Friedrich Gerstäcker
Die Flucht über die Kordilleren
Friedrich Gerstäcker

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I

Es war im September 1845, daß die vereinigten Geschwader von England und Frankreich die argentinische Flotte auf dem La Plata, von Admiral Brown, einem Irländer, kommandiert, wegnahmen und den Hafen von Buenos Aires blockierten. Ja sie landeten sogar Truppen, eroberten die von dem argentinischen General besetzten kleinen Häfen, wie die für die Schiffahrt der argentinischen Binnenwasser so wichtige kleine Insel Martin Garcia und setzten damit dem Einfluß des Diktators Rosas, wenn auch nur für kurze Zeit, einen entschiedenen Damm entgegen.

Rosas wütete und drohte gleich darauf durch ein Dekret, seine Gegner als Seeräuber behandeln zu wollen, und hätte er damals die Macht in Händen gehabt, seine Feinde würden bös gefahren sein. So aber fürchtete er doch noch immer das entschiedene Auftreten der beiden vereinigten Mächte und mußte sich begnügen, seiner Rache gegen einzelne freien Lauf zu lassen, die seinen Gesetzen zuwiderhandelten und ihnen anheimfielen.

Die rücksichtsloseste Strenge, ja Grausamkeit wurde aber gegen solche angewandt, die wirklich mit den Feinden der Föderalisten, den Unitariern, in geheimer Verbindung gestanden, ja auf die nur der Verdacht eines solchen Bündnisses fiel. Das war die Schreckenszeit, in welcher die abgesandten Henkersknechte des Diktators, die Mashorqueros, besonders in Buenos Aires selber durch die Stadt zogen, die bezeichneten Häuser besetzten und den verdächtig gewordenen Opfern – wer hätte sie alle verhören können – oft in der Mitte ihrer eigenen Familien, die Kehlen durchschnitten. Dann brannten sie vor dem Hause eine Rakete ab, als Zeichen, daß die Polizei die Leiche abholen könne.

Das war die Zeit, wo das Gitter des großen Obelisken auf dem Viktoriaplatz allnächtlich, ja am hellen Tage seinen furchtbaren Schmuck von abgeschlagenen Köpfen trug; das die Zeit, wo das Herz des treuesten Anhängers Rosas' selbst vor Entsetzen aufhörte zu schlagen, wenn man ein Klopfen an der Haustür vernahm, denn niemand war sicher, und jener furchtbare Mann des Blutes, der aber auch nur auf solche Art imstande war, sich das Land zu unterwerfen und die wilden Gauchoshorden in Furcht und Ordnung zu halten, mähte förmlich in den Reihen seiner Feinde.Man behauptet, daß er während seiner Regierung weit über 5000 Menschen habe hinrichten lassen.

Aber nicht allein in Buenos Altes selber, sondern auch im innern Lande lebten ihm Feinde, und besonders stand die Provinz Mendoza in dem Verdacht, den »asquerosos, inmundos Unitarios« nur zu geneigt zu sein. Mendoza aber, am Fuß der Kordilleren, lag zu weit ab von dem wirklichen Schauplatz des Krieges, um die Einwohner dort ebenso streng unter Aufsicht, ebenso erfolgreich in Schrecken zu halten als die Küstenstriche; und wenn auch dort die föderalistische Polizei, von den wilden Gaucho-Soldaten unterstützt, das Land der Regierung des Diktators gehorsam hielt, waren es doch besonders die Fremden, die jetzt, darauf fußend, daß ihre Landsleute mit offenen Schießluken die Hauptstadt des Landes eingeschlossen hielten und bedrohten, ziemlich offen sich aussprachen über eine Regierung, die »genug Blut vergossen habe, um einen Dreidecker flottzuhalten« und allen Gesetzen der »Zivilisation und Menschenrechte« Hohn spräche.

Ein junger, erst seit kurzem mit einer Mendozanerin verheirateter Engländer, namens Ellington, dessen Vater durch eine der Maßregeln des Diktators fast sein ganzes Vermögen eingebüßt, eiferte besonders gegen diese Zustände und trotzte dabei auf die Kriegsfahrzeuge seiner Landsleute, unter deren Schutz er sein Leben wähnte. Vergebens bat ihn selbst sein Vater, bat ihn sein junges Weib, seine Zunge zu wahren; offen schon hatte er sich gegen oft nur zweideutige Freunde ausgesprochen, daß gerade vom Westen aus die Bevölkerung nach der Seeküste vorpressen müsse, um einem Zustand der Willkür ein Ende zu machen, der unerträglich würde; ja er verbarg mehrere flüchtige Unitarios in seinem Hause und weigerte sich, der argentinischen Polizei den Zutritt zu gestatten, bis er Mittel gefunden, die Verfolgten zu retten.

Allerdings hatte ihn bis jetzt nur noch seine Nationalität vor der Rache des beleidigten Diktators geschützt; aber dem mächtigen Gauchohäuptling standen auch andere Mittel zu Gebote, seine Feinde unschädlich zu machen, als allein öffentliches Gerichtsverfahren, und über Mr. Ellingtons Haupt zog sich ein Gewitter zusammen, das ihn in kurzer Zeit zu erreichen und – zu vernichten drohte. – Nichtsdestoweniger blieb er blind gegen die dringendsten Warnungen seiner wenigen wirklichen Freunde, denn nur wenige wagten noch in der Tat, sich öffentlich seine Freunde zu nennen.

So rückte der Juni von 1846 heran, und Ellington, nur noch kühner gemacht durch die lange Duldsamkeit dessen, der doch die Macht in Händen hatte, ihn zu vernichten, ließ sich in immer tiefere Verbindungen ein und unterhielt sogar schon eine ziemlich lebhafte Korrespondenz mit Chile, um von dort herüber der Sache der Unitarier zu Hülfe zu kommen. Ja die Schlinge schien schon gelegt, die den Diktator in ihren Maschen fassen und vernichten sollte, als eines Abends Don José, Mr. Ellingtons Schwager, leichenbleich und vollständig zur Flucht gerüstet, in dessen Wohnung stürzte und dem anfangs Ungläubigen die Kunde brachte, daß ihr beider Leben in diesem Augenblick an kaum mehr als einem Haar hinge; denn von Rosas gedungene Mashorqueros seien allein in diesem Auftrag selbst von Buenos Aires nach Mendoza gekommen, und der nächste Augenblick schon könne sie selber in der Gewalt dieser furchtbaren und unerbittlichen, blutdürstigen Henkersknechte sehen.

Schleunige Flucht, solange selbst diese ihnen noch übrigblieb, war das einzige, was sie jetzt retten konnte; und wenn sich auch Ellington im Anfang gegen den Gedanken sträubte, die Gefahr so nahe zu glauben, ja sich auf den Konsul seiner Nation stützen wollte, dem gegenüber Rosas nicht wagen würde, eine Gewalttätigkeit zu begehen, konnte er doch nicht lange dem Zureden seines Schwagers, den flehenden Bitten seines Weibes widerstehen. – Selbst der alte Mr. Ellington, der jedenfalls den Mißhandlungen der Henker ausgesetzt gewesen wäre, wenn diese den Sohn entflohen fanden, mußte sie begleiten, und nur eben zusammenraffend, was sie an Geld, Pretiosen und Lebensmitteln fortbringen konnten, verließen sie, vollkommen bewaffnet, wirklich im entscheidenden Moment das Haus, denn kaum zehn Minuten später wurden die verschiedenen Türen desselben von außen leise besetzt, und rot verhüllte Gestalten durchsuchten mit blanken Waffen und ingrimmigen Verwünschungen die leeren Räume.

Die Lage der Flüchtlinge war aber deshalb keineswegs um vieles gebessert. Den Messern des Diktators allerdings im ersten Anlauf entgangen, wäre ihnen doch die Flucht auf die Länge der Zeit durch die weiten, öden Pampas, die Mendoza rings umschließen, unmöglich gewesen; und die Kordilleren, die sie nur in kurzer Entfernung von dem gastlichen Chile trennten, lagen mit Schnee gefüllt und drohten dem Tollkühnen Verderben, der sich in dieser Jahreszeit in ihre sturmdurchbrausten Schluchten wagen sollte. Und doch blieben diese nur ihre einzige Rettung – wenigstens in der Möglichkeit, den zürnenden Elementen das dürftige Leben abzuringen; denn kein Erbarmen hatten sie von den Mashorqueros des gereizten Rosas zu erwarten. Wohl aber wissend, daß bis Tagesanbruch auch selbst dorthin die Wege abgesperrt sein würden, führte Don José den kleinen Trupp in gerader Richtung in die Hügel hinein, an deren Fuß sie sich fast befanden, ihrem guten Glück vertrauend, von dort einen jetzt im Winter ganz unwegbaren Paß über das Gebirge selber zu finden.

