Ludwig Fulda
Das Wundermittel
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug

Empfangszimmer bei Professor von Schellander.

In der Mittelwand zwei hohe, mit Vorhängen versehene Fenster. In der rechten Seitenwand hinten die Eingangstür, in der linken Seitenwand zwei Türen, die hintere zum Sprechzimmer, die vordere zu den Wohnräumen führend. Das geräumige Zimmer ist vornehm und wohnlich eingerichtet. Links ein runder Tisch, worauf Bücher, illustrierte Werke und Zeitschriften ausliegen, um ihn herum zahlreiche bequeme Sitzgelegenheiten. Ein kleinerer Tisch mit Wasserflasche, Gläsern und Feuerzeug zwischen den Fenstern. Ganz rechts, ziemlich im Vordergrund, Schreibtisch mit Telephon, Schreibmaschine, Geschäftsbüchern und Papieren. An den Wänden schöngerahmte Oelbilder. Kronleuchter für elektrisches Licht.

Erster Auftritt

(In der zufälligen Gruppierung wartender Patienten sitzen links) eine ältere Dame (die ein illustriertes Werk betrachtet), eine jüngere Dame (die bald in einer Zeitschrift blättert, bald lorgnettiert), ein weißhaariger Herr (der eingenickt ist), ein magerer Herr (der deutliche Zeichen von Ungeduld gibt), ein dicker Herr (in eine Zeitung vertieft, auf deren dem Publikum zugewandter Rückseite sich ein ganzseitiges Inserat befindet, mit der lesbaren Riesenüberschrift »Mirakulin heilt alles«. – Rechts am Schreibtisch sitzt Erika und tippt eifrig auf der Schreibmaschine. Eine kleine Weile nach Aufgehen des Vorhangs tritt aus der Tür links hinten) ein bartloser 45 Herr. (Hinter ihm erscheint für einen Augenblick auf der Schwelle der Diener) Georg

Der bartlose Herr (ein stämmiger, rotwangiger Mann, Mitte der Dreißig, beim Hereinkommen tief aufatmend). Ah! (Er geht auf Erika zu.)

Georg (zum Eintritt in das Sprechzimmer auffordernd). Bitte. (Er verschwindet wieder.)

Der magere Herr (den weißhaarigen leicht stupfend). Sie sind dran.

Der weißhaarige Herr (auffahrend). Wie? Ach so. Danke.

Der magere Herr. Wird's bei Ihnen auch so lang' dauern wie bei dem da? (Auf den Bartlosen deutend.)

Der weißhaarige Herr. Hoffentlich nicht. (Er geht ab links hinten.)

Der bartlose Herr (zu Erika). Fräulein, kann ich hier schnell mal telephonieren?

Erika (hat zu tippen aufgehört). Gewiß.

Der bartlose Herr (nimmt den Hörer ab, spricht in den Apparat). Kurfürst 9840. (Zu Erika.) Ich habe nämlich meiner Frau versprochen . . . (In den Apparat.) Emma – bist du es? – Gott sei Dank, du kannst ganz beruhigt sein. Der Professor hat alle meine Organe eingehend untersucht . . .

Der magere Herr (knurrend). Wozu müssen denn wir das wissen!

Der bartlose Herr. Die Erscheinungen haben nichts zu bedeuten. Ich bin vollständig gesund. Wenn eine Autorität wie Schellander das versichert, dann . . . Ja, ich komme nach Hause. Sofort. (Er hängt ein und will abgehen.)

Erika (ihm nachrufend). Das Honorar, wenn ich bitten dürfte.

Der bartlose Herr (umkehrend). Ah, richtig. 46

Erika. Konsultationen in der Sprechstunde werden bar bezahlt.

Der bartlose Herr. Ich weiß.

Erika. Dreißig Mark.

Der bartlose Herr. Ich hatt' es nur vor lauter Freude vergessen. (Er zahlt.) Ich bin ja wie erlöst. (Ab rechts.)

Der magere Herr (hat wiederholt auf die Uhr gesehen). Zum Verrücktwerden.

Der weißhaarige Herr (kommt von links hinten, zahlt bei Erika, geht dann ab rechts).

Georg (ist hinter ihm erschienen). Bitte.

Der magere Herr (aufspringend). Endlich! (Er eilt zur Tür links hinten.)

