaver war eben noch. Keine Betrachtungen, das ist wahr!

Der sechste Matrose: Ist er ganz tot?

Der zweite Matrose: Tot! Häßlich tot. Laß ihn liegen.

Der fünfte Matrose: Leute, ist es wahr, daß ich vorhin auf euch geschimpft habe?

Der zweite Matrose: Habe nichts davon gemerkt.

Der fünfte Matrose: Mir gefällt die Schlacht. Gleich werden wir auch dran glauben müssen, aber vorher atmen unsere Lungen mal, jagen unsere Herzen mal, zucken die Muskeln mal. Jungens, dies verdammte Fragen, wo ist es hin?

Der zweite Matrose: Wirst also noch mal uns scheel ansehen, was?

Der fünfte Matrose: Mein die Arbeit von dem Toten da!

Der erste Matrose: Außen oder innen, das macht den ganzen Unterschied.

Splitter gegen den Turm.

Der zweite Matrose: Hahaha, der Turm hält. Hört ihr, wie's draußen hagelt! Das Türmchen wird halten!

Die Tür wird aufgerissen, eine Stimme ruft.

Stimme: Habt ihr Tote?

Der vierte Matrose: Einen.

Stimme: Habt ihr Verwundete?

Der vierte Matrose: Keinen.

Stimme: Gebt eueren Toten her. (Man schafft den dritten Matrosen schnell hinaus.) Sonst alles in Ordnung?

Der vierte Matrose: Alles in Ordnung.

Stimme: Wir haben ein Schiff versenkt und eins beschädigt. Selbst vier Treffer ab. Die Schlacht geht weiter. Haltet euch weiter gut!

Die Tür wird geschlossen.

Der sechste Matrose: Die Schlacht geht weiter.

Der erste Matrose: Öl, Öl, sanftes Öl über mein Haupt, so rief er.

Der vierte Matrose: Die Schlacht geht weiter!

Der zweite Matrose: Mensch, frag doch hier nicht mehr! Frag doch drüben, in deinem Jenseits.

Die Tür öffnet sich wieder, ein Mann tritt ein.

Der siebente Matrose: Ersatz zur Stelle.

Der zweite Matrose: Ist es in den anderen Türmen auch so, du Jude?

Der siebente Matrose: Überall gleich, du Christ! Im dritten Turm singt man und betet, daß man es draußen hört. Im ersten sollen zwei zu tanzen angefangen haben. Nehmt euch in acht vor Gas!

Der zweite Matrose: Wir sind hier doch fast wie die Schweine, die nach der Reihe gemetzt werden.

Der fünfte Matrose: Gleichviel. Jetzt kennt sich wieder Mann und Mann, jetzt erwächst etwas zwischen Männern, das alle Not aufwiegt. Spürt ihr nicht alle den Schweiß unmittelbar. Blut! Blut! Darin allein liegt Wahres.

Der erste Matrose: Nein, hört auf mich, Leute! Besinnt euch, daß ihr Menschen seid!

Der zweite Matrose: Sind wir so etwa keine Menschen? Sind wir nicht etwa Helden noch dazu?

Der vierte Matrose: Dies ist unser blutiger Jahrgang, weiter nichts! Held oder Feigling – ist das ein Unterschied? Ablauf sind wir, Uhren mit närrischen Zeigern drauf! Stillhalten, stillhalten. Bis das Uhrwerk abgelaufen ist.

Der zweite Matrose: Warum aber hier im Turm?

Der vierte Matrose: Weil du mußt!

Der zweite Matrose: Warum muß ich?

Der vierte Matrose: Weil du nicht anders kannst.

Der zweite Matrose: Warum kann ich nicht anders?

Der vierte Matrose: Weil du ein Esel bist.

Der zweite Matrose: Sag lieber ein Schwein, das wartet, bis der Metzger kommt.

Der erste Matrose: Da ist's wieder!

Explosion. Hinfallen.

Der vierte Matrose: Die Schlacht geht weiter!

Der zweite Matrose: Hinfallen tut weh.

Der fünfte Matrose: Teufel, wie das einen hinhaut.

Der siebente Matrose: Wird denen drüben auch so gehen.

Der vierte Matrose: Schießen auch nicht schlecht.

Der siebente Matrose: Werden Kerls sein wie wir. Kein Haar besser, keins schlechter!

Der vierte Matrose: Keine Betrachtungen! Ans Rohr!

Der zweite Matrose (singend): Still und leise wie sie lächelt, wie sie lächelt, seht ihr's nicht.

Der fünfte Matrose: Wer lächelt, Junge?

Der zweite Matrose: Die Schraube da!

Singt weiter.

Der sechste Matrose: Hund, weg von meiner Nase. Weg, Hund, von meiner Nase!

Der fünfte Matrose: Wer ist vor deiner Nase, Kamerad?

Der sechste Matrose: Ein Hund.

Der vierte Matrose: Reißt euch zusammen, Kerls! Ein Seemann schwimmt wie Blei, auf dem Meeresgrund ist das Land billig. Lacht ihr nicht?