Das Glück begünstigte sie hier insofern, als sie, der ersten Schlucht in die nächsten Hügel hinein folgend, eine kleine Hütte und dort zwei Peons trafen, die sich augenblicklich bereit zeigten, ihnen gegen eine sehr beträchtliche Belohnung zu Führern über die Gebirge zu dienen. Die Burschen waren, wie sie behaupteten, mit jedem Pfade, jedem Bach in den Bergen bekannt, und selbst das aufrichtige Geständnis Don Josés, daß sie von Rosas' Henkern verfolgt würden, konnte sie nicht abschrecken. Lachend meinten sie, sie wären allerdings Argentiner, aber gehörten doch eigentlich nach Chile hinüber, und wenn die Señores und die Señorita fürchteten, daß sie verfolgt würden, wollten sie schon einen Pfad nehmen, auf dem bald die Kecksten der Gauchos, die sich überdies nie gern von ihren Pferden trennen, zurückbleiben sollten.

Noch vor Tagesanbruch waren zwei Maultiere, das eine für Señora Ellington, das andere für den alten Herrn, gesattelt und mit den nötigsten Provisionen beladen, und der kleinen Schlucht, in der die Hütte stand, aufwärts folgend, erreichten sie gerade mit Dunkelwerden den Gipfel der ersten Hügel- oder Bergreihe, der schon dicht mit Schnee bedeckt lag, überschritten diese und stiegen dann bei dem matten Licht, das die Sterne auf den Schnee niederfunkelten, wieder in ein anderes, wärmeres Tal hinab.

Die Kordilleren bilden sich nämlich, wie die Rocky Mountains oder Felsengebirge im Norden durch drei Abdachungen, hier durch zwei streng voneinander geschiedene Gebirgsreihen, die sich von Nord nach Süd hinunterstrecken. Der erste, nach den Pampas zu liegende Berg- oder Hügelstreifen – denn was in einem andern Lande recht gut ein Berg genannt werden könnte, erscheint hier, neben den gewaltigen Kordilleren, doch nur als Hügel – schmiegt sich dicht an den Hauptrücken, nur ein schmales Tal zwischen sich und diesem lassend, hin, ist aber hoch genug, sogar in dieser niedern Breite den Winter hindurch eine gar warme und behagliche Schneedecke zu tragen, während die Kordilleren selber schroff und gewaltig, in riesiger Masse aus dem nämlichen Tal emporsteigen – ein fester, kompakter Körper von Schnee und Eis, auf granitenem Piedestal ruhend. So schroff und steil kommen dabei die einzelnen Bergwasser aus jenen riesigen Höhen herausgestürzt, daß es nur an einzelnen Stellen möglich ist, dem Lauf derselben aufwärts zu folgen, während die übrigen Gebirgsmassen eine feste, unersteigbare Wand bilden, die sich wolkenhoch, Berg auf Berg gehäuft, emportürmt.

Aber selbst diese wenigen Pässe können nur für eine Strecke weit im Winter mit Maultieren begangen werden; nachher muß der Wanderer, den sein Geschick in diese Wildnis getrieben, die Bahn zu Fuß weitersuchen, und nicht allein der Abgrund dicht unter dem schwankenden Schritt droht Verderben, nein, der geringste losgebröckelte Schnee, der ihn hier träfe, müßte ihn, durch das Gewicht seines Falles, in die Tiefe schmettern, und der Kondor oder der Puma der Gebirge hätte dann ein treffliches Mahl.

Die beiden Peons kannten hier aber jeden Fußbreit Landes, und dem Tale folgend, das sich in ziemlich gerader Richtung gen Norden zog, erreichten sie gleich am nächsten Tage einen der Pässe, der eigentlich nur im Sommer benutzt wurde, den sie aber doch jetzt ebenfalls hofften, passieren zu können, und hier hatten sie dann kaum eine weitere Verfolgung zu fürchten. Nur zu bald sollten sie aber diese Hoffnung getäuscht finden: ein gewaltiger Schneesturz hatte den schmalen Pfad so überschüttet, daß sie wochenlang gebraucht haben würden, sich hier hindurchzuarbeiten, und wo indessen Provision hernehmen, während ein völliges Schneegebirge jeden weitern Fortschritt hemmte? Selbst jetzt war die Gefahr groß genug, gerade an dieser Stelle von ihren Verfolgern überholt zu werden, denen sie dann nach keiner Richtung hin mehr hätten entfliehen können.

Langes Beraten half hier ebenfalls nichts; rasch umdrehend eilten sie die eben gemachte Bahn in das Tal zurück, wo ihre Maultiere noch zwischen den dort grünenden Myrtenbüschen reichliches Futter fanden, um den Tucunjado, ebenfalls einen der Bergströme, zu erreichen, ehe die Verfolger bis hierher ihre Spur aufgefunden haben könnten. Diese mußten übrigens schon in großer Anzahl kommen, wenn sie ihnen gefährlich werden sollten, denn die Gauchos, wie die Bewohner der Pampas genannt werden, führen selten oder nie Feuergewehre, mit denen sie auch nur höchst mittelmäßig umzugehen wissen, und die beiden Engländer waren mit Pistolen und Büchsen vortrefflich bewaffnet. Selbst Don José führte ein Paar Pistolen im Gürtel und ein Doppelgewehr, und die Peons hatten ihre gewöhnlichen langen Messer, ohne das ein Argentiner, besonders in damaliger Zeit, nie die Schwelle seines Hauses verließ.

Unten an der Mündung des Tucunjado, das heißt dort, wo der Bergstrom, von dem Hauptrücken der Kordilleren niederschäumend, seine Wasser mit einem größeren Bache vereinigt, der von Norden niederkommt und sich später seine Bahn in die freie Ebene bricht, liegt, hoch von den Schneegebirgen überragt, aber auch gegen all die rauhen Südweststürme geschützt, in fast tropischem Klima, eine kleine freundliche Farm, die Grenzstation der Argentinischen Republik, und im Sommer der Stapelplatz der Mautaufseher, die den Tucunjado-Paß niederkommenden Karawanen zu überwachen; im Winter aber, wo fast jede Verbindung mit Chile, unbedingt jede mit Packtieren, abgeschnitten ist, wird die Bewachung teils sehr lässig betrieben, teils ganz aufgegeben, und eine kleine Wirtschaft mit einigen Bergbewohnern und einem Dutzend starker, kräftiger Guanakohunde ist das einzige, was zurückbleibt, bis der Schnee der Gebirge taut, seine Massen in Sturzfluten durch das Tal gesandt und die Pfade wieder freigegeben hat. Jetzt hausten dort nur ein paar alte Guanakojäger, und den hoch eingefriedigten Weideplatz, mit dem üppigsten Gras und Futterklee bedeckt, kannten die müden Tiere gut genug, um ihm schon von weitem entgegenzuwiehern.

Ehe man sich aber in Sicht dieses Platzes wagte, wurde ein kurzer Kriegsrat gehalten, und zwar einstimmig dahin beschlossen, vorerst einen der Peons zum Rekognoszieren vorauszuschicken und zu sehen, ob die Spione und Henkersknechte des Diktators selbst bis hierher gedrungen wären. War das der Fall, so mußten sie, wo sie sich eben befanden, die Nacht abwarten, nach einbrechender Dunkelheit am rechten Ufer des Bergstromes, soweit es die steilen Wände erlaubten, hinaufhalten und den Fluß dann furtend den schmalen Pfad zu erreichen suchen, der an dem linken Ufer bis fast zu dessen Quellen auflief.

Der älteste der Peons, ein durchtriebener Bursche mit wilden, verlebten Zügen, aber einem Paar schlau und listig unter buschigen Brauen vorblitzenden Augen, wurde dazu gewählt und kehrte auch schon nach zwei Stunden mit der Nachricht zurück, daß allerdings elf Mann in dem Hause lägen und eben erst von einem kurzen Streifzug den Tucunjado hinauf zurückgekehrt wären, nachdem sie sich überzeugt hätten, daß die Flüchtigen noch nicht auf diesem Wege entkommen seien. Am nächsten Morgen würden sie aber unfehlbar das ganze Binnental absuchen und deshalb gar keine Wahl lassen, was man etwa tun sollte. Die einzige Möglichkeit, noch zu entkommen, sei, während der Nacht die Station zu umgehen und dann so rasch vorwärts zu rücken, wie es die Kräfte der Passagiere nur irgend erlaubten. An der Schneegrenze angekommen, wollten sie dann die Maultiere absatteln und laufen lassen – den Rückweg suchten die klugen Tiere leicht allein, und hatten sie erst einmal den teilenden Gebirgsrücken erreicht, so waren sie sicher, denn Rosas durfte nicht wagen, die chilenische Grenze zu überschreiten.

