Friedrich Gerstäcker
John Wells
Friedrich Gerstäcker

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I

Am Fourche la fave, einem kleinen, klaren Fluß, der sich, von Nordwesten herunterkommend, in den Arkansas ergießt, lag ein geräumiges, gut behauenes Blockhaus, das von einem Amerikaner mit seiner Frau und zwei Knaben, der eine sieben, der andere neun Jahre alt, bewohnt wurde.

Der Mann hieß John Wells und wurde in einem Lande, wo jeder Ansiedler sich mit der Jagd beschäftigt, ja der dritte Teil der Bewohner in jener Zeit fast nichts tat, als mit der Büchse auf der Schulter im Wald umherzuziehen, nichtsdestoweniger mit besonderer Auszeichnung »der Jäger« genannt; und wenn irgend jemand in der Welt auf den Namen Anspruch machen konnte, so war er es.

Schon in seinem ganzen Äußern hatte er einige Ähnlichkeit mit dem roten Sohn der Wälder, dem Indianer, mit dem er jedoch jede Verwandtschaft ableugnete. Er ging am liebsten im bloßen Kopfe, das lange, schwarze, straffe Haar von einem dünnen Tuch oder noch häufiger einem Streifen Bast zusammengebunden, den Hals bloß, und Jagdhemd, Leggins und Mokassins, in deren Verfertigung er Meister war, von selbstgegerbtem Leder.

Niemand übertraf ihn im Folgen einer Fährte oder im Auffinden eines Honigbaums, im Anschleichen eines Wildes oder in der nicht leichten Kunst, das Erlangte oder Gefundene »einzupacken«. In unglaublich kurzer Zeit wußte er mit seinem kleinen »Skalpiermesser« – wie diese Art Waffe oder Jagdmesser auch bei den weißen Ansiedlern heißt – den Hirsch kunstgerecht abzustreifen, zu rasieren, die verschiedenen Öffnungen zu unterbinden und einen vortrefflichen Sack herzustellen, um Bärenfett oder Honig oder was sonst darin zu transportieren. Der Wolf, das scheueste und schlimmste Tier des Waldes, fand in ihm seinen gefährlichsten Gegner, und Fischotter und Biber konnten der Lockung, die er ihnen stellte, nicht widerstehen, wenn sie auch bei allen anderen gleichgültig blieben. Und wo es nun erst galt, den Winterplatz eines Bären aufzufinden und an der rauhen Rinde der Bäume die Spur des Hinaufgestiegenen zu entdecken, da gab es kein besseres Auge als das seine in der Range. Und so mit der langen Büchse, die fünfzig Kugeln aufs Pfund schoß, auf der linken Schulter, die linke Hand nachlässig darüber hingeworfen, glitt er mit seinem halb schwebenden, aber unbehülflich aussehenden Gang, durch Instinkt fast mehr als Aufmerksamkeit auch das geringste, unbedeutendste Geräusch vermeidend, von einem grauen kurzhaarigen Hund ebenso vorsichtig gefolgt, rasch und wie ein Schatten durch den Wald, und die meist auf dem Boden haftenden Augen, denen nicht eines Blattes gestörte Lage entging, schweiften dabei ohne Unterlaß auch nach rechts und links hinüber, um jeden herbstroten Busch, jeden sich im Winde regenden Zweig flüchtig, aber genau zu mustern.

Seine Gestalt war schlank und sogar schmächtig zu nennen, aber sie war auch biegsam und gewandt, und im Laufen, Springen und Klettern suchte er seinen Meister; jedoch prahlte er nie mit diesen Dingen und hielt sie für etwas Natürliches, wie das Gehen. Jeder Hund konnte ja noch rascher laufen als er, jeder Hirsch weitere Sätze machen, jeder Panther besser und schneller auf einen Baum hinaufkommen. Wie durfte er sich da solcher Sachen rühmen?

Sonst war er still und abgeschlossen für sich selbst, wortkarg, und selbst wenn er sprach, redete er fast niemals laut, als ob er immer fürchte, irgendein Stück Wild dadurch zu verscheuchen. Wirklich lachen aber tat er nie, und nur wenn er sich über irgend etwas recht freute, hoben sich seine Augenbrauen in die Höhe, und seine Augen glühten wie ein paar Kohlen darunter hervor.

Die Nachbarn hatten ihn übrigens gern, obgleich sie ihn auch wieder fürchteten, denn sie wußten, wie weit er ihnen in allem überlegen war, was ihr wildes Leben betraf. Ja ein Gerücht brachte ihn einmal selbst mit jener Rotte von Pferdedieben in Verbindung, die in früherer Zeit Arkansas heimgesucht hatte und erst von den rasch gebildeten Regulatoren zerstreut oder aufgerieben wurde. Man gab ihm damals in der Tat zu verstehen, er würde besser tun, den Staat zu verlassen, um unangenehmen Erörterungen auszuweichen. Wells aber ging nicht. Konnte ihm wirklich etwas vorgeworfen werden? Niemand erfuhr es, Beweise tauchten nicht gegen ihn auf, keiner der eingefangenen und bestraften Verbrecher sagte gegen ihn aus, und der Jäger baute nach wie vor sein kleines Maisfeld und jagte in den Bergen nach allen Richtungen hin, bald zu Fuß, bald zu Pferd, oft wochenlang umher, ohne sich an irgend jemand von seinen Nachbarn weiter zu kehren.

Seine Frau blieb in solcher Zeit mit den Knaben allein im Wald; aber die Frauen der Backswoods sind daran gewöhnt. Wenn auch einmal der Panther nachts in der Nähe der Hütte schreit oder die Wölfe den Platz umheulen, in Schußnähe getrauen sich die klugen Bestien doch nicht. Und selbst in solchem Falle würde das im Wald aufgezogene Weib den über dem Kamin auf zwei Klammern liegenden Reifel sicher genug zu führen wissen, um die allzu kecken Schweineräuber zu treffen, und dabei an Gefahr nicht denken.

Es war eine nicht mehr ganz blühende, aber noch recht hübsche Frau von einigen dreißig Jahren, mit dunklem vollen Haar, recht klaren braunen Augen und so lebendigem Temperament, daß sie einmal sogar daran dachte, ihren Mann zu bewegen, aus dem Wald hinaus in die Stadt zu ziehen, wo sie mehr Umgang mit ihresgleichen haben konnte. Das aber fiel Wells natürlich nicht ein. Für ihn gab es nichts Fataleres auf der Welt, als auf eine Fenz zu treffen und Leuten zu begegnen, und wenn er nur eine menschliche Fußspur draußen im Wald traf, teilte nicht selten ein halblaut gemurmelter Fluch seine Lippen. Wie sie nun länger verheiratet waren und die Knaben heranwuchsen, gab Betsey, wie die Frau hieß, den früher gefaßten Gedanken auch leicht wieder auf. Der Wald war ja doch einmal ihre Heimat, und in der mußte sie nun schon bleiben. –

Wells war den Tag über auf der Jagd gewesen, und vor der Tür hing ein stattlicher Bock, den er auf seinem kleinen Pony mit nach Haus gebracht. Er selber saß in der Hütte und schnitzte seinem ältesten Jungen aus einem Ende des Geweihs ein neues Lademaß für seine kleine Büchse, die der Knabe schon recht wacker führen konnte. Die Frau stand an dem großen Baumwollspinnrad und spann.

»Hallo the house!« rief da eine Stimme von draußen den bekannten Anruf von der nächsten Fenz, an der ein schmaler Pfad vorbeiführte, herüber.

»Hallo, Fremder!« rief Wells zurück, mit seiner Arbeit aufstehend und in die Tür tretend, wo er draußen einen Reiter erkennen konnte, »steigt ab und kommt herein.«

»Dank Euch!« sagte der Mann, »kann ich hier die Nacht bleiben?«

»Ich denke so; kommt ins Haus.«

Weiter war nichts nötig; der Fremde stieg vom Pferd, nahm seinen Sattel ab, den er auf die Fenz legte, warf den Zügel seines Tieres über die äußersten Enden der oberen Fenzriegel, stellte seine Büchse dann über die Fenz hinüber und kletterte nach, wo er, seinen Reifel auf der Schulter, den nächsten Weg zur Haustür einschlug.

