Salomon Geßner
Der Tod Abels
Salomon Geßner

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Der
Tod Abels.

Funfter Gesang.

THirza war izt aus einem unruhigen Schlummer erwachet; ængstlich sprang sie vom Felle-bedekten Lager auf. So springt der erschrokne Wandrer auf, der sich myde unter dem schyzenden Felsen gelagert hat, wenn im schrekenden Traum der Fels yber seinem Haupt hoch herunterstyrzt, ihn hat sein gytiger Engel gewarnt, er bebt zuryk, der Fels styrzt, er sucht den Gesellen seiner myhsamen Reise, und weiss noch nicht, daß er erschlagen unter dem Felsen ligt. So bebte sie auf, da sprach sie. »Was fyr Schrekbilder sind im Traume bey mir voryber gegangen? Dunkle Schrekbilder, ich kann sie nicht nennen. Sey mir gegryßt, liebliches Tages-Licht! du hast sie von meiner Stirne verjagt. Seyd mir gegryßt, ihr meine angenehme Sorge, ihr Blumen umher! euer mannigfaltiger Morgen-Geruch soll mein zerstœrtes Haupt erfrischen, und ô ihr frohen Bewohner der Luft! wie froh wirbelt euer Morgen-Lied! meine Stimme soll sich zu eurer mischen, und mein Lob und mein Dank sollen mit dem Dank der ganzen erfrischeten Natur empor duften. Dank und Lob stammelt meine Seele dir, du Schœpfer und Erhalter! deine Allgegenwart wachet yber uns mit segnendem Auge, wenn Nacht und Schlummer uns umhyllen. O – – mein Lob und mein Dank wallet empor mit dem Dank der ganzen erfrischeten Natur!« Izt war sie aus der Hytte gegangen unter die Blumen, frisch aufgeblyhet, ihnen raubten die Morgen-Winde die ersten Geryche. »Aber, so fuhr sie fort, noch sizt Angst tief in meinem Busen, noch bebet mein Herz; Was ist diese ungewohnte Angst? Ich kann sie nicht nennen; fyrchterlich wie die Gewœlke, wenn sie Gebyrgen gleich den Horizont hinanziehn; dann verstummet die Stimme der Freude, und die schauernden Gefilde erwarten ein Gewitter. Wo bist du, Abel? mein Bruder, du – Hælfte meiner Seele! Ich eile in deinen Arm, von dunkeln Sorgen verfolgt, wie einer eilt, der des Nachts im einsamen schwarzen Hain irret, wenn ængstliche Schauer seine Fysse beflygeln.

Sie sprach so und eilte, als Mehala aus ihrer Hytte ihr entgegen gieng. »Sey mir gesegnet, geliebte Schwester, rief sie ihr zu, wohin soll dein eilender Fuß, wohin? so mit dem los fliegenden Haar, mit keiner Morgen-Blume geschmykt?

Ich eile, sprach Thirza, ich eile in den Arm meines Geliebten; mich haben im Schlaf ungewohnte Schreken geængstigt, und noch izt sizen sie schwer in meinem Busen; Der schœne Morgen hat sie nicht verscheucht, izt eil ich zu meinem Geliebten. O! sie fliehen mich in der Umarmung des Geliebten, wenn auch der aufblyhende Fryhling, wenn das Læcheln der ganzen Natur sie nicht verscheucht.

Kains Vermæhlte sprach izt und seufzte, wo myßt ich meinen Trost herholen! glykliche Schwester! fænd ich ihn nicht bey dem liebenden Vater, und bey der zærtlichen Mutter, und bey dir, Thirza, und bey deinem Geliebten. Ja, bey euch entlad ich mich der bangen Sorgen, die Kains Unzufriedenheit auf meine Tage hæuft. Ach! die ganze schœne Natur hat fyr ihn nur Quellen zu schwarzem Unmuth; die Arbeit, die sein Feld fyr seinen Reichthum fodert, ist ihm unertrægliche Last; und, ô! wie quælet mich sein Groll gegen den frommen Bruder!

Mehala weinte, und die zærtliche Schwester umarmte sie mit zitternden Thrænen im Auge. »Geliebte! sprach sie, ô wie oft entloket das meinem Geliebten und mir in schlummerlosen Stunden der Nacht bittre Thrænen! Wir ringen dann die Hænde, dann beten wir zu GOtt auf. Ach mœcht' ein Stral seiner Gyte die schwarzen Schatten aus seinem Busen verdringen, in denen so hæßliches Unkraut emporwæchßt, und jede seiner Tugenden erstikt! dann wyrde die sanfte Ruhe um unsre Hytten her wieder aufblyhen, und der Gram von der Stirne des liebenden Vaters und der zærtlichen Mutter entfliehn.

Mehala sprach weinend: »Dieß, ach, dieß ist mein Gebett! ach! wie manche mitternæchtliche Stunde! wenn ich dann still weinend die Hænde yber meinem Haupt ringe, wenn ich bet' und weine, und wenn mein Schmerz und mein Seufzen oft laut wird, und er an meiner Seite erwachet, dann schrekt mich seine donnernde Stimme zuryk, daß ich die erquikende Ruh' ihm stœre, das einzige Glyk (so sagt' er) in diesem Elend, auf dieser von dem Ræcher zu sehr verfluchten Erde. Ach! Thirza! dieß ist mein seufzendes Gebete, wenn ich bey hæuslichen Geschæften in der Hytte size; dann weinen meine unschuldigen Kinder um mich her, wenn sie meinen Schmerz und meine Thrænen sehen, und fragen stammelnd und schmeichelnd, warum die betrybte Mutter weint? Ach! Thirza! ich verwelke unter dem Schmerz, wie eine Blume verwelket, der ein yberhangendes schwarzes Gebysche, den erquikenden Thau und den wærmenden Sonnen-Stral raubt. Noch vor dem Morgen-Roth gieng er heut aus der Hytte; und ô wie fyrchterlich! noch nie ist der Unmuth so auf seiner Stirne gesessen, Zorn blizt' aus seinen Augen, unter den fyrchterlich niedergedrykten Augbraunen hervor, er fluchte, da er yber die Schwelle gieng; ich hœrt' es, und bebte; er fluchte der Stunde seiner Geburt, so gryßt' er den læchelnden Morgen. Zwar, Thirza, auch du hast es oft gesehen, daß seine Tugend durch die Finsterniß durchdringt, und sein Gemyth aufheitert, dann weint er, und flehet Vergebung, daß er uns beleidigt hat; Aber, ach! bald verbirgt sich ihr Licht wieder, wie in tryben Tagen des Winters die Sonne oft lieblich durchbricht, dann schliessen die traurigen Wolken sich wieder; zulezt aber, ô Thirza. dafyr wollen wir unablæssig zu GOtt aufflehen, diese Hofnung næhre ich immer, zulezt wird ein heitrer Fryhling sie ganz verjagen.