Das Umgehen der Farm gelang, von einer ziemlich dunklen Nacht begünstigt, vortrefflich. Noch lange vor Tagesanbruch hatten sie den schmalen Bergpfad erreicht, der sich am linken Ufer des jetzt niedern Stromes, oft kaum zwei Fuß Bahn neben einem Abgrund lassend, hinaufzog; hier aber mußten sie halten, bis das Tageslicht ihnen weiterhelfe, denn es wäre mehr als Tollkühnheit gewesen, solchen Weg in dunkler Nacht zu verfolgen. Mit dem ersten Dämmerlicht brachen sie wieder auf, und selbst Señora Ellington, wenn auch nie im Leben an solche Strapazen gewöhnt, fühlte sich durch die kurze Rast wie neu gestärkt; kein Wort der Klage kam wenigstens über ihre Lippen.

Den schwierigsten Teil des Überganges hatten sie aber noch vor sich, jedenfalls den beschwerlichsten, und als erst ihre wirkliche Wanderung über den Schnee begann, drohten die Kräfte der jungen Frau sowohl wie die des alten Herrn den ungewohnten und gewaltigen Anstrengungen zu erliegen. Als sie am Abend, schon nach Dunkelwerden, die Punta del Vaca, eine kleine schmutzige Steinhütte, erreichten, mit einem Loch zur Tür und nichts als den kalten, gefrorenen Boden der Hütte selber zum Bett, wäre es der schwachen, zarten Frau nicht möglich gewesen, auch nur noch einen Schritt weiterzusetzen, und doch wußten sie alle, daß vielleicht an der Verzögerung einer Viertelstunde schon der Tod hing.

Es mochte zehn Uhr abends sein. Der Himmel war klar und sternenhell, und in der Hütte hatten sich die müden Wanderer, ohne selbst imstande zu sein, ein Feuer anzuzünden, in ihre Decken gehüllt und dicht nebeneinandergeschmiegt, der Nacht vielleicht eine Stunde Schlaf und Ruhe abzustehlen. Nur der jüngere Peon stand, wohl dreihundert Schritt zurück, von woher sie gekommen, auf Posten, um hier an einer schmalen Stelle der Straße, an der kein Feind, noch dazu über den hellen Schnee, an ihn heranschleichen konnte, den Paß zu bewachen und bei dem geringsten Zeichen von Gefahr die kleine Schar zu alarmieren. Von der Hütte her kamen jetzt Schritte, und wenige Minuten später stand der ältere Felipe an seiner Seite.

»Was sagst du zu unserem Unternehmen, Compañero?« frug er endlich leise den Kameraden, als er ein paar Minuten an dessen Seite gestanden und in die Nacht hinausgelauscht hatte.

»Daß ich es herzlich satt habe, mich auf einer Seite mit einer papiernen Señorita herumzuquälen«, brummte der Gefragte mürrisch, »die wir morgen wahrscheinlich noch das Vergnügen haben werden, durch den Schnee zu schleppen, denn gehen kann die Puppe doch nicht mehr, und ich andererseits meinen Hals in Gefahr weiß, sobald uns die Mashorqueros des Gouverneurs überholen. Pest und Gift, die Burschen verstehen keinen Spaß, und ich könnte mir eher Erbarmen von einer wilden Schar der Pampas-Indianer erbitten als von einem von Rosas' roten Ponchos. – Ich wollte, wir hätten uns mit der ganzen Sache nicht eingelassen.«

»Weißt du, Compañero«, sagte der Alte, seinen Arm traulich auf dessen Schulter legend und vorsichtig dabei zurückschauend, ob keiner ihrer Passagiere munter und in der Nähe wäre, »mir selber gefällt die Geschichte auch nicht mehr, und – für die lumpigen zehn Unzen wären wir eigentlich rechte Toren, wenn wir – wenn wir eben –«

»Wenn wir was?« frug der Jüngere gespannt und drehte sich halb nach seinem älteren Gefährten um.

»Ei zum Teufel, wenn wir uns eben noch unnützerweise abquälten!« setzte dieser rasch und wild hinzu. »Es sind doch nur Unitarios und dürfen nie nach der Republik zurückkommen. Überdies sieht mir der Himmel da drüben im Südwesten ebenfalls nicht so richtig aus. – Kriegen wir hier einen Temporale, so sind wir geliefert, und – ich meinesteils bin fest entschlossen, diesen Augenblick meinen Rückweg anzutreten – gehst du mit?«

»Du hast mir die Gedanken aus der Seele gelesen«, lachte der Jüngere, »mag der Inglese sehen, wie er über die Berge kommt – wir lassen ihm überdies unser Charque in der Hütte zurück, und sie dürfen sich nicht beklagen, daß sie nichts zu essen hätten. Aber komm, die Zeit vergeht, und es ist bitter kalt hier oben; wenn wir uns tüchtig in Trab setzen, können wir die Estancia noch bei guter Zeit morgen früh erreichen.«

»War mir's doch, als ob ich da vorn ein Geräusch wie von knirschendem Schnee hörte«, sagte der Alte da plötzlich und schützte seine Augen mit dem Arme gegen den blendenden Schein der weißen Decke, »da wieder.«

»Mir kam es auch erst so vor«, sagte der Jüngere, seinen Poncho um sich herziehend und dann niederkniend, um das eine Schaffell, das er sich der Kälte wegen um seine Füße gewickelt, etwas fester zu binden, »aber es wird der Puma sein, der vor etwa einer halben Stunde quer vor mir über den Schnee sprang und hinunter nach dem Wasser zu hielt. Rosas müßte einen tüchtigen Preis auf das Einbringen unserer Gesellschaft gesetzt haben, wenn er die Gauchos bis hier in den Schnee hinter ihnen her treiben könnte. – So«, rief er dann, indem er, seine Fußbekleidung in Ordnung gebracht, wieder in die Höhe sprang und den Hut in die Stirn drückte, »jetzt bin ich fertig, und nun können wir doch sagen, daß wir unsern Weg bis hierher ganz anständig bezahlt bekommen haben.«

Felipe antwortete nichts, horchte nur noch einmal zurück, wo sie die, die ihrer Treue viel zu gutmütig vertraut hatten, ohne Ahnung zurückließen, daß die Führer und Wachen sie verräterischerweise im Stich ließen, und schritt dann dem Gefährten rüstig voraus durch den tiefen Schnee, um sobald als möglich die von diesem freie Passage wieder zu erreichen und von da ab rasch dem wärmeren Tal zueilen zu können.

»He, Felipe, rief's da nicht hinter uns?« sagte, stehenbleibend, plötzlich der junge Bursche.

»Was kümmert's dich?« brummte aber, die Schritte eher noch dadurch beschleunigend, der ältere Gefährte; »laß sie schreien, aber mach, daß du aus Schußweite -«

Seine Rede wurde hier auf etwas rauhe Art unterbrochen, denn neben ihm, wie aus dem Schnee heraus, sprang eine Gestalt, flog ihm nach der Kehle und hatte ihn auch im nächsten Moment, ehe er nur daran denken konnte, nach seinem Messer zu greifen, zu Boden geworfen, wo er wie in einen Schraubstock eingeklemmt und regungslos lag. Asistencia! wollte er rufen, aber schon bei dem ersten Laut blitzte ein blanker Stahl vor seinen Augen, und der Ruf erstarb ihm auf den Lippen. – Sein Angreifer sprach kein Wort – lautlos, doch mit riesiger Kraft hielt er ihn zu Boden. Wenige Minuten später hörte Felipe, daß sich jemand näherte, gleich darauf fühlte er sich selber von noch anderen gefaßt und aufgehoben, und als sie den nächsten Felsenvorsprung erreicht und hinter sich hatten, fand er sich plötzlich zu seinem Erstaunen ganz frei neben seinem jüngeren Gefährten stehend, der auf gleiche Weise überwältigt worden sein mußte, und nur sein erster Angreifer sagte mit leiser, aber nichtsdestoweniger drohend genug klingender Stimme:

»Du bist alt genug, zu wissen, Compañero, daß wir keinen Spaß verstehen – verhalte dich ruhig und sag uns, was du weißt, und du hast für dich selber nichts zu fürchten; mache dagegen einen einzigen Versuch, zu fliehen oder uns zu verraten, und du bist ein Kind des Todes.«

Der alte Peon, der seine Arme kaum frei fühlte, griff fast unwillkürlich nach seinem Gürtel zurück, das Messer zu fühlen. Der Fremde, der die Bewegung bemerkte, sagte jedoch mit kaltem, fast höhnischem Lächeln:

»Es ist in guten Händen – könnte dir selber aber auch jetzt nur Schaden tun. Wir wissen überhaupt alles, und ihr beiden mögt es unserer guten Laune, euch hier in der Falle zu wissen, zuschreiben, daß unsere Messer nicht schon lange, und statt aller weiteren Umstände, mit euren Kehlen Bekanntschaft gemacht haben.«

