Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika! Zweiter Band
Friedrich Gerstäcker

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Capitel 5.

Die Passagiere.

Fünf Tage waren so vergangen; durch die schwere westliche Dünung die fast stets vor dem Canal steht, hatte das wackere Schiff, von kundiger Hand geführt, seine Bahn gefunden, und der atlantische Ocean schaukelte es auf seiner tiefblauen, weit wogenden Fluth. Auch die Passagiere thauten auf; ihre Körper gewöhnten sich an die schaukelnde, und bei dem guten Wetter doch mehr gleichmäßige Bewegung des Schiffs, und als am sechsten Tag der Wind schwächer und schwächer wurde, und die Wogen sich legten und beruhigten kamen sie vor aus ihren Coyen, bleich und hohläugig zwar wie Leichen aus ihren Gräbern, aber doch meist geheilt von der furchtbaren Qual. Sie lernten auch wieder essen und trinken, der Magen behielt; was ihm geboten wurde, und selbst der Frühstückstisch in der Cajüte belebte sich.

Fräulein Amalie von Seebald lehnte an der Railing des Quarterdecks – es war Morgens um zehn Uhr, und die meisten der übrigen Damen noch nicht sichtbar – und schaute, mit den weißen Fingern der linken Hand in ihren Locken spielend, träumerisch über das Meer hinaus. Der Untersteuermann hatte die Wacht und saß, ein Leesegel ausbessernd, auf einer niederen Bank kaum drei Schritte von ihr.

»Wie wundervoll ist doch die See«, sagte die Dame, ein Gespräch mit dem Seemann anknüpfend, dem ja das Meer Beruf geworden, und der es sich nicht gewählt haben würde, wenn nicht sein Herz an den blauen Wogen hing – »wie herrlich schatten sich jene dunklen Tinten gegen die leisen lichten Kräuselwellen ab, die von ihnen, wie zarte Kinder getragen, in dem Kuß des Zephyrs zu vergehen scheinen.«

Der Untersteuermann sah die Dame mit einem halbscheuen Seitenblick an; er hatte keinesfalls verstanden was sie sagte, auch keine Idee dabei daß sie ihn angeredet, und glaubte wahrscheinlich sie spreche mit sich selber, Fräulein Amalie aber fuhr langsam und schwärmerisch fort:

»Wie weich und duftig liegt des Aethers Halle auf dieser Fluth, und wölbt sich zum Dom über der unerforschten Tiefe – oh ist es nicht schön – nicht gottvoll auf der See, Steuermann?«

Elkig, wie der Untersteuermann hieß – also bei seinem Titel und direkt angesprochen, mußte wenigstens eine Antwort geben, drehte also den Kopf halb nach der Dame um, daß er einen Blick auf das Wasser bekam, spuckte seinen Tabackssaft über Bord und sagte, sich mit dem Rücken der linken Hand die Lippen wischend.

»Ach ja, s'ist recht hibsch.«

»Welchen kalten Ausdruck gebrauchen sie dafür,« verwies ihn aber die Dame – »wie läßt sich das Erhabene dieses Anblicks in solche Sylbe fassen, hübsch;; aber die Gewohnheit stumpft uns selbst gegen das Gewaltige ab, und ich habe mir erzählen lassen, daß z. B. am Niagara-Fall Menschen wohnen, die nicht einmal mehr das donnernde Brausen des Riesensturzes hören.«

»Werden wohl taub davon geworden sein« meinte Elkig in unzerstörbarer Ruhe, indem er sich zugleich einen neuen Drath einfädelte.

Fräulein Amalie hatte glücklicher Weise diese Bemerkung überhört, ihr Geist schweifte über der Tiefe, und ihre Gedanken nahmen einen anderen Flug.

»Wie die Möve dort mit dem Kreisschlag ihrer Flügel die flüchtige Woge streift, und dann fortzieht, weit und allein über die endlose Fläche – ihre Heimath – welche Aehnlichkeit hat doch das Bild mit dem Seemann selbst, der auch über die blauen Wogen seine Furchen zieht – seine Heimath das Meer.«

Der Untersteuermann nähte ruhig weiter; die Geschichte war ihm griechisch und er verstand keine Sylbe davon; übrigens war das keine direkte Frage gewesen, und er brauchte also auch nicht darauf zu antworten.

»Und wenn er nun die zurückläßt die ihm lieb sind« fuhr die Dame fort, ein trübes Bild jetzt vor sich heraufbeschwörend, »wenn sein Weib, seine Kinder daheim sein harren; mit ängstlich klopfenden, fast erstarrten Herzen dem grollenden Donner lauschen, der seinen Strahl hineinschmettern kann in das Schiff das den Geliebten trägt – oh schrecklich – schrecklich. – Sind Sie verheirathet?« fuhr sie dann nach kleiner Pause, während sie das Gesicht in den Händen geborgen hatte, wieder gegen den Seemann gewandt fort.

Dieser, der indeß mit dem Mann am Steuer, einem alten sonngebräunten Matrosen, ein paar nichts weniger als andächtige Blicke gewechselt hatte; sah sich wieder halb nach der Fragenden um, sich erst zu überzeugen daß er auch wirklich gemeint sei.

»Wer – ich?« frug er nach kleiner Pause.

»Ja – ich meine Sie.«

»Ne!« lautete die, von einem entsprechenden Kopfschütteln begleitete, sonst jedenfalls bündige Antwort, und wieder spuckte der Mann seinen Tabackssaft über Bord.

»Aber Sie haben doch gewiß eine Braut – eine Geliebte zurückgelassen von der Sie der Abschied geschmerzt und traurig gemacht?«

Der Untersteuermann horchte hoch auf, und der Mann am Steuer, dem die Dame den Rücken zudrehte, sah seinen Vorgesetzten mit solch trocken komischem Blicke an, daß dieser sich nicht mehr helfen konnte und gerade hinauslachte.

»Recht hätten Sie« sagte er aber dann, etwas verlegen – »einen Schatz soll ich woll haben.«

»Nicht wahr ich hab es errathen?« rief die Dame rasch, das Lachen gern in der Freude übersehend einem romantischen Verhältniß auf die Spur zu kommen – »und den mußten Sie verlassen?«

»Ja lieber Gott« sagte der Untersteuermann, dem nicht wohl bei dem Gespräche wurde, denn er konnte noch immer nicht herausbekommen ob die Dame wirklich ernsthaft sei, oder ihn nur zum Besten haben wolle – »das ist mit uns Seeleuten nun einmal nicht anders – wer kann's helfen.«

»Und sehnen Sie sich denn recht nach ihr zurück?«

Der Mann am Steuerrad sah mit einem unbeschreiblichen Blick gerade über sich in die Wolken, und kratzte sich mit der rechten freien Hand hinter dem Ohre.

»Ach ja« sagte der Untersteuermann mit einem unbeschreiblichen Blick, und einem noch viel unbeschreiblicheren Ausdruck in der Stimme.

»Und Sie Armer müssen jetzt nach New-Orleans?«

»Ach, da krieg ich woll wieder eine Andere« sagte in aller Unschuld der Seemann, ohne von seiner Arbeit aufzusehn; aber es war gut für ihn daß in diesem Augenblick der Capitain an Deck erschien und ihn nach vorn sandte, eine der Vorstengenpardunen nachzusehn, die durch das Segel »schamfiehlt« worden. Fräulein von Seebald blieb indeß wirklich stumm vor entrüstetem Erstaunen über die herzlose Bemerkung eine ganze Weile stehn, und zog sich dann mit ihrer schmerzlichen Enttäuschung in ihre innerste Cajüte zurück.