Die jüngere Dame (ist a tempo aufgestanden und prallt mit ihm an der Tür zusammen). Verzeihen Sie, ich war vor Ihnen da.

Der magere Herr. Sie irren. Ich warte hier seit zwei Stunden.

Die jüngere Dame. Ich seit zweieinviertel.

Der magere Herr. Mumpitz.

Die jüngere Dame (wegwerfend). Sie sind äußerst galant.

Der magere Herr. Bei dem Reißen, das ich habe, hört die Galanterie auf.

Georg (erscheint wieder; mahnend). Der Herr Professor läßt bitten . . .

Die jüngere Dame (zu Erika). Fräulein, Sie sind meine Zeugin . . .

Erika (zu dem mageren Herrn). Es stimmt. Die Dame kam früher als Sie.

Die jüngere Dame (rauscht mit einem Blick voll unsäglicher Verachtung an ihm vorbei; ab links hinten).

Der magere Herr (geht aufgeregt zu Erika). Sagen Sie 47 mal, Fräulein, wie früh muß man eigentlich hier kommen? Ich war dreiviertel Stunden vor Beginn der Sprechstunde hier am Platz. Geschlagene dreiviertel Stunden. Wann muß man hier kommen, um nicht vor endlosem Warten alle Zustände zu kriegen, die man nicht ohnehin schon hat?

Erika. Bedaure sehr. Es geht genau der Reihe nach. Sie waren heute . . . (sie zählt in ihrem Buch) Nummer 53. Bei dem großen Andrang müssen die Herrschaften sich eben gedulden.

Der magere Herr. Gedulden! Ich bin ein Muster von Geduld. Ich lasse auf mir 'rumtanzen. Aber, Fräulein, sagen Sie mal . . .

(Läuten des Telephons.)

Erika. Um Vergebung. (Sie nimmt den Hörer, spricht in den Apparat.) Hier bei Professor von Schellander. – Leider unmöglich. – Wollen Sie Seiner Exzellenz bestellen, der Herr Professor ist für heute bis in die späte Nacht besetzt. Ich merke vor für morgen. (Sie hängt ein.)

Der magere Herr. Sagen Sie mal ehrlich, Fräulein, was würden Sie an meiner Stelle tun, wenn Sie als Patient hier sitzen müßten, bis Sie schimmlig werden, während in Ihrem Kontor womöglich alles drunter und drüber geht?

Erika. Ich würde mich an einen weniger gesuchten Arzt wenden.

Der magere Herr (knurrt etwas unverständliches, setzt sich an seinen alten Platz, zieht eine Zeitung hervor, die auf ihrer Rückseite ebenfalls das große Mirakulin-Inserat enthält, und überfliegt sie nervös).

Die ältere Dame (zu dem dicken Herrn, halblaut). Ein gräßlicher Mensch.

Der dicke Herr (über seine Zeitung weg, halblaut). Pack. 48

Die ältere Dame. Als müßte man nicht seinen Schöpfer preisen, daß es überhaupt einen Arzt gibt wie Schellander.

Der dicke Herr. Hexen kann er ebensowenig wie die andern.

Die ältere Dame. Ich schwöre auf ihn wie aufs Evangelium.

Der dicke Herr. Das tun die Damen alle.

Die jüngere Dame (kommt von links hinten, zahlt bei Erika, geht ab rechts).

Georg (wie oben). Bitte.

Der magere Herr (schnellt auf, seine Zeitung auf den Tisch werfend; zu Georg). Sie sind 'n Engel. (Er eilt ab links hinten.)

Die ältere Dame (die Zeitung aufgreifend, mit Bezug auf das Inserat). Wohin man den Blick wendet – Mirakulin.

Der dicke Herr (ihr seine Zeitung zeigend). Wohin man ihn nicht wendet, ebenfalls.

Erika (die inzwischen Buch geführt hat, spitzt die Ohren).

Die ältere Dame. Man wird von den Anpreisungen förmlich verfolgt: auf allen Anschlagsäulen, in allen Straßenbahnen, auf Düten, Aschbechern, Papierservietten, Fahrscheinen, in jedem Katalog, jedem Programm.

Der dicke Herr. Ja, es wird 'ne Mordsreklame dafür gemacht.

