Friedrich Gerstäcker
Pech!
Friedrich Gerstäcker

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Es war im Herbst des Jahres 1850, daß ich, eben im Begriff, mich von San Francisco nach den Sandwichs-Inseln einzuschiffen, einen kleinen Abstecher nach Sausalita an der Bai machen wollte. Ich mußte aber um Mittag wieder zurück sein und deshalb das erste, ziemlich früh dahin abgehende Boot benutzen, dessen Abfahrt auf sechs Uhr angezeigt worden. In San Francisco gab es damals freilich noch keine Stadtuhr, nach der sich die Zeit hätte regeln lassen. Jeder Kapitän fuhr nach seinem eigenen Taschenchronometer, und als ich auf dem lang ausgebauten Werft hinauslief, um das Boot nicht zu versäumen, stieß es gerade von seiner Landung ab und dampfte in die Bai hinaus.

Ich rannte, so rasch ich konnte, auf dem Werft hinaus bis zur Spitze desselben und winkte. Der Kapitän des kleinen Dampfers »Jenny Lind« mochte es wohl nicht der Mühe wert halten, »eines einzigen lumpigen Passagiers wegen« noch einmal anzulegen. Er stand oben auf Deck und drehte allerdings, durch andere aufmerksam gemacht, den Kopf nach mir um, rührte sich aber sonst nicht weiter, und ich sah bald, daß ich meine Zeit verpaßt hatte.

»Ich habe doch schändliches Pech!« rief ich – in Gedanken wahrscheinlich etwas laut – vor mich hin, als ich noch am äußersten Rande des Werftes stand und dem davondampfenden Boote nachsah.

»So? – Sie haben Pech?« sagte da eine Stimme neben mir, und als ich mich danach umwandte, bemerkte ich einen kleinen dicken Mann, mit einer Reisetasche um und ohne Hut, auf einer der dort aufgestapelten Kisten sitzen und eben im Begriff, Feuer zu schlagen, um sich eine Zigarre anzuzünden, aber sein Schwamm wollte nicht brennen. Er hatte dabei einen eigenen, resignierten Zug um den Mund und hämmerte an seinem Steine langsam hin, als ob er schon im voraus wisse, daß er doch kein Feuer bekomme.

»Allerdings,« rief ich, noch immer ärgerlich über den Kapitän des Dampfers, der mich doch jedenfalls schon auf dem Werft mußte gesehen haben, wie ich dem Boote zulief, – »ich kann jetzt eine ganze Stunde warten, bis ein zweites abgeht.« – Dabei holte ich aber doch mein eigenes Feuerzeug aus der Tasche und reichte ihm die rasch fangende Lunte, die er nahm und seine Zigarre damit anzündete.

»Sie wissen gar nicht, was Pech ist,« erwiderte er dabei in Zwischenräumen, während er an seiner Zigarre zog – »soll ich's Ihnen sagen? Sie haben eine Stunde Zeit, und ich wahrscheinlich eine ganze Woche, also versäumen wir beide nichts.«

»Und haben Sie wirklich so viel Pech hier in Kalifornien gehabt?« lachte ich, denn der kleine Mann machte viel eher einen komischen als wehmütigen Eindruck – »wahrscheinlich nichts gefunden in den Minen?«

»Ich bin noch gar nicht oben gewesen,« sagte er.

»Also wollen Sie jetzt hin?«

»Glauben Sie,« fragte er mich, ohne meine Frage gleich zu beantworten, »daß jemand dort oben in einer selbstgegrabenen Grube verschüttet, oder im Walde angefallen, beraubt und totgeschlagen, oder von einem stürzenden Baum zerquetscht werden, oder beim Übersetzen über einen Fluß ersaufen könnte? Halten Sie das für möglich?«

»Weshalb soll es nicht möglich sein,« lachte ich, »alle derartigen Dinge sind wenigstens schon vorgekommen, aber –«

»Nun gut,« unterbrach mich der Kleine, »wenn es überhaupt möglich ist, so passiert mir das alles dort oben, darauf können Sie sich verlassen, und ich denke deshalb gar nicht daran, das Schicksal noch länger herauszufordern. Ich will wieder nach Hause – vorausgesetzt nämlich, daß ich nicht unterwegs ersaufe, was allerdings die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat.«