Das Leben an Bord des Schiffes hatte indeß seinen geregelten Gang begonnen und der Gesundheitszustand der Passagiere sich so gebessert, daß mit nur wenigen Ausnahmen Alle ihre bestimmten Mahlzeiten »faßten«, und die verschiedenen Coyen sich, so unbequem ihnen das auch wohl im Anfang vorgekommen, endlich einrichteten die regelmäßige Vertheilung der Lebensmittel unter sich vorzunehmen. Die Leute müssen unter solchen Verhältnissen erst ordentlich mit einander bekannt werden, und werden das auch in der That leicht an Bord eines Schiffes. Dann stehen auch noch im Anfang eine Menge Sachen umher und im Wege, die später einen Platz bekommen; das ganze Schiff »schüttelt sich durcheinander« und man findet zuletzt daß man da existiren, und endlich sogar verhältnißmäßig bequem existiren kann, wo früher Alles über- und durcheinander lag.

Den Passagieren selber that aber diese jetzt eintretende Ruhe wohl; bis jetzt waren sie sich ihrer kaum bewußt geworden, und von dem Abschied aus der Heimath theils, theils von der Sorge um ihr Gepäck, und zuletzt der Seekrankheit so in Anspruch und mitgenommen worden, daß diese ganze Zeit fast wie ein böser, schwerer Traum hinter ihnen lag, über den sie wohl noch den Kopf schüttelten, der aber doch glücklich überstanden war. Nichts an Bord erinnerte sie auch mehr an das Vergangene, und was für Vergleiche sie auch wohl später im Stande sein mochten anzustellen über das was sie verlassen;, über das was sie dafür wiedergefunden;, diese Zeit jetzt gehörte sich selbst und lag außer aller Verbindung mit Vergangenheit und Zukunft.

Das Wichtigste und wirklich Schwierigste für die Mehrzahl der Passagiere war dabei, eine richtige Zeiteinteilung zu finden. Zeit; – die Leute hatten damit auf einmal etwas bekommen, das sie früher in ihrem ganzen Leben nicht gekannt, und wußten jetzt in der That nicht was sie damit machen sollten. Sich mit sich selber zu beschäftigen – auch keine so leichte Kunst – verstanden die Wenigsten von ihnen, und wo sie früher ihre bestimmte Beschäftigung und Arbeit von Tagesgrauen bis Nacht gehabt, und Abends dann, erschöpft und matt das Lager gesucht, um am nächsten Morgen wieder zu neuen Anforderungen gestärkt zu sein, fanden sie sich jetzt plötzlich in einer ununterbrochenen Reihe von Sonntagen, denen selbst Morgens »das Bischen Kirchenschlaf« und Abends der Trunk in der Schenke fehlte.

Die ersten Tage ging das aber immer noch; sie standen an Deck umher, und sahen über Bord in die See, oder den verschiedenen Arbeiten der Matrosen zu, bis die Essenszeit – der jetzt willkommene Ruf zu »Schaffen« kam, und dann schliefen sie ein wenig, oder spielten auch wohl eine gewaltsam arrangirte Parthie Solo oder Scat – bis es dunkel wurde; wie aber Tag nach Tag dasselbe und immer wieder dasselbe brachte, die See ihnen etwas Gewöhnliches, Langweiliges wurde, und das Bedürfniß nach einer Thätigkeit, das nur wenig Menschen gänzlich fehlt, wieder in ihnen erwachte, wandten sie sich, freilich nur allmählig und immer noch mit keiner Lust, verschiedenen Beschäftigungen zu, die sie aufgriffen und wieder wegwarfen, etwas Anderes zu versuchen.

Die Frauen vor allen Anderen, fanden sich am ersten hinein; ein Theil von ihnen verstand sich bald dazu dem Koch zu helfen, Kartoffeln zu schälen und sonst kleine Dienstleistungen für ihn zu thun – (selbst die Männer halfen bei der ersteren Arbeit, da ihnen angekündigt wurde daß sie ihre Kartoffeln selber schälen müßten, wenn sie eben geschälte Kartoffeln zum Mittagsessen haben wollten, und wechselten dabei unter einander ab) dann hatten sie ihr Geschirr zu reinigen und nach den Kindern zu sehn, und endlich selber in Seewasser; ihre Wäsche zu besorgen; damit verging der Tag und die Zeit verflog ihnen rasch genug.

Schwerer wurde es den unverheirateten oder einzelnen Männern sich in das Waschen zu finden, und sie schoben das so weit hinaus als möglich. So Steinert und Mehlmeier z. B., die an kleinem und großem Geld in dem Hafenplatz ausgegeben hatten, was sie nur irgend verfügbar bei sich trugen, und sich jetzt doch nicht dazu entschließen konnten die Aermel selber aufzustreifen. Nichtsdestoweniger kleideten sie sich immer mit großer Sorgfalt und reiner Wäsche, ihren ganzen mitgenommenen Vorrath erschöpfend, und setzten sich nicht selten dem Gespötte der Seeleute und übrigen Passagieren aus, wenn sie mit ihren »Geh zur Kirche« Kleidern, gewichsten Stiefeln und den Cylinderhut auf, an Deck erschienen.

»Nun Herr Steinert, wollen Sie an Land?« tönte dann die unermüdliche Frage von jeder Lippe, und Herr Mehlmeier wurde gewöhnlich beauftragt irgend verschiedene Kleinigkeiten zu besorgen, und um Gotteswillen die Zeitung nicht zu vergessen. Mehlmeier hatte dabei die wunderliche Eigenthümlichkeit, daß er zu seiner Rede consequent die falschen und sehr gewöhnlich die genau verkehrten Gesticulationen machte; so nickte er, wenn er nein sagte regelmäßig mit dem Kopf, und schüttelte diesen bei ja, und wenn er sich mit Jemandem zankte, was in dem Zwischendeck eines Schiffs etwa keineswegs selten vorkömmt, so faltete er dabei die Hände und sah den, dem er manchmal die größten Grobheiten sagte, so bittend und freundlich an, daß sich der Streit jedesmal in ein lautes Gelächter auflöste, und die Partheien sich versöhnen mußten, sie mochten wollen oder nicht.

Die Weberfamilie aus Zurschtel ging den Anderen übrigens vorzüglich mit gutem Beispiel voran; der Mann, wie nur die ersten Tage an Bord mit Krankheit und deren Nachwehen überstanden waren, arbeitete von früh bis spät, half dem Koch in der Küche und den Matrosen wo er nur konnte an Tauen und Segeln, und war freundlich und gefällig gegen Jedermann, während die Frau die erste war, die ihren Waschtrog herrichtete und sich den Cajütspassagieren anbot ihre Wäsche für ein Billiges so gut zu waschen und herzustellen, wie es eben an Bord eines Schiffes möglich war. Lobensteins machten auch zuerst Gebrauch davon; die Frau Professorin besonders wurde die erste Kunde der wackeren Frau, und ihr schlossen sich die anderen Damen an, das getragene Zeug wenigstens auswaschen zu lassen und rein hinzulegen, bis es in New-Orleans mit frischem Wasser und Bügeleisen ordentlich in Stand gesetzt werden konnte. Auch Fräulein von Seebald fand Gefallen an der Frau und stellte sich manchmal neben sie, ihr bei ihrer Arbeit zuzusehn. Sie mußte ihr dann von sich und ihrem Leben zu Hause erzählen, was sie dort getrieben und wie sie existirt, und das poetische Fräulein schöpfte dabei ein süßes Gift aus dem »Zauber des Landlebens« wie sie es nannte, und dem sie sich ja auch in dem freien schönen Amerika ganz hinzugeben gedachte.