Mehala sprach so, als Thirza erblassend in die Gebysche hinhorchte: Was fyr ængstliche Tœne gehn dort aus den Bæumen her? so sprach sie, und bebte, – – so hat kein Schmerz noch geklagt, Schwester! – – dort von den Bæumen her – Mehala! Ach! – dieß Jammern kœmmt næher! – – GOtt! – – Izt sank Thirza in ihrer Schwester Arme.

Adam gieng mit wankendem Schritt unter den Bæumen hervor; auf seiner Schulter trug er die traurige Last, den Leichnam seines Sohns; neben ihm gelehnt gieng Eva; oft hub sie ihr Gesicht voll unaussprechlichen Schmerzens empor, und sah die blutige Leiche, und dann verbarg sie es wieder, in die Thrænen-triefelnden Loken..

In Todes-Blæsse lag Thirza in ihrer Schwester bebendem Arm; Mehala sank auch hin, unter der hingelehneten Last; bebend und ohnmæchtig vermochte sie nicht die Schwester zu halten. So wie, wenn drey liebenswyrdige Gespielen, (so zærtlich haben sich noch keine geliebt,) wenn sie Hand in Hand am schœnen Sommer-Abend aufs weisse Aehren-Feld gehen, und ein plœzlicher Donner vor ihre Fysse sich hinschleudert, betæubt styrzen sie aufs Feld hin; wenn dann zwoo von ihnen aus der Betæubung bebend erwachen, und den Aschenhaufen ihrer Freundin vor sich sehn: so erschroken erwachten die Schwestern, und sahn den Erschlagenen. Adam hatt' ihn auf das Gras hingeleget, und hielt sein weinendes Weib, daß sie nicht hinsank. – – Wo bin ich? rief Thirza, wo? O GOtt! – – noch ligt er da – – Abel! ô warum mußt' ich erwachen? – verhaßtes Licht! – – Ach! ich Elende! – – Mehala! ach! ich Elende! noch ligt er da, todt! O Schreken! du styrzest auf mein Haupt hin, wie ein Donner! – Verhaßtes Licht! warum mußt' ich erwachen?

Thirza! so rief Mehala mit bebender Stimme. – – laß – – ô laß dich vom schreklichsten Gedanke nicht schreken! auch mich – – auch mich schlægt er wie ein Donner! – – Thirza! ach! du sinkest wieder! – – Erwache, Thirza! laß uns hingehn; wir haben noch nicht jedes Elend gesehn! er ist nicht todt – – laß uns hingehn; deine Stimme, deine Umarmung werden ihn weken.

So sprachen die Schwestern, und izt lehneten sie bebend und kraftlos an einander sich auf, und wankten zu der Leiche hin. »O Adam! Eva! wie sie da stehn und weinen! – – ich bebe; – – so stammelte Thirza, und izt stand sie neben der Leiche. – – Abel! – – Abel! – – Geliebtester! du – – ô mein Glyk, mein Leben, mein Alles! – – erwache! – – Ach Elend! du erwachest nicht! Abel! – hœre mein winselndes Schreyen! hœre, ach hœre dein Weib!« Izt styrzte sie auf die Leiche hin, und wollt' ihn umarmen; da bebte sie laut schreyend zuryk, sie hatte die Wunde gesehn, und das Blut auf der Stirne. Sprachlos und starr, wie ein Todter, saß sie izt, blaß wie ein Marmor, Verzweiflung im weit offenen unbewegten Auge. Neben ihr weinte Mehala, rang die Hænde yber dem Haupt, sah mit bethrænten Augen hinauf zum Himmel, dann weinte sie wieder zur Leiche hin.

Adam fyhlte ihren Schmerz, weinte und wollt' ihnen Trœstungen stammeln; Geliebte! ô Mehala! ô Thirza! kœnnt' ich Elender euern Jammer stillen! Ach! weinet nicht untrœstlich! Da wir bey dieser Leiche untrœstlich weinten, Eva und ich, da kam in himmlischer Schœnheit ein Engel zu uns, mit Trœstungen vom Himmel. Weinet nicht untrœstlich, so sprach er, nicht untrœstlich, als wær er ganz dahin; Begrabe die Hylle von Staub; seine Seele ist der Fesseln des Leibes entladen; er ist selig, seliger als die Seel' im Staube fassen kann; eine kleine Zeit nur myßt ihr ihn missen, dann seyd ihr mit ihm seliger als die Seel' im Staube fassen kann. Geliebte, ach! entweihet den Seligen nicht mit untrœstlichem Jammer!

Noch saß Thirza betæubt und sprachlos, indeß daß Kains Weib die Hænd' yber dem Haupt rang, und ihr Jammer so klagte: »Vater! Vater! laß uns weinen.! ô wie erbærmlich ligt seine Hylle da! du unser Trost, du unser Entzyken. Abel! ach! du hast uns verlassen; und unser sysses Geschæfte wird seyn, um dich zu weinen, bis in die Stunde unsers Todes um dich zu weinen. Ja, du bist hinyber gegangen in die Seligkeit, deren Erwartung dir so manche heilige Thræn' entlokte, deren Erwartung mir so manche Thræn' entlokt. O! wir weinen dir nach, aus diesem Schatten des Todes dir nach! Du hast uns verlassen; und unser sysses Geschæfte wird seyn, bis in die gewynschte Stunde des Todes um dich zu weinen! Kain! Kain! wo warest du da, als dein Bruder starb? O hættest du da noch mit bryderlicher Zærtlichkeit ihn umarmt, da noch um des Sterbenden Segen gefleht, ô wie hætt' er mit sinkenden Armen dich umfasset, mit sterbenden Lippen noch dich gesegnet! welch ein sysser Trost, welche heilende Erquikung wære das in kommenden Tagen gewesen! – Aber – GOtt! – – was fyr neuer Schmerz machet dich ohnmæchtig? – – du sinkest zuryk, Eva! Adam – – ô was fyr Entsezen breitet sich yber dein Gesicht aus? Schrekliche Ahnung! Wo ist er! Adam! Eva! Wo ist Kain? Wo ist mein Mann?

Hingesunken rief izt Eva: Wohin, wohin verfolgt sie ihn, die ewige Rache? O GOtt! der Elende! Er – – ha! bebe zuryk, schwarzer Gedanke! Mich, mich allein martre wie eine Hœlle in meinem Busen, schwarzer, hæßlichster Gedanke! O ich Elende! was mußt' ich – – Mehala rief: Donnere es ganz yber mich aus, Mutter! ganz yber mich, das Ungewitter! Ha! Schon styrmt er in meinem Busen, der donnernde Gedanke! Vater! Mutter! ô Schonet nicht! »Kain! Kain! ô unaussprechliche Qual! – – – Er hat ihn erschlagen, Mehala! ô Thirza! er hat ihn erschlagen! rief Eva; und war izt vor unaussprechlichen Schmerzen sprachlos.

