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2. Die Stadt.

Als ich wieder einmal ganz im Hinstarren verloren vor einem gewaltig großen Fenster stand, welches über und über mit Bildern verhangen war, vernahm ich hinter mir den Ton nun hölzernen Klapper, wie wir solche im Garten aufgestellt hatten, um die Sperlinge zu scheuchen. Hier aber sollte sie Jung und Alt herbeilocken, und wurde von einem statiösen Mann mit blitzendem Blech auf der Brust hin und her geschwenkt, bis sich ein hübscher Haufe um ihn gesammelt hatte. Ich sprang beim unverzüglich hinzu, um meine Kenntnisse mit irgend etwas Wissenswürdigem zu vermehren, da begann der Klappermann mit lauter vernehmlicher Stimme: »Ein dreizehnjähriger Knabe, namens Josef Freudenreich, hat sich am verwichnen Tage aus dem väterlichen Hause ohne Erlaubnis entfernt. Signalement: Haare flachsblond, Augen blau, Nase und Mund gewöhnlich, war bekleidet mit einer Jacke von gelbem Nanking und dito Beinkleidern.« Weder das rote Halstuch mit den weißen Tüpfchen, noch die schadhaften Stiefeln waren vergessen, und zum Schluß männiglich aufgefordert, den Vagabunden festzuhalten und an die Behörde abzuliefern.

Ich glaubte, der Schlag solle mich auf der Stelle rühren – ich war ja abkonterfeit, wie ich leibte und lebte, und mir blieb's nur ein Rätsel, wie die Leute ihr Auge nicht samt und sonders auf mich richteten, ihre Fäuste nicht wie der gestrige Triangelwirt nach mir ausstreckten, und aus vollem Halse schrieen: »Wir haben ihn, den Josef, wir halten ihn schon!« Gott mußte sie aber, mir zu Gunsten, mit Blindheit geschlagen haben, sonst wüßt' ich's nicht zu erklären. Die verflixten Nanking-Höslein und -Jacke konnte ich nun leider in der Geschwindigkeit nicht umfärben, die Flachshaare nicht braun werden lassen – mir blieb daher nichts übrig, als das einzige veränderliche, die proportionierte Nase und Mund auf das ungebührlichste zu verziehen, und mich mit einer abscheulichen Fratze leise aus dem Haufen zu stehlen. Diese meine Kriegslist gelang auch auf das vollständigste, und niemand dachte daran, meinen Forschungsreisen ein Hindernis in den Weg zu legen.

Mit ziemlich verlängerten Schritten zog ich durch die Straßen. Ich sah mich oft genug um, ob mir der Mann mit der Holzklapper nicht nachschreite, ob die übrigen vielleicht argwöhnische Blicke auf das weißgetüpfelte Halstuch würfen – es kümmerte sich aber eben keiner weiter um mich, und so stand ich denn von der widernatürlichen Gesichterschneiderei allmählich ab, und ließ Nase und Mund in Ruhe, wie sie Gott der Herr geschaffen. So kam ich an einen weiten Platz, auf dem ein ungeheures Prachthaus von Stein stand, Säulen unten, Steinpuppen oben, Fenster wie die Thüren, Thüren wie – ich weiß selber nicht was: größere Öffnungen hatte ich noch nimmer gesehen – auf dem Balkon geputzte Frauenzimmerchen und Blumen, so hoch wie die Bäume – es war ein rechtes Zauberschloß, Bis jetzt hatte ich noch keinen Menschen anzureden gewagt, wußte nicht einmal den Namen der Stadt, in der ich mich herumtrieb, hier hätte ich aber doch gern Auskunft gehabt. Setzte mich an einer Ecke des Palastes nieder, um irgend ein wohlwollendes Gesicht abzuwarten, bei dem ich mich nach dem Namen des glücklichen Eigentümers erkundigen könne. Während ich noch mit diesen physiognomischen Musterungen beschäftigt war, stiegen aus den vergitterten Fenstern des Erdgeschosses liebliche, einschmeichelnde Düfte herauf – in jenen unterirdischen Regionen mußte eine Küche sein. Ich schloß die Augen, öffnete mit heimlichem Lächeln Mund und Nasenflügel, um die balsamischen Gerüche einzusaugen, und träumte dergestalt im Wachen einen schönen Traum, wie ich dicht hinter einer gewaltigen Schüssel sitze und sie bis auf die Scharre auskratzen dürfe. Ein schmeichelnder Traum, wie gesagt – aber ein appetiterweckender.