Die Unterhaltung mit der Webersfrau zog aber noch, schon am zweiten Tage, einen Dritten in das Gespräch; der Dichter Theobald, der unfern davon auf einem Wasserfaß, mit dem Rücken an die Hühnerkasten gelehnt saß, und sein offenes Taschenbuch vor sich an einem Bleistift kaute, wurde aufmerksam gemacht durch einige bilderreiche Bemerkungen der jungen Dame, schloß sein Buch und näherte sich ihr schüchtern. Sie hatten bis jetzt noch kein Wort, höchstens einen stummen Gruß, wenn man sich Morgens zuerst sah, gewechselt, denn den Zwischendeckspassagieren war das Betreten der Cajüte oder selbst des Hinter- oder Quarterdecks nicht gestattet; ja sogar von den Cajütspassagieren sehen es die meisten Capitaine nicht gern, wenn sich diese mit dem »anderen Theil« in ein Gespräch einladen oder gar öfter zusammenkommen wollten. Capitain Siebelt war übrigens nicht so streng, und wenn ihm nur die Zwischendeckspassagiere vom Quarterdeck wegblieben, wohin sie ihm aber unter keiner Bedingung kommen durften, ließ er seinen Cajütspassagieren ziemlich freien Willen.

»Sie sehnen sich nach dem Land, mein gnädiges Fräulein, wie ich höre« mischte sich also Theobald in das Gespräch – »bietet ihnen denn die See nicht des Großen, des Erhabenen so unendlich viel, dem dürstenden Geist wenigstens Nahrung zu geben auf Monate?«

»Sie haben recht« sagte Fräulein von Seebald mit leichtem Erröthen – »wir Menschen sind ungenügsam, und verdienen eigentlich gar nicht all das Schöne und Große, was uns von unserem Schöpfer in so reichem Maße geboten wird, aber dennoch, trotz dem großartigen, bewältigenden Eindruck den das Meer auf mich gemacht, und der mich in den ersten Tagen so erschütterte daß ich ihm gar nicht zu begegnen wagte und mich in meinem stillen Kämmerlein erst langsam auf das Ertragen dieser Größe vorbereiten mußte, fühle ich manchmal eine Leere, die ich nicht auszufüllen im Stande bin.«

Theobald dachte unwillkürlich an seine Zahnschmerzen, sagte aber seufzend:

»Wohl kann ich mir Ihre Gefühle versinnlichen, gnädiges Fräulein. Der zartdenkende Mensch empfindet anders als der rohe; er genießt aber auch dafür mehr und würdiger, und das Bewußtsein desselben ist ihm zugleich der Lohn; nur sich da nicht mittheilen zu können, das Bewußtsein mit sich herumzutragen das Alles allein genießen zu müssen ist dem Guten oft drückend, und nur wieder und wieder zurückgestoßen von der Masse die ihn nicht versteht – nicht verstehen will;, sieht er sich zuletzt gezwungen allein, mit seinem Schatz im Herzen seine Bahn zu gehn.«

»Sie sind Dichter« rief Fräulein von Seebald rasch und mit einem überzeugten Blick zu ihm aufschauend.

»Gnädiges Fräulein« sagte der Dichter bescheiden.

»Sie sind Dichter« wiederholte diese aber bestimmt, und

»Ich bin; es –« sagte Theobald mit einer Resignation, als ob er sich in diesem Augenblick zu einem Mord bekannt hätte.

»Ich habe es mir gedacht« flüsterte Amalie leise vor sich hin – »ja, dann genügt Ihnen das Meer« setzte sie dann aber lauter hinzu, »dann begreife ich, wie Sie in dem Gefühle, auf dünner Planke über der »purpurrothen Finsterniß« hingetragen zu werden, sich allein; in dieser Wasserwüste zu wissen, über die der blaue Aether seinen Bogen spannt, schwelgen, sich glücklich fühlen können. Der Dichter ist ja der willkommene Gast des Olymp, und des Geistes Schwingen tragen ihn rasch und leicht empor aus allem Irdischen. Auch ich« – und tiefes Erröthen färbte ihre Stirn und Wangen – »auch ich« – die Stimme wurde so leise daß Theobald die flüsternden Laute kaum verstehen konnte – »habe mich auf diesem Feld versucht, aber die Schwingen« setzte sie wärmer werdend hinzu »sind noch nicht stark genug mich hinauf zum Parnaß zu tragen.«

»Ihre Bescheidenheit täuscht Sie vielleicht nur darin« sagte Theobald, selber dabei, er wußte nicht weshalb, erröthend.

»Ach nein« seufzte die Dame, langsam und traurig den Kopf schüttelnd – »aber das schadet auch Nichts« fuhr sie lebendiger, sich selber tröstend fort – »wir können nicht Alle Nachtigallen sein, und auch die bescheidene Lerche, die ihr einfaches Lied dem Schöpfer dankend entgegenwirbelt füllt ihren Platz in dem Weltenall, so klein, so bescheiden er sein mag, aus.«

»Gewiß thut sie das, gewiß« mischte sich in diesem Augenblick, ehe Theobald noch etwas darauf erwiedern konnte, eine dritte Stimme, allerdings unaufgefordert, in das Gespräch, und die Augen forschend auf Fräulein von Seebald geheftet, während er jedoch mit einer artigen und verbindlichen, fast ängstlichen Verbeugung sie begrüßte, fuhr er, langsam mit dem Kopf dabei ihr zunickend fort – »und dem lieben Gott die liebste Sängerin ist die Lerche, denn ihr schmetterndes Lied steigt mit dem ersten Blumenduft zu ihm empor, des Frühlings schönstes Opfer.«

»Sie sind auch; Dichter?« rief Fräulein von Seebald überrascht aus.

»Ich? – nein, bitte um Verzeihung – ich heiße Schultze und bin Cigarrenfabrikant« sagte der kleine Mann verlegen, während Theobald eben im Begriff war ihn als seinen Coyennachbar, Herrn Schultze aus Hannover vorzustellen.

»Cigarrenfabrikant?« wiederholte Fräulein von Seebald mit einem getäuschten, beinah halbvorwurfsvollen Ton – »Ihrer Aeußerung nach glaubte ich daß –«

»Herr Schultze hat ungemein viel Phantasie« nahm hier Theobald in Verteidigung des kleinen Mannes, von dem er ein gewisses unbestimmtes Gefühl hatte, daß er ihn seines Geschäfts wegen entschuldigen müsse, das Wort; »wir haben uns schon mehrfach über ein System, das er sich gebildet, unterhalten, und ich muß gestehen daß er mir in manchen Beziehungen merkwürdige Aufschlüsse gegeben, und Gedanken in mir erweckt hat, auf deren Basis sich wirklich weiter bauen ließe.«

»Herr Theobald« sagte der kleine Cigarrenfabrikant, »ist Einer von den wenigen Menschen, die für das Wahre empfänglich sind, und der Ueberzeugung ihr Ohr nicht gewaltsam verschließen.«

»Sie sprechen in Räthseln« sagte Fräulein von Seebald, »dürfte ich Sie um deren Auflösung bitten?«

»Nichts ist leichter als das,« erwiederte Theobald – »Herr Schultze geht von der Idee aus daß wir Alle;, wie wir diese Erde jetzt in menschlicher Form bewohnen, schon früher einmal existirt haben, und zwar als Vögel;.«