In stummem Entsezen bebte Kains Weib; keine Thræn' entfloß dem starren Auge, kalter Schweiß floß von der Stirne, die blassen Lippen bebten; da rief sie: Er hat seinen Bruder erschlagen; Kain, mein Mann, hat seinen Bruder erschlagen! Entsezen! – – Wo bist du, Bruder-Mœrder! Wohin – – wohin verfolgt dich dein Verbrechen? Hat – – ô! hat GOttes Donner den Bruder gerochen? Bist du nicht mehr? Elender! wo bist du? wo jagt dich die Verzweiflung umher? So rief sie, und risse sich die Loken vom Haupt.

Bruder-Mord! rief Thirza, ha – wie konnt' er, wie konnt' er, den Tugendhaften, diesen Frommen? mit Augen voll Liebe muß er ihn angeblikt haben! Kain! ô verflucht – – verflucht sey – – O Thirza! fluch' ihm nicht, Thirza! rief Mehala, fluch' ihm nicht; er ist dein Bruder, er ist mein Mann! nein, laß fyr den Synder uns beten. Da er blutend hinsank, der Tugendhafte, da hat er mitleidig ihn angeblikt, hat ihn gesegnet. Izt fleht er fyr ihn, izt vor des Ewigen Thron. Laß unser Gebet aus dem Staube zu seinem Gebet emporsteigen. O fluch' ihm nicht, Thirza! fluche dem Bruder nicht.

Wohin reißt mich mein Elend! sprach Thirza! ich hab ihm nicht geflucht, Mehala! Ich habe dem Elenden nicht geflucht! – – Izt sanke sie auf die Leiche, kyßte die Blut-besprizten Wangen und die erkalteten Lippen, lange in sprachlosem Schmerz, dann hub sie oft unterbrochen so an: O warum konnt' ich nicht, da du hinsankest, die erblassenden Lippen noch kyssen, noch einmal deine Liebe von deinen Lippen hœren! dann, ô dann hætte dein sterbendes Auge noch einmal mich angeblikt, und – – ô wær ich dann in deiner lezten Umarmung gestorben! – – O daß ich styrbe, daß izt mein Leib erblasset neben dem deinen læge! Aber ach ich bleibe in unaussprechlichem Jammer zuryk! Was bisher schœn war, wird meine Schmerzen mehren. Schattigte Lauben, in euch wird mir seyn, als fragt' eure Dæmmrung mich, wo ist er, der ehmals in unsern Schatten voll Entzykens dich umarmte? Die rauschenden Quellen werden fragen: Wo ist er? Verlaßne! – In euern Schatten, an euerm Ufer werd ich fyrhin nur meinen Jammer weinen. Fyr immer, ach! fyr immer hat er mich verlassen. Ach – – immer werd' ich ihn sehen, dieß starre ausgeloschene Aug, diese Todes Blæsse, dich Blut auf der Stirne und auf der Blæsse der Wangen! O fliesset ihr Thrænen! fliesset unaufhaltsam auf den verwelketen Leib! Er – – ach er war die schœne Hylle, die die edelste Seele zu meiner Umarmung erniedrigte; wie herrlich glænzte jede Tugend sichtbar in liebreizender Schœnheit, glænzt' im milden Auge, læchelt' auf Wangen und Lippen! izt ist sie dem Leib entrunnen; zu rein, zu selig zum Umgang mit Sterblichen, zum Umgang mit mir. O fliesset ihr Thrænen, fliesset unaufhaltsam auf die verwelkende Hylle, bis meine verlangende Seele ihren Staub bey dem seinen zuryke læßt!

So jammerte Thirza, und weint auf die Leiche hin. Eva sahe das Jammern ihrer Tœchter mit gedoppeltem Schmerz. »O Kinder! so rief sie, wie fyhl' ich euern Schmerz zu dem meinen, wie martert mich euer Jammer! O wie sind eure Klagen so nagende Vorwyrfe fyr mich! – – fyr mich, die die Synde, den Fluch und den Tod in die Welt gebracht hat; verzeihet, ô verzeihet mir Elenden, verzeihet eurer Mutter, die euch mit Schmerzen gebahr.« Da sie so sprach, umfaßten die Tœchter ihre Knie, und riefen so zu ihr auf: »Um der Schmerzen willen, mit denen du uns gebahrest, Eva! laß ab von solchen Vorwyrfen gegen dich, mehre unsern Jammer nicht mit neuen Qualen. O die du mit Schmerzen uns gebahrest, laß ab – – nenne sie nicht Vorwyrfe, diese Seufzer, diese Thrænen; O kœnnten wir unserm Schmerz befehlen, so wyrde kein Seufzer mehr unserm Busen entrinnen, keine Thræne dem Auge. Aber wie kœnnten wir widerstehen, wie der Natur, wie der zærtlichsten Liebe widerstehen? Sie fodern diese Thrænen.« Da sie so der Mutter Knie umfaßten, und mit bethrænten Augen zærtlich zu ihr aufsahn, da sprach Adam: »Geliebte! laßt uns nicht længer zœgern, des Hœchsten Befehl zu vollziehen; laßt uns diese Hylle, laßt uns den Vorwurf unsrer Thrænen und unsers Klagens der mytterlichen Erde wieder geben. Die heilende Zeit und die siegende Vernunft werden unsern Schmerz lindern; er wird dann seyn, wie das Verlangen einer Braut nach dem Tage, der sie in des Geliebten Arme fyhrt. »Gieb ihn der mytterlichen Erde, so sprach Thirza, und sah weinend zu ihm auf. Aber, geliebter Vater! noch einmal will ich yber ihm weinen, dann gieb ihn der Erde; und izt lag sie mit ausgebreiteten Armen yber die Leiche hin.

Izt grub Adam ein Grab in die Erde, und Eva und Mehala standen weinend an der Seite. Inzwischen kamen Kains unschuldige Kinder von ihrer Hytte her, Hand in Hand bebeten sie næher. »Josia, Geliebter! sprach der goldlokichte Eliel, was ist das fyr ein Jammern? Laß uns næher gehn; sieh, Abel – wie er da ligt, wie blaß, wie mit blutigen Loken! so, Bruder! so ligt ein Lamm, das man zum Opfer geschlachtet hat. »Geliebter Eliel! sprach der kleinere Josia, sieh wie Thirza yber ihn weint; sieh, und sein starres Auge bliket sie nicht an; laß uns weggehn; ich bebe, mir schauert vor dem Anblik; laß uns voryber eilen zu der weinenden Mutter.« Izt eilten die Kinder voryber, und schmiegten sich an ihr auf. »Mutter! so fragten sie, warum weinet ihr alle? Warum ligt Abel da wie ein Opfer-Lamm?« Izt umarmte Mehala ihre Kinder, und weint' auf sie hin, und sprach: Geliebte Kinder! der Tod hat seine Seele aus dem Staube genommen, und zu den Engeln in ewige Freuden hinybergebracht. »So wird er nicht wieder erwachen, sprach Eliel, und weinte laut, er wird nicht mehr erwachen; er, der die frommen Lieder uns lehrte, der uns so zærtlich liebte – – der, Josia! auf seiner Schooß gegen einander yber uns sezte, und vom Schœpfer und von den Engeln und von den Wundern der Natur uns erzehlte, der wird nicht wieder erwachen! O unser Vater! wie wird er weinen, wenn er vom Felde zuryk kœmmt! So sprachen sie, und schmiegten sich weinend in die Falten des Kleides, das von den Hyften der Mutter herunter floß.