Der zweite Matrose: Warum lachen? Warum weinen?

Der vierte Matrose: Nicht heiß werden! Eure Arbeit tut ruhig. Reißt euch zusammen. Laßt dieses giftige Gas nicht über euch Herr werden. Seid souverän! Bitte, lösch einer meine Hand. Sie brennt.

Der fünfte Matrose: Hören wir recht? Was sagst du da? Gott gebe, daß ich falsch gehört. Brennt deine Hand?

Der vierte Matrose: Löschen, löschen, ihr Schurken! Seht ihr nicht meine Hand brennen?

Der siebente Matrose: Der Wahnsinn fängt jetzt an.

Der fünfte Matrose: Packen wir ihn an der Gurgel gleich! Mann, du mußt weg vom Rohr. Mit Gewalt, wenn nicht freiwillig. Packt an.

Der vierte Matrose: Löschen, löschen! Ich lasse euch hängen, Schurken! Dieser da ist ja ein Meutrer. Der hat's schon lang verdient. Hängt ihn! Hängt ihn! Befehl!

Der fünfte Matrose: Zu befehlen hast du nichts mehr, Mann. Leute, auf mich hört. Vom Rohr weg mit dem Irren.

Der vierte Matrose: Sei nicht böse, Jungchen! Versöhn dich! Wir beide sind die einzigen bei klarem Verstand noch. Wir schaffen's. Und wenn es nicht mehr geht, dann geht es nicht mehr. Dann ist es auch gleich, wie?

Der erste Matrose: Wie schnell einer vergißt. Jetzt steht er glücklich da am Rohr schon. Leute, nicht wahr, das wissen wir: was wir hier tun, bedeutet ja ganz was anderes. Ist dies ein Panzerturm bloß, frage ich?

Der vierte Matrose: Was anders denn als ein Panzerturm?

Der erste Matrose: Eine Glocke vielleicht? Eine Glocke unter all den Glocken. Bumm, bumm so läuten sie.

Der vierte Matrose: Sagt, was geht vor in diesem Turm? Sagt mir! Will man uns nicht ruhig ersaufen lassen? Will man uns übers ehrliche Grab rufen: Wahnsinn, Irrtum? Will man uns nicht im Wasser ruhig ruhen lassen? Verflucht, dreimal verflucht, wer an unsere Gebeine tastet. Worte, o Worte: Verfluchtes Stochern!

Der fünfte Matrose: Sei ruhig, Junge, da plappert einer bloß, wie sein Großvater plapperte. Wenn du dir'n Spaß machen willst, frag ihn nach höheren Mächten und laß dich segnen von ihm!

Der erste Matrose: Was zwischen Mensch und Mensch sein kann, frag ihn!

Der fünfte Matrose: Die Schlacht geht weiter!

Klingelzeichen. Schuß.

Der vierte Matrose: Hört, hört! Junge, dreimal gesegnet, wer da schießt! Klingelzeichen. Schuß. Schieß! Schieß! Schieß! Tun nichts als: Schieß!

Tür öffnet sich und Gasmasken werden hereingeworfen.

Stimme: Masken!

Tür schließt sich wieder.

Der fünfte Matrose: Masken anlegen!

Die Leute gehorchen und sind nun nicht mehr zu unterscheiden. Am Rohr steht der fünfte Matrose allein.

Der vierte Matrose: Hört, hört, Jungens! Dreimal gesegnet, wer da schießt. Fleht ihn an, rührt ihn, daß er schießt. Auf die Knie vor ihm! Wenn alles drunter und drüber geht, wenn Wahnsinn leuchtet hier, wenn wir nur zucken noch, wenn wir nicht länger stumm sein können und das Fleisch schreit, schreit, dann schieß, schieß du, Jungchen! Unbeirrt schieß! Schieß!

Der zweite Matrose: Rette unser Leben.

Alle: Unser Leben, unser Leben, rette es. Noch leben, leben, leben!

Explosion. Das Licht geht ganz aus. Die Leute sind alle am Boden, aber nicht zu erkennen in ihren Gasmasken. Am Rohr steht einer mit einer Gasmaske festgekrallt.

Der am Rohr: Die Schlacht geht weiter.

Stimmen: Trinken! Trinken! Wasser! Löscht! Was geschah? Wo ist man? Alles wendet sich gegen uns. Wasser! Gebt Wasser! Licht!

Der am Rohr: Lobt die Schlacht, Knaben, lobt sie. Wir werden weitertun im Dunklen. Wozu Licht? Ist auch Einbildung! Auf, Knaben, auf! Wer hat noch einen Muskel ganz? Wer hat noch einen Herzschlag zuviel? Nun fängt es ja erst an. Freut ihr euch nicht? Rein in die Mühle, wer Brot werden will! Seid nicht so nachsichtig gegen euch. Was gepflanzt ist, soll wachsen, wenn's auch zerschmettert. Was gelöst ist, soll rollen, wenn auch über uns. Kommt mit, Kinder, kommt mit bis ans Ende. Wer bis an das Ende beharrt – Ich sage nicht, daß er selig wird, aber man muß es tun.