»Als Vögel?« rief Fräulein von Seebald erstaunt – »welcher sonderbare Gedanke.«

»Sonderbarer Gedanke?« wiederholte aber der kleine Mann, rasch den Kopf gegen den halben Zweifel emporwerfend – »Nichts auf der Welt ist leichter zu beweisen als das, und Sie werden staunen, mein gnädiges Fräulein, wenn ich Ihnen, in einfacher Weise den Schlüssel zu den jetzt Ihnen vielleicht räthselhaft scheinenden Worten gebe. Es ist das Ei des Columbus – unmöglich unserem noch umnachteten Blick, und ein Kinderspiel in der Lösung.«

»Aber ein Vogel –«

»Ist Ihnen die Aehnlichkeit fremd, die das Menschengesicht mit dem Vogelkopf hat?« unterbrach sie aber der kleine Mann der jetzt auf seinem Steckenpferde ritt und die Zügel fest und sicher faßte, »haben Sie noch nie derartige Vergleiche angestellt, und wirklich täuschende Aehnlichkeiten dabei gefunden?«

»Allerdings« sagte Fräulein von Seebald, sich mit dem dritten und vierten Finger der rechten Hand leise die Stirn streichend, wie um ihrem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen; »eine Freundin von mir hat, wenn man mit der flachen Hand den oberen Theil ihres Gesichts von dem unteren trennt, eine frappante Aehnlichkeit mit dem Staar, und ein Vetter von mir, ein junger Offizier, mit einem Adler.«

Des Kleinen Augen leuchteten im Triumph.

»Sehn Sie daß ich recht habe?« rief er, rasch und heftig dabei mit dem Kopf nickend – »sehn Sie daß wir Menschen, selbst ohne es zu verstehen, uns dessen bewußt geblieben sind was wir einst gewesen, und dessen Grundzüge selbst eine vollkommene Umwandlung unserer ganzen Gestalt, unseres ganzen Seins, nicht im Stande war vollständig zu vertilgen?«

»Aber kann das nicht zufällig entstanden sein?« sagte Fräulein von Seebald, von dem ernsten Wesen des kleinen Mannes zwar eigenthümlich ergriffen, sich aber dennoch gegen solche Theorie auch unwillkürlich sträubend – »ja finden wir nicht auch Aehnlichkeiten manchmal zwischen vierfüßigen Thieren und Menschen? – frappante Aehnlichkeiten, die ja dann auch eben zu solcher Schlußfolgerung nach dorthin uns berechtigen müßten?«

»Sie berühren da allerdings ein Thema« sagte der kleine Cigarrenfabrikant mit ernster Miene, »das mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht hat; aber ich glaube Ihnen auch selbst das widerlegen zu können. Der Mensch ist, wie die Gelehrten behaupten, das vollkommenste lebendige Wesen der Schöpfung durch seinen Geist;, aber nicht durch seinen Körper.«

»Nicht durch seinen Körper?« rief aber hier auch Theobald erstaunt aus – »Ihr System reißt Sie hin, mein guter Herr Schultze, denn welches Wesen der Schöpfung könnten Sie ihm selbst in körperlicher Hinsicht wohl vergleichen?«

»Viele – sehr viele, mein guter Doktor« sagte aber der kleine Mann, keineswegs durch den Einwurf beirrt; »das Pferd ist stärker und schneller, das Wild hat schärfere Geruchssinne, schärfere Seh-, schärfere Gehörwerkzeuge – der Mensch ist auf den festen Grund und Boden, und zwar auf dessen Oberfläche angewiesen, einzelne Thiere dagegen bewegen sich auf dem Lande sowohl mit Leichtigkeit, wie in der Luft als auf dem Wasser. Das Vorzüglichste von allen ist z. B. die Ente, die nicht allein vortrefflich taucht und schwimmt, sondern auch ausgezeichnet fliegt, und ziemlich rasch auf festem Boden vorwärts schreitet. Auch ein hülfloseres Geschöpf giebt es nicht auf dem weiten Erdball als ein Kind, während die Thiere, mit nur wenigen Ausnahmen, sehr kurze Zeit nach ihrer Geburt fast, schon den Gebrauch ihrer sämmtlichen Glieder erlangt haben. Gleichwohl nennen wir uns die Herren der Schöpfung, und kriechen noch mit dem Fallhut herum, während der Habicht schon in gleichem Alter auf seine Beute aus hoher Luft herniederstößt, und der Tiger in seinem Dickicht dem Büffel und Hirsch auflauert.«

»Das hat Alles viel für sich« sagte Theobald achselzuckend – »aber damit werfen Sie ja schon einmal vor allen Dingen die ganze biblische Geschichte über den Haufen.«

»Das thut mir sehr leid um die biblische Geschichte« sagte Herr Schultze, »aber ich kann ihr nicht helfen, denn gerade das Einzige, womit wir wirklich der Thierwelt überlegen sind, und was also den ersten Fortschritt auch bildet zwischen ihr und uns, ist unser Geist, und der selber, mit seiner Schwester, der Erinnerung, mahnt uns an die vergangene Zeit und läßt uns nicht irren.«

»Ich verstehe Sie nicht« sagte Fräulein von Seebald.

»Ich werde mich deutlicher ausdrücken« erwiederte der kleine Cigarrenfabrikant. Ist es Ihnen, mein verehrtes Fräulein, noch nie vorgekommen, daß Sie in der Nacht geträumt haben Sie flögen, oder wollten; fliegen?«

»Oh wie oft!« rief Fräulein von Seebald rasch – »unzählige Male schon, und wie lebhaft dabei.«

»Und nachher ist es einem immer als wenn man von irgend einem alten Kirchthurme herunterfällt, der Einem unter den Füßen fortgeht,« sagte Theobald; »ich muß gestehn daß ich in der That die Angst habe Jemand, der eine recht lebhafte Einbildung hat, könnte sich nur allein dadurch wirklich einmal den Hals brechen.«

Herr Schultze rieb sich in aller Freude über die Anerkennung seines Hauptschlusses die Hände, Fräulein von Seebald aber, die sich leicht und gern solch neuen Eindrücken hingab, und alles Andere darüber vergaß, sagte, freilich immer noch nicht überzeugt, kopfschüttelnd.

»Aber ich begreife nur nicht wie Sie dadurch Ihre Behauptung beweisen oder auch nur daraus herleiten wollen; ein Traum ist ein Traum.«

»So?« sagte aber Herr Schultze, plötzlich wieder ernster werdend und fast ein wenig piquirt – »warum träumen wir denn da nie daß wir wie die Fische im Wasser schwimmen und untertauchen, oder wie das Wild draußen im Wald herumlaufen? warum fliegen; wir nur im Traum? – weil unserem Geist, wenn der Schlaf den Körper in Ruhe gelegt und ihn dadurch gewissermaßen von der störenden Außenwelt entfernt hat, allein in seinen Erinnerungen; leben kann, und die führen ihn zu dem zurück was er war. Sie werden glauben ich gehe zu weit, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, verehrtes Fräulein, daß ich neulich geträumt habe ich wäre in der Mauser.«

Fräulein von Seebald und Theobald lachten gerade heraus, der Gedanke war ihnen zu komisch, aber der kleine Mann fuhr, mit dem Kopfe nickend, ganz ernsthaft und ohne sich irre machen zu lassen, fort.