Izt hatt' Adam die Grube gegraben. »Erwache, Thirza! Geliebte! erwache! laß uns nicht zœgern, diesen Staub der Erde zu geben; der HErr befahls, Thirza! laß uns nicht zœgern!« So rief Adam, trat hin und nahm zærtlich ihre Hand; sie erwachte, stumm war sie yber der Leiche gelegen, und izt erwachte sie aus einem heiligen Gesicht. »Ja ich hab ihn gesehen, in himmlischem Glanz trat er hervor; wie herrlich! ich habe den Seligen gesehen! – – – Thirza! Weine nicht, weine nicht, ich bin selig; bald wirst du zu mir hinybergehn, dann wird kein Tod mehr uns trennen. So sprach er, verschwand himmlisch læchelnd, und himmlischer Glanz floß in seine Fußtritte zuryk. So sprach Thirza, und erhabener Trost leuchtete in ihrem Gesicht; begrabe, geliebter Vater! begrabe die Hylle von Staub. So sprach sie, stand auf, und stand neben der Mutter und Schwester, und izt verhyllete die Mutter, und die Schwestern verhylleten ihr Gesicht in die los fliegenden Loken, denn Adam umwand weinend die Leiche mit Fellen, und legte sie ins Grab, und warf die Erde daryber. Izt laßt uns zu dem Hœchsten beten, sprach Adam, geliebtes Weib! geliebte Kinder! hier neben dem Grabe laßt uns hinknien. Izt knieten sie neben dem Grabe hin, Eliel und Josia knieten neben der Mutter. So betete mit auf die Brust gefalteten Armen der erste Vater.

Der du hoch im Himmel wohnest, GOtt! Schœpfer! ewige Gerechtigkeit! unendliche Gyte! Hier ligen wir vor dir, hier beym Grabe des ersten Verwesenden, wir Synder im Staube, und flehen zu dir auf. O laß unser Gebet zu dir aufsteigen! Blike gnædig zu uns herab, in dieses Thal des Todes, in der Synde Wohnung! Groß ist unser Verbrechen, grœsser deine ewige Gyte! Was sind wir Unreine vor dir? und doch wendest du dein Angesicht nicht von uns! Wir winseln im Jammer, den wir selbst yber unser Haupt ausgegossen haben; und du siehest mild in unsern Jammer herab. Du vergœnnest uns zu dir aufzuflehen; denn du hast den Synder nicht verlassen. Ewig seyst du gelobet, du hoch im Himmel! dich lobet nicht nur der læchelnde Fryhling, nicht nur die Heitre des Himmels verkyndigt dich, dich verkyndigt der bryllende Donner, wenn er in schwarzen Wolken daherfæhrt, der Sturmwind verkyndigt dich, der yber die Erde hinheult, daß Gewitter dahergehn, und rauschende Regen. Dich lobe die læchelnde Freude, dich die Thræne des Jammernden! Wir haben ihn gesehen, den Sohn der Synde, den Tod; in schreklicher Gestalt ist er zu unsern Hytten gekommen, schrekliches Verbrechen (hat die Erde da nicht geheult, haben nicht Ungewitter yber ihnen sich zusammengezogen?) schwarzes Verbrechen hat bey der Hand ihn hergefyhrt; der erste aus meinen Lenden – – Meine Gebeine erbeben! er hat seinen Bruder dem Tod hingegeben! O wende dein Angesicht nicht von mir, wenn ich mich unterwinde, fyr ihn zu beten! Verwirf ihn nicht ganz von dir, ewige Gnade! Blik ihn an, den Synder, daß seine Seele vor dem Verbrechen erbebe, daß er vor dir auf der Erde sich wælze, weine, um Vergebung unablæssig dich flehe; und wenn er unablæssig dich fleht, wenn das Verbrechen ihn mit unaussprechlichen Martern quælt, dann, ô dann streue Samen des Trostes in seinen Jammer! GOtt! ô GOtt! verwirf das kyhne Gebet nicht! Ich habe die Erde aufgegraben, ich habe die bethrænte Erd' auf den Leib des Erschlagenen hingeworfen; hœre unser Gebet; es steigt herauf zu dir, von dem Grabe des ersten Verwesenden! O hœr uns! HErr! HErr! hœr uns, wenn fyr den Erstgebornen wir zu dir aufweinen, ô laß ihn nicht vor deinem Zorn vergehn! Hœr uns, wenn wir fyr ihn in Schlaf-losen mitternæchtlichen Stunden zu dir aufweinen; zu dir aufweinen, wenn die Sonne kœmmt, und wenn sie niedergeht. Doch Heil uns! Heil! Lob, ewiges Lob dir! du hast die Seele des Erschlagenen zu dir aufgenommen. Er hat sein erstes Opfer der Tod! wir werden ihm folgen, eins nach dem andern in die dunkle Grube hin, ins Ewige hinyberfolgen. O du! dessen Wink den Himmel schuf, sein Wort die Welt! sie werden vergehen, die Himmel und die Erde werden vergehen, und du bist ewig. Wir leben im Staub, und unser Staub wird dahinfallen. Du bist unwandelbar ewig, und wirst uns zu dir hinaufsammeln, den byssenden Synder, den Frommen, der næchtliche Thrænen weint, daß seine Tugend seinen Wynschen so unvermœgend ist, noch Fleken der menschlichen Schwachheit hat; du wirst sie aus dem Staube herauf sammeln, daß sie ewig sich freuen, daß sie izt rein sind, rein wie die Engel. Denn – unaussprechliche Verheissung! Des Weibes Saame wird der Schlange den Kopf zertreten! Hypfe, Erde! lobsinge ganze Natur! wir wollen ihn loben, auch wenn Unglyk um unsere Scheitel donnert. Der Mensch ist gefallen, von der angeschaffenen Wyrde tief hinunter gefallen, aber, Heil uns! GOtt hat ihn nicht ewig verworfen; und seine Gyte bliket auf uns, auch wenn er Gericht hælt. Er fiel; er, den GOtt so selig schuf; und da er gefallen war, stand der Synder bebend da, und erwartete tief gebykt, voll unaussprechlicher Angst, ewigen Fluch, ewiges Gericht; was geringers konnt' er erwarten? Aber, die ganze Natur feyert das grosse Geheimniß: Er wird der Schlange den Kopf zertreten! Grosses Geheimniß! Zwar umhyllet dich ein heiliges Dunkel, jedem Geschaffenen undurchdringbar, du grosse Versœhnung des Synders mit GOtt! – – Und wir sollten mit entweihenden Thrænen im Staube winseln, daß der Traum dieses Lebens mit Freud' und Betrybniß wechselt, bis der næhernde Tod die Seel' aus dem beflekten Staub aufwekt, und sie der Fesseln des verdienten Fluchs entladet? Dann geht sie hervor, die Seele die im Staube gehyllet ihre Wyrde nicht vergaß, die GOtt liebte, der durch unendliche Wunder, unendliche Gyte, zur Liebe sie anflammt. O ich sehe sie, die heilige Zukunft! ich sehe sie, die der Tod hinybergebracht hat; ein zahlreiches Geschlechte, rein wie Flammen, die Engel auf dem Altar vor dem Thron opfern, unter den Engeln stehn sie, und singen ewige Lob-Gesænge zum Glanz umhylleten Thron auf! O was fyhl' ich? wie hebt sich meine Seel' empor! so hat sie noch nie empfunden; Lob – – Lob stammelt sie dir, unendliche Gyte! Sie schwimmt in heiliger Entzykung; und dæchte sie stark, wie der erste der Engel, sie kœnnt' es nicht reden, nur stammeln – – nur empfinden!