Die ältere Dame. Drum will man sich doch schließlich informieren, ob was dran ist.

Der dicke Herr (zieht eine Glasröhre aus der Tasche). Gefällig?

Die ältere Dame. Was ist das?

Der dicke Herr. Mirakulintabletten.

Die ältere Dame. Danke. Ich nehme grundsätzlich nichts ein ohne ärztliche Vorschrift. 49

Der dicke Herr. Das können Sie nehmen, auf meine Verantwortung. Hilft ebenso prompt wie sicher.

Die ältere Dame. Wirklich gegen alles, wie in den Anzeigen behauptet wird?

Der dicke Herr (auf die Zeitung deutend). Die vielen Anerkennungsschreiben von Geheilten kann sich der Mann doch nicht aus den Fingern saugen.

Die ältere Dame. Immerhin, ich will erst vom Professor hören, was er davon hält.

Der dicke Herr. Wegen so was konsultier' ich keinen Arzt. Die ärgern sich ja nur, wenn was erfunden wird, was sie entbehrlich macht.

Die ältere Dame (pikiert). Wollen Sie damit ihm die unerschütterliche Sachlichkeit absprechen? Ihm?

Der dicke Herr. Ich werde mich hüten.

Der magere Herr (kommt von links hinten, geht zu Erika, verhandelt mit ihr).

Georg (wie oben). Bitte.

Der dicke Herr (ist aufgestanden, geht ab links hinten).

Der magere Herr (zahlend, zu Erika). Dreißig Mark für fünf Minuten Audienz. Das Geschäft von dem Professor möcht' ich haben. (Ab rechts.)

Die ältere Dame (zu Erika). Unglaublich, mit was für Leuten man hier zusammentrifft.

Erika. Wir können sie uns nicht aussuchen.

Die ältere Dame. Ich beneide Sie, Fräulein.

Erika. Mich?

Die ältere Dame. Daß Sie immer um ihn sein können. Wie ist er denn so im Privatverkehr?

Erika. Ich habe keinen Privatverkehr mit ihm. 50

Zweiter Auftritt

Erika. Die ältere Dame. Zinkendraht (von rechts)

Zinkendraht. 'tag.

Erika. Sie wünschen?

Zinkendraht (sich aus seinem Halstuch wickelnd). Zum Professor.

Erika (erkennt ihn). Ach, der Herr Zinkendraht!

Zinkendraht (erstaunt). Kennen mich? – Ja so, erinnere mich. Sind befreundet mit dem Erfinder.

Erika. Mit Ihrem Erfinder. Aber Sie kommen zu spät.

Der dicke Herr (kommt von links hinten, zahlt bei Erika, geht ab rechts).

Georg (wie oben). Bitte.

Die ältere Dame (erhebt sich und geht ab links hinten).

Zinkendraht. Ist doch noch Sprechstunde.

Erika. Nein, Schluß.

Zinkendraht. Mich können Sie schon noch mit durchrutschen lassen.

Erika. Geht nicht. Die Zeit des Herrn Professor ist streng eingeteilt. Ich darf jetzt keine neuen Patienten mehr annehmen.

Zinkendraht. Unter uns, bin gar kein Patient.

Erika. Dann um so weniger.

Zinkendraht. Will bloß ein Momentchen Gehör. Werden sich denken können, weswegen.

Erika. Allerdings kann ich es mir denken, Herr Zinkendraht.

Zinkendraht (zwinkernd). Werden mich drum schon 'reinbugsieren – Ihrem Freund zulieb.

Erika. Ich wüßte nicht, was der damit zu schaffen hat. 51

Zinkendraht (wieder zwinkernd). Handelt sich doch um seine Erfindung.

Erika. Die längst Ihnen gehört.

Zinkendraht. Aber sein Renommee . . .

Erika. Ihr Portemonnaie, wollen Sie sagen.

Zinkendraht (leiser). Werde mich erkenntlich zeigen. Hab' Ihnen da 'nen kleinen Scheck mitgebracht. (Er zieht ihn hervor.)

Erika. Stecken Sie ihn weg, Ihren Scheck. (Da er zögert:) Verstanden?