»Ja lachen Sie nur, lachen Sie nur; wir lachen über Manches das uns später als nackte Wahrheit ganz entschieden in's Leben tritt. Wir lernen; täglich; der Mensch lernt nie aus, und in früheren Zeiten sind Menschen für das als Hexen und Teufelsbündner verbrannt worden, was jetzt zu alltäglicher Wahrheit geworden ist, und von Niemandem mehr bezweifelt werden kann;. Ich brauche Ihnen dafür keine Beispiele aufzuführen.«

»Haben Sie einen Blick dafür« frug Fräulein von Seebald jetzt den kleinen Mann, von einem neuen Gedanken ergriffen, »die Aehnlichkeit zwischen Menschen und Vögeln oder anderen Thieren herauszufinden?«

»Wenn ein Jahre langes, unausgesetztes fleißiges Studium dazu berechtigt, ja!« sagte Herr Schultze mit inniger Ueberzeugung.

»Gut – welchem Thier – oder wenn Sie so wollen, welchem Vogel gleich ich dann?« frug die Dame, und hielt dabei die flache Hand vor ihren Mund, daß nur der obere Theil ihres Gesichts, und zwar im Profil, sichtbar blieb.

»Eben so entschieden« erwiederte der kleine Cigarrenfabrikant nach kurzem forschenden Blick, »wie Herr Theobald hier einem Habicht gleicht, gleichen Sie der Lerche;!«

»Der Lerche?« rief die Dame rasch und erstaunt.

»Allerdings der Lerche, und ich selber müßte mich sehr irren, wenn Sie sich nicht auch zu dem Vogel besonders hingezogen fühlen.«

»Das ist allerdings und merkwürdiger Weise der Fall« bestätigte Fräulein von Seebald – »aber – aber Sie haben das gehört, was ich vorhin über die Lerche sagte, und ziehen daraus Ihre Schlußfolgerung.«

»Umgekehrt kommen Sie der Wahrheit näher« erwiederte Herr Schultze freundlich – »wie ich schon sämmtliche Physionomieen unserer Reisegefährten studirt und überhaupt keine liebere Beschäftigung habe, als die Physionomieen meiner Umgebung genau zu beobachten, und in der deutlichen Schrift, die ihnen die Natur in die Züge gegraben, zu lesen, was sie einst in früherer Zeit gewesen, war mir gleich im Anfang Ihre frappante Aehnlichkeit mit jenem liebenswürdigen Singvogel aufgefallen, und Ihre Bemerkung vorhin, die ich zufällig hörte, traf mich deshalb um so mehr, und machte mich so kühn mich in das Gespräch zu mischen, was ich sonst nie gewagt haben würde.«

»Es wäre doch wunderbar, wirklich wunderbar« meinte Fräulein von Seebald nachdenkend, »aber lieber Gott, die Natur ist ja so reich an noch unerforschten Geheimnissen, daß uns selbst das Unglaublichste wenigstens nie unmöglich scheinen darf – doch« – unterbrach sie sich hier und hielt ihr Taschentuch vor die Nase, »wo um Gottes Willen kommt der entsetzliche, widerliche Tabacksqualm her; er benimmt mir fast den Athem. –«

Das bisher geführte Gespräch hatte dicht vor dem großen Mast, gewissermaßen auf neutralem Grund und Boden zwischen Cajüte und Zwischendeck statt gefunden, wo des Webers Frau an der Leeseite des Schiffesobgleich schon oft wiederholt, will ich doch noch einmal zur Verständnis des mit nautischen Ausdrücken nicht bekannten Lesers hier bemerken, daß die Leeseite eines Schiffes immer die dem Wind entgegengesetzte ist. Starbord oder Stürbord ist, wenn man am Steuerruder steht und nach vorn sieht, die rechte Lar- oder Backbord, die linke Seite des Schiffes. Kommt also der Wind mehr von der Starbordseite, so ist Backbord zugleich in Lee oder die Leeseite. Wenn der Wind genau von hinten kommt, hat daher das Schiff keine Leeseite. Die Luvseite, oder die zu windwärts, ist der Leeseite entgegengesetzt. ihren Waschtubben aufgestellt und, nur manchmal kopfschüttelnd dem wunderlichen Gespräche lauschend, rüstig fortarbeitete. Fräulein von Seebald stand ihr gegenüber, mit ihrer linken Hand auf die Nagelbank des großen Mastes gestützt, und die beiden Herren Schultze und Theobald, nach dem inneren Deck zu, vor der Zwischendecks-Luke, die hier hinunter führte. Auf die Nagelbank selber aber, und zwar zu windwärts, hatte indessen, von den in ihr Gespräch Vertieften gar nicht beachtet, den Rücken an die straffangespannten Marsfalle gelehnt, Zachäus Maulbeere Platz genommen, und blies den Qualm aus seiner kleinen schmutzigen Pfeife in dichten Wolken gerade auf die, in so interessantem Gespräch begriffene Gruppe.

»Dem Geruch nach ist das Maulbeere« sagte Herr Schultze auch, ohne nur den Kopf nach ihm zu wenden, »der raucht einen abominabelen Knaster, meiner Meinung nach ein Gemisch von gehackten Tabacksstengeln und Knoblauchsblättern.«

Fräulein von Seebald warf einen flüchtigen Blick dort hinüber, wo der allerdings richtig bezeichnete Mann in unzerstörbarer Ruhe saß, und ohne die Erwähnung seiner auch nur durch eine Bewegung des Kopfes zu beachten. –

»Himmel, welche merkwürdige Gestalt und Physiognomie« setzte sie dann leise, gegen Herrn Schultze gewendet, hinzu, »das ist das merkwürdigste Gesicht, das mir in meinem Leben begegnet ist, und ich wäre neugierig, mit welchem Vogel Sie da die Aehnlichkeit fänden.«

»Mit welchem Vogel?« erwiederte aber Herr Schultze rasch, und ebenfalls mit etwas unterdrückter Stimme, von ihrem Nachbar nicht gehört oder verstanden zu werden, »mit dem Amerikanischen Kasuar auf das frappanteste, ja sogar mit einer eigenen wunderlichen Mischung des jetzt ausgestorbenen Geschlechts der Dodos – betrachten Sie nur das Unterkinn.«

»Bah – so;viel für Ihre Vergleiche« überraschte sie aber ganz unerwartet der Gegenstand ihrer heimlichen Betrachtungen, der jede Sylbe ihres Gesprächs gehört und selbst die letzte Bemerkung des Cigarrenfabrikanten verstanden haben mußte, mit seiner Antwort; – »ich weiß nicht für was Sie sich selber halten, wahrscheinlich für eine Grasmücke oder für einen Spatz, so viel kann ich Ihnen aber sagen, daß ich vor der Seelenwanderung ein Stieglitz gewesen bin, denn ich hole mir noch mein Wasser und Freßnäppchen von unten herauf wenn ich's brauche, und was Ihre beiden Begleiter anbetrifft, so sieht der eine frappant so aus wie ein unausgewachsener Pfefferfresser, und die Dame hat täuschende Aehnlichkeit mit einer Ente. Das Bischen Räuchern wird Ihnen übrigens miteinander Nichts schaden, denn da wir die Cholera an Bord haben, und wahrscheinlich nach acht Tagen jeder, der noch da ist, eine eigene Coye für sich selber bekommen kann, soll das, wie behauptet wird, als ein treffliches Mittel dagegen gelten.