Izt schwieg Adam, und blieb lang in heiligem Stillschweigen; und die mit ihm um das Grab knieten, blieben auch lang in heiligem Stillschweigen. Die Natur um sie her feyerte die Scene in festlicher Stille, und an dem offenen Glanz-vollen Himmel gieng keine Wolke yber ihnen daher.

Bald kam der Abend mit kyhler Dæmmerung und ruhiger Stille. Kain war, von bangem Schauer und nagendem Gewissen herumgetrieben, in der Wildniß umhergeirret; myd saß er izt gegen dem kommenden Mond yber, und da tœnte seine schrekende Stimme so durch die Abend-Stille. »Dort vom schwarzen Berg herauf schwimmt der volle Mond durch den dystern Himmel daher, und streut Schimmer und Stille umher; alles athmet Ruhe und Erquikung unter dem dicht besæeten Sternen-Gewœlbe; aber der Mensch nicht, Wehklagen und Jammer steigt von ihren Hytten empor; Ich, ich Verruchter! ich habe den Jammer zu ihren Hytten gebracht! Mich klagen sie an, diese Seufzer, dieß Winseln des Elends, das von ihnen durch den næchtlichen Himmel emporsteigt! Heut – – hœrt es, ihr Sternen! hœr' es, Mond! und werde blasser, und umhylle dich! Heut – – der Tag sey verflucht! Hat deine Schwester, die Erde, das Blut des ersten Erschlagenen getrunken; und ich Elender, der ich hier bebe, ich gab es der Erde – das Blut meines Bruders! O fyrhin versagt mir euern gytigen Einfluß, versagt ihn dem Aker, den ich pflyge, und der Gegend, die ich bewohne; ich habe meinen Bruder erschlagen! Umhylle mich, schwarzes Dunkel! verbirg mich vor den Augen der Natur! Ich will in deiner Hylle fliehen, mit meinem Elend fliehen, dahin, wo kein Fußtritt im schimmlichten Grase dahergeht, zwischen Felsen-Klippen zu wohnen, wo stinkendes Wasser wie Thrænen von dem Felsen triefelt, tief in die sumpfigte Wohnung hæßlichen Ungeziefers, wo dunkles wild verwebtes Gestræuch, die Wohnung der Raub-Vœgel, hoch yber mir den Anblik des Himmels mir raubt; da will ich klagen und heulen, und mich auf der Erde wælzen. Wenn dann der Schlaf Schreknisse von schwarzen Flygeln yber mich ausstreut, dann wird sein Bild vor mir stehen mit zerschmettertem Haupt und Blut-triefenden Loken.

So bebte, so jammerte Kain im Finstern der Nacht; izt schwieg er, lang schwieg er in sein Elend gehyllt, und der næchtliche Vogel sang weit umher schychtern keinen Laut, nur ein leises Murmeln gieng durch die Gegend; izt hub er wieder an, und sah schauernd umher. »Jammert um mich ihr Hygel, ihr Haine jammert um mich, ich bin elend, unaussprechlich elend; und der Elende verdienet ja Mitleid. Jammere um mich, du ganze schœne Natur! fyr mich, ach! fyr mich nicht mehr schœn! Ihr Zeugen der Allgegenwart eines gytigen GOttes! aber fyr mich nicht mehr gytig; das kann er nicht, fyr mich ein ewiger Ræcher!« Da schwieg er wieder, und hub wieder an: »O! izt kann ich weinen, ich konnte nicht weinen, izt fliessen Thrænen; ihr werthen Zeichen des gemilderten Elendes! erst noch Verzweiflung, izt jammernde weinende Wehmuth. O! fliesset ihr Thrænen, wyrdige sie aufzunehmen, Erde! ich bin von dir verflucht; aber – – ô nihm sie willig auf, die Thrænen meines unaussprechlichen Elends! – – – Was fyr ein Gedanke steigt in mir empor! – – – Sie fliessen stærker die Thrænen; – – Ja ich will – – izt, da die Nacht mich umhyllt, will ich hingehn zu den Hytten der Jammernden, noch einmal sie sehn, noch einmal sie segnen – segnen – ich? – – Zyrnende Winde werden ihn von meinen Lippen verwehen, den veræchtlichen Segen, ich Elender, ich kann sie nicht mehr segnen! Ich will dennoch hingehn, ich will hingehn, und sie segnen und weinen, und dann – – ach! und dann auf ewig weit von ihnen fliehen. Mehala! weit von dir, von unsern Kindern weit wegfliehn, auf ewig!« Izt konnt er nicht mehr; er schwieg, und gieng den Hytten zu, und nezte den einsamen Weg mit Thrænen.