Dritter Auftritt

Erika. Zinkendraht. (Von links hinten kommt) die ältere Dame, (von) Schellander (herausbegleitet. Hinter ihnen tritt) Georg (ein)

Schellander (Anfang der Vierzig, vornehme, stattliche Erscheinung mit schönem, ein wenig stilisiertem Kopf und gepflegtem Vollbart. Sein Wesen zeigt die Selbstsicherheit des umworbenen und die Hast des Vielbeschäftigten, bei rascher, präziser Sprechweise. Im Eintreten, zu der älteren Dame). Schwindel, wiederhol' ich Ihnen. (Zu Georg.) Auto soll vorfahren. (Georg geht ab rechts. – Zur älteren Dame.) Mirakulin ist Schwindel.

Die ältere Dame (mit Augenaufschlag). Tausend Dank, verehrter Herr Professor. (Sie geht zu Erika, zahlt; dann ab rechts.)

Zinkendraht (hat sich inzwischen herangepirscht). 'tag, Herr Professor.

Schellander. Ah, sieh doch; ein treuer Kunde.

Erika. Ich habe dem Herrn mehrmals gesagt, daß die Sprechstunde vorüber ist.

Schellander. Für Heilmittelfabrikanten bin ich überhaupt nicht zu sprechen, grundsätzlich nicht.

Zinkendraht. Komme doch als Patient. 52

Schellander. Patient mit dem Dolch im Gewande. Den alten Trick dürften Sie nachgerade ad acta legen.

Zinkendraht (eine Schachtel hervorziehend). Möchten Herr Professor nicht wenigstens mal 'nen Versuch machen mit dem Mirakulin?

Schellander. Aha, der Dolch.

Zinkendraht (zieht Briefschaften hervor). Hier sind zahlreiche Atteste Ihrer Herrn Kollegen.

Schellander. Wenn meine Kollegen sich von Ihnen düpieren lassen, so ist das ihre Sache.

Zinkendraht. Mein Ehrenwort, es ist ein Wundermittel. Mein heiliges Ehrenwort.

Schellander. Dann kurieren Sie erst mal damit Ihre chronische Heiserkeit.

Zinkendraht. Grad im Begriff. Das Mittel nützt mir ganz kolossal.

Schellander (Gebärde des Geldzählens). Ihnen ja, das glaub' ich. Aber Ihnen ausschließlich.

Zinkendraht. So wahr ich auf diesem Fleck stehe . . .

Schellander. So höflich ersuch' ich Sie, sich an einen andern Fleck zu begeben.

Zinkendraht. Werden sich noch überzeugen, ob wollen oder nicht. Tatsachen beweisen. Mirakulin heilt alles. 'tag. (Ab rechts.)

Vierter Auftritt

Schellander. Erika. (Später) Julie

Erika. Mir leid, Herr Professor, daß der Mensch Sie belästigen konnte.

Schellander. Nicht Ihre Schuld, liebes Fräulein. Sie tun jederzeit, was Sie können.

Erika (ihm einen Stoß Briefe hinhaltend). Hier die Briefe zur Unterschrift. 53

Schellander (während er stehend einen nach dem andern unterschreibt). Aber die Sorte hab' ich auf dem Strich. Ein wahrer Krebsschaden, die Bande. Posaunengeschmetter, bis zu guter Letzt sogar die Gewitzten für Offenbarung halten, was ihnen Tag ein Tag aus in die Ohren gellt. Jetzt wieder dieser Mirakulinrummel. Dutzende von Patienten, denen ich täglich vorpredigen muß, sie sollen ihr Geld nicht zum Fenster hinauswerfen.

Erika. Dann wird der Rummel gewiß bald aufhören.

Schellander. Da unterschätzen Sie die Leichtgläubigkeit, Fräulein Götz. Manchmal kommt mir's, weiß Gott, so vor, als wär' ich der einzige Mensch, der sich kein X für ein U machen läßt. Weder als Arzt noch als Kunstsammler. Ist ja in der Kunst genau dieselbe Geschichte. Was heutzutage alles für Malerei ausgegeben wird – haarsträubend. Aber Publikus läßt sich's aufschwatzen, und selbst wer's im stillen Herzen schauderhaft findet, steht mit andachtsvoller Miene davor, bloß um zu zeigen, daß er auf der Höhe ist. Ich halt' es direkt für Berufspflicht, mal diesem ganzen Krankheitskomplex energisch zu Leibe zu gehn – unter Ihrer gütigen Mitwirkung.