»Wie geht's, Fremder?« fragte Wells, ihm zum Gruß die Hand reichend, »nehmt einen Stuhl und setzt Euch zum Feuer, gebt mir Eure Büchse, ich will sie dort mit übern Kamin legen – hm, ist ein gutes Gewehr – liegt vortrefflich!« – Wells hatte sein Messer und das Stück Hirschhorn aus der Hand gelegt und zielte mit der Büchse aus der Tür hinaus nach einem Blatt.

»Schießt auch auf den Fleck«, sagte der Fremde, »guten Abend, M'am.«

»Kommt Ihr weit her?« fragte Wells.

»Texas.«

»Texas? – hell!« sprach Wells, den Fremden erstaunt betrachtend, »muß famose Jagd da sein.«

»Ausgezeichnet«, entgegnete der Fremde, indem er ohne weitere Umstände am Feuer Platz nahm, seine wollenen Reitgamaschen (zwei braune Streifen Wolldecke) von dem untern Teil der Beine band und zum Trocknen an den Kamin hing.

Es war ein schlanker, stattlicher Mann von vielleicht achtunddreißig bis vierzig Jahren, aber mit wettergebräunten, etwas dunkeln Zügen und einer breiten Narbe über der linken Backe, die sein Gesicht indessen mehr zierte als entstellte. Außerdem ging er in der gewöhnlichen Tracht der Backwoods, einem wollenen dunkelblauen Jagdhemd, welches nach seinem besonderen Geschmack mit Orangefransen verziert war, trug aber keine Mokassins, sondern derbe, rindslederne Schuhe und am linken Fuß einen großen mexikanischen Sporn mit etwa zweizölligem Rad und einem Stückchen Metall daran, damit es beim Gehen und Reiten einen klingenden Laut gäbe.

»Viel Bären da?« fragte Wells nach einer Pause, in der er den Fremden aufmerksam betrachtet hatte, ohne daß dieser weiter große Notiz von ihm selber nahm.

»Ziemlich viel an manchen Stellen«, sagte der Fremde, seinen Sporn abschnallend und auf den Kaminsims legend, »werden aber auch schon dünn.«

»Ja, wohl wie überall!« seufzte Wells, »'s gibt zu viel Vieh im Wald, das Wild hat nirgends mehr Ruh vor dem ewigen Gebimmel.«

»Und alle Meile eine Fenz!« brummte der Fremde.

»Das weiß Gott!« stimmte der Jäger ein, »wär' ich ein Bär, ich wanderte auch aus. – Wie ist's mit den Indianern in Texas?«

»Bah, so viel für die Rotfelle!« versetzte der Fremde, den Kopf verächtlich auf die Schulter werfend, »wer fragt nach denen?«

»Hm – ja – braucht nicht viel nach ihnen zu fragen. Aber wo's ihrer viele gibt, treiben sie das Wild vor sich her und aus der Range.«

»Bleibt noch genug übrig – können's nicht totmachen«, lautete die ermutigende Antwort.

»Wollte schon lange einmal nach Texas hinüber«, sagte Wells endlich wieder, nachdem beide Männer, eine lange Zeit mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, in die Flammen gesehen hatten; bin nur immer noch nicht dazugekommen. Wie ist's mit dem Land?«

»Für unsereinen gut«, meinte der Fremde. »Eine Menge Militärgrants, und niemand weiß, wem's gehört. Wer sich draufsetzt, hat's.«

»Und gutes Land?«

»Vortrefflich.«

»Gute Pferdezucht? « fragte Wells wieder nach einer langen Pause. Der Fremde warf einen flüchtigen, aber scharfen Blick nach ihm hinüber, schwieg einen Augenblick und sagte dann ruhig:

»Man könnte sich's nicht besser wünschen.«

»Ihr werdet hungrig sein«, mischte sich die Frau jetzt in das etwas einsilbig geführte Gespräch, indem sie ihr Rad in die Ecke schob, die große blecherne Kaffeekanne vom Brett nahm und sie aus dem dicht vor der Tür stehenden Eimer füllte, in dem ein Flaschenkürbis als Schöpfer lag. »Du könntest noch ein paar Stecken Holz hereinholen, John, daß wir Kohlen kriegen zum Brotbacken.«

Wells stand auf, ging vor die Tür und kam mit drei mächtigen Stücken Hickoryholz zurück, die er langsam auf den Boden gleiten ließ und dann kunstgerecht in den Kamin legte, damit sie nicht allein Glut geben, sondern auch so liegen möchten, daß die Frau ihre Kanne und Töpfe sicher oben daraufstellen konnte. Das Abendbrot wurde indessen bereitet, ohne daß ein weiteres Gespräch zwischen den dreien fortgeführt wäre, einzelne Fragen abgerechnet, die der Fremde nach der hiesigen Range, nach Wild und Viehstand, nach Maispreisen und Schweinen und deren Mast tat und die sämtlich befriedigend beantwortet wurden.

»Dreht eure Stühle herum und setzt euch zum Tisch«, sagte die Frau endlich, als das frischgebackene Maisbrot und der Kaffee auf dem Tisch dampften und große Scheiben Speck und Wildbret in der Pfanne noch spritzten und zischten, während eingekochter Kürbis, Honig, Butter und Milch das Mahl vervollständigten. Der Fremde stand auf, und einen Blick im Haus umherwerfend, an dessen Wänden Harpunen, Stelleisen, Fellsäcke und gegerbte Häute die Tätigkeit des Besitzers bekundeten, sagte er, indem er dabei der Einladung Folge leistete und seinen Stuhl zum Tisch rückte:

»Ihr seid ein Jäger, wie ich sehe; Euch würd' es in Texas schon gefallen, und Arbeit bekämt Ihr da auch.«

»Vielleicht!« meinte Wells, »welchen Weg seid Ihr gekommen?«

»Gerade durch.«

»Vom roten Lande her?«

»Noch was weiter drunten.«

»Hm – wo habt Ihr die letzte Nacht kampiert?«

»Am Washita.«

»Und seid früher in der Gegend hier noch nicht gewesen?«

Der Fremde schüttelte mit dem Kopf, hatte anscheinend jedoch über Tisch keine große Lust, Fragen zu beantworten, sondern bei weitem größeren Hunger, und die Mahlzeit ging still vorüber. Die Knaben hatten indessen das Pferd des Fremden draußen besorgt und kamen dann ins Haus, um, nachdem die beiden Männer abgegessen hatten, mit der Mutter ihr Nachtmahl zu halten. Der Fremde schien übrigens müde, und wie es dunkel geworden war, holte er sich seinen Sattel und seine Decke herein, machte sich neben dem Feuer sein Lager zurecht, wickelte sich ein, sagte »gute Nacht« und war einige Minuten später, wie sein lautes und regelmäßiges Atmen bewies, sanft und süß eingeschlafen.

Als er am andern Morgen wieder aufwachte, war Wells' Frau am Feuer beschäftigt, das Frühstück zu bereiten. Er stand auf, wusch sich, sah nach seinem Pferd und kam dann zurück zum Haus, wo das Frühmahl wieder auf dem Tisch dampfte; Wells selber aber war nicht da, sondern schon seit Tagesanbruch mit seiner Büchse und seinem Hund in den Wald gegangen, wie er das manchmal tat. Der Fremde mußte allein frühstücken, und die Frau setzte sich zu ihm und schenkte ihm den Kaffee ein. Er sah sie dabei ein paarmal von der Seite an, begann auch nach einer Weile ein gleichgültiges Gespräch, es blieb aber doch sehr einsilbig, und nach dem Essen sattelte er sein Pferd wieder auf und ging ins Haus, um seinen Sporn anzuschnallen, seine Gamaschen umzubinden und die Büchse zu holen.