»Und weshalb?« frug jetzt der Alte, der seine Geistesgegenwart rasch wiedergewonnen und nun aus ihrer Lage so viel Vorteil als möglich zu ziehen suchte, »etwa weil wir euch heut abend in unserer Nähe spürten und uns nach kurzer Beratschlagung aufmachten, euch unsere Hülfe und Arme anzubieten? – Ich dachte allerdings nicht, daß ihr so zahlreich wäret«, setzte er dann langsamer hinzu, indem sein Blick rasch die ihn umgebende Schar, vierzehn oder fünfzehn drohende Gestalten, überflog, »aber wenn ihr uns nicht braucht, ist damit nicht gesagt, daß wir den Tod verdient hätten.«

»Der Teufel traue dir nur, Compañero«, lachte der Anführer der Mashorqueros, »doch ich will sehen, inwieweit du wenigstens jetzt aufrichtig bist; so beantworte vor allen Dingen meine Fragen kurz und treu, wir haben weder Zeit noch Lust, Ausweichungen oder Unbestimmtes zu hören – also: Haben die Flüchtlinge Feuergewehr und sind sie gut bewaffnet?«

»So ziemlich«, erwiderte Felipe, der nicht den mindesten Grund sah, irgend etwas geheimzuhalten, dem gefährlichen Burschen die Sache aber auch nicht wollte zu schwierig erscheinen lassen, um ihn bei guter Laune zu erhalten, »ihre Waffen sind wohl gut, aber ich glaube kaum, daß irgendeiner von ihnen, den jungen Engländer ausgenommen, ordentlich verstehen wird, damit umzugehen. Don José, weiß ich gewiß, kann kaum seine Pistolen wieder laden, wenn er sie erst einmal abgeschossen.«

»Wo haben sie ihre Gewehre?« fragte der Gaucho zurück.

»Neben sich auf der Erde liegen«, sagte Felipe.

»Und ist es nicht möglich, die unschädlich zu machen?«

»Unschädlich?« brummte der Peon, »der junge Cringo schläft mit einem Auge offen, und seine Pistolen hat er gespannt in der Hand – ich bin fest überzeugt, er selber hält jetzt schon, sollten sie uns vermißt haben, Wache, und kein Fuchs könnte sich ungesehen hin zur Hütte schleichen.«

»Gut«, sagte der Henker nach kurzer Pause und Überlegung, »ich will euch beiden Gelegenheit geben zu beweisen, daß ihr mir, als wir euch überraschten, die Wahrheit gesagt habt und es redlich mit uns und der Federacion meint. Einer von euch, und dazu wird der Älteste am besten passen – kehrt augenblicklich, als ob nicht das geringste vorgefallen wäre, in die Hütte zurück – eine Ausrede habt ihr bald. – Ihr glaubtet, irgendwo etwas gehört zu haben, und waret rekognoszieren gegangen. – Du legst dich zum Schlafen nieder, als ob alles sicher sei, und bemächtigst dich, wenn die Fremden wieder schlafen, der Gewehre und des Pulvers. Ist es möglich, so wird es am besten sein, dem Engländer vor allen Dingen den Schädel einzuschlagen – es wäre für dich dann auch die Gefahr beim Entfliehen mit den Waffen nicht halb so groß, und nachher haben wir leichte Arbeit.«

»Und das würde lohnen?« frug der alte Peon lauernd.

»Ah, du verlangst auch noch Lohn, außer dem Geschenk deiner eigenen Kehle!« lachte der Henker. »Du bist unverschämt, alter Bursche; aber es sei. – Machst du die Burschen unschädlich, so sollt ihr beide euren Anteil von dem, was wir bei ihnen als Beute finden, haben, aber jetzt auch rasch, denn der dämmernde Morgen muß uns, nach vollbrachtem Geschäft, auf dem Heimweg sehen.«

»Gut«, sagte der alte Peon, mit der Hand nachdenkend sein Kinn streichend, »dann darf ich aber nicht gehen, sondern Pedro da, mein Compañero, muß zur Hütte zurückkehren. Ich war gerade ausgerückt, um ihn von seiner Wache abzulösen, und käme ich statt seiner wieder, so schöpften die Fremden augenblicklich Verdacht.«

»So laß uns beide gehen«, meinte Pedro rasch, »unter irgendeiner Ausrede –«

»Danke, danke«, unterbrach ihn aber der Henker lachend, »einen von euch wollen wir doch lieber als Geisel zurückbehalten – nicht etwa, daß ich glaubte, der andere würde sich viel daraus machen, ihn im Stiche zu lassen, aber er wäre verloren, wenn er uns verriete, und wir rückten dann mit seinem Kameraden an der Spitze vor – überdies möchte ich den Feind nicht unnützerweise mehr verstärken, als unumgänglich nötig ist. So, meinetwegen magst du gehen, Amigo, du bist auch wohl rascher und gewandter als der Alte da, und find ich dich noch zwei Minuten später hier, den zottigen Schädel kratzend, so schneide ich dir Nase und Ohren ab und schicke dich zur Abkühlung in den Tucunjado hinunter – marsch fort – eine halbe Minute ist schon vorbei.«

Der arme Teufel von Peon zweifelte nicht im mindesten, daß der Mashorquero Ernst machen würde, denn schlimmere Taten hatten diese entsetzlichen Menschen oft nur zum Spaß und aus reinem Mutwillen verübt; – würden sie deshalb hier gezaudert haben, wo es wirklich der Ausführung eines wichtigen Planes galt? Pedro kannte auch seine Leute, und nur noch mit wenigen Worten dem Führer Vorsicht empfehlend, nicht eher loszubrechen, bis er selber entweder zurück sei oder ein Schuß in der Punta del Vaca ihnen sage, er sei genötigt gewesen, auf diese Art sich Luft zu verschaffen, glitt er, sein Messer, das man ihm zurückgab, wieder in den Gürtel schiebend, um die nächste Felsecke und war bald in dem Dämmerlicht, das wie ein dünner Nebel auf dem glitzernden Schnee lag, verschwunden.

II

Während sich die beiden Peons heimlich entfernten und von einem wachsameren Posten überrascht wurden, hatte Charles Ellington schon mehrmals lauschend den Kopf erhoben, um das Zurückkehren der abgelösten Wache zu erwarten. Lange schon wäre er aufgestanden, aber die Kälte war scharf, und er scheute sich, die neben ihm Schlafenden, doch jedenfalls nutzlos zu stören. Endlich aber, da der eine Peon noch immer nicht wiederkehrte, kroch er leise unter der Decke vor, und den Rock fester zuknöpfend, um den kalten Zug abzuhalten, der durch die niedere Öffnung ihm entgegenschlug, stand er eine Zeitlang lauschend und horchte hinaus in die Stille der Nacht, die durch keinen Laut irgendeines lebenden Wesens unterbrochen wurde. Nur der Bergbach tief unten rauschte und murmelte dumpf herauf, und da drüben, wo sich der Felsenhang steil in das Tal hinunterwarf und den Strom gegen die andere Wand hinüberzwang – das war wohl ein Fuchs gewesen, der hier, in seinem Abendmarsch gestört, die Fremden witterte und gegen den Wind und die verdächtige Nachbarschaft anbellte.

»Felipe!« rief er jetzt, erst mit vorsichtig gedämpfter, dann mit etwas lauterer Stimme. »Felipe!« – Niemand antwortete, nichts ließ sich hören noch sehen, und wenn er auch für einen Augenblick glaubte, der Laut einer Menschenstimme dränge zu ihm herüber, so war das doch so rasch wieder verhallt, daß er sich auch ebensogut geirrt haben konnte. Die furchtbare Wahrheit tauchte jetzt, erst in flüchtigem Verdacht, der ihm schon das Blut in den Adern gerinnen machte, dann in entsetzlicher Gewißheit in ihm auf: – ihr Führerpaar war entflohen, und ihre kleine Schar dadurch nicht allein um ein Bedeutendes geschwächt, sondern die Gefahr, gerade von den früheren Führern verraten zu werden, so dringend geworden, daß jeder Augenblick, den sie an der argentinischen Seite der Gebirge verträumten, ihr Verderben rettungslos auf sie niederführen konnte.

Hier galt entschlossenes Handeln – den Weg über die Gebirge getraute er sich schon, wenn es sein mußte, allein zu finden, denn von hier aus lag das anscheinend schmale Tal des Tucunjado lang ausgedehnt vor ihnen, ein Abweichen zur Rechten oder Linken nicht einmal gestattend, und nur beim Niedersteigen waren sie größerer Gefahr ausgesetzt, in mit Schnee gefüllte Abgründe zu stürzen; keineswegs war die aber dringender als das Bewußtsein gewissen Todes, wenn sie den Henkersknechten des Diktators in die Hände fielen, und es blieb deshalb keine Wahl.