Erika. Die brauchen Sie doch nicht dazu, Herr Professor.

Schellander (auf die Schreibmaschine schlagend). Hier das Geschütz, zu dem ich Ihnen die Munition liefern will; einen geharnischten Artikel zur Diagnose der ansteckendsten aller Seuchen, der Massensuggestion.

Julie (prätentiöse Dame Mitte der Dreißig, mit der argwöhnischen Gereiztheit der vernachlässigten Frau, kommt von links vorn). Eduard!

Schellander. Ja, was gibt's? 54

Julie. Die Gräfin Rubinowska hat sich zum Tee angesagt. Willst du nicht mittrinken?

Schellander. Wo denkst du hin? Mein Auto steht vor der Tür. Ich habe hier nur noch Geschäftliches zu erledigen; sonst wär' ich schon auf der Rundfahrt.

Julie. Ein halbes Stündchen könntest du wohl hie und da für den häuslichen Herd erübrigen.

Schellander. Wenn ich ein halbes Stündchen erübrigen könnte, würd' ich mich jetzt hinlegen. Denn mir zerspringt bald der Kopf.

Julie (spitz). Du überanstrengst dich, du Vielbegehrter.

Schellander. Die Tretmühle. Da hilft nichts.

Julie. Nun, dann will ich dich bei der Erledigung des Geschäftlichen nicht aufhalten. (Ab links vorn.)

Erika (hält ihm nach einer kleinen Verlegenheitspause ein Blatt hin). Es ist eine recht lange Besuchsliste heut.

Schellander (nimmt das Blatt an sich, schaut hinein). Wie ich die abhaspeln soll bei der Migräne – mir rätselhaft.

Erika. Ihre Frau Gemahlin hat Recht, Herr Professor. Sie muten sich zu viel zu.

Schellander. Pah, wenn ich jeder kleinen Indisposition nachgeben wollte . . .

Erika. Sie sollten mal sich selbst konsultieren.

Schellander. Der alte Fluch des Metiers, Fräulein Götz. Wir Aerzte können jedem andern leichter helfen als uns selber.

Erika. Gibt es denn gegen solche Zustände kein wirksames Rezept?

Schellander. Doch. Dutzende. Aber meine Natur reagiert nicht darauf.

Erika. Oder irgend eine Auffrischung?

Schellander (sie ansehend). Das wäre schon eher was.

(Läuten des Telephons.)

Erika (spricht in den Apparat). Ja. Wer dort? 55

Schellander (leise). Ich bin nicht mehr da. Ich bin grad weggefahren.

Erika (in den Apparat). Der Herr Professor ist schon unterwegs. (Sie hängt ein.)

Georg (von rechts, mit einer Visitenkarte). Der Herr läßt fragen . . .

Schellander. Ich bin weggefahren.

Georg. Er sagt, er habe sich angemeldet.

Schellander (liest die Karte). Marschall. Ganz recht, ich vergaß. Den will ich noch geschwind empfangen.

Georg (geht ab und läßt Marschall eintreten.)

Erika (nimmt Geschäftsbücher vor, macht sich an die Arbeit).

Fünfter Auftritt

Schellander. Erika. Marschall (von rechts)

Marschall. Wie geht's, Verehrtester?

Schellander. Ich bin sehr in Eile, lieber Freund . . .

Marschall (bemerkt Erika. Ueberrascht, halblaut). Oh – die ist jetzt bei Ihnen?

Schellander (halblaut). Meine Sekretärin. Sind Sie mit ihr bekannt?

Marschall. Ganz flüchtig. (Er versucht sie zu grüßen, ohne daß sie von ihm Notiz nimmt. Zu Schellander.) Reizend.

Schellander. Kennt nur ihre Arbeit.

Marschall (mit frivolem Lächeln). Zweifle nicht.

Schellander. Was führt Sie zu mir?

Marschall. Da Sie meinen Salon meiden, trotz der Nachbarschaft . . .

Schellander. Mangel an Zeit, nicht an Interesse.

Marschall. Und mich baten, Sie auf Neuheiten aufmerksam zu machen, für die Sie Liebhaber sind . . .

Schellander. Haben Sie was für mich?