»Lebt wohl«, sagte er dann, der Frau die Hand reichend und herzhaft drückend, »ich dank Euch für alles Gegebene; vielleicht komm ich einmal wieder. Die Gegend hier gefällt mir, muß nur erst nach dem Ozarkgebirge hinauf, um einige Geschäfte zu besorgen. Kann man hier durch den Fluß reiten oder muß man schwimmen?«

»Nun, hier gegenüber würdet ihr wohl schwimmen müssen«, erwiderte die Frau, »wenn Ihr aber ein Stück weiter hinaufreitet, findet Ihr eine Furt.«

»Danke«, sprach der Fremde.

»Ist nicht nötig.«

Und über die Fenz kletternd und in den Sattel springend, trabte er, indem er unbekümmert um alle Hindernisse geraden Kurs beibehielt, mitten in den Wald hinein.

Erst ziemlich spät gegen Abend kehrte Wells aus dem Walde zurück und hatte sein Pferd schwer mit einem tüchtigen Schwein beladen, das er im Walde geschossen und in vier Teile zerschnitten. Wilde Schweine gibt es übrigens in Nordamerika gar nicht, und es war das auch nur eins seiner eigenen zahmen, aber draußen im Wald wild gewordenen Tiere, dessen er eben nicht anders hatte habhaft werden können, als indem er ihm eine Kugel vor den Kopf schoß. Wie gewöhnlich ging er im bloßen Kopf, die Büchse auf der linken Schulter, nebenher, und Schneider, sein Hund – er hatte das Tier nach einer eigentümlichen Gewohnheit desselben, die Hinterbeine beim Sitzen übereinanderzulegen, so genannt – folgte dicht hinter dem Pferde.

»Hallo, Vater, hast du das Schwein endlich erwischt?« rief ihm John, sein ältester Junge, entgegen, als er zum Haus kam. Jim, der Jüngste, saß auf der Fenz und sah zu, wie der Vater das Fleisch ablud.

»Ja, John«, sagte Wells, »aber es hat Mühe gekostet; die Racker sind so wild geworden wie die Hirsche und denken gar nicht dran, sich treiben zu lassen. Wenn's kalt wird, magst du hinausgehen und noch ein paar davon schießen. Jimmy kann dir helfen. Gerad unter Pine-Knot-Hollow haben sie jetzt ihren besten Brechplatz, und dort bleiben sie auch, denn die Weißeichen und Overcup hängen unmenschlich voll; es gibt ein gutes Mastjahr heuer.«

»Jimmy soll mir helfen einpacken?« fragte John erstaunt, »tust denn du das nicht?«

»Wirst's jetzt auch einmal machen müssen«, sagte Wells, »bist doch alt genug dazu! – Hier, Schneider, paß auf, daß mir die anderen Hunde nicht ans Fleisch geben.«

Und damit hob er sich ein Viertel des Schweins auf die Schulter und trug es ins Rauchhaus – eine kleine Blockhütte, die etwa fünfzig Schritt von seiner Wohnung entfernt lag, ging dann zurück, um das andere zu holen, und arbeitete so lange, bis er alles untergebracht hatte. Die Jungen besorgten indessen sein Pferd, das er ihnen empfahl, heute ganz besonders gut zu füttern, und als er alles beendet hatte, ging er ins Haus hinein und aß sein Abendbrot.

»Wohinaus ist der Fremde?« sagte er, als er sein Mahl, zu dem ihm die Frau etwas von dem frischen Schweinefleisch braten mußte, beendet hatte und nun vom Tisch aufstand.

»Wenn er den Kurs beibehalten hat, den er hier vom Haus aus ritt, nach Nordwesten«, erwiderte die Frau. »Er sprach auch vom Ozarkgebirge, daß er dort zu tun hätte. Aber was suchst du da in der Ecke?«

»Den Kaffee; hast du ihn fortgestellt?«

»Ich habe heute nachmittag eine Partie gebrannt.

»Das ist gut«, sagte der Mann, »gib ihn einmal her, daß ich mir etwas mahlen kann.«

»Willst du denn wieder fort?« fragte die Frau, »lieber Gott, du bist ja die ganze Woche erst zwei Tage zu Haus gewesen.«

»Ich will nach Texas«, sagte Wells ruhig.

»Nach Texas?« rief die Frau und hätte vor Schrecken fast die Kaffeekanne fallen lassen, die sie eben aufgenommen hatte, um sie vom Tisch in die Ecke zu stellen, »und allein? – nach Texas?«

»Willst du mit?« fragte John.

Die Frau schüttelte mit dem Kopf. Daß er sie doch nicht mitnehme, wenn sie auch ja gesagt hätte, wußte sie recht gut. »Aber wann kommst du denn wieder zurück?«

»Bis zum Frühjahr bin ich wieder da«, sagte Wells. »Dies Texas hat mir schon lange im Kopf gelegen und der Fremde gestern die Geschichte endlich umgestoßen. Ich muß einmal selber sehen, wie's drüben ist; auf Beschreibungen kann man nichts geben, und die Jungen sind groß genug, den Winter durch alles zu besorgen, was du hier beim Hause brauchst. John mag jagen und Jim Feuerholz einbringen. Der Mais ist eingefahren und im Feld bis zum Frühjahr auch nicht viel mehr zu tun. Die paar Bäume, die den Winter durch im Felde vielleicht umfallen – und einer liegt schon –, hau ich zusammen, wenn ich wiederkommen oder wenn das später sein sollte, als ich jetzt glaube, besorgen dir das die Nachbarn.«

Die Frau wollte ihm den Gedanken ausreden, sie und die Kinder fünf oder sechs Monate allein im Wald sitzenzulassen, Wells sah aber nichts Besonderes darin. So gut wie sie eine Woche allein geblieben war – und das kam alle Augenblicke vor –, so gut konnte sie auch einmal einen Winter durch allein haushalten. Zu leben hatten sie, Feuerholz gab's ebenfalls genug, was wollte sie mehr?

An dem Abend machte er denn auch noch seine Vorbereitungen zu dem Marsch durch eine viele hundert Meilen lange Wildnis, denn auf der Richtung, die er zu nehmen hatte, traf er, gleich vom Fourche la fave ab, der hier ziemlich die Grenze der Ansiedlungen bildet, nur noch einzelne Blockhäuser und mußte wochenlang, nur auf sich und seine Büchse angewiesen, durch den Wald ziehen. Aber in dem war er zu Hause. Was er zu der Reise brauchte, war ein Säckchen mit gemahlenem Kaffee, das einzige und Hauptlabsal des Jägers im Wald, ein Säckchen mit Salz, ein paar Pfund gesalzenen Speck und etwas getrocknetes Wildbret für den nächsten Tag, außerdem seine wollene Decke, die Kugelform, ein paar Pfund Kugeln und sein Horn voll Pulver. Damit konnte er ein Jahr draußen aushalten.

Die beiden Knaben hatten gehört, daß der Vater nach Texas wolle, und Texas war bei ihnen etwa derselbe Begriff, den wir hier in Europa mit Amerika verbinden. Texas lag für sie nicht mehr in Amerika – es gehörte damals noch den Mexikanern –, und die meisten indianischen Greueltaten, von denen Nachricht zu ihnen gedrungen, waren in Texas verübt. Sie saßen still und schüchtern am Kamin und warfen nur dann und wann einmal einen scheuen Seitenblick zu dem Vater hinüber, der in der andern Ecke an der dort an einem Balken befestigten Kaffeemühle stand und seinen Kaffee mahlte.