»Aber ich begreife gar nicht –«

»Nun hören Sie,« erzählte der Kleine – »erstlich heiße ich Meier, was schon an und für sich ein Unglück ist. ›Gott tröste, wer Meier heet,‹ sagte schon die alte Frau in Bremen, die auch Meier hieß und alle Augenblicke wegen anderer Meier vor Gericht mußte – und in Deutschland selber war ich berühmt meiner Unglücksfälle wegen. So 'was wie Kalifornien ist aber doch noch nicht dagewesen, und ich wollte meinem Schöpfer danken, wenn ich nur erst wieder hinaus wäre – aber es geht nicht.«

»So wollen Sie wirklich ernstlich wieder fort, ohne die Minen auch nur einmal gesehen und Ihr Glück versucht zu haben?«

»Glück – bah!« versetzte der Kleine, »und Sie würden mir selber abraten, wenn Sie alles wüßten. Denken Sie, von Deutschland lief ich mit dem Schiff ›Undine‹ aus – schon ein ominöser Name, denn die Undine ist ein Wasserweib und will gar nicht an Land. Unsere wollte auch nicht. Erstlich machte unser Kapitän den Versuch, durch die Maghellansstraße zu laufen, wie er sagte, wir krochen aber und lagen auch einmal achtzehn Tage still mit Wassereinnehmen und Windstille, und als wir endlich wieder in offene See kamen, kriegten wir eins auf die Mütze. Der Sturm wehte uns die Masten über Bord, und an der chilenischen Küste ging denn auch die ›Undine‹ wieder dahin, wohin sie eigentlich gehörte, unter Wasser. Glücklicherweise verloren wir bei dem Schiffbruch keinen einzigen Mann, denn sonst wäre ich das gewesen; ein anderes Schiff nahm uns an Bord und schaffte uns nach Valparaiso, von wo wir unsere Reise nach diesem gesegneten Lande ohne weiteren Unfall fortsetzten, als daß ich einmal durch die gerade geöffnete Luke in den unteren Raum fiel und mir das Gesicht aufschlug. Doch das hatte nichts zu bedeuten, und wie wir endlich hier landeten, schiffte ich mich augenblicklich auf einem der Bai-Dampfer ein, um damit nach Sacramento zu fahren.

»Jawohl – abends um sechs dampften wir hier ab, und ich lag gerade bequem in meiner Koje und schlief, als das Schiff plötzlich einen Stoß bekam, daß ich wie ein Sack von meinem Bett herunter und auf die scharfe Ecke von einer Schiffskiste geworfen wurde. Ein furchtbarer Tumult entstand dabei an Bord, und als ich mich wieder aufraffte und an Deck stürzte, fand sich denn, daß ein anderer, aus den Minen kommender Dampfer gerade in uns hineingelaufen war, so daß dessen Bugspriet unsere Maschine eingerammt hatte. Wir sanken übrigens rasch, und viel Besinnen half nicht – alles klammerte sich an den andern Dampfer an und kletterte hinüber, und es sollen damals nur sehr wenige Leute verunglückt sein. – Glückliche Menschen – sie hatten's überstanden!

»Der von oben herunter kommende Dampfer war übrigens artig genug, eine kleine Weile zu warten, bis er alle aufgefischt hatte, die noch um ihn herumschwammen, dann ließ er seine Maschine wieder arbeiten und brachte uns hierher zurück.

»Das war so weit gut; meine Kleider und mein weniges Reisegepäck hatte ich allerdings eingebüßt, aber mein Geld doch wenigstens in einem Gurt um den Leib geschnallt. Die Expedition des verunglückten Dampfers machte uns auch Passage auf einem andern, dem ›Sagamore‹, aus.«

»Der ist ja in die Luft geblasen!«

»Nun natürlich,« sagte der Kleine. »Noch waren wir nicht abgefahren, oder fuhren eben ab – ich kann mich nicht einmal mehr genau darauf besinnen, – als es plötzlich einen Schlag gab, als ob die ganze Welt in Stücken ging. Zugleich war alles in weißen Qualm gehüllt, und ich fühlte nur, daß ich einen Schlag gegen den Kopf bekam und ins Wasser geworfen wurde. Was weiter mit mir vorging, weiß ich nicht; irgend jemand muß mich aber doch wieder herausgeholt haben, und als ich zur Besinnung kam, lag ich in einem großen Saal, wo eine Unmasse von Betten standen, und auf meine Frage sagte mir der eine Wärter: ich läge im Hospital und dürfe meinem Gott dafür danken. Das Unglück auf dem »Sagamore« sei, nach dem Platzen des Kessels, ganz entsetzlich gewesen, und Hunderte von Menschen wären verbrüht, zerstückt oder ertrunken. Also sollte ich noch dankbar dafür sein, daß ich einen Hieb gegen den Schädel gekriegt und wie ein Sack ins Wasser geworfen war; aber der Kopf tat mir weh, es dämmerte auch schon, oder mir flimmerte es vielleicht nur so vor den Augen – kurz, ich schlief wieder ein, und als ich das nächste Mal aufwachte, schrien sie »Feuer!« um mich her, der ganze Saal war hell, und wie ich mich danach umdrehe, sehe ich die Flamme durch die Tür hereinschlagen und oben an der Decke hinschießen.«

»Und dabei waren Sie auch, als das Hospital abbrannte?« rief ich lachend.