Ein schmetterndes »Heraus!« erweckte mich. Die Schildwache, welche bisher wie eine Holzsäge vorwärts und rückwärts gegangen war, springt mit einem Satz an ihr Häußchen und reißt's Gewehr zum Präsentieren herunter; der Leutnant stürmt mit blankem Degen aus der Wachtstube und wettert entsetzlich auf die hervorstürzenden Soldaten ein, der Tambour erwischt die Messingtrommel, beweist eine staunenswürdige Gelenkigkeit im Schlenkern der Ellenbogen und bringt seinen knatternden Wirbel zu stande. Es war ein winzig Bürschlein, nicht größer als ich, gleich den übrigen schön montiert, mit blutrotem Kragen, und ich fing eben an, ihn um seine Talente und Anstellung zu beneiden, kraft deren er sich so laut machen dürfe – da tönt in meine Ohren ein lautes: »Ho! ho! Vorgesehen!« – Aber es war schon zu spät; ich bekam einen tüchtigen Stoß, lag auf dem Pflaster und einige vier und zwanzig Pferdebeine trampelten über mich hinweg. Die Sinne vergingen mir.

Als ich wieder erwachte, sah ich mich mit verbundenem Kopf im Bette liegen. Ein schwarzgekleideter Herr mit großen goldenen Uhrbommeln fühlte mir kopfnickend den Puls, wandte sich dann rückwärts zu einer alten Mama, die am Fuß der Bettstelle saß und äußerte: »Alles gut. Punktum. Keine innere Verletzung. Läpperei. Punktum. Alle halbe Stunden frischen Umschlag. Vierzehn Tage schonen. Hühnersüppchen – halbes Glas Wein. Punktum!« Damit ging er zur Thür hinaus. Das Hühnersüppchen erschien auch sofort, wie auf Kommando vom »Tischchen deck dick,« Während ich noch still darin herumlöffelte, erschien ein anderer Herr, der aller Wahrscheinlichkeit nach etwas Vornehmes bedeuten mochte, denn er hatte breite, silberne Tressen am Rock und Buchstaben auf den Knöpfen, Der sprach zur Alten gewandt: »Ihre Durchlaucht lassen sich erkundigen, wie es um den Knaben stände, wer seine Eltern seien, und was Höchstdieselben für ihn können.« Auf den ersten Artikel wiederholte die gute Mama, was der Herr Punktum über mich geäußert. Über den zweiten sollt' ich Auskunft geben, mocht's aber nicht, und starrte verdutzt den silberbeschlagenen Herrn im Galarock an, bis mir die Alte erläuterte, daß Ihre Durchlaucht, die regierende Frau Herzogin, geruht habe, mich zu überfahren, und ich mir nunmehr eine hübsche Gnade ausbitten könne.

»Gott segne die Hengste und die Frau Herzogin für diesen gescheiten Einfall!« rief ich fröhlich aus, und simulierte, was ich mir so eigentlich verlangen sollte, ein Husaren-Regiment, oder eine zuckerübergossene Mandeltorte – da schoß mit einemmale die Erinnerung an den Eckpfeiler mit den insinnanten Bratengerüchen durch den Kopf – es mußte wohl eine Eingebung des Himmels sein, »Koch will ich werden in dem großen Palast,« rief ich aus, »dort kann ich mir alle Tage meine Torzen allein backen. Ja, dabei bleibt's, Koch in dem großen Steinhause, wo der Eckstein steht und der Tambour mit den hurtigen Ellenbogen.« – Der Herr mit den Silbertressen lachte aus vollem Halse, und meinte: »es sei schon gut, er wolle Ihrer Durchlaucht Rapport abstatten,«

Uno so geschah es denn auch. Nachdem ich die Hühnersüppchen- Kur mit Erfolg durchgemacht, wurde ich in der herzoglichen Küche angestellt, und wenn auch nicht gleich als Ober-Mundkoch, doch wenigstens als Küchenjunge, bekam eine weiße Zipfelmütze und dito Schürze, rumorte unter den kupfernen Kesseln und Kasserollen wie beiessen, und nahm bei allen dem Vor- und Nachkosten an körperlichem Leibesumfang nicht wenig zu. Lernte auch allerlei Cremes- und Saucenkunststückchen und nebenher perfekt Französisch, indem ich die Namen der Gerichte dem Oberkoch nachsprach, und mir absonderliche Mühe gab, scharf durch die Nase zu schnarren und die Lippen wie zum Pfeifen zu spitzen.

Das glückselige Leben währte vier volle Jahre und würde vielleicht noch bis auf den heutigen Tag währen, wenn ich mir nicht einmal in der Zerstreuung hätte beikommen lassen, ein elendes Schock Kirschen zu verspeisen. Es hätte kein Hahn danach gekräht, wenn's auch ein ganzer Scheffel gewesen, im Juli nämlich – so aber war's zufällig um Neujahr herum. Wer kann aber den Kalender auch immer im Kopf haben! Obwohl die Kirschen ursprünglich für den allerhöchsteigenen Mund der Frau Herzogin bestimmt waren, so schmeckten sie doch herzlich sauer – hatten für mich aber, einen noch sauern Nachgeschmack, denn der Oberkoch erhob ein Halloh, als ob ich Reichsapfel, Szepter und Krone verschluckt hätte, und jagte mich ohne viel Federlesens aus der hochfürstlichen Küche.


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