»Wells, es ist nicht recht, daß du auf so lange fortgehst«, sagte die Frau endlich, als die Knaben im Bett waren und Wells noch vor dem Kamin kauerte, um Kugeln zu gießen. »Wenn dir nun was zustößt?«

»Unsinn!« brummte Wells, »was soll mir denn zustoßen?«

»Die Indianer – die Creeks und Pawnees sind böse Nationen.«

»Bah – hast du nicht gehört, was der Fremde sagte? – so viel für die Rothäute!« lachte Wells. »Was die können, kann ich auch, und Schneider und ich werden uns schon unsere Bahn frei halten.«

»Mir ist recht weh ums Herz«, fuhr die Frau nach einer Weile fort, »ich fürchte, du kommst nicht wieder, und ich kann mich dann hier grämen und härmen und erfahre nicht einmal, was aus dir geworden. Laß Texas Texas sein und bleibe hier, John. Hier weißt du, was du hast, und wir leben glücklich und zufrieden.«

»Zufrieden nicht, solange mir das Texas in den Ohren liegt«, sagte aber John, »erst muß ich einmal wissen, wie's dort aussieht, denn die Burschen, die von dort herüberkommen – und wo die gewesen sind, dahin kann ich auch –, nehmen das Maul immer so furchtbar voll von ihrem Texas, daß man am Ende meinen sollte, es wär' etwas Besonderes.«

»Und wenn dich nun die Indianer überfallen und skalpieren?«

»Schwatz keinen Unsinn«, brummte Wells, »wenn ich mich von denen überfallen lasse, verdiene ich's nicht besser, und du hast nichts an mir verloren.«

Er ließ sich den einmal gefaßten Plan nicht wieder ausreden, und als ihm die Frau am andern Morgen mit Tränen im Auge sein letztes Frühstück bereitete, sattelte er sich sein Pferd, packte seine kleinen Vorräte darauf, nahm von Frau und Kindern Abschied, was er sonst nie tat, wenn er nur auf acht Tage in den Wald ging, rief seinen Hund (denn der amerikanische Jäger pfeift seinem Hund nur, wenn er ihn hetzt) und trabte gleich hinter seinem Hund fort – durch das niedere Talland den Hügeln zu, die den Fourche la fave von den Wassern der großen Mamelle trennen. Dort ritt er schräg hinüber nach Süden.

 
II

Betsey Wells führte den Winter durch ein einsames Leben, aber sie litt an nichts Mangel. John wußte schon recht gut mit der Büchse umzugehen, denn er war in einer guten Schule gewesen, und Jim sorgte für Holz. Die Nachbarinnen kamen auch manchmal, Betsey zu besuchen und vielleicht Nachricht von Wells zu hören, ob er bald wiederkäme und wie es ihm ginge. Wie hätte der aber Nachricht von sich geben sollen? Er konnte nicht einmal schreiben, und mündliche Botschaft zu senden – lieber Gott, wie selten traf es sich, daß von dort jemand nach dieser Richtung zugezogen wäre, aus einer Wildnis in die andere! Nein, sie mußte nun schon warten, bis er selbst zurückkehrte, und das hatte er fest bis zum Frühjahr versprochen.

Der armen Betsey war aber noch kein Winter so lang geworden wie dieser; die Tage schlichen nur so dahin, und es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern von einem Sonntag zum andern, daß sie wieder eine Woche abzählen konnte. Weihnacht kam endlich und Neujahr; der Januar ging vorüber und der Februar; die Bäume fingen an auszuschlagen, die wilden Truthühner im Wald an zu balzen. Sie konnte den sichern Frühlingslaut morgens selbst in ihrem Bett hören, und wie sich die Bäume endlich mit frischem Grün deckten und alles sproßte und keimte und neues Leben trieb, kam kein Reiter mehr die Straße herab, ohne daß sie nicht in die Tür gesprungen wäre, den endlich Heimkehrenden zu begrüßen. – Umsonst! – Der Dogwood blühte, und die Weiden sandten ihren würzigen Duft weit vom Ufer ab in das Land hinein; der Mais mußte gepflanzt werden, wobei ihr die Nachbarn freundlich halfen, das Feld zu reinigen und zu ackern, die jungen Pflanzen wuchsen, trieben Blätter und verlangten in Hügel geworfen zu werden, die Kolben bildeten sich, die Seide setzte an – die jungen Truthühner wurden flügge, der Mais reifte – die Blätter fielen wieder von den Bäumen, der Schnee deckte das weite Land – und John war noch nicht zurückgekehrt.

Wie das so einsam im Wald wurde den zweiten Winter, wie die dürren frostigen Äste so unheimlich aneinanderschlugen und klapperten und der Wind so toll und schauerlich durch die dürren Wipfel heulte, und was für böse, böse Träume ihr da beikamen, nächtelang! – Sie hatte sich noch nie im Wald allein gefürchtet, jetzt aber überlief sie's manchmal mit Fieberfrost, wenn sie ihr einsames Lager suchte; und die bleiche, blutige Gestalt, die ihr so oft erschien, jagte ihr den kalten Schweiß auf Stirn und Schläfe und ließ sie nicht selten mit lautem Angstgeschrei aus ihrem Schlummer emporfahren.

Die Knaben wuchsen indes heran, John war zehn, Jim acht Jahre geworden, und beides kräftige Jungen, die ordentlich zufassen konnten; die Mutter brauchte nicht in Sorge zu sein, daß sie Mangel litt. Nichtsdestoweniger fehlte der Mann im Hause, denn die beiden jungen Burschen, die sich solcherart fortwährend allein überlassen und als Kinder selbständig waren, wurden zuletzt natürlich wild und unbändig und wollten nur tun, was ihnen selber Freude machte. Auf die Jagd gehen – ja, das gefiel ihnen, aber arbeiten mochten sie nicht, und die Mutter bekam von Tag zu Tag mehr Not, sie nur zu den notwendigsten Beschäftigungen anzuhalten.

Auch dieser Winter verging und der nächste Sommer – aber Wells kam nicht. In der Ansiedlung ging ein dumpfes Gerücht, er sei von den Indianern skalpiert worden, während andere wieder behaupteten, die Mexikaner hätten ihn gefangen und in eins ihrer Bergwerke als Sklaven geschickt. Gewisses aber wußte niemand anzugeben, und der Frau selber hütete man sich wohl, etwas Derartiges zu erzählen.

Das dauerte eine Weile; auf die Länge der Zeit konnte es ihr aber auch nicht verborgen bleiben. Wie wären die Nachbarinnen imstande gewesen, das so lange auf dem Herzen zu behalten, und einzelne Fragen klärten auch sie endlich darüber auf, was die Ansiedlung selber über ihres Mannes Schicksal dachte. Aber sie ließ den Mut noch nicht sinken. Wells, wenn irgend jemand in der weiten Gotteswelt, war den Gefahren, denen er mit vollem Bewußtsein entgegengegangen, auch gewachsen; doch konnte er krank geworden sein und in irgendeiner Ansiedlung darniederliegen. – Er brauchte Zeit, sich zu erholen, und würde dann den Rückmarsch gewiß nicht vor dem nächsten Frühjahr antreten. Mit dem kam er gewiß. – Aber er kam auch da nicht.

Wieder blühten die Bäume, wieder balzten die Truthühner draußen im Wald, und keine Spur von dem Gatten ließ sich entdecken. Befreundete Cherokesen-Indianer, die von dem indianischen Territorium aus nach Arkansas und selbst Texas hinein handelten, brachten endlich gewisse Nachricht mit, daß Wells von einer Streifpartie marodierender junger Pawnees, die auf ihren ersten Skalpzug ausgegangen wären, im Walde zufällig überrascht und gefangengenommen und nachher, ihrer Sitte gemäß, zu Tode gemartert wäre. Das zerstörte denn freilich auch den letzten Zweifel, wenn jemand, außer der Frau, bis dahin noch gezweifelt hätte. – Aber Betsey hoffte immer noch.

Einen näheren Nachbar bekam sie indessen in demselben Fremden, dessen Erzählung damals John eigentlich bewogen hatte, selber nach Texas zu gehen. Der Mann war damals nach den Ozarkgebirgen gezogen, dort anderthalb Jahre geblieben und jetzt an den Fourche la fave zurückgekehrt, dessen Land ihm schon damals gefallen, wo er sich, etwa eine Meile von Wells entfernt, am andern Ufer des Flusses niederließ und ein kleines Improvement begann. Im Anfang schlug er sich dort freilich nur ein Lager auf und lebte von der Jagd, verkehrte auch mit keinem der Nachbarn und war schon vier Monate in der Gegend, ehe er einmal nach Wells Platz herüberkam, um eine »fro« zu borgen, wie die Amerikaner das Instrument zum Bretterspalten nennen: er hatte die seinige bei der Arbeit abgebrochen.