Stimmen: Auf, Kinder, auf. Wer noch einen Muskel ganz hat. Auf, Kinder, auf, wer noch einen Herzschlag übrig hat. Es fängt erst an.

Der am Rohr: Die Schlacht geht weiter.

Stimme: Ein Seher. Einer, der sieht im Dunkel! Einer, der Zeichen sieht am blauen Himmel! Zeichen. Zeichen, gib Zeichen uns! Was wird, wohin geht's, wohin fahren wir? Werden wir leben?

Alle: Werden wir leben? Werden wir leben?

Das Licht geht wieder an. Man sieht nun deutlich den Mann an der Kanone und die übrigen hingestreckt, sich aber bemühend aufzustehen. Der sechste Matrose stirbt gerade.

Stimme zum sechsten: Was willst du sagen? Was bewegst du deine Lippen? Sprich, sage mir. Helfen kann ich dir nicht.

Der sechste Matrose: Hunde! Hunde!

Stimme: Nicht uns gib schuld. Du tust uns unrecht.

Der sechste Matrose stirbt.

Stimmen: Hör, wie es rauscht. Rauscht es? Hör, wie es dröhnt. Dröhnt es? Fühl, wie es zittert. Zittert es? Fühl, wie es schwankt. Schwankt es? Was geschieht, was wird getan mit uns, was geht vor? Leben! Leben!

Stimme: Auf die Knie! Auf die Knie! (Die Leute gehen auf die Knie, heben die Hände flehend und rutschen hinter dem einen her.) In eurer Weisheit ruht die Welt. Aus eurem Willen fließt die Zeit. Zu euerem Herzen strebt das Leben. Wir müssen gehen, wie ihr bestimmt. Wir sind nur Flocken, die fallen in eurem Sturm. Kugeln, die fliegen von euch geworfen. Funken, die übers Wasser irren. Seht, wir erkennen das, was sollen wir wollen wider euch, was planen wider eure Weisheit, was Leben hüten wider euer Herz. Seht! Seht! Der Weg ist nicht gewählt von uns, die Hände nicht geführt von uns. Doch, doch wir taten es, wir führten unsre Hände. Uns ist die Schuld.

Stimmen: Hört ihr, hört ihr von Schuld etwas? Wer redet so? Schlagt ihn tot. Laßt ihn nicht weiterreden. Nicht Schuld, nicht Schuld! Wir taten es und täten's noch einmal. Leben! Leben!

Stimme: Heilige Esel seid ihr doch bloß. Ablauf, Uhren, mit närrischen Zeigern drauf. Haltet still. Lärmt nicht, ersauft endlich. Sterbt endlich. Laßt andre ruhig sterben!

Stimme: Wir liegen zuviel auf den Knien jetzt. (Explosion. Völlige Verwirrung.) Vaterland, Vaterland, o lieb Vaterland. Wir sind Schweine, die auf den Metzger warten. Wir sind Kälber, die abgestochen werden. Unser Blut färbt die Fische! Vaterland, siehe, sieh, sieh! Schweine, die gemetzt werden, Kälber, die abgestochen werden! Herde, die der Blitz zerschmeißt. Der Schlag, der Schlag, wann kommt er uns! Vaterland, Vaterland! Was hast du mit uns noch vor?

Stimmen: Vaterland, Vaterland, was noch von uns! Vaterland, Vaterland, Tod frißt uns wie Reis. Sieh uns hier liegen, Vaterland. Gib uns Tod, Tod! Tod! Gib uns Tod! Tod!

Explosion. Der erste, vierte und fünfte Matrose liegen mit abgerissenen Gasmasken sterbend am Boden.

Der erste Matrose: Kaptän! Kaptän! Ist alles jetzt in Ordnung? Sind wir tot?

Der fünfte Matrose: Die Schlacht geht weiter!

Der vierte Matrose: Tot sind wir noch nicht. Keine Übereilung in keiner Sache! Tot sind wir noch nicht.

Der fünfte Matrose: Die Schlacht geht weiter!

Der erste Matrose: Oh, jetzt aber kommt alles in Ordnung, nicht wahr, jetzt? Ich sterbe. Jetzt werde ich sehen?

Der vierte Matrose: Sehen wirst du wohl nichts.

Der fünfte Matrose: Hört ihr nichts? Ist es still? Ist die Schlacht gewonnen?

Der vierte Matrose: Wirst du wohl auch nie wissen.

Der fünfte Matrose: Mach deine Augen auf du dort!

Der vierte Matrose: Bist du es, Meutrer? Es ist still.

Der fünfte Matrose: Nein höre, die Schlacht geht weiter.

Der vierte Matrose: Sage mir! Oder wozu? Ist ja alles gleich von Beginn bis Ende. Oder vielleicht: Warum hast du nicht gemeutert ?

Der fünfte Matrose: Die Schlacht geht weiter, hörst du? Mach deine Augen noch nicht zu. Ich habe gut geschossen, wie? Ich hätte auch gut gemeutert! Wie? Aber schießen lag uns wohl näher? Wie? Muß uns wohl näher gelegen haben?