Marschall. Ich vermute. Ein Bild, das viel 56 Staub aufwirbelt und hitzige Debatten erzeugt, von einem noch jungen, aber wie mir scheint, ungewöhnlich verheißungsvollen Künstler.

Schellander. Wenn Ihnen das scheint, ist er so gut wie gemacht.

Marschall. Ich bringe bekanntlich nichts auf den Markt, wofür ich nicht voll eintreten kann.

Schellander. Wie heißt der Mann?

Marschall. Sie haben den Namen sicher schon gehört. Donald.

Erika (spitzt die Ohren).

Schellander. Ist das nicht einer von Ihren Ultras?

Marschall. Ein Moderner. Ein Eigener. Aber ein Feinschmecker wie Sie geht ja nicht nach Kategorien und Etiketten.

Schellander. Sie kennen, dächt' ich, mein Prinzip, kein Bild zu kaufen, bevor ich's eine Weile in meiner Wohnung gehabt und in verschiedenen Stimmungen auf mich habe wirken lassen.

Marschall. Eben deshalb hab' ich's Ihnen mitgebracht.

Schellander. Dann zeigen Sie's her. Fix.

Marschall (geht zur Tür rechts, öffnet sie, ruft etwas hinaus.)

Ein Dienstmann (tritt von rechts ein, trägt ein Bild, eingeschlagen in Packpapier, worauf in gewaltigen Lettern »Mirakulin« gedruckt steht).

Marschall (zeigt auf einen Sessel links). Stellen Sie's hier ab.

Der Dienstmann (stellt es aufrecht gegen die Lehne des Sessels; dann ab rechts).

Schellander (sieht, während Marschall das Papier entfernt, die Inschrift, deutet darauf). Was? Auch Sie im Dienste der Heilmittelindustrie? 57

Marschall. Bewahre. Einwickelpapier, das mir gratis geliefert wird.

Schellander. Um die Menschheit einzuwickeln.

Marschall. Uebrigens, Mirakulin ist kein leerer Wahn. Ich nehm' es dreimal täglich.

Schellander. Wohl bekomm's.

Marschall (hat die Leinwand aus dem ersten Aufzug zum Vorschein gebracht, die jetzt einen stilvoll modernen Rahmen aufweist). So. Hier.

Schellander (betrachtet das Bild). Scheußlich!

Marschall. Urteilen Sie nicht zu rasch.

Schellander. Nichts für ungut, lieber Marschall, das ist 'ne starke Zumutung.

Marschall. In alles Neue und Kühne muß man sich langsam hineinfinden.

Schellander. Von so etwas glauben Sie, daß ich es kaufen, daß ich's in mein Zimmer hängen werde?! Ich, der geschworene Feind aller spekulativen Uebergeschnapptheit?

Marschall. Heut ist es noch für eine Bagatelle zu haben. Dreitausend Mark.

Schellander. Nicht geschenkt!

Marschall. In ein paar Jahren wird es das Fünf- bis Zehnfache wert sein.

Schellander. Wollen Sie mir nicht freundlichst verraten, was dieses absurde Geklex bedeuten soll?

Marschall. Nichts Konkretes. Der Künstler nennt es bezeichnenderweise »Delirium«.

Schellander. Höchst bezeichnenderweise!

Marschall. Er preßt darin intensiv zusammen, was in einem äußerst erregten Gehirnzustand, im Moment ekstatischen Rausches seinem inneren Auge sich spiegelt.

Schellander. Fauler Zauber. 58

Marschall. Dadurch tut er den entscheidenden Schritt über die bisherige Kunst hinaus. Hauptstadien: die alte Malerei, die sich mit dem Abdruck der Natur begnügte, sozusagen Repressionismus. Dann gab der Impressionismus den Eindruck, der Expressionismus den Ausdruck. Und hier haben wir in einem ersten glücklichen Wurf den Kompressionismus.

Schellander. Also den Albdruck.

Marschall (achselzuckend). Ich wollte Ihnen freundschaftshalber die Vorhand lassen. Aber wenn Sie nicht darauf reflektieren . . . (Er schickt sich an, das Bild wieder einzupacken.)

Schellander. Lassen Sie mir das Kuriosum bis morgen da. Ich möchte sehen, was meine Frau für ein Gesicht dazu macht.