Betsey Wells freute sich, als sie ihn sah, denn er vor allem konnte ihr sagen, welche Hoffnung er selber für Wells Rückkehr habe. Der Mann war aber entsetzlich einsilbig, schien nicht gern davon zu sprechen und meinte nur, es wäre noch recht gut möglich, daß er doch zurückkäme. Man hätte einzelne Beispiele, daß Weiße selbst den Indianern entkommen wären und ihren Weg wieder nach Hause gefunden hätten. Damit ging er fort und kam auch nicht wieder zum Haus, denn er schickte das geborgte Werkzeug später durch einen von Wells Knaben zurück, die bei ihm vorüberkamen.

So vergingen noch zwei Jahre, und selbst Betsey gab jede Hoffnung auf, den Gatten wiederzusehen. Der Fremde, der Mawler hieß, war aber jetzt einigemal in ihre Gegend gekommen, um nach einzelnen von seinen Schweinen zu sehen, die sich dorthin verlaufen hatten. John und Jim halfen ihm sie suchen, und er übernachtete auch einmal wieder in Wells Haus, weil gegen Abend, als er auf dem Rückweg von dort herüberkam, ein furchtbares Unwetter einsetzte und der kleine Fluß an dem Nachmittag gewaltig gestiegen war.

Von da an kam er öfter, half Mrs. Wells hier und da in ihrer Farm, wo die Jungen nicht allein fertig werden konnten, trieb ihr fortgelaufenes Vieh, das er draußen gefunden, in die Range zurück und baute ihr für ihren zerfallenen Webstuhl einen neuen, denn er wußte mit Axt und Schnitzmesser außerordentlich gut umzugehen. Auch die Knaben unterrichtete er darin und schenkte John einen vortrefflichen »langsamen« Schweißhund, eine Race, die selbst dort im Walde nicht häufig ist und die er mit von Texas herübergebracht hatte. Die beiden jungen Burschen mochten den Fremden schon lange gern leiden.

Wells war seit vier und einem halben Jahr verschollen, als Betsey Wells und Bill Mawler eines Morgens zum Friedensrichter Houston nach der »Fork« hinaufkamen und ihm erklärten, daß sie beide einander zu Mann und Frau nehmen wollten.

Da die »Nachbarn«, also auch der Friedensrichter, das schon lange gewußt hatten, fand er so wenig wie jemand anderes in der Range irgend etwas Außerordentliches darin. Wells war tot, so viel stand fest; Mr. Houston, der selber einmal an der texanischen Grenze gewesen war und die Verhältnisse dort genau zu kennen vorgab, hatte schon nach dem ersten Jahr nicht daran gezweifelt; und Mr. Mawler und Betsey Mawler kehrten noch an dem nämlichen Nachmittag nach Mawlers Farm, wie der Platz jetzt hieß, zurück. Acht Tage später verkaufte Mawler sein an der andern Seite des Flusses angelegtes Improvement mit Vieh und Ackergerät und allem, was dazugehörte, an einen erst ganz kürzlich eingewanderten Deutschen, der sich in jener Gegend niederzulassen wünschte, und ging von da an eifrig daran, seine neue, in den letzten Jahren doch ziemlich vernachlässigte Farm wieder ordentlich instandzusetzen.

Es war im Herbst. – Mawler saß den Nachmittag allein in der Hütte und schnitzte ein Ochsenjoch, um in der nächsten Woche Stämme zu einem neuen Rauchhaus zu fahren. John, jetzt ein derber, vierzehnjähriger Bursche, war schon am Morgen mit seiner Büchse einem Bären nachgegangen, den er mit Tagesanbruch nicht weit vom Haus gespürt; Jim war in der »Schreibstunde«, da sich vor kurzer Zeit ein Yankee hier in der Nachbarschaft niedergelassen, um allen, die das Bedürfnis fühlten, den Winter hindurch Unterricht im Schreiben zu geben. Und Betsey endlich war zu ihrer nächsten Nachbarin, der Mrs. Wilson, hinübergeritten und brachte ihr Medizin für ein krankes Kind.

Da kam ein einzelner Reiter mit einem alten grauen Hund hinter sich langsam die Hügel herunter, die hinter dem Feld aufstiegen, ritt an dessen Fenz entlang und hielt vor dem Haus, ohne dieses jedoch anzurufen. Das Pferd wieherte, als es an die Fenz kam, und der Fremde stieg ab, nahm den Sattel herunter, legte ihn auf die Fenz und besah sich einen Augenblick die kleine, erst kürzlich dort eingeschnittene Tür, durch die er dann schritt und langsam dem Haus zuging. Der Hund, ohne sich um die ihn ankläffenden Rüden zu kümmern, lief voran in die Stube und legte sich rechts vom Kamin in die Ecke.

Mawler war, als er die Hunde anschlagen hörte, von seiner Arbeit aufgestanden und in die Tür getreten, wo der Hund, ohne weitere Notiz zu nehmen, an ihm vorübersprang.

»Guten Abend, Fremder!« grüßte er dabei den Gast auf die ruhige, gewohnte Weise, »kommt herein und nehmt Euch einen Stuhl.«

»Danke«, sagte der Fremde und trat ins Haus, in dem er sich umsah, und als er niemand weiter darin erblickte, nach der Tür hinaufschaute, als ob er seine Büchse dort auflegen wollte. Da lag aber schon eine, er stellte die eigene deshalb in die Ecke ans Kamin, rückte sich einen Stuhl zum Feuer und sah, sein rechtes Bein auf das linke Knie legend, ruhig in die Flamme.

»Das ist ein alter Hund, den Ihr da bei Euch habt«, sagte Mawler endlich.

»Sehr alt«, erwiderte lakonisch der Fremde. Er sah selber nicht sehr jung oder doch arg verwildert aus, trug ein buntes zerrissenes Tuch um den Kopf gebunden, unter dem die langen schwarzen Haare vorhingen, aber ein noch neues ledernes Jagdhemd auf dem bloßen Leib, lederne Hosen, die an den Seiten, wie das Jagdhemd, ausgefranst waren, und braun geräucherte, sehr zierlich gearbeitete Mokassins.

Mawler betrachtete ihn aufmerksam; das Gesicht kam ihm fast bekannt vor, er konnte sich aber doch nicht darauf besinnen, wo er es schon einmal gesehen haben mochte. Überdies waren in letzter Zeit viele Leute hier vorbeigekommen, um nach dem indianischen Territorium zu ziehen, da ein Gerücht umlief, die Regierung der Vereinigten Staaten wolle den Chocktaws und Cherokesen das ihnen dort früher angewiesene Land wieder abkaufen. Da zogen sich denn die Pioniere und Squatter des Westens, die in diesem Fall einen Zusammenstoß mit den wilden Stämmen nicht für unmöglich, ja eher für sehr wahrscheinlich hielten, in Menge dort hinauf, um gleich bei der Hand zu sein und irgendeinen guten Platz im Vorkaufsrecht nehmen zu können. Was lag den Leuten an einem Kampf mit den Rothäuten? Den hatten sie sich lange schon gewünscht und überhaupt den Indianern seit Jahren das gute Land mißgönnt, das sie dort besaßen. Wie sich das Gerücht endlich als falsch erwies, zog die Mehrzahl wieder zurück in ihre alten Jagdgründe, meist eben solch abenteuerliche Gestalten wie diese hier und auf ein Leben in der Wildnis nun schon einmal von Jugend auf angewiesen.

»Wessen Farm ist dies?« fragte der Fremde endlich nach einer langen Pause, indem er mit dem Fuß dabei eins der herausgefallenen Stücke Holz wieder in die Kohlen schob, daß es hell aufloderte.

»Meine«, sagte Mawler, seine Arbeit an dein Ochsenjoch wieder aufnehmend.

»Und Euer Name?« fragte der Fremde wieder, ohne seinen Wirt jedoch dabei anzusehen.

»Mawler.«

»Alte Lady tot?« forschte der Fremde.

»Nein«, versetzte Mawler, hörte aber auf zu schnitzen und sah den Fremden plötzlich starr und aufmerksam an. Eine ganze Weile sprach wieder niemand ein Wort. Endlich fragte Mawler:

»Wo kommt Ihr her?«

»Von Texas.«

Mawler sprang von seinem Sitz auf und trat auf den regungslos in seiner Stellung bleibenden Fremden zu.