Rasch weckte er Don José, dem er seine Befürchtungen in wenigen Worten mitteilte, und als dieser ebenfalls ihm bei- und zu augenblicklicher Flucht stimmte, hob sich auch die arme junge Frau von ihrem traurigen Lager, ihren Gatten über dessen Befürchtungen, sie selber betreffend, zu beruhigen, indem sie sich durch die wenigen Stunden Rast wie neu gestärkt fühle und die Männer wenig in ihrem Fortschreiten behindern werde. Wenige Minuten später fanden sie alle zum neuen Marsch durch eine Schneewüste, nur mit dem ungewissen Licht des Schnees selber gerüstet, als Ellington, der, immer aufmerksamer geworden, nach der Talschlucht hinüberlauschte, plötzlich ausrief, er sähe einen der Peons kommen.

»Gott sei Dank!« flüsterte mit gefalteten Händen die junge Frau, »also waren es doch keine Verräter und unsere Befürchtungen grundlos.«

»Das gebe die heilige Jungfrau!« murmelte Don José, indem er die sich rasch nähernde Gestalt vorsichtig und mißtrauisch beobachtete und fast unwillkürlich nach den schon wieder im Gürtel geborgenen Pistolen griff, »ich wollte, ich wüßte genau, wo der andere Schuft steckt.«

»Am Ende haben wir ihnen doch unrecht getan«, flüsterte Ellington, »und können nun wenigstens Tageslicht abwarten, um unsern Weg fortzusetzen. Wozu die arme Candelaria mehr erschöpfen, als eben unumgänglich nötig ist.«

»Erst wollen wir aber wissen, was der Bursche zu seiner Entschuldigung zu sagen hat«, beharrte Don José, der seine Landsleute besser kennen mochte als der Engländer, »jedenfalls müssen sie, selbst im günstigsten Fall ihrer Rechtfertigung, irgend etwas Verdächtiges gesehen oder gehört haben, sonst wären sie schon gar nicht so weit von hier fortgegangen – aber ruhig – es ist Pedro – der Alte scheint also doch seinen Posten zu halten.«

Der jüngere der Peons kam indessen rasch näher, und seine Füße draußen an der Tür gegen die Steine klopfend, daß er den Schnee aus den Falten des um die Knöchel geschlagenen Schaffelles abschüttle, betrat er mit dem frommen, aber vollkommen leise und kaum hörbar gemurmelten Gruß »Ave Maria Purísima« die Hütte.

»Para siempre!« erwiderte halb unbewußt mit lauter Stimme und recht aus tiefstem, innerstem Herzen heraus die Frau, und der Peon, der in dem vollkommen dunkeln Raum, bei dem schwachen Schein, der dürftig durch die niedere Eingangspforte fiel, seine Umgebung nicht gleich erkennen konnte, sagte mit kaum unterdrücktem Ausruf der Überraschung, aber bald gefaßt:

»Pero, amigos – was ist das? – die Señorita – ei wahrhaftig, alle zusammen auf und munter – es ist noch lange nicht Morgen. Aber ich glaub es wohl, daß Ihnen die Zeit hier in dem kalten Loch lang geworden – wir können noch fünf oder sechs Stunden schlafen.«

»Und wo bist du gewesen, Amigo?« frug Don José den Führer, der noch immer, halb unschlüssig, was er selber tun sollte, ob sich zum Schein niederlegen oder offen entfliehen und dadurch den vollen Alarm geben, in der Tür stehenblieb, »wo ist dein Compañero, und weshalb habt ihr beide euern Posten verlassen?«

Der Peon lachte.

»Es war ein Puma da drüben«, sagte er endlich nach einer kleinen Pause, »und wir konnten das Tier im Schnee hören und auch manchmal den dunkeln Schatten seiner Gestalt sehen. Um ganz sicher vor Überraschung zu sein, umschlichen wir die Stelle, wo wir ihn vermuteten, aber er entfloh in langen Sätzen, und erst nachdem wir dort eine Zeitlang gelauscht und gewartet, ob sich nichts Verdächtiges weiter regen würde, kehrte ich zurück – aber der Puma ist noch draußen«, setzte er dann plötzlich, von einem neuen Gedanken durchzuckt, hinzu, »und Felipe schickte mich hier herein, eins der Gewehre zu holen – die Haut des Tieres gäbe ein herrliches Lager für die Señorita.«

»Ich will selber mit dir gehen«, sagte Ellington rasch, aber Don José ergriff seinen Arm:

»Das wäre doppelter Wahnsinn«, rief er in englischer Sprache, »drohte hier wirklich Verrat, so liefst du den Schuften selber in die Schlinge – selbst das aber angenommen, daß sie ehrlich sind, dürfen wir hier gar nicht schießen, denn der Schall würde unendliche Strecken in die Berge donnern und unseren Feinden, sollten uns diese wirklich nachfolgen, genaue Kunde von unserer Nähe geben. – Mir gefällt auch der Rat des Burschen nicht – der alte Peon ist viel zu schlau und vorsichtig, um sich selber zu verraten, und außerdem glaub ich nicht einmal, daß er ein Gewehr abfeuern könnte.«

Der junge Bursche hatte indessen dem Gespräch, von dem er keine Silbe verstand, unruhig und mißtrauisch gelauscht; – was berieten die Männer, und was taten indessen die vielleicht ungeduldig werdenden Mashorqueros, wenn er zu lange zögerte? Er erkannte jetzt recht gut, daß alle auf und zum Weitermarsch gerüstet waren, und was blieb da für ihn selbst das Sicherste?

»Aber wo ist Felipe?« wandte sich Don José jetzt plötzlich gegen ihn, »euer früherer Posten war gerade da drüben, und ich kann nichts mehr von ihm erkennen.«

»Er ist an der Spitze da vorn stehengeblieben«, erwiderte, auf diese Frage schon vorbereitet, der Peon; »erstlich hoffte er dort den Puma am ersten wiederzusehen, und dann kann man auch von dem Punkt aus den von unten heraufführenden Pfad besser überwachen.« '

»Gut, so leg dich wieder nieder«, sagte Ellington, »und schlaf noch ein paar Stunden; vor Tag aber wollen wir wieder aufbrechen, um womöglich noch die zweite CasuchaDie steinernen Hütten in den Kordilleren, zum Schutz der Wanderer erbaut. zu erreichen; der nächste Tag sieht uns dann auf chilenischem Gebiet und dort hoffentlich sicher vor den Henkersknechten des blutigen Tyrannen.«

»Bueno, amigo«, brummte als halbe Antwort der Peon. An der Wand der Hütte aber hintastend, um seinen früheren Lagerplatz wiederzufinden und dort das Weitere zu überlegen sowie abzuwarten, bis sich die jetzt mißtrauisch gemachten Flüchtlinge wieder beruhigt hätten, fühlte er plötzlich – und wie mit einem elektrischen Schlag fuhr es ihm durch die Glieder – die Gewehre der beiden Engländer, die Ellington dorthin gestellt hatte, um sie, falls sie wirklich angegriffen werden sollten, gleich zum Gebrauch bei der Hand zu haben. Eine rasche Bewegung der Hand überzeugte den Peon jedoch, daß die Pulverhörner nicht dabeihingen, und er kauerte sich dicht daneben auf den Boden nieder, den für ihn günstigsten Zeitpunkt abzuwarten.

Er sollte nicht lange zu warten brauchen. Wenn auch Ellington im Anfang beabsichtigt haben mochte zu wachen und ein paarmal zu dem niedern Eingang schritt und hinauslauschte, war die Luft doch zu bitter kalt, sich ihr unnötigerweise zu lange auszusetzen. In seinen Poncho deshalb fest eingehüllt, streckte sich der Verfolgte endlich tief aufseufzend dicht neben die Gattin nieder, der er schon vorher das Lager wieder bereitet.

Der Peon war indessen nicht müßig gewesen; vorsichtig neben sich herumfühlend, nahm er das eine Gewehr zu sich nieder aufs Knie und fing an, es zu untersuchen. Hierbei aber war für ihn ein Übelstand – er hatte wohl schon häufig schießen sehen, aber noch nie selber geschossen; nur so viel wußte er, daß der Hahn gespannt werden mußte. Die Waffe, die er in der Hand hielt, war ein Doppelrohr, die andere eine einfache Büchse, aber weder Pulver noch Blei dazu; was half ihm da das Gewehr? Da durchblitzte ihn ein teuflischer Gedanke – wenn er das einfache Rohr in die Ecke abfeuerte, wo die Flüchtigen dicht aneinandergeschmiegt lagen, und dann mit dem noch geladenen Doppelgewehr entfloh, brachte ihn die Verwirrung des ersten Entsetzens jedenfalls außer Schußweite, und nicht allein einer oder mehrere der Fremden würden verwundet, sondern die Mashorqueros waren dann auch imstande, mit dem andern Gewehr sie am Weitermarsch zu verhindern oder doch so lange aufzuhalten, bis sie die wenigen Provisionen aufgezehrt hatten und dann rettungslos ihnen zur Beute fielen.