Marschall. Wie Sie wünschen. (Er geht mit einem begehrlichen Blick auf Erika nach hinten.) ^

Schellander (ihn zur Tür begleitend). Diener.

Marschall. Wiedersehen. (Ab rechts.)

Sechster Auftritt

Schellander. Erika

Schellander. Kommen Sie mal her, Fräulein Götz. Schauen Sie sich das an und sagen Sie mir, ob es je einen dreisteren Bauernfang gegeben hat.

Erika (sitzen bleibend). Ich verstehe nicht genug von Bildern.

Schellander. Verstehn! Als wäre für die Kunst das gesunde Empfinden nicht allemal die Hauptsache. Kommen Sie doch mal her.

Erika. Nein, Herr Professor, ich habe hier nur ein Amt und keine Meinung.

Schellander. So fassen Sie Ihren Posten auf? 59 Ist's möglich? Ein halbes Jahr sind Sie jetzt bei mir und spüren immer noch nicht, daß Sie für mich keine gewöhnliche Angestellte sind?

Erika. Ich will gar nichts Anderes sein, Herr Professor.

Schellander. Hab' ich es an Beweisen meiner Zufriedenheit, meiner Anerkennung fehlen lassen? Oder sind Sie vielleicht nicht zufrieden mit mir?

Erika. Sehr! Ich habe mich noch in keiner Stelle so sicher gefühlt.

Schellander. Nur sicher? Ich hoffte zu hören, daß Sie sich bei mir wohl fühlen, daß Sie . . .

Erika (ablenkend). Ich habe noch eine Menge zu tun. (Sie blättert in Schriftstücken.)

Schellander. Ich erst recht. Ich muß fort. Aber fünf Minuten können wir für einander schon noch dreingeben. Nicht?

Erika. Eine ganze Menge hab' ich zu tun. (Sie beginnt auf der Schreibmaschine zu arbeiten.)

Schellander. Hören Sie auf mit dem gräßlichen Geklapper!

Erika (fortfahrend). Es ist Ihre Korrespondenz.

Schellander. Hören Sie auf, ich bitte Sie. (Sie hält inne.) Ich muß es Ihnen endlich aussprechen, daß Sie mir eine Freundin geworden sind. Und warum? Weil Sie ganz anders sind als alle andern, weil Sie über Ihrem Geschlechte stehen – turmhoch. Sie sind das erste weibliche Wesen, das mir wahren Respekt abnötigt, wahres Vertrauen . . .

Erika (bestürzt). Ach du grundgütiger Himmel!

Schellander. Wie?

Erika. Das hätt' ich nicht erwartet. Von Ihnen nicht. 60

Schellander. Hab' ich denn was Unrechtes gesagt?

Erika. Nein, aber Sie werden's gleich sagen.

Schellander. Zweifeln Sie, daß ich's ehrlich meine?

Erika. Zu ehrlich meinen Sie's.

Schellander. Das heißt, Sie schlagen meine Freundschaft aus?

Erika. Wenn ich Ihre Angestellte bleiben soll, wie ich's gern möchte, dann, Herr Professor, müssen Sie Ihre Freundinnen anderswo suchen.

Schellander. Fräulein Götz, wär' es für ein freies unabhängiges Mädchen wie Sie denn gar so schrecklich, einen Freund zu haben? Oder . . .

Erika. »Oder haben Sie schon einen?« So wollten Sie fragen.

Schellander. Dacht' ich mir's doch! Sie sind verlobt.

Erika. Das nicht. Aber ich habe zwei große Jungens.

Schellander. Was haben Sie?

Erika. Meine Jugendkameraden. Und von Kindheit an nenn' ich sie meine zwei Bräutigams.

Schellander. Zwei – das ist weniger als einer.

Erika. Oder auch mehr. Denn ich hänge an beiden.

Schellander. Hm, das schließt aber doch nicht aus . . .

Siebenter Auftritt

Vorige. Julie

Julie (von links vorn). Eduard, du bist noch hier?!

Schellander. Wie du siehst, Julie.

Julie. Und strafst mich vor der Gräfin Lügen. Vorhin erfährt sie von mir, daß du schleunigst fahren mußt, und wie wir eben zufällig aus dem Fenster sehen, steht unten noch ganz gemütlich dein Auto!