»Und heißt?«

»John Wells.«

»Den Teufel auch!« rief Mawler, und das Schnitzmesser fiel ihm aus der Hand.

In diesem Augenblick schlugen die Hunde, die bis jetzt gegen den Fremden durch die Tür hineingeknurrt hatten, draußen an; Mrs. Mawler kam, von drei anderen, ihren eigenen Rüden begleitet, zurück, sprang aus dem Sattel, warf den Zügel über die Fenz und trat ins Haus.

»Guten Tag, Mawler«, sagte sie dabei, »guten Tag, Fremder.«

Der Fremde drehte sich langsam nach ihr um – sie sah ihn an, starr und sprachlos, mit weit aufgerissenen Augen, und eine Weile stand sie dem Mann gegenüber, ohne auch nur imstande zu sein, einen Laut über die Lippen zu bringen. Endlich aber hob sie die Arme, aber immer noch fast willenlos, empor und rief mit angstvoll klagender Stimme:

»Heiland der Welt! John – John – oh, wo bist du so lange – so lange – so entsetzlich lange geblieben?«

»Guten Tag, Betsey«, sagte John, der von seinem Stuhl langsam aufgestanden war und ihr die Hand reichte, »wie geht's?«

»O John, John, warum bist du so lange fortgeblieben!« wiederholte die Frau, die sich ihm an die Brust warf und laut schluchzte, »und die langen, langen Jahre nichts von dir hören zu lassen!«

»Das ist eine fatale Geschichte, Wells«, sprach jetzt auch Mawler, der sich indessen von seiner ersten Überraschung erholt und gesammelt hatte, »wo habt Ihr die ganze Zeit gesteckt?«

»In Texas«, sagte Wells, einen flüchtigen Blick nach dem Mann hinüberwerfend. »Die Frau heißt Betsey Mawler, nicht wahr?«

»O John, John«, wehklagte diese wieder, »was habe ich nicht alles um dich ausgestanden! – Sie sagten hier, die Indianer hätten dich gefangen und skalpiert, du wärest den Pawnees in die Hände gefallen.«

Ein leichtes spöttisches Lächeln blitzte über Johns Gesicht, aber es war im Nu wieder verschwunden, und er erwiderte kein Wort.

»Was machen die Jungen?« fragte er endlich, die Frau dabei ansehend.

»Sie sind wohl. Jim muß gleich zu Hause kommen«, schluchzte die Frau unter Tränen.

»Und wie lange wohnt Ihr hier im Haus, Mawler?«

»Über sechs Monate.«

»Hm«, sagte Wells und sah ein paar Sekunden vor sich nieder. Dann machte er sich leise, aber nicht unfreundlich von der Frau los, ging in die Ecke, wo seine Büchse stand, und sich dann zur Tür wendend, fuhr er langsam fort: »Was einmal geschehen ist, läßt sich nicht mehr ändern. Ich selbst trage auch viel Schuld dabei, wenn auch nicht so viel, wie ihr vielleicht glaubt. Wenn ich hätte kommen können, wär' ich nicht so lang geblieben. Überlegt euch nun heut abend die Sache zusammen, und morgen komme ich wieder. Einer von uns kann nur im Haus bleiben, das werdet Ihr einsehen, Mawler. – So komm, Schneider!« und damit drehte er sich um und wollte das Haus verlassen.

»Wo willst du hin, John?« rief die Frau bestürzt.

»Wohin? – an den Fourche la fave, um dort zu lagern und mir die Sache selber zu überlegen; morgen zum Frühstück bin ich wieder da.« Er drehte sich dabei ab und verließ das Haus, gefolgt von seinem allem Anschein nach damit gar nicht zufriedenen Hund, der einen mürrischen Blick nach Mawler hinüberwarf. Draußen aber blieb er noch einmal stehen und sagte: »Habt Ihr Tabak hier?«

»Jawohl, Wells«, rief Mawler schnell, »hier ist ein ganzer Block.«

»Danke Euch, brauche nur ein Stück – habe lange keinen gehabt. – Und vielleicht was gemahlenen Kaffee?« – Die Frau lief zitternd vor Aufregung in die Ecke und kam mit einer kleinen Büchse gemahlenen Kaffees zurück. Wells nahm ein Säckchen aus seiner Kugeltasche und schüttete sich dort etwas hinein, schnitt sich ein Stück von dem Tabak herunter, und das übrige zurückgebend, verließ er, so ruhig, wie er gekommen, die Fenz, legte den Sattel wieder auf sein Pferd, stieg auf und ritt langsam dem Fluß zu in den Wald hinein.

Am Fluß angekommen, sattelte er sein Pferd ab, hobbelte es aus, das heißt, band ihm die Vorderbeine so zusammen, daß es eben nur kleine Schritte machen konnte, und ließ es sich selber sein Futter im Wald suchen. Dann machte er sich ein Lager zurecht, wie es Jägersitte ist, schlug Zweige ab, um gegen den Nachttau geschützt zu sein, nahm von einer umgestürzten dürren Kiefer die in Menge daran umherhängende Rinde, um auch nicht auf der bloßen Erde zu liegen, zündete sich ein ordentliches Feuer an und legte sich, nachdem er sich ein Stück trockenes Wildbret zum Wärmen auf die Kohlen geworfen und seinem Hund ein anderes gegeben, ruhig zum Schlafen nieder.

Aber er schlief nicht, stand auch die Nacht drei- oder viermal auf und saß stundenlang, in die Kohlen stierend, am Feuer, bis er sich gegen Morgen noch einmal hinlegte, die Decke über den Kopf zog und fest schlief, bis die Sonne schon durch die dichten Zweige auf sein Rindenlager niederfiel. Jetzt stand er auf, wusch sich, zog seine Mokassins an, rollte seine Decke zusammen und ging aus, um sein Pferd zu suchen; wie er aber fand, daß dessen Spuren nach dem Haus zu liefen, kehrte er zum Lager zurück, nahm Sattel, Zaum und Decke auf die eigene Schulter und folgte langsam den Spuren des vorangegangenen Tieres.

Am Hause kamen ihm aber seine beiden Knaben entgegengesprungen, und er blieb stehen, schüttelte ihnen herzlich die Hände, gab ihnen dann Sattel und Decke zu tragen und sah sich eine Weile mit freundlich zufriedenem Blick die beiden jungen kräftigen Burschen an. Auch Gelände und Fenz betrachtete er genau und forschend: es war alles in gutem Stand erhalten; die Fenzen hatten neue Unterriegel bekommen, die Bäume im Feld schienen ziemlich fortgeräumt und ein paar kleine neue Gebäude in seiner Abwesenheit errichtet zu sein.

»Und euch ist's gut gegangen die Zeit?« sprach er zu den Knaben, seine Hand dabei auf des Jüngsten Kopf legend; »hast du viel geschossen, John?«

»Sehr viel, Vater, und im vorigen Herbst meinen ersten Bären erlegt.«

»Alle Wetter, du fängst früh an.«

»Und ich habe auch schon einen Hirsch geschossen«, sagte Jim.

»So? Hast du denn eine Büchse?« fragte Wells, augenscheinlich innig vergnügt.

»Ich habe jetzt Johns kleine Büchse«, rief Jim mit leuchtenden Augen, »und Mr. Mawler hat John eine neue gekauft.«

»Mr. Mawler scheint ein ordentlicher Mann zu sein?«

»Ganz brav«, sagte John, »und dabei fleißig, und war gut mit uns und Mutter.«

»Hm, hm, hm«, machte Wells und schritt nachdenkend dem Hause zu, an dem schon ein anderes Pferd mit aufgeschnallter Decke gesattelt stand. »Ist jemand Fremdes gekommen?« fragte er die Knaben, indem er wieder stehenblieb.

»Nein, das ist Mr. Mawlers Pferd; – bleibst du jetzt wieder bei uns, Vater?« sagte Jim.

»Ich weiß noch nicht, Jim, wohl nicht lange.«

»Und Mr. Mawler auch?«

»Es täte dir leid, wenn er fortginge?« fragte Wells.