»Natürlich war ich dabei,« brummte der Kleine – »und wie wurden wir hinausgeschleppt, so daß einige, die wohl auf dem »Sagamore« arg zugerichtet sein mochten, jammerten und schrien. Na, wir verbrannten wenigstens nicht und ich erholte mich zuletzt doch wieder.«

»Dann wird das Schicksal aber jetzt wohl einmal müde geworden sein, Sie zu verfolgen,« sagte ich.

»Meinen Sie? und deshalb ist wohl jetzt gerade die Cholera hier in San Francisco ausgebrochen?« sagte der kleine Mann – »aber ich denke gar nicht daran, sie hier abzuwarten, denn ich kriege sie heilig. Ich nahm auch vorgestern schon Passage auf einem Schiff, um damit nach den Vereinigten Staaten zu gehen, auf der »Betsy«, die nach Neuyork bestimmt war.«

»Auf der wollen Sie fort?«

»Will ich? – ja, hinaus aus der Bai ist sie gesegelt und hat meinen Koffer mitgenommen. Heute morgen sollte ich an Bord sein, und wie ich eben ans Werft komme, höre ich, daß sie den guten Wind, der mir auch noch meinen Panamahut hinterher gejagt hat, benutzt habe, um auszulaufen. Jetzt sitz' ich wieder auf der wohlriechenden Heide und kann hinterher fahren, wenn ich meine Sachen wieder haben will.«

»Das ist wirklich eine wahre Kette von Unglücksfällen.«

»Ja, und da soll man sich nicht ärgern, wenn man andere Menschen von Pech reden hört! Sie haben sich zu beklagen? – Da kommt schon Ihr anderer Dampfer, der heute eine halbe Stunde früher als gewöhnlich fährt, nur weil Sie darauf warten. Wenn ich mit fortgewollt hätte, wäre der Kessel geplatzt – oder er platzte vielleicht unterwegs –« und dabei blies er den Rauch seiner Zigarre in dichten Wolken von sich.

Es war aber in der Tat, wie er sagte. Das zweite nach Sausalita bestimmte kleine Dampfboot lief heute – aus irgend einer unbekannten Ursache – eine reichliche halbe Stunde vor seiner Zeit, und ich konnte es benutzen, schüttelte meiner neuen Bekanntschaft nur die Hand und sprang an Bord.

An dem nämlichen Abend kehrte ich zurück und schlenderte nach Dunkelwerden, mit nichts auf der Welt zu tun, über die Plaza und an den Spielhöllen vorüber, die hier in glänzender, lichtstrahlender Reihe lagen und durch rauschende Musik ihre Opfer anzulocken suchten. Da entstand vor einem der größten Salons, dem Eldorado, ein Tumult, und ein Schuß fiel. Ich sprang hin, um zu sehen, was es da gebe. Es war die alte Geschichte – einer der Spieler hatte betrügen wollen und wurde dabei erwischt; als er aber entfloh, feuerte der Betrogene einen Schuß hinter ihm drein, traf aber natürlich nicht den, auf den er gezielt, sondern einen harmlos vor dem Haus gerade Vorübergehenden.

Der Mann hatte die Kugel ins Bein bekommen und war gestürzt. Einzelne sprangen zu, um zu sehen, ob er vielleicht gefährlich verwundet sei. Ich drängte mich auch hindurch, und wenn mir der arme Teufel nicht so leid getan, hätte ich laut auflachen mögen – es war richtig Herr Meier.

Landsleute nahmen sich übrigens seiner an und schafften ihn fort, und ich habe ihn von da an nie wieder gesehen, oder auch nur von ihm gehört. Einige Zeit später aber, an dem nämlichen Tage, an welchem ich selber Kalifornien verließ, traf die Kunde ein, daß ein nach Neuyork bestimmtes Schiff an der Küste gestrandet, die Mannschaft und Passagiere aber gerettet seien. Ich zweifle keinen Augenblick, daß Meier dort an Bord gewesen ist.

 


 


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