»Die Cholera an Bord?« rief Fräulein von Seebald vor Schrecken erbleichend, »das wäre ja furchtbar – aber seit wann?«

»Glauben Sie nur kein Wort von dem, was Ihnen dies unglückselige Menschenbild sagt« fiel hier Theobald ein, »Herr Maulbeere spricht wenig, aber wenn er ja einmal den Mund aufthut, ist es gewiß eine Lüge.«

»Sie sollten g'rade dankbar sein« rief aber Zachäus, »daß ich Ihre Aehnlichkeit nur so obenhin berührt habe; bei Ihnen hat man's aber bequem, Sie besorgen das selbst. Habicht;« setzte er dabei wie mit sich selber redend und vor sich hin lachend hinzu – »schöner Habichtskopf – Kuckuck – Kuckuck!«

Fräulein von Seebald, die vielleicht nicht mit Unrecht einen Zank zwischen den Männern fürchtete, und selber nicht gewillt war, sich hier beleidigen zu lassen, zog sich, mit einer leichten Verbeugung gegen Herrn Schultze und Theobald, die diese ehrfurchtsvoll erwiederten, rasch in die Cajüte zurück. Die beiden Passagiere dachten aber gar nicht daran sich mit dem groben Menschen in einen Wortkampf einzuladen, sondern gingen, ohne ihn weiter eines Worts oder Blicks zu würdigen, von ihm fort nach vorn zu. Ebenso war des Webers Frau zuletzt genöthigt ihren Stand zu verändern, weil sie es in dem jetzt voll nach ihr herüber ziehenden stinkendem Qualm des Scheerenschleifers nicht aushalten konnte, während dieser, innerlich lachend über den vollständig errungenen Sieg, auf behauptetem Schlachtfeld sitzen blieb, und wie ein Diminutivdampfer den Qualm seiner Pfeife in regelmäßigen, und kurz abgebrochenen Stößen von sich bließ.

Nicht weit von dort saßen die drei, erst von dem Leuchtschiff bei Nacht und Nebel an Bord gekommenen Passagiere, die sich bis jetzt noch immer still und zurückgezogen von den anderen gehalten, und fast mit Niemandem ein Wort gesprochen hatten. Der eine schnitzte eine zusammenhängende Kette aus einem Stück weichem Holz, der andere flocht ein Uhrband aus Pferdehaaren und der dritte lehnte, den Kopf in beide Hände gestützt, auf der oberen Reiling und schaute ziemlich theilnahmlos über Bord hinaus ins Meer.

Es waren drei, eben nicht einnehmende Gestalten, mit finsteren verschlossenen Gesichtern, der Jüngste sogar mit frechen breiten Zügen, über die sich nur manchmal ein leichtes hämisches Lächeln stahl, wenn er seinem Kameraden irgend eine Bemerkung über die, vor ihnen auf und abgehenden theils beschäftigten theils unbeschäftigten Passagiere mittheilte. Ihre Röcke schienen dabei aus einem; Stück groben, aber ganz neuen Tuches gefertigt, mit gleichem Schnitt und gleichen Knöpfen, und der Ort, aus dem sie gekommen, war bald auch den übrigen Passagieren kein Geheimniß mehr – das Zuchthaus stand ihnen zu klar und deutlich an der Stirne geschrieben. Freilich ließ sich ihnen darüber Nichts beweisen; als Passagiere an Bord hatten sie dieselben Rechte mit den anderen, und den stämmigen untersetzten Gestalten gegenüber wagte auch Keiner etwas davon gegen sie selber zu äußern; aber untereinander flüsterte man sich seinen Verdacht erst schüchtern, dann offener zu, und Steinert besonders sprach, aber immer außer Hörweite der drei dabei besonders interessirten Personen, offen seine Entrüstung darüber aus, daß ihr Schiff wie ihre ganze Gesellschaft durch solche Kameraden entehrt würde, und sie sich das eigentlich gar nicht brauchten gefallen zu lassen. Was aber dagegen thun? – Das Schiff war unterwegs, von Land keine Spur mehr zu sehen, und in einem offenen Boot hätte man die Leute, sie mochten nun sein was sie wollten, auch nicht aussetzen können und dürfen. Aber die Zwischendeckspassagiere zogen sich von ihnen zurück, die über ihnen befindliche Coye weigerte sich mit ihnen zugleich »Fleisch zu fassen« was immer für doppelte Coyen ausgetheilt wurde, während der Untersteuermann, der die Austheilung des Proviants unter sich hatte, auch nicht den geringsten Anstand nahm ihnen eine besondere Abtheilung zu gewähren.

Die drei Burschen fühlten dadurch wohl, daß man sie als das erkannt was sie waren – Verbrecher, die man hatte zu Hause los sein wollen und jetzt nach Amerika schickte – schienen aber nicht böse darüber und hielten sich, wie schon gesagt, still und abgesondert für sich selbst.

»Das ist künstliche Arbeit und lernt sich nicht alle Tage« redete sie da von einem der Passagiere eine Stimme an, und der Mann mit den kurz abgeschnittenen schwarzen Haaren, dessen Gesicht jetzt noch überdieß die schwarzen Stoppeln eines etwa vierzehntägigen unrasirten Bartes trug, nahm auf einem der Wasserfässer dicht vor ihnen Platz und sah, die Ellbogen auf seine Knie gestemmt, ihrer Beschäftigung ruhig zu – »wie lang habt Ihr gebraucht bis Ihr's so weit brachtet?«

Der junge Bursch sah etwas überrascht zu ihm auf, und mit einem flüchtigen Blick über die Gestalt hin brummte er: –

»Wer weiß ob Ihr's nicht besser könnt wie wir – Zeit genug es zu lernen werdet Ihr gewiß schon gehabt haben.«

»Doch nicht« schmunzelte der Mann, der die Anspielung vollkommen gut verstand – »doch nicht mein Junge – ich habe nie Geld genug gehabt, die Universität zu bezahlen.«

»Manche Menschen haben Glück« sagte der Andere, auch nur mit einem Seitenblick auf den Sprecher – »und Glück geht vor Verdienst.«

»Wo kommt Ihr eigentlich her?« frug der Erste wieder, der auf der Schiffsliste unter dem Namen Meier eingetragen stand – »wenn man eben fragen darf« –

» Fragen; darf man schon« sagte der Jüngste mürrisch – »aber Ihr kennt wohl das alte Sprüchwort.«

»Thuts Euch Noth es zu wissen?« frug der zweite.

»Nein« sagte Meier kopfschüttelnd »war nur Neugierde, und die Wahrheit erführ ich doch wohl nicht – ich habe aber einmal Jemanden gekannt, der wie Euer Kamerad da,« auf den Alten deutend – »aussah und Pelz; hieß – aber 'sist lange her.«

Der Alte drehte sich bei dem Namen rasch um, und den Zudringlichen finster und aufmerksam betrachtend sagte er:

»Und wie heißt Ihr;?«

»Meier« – erwiederte vollkommen ruhig der Mann und nahm seine kleine Thonpfeife aus der Tasche, die er sich stopfte und anzündete.

»So heiß ich auch« brummte der Alte, und drehte sich wieder in seine alte Stellung um; der Kurzhaarige rauchte noch eine Weile still vor sich hin, stand dann auf und ging, ohne ein Wort weiter zu äußern nach vorn zu, wo er sich auf die Back setzte, und die Füße vorn über Bord hängen ließ.

