Salomon Geßner
Idyllen und Gedichte
Salomon Geßner

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An Chloen.

Gestern, als ein Rosen-Blatt durch die Luft schwamm, Chloe, da als ein sysser Geruch uns umduftete, ich will dir sagen, was ich da sah, das du nicht sehen konntest; da ich an deiner Seite mit umschlingendem Arme saß, da als mein entzykter Blik und meine Seufzer beredter waren, als mein stammelnder Mund; da sah ich, (denn uns Dichtern ist vieles zu sehen vergoennt) da sah ich den kleinen Amor auf dem Rosen-Blatt; er stand da, wie der Gott der Meere auf seiner Muschel steht, und Zephirs, kleiner noch als Bienen, waren vor den leichten Wagen gespannt. Der kleine Gott war reizend, wie einer deiner Blike, und lieblich, wie dein Læcheln. Er lenkte den Wagen gerade nach deinem Busen hin, und hielt auf dem Rand deiner Schnyrbrust still; die Zephirs schlypften da in den Schatten des Blumen-Strauses, der spielende Schatten auf deinen Busen warf. Der kleine Gott stieg aus, und flatterte den athmenden Busen hinauf; recht in der Mitte, ô wie wollystig legt' er sich da hin! – – – Mæchtiger Gott der Liebe! so seufzt' ich leise ihm zu; Mæchtigster der Goetter! ô hoere mein Flehen! Noch kein Sterblicher hat deine Macht empfunden, wie ich; belohne meine Unruhe, meine Schmerzen; belohne sie dem Dichter, der immer deine Macht verehrte! Laß, ô laß Chloens Liebe, die izt aus ihren Augen so mæchtig zu mir redt, laß sie doch nie in ihrem Herzen erloeschen! Wie leicht, ach! wie leicht muß es der seyn, ungetreu zu werden! schwarzer toedender Gedanke! der jedes Herz entgegen wallet, wo sie mit unyberwindlichen Reizen erscheint! O hoere, hoere mich, Mæchtigster der Goetter!

Amor læhnte den einen Arm an deinen Busen hin, oben am Lilien-weissen Hals, und in der Rechten hielt er den siegreichen Bogen empor. – – – Sie haben unsichtbar die Gratien erzogen, (so redt er, mir nur hoerbar,) und jeden ihrer Reize haben die Liebes-Goetter zur Vollkommenheit gepflegt. Ihr Blik und ihr Læcheln sind siegreich wie ich, ihr muntrer Scherz ist wie die Pfeile meines Koechers; wer sie hoert, ist entzykt, und wer sie sieht, muß sie lieben. Sie liebt dich, aus allen Sterblichen hat sie dich gewehlt; sie soll dich lieben, das schwoer ich bey jedem meiner siegreichen Pfeile! Sie, die jeden Lieb-Reiz vereint besizt, die sonst im ganzen Gefolge der Venus zerstreut entzyken, Glyklichster unter den Sterblichen!

So sprach Amor, und flatterte den schoensten Busen hinunter, stieg in den Rosen-Wagen. – – – Izt eil ich nach Gnidus, so sprach er, Chloens Bild soll in glænzendem Marmor neben dem Bild meiner Mutter stehn; sie soll das Bildniß getreuer Liebe seyn, und wer getreue Flammen in seinem Busen nehrt, soll Blumen-Krænze an ihrem Altar ihr opfern.

Izt schwamm das Rosen-Blatt wieder in die Luft empor; du sahst mein stummes Erstaunen, aber mein Entzyken konnt' ich dir nicht sagen, nur an meine Brust dich dryken, an deinen Hals mich schmiegen und seufzen.

 


 


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