»Der Mutter auch – sie hat viel geweint gestern abend.«

»Hm, hm, hm, hm«, machte Wells wieder, richtete aber keine weitere Frage an die Kinder und ging mit ihnen geradenwegs zum Haus hinauf, an dessen Tür ihn schon Betsey empfing, ihm die Hand reichte und herzlich schüttelte und mit Tränen im Auge sagte:

»O John, John, hättest du doch damals meinen Bitten nachgegeben und wärest nicht nach Texas gegangen! Daß jetzt alles so kommen mußte, daß alles so kommen mußte!«

»Tut's dir leid, daß ich zurückgekommen bin?« fragte Wells.

»Oh, wie kannst du so reden!« klagte die Frau.

Mawler stand am Kamin, fertig angezogen und seine Gamaschen umgeschnallt; auch den Sporn hatte er wieder am Fuß, wie er damals zuerst in das Haus gekommen. Er reichte Wells die Hand und wollte dann zu reden anfangen, dieser aber unterbrach ihn und sagte:

»Halt, Mawler, erst wollen wir frühstücken, und es ist lange her, daß ich die Beine unter dem Tisch da stecken gehabt. Vergeht auch vielleicht noch lange Zeit, ehe es wieder geschieht; – laßt sein jetzt, davon sprechen wir nachher, jetzt gib uns den Kaffee, Betsey; ist er fertig?«

Die Frau stellte das Essen mit dem Kaffee auf den Tisch und bediente die beiden Männer. Wells war dabei erst recht ernst, ja finster gewesen; während der Mahlzeit heiterte sich aber sein Gesicht wieder auf, er zog die Augenbrauen hoch in die Höhe und sprach:

»Wenn uns die Nachbarinnen jetzt hier so sitzen sähen, wie würden die staunen!«

»Das wird ein schönes Gerede in der Ansiedlung geben«, seufzte die Frau.

»Wenn ihr schweigen könnt, braucht kein Mensch etwas davon zu erfahren«, sagte Wells trocken.

»Wird nun doch wohl nicht mehr zu ändern sein«, meinte Mawler.

»Vielleicht doch«, versetzte Wells, seine Tasse noch einmal der Frau hinüberreichend, um sie wieder füllen zu lassen.

»Und haben dich die Indianer denn wirklich gefangengehalten?« fragte Betsey, mit ängstlichen Blicken sein Gesicht überfliegend, in dem sie drei oder vier frische Narben entdeckte.

»Nur die Creeks – feiges, verdammtes Volk«, knurrte der Jäger halblaut vor sich hin, während sich die Knaben zu ihm drängten und ihm die Worte mit den Augen von den Lippen fingen. »Das erste Frühjahr wollt' ich noch nicht wieder zurück, ich mußte doch erst wissen, wie Texas im Sommer aussah, war ja doch einmal dort. Wild war auch genug da, und wie ich das Land dann nach allen Richtungen durchzogen und im Herbst wieder heimkehren wollte, fiel ich mit einer Bande der verfluchten Rothäute zusammen, die mit einem einzelnen Jäger glaubten, keine Umstände machen zu dürfen. Sie stahlen mir erst mein Pferd, und als sie mir selber zu Leib gingen, schoß ich vier von ihnen nieder, bis ich von ein paar Kugeln, die ich selber gekriegt hatte, ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, hatten sie mich gebunden und auf eins von ihren Maultieren gepackt und nahmen mich mit in ihr Lager. Dort durft' ich mich erst ganz ordentlich wieder erholen, und ich glaubte schon, die Kanaillen wollten mich mit in das Territorium nehmen, wo ich leicht Gelegenheit gefunden hätte, zu entwischen. Eigentlich aber sparten sie mich nur zu einer Festlichkeit auf, die sie in nächster Zeit hatten und bei der ich, wie ich nachher fand, ›den Pfahl laufen sollte‹.«

Man weiß, daß die nordamerikanischen Indianer ihre Kriegsgefangenen oft auf die ausgesuchtest grausame Weise marterten. Eine ziemlich häufige Art dabei war nun, den Gefangenen nackt auszuziehen und an einem fünf oder sechs Fuß langen Streifchen Büffelhaut an einen Pfahl zu binden, daß er um diesen herumlaufen konnte. Den Boden bestreuten sie dann mit glühenden Kohlen und trieben und stießen ihn selbst, unter dem Jubelruf der Zuschauer, mit zugespitzten Bränden, bis er seinen Qualen erlag. Die Erbitterung der westlichen Amerikaner schreibt sich auch einesteils von diesen Martern, meist aber von den heimlichen Überfällen der Wilden her, die, wenn sie eine einsam liegende Hütte umzingelt hatten, weder Weiber noch Kinder schonten und alles ermordeten. Wie sehr sie dazu von den Amerikanern selbst gereizt wurden, die sie weiter und immer weiter zurücktrieben von ihren Jagdgründen, von den Gräbern ihrer Väter, das kümmerte die Pioniere nicht. Seit den letzten zwanzig Jahren haben diese Überfälle in den Vereinigten Staaten aber aufgehört. Black Hawk war der letzte Häuptling, der seine Krieger gegen die Weißen führte, und nur noch in den Felsengebirgen und den weiten, wüsten Prärien – westlich vom indianischen Territorium – waren die einzelnen Jäger und Fallensteller den Schrecken und Gefahren solcher Kriegsführung ausgesetzt, der sie aber nicht selten auf gleiche Weise begegnen, ihre erschlagenen roten Feinde wenigstens ebensogut skalpieren wie die Indianer selber.

»Am Tage vor dem Fest«, erzählte Wells weiter, »hielten sie eine Art Vorfeier, und ich wurde draußen vor dem Lager an einen Baum gebunden und« – er biß die Zähne fest aufeinander, daß sie knirschten – »den Frauen und Kindern und alten Weibern des Stammes überliefert, die mich mit brennenden Stäben stießen und peinigten, indes die verdammten rothäutigen Schufte dabeistanden und sich ausschütten wollten vor Lachen. – Pest! – Ich hab's ihnen aber vergolten. In der Nacht brach ich durch ihr Lager und lief ohne Gewehr, am ganzen Körper voll Brandwunden, nur von Schneider hier gefolgt, der mich nicht aus den Augen gelassen hatte, bis ich den Wald erreichte. Die roten Höllenhunde waren hinter mir her, und sie hätten mich doch am Ende wieder erwischt, wäre mir nicht glücklicherweise ein kleiner Zug weißer Jäger in den Weg gekommen, die nach Santa Fé wollten. Vor denen zogen sich die Indianer zurück, ich aber schwor, keinen Bären wieder zu schießen mein Leben lang, bis ich den Skalp des Häuptlings, der mich den Weibern zum Spott überliefert, am Gürtel hängen hätte, und als die Jäger erfuhren, wie ich von den Rotfellen behandelt worden sei – meine Haut erzählte die Geschichte dabei viel besser, als ich es selber konnte –, gaben sie mir Kleider und Büchse und Messer, und noch in derselben Nacht griffen wir das Lager an.

Wieviel wir von den Hunden totschossen, weiß ich selber nicht mehr, aber – der Häuptling war nicht darunter und nach Hause durft' ich nicht wieder, bis ich meinen Schwur gelöst. Die Jäger zogen weiter, ich aber ging in die nächste, vielleicht fünfzig Meilen von dort liegende Ansiedlung, um mich erst ordentlich wieder zu erholen, und nachher, wie es mein Unglück wollte, konnt' ich den Stamm nicht wiederfinden. Drei Jahre bin ich so in den Steppen herumgezogen, den Schuften immer auf der Ferse; drei Jahre haben die Bären Ruhe vor mir gehabt, zu Schneiders Ärger, und jedesmal, daß ich in Schußnähe von einem der schwarzen Burschen kam, brannte mir der Schwur wieder wie Feuer auf der Seele. Was ich dabei ausgestanden, welchen Gefahren ich dabei entging und sie wieder und wieder aufsuchen mußte – das zu erzählen brauchte ich einen ganzen Winter. Aber – ich ließ nicht nach, bis mir vor fünf Monaten etwa der rote Bursche vor die Büchse lief.«

»Und habt Ihr ihn erwischt?« rief Mawler, der mit dem gespanntesten Interesse der Erzählung gefolgt war. Wells erwiderte nichts darauf, sondern schlug nur sein Jagdhemd zurück, und die Frau barg schaudernd ihr Angesicht in den Händen, als sie an dem Gürtel, der das Messer trug, die dunkle, entsetzliche Trophäe erkannte.