Das Schiff verfolgte indeß mit lustig geblähten Segeln seine Bahn; der Wind war vortrefflich und die fast vierkant gebraßten Raaen, die Leesegel zu Starbord und der rasch vorbeifliegende weiße Schaum kündete auch selbst dem Laien an Bord, wie sie ihrem Ziele rasch entgegenflogen. Das monotone Leben wurde aber sonst auch durch Nichts unterbrochen; höchstens einmal zeigte sich ein Segel am fernen Horizont, und Capitain Siebelt ermangelte dann nicht, noch einen aufmerksamen Blick durch das Fernrohr, seinen Cajütspassagieren zu erklären, daß es entweder ein Amerikaner oder Engländer, Franzose oder Deutscher sei, wie er nach der Stellung der Masten und Segel es erkannt hatte. Er betrachtete sich als eine Autorität in solchen Dingen, und gewöhnlich verschwand dann auch das Segel wie es gekommen und er mußte, aus Mangel eines Gegenbeweises, recht behalten; ein paar Mal geschah es freilich, daß der erklärte Engländer oder Franzose Deutsche oder Amerikanische Flagge zeigte; dadurch aber keineswegs irre gemacht hatte Capitain Siebelt immer seine weitere Schlußfolgerung rechtzeitig bei der Hand; nun kannte er auf einmal das Schiff ganz genau; es hieß so und so und war richtig in England oder Frankreich gebaut – das konnte man ja mit bloßen Augen unterscheiden, aber später eben an ein Deutsches oder Amerikanisches Haus verkauft, unter dessen Flagge es jetzt natürlich segeln mußte. Capitain Siebelt behielt immer recht, und da Henkel, der schon mehre Seereisen gemacht, sich nie in einen Streit mit ihm einließ, und die anderen gar Nichts davon verstanden, konnte das auch nicht anders sein.

Die glücklichste, munterste von Allen an Bord, war aber Henkels kleine liebenswürdige Frau, Clara, der, wie sie nur erst einmal die böse Seekrankheit überstanden hatte, jeder Tag einen neuen Genuß in der wundervollen Fahrt brachte, und die sich nicht satt sehen konnte an der wogenden, herrlichen See. Mit keiner Sorge dabei, die ihr Herz beengen durfte, das glücklich Weib eines innig geliebten Mannes, war ihr die ganze Reise nur eine fröhliche sonnige Lustfahrt, von der sie mit jeder Minute geizen mußte, und Niemand an Bord verstand es besser, auch der unangenehmsten Lage die heitere Seite abzugewinnen, wie gerade sie.

Die liebste Gesellschafterin dabei war ihr die fröhliche Marie, deren junges Herz sich auch leicht und rasch über Alles wegsetzen konnte, was etwa noch trüb und traurig für sie im Schoos der Zukunft verborgen lag. Anna war schon zu ernst; die Sorge um der Eltern Wohl, das Bewußtsein, was diese Alles in der Heimath aufgegeben, und manche Befürchtung die Kellmann, sie betreffend, zu Hause ausgesprochen, wollte sie nicht verlassen, und lag oft wie ein trüber Schatten auf ihrer Stirn, und auch Hedwig, die fast den Tag über immer bei ihnen war, konnte noch nicht vergeben was sie gelitten, was verloren, und mußte oft gewaltsam die ihr vielleicht unbewußt aufsteigende Thräne zurückzwingen, das Auge der fröhlichen jungen Frau nicht zu trüben, die ja Alles that, was in ihren Kräften stand, das arme Kind für das Gelittene zu entschädigen – lieber Gott, ungeschehen konnte sie ja nicht machen, was die Vergangenheit gebracht.

Henkel selber war meist ernst, zu ernst nach Clara's Sinn, und konnte Stundenlang mit verschränkten Armen und in tiefen Gedanken das Quarterdeck begehn, wenn ihn die junge Frau nicht manchmal gewaltsam aus seinen Träumen riß, und ihn so lange quälte und neckte, bis er sich lächelnd ihrem Willen fügte. Einen besseren Gesellschafter aber hatten sie in dem kleinen munteren Herr von Hopfgarten, der, wenn er sich nur irgend von dem fast unvermeidlichen Nachmittags-Whist, wo Henkel manchmal seine Stelle einnahm, losmachen konnte, die Seele der ganzen Cajüte wurde, Gesellschaftsspiele angab und ausführte, an denen dann selbst Lobensteins und das schwärmerische Fräulein von Seebald Theil nehmen mußten, oder auch Geschichten und Anekdoten erzählte, über die sich Clara oft todtlachen wollte. Mit Thränen im Auge vor Lachen erklärte sie dabei mehrmals, es sei ihr unendlich leid, den thörichten Schritt schon gethan und sich in Deutschland mit dem mürrischen Herrn Henkel verheirathet zu haben, wäre das nicht geschehn, sie nähme keinen anderen als Herrn von Hopfgarten, denn ein besser zu einander passendes Paar gäbe es doch nicht auf der weiten Gottes Welt, und Herr von Hopfgarten betheuerte dann ebenfalls, er sei der Unglücklichste der Sterblichen, ein wahrer lebendiger Tantalus, dem sein Glück jetzt, in Gestalt der liebenswürdigsten jungen Frau, vor der Nase herumliefe, ohne daß er selbst den Arm danach ausstrecken dürfe, es fest zu halten. In komischer Verzweiflung holte er dann gewöhnlich eine Chokoladen-Pistole, von denen er mehre Dutzend an Bord haben mußte, denn sie schienen unerschöpflich, aus der Tasche, setzte sie sich vor die Stirn und ließ sie sich von Marien wegnehmen, die sie, wie sie sagte, um Unglück zu verhüten zerbrach, und den jüngeren Geschwistern zum essen gab.

Viel zu ihrer Erheiterung trug, wenn auch sehr oft absichtslos, der »Doktor« bei, wie er schlichtweg an Bord genannt wurde, dem von dem Rheder die halbe Passage erlassen worden, unterwegs etwa vorkommende Krankheiten der Passagiere zu behandeln, und dadurch die andere Hälfte, mit Hülfe der an Bord befindlichen Medicinkiste, abzuverdienen.

Doktor Hückler war eine höchst unscheinbare Persönlichkeit, die ihr Diplom nur eigentlich den Herren Heßburg und Sohn verdankte, von denen sie an Bord zum Doktor; gestempelt worden. Chirurg und ein armer Teufel, wünschte er nach Amerika auszuwandern, und besaß nicht die nöthigen Mittel; die Firma Heßburg und Sohn wünschte aber, des Geredes der Leute wegen, einem Schiff mit so vielen Auswanderern auch einen Doktor; beizugeben, ohne zugleich besondere Kosten für einen solchen zu haben. So war beiden Theilen geholfen, und da man im gewöhnlichen Lauf der Dinge annahm, daß auf der kurzen Ueberfahrt nach Amerika gerade keine schweren Krankheiten, oder doch nur sehr selten vorkommen, konnte alles das, was man ja sonst sogar dem Capitain allein überließ, auch dem Herrn Hückler anvertraut werden, der als junger Mensch den älteren Herrn Heßburg schon mehre Jahre rasirt und ihn von Hühneraugen frei gehalten hatte, wie auch im Hause des reichen Handelsherrn seines stillen demüthigen Betragens wegen sehr gern gesehen und protegirt worden war. Von inneren Krankheiten verstand Hückler allerdings wenig oder gar Nichts, alles Versäumte aber jetzt mit möglichstem Fleiß nachzuholen, machte er sich, so wie er selber die Seekrankheit überstanden, mit großem Eifer darüber her, das kleine, der Schiffs-MedicinkisteAuf allen Schiffen befindet sich eine sogenannte Medicinkiste, der ein kleines »Receptbuch« beigegeben ist. Die Medicinen sind sämmtlich in numerirten Flaschen und Gläsern und das Buch enthält hinter der Nummer die Angabe des Inhalts wie noch außerdem einen, vielleicht aus dreißig bis vierzig Seiten bestehenden Anhang, in welchem die Behandlung der verschiedenen Krankheiten mit Angabe der Nummer der dabei zu verwendenden Medicinen gegeben ist. Auf Kauffartheischiffen, auf denen sich keine Passagiere befinden, hat der Capitain die Medicinen »nach bestem Wissen« auszutheilen, falls Einer von seinen Leuten krank werden sollte, ja selbst auf vielen Auswandererschiffen befand sich, bis in die neueste Zeit, kein angestellter Arzt. Am liebsten helfen sich dabei die Rheder damit, irgend einen jungen Arzt oder Chirurgen für »halbe Passage« mitzunehmen, der, selbst auf den längsten Reisen, dann die Unglücklichen, die ihm unter die Hände fallen, »behandelt.« Eine Controlle darüber findet, so viel ich weiß, nicht statt, wenn aber, scheint sie vollkommen ungenügend zu sein. beigegebene Receptbuch zu studiren, bei nöthigen Fällen wenigstens gleich die richtige Nummer; zu wissen und zu verabfolgen.