Izt gieng er eine grynende Laube vorbey; der Gemordete hatte sie hoch auf den sanften Abhang der Anhœhe gepflanzt. Blyhe auf, so sprach er, da er sie pflanzte, blyhe mit sanft erquikendem Schatten hoch auf, daß spæte Enkel in deiner Dæmmerung sich erzæhlen, hier hat Eva ihren Erstgebornen empfangen, hier gryßte sie ihn weinend zum ersten mal auf die Welt; ihn, den ersten Trost der einsam durchlebten Tage. Sie nannt' ihn Kain, hieng auf ihm voll unaussprechlichen Entzykens, und kyßt' ihn und sprach: Ich habe von dem HErren dich empfangen. Der Bruder-Mœrder gieng mit weggewandtem Gesicht vorbey, Angst-Schweiß floß von seiner Stirne, kaum trugen ihn die wankenden Knie voryber. So bebt der bey seines Vaters Grab vorbey, der dem hungernden Greisen, da er myd vom Felde zuryk kam, Gift in der Speise auftischete; wenn ihn, da er voryber geht, das Rauschen und die sanften Geryche der Blumen-Krænze verfolgen, die seine frommen Schwestern um den Aschen-Krug gehængt haben. Izt war er voryber gebebt, den Hytten næher. Der Mond-Schein streute blasses Licht durch die bedekenden Aeste der Bæume auf sie hin, und traurige Stille ruhete um sie her. Er sah sie, und weinte, und rang die Hænde, und blieb lange stumm, unaussprechlicher Schmerz schwoll sich in seinem Busen; er stund schauernd da in der œden Stille. »Wie still ruhet die Trauer hier! so sprach er leise, oder dieß Lispeln – sind es nicht Seufzer? Ist es nicht das Winseln des næchtlichen schlaflosen Jammers von den Hytten her? – – Hier – – hier bebt er im Dunkeln, von der Hœlle verfolgt, der euch zu Wohnungen des Wehklagens gemacht – – der – – ach! ich Verfluchter! die Ruhe und jede hæusliche Freude von euch verjagt hat. Und ich wag es, die Luft zu athmen, durch die die Seufzer der Wehklagenden zittern; die Gegend wag' ich zu betreten, die dem Jammer der Frommen, dem Jammer yber mein Verbrechen geheiligt ist! – – Fliehe! entweihe nicht die heilige Gegend! – – Ach! – – ich will fliehen. ich Elender! Nur noch zween Augenblike soll mein Auge voll Verzweiflung euch ansehn; vergœnnt es, vergœnnt es mir Elenden, nur wenige Thrænen noch zu weinen, die wunden Hænde noch einmal hier zu ringen, dann will ich fliehen! Seyd mir gesegnet! ô seyd mir gesegnet! – – ihr, ach ich Elender! bald hætt' ich die heiligen Namen entweiht, mit denen die heiligsten Bande, das edelste, was Menschen fyhlen, sich nennen; Seyd mir gesegnet! O daß mit dem Dunkel der Nacht jeder Jammer von euch wiche, und zu dem meinen sich gesellete, meiner treuen Gesellschaft, durch die vor mir her verfluchte Welt! Daß ihr den auf ewig vergessen kœnntet, dessen Bild euch mit Martern verfolgt; daß ihr auf ewig mich vergessen kœnntet! Schreklicher Wunsch des æusserst Elenden!

Izt stand Kain im Dunkeln, und weinte, und rang die bebenden Hænde, als jemand durch die Nacht dahergieng mit langsamem Schritt. Ein kalter Schauer, wie ein Schauer des Todes, umfloß seine Seele; er wollte bebend fliehen, und konnte nicht fliehen, er sank ohnmæchtig am Gebysche hin.

Thirza hatte in der trauervollen Nacht ihr einsames Lager verlassen, und gieng izt mit Thrænen benezt hinaus, und sezte sich im bethauten Gras neben dem Hygel des Grabes; sie rang die Hænde, und sah mit starrem Blik in den bestirnten Himmel; dann sank sie wieder aufs Grab, und ihre Thrænen quollen auf die aufgeworfne Erde hin. »Hier – – hier, so jammerte sie, hier ligt meine Ruhe, jede meiner Freuden; hier, unter dieser Erde, die meine Thrænen verschlinget. Ach! ist keine Ruhe, keine Erquikung mir ybrig gelassen, in den thrænenvollen Næchten? O fliesset ihr Thrænen! ihr seyd die traurige Erquikung, wenn ich Stunden lang aus seinem Grab euch verweine, wenn ich hier Stunden lang in der traurigen Todes-Stille seufze. Zwar – – Geliebter! ich habe dich gesehen in himmlischem Glanze; wie herrlich! Aber ach! – – sollt' ich dir nicht nachweinen? Du bist in diesem Leben voll Jammer fyr immer, fyr immer mir entrissen! – – Ich hatte mich ohnmæchtig geweint, ich hatte neben dem theuern Pfand unsrer Liebe mich ohnmæchtig geweint; erquikende Ruhe hat sich yber seine Augen gebreitet; ach! es læchelt im Schlaf, und kennt das Elend des Sterblichen noch nicht, weiß den Verlust nicht, den es erlitten hat. Vergebens hab ich mich auf das œde Ehebett geworfen, vergebens den Schlummer gefleht; bange Einsamkeit und marternde Unruhe, ach! sie haben sich fyr immer dahin geleget, wo die eheliche Zærtlichkeit und die sysseste Ruh' in deinem Arme wohnten, in diesem Leben voll Trauer fyr immer mir geraubt. O Elend! von einem Bruder mir geraubt! – – wo ist er – – der Elende? Wo foltert ihn sein Verbrechen? Du – – ewige Gyte! ô verschmæhe nicht mein winselndes Gebet, wenn ich unermydet fyr ihn um Erbarmung flehe; verschmæh' es nicht, wenn er Busse thut, im Staube sich wælzt, zu dir aufweint und um Erbarmung dich fleht! so sprach sie, und lautes Schluchzen hemmt' ihr izt die Rede. Wie oft – ô wie oft warest du der stille Zeuge, (so fuhr sie fort und styzte die Augen empor,) du sanfter Mond, wie oft warest du unsrer Zærtlichkeit Zeuge! wenn wir mit umschlungenen Armen in deiner Dæmmerung einsam giengen, wenn seine syssen Lippen die heilige Tugend mich lehrten, wie oft warest du Zeuge! izt ligt seine verwesende Hylle hier, dein trauriger Schimmer beleuchtet sein Grab; hier, der sysseste Trost des frommen Vaters und der zærtlichen Mutter, hier, ach! hier mein theuerster Mann! Izt schwieg sie lang, in tiefe stumme Trauer gehyllet, und izt sah ihr trauriger Blik die stille Gegend durch. »Wie hell! heller als alle andern, schimmert dort die Laube; heilige grosse Gedanken steigen aus meinem Jammer empor,(so fuhr sie fort) hell wie du, Mond, in das Dunkel der Nacht empor steigest; wie glænzt dort die Laube, wo du, Abel, beym Schimmer des Abend-Roths mich umarmtest! Wie selig, so sprachest du, und dryktest an deine Brust mich und weintest, wie selig ist es, tugendhaft zu seyn! wie selig den zu lieben, dessen Ausfluß alle diese Schœnheit ist! wie selig, wenn jede unsrer Thaten den Beyfall bemerkender Engel verdient! Was fyr eine Wollust gleichet der Empfindung der Allgegenwart GOttes, in dieser Schœpfung voll Schœnheit; der Empfindung der Tugend, die uns solche Thrænen entlokt! Wer so seine Tage durchlebt, dem ist der Tod nicht schrekhaft, was er auch seyn mag; das wissen wir doch, ô unaussprechliche Gnade fyr den Synder! daß er den Leib von der unsterblichen Seele sœndert, daß sie sich empor schwinge, unendlich selig zu seyn. Thirza! so sprachest du, und dryktest mich feuriger an deine Brust; wenn ich vor dir aus dem Staube gehe, vor dir selig bin, ô dann weine nicht lang yber meinem Staub! Was ist die vom Schœpfer dir angemessene Zeit? Wenn wir in der Unendlichkeit uns wieder finden, ewig selig zu seyn. Geliebtester! so sprach ich, und drykte feuriger dich an meine Brust; und wenn der Tod vor dir aus dem Staube mich ruft, dann wein' auch du nicht lange yber meinem Staub; jenseit dem Grabe werden wir uns wieder finden, ewig selig zu seyn. – O styrze nicht zuryk, Seele, in trostloses Elend nicht zuryk! Hebe dich empor an dem mæchtigen Trost, denke deine Unsterblichkeit, und siehe yber deinen Kummer weg, hinaus in die Seligkeit, die die dunkeln wechselnden Auftritte dieses Lebens sich næhernd vor sich wegdrængt. Wyrde die Seele vergehen, und mit dem Leib in den Staub hinsinken, ô wie kœnnt' ich dann mich trœsten? Trost-los wyrd ich yber deinem Grabe dann weinen, und meine Vernichtung flehn; aber sie ist unsterblich! nein, sie soll nicht unryhmlich unter dem Schmerz erligen! Ihr Engel! die ihr izt mit leisen Flygeln mich umschwebet, sie soll nicht unryhmlich unter dem Schmerz erligen, sie ist unsterblich wie ihr! doch fliessen sie noch die Thrænen! O fliesset ihr Thrænen! seyd seinem Staube geheiligt, er gieng vor mir her, ewig selig zu seyn. – Auf deinem Grabe, Geliebter! (sie fliessen wieder stærker die Thrænen, – – ô styrze nicht zuryk, Seele! in trostlosen Jammer nicht zuryk!) auf deinem Grabe soll eine Laube empor blyhen, manche Thræne wird zwar auf deinen Staub hinfliessen, in ihrem Schatten will ich dann meine feyerlichsten Stunden leben, und in heiligen Entzykungen in die Ewigkeit hinyber sehen! so sprach sie, und stand izt yber dem Grab. Nun hætte meine Seele Erquikung gefunden, aber ach! nagender Kummer! ihn hat der Bruder gemordet! Allmæchtiger! so betete sie, und warf sich auf ihre Knie hin, ô hœre, hœre mein Flehen! laß ihn Gnade finden den Synder! laß ihn Gnade finden! O dieß will ich von dir flehen, wenn der Abend-Stern glyhet, und wenn der rœthliche Morgen heraufgeht.