»Und deshalb konntest du Frau und Kinder so lang allein zurücklassen?« stöhnte sie vorwurfsvoll.

»Ich glaube, an seiner Stelle hätt' ich das auch getan«, sagte Mawler finster. »Hol der Teufel die roten Bestien, einen Mann zu quälen, wie selbst ein nichtswürdiger Panther, ein Wolf seine Beute nicht martert! – Ich hab auch noch eine alte Schuld an sie abzutragen.«

»Das kann ich Euch vielleicht besorgen«, sprach Wells jetzt, der seinen Teller zurückschob und vom Tisch aufstand. »Ich hab mir die Sache überlegt, Mawler, hab die Fenz und das Feld angesehen, wie ich vom Fluß herüberkam, hab die Kinder nach Euch gefragt, und – doch das gehört nicht hierher. Was ich aber erfahren, hat mir gezeigt, daß Ihr ein braver, rechtschaffener Mann seid, der auf Farm und Haus gesehen und für die Familie, in der Ihr Euch eingewohnt, auch gesorgt hat. Ich selber fühle recht gut, daß ich gegen mein Weib wenigstens nicht so gehandelt habe, wie ein Mann hätte handeln sollen, der ihr vor dem Friedensrichter nun einmal gelobt hat, daß er bei ihr aushalten wolle in Freud und Leid. Sie fühlt sich wohl jetzt bei Euch, und die Kinder – sind auch mit Euch zufrieden. Ich selber – unterwegs hatte ich mir die Sache freilich anders ausgemalt, aber – 's ist auch so gut – ich selber gehöre nicht mehr hierher – für die Leute vom Fourche la fave bin ich tot, für Euch will ich's ebenfalls sein. Bleibt, wo Ihr seid, behandelt mir die Betsey und die Kinder gut und – aber was braucht's da langer Worte?« brach er kurz und rasch ab. »Gott behüte dich, Betsey – good bye, John – good bye, Jim, haltet euch wacker und folgt eurem neuen Vater so gut, wie ihr früher dem alten gefolgt seid. – Komm, Schneider – wir beide nehmen den alten Pfad noch einmal auf.«

Sein Gesicht war, während er die Worte sprach, kalt und regungslos geblieben; keine Muskel zuckte dabei, keine Wimper, aber auch jeder Blutstropfen hatte es verlassen, und Mawler, der ihn scharf dabei beobachtete, sah, wie es in ihm arbeitete und wühlte. Als aber die Frau sich ihm an die Brust warf und ihn bat, sie nicht wieder zu verlassen – nicht so von seinen Kindern zu gehen, und der Mann sie leise, aber fest von sich schob und nach seiner Büchse griff, trat Mawler in die Tür, und sich dem Jäger entgegenstellend, sagte er freundlich, aber fest:

»Halt, Wells, damit wird's nichts; auch ich habe mir in der letzten Nacht die Sache hin und her überlegt und bin zu einem festen Entschluß gekommen, von dem mich nichts abbringt. – Ich habe einen Schwur getan, wie Ihr damals dem roten Schurken gegenüber, und – ich will ihn ebenso halten.

Die Sache hier«, fuhr er nach einer langen Pause, während der ihn die übrigen erwartungsvoll ansahen, langsam fort, und seine Stimme war schwer und heiser geworden; er tat sich Gewalt an zu reden, was sich aber, während er sprach, mehr und mehr gab, bis sein Antlitz einen zwar fest entschlossenen, doch selbst freundlichen Ausdruck annahm, »die Sache hier kann nicht bleiben, wie sie ist, das sehen wir alle miteinander ein, und – so wohl und glücklich ich mich bis jetzt mit Eurer Betsey und den Knaben hier gefühlt habe, wo wir nicht anders glauben konnten, als daß Euch wirklich ein Unglück betroffen habe, so elend müßte mir von nun an zumute sein, wenn ich Euch gesund und wohl, aber durch meine Schuld fern von dem Platz wüßte, der von Gottes und Rechts wegen Eure Heimat ist und sie – soweit ich dabei beteiligt bin – bleiben soll.«

»Ihr habt unrecht, Mawler«, unterbrach ihn Wells.

»Laßt mich ausreden«, sagte aber dieser fest und bestimmt. »Ihr, Wells, habt das älteste Anrecht auf Farm und Frau. Ob Ihr recht daran getan, so lange auszubleiben, mögt Ihr mit Eurem eigenen Gewissen und Eurer Frau abmachen. Ich aber will nicht länger zwischen Euch stehen; verhüte Gott noch weniger, daß ich Euch wieder hinaus in die Welt triebe. Was müßten die Knaben später einmal von mir denken, wenn sie erst zu Verstand kämen? So gehabt Euch wohl, good bye, Betsey!« sagte er, der Frau Hand ergreifend und sie derb und herzlich schüttelnd, und es war fast, als ob dem rauhen Mann dabei eine Träne ins Auge trat, »ich danke Euch für die kurze, glückliche Zeit, die ich hier verlebte. Good bye, Jungen!« fuhr er dann, sich rasch an diese wendend, fort, »werdet brave Kerle und macht eurer Mutter Freude. Lebt wohl, Wells – kein Wort weiter. Ihr könnt mich nicht halten und müßt anderer Leute Schwur ebenso achten wie Euren eigenen, und nun – mit Gott!« Und seine Axt, die mit fest verwahrter Schneide in der Ecke dicht an der Tür lehnte, aufgreifend und umhängend, die Büchse über die Schulter werfend, wandte er sich rasch ab und verließ das Haus, eilte über den schmalen Vorhof, warf sein Pferd los, sprang in den Sattel, und seine Hunde rufend, galoppierte er wenige Sekunden später mit klappernden Hufen die Straße hinauf.

Noch einmal wandte er den Kopf und schaute zurück – Betsey stand in der Tür, aber vor Tränen konnte sie ihn schon lange nicht mehr sehen, und in demselben Augenblick war er auch in einer Biegung der Straße hinter den dichten Bäumen verschwunden.

Und Wells? –

Als Mawler das Haus verlassen hatte, stand er eine Weile still und regungslos an derselben Stelle, das Auge fest und nachdenkend auf die weinende Frau geheftet; dann nahm er seine Büchse, die noch in der Ecke lehnte, und legte sie auf den alten Platz, auf die Pflöcke, die zu dem Zweck über der Tür befestigt waren – hing seine Kugeltasche mit dem daran befestigten Pulverhorn daneben, nahm dann eine Ahle und ein paar dünngeschnittene Streifen Leder aus derselben, zog seinen linken Mokassin aus und setzte sich, ohne das Vergangene weiter mit einem Wort zu erwähnen, an den Kamin, um etwas an dem Leder auszubessern; ging überhaupt von da an seinen gewohnten Beschäftigungen wieder nach, als ob er seine Farm eben nur, wie er das oft zu tun pflegte, auf ein paar Tage verlassen und bei seiner Rückkehr alles so wiedergefunden habe, wie immer. – Er wäre auch mit der nämlichen Ruhe nach Texas zurückgeritten.

Und die Nachbarn? – Vierzehn Tage wurde in dem ganzen County von weiter nichts gesprochen als von Wells Wiedererscheinen und Mawlers Verschwinden. Einmal hieß es sogar, Wells habe ihn erschossen und hinter seinem Haus im Garten vergraben, aber Leute aus der Ansiedlung waren dem Davonreitenden an dem nämlichen Morgen oben an der Fork begegnet und widerlegten die Beschuldigung. – Wells selber fragte niemand darum; er hätte auch niemandem darauf geantwortet.

Ein Jahr später kam einer seiner Nachbarn zu ihm, sagte ihm, daß er selber im Sinn habe, nach Texas auszuwandern, und bat Wells um seine Meinung. Das einzige, was dieser darauf erwiderte, war:

»Texas soll verdammt sein!«


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