Der Bursche, schlau und gewandt, zögerte nicht lange mit der Ausführung; überdies sollte der Schuß ja als Zeichen den übrigen gelten, und preßten diese scharf heran, so war es sogar möglich, daß sie sich ihrer Beute ohne weiteres bemächtigten. Ellingtons Leichtsinn, die Gewehre solcher Art außer dem Bereich des eigenen Arms zu lassen, wäre den armen Verratenen bald verderblich geworden – Pedro kannte nur den Mechanismus des Gewehres nicht genau genug, um den Hahn geräuschlos zu spannen, und als er das Doppelrohr wieder neben sich an die Wand gelehnt und die Büchse ergriffen hatte, um den Hahn leise aufzuziehen, knackte dieser, als er in die erste Ruhe trat.

Don José hatte gar nicht geschlafen, und schon seit der Peon die Hütte wieder betreten, lehnte er, halb sitzend und nur in seinen warmen Poncho gehüllt, an der Mauer der Hütte, dem geringsten Laut horchend, der zu ihm herüberdringen möchte. Er wußte sich selber nicht ordentlich Rechenschaft zu geben, aber er war mißtrauisch geworden und erwartete mit Sehnsucht den anbrechenden Morgen. Nur die Augen schloß er endlich und überdachte halb wachend, halb träumend die Möglichkeit des Gelingens – die Gefahren ihres Marsches – als ihn das Knacken des Hahns zuerst aus seiner Ruhe wieder emporschreckte. Den Blick rasch nach dort richtend, von woher das so unvermutete Geräusch gekommen, sah er jetzt deutlich bei dem schwachen, von draußen hereindämmernden Schneelicht, wie sich der blanke Lauf eines Gewehres – er konnte nur nicht recht genau erkennen, nach welcher Richtung – niedersenkte. Dann war alles totenstill.

Aber auch Ellington war durch den nur zu gut gekannten Laut aufgestört; auch er sah, gerade als er die Augen aufschlug, die Bewegung des Laufs, und dem im Lager überraschten Wilde gleich, fuhren die beiden Männer empor, um der neuen, noch kaum bewußten Gefahr zu begegnen.

Vergebens riß indessen der Bandit an dem Drücker der Büchse, um sich selber durch den Schuß zu retten; er hatte keine Ahnung, daß der Hahn zweimal aufklinken mußte, ehe er feuern konnte; so war er nur »in Ruh gesetzt«, und das Schloß verweigerte den Dienst. Die doch nutzlose Waffe von sich schleudernd, ergriff er das Doppelrohr, um die Tür noch vor seinen Angreifern zu erreichen; hier aber verrannte ihm Ellington den Weg, und noch während er sein Messer aus der Scheide riß, sich die Bahn zu stoßen, brach er mit einem leisen Stöhnen, zugleich von Ellingtons Faust und Don Josés scharfem Stahl getroffen, der ihm die eigene Waffe in den Rücken trieb, eine Leiche, zu Boden.

Die kleine Hütte war im Augenblick ein Bild der Verwirrung, und das Verderben der Unglücklichen wäre besiegelt gewesen, hätten die Henker nicht auf das Zeichen des ausgesandten Spions gewartet. Aber die Furcht vor Feuerwaffen, die der Gaucho nicht leicht überwindet, besonders wenn er sie in den Händen von Europäern weiß, hielt sie zurück, und so gern sie das Blutgeld ihres Herrn verdienen mochten, so wenig dachten sie daran, ihre eigene Haut unnötig dabei zu Markte zu tragen.

Ellington und Don José aber waren in dem Augenblicke so bestürzt und erschreckt, daß der Spanier schon in der Tat das Messer zum zweitenmal gezückt hatte, den eigenen Schwager, den er ebenfalls für einen der Angreifer hielt, niederzustoßen, als ein zufälliger Ausruf desselben noch sein Leben rettete.

Ellington besetzte jetzt vor allen Dingen die Tür, und während Don José die Leiche aus dem Weg und in die eine Ecke zog, eilte auch der alte Herr herbei, um den Platz, der, wie er natürlich glauben mußte, schon vom Feind angegriffen wurde, verteidigen zu helfen.

III

Der Führer der Mashorqueros stampfte indessen den Schnee in toller Ungeduld.

»Carajo!« rief er, dem alten Peon dabei einen grimmigen Seitenblick zuschleudernd, »ich glaube wahrhaftig, der Schuft von Vaqueano hat uns betrogen und die vermaledeiten Cringos gewarnt, anstatt ihre Waffen in unsere Hände zu liefern – Gift und Messer, wenn ich das gewiß wüßte.«

Die Anrede war halb an den Alten gerichtet, und dieser, der sich unter dem boshaften, tückischen Blick des Henkers nicht gerade wohlfühlte, erwiderte ruhig:

»Pedro wird sich hüten und uns verraten, er weiß gut genug, daß uns die Burschen nicht entgehen können; aber es ist auch möglich, er hat die Sache dumm angefangen – und dann freilich wär's böse.«

»Böse für dich, Compañero«, knurrte der andere, »wenn uns die Schufte entgehen, so freu dich, denn ein Kopf ist mir sicher, und wenn er auch keine zwölf Unzen trägt, ist er doch des Mitnehmens wert.«

»Paciencia, amigo«, sagte der Alte trocken und mit unzerstörbarem Gleichmut, »wenn der Tag dämmert, werden wir's sehen.«

»Und glaubst du, daß ich helles Tageslicht abwarten soll, mich von den Schuften nachher wie einen Hund totschießen zu lassen, wenn ich mich nur in Kugelnähe auf dem Schnee blicken lasse?« tobte der Henker. »Jetzt, augenblicklich müssen wir den Angriff wagen, oder sie ziehen morgen früh aus und ab vor unseren Augen, ohne daß wir es hindern können. Die Punta del Vaca ist außerdem noch die einzige Hütte, an die ein Anschleichen möglich wäre, wenn ich überhaupt Lust hätte, mich weiter in die Schneeregion hineinzuwagen.«

»Aber, Amigo«, sagte der Alte, »du wirst dir selber -«

»Fuego!« unterbrach ihn, ingrimmig den Boden stampfend, der Henker, »du wirst reden, wenn ich dich frage, und nun voran! Wohl verstanden, du bleibst dicht an meiner Seite – es könnte sein, daß ich dich brauchte.«

Der Henker wandte sich von ihm ab, der alte Peon aber murmelte leise vor sich hin:

»Glaub's wohl, um irgendwo zur Scheibe zu dienen, während die übrigen von der andern Seite anschleichen – aber Paciencia!« Und ruhig seinen Poncho etwas fester um sich ziehend, erwartete er den Entschluß des Anführers, dem er sich, wie er recht gut wußte, offen doch nicht widersetzen durfte.

Der Mashorquero rief jetzt seine Schar rasch zusammen, und mit der Gegend hier, ja mit jedem Stein und Felsenvorsprung seit langen Jahren vertraut, bedurfte es auch weiter keiner Beratung. Klar und deutlich wies er jedem den von ihm bestimmten Platz an, um im entscheidenden Moment hervorzubrechen, und zu diesem bestimmte er den Augenblick, wo die Flüchtigen die Hütte selber wieder verlassen würden, um ihren Weg fortzusetzen.

Die Casucha der Punta del Vaca besteht aus einer Doppelhütte von Steinen, und nur wenige Schritte von ihr entfernt läuft die Bank des Tucunjado in steilem Hang schräg nieder zu dem unten vorbeischäumenden Strom, den selbst der eisige Winter hier oben nicht unter der starren Decke fesseln konnte. Diesen Weg schlug er selber mit dem alten Peon und noch einem von den Seinen ein, bis sie sich dahin durch den Schnee arbeiteten, wo sie durch den Ausbau der Hütte selber geschützt waren und leicht bis dicht hinankommen konnten. Der Mashorquero hatte dabei außer zwei kleinen Terzerolen auch noch einen leichten Lasso, ohne den ein Gaucho selten auf einen Kriegszug ausgeht, an seinem Gürtel hängen, und den übrigen noch einmal einprägend, so nahe als möglich an die Hütte hinanzurücken, begann er selber seinen weniger gefährlichen als mühseligen Pfad zu verfolgen.