Indeß bebte Kain im Gebysche; und izt sprach er voll Verzweiflung: »Ich will fliehen! fort, Verruchter, von der heiligen Scene! fort – Ich Elender! warum kann ich nicht? – – Drængt euch nicht um mich her, ihr – ô! hœllische Gestalten sperren die Flucht! – Laßt mich – laßt mich fliehen – ô laßt von der heiligen Scene mich fliehen, hœllische Gestalten! – ich kann nicht fliehen, – ich Elender! – Wie sie jammert! und ich kann nicht fliehen! – Sie jammert nicht mehr – – ô Tugend! Tugend! Was fyr Hofnungen, was fyr Trost! fyr mich, ach! fyr mich ewig verlohren, ach! ohne Hofnung, entfernteste Hofnung bin ich elend! – – Izt izt fyhl ichs, wie ich elend bin, ô was fyr Qualen! Neue unnennbare Qualen! du Hœlle! in deinem tiefesten Abgrund hast du nicht schreklichere Qualen! – – Sie betet – – ô! sie betet fyr mich, fyr mich! – – und du hassest mich nicht, und du fluchest mir Elenden nicht! Unaussprechliche Gyte! ô was empfind ich, was empfind ich bey diesem Glanze der Tugend! Mein Elend steht mir fyrchterlicher entgegen, dunkel, schwarz, wie tiefe Klyfte am Eingang der Hœlle, ich fyhl es stærker, mit hœllischeren Qualen fyhl ichs, das nagende Verbrechen! – Und du betest fyr mich, Thirza! – zuryk, bebe zuryk, zu kyhner Wunsch! Nein, GOtt kann es nicht erhœren, GOtt ist gerecht! – Sie geht zuryk, vom Grabe des Erschlagenen – – O wag ichs, ich Elender! auf ihrem Pfad mich zu wælzen, Thrænen des unaussprechlichen Elends auf ihrem Fußpfad zu weinen! Nein – – schauere zuryk, dort jener Hygel vom Mond beschienen, ist sein Grab! schauere zuryk von der heiligen Gegend, flieh Verruchter! so sprach er, und bebte zuryk. Izt floh' er, und stand wieder still und rang voll Verzweiflung die Thrænen-benezten Hænde; so rief er: O ich kann nicht, ich kann nicht fliehen.! Wie kœnnt' ich? ach Mehala! ach meine Kinder! ach wie kœnnt ich ewig von euch fliehen, und nicht noch einmal vor euch mein Elend weinen, vor euch im Staube mich wælzen, vor dir Mehala! Vielleicht daß du Thrænen des Mitleids fyr mich weinest, vielleicht mir nachsegnest. – Aber ich – von GOtt verflucht, ich wynsche mir Segen von dir! Hasse mich, fluche mir nach, mein Verbrechen verdient alles! dann will ich fliehen, belastet mit dem Fluche der ganzen Natur, mit dem Fluche von dir. O Jammer! hœllischer unaussprechlicher Jammer! nein ich kann nicht fliehen. Geliebtes Weib! geliebte Kinder! ich geh, izt geh ich, vor euch mein Elend zu weinen, vor euch im Staub mich zu wælzen; und dann, dann will ich fliehen. Izt gieng Kain, fern vom Grabe weg, der Hytte zu. Er gieng, dann stand er bebend still, izt war er vor die Hytte hingewankt. Lang bebt' er da, blaß wie ein Todter, und izt wagt' er den bebenden Schritt, und wankt yber die Schwelle.