Den Schlüssel zur Medicinkiste behielt sich aber trotzdem der alte Capitain Siebelt vor, der erst seit kurzer Zeit »mit Auswanderern fuhr« und immer noch der festen Meinung war, er müsse das, was er in seiner Cajüte hatte, auch viel besser, oder doch eben so gut zu verabreichen verstehn, wie »so ein Doktor.« Die Passagiere überließ er ihm aber doch, eben weil es »blos Passagiere« waren, behielt sich übrigens die Behandlung seiner Leute vor.

»Herr Capitain, ich möchte Sie um den Schlüssel zur Medicinkiste bitten« sagte am Morgen des dritten Tages, als sie in den Atlantischen Ocean eingelaufen waren, der Doktor zu dem Selbstherrscher der Haidschnucke.

»Na, wat is nu all wedder?« frug »de Captein,« der nur gezwungen mit seinen Passagieren hochdeutsch sprach, und wenn er böse oder recht guter Laune war, am liebsten in das ihm weit geläufigere und natürlichere Platt zurückfiel, nur dann und wann, wenn es ihm gerade wieder einfiel ein paar hochdeutsche Worte mit einmischend.

»Einer der Leute klagt über Schmerzen in der Brust, und ich fürchte fast, daß da vielleicht ein chronisches Leiden –

»Ah papperlapapp« brummte der alte Seebär, »in de Krone sitzt's em nich – in de fulen Knoken. Ene richtige Porschon Soalts un en reguleres Bräkmiddel ver vor un achter ut, nachens fall e woll spudig beter wern.«

Kein Protestiren half dagegen; Capitain Siebelt hatte den festen Glauben daß ein Matrose gar nicht krank werden könne, keinenfalls aber krank werden dürfe;, so lange er sich auf die Reise »verakkordirt« hätte und daß also Alles, was die Kerle davorn von »Krone oder Bunk praalten, man blaue Dunst wäre.« Sobald sich also ein Matrose bei ihm krank meldete, bekam er als erste Dosis eine Handvoll Glaubersalz und keinen Schnaps zum Frühstück; das half schon gewöhnlich, und die Leute kamen selten das zweite Mal, wollte er dann noch immer nicht besser werden, d. h. blieb er »verstockt« dann mußte er ein Brechmittel schlucken, und zwar gleich in der Cajüte, nicht etwa die Medicin mit nach vorn nehmen, wo sie eben so sicher über Bord gegangen wäre. Das half dann jedesmal, denn die dritte Kur war Glaubersalz und Brechmittel zusammen und die hatte sich nur erst ein Einziger geholt, der war aber ein solcher »Cujon wehst«, daß er sich aus lauter »Cunterdikschen« hingelegt hatte und gestorben war.

Doktor Hückler war keiner von den Leuten, die einer praktischen Erfahrung ihr Ohr verschließen; er ließ sich überzeugen und der Capitain curirte die Leute nach wie vor auf seine eigene Hand und Manier.

Um also auf das gesellschaftliche Leben an Bord zurückzukommen, so war Hieronymus Hückler hier zum ersten Mal in einen Umgangskreis gekommen, der ihm bis dahin fern gelegen, und in dem er sich im Anfang – die Seekrankheit ganz abgerechnet, – auch nicht recht wohl fühlte. Seine Verlegenheit würde er selber auch wohl schwer, und gewiß nicht schon auf der Reise überwunden haben, wären ihm darin nicht die jungen Damen, von Herrn von Hopfgarten redlich dabei unterstützt, freundlich entgegengekommen. Diese brauchten aber Alles, was sie nur von verfügbaren Personen in ihrem Bereich fanden, zu ihrer Unterhaltung, und da sich Capitain Siebelt, so gefällig er ihnen in jeder anderen Beziehung war, auf das Hartnäckigste weigerte, einigen der gebildeten Zwischendeckspassagieren den Zutritt zu dem Quarterdeck zu gestatten, die langen Stunden an Bord zu verkürzen, so wurde Doktor Hückler aus Mangel an besserer Beschäftigung, bald das Stichblatt aller unschuldigen und fröhlichen Scherze der kleinen munteren Gesellschaft. Bei den Gesellschaftsspielen, die Herr von Hopfgarten unermüdlich und in der erfinderischesten Weise anstellte, bekam er fast alle Schläge mit dem Plumpsack und verfiel bei den Räthselspielen, bei denen er nie im Stande war auch nur das leichteste zu errathen, den unerbittlichsten, aber auch eben so geduldig und gutmüthig ertragenen Strafen.

Ein anderer Mitpassagier, der nur sehr schwer zu bewegen war sich in etwas dem geselligen; Leben an Bord anzuschließen, war der Coyenkamerad des Herrn von Hopfgarten, ein junger Mann von vielleicht vier- bis fünfundzwanzig Jahren, und jedenfalls aus sehr guter Familie.

»Ich bin der Baron von Benkendroff – mein Vater ist der wirkliche Geheimrath von Benkendroff« hatte er sich gleich am ersten Tage Herrn von Hopfgarten vorgestellt – »und ich reise nur zu meinem Vergnügen nach Amerika, um mich von den nichtswürdigen republikanischen Zuständen jenes Landes nach eigener Anschauung zu überzeugen. Ich weiß;, was ich dort finde, habe auch schon in der That einige Artikel über die dortigen Verhältnisse geschrieben, aber trotzdem gehe ich doch hinüber und betrachte die Reise gewissermaßen als eine Kur, als ein Schlammbad, das ich meinem Geist auferlege, ihn von allen doch noch vielleicht darin befindlichen Scrupeln und Zweifeln vollständig zu heilen.«

Den Spielen der jungen Damen schloß er sich allerdings manchmal an, aber dann immer mit einer gewissen vornehmen nonchalance;. Er war überzeugt, daß er ihnen dadurch eine Gefälligkeit erweise, und wußte auch in der That selber manchmal nicht, was er mit sich anfangen solle. Am liebsten noch spielte er mit Frau von Kaulitz und Herrn von Hopfgarten Whist, wobei er es liebte, mit seiner sehr weißen, fast weiblichen und reich mir Ringen besteckten Hand zu coquettiren. Außerdem sprach er nie mit den Steuerleuten, höchst selten selbst mit dem Capitain, den er wunderbarer Weise monsieur; nannte, und der ihn deshalb auch nicht leiden konnte, und hatte noch mit keinem Fuß die Grenze der strengabgeschiedenen Cajüte überschritten.


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