Dem alten Peon war indessen die ganze Jagd von Grund aus verleidet worden. Weiteren Mühseligkeiten und Gefahren zu entgehen, hatte er sich den Treubruch gegen die Fremden zuschulden kommen lassen, und jetzt mußte er in stockdunkler Nacht, zitternd vor Frost, dem nämlichen Ort durch den tiefen, eisigen Schnee wieder entgegenkriechen, eine Kugel sein Lohn, wenn er von dort gesehen wurde, während der Mashorquero hinter ihm wenig Umstände gemacht haben würde, ihn sein Messer fühlen zu lassen, so er sich nur im mindesten dessen Befehlen widersetzte. Er wäre auch mit dem größten Vergnügen zum zweitenmal desertiert, aber wie erst hier fortkommen? Und gelang ihm das wirklich, hatten die Fremden dann nicht volle Ursache, seinen guten Absichten jetzt nicht zu glauben und ihn als einen Feind zu behandeln? – Was war überhaupt aus seinem Kameraden geworden?

Nur unendlich langsam rückten sie indessen vorwärts, denn der Schnee gab oft nach unter ihren Füßen, und wenn auch der Abhang im ganzen nicht so steil war, daß er unpassierbar gewesen wäre, kamen doch hier und da einzelne Stellen, an denen es schroff und tief hinabging und die sie zur äußersten Vorsicht zwangen, der dünnen Schneeschicht nicht zu viel zu vertrauen. Endlich erreichten sie den Teil des Ufers, der von dem Eingang der Hütte aus nicht mehr gesehen werden konnte, und der Peon mußte dem Anführer der Bande jetzt genau beschreiben, in welcher der beiden Hütten die Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen, wieviel Gewehre und Pistolen sie bei sich hätten und von welchem Körperbau die beiden jüngeren Männer wären.

Felipe hatte bis jetzt gehofft, daß er selber zum Rekognoszieren ausgesandt werden würde, und schon allerlei Pläne darauf gebaut. Der Mashorquero schien ihm aber keineswegs zu trauen, und dem mitgenommenen jungen Burschen eins seiner Terzerole und die nötigen Befehle gebend, sandte er diesen nach dem Rücken der Hütte hinauf, um dort das Terzerol auf den ersten der Männer, der sich zeigen würde, aus seinem Versteck heraus abzufeuern und sich nachher auf seine Beine zu verlassen, um wieder zu entkommen.

Der Peon verlangte jetzt von seinem Begleiter wenigstens sein Messer zurück, um sich, im Fall es zu einem Handgemenge käme, verteidigen zu können; der Mashorquero verweigerte ihm dasselbe aber mit einem kräftigen Fluch und schwur, die einzige Art, wie er je wieder ein Messer von ihm bekommen solle, sei zwischen die Rippen oder in die Kehle.

Die Nacht war indessen mehr und mehr vorgerückt, und hinter ihnen stieg schon der Morgenstern über die schroffen Kuppen des mächtigen Gebirges. – Der Tag konnte nicht mehr fern sein, aber noch immer ließ sich nicht das mindeste Zeichen irgendeines lebenden Wesens von der Hütte heraus hören oder erkennen. Der Henker wurde ungeduldig. – So lagen sie wohl noch eine halbe Stunde, die Glieder fast zu Eis erstarrt, und über dem Schnee dämmerte indessen der junge Tag. Während die Schlucht unter ihnen noch in tiefem Dunkel lag, schoß über die schneeigen Kuppen, die schroff und starr in den sternbesäten Nachthimmel hinaufragten, ein lichter bläulicher Schein; die Hänge und Kanten gewannen Ausdruck in Form und Farbe, und es war fast, als ob weiße gigantische Körper aus dämmernden Nebelschleiern emporstiegen und höher wüchsen, indes das steigende Licht ihnen Kraft gab und ihre Glieder reckte.

»Ich halt's nicht mehr aus«, flüsterte der Peon endlich, der, von dem scharfen Südostwind abgekehrt, vergebens die letzte Stunde schon gesucht hatte, seine Glieder zu erwärmen, »mir ist das Blut in den Adern geronnen.«

»Daß ich's nicht flüssig mache!« drohte der Mashorquero, »aber, beim Teufel! mir wird die Zeit hier auch lang, und ich begreife nicht, was die Kanaillen so lange im Baue hält. – Dein Kamerad, der Schuft von Unitarier, hat jedenfalls geplaudert, und mir zuckt's ordentlich in den Armen, mein Messer da an ihm – und an dir zu versuchen. – Ruhe! was helfen mir deine Beteuerungen, mach dich fertig, wir wollen den Spuren unseres vorangegangenen Spions folgen und der Bande zu Leibe rücken, die übrigen werden jetzt auf ihren Posten sein. – Ich will, beim Teufel! nicht wochenlang im Sattel gehangen haben, um jetzt unverrichteter Sache wieder abzuziehen. Da, Compañero – krieche einmal zurück bis zu jenem kleinen Vorsprung – von da mußt du die Tür der Hütte in Sicht haben – und versuch, ob du nichts von dort erkennen kannst.«

Felipe ließ sich das nicht zweimal sagen – irgendein Grund, aus der Nähe des blutdürstigen Mashorquero zu kommen, schien ihm erwünscht, noch dazu, da es ihm zugleich Gelegenheit bot, seine Glieder wieder zu gebrauchen. Rasch deshalb in seiner eigenen Fährte zurückspringend, erreichte er bald den bezeichneten Platz und hob leise und vorsichtig den Kopf. – Ein einziger Blick verriet dem Peon den ganzen Stand der Dinge, und wie ihm die Gedanken das Hirn durchkreuzten, welchen Weg er jetzt, da ihm ein günstiger Zufall auf kurze Zeit freie Bahn gegeben, am besten verfolgen könne, hatte sich im Nu sein Plan gebildet.

Rasch überzeugte er sich nämlich, daß die Flüchtlinge die Gefahr kannten, in der sie sich befanden, und ihre Annäherung ruhig erwarteten. Er konnte die beiden Gestalten der jungen Männer erkennen, die mit ihren Gewehren in der Tür, aber noch weit genug im Innern standen, um von einem auswärts lauernden Feinde nicht gefährdet zu sein. Der abgesandte Mashorquero dagegen lehnte an der einen Ecke der Hütte wie der Tiger, der auf die Beute lauert, während die übrigen Feinde in kleinen Abteilungen, teilweise schon in Schußnähe, aber immer noch durch schneebedeckte Felsstücke den Feinden verborgen, im Hinterhalt lagen. Hätten sie Feuerwaffen gehabt, die kleine Besatzung wäre der ersten Salve erlegen.

Nahm er jetzt einen Anlauf, so konnte er sicher die Casucha erreichen, ehe die Mashorqueros imstande waren, ihn daran zu verhindern; aber wie dann, wenn ihn die Belagerten nicht hinanließen, vielleicht gar auf ihn feuerten? – »Pest und Tod!« murmelte er vor sich hin, »ich glaube, die Bestien schössen auf ihren eigenen Bruder.« – Im offenen Kampf mit ihnen war er der Gefahr aber noch weit mehr ausgesetzt, während seine Kehle juckte, wenn er nur an das Messer des blutdürstigen Mashorquero-Führers dachte. Er sah sich nach diesem um, und die ungeduldige drohende Gebärde desselben machte im Augenblick all seinen Zweifeln ein Ende. Noch einmal das Terrain überschauend und mit den Augen messend, blieb ihm ein Raum von zirka hundertundzwanzig Fuß Breite, um zwischen der nächsten Abteilung der Feinde zur Rechten und seinem jetzigen Tyrannen zur Linken durchzubrechen; die Entfernung bis zur Casucha betrug überdies kaum mehr als dreihundert Schritt, und wenn ihn auch der Schnee im raschen Laufen hinderte, rechnete er doch im Anfang auf die Überraschung der im Hinterhalt Liegenden und später auf den Schutz, den ihm die Gewehre der Europäer bieten mußten. So also sich rasch und entschlossen auf den Kamm der Bank schwingend, hinter der hervor er bis dahin rekognosziert hatte, floh er, hier von dem hartgefrorenen Schnee begünstigt, rasch über die Fläche hin. Wohl sah er, daß sich die Gewehre der Fremden, sowie er sich aus dem Schnee emporhob, gegen ihn wandten; aber nur ein flüchtiger Blick war es, den er dorthin warf, denn links von ihm sprang der Mashorquero, jetzt ebenfalls jeden Versteck verschmähend, auf die Bank und suchte augenscheinlich ihm den Weg abzuschneiden. Was half auch jetzt noch hinter dem Berg halten – ihr Hinterhalt war verraten, und der Mashorquero hätte in diesem Augenblick der Wut und Rache sicherlich gern die Europäer entfliehen lassen, wäre ihm nur dadurch die Wiederergreifung des verräterischen Peons gesichert gewesen.