Mehala saß da, beym blassen Lichte des Monds, selbst blaß wie der Mond in Wolken gehyllt; sie weint' und jammerte auf ihrem einsamen Bette, und die winselnden Kinder schluchzten um sie her. Sie sah ihren Mann, und sank laut schreyend, ohnmæchtig auf ihrem Bette hin; indeß liefen die weinenden Kinder herbey, und winselten um seine Knie. »Vater! ach – Vater! trœste sie, trœste die weinende Mutter! Ach was fyr Jammer ist in unsre Hytten gekommen! sey uns willkommen, Vater! wie lange hast du deine Rykkunft gezœgert? so stammelten die Kinder, und hiengen um den Vater her; er wankte in ihrer Mitte, und seine Thrænen quollen auf sie hin. Voll unaussprechlichen Schmerzens vermocht er nicht zu reden, er sank in den Staub vor seines Weibes Fysse; die Kinder weinten laut um ihn her, und Mehala erwachte, und sah, wie ihr Mann vor ihren Fyssen sich wand, und den Staub mit seinen Thrænen nezte. O Kain! Kain! so rief sie und weinte laut, und riß die Haarloken von ihrem Haupte. »Mehala! (so stammelte Kain zu ihr auf) verzeihe, ô verzeihe mir, daß ich es wage, ich Elender, ich unsers Bruders Mœrder! daß ich es wage, noch einmal vor dir zu weinen, vor dir noch im Staube mich zu wælzen. O vergœnne diesen lezten Trost mir, den lezten Trost in meinem unaussprechlichen Elend! ô fluche mir nicht, Mehala! daß ich es wage, vor dir noch im Staube mich zu wælzen. Ich will izt fliehen, in die œde Welt hinaus fliehen, von GOtt verflucht, von unaussprechlichen Martern verfolgt. O fluche mir nicht, mir deinem elenden Mann! »Kain! Kain! so rief Mehala, (voll unaussprechlicher Wehmuth) Mœrder des besten Bruders, mein Mann! O Kain! Kain! Elender! was hast du gethan?« Izt antwortete Kain, und blikte zu ihr auf; der wehmythige Blik redete seine Qualen alle; ô verflucht sey die Stunde, da ein Traum aus der Hœlle mich tæuschte! Ach! ich wollte diese winselnden Kinder vor einer Zukunft voll Elend retten, und erschlug ihn; verflucht sey die Stunde! und erschlug den frommen Bruder. Und izt – ô! sie wird ewig mich martern, mit Martern der Hœlle, die schrekliche That! Vergiß mich, Mehala! vergiß deinen Mann! Fluche mir nicht, Weib! ô fluche mir nicht! izt will ich fliehn, ewig von dir, ewig von euch, Kinder! von GOtt verflucht. Die Kinder heulten um ihn her, und rangen ihre kleinen Hænde yber den lokigten Hæuptern; und Mehala sank an seine Seite hin. »Empfange diese Thrænen, empfange diese Zeugen des Mitleids; (sprach sie, und weinte auf ihn hin) du willst fliehen, Kain! in die einsame Welt hinaus fliehen. O wie kœnnt ich in diesen Hytten wohnen, indeß daß du einsam verlassen in Wildnissen jammerst? Nein – Kain! mit dir will ich fliehen, an deiner Seite; wie kœnnt' ich Hylf-los in Wildnissen dich lassen! Wie wyrde die Unruhe mich quælen! Wyrde nicht jeder traurige Ton, der in der Natur um mich her tœnte, wyrd er nicht mit der marternden Angst mich schreken? Vielleicht ist ers, vielleicht winselt er dort in Hylf-loser Todes-Angst. so sprach sie. Voll verwirrter Entzykung sah Kain zu ihr auf. – – – GOtt! – – was hœr ich? – – Du bists! ja Mehala! nein mich tæuscht kein Traum; du bists! – – O GOtt! was fyr Worte! nein Mehala! Trostes genug mir Elenden, daß du mich nicht hassest, mir nicht fluchest! Du Tugendhafte, solltest du mit mir die Strafe des grœssesten Verbrechens tragen? ô bleibe zuryk bey den Frommen, wo der Segen wohnet! Nein, du must nicht mit mir elend seyn! Vergiß den Elenden, der, vor der ganzen Natur verflucht, keinen Ort der Ruhe hat; vergiß den Elenden, nur fluche mir nicht! »Nein Kain! nein, mit dir will ich fliehen, antwortet' ihm Mehala, mit unsern Kindern will ich in Wildnissen dir folgen, mit dir jammern, mit dir dein Elend tragen, vielleicht daß es dir ertræglicher wird. Meine Thrænen sollen mit den Thrænen deiner Busse fliessen, an deiner Seite soll mein Gebete mit dem deinen zu GOtt aufsteigen; und diese Kinder sollen um uns her knien, und Gebete, Gebete fyr dich stammeln. GOtt verachtet nicht die Busse des Synders; ich will mit dir fliehen, Kain! Unablæssig wollen wir vor GOtt weinen und beten, bis endlich ein trœstender Stral von dem versœhnten Richter die hoffende Seele erhellet; – – – und, Kain! GOtt erhœret das Gebet des byssenden Synders.

O du! (so rief izt Kain) wie soll ich dich nennen? – – ô! wie ein heiliger Engel! Was fyr Trost leuchtet in das Dunkel meiner Seele? Mehala! mein Weib! ja! izt wag ichs, izt wag ichs, dich zu umarmen. Ach! kœnnt ich meine Empfindung dir ausdryken! das inbrynstigste Umarmen, alle meine Thrænen kœnnens nicht! Izt drykte Kain sein Haupt an ihre Brust; seine Seele konnte ihren Dank, ihre Empfindung nicht ausdryken; dann gieng er von ihrer Seite, und umarmte seine Kinder, dann wieder zu Mehala, und drykte sie inbrynstig an seine Brust. Izt nahm das zærtlichste Weib ihr jyngstes Kind an ihre Brust, ihrem Mann gabe sie die Rechte, ein anders gieng an der Rechten des Vaters; und Eliel und Josia wischten die Thrænen von den Wangen, und giengen freudig vor ihnen her aus der Hytte. Mehala sah noch weinend umher. Seyd mir gesegnet, (sprach sie) die ich euch verlasse, seid mir gesegnet! Bald will ich von da, wo wir unsre Hytte bauen, zurykkommen, und euern Segen holen, fyr mich und meinen Gnade-flehenden Mann. Izt blieb sie stehen, und weinte wie unentschlossen zu den Hytten hin; aber balsamischere Dyfte, als Dyfte des Fryhlings, umflossen sie. Geh, edels Weib! (so sprach die unsichtbare liebliche Stimme) ich will im erquikenden Traume deiner Mutter deine Grosmuth sagen, und daß du hinausgehest, an der Seite deines byssenden Mannes Gnade von dem allmæchtigen Richter zu flehen.

Sie giengen izt beym Mond-Schein, oft zurykweinend, von den Hytten weg, hinaus in œde Gegenden, wo noch keines Menschen Fuß-Tritt gewandelt hatte.


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