In tollkühnem Grimm jede andere Gefahr dabei hintansetzend, lief er deshalb dem flüchtigen Alten nach; das Terrain schien ihn auch zu begünstigen, denn jener geriet in eine Schneewehe, durch die er sich nur weit langsamer Bahn brechen konnte. Ein Blick auf die Casucha überzeugte ihn aber auch, daß er sich fast schon in Schußnähe befand, und dem Flüchtigen jetzt auf etwa dreißig Schritt nahe gekommen, riß er das Terzerol aus dem Gürtel, um auf ihn zu schießen. Da sprangen von drüben herüber die anderen Gauchos vor, und diesen nicht in die Hände zu laufen, mußte der Peon noch näher nach dem Führer der Mashorqueros hinüberhalten. Dieser drückte die Waffe auf ihn ab, aber ohne Erfolg, und ingrimmig das Terzerol in den Schnee schleudernd, ergriff er den Lasso, den er lose in der linken Hand trug, und die Schlinge zweimal rasch um den Kopf schwingend, flog sie in furchtbarer Sicherheit über ihr Opfer.

Felipe wäre verloren gewesen, hätte ihn der Schnee, der ihn am raschen Laufen hinderte, nicht auch eben wieder vor der gefährlichen Lassoschlinge gerettet; denn kaum sah er die furchtbare Waffe, deren Sicherheit er nur zu gut aus eigener Erfahrung kannte, gegen sich gerichtet, als er auch blitzschnell in den hier weichen Schnee sank, und schon im nächsten Moment fühlte er, wie die drohende Schnur, durch den weichen Schnee emporgehalten, wie eine Schlange, aber harmlos, über ihn hinglitt. Die Gefahr war vorüber, und emporschnellend floh er der Hütte zu.

Ellington und Don José standen dort beide, die Gewehre im Anschlag, in der Tür, des sonderbaren Schauspiels Zeuge, und im Anfang in der Tat nicht sicher, ob das Ganze nicht eine schlau ausgesonnene Kriegslist sei, an sie heranzukommen. Das Abfeuern des Terzerols bestärkte sie darin fast noch mehr, denn an drei verschiedenen Stellen tauchten nach dem Schuß plötzlich dunkle, drohende Gestalten empor. Der Lassowurf schien aber wirklich ernst gemeint, und das bleiche, erregte Gesicht des Peons, der zu gleicher Zeit ängstliche Blicke nach dem entfernteren Teil ihrer eigenen Hütte warf, schien eher ihre Hülfe anzuflehen als Verrat zu sinnen. Was konnte der einzige Unbewaffnete ihnen auch schaden? – Ungehindert ließen sie ihn deshalb heran, als ein Schuß, dicht neben ihnen abgefeuert, ja fast wie aus der Hütte selber kommend, sie aufs neue erschreckte.

In der nächsten Minute war Felipe an ihrer Seite, ohne sich aber auf eine Entschuldigung oder Erklärung seines Betragens einzulassen, die, wie er recht gut wußte, einen irgend gegen ihn erhobenen Verdacht in diesem Augenblick nur vermehren mußte; er zeigte jedoch auf den sich jetzt wieder zurückziehenden Führer der Mashorqueros und rief, kaum imstande, von der furchtbaren Anstrengung Luft zu schöpfen:

»Dort – den – macht den unschädlich – es ist der Hauptmann der Henker – er kann euch – er kann euch nicht mehr entfliehen.«

»Wir dürfen die Hütte nicht verlassen!« rief warnend Don José, als er sah, daß Ellington unwillkürlich hinaussprang, um den gefährlichen Feind zu erreichen; aber seines Schwagers grenzenlose Wut gegen die Helfershelfer und Henkersknechte seines grimmigsten Feindes ließ denselben im tollen Übermut der Gefahr trotzen.

»Wir müssen Luft haben!« schrie er, indem er den Hahn der Büchse spannte und ins Freie sprang. »Pest und Blut über jene Schufte, und jetzt, da uns Gott sein Sonnenlicht gesandt, mögen sie's wagen, unseren Büchsen entgegenzutreten!«

Mit wenigen Sätzen den freien Plan vor der Hütte erreichend, von wo er das Tal überschauen konnte, sah er eben, kaum zwanzig Schritt von sich entfernt, die flüchtige Gestalt des jungen Spions. Hatte dieser doch gerade von der Hütte selber aus auf den Peon gefeuert, und jetzt floh er der Schlucht wieder zu. Fast unwillkürlich hob Ellington die Büchse, diesem den Todesboten nachzusenden; allein der Führer der Bande war edleres Wild. – Aber wo war der Mashorquero geblieben? Wie in den Boden gesunken, schien er verschwunden. – Ellington sprang noch einige Schritte vor, und nicht viel Zeit hatte er zu verlieren, denn die Helfershelfer eilten von zwei verschiedenen Seiten herzu – da hob sich die dunkle Gestalt wieder aus dem Schnee heraus – die Schlinge wirbelte um seinen Kopf, und während der Engländer überrascht im Anschlag blieb, fühlte er sich plötzlich von einer unwiderstehlichen Gewalt gefaßt und zu Boden gerissen. Das Triumphgeschrei des Henkers tönte in sein Ohr, und das blanke, haarscharfe Messer in der Faust, stürmte dieser heran. Ellington wäre verloren gewesen, hätte Felipe nicht, wie er den Mashorquero in den Schnee niederkauern sah und leicht die Absicht desselben erriet, den jungen Spanier vermocht, dem Freund zu Hülfe zu eilen. – Fiel Ellington, das wußte er jetzt recht gut, so war er selber verloren, und Don José, die Verteidigung der Hütte so lange dem alten Herrn überlassend, kam mit der Doppelflinte eben noch zeitig genug, um das rechte Rohr auf den heranstürmenden Henker abzufeuern und sich dann rasch gegen zwei der anderen Feinde zu wenden, die indessen den Eingang der Hütte zu erreichen suchten.

Hier aber empfing sie der Bleigruß des alten Briten, der trotz seiner vorgerückten Jahre die Tage in Moor und Heide noch lange nicht vergessen hatte und mit zwei wohlgezielten Schüssen auf kaum fünfzehn Schritt Entfernung beide Henker zu Boden streckte.

Es bedurfte keines weiteren Schusses – wie ein Volk zerstreuter Hühner stoben die übrigen der Verfolger, um der furchtbaren Wirkung der Feuerwaffen zu entgehen, nach allen Seiten auseinander. Ellington aber, der sich rasch wieder von der ersten Betäubung des Sturzes erholt und von dem Lasso befreit hatte, sah eben noch die Flucht der Feinde und den herbeieilenden Felipe, der, das in der Casucha gefundene Messer seines früheren Kameraden in der Hand, jetzt ebenfalls herbeieilte und dem Engländer winkte, der Fährte des angeschossenen Mashorqueros nachzugehen. Am steilen Rand der Uferbank war dieser im Schnee verschwunden, aber das strömende Blut verriet die Todeswunde des Unglücklichen, und als sie den Hang erreichten, von wo aus sie das ganze Tal übersehen konnten, taumelte der Henker seinem Grabe entgegen. Ellington hob noch einmal die Büchse, aber senkte sie wieder.

»Schießt!« schrie der Peon, und ein wildes, unheimliches Feuer blitzte aus seinen Augen.

Bei dem Klang des Wortes drehte sich der zum Tod getroffene Henker nach ihm um und tat, die Hand. krampfhaft auf die Wunde pressend, noch einen Schritt nach vorn – es war sein letzter – der Fuß glitt auf einem der Steine aus – er wollte sich halten, rechts von ihm wich der Schnee, eine steile Kluft hinab schmetterte er in die Tiefe, und in der nächsten Minute spielte die stürmische Flut des Tucunjado mit der Leiche des Henkers.

Felipe war jetzt schlau genug, die Gefahr, in der er geschwebt, um seinem neuen Herren treu zu dienen, gegen die Flüchtigen herauszuheben, und da ihm nun selber der Rückzug abgeschnitten worden, führte er die kleine Schar ihren mühseligen und auch gefährlichen Weg treulich durch den Schnee nach Chile hinüber. Wohl drohte ihnen noch ein grimmer Feind in aufsteigenden Wolken, die den Horizont umzogen und sich in dicken Schwaden über die Höhen legten, aber was ihren Pfad hier bedrohte, schützte sie auch auf der andern Seite wieder um so viel sicherer gegen jeden weitern Verfolger, von denen sich keiner in die Gebirge gewagt hätte, solange solche Wolkennebel einen jener entsetzlichen Schneestürme befürchten ließen.

Zwar mit Hunger und Kälte kämpfend, gewannen sie aber doch drei Tage nach den vorbeschriebenen Szenen die Schneegrenze Chiles – und Rosas' Arm reichte nicht so weit, sie hier mehr zu gefährden.


 << zurück