Schellander. Ich wurde aufgehalten.

Julie (mit einem Blick auf Erika). Es scheint so. 61

Erika (ist aufgestanden). Benötigen Herr Professor mich gegenwärtig noch?

Schellander. Lassen Sie sich nur Ihren Kaffee geben, Fräulein.

Erika (ab rechts).

Achter Auftritt

Schellander. Julie

Julie (geladen). Eduard, ich bin zwar von dir an manches gewöhnt . . .

Schellander. Ich wurde aufgehalten durch Marschall.

Julie. Aber in meinem eigenen Haus zur lächerlichen Figur gemacht zu werden . . .

Schellander. Eine Eifersuchtsszene? Liebes Kind, dazu hab' ich faktisch keine Zeit.

Julie. Freilich, zu nichts. Nur um mit dieser Person zu techteln, dazu hast du Zeit im Ueberfluß.

Schellander. Weder techtele ich mit ihr, noch ist sie eine Person.

Julie. Als hätt' ich das nicht vorausgesehen am Tag, wo sie kam. Du mußtest ja wieder ausgerechnet die Hübscheste engagieren.

Schellander. Ich habe sie engagiert, weil sie die Tüchtigste ist.

Julie. Ein Vorwand, der sich würdig an deine Kopfschmerzen reiht.

Schellander. Ich wünsche sie dir nicht.

Julie. Und während du dich deinen neuen Flammen widmest, muß ich obendrein die abgetanen zum Tee empfangen.

Schellander. Du siehst in jeder Dame, die ich mal behandelt habe, 'ne Geliebte von mir. 62

Julie. Wird auch annähernd stimmen.

Schellander (auf die Uhr sehend). Sei nicht bös. Höchste Eisenbahn.

Julie. Jetzt mußt du zum mindesten die Gräfin noch begrüßen.

Schellander. Gut. Ruf sie schnell 'rein. Sie soll sich das Bild hier ansehen.

Julie (ab links vorn).

Neunter Auftritt

Schellander. (Gleich darauf) Julie, Gräfin Rubinowska

Schellander (stellt sich vor das Bild, schüttelt den Kopf). Himmelschreiend.

Gräfin (kommt mit Julie von links vorn. Ekstatische, überlebhafte Hysterika, Anfang der Dreißig, mit den Allüren der reichen Weltdame und leicht polnischem Akzent. Sie rauscht auf Schellander zu). Teuerster, ich bin glücklich, Sie noch erwischt zu haben.

Schellander (ihr die Hand küssend). Wie geht's, Gräfin? Aber man braucht nicht zu fragen. Blühend wie eine Mairose.

Gräfin. In der Tat, ich fühle mich frischer als je.

Schellander. Woran ich mir wohl ein bescheidenes Verdienst beimessen darf.

Gräfin. O ja, Ihre Behandlung hat mir sehr wohlgetan. Damals. Aber jetzigen wonnigen Aufschwung meines Befindens verdank' ich einem Jungbrunnen, einem Lebenselixir. O mein Freund, was sind alle Kuren, alle Bäder, alle Arzneien gegen Mirakulin!

Schellander. Potztausend! Sie auch von der Seuche ergriffen!

Gräfin. Bitte, kein skeptisches Wort darüber, wenn Sie es nicht mit mir verschütten wollen. Ahnen Sie 63 denn die Wirkung, die es auf mich hat? Mir wird danach so leicht, so überirdisch, als müßt' ich tanzen, fliegen, als wäre ganze Welt ein Symphoniekonzert. Oh, dem Wohltäter, der das erfunden hat, möcht' ich Hände küssen.

Schellander. Wer hat dieses Nonplusultra Ihnen denn empfohlen?

Gräfin. Der Geist meines seligen Mannes.

Schellander. Immer noch Spiritistin?

Gräfin. Oh, Sie Ungläubiger werden mir Verkehr mit meinem seligen Stanislaus nicht verleiden. Keinen Finger rühre ich ohne seine Zustimmung, und als ich ihn nach Mirakulin befragte, da hat er dreimal laut geklopft.

Schellander. Dann bestellen Sie, bitte, Ihrem seligen Stanislaus, daß ich, ein nicht ganz unbekannter Arzt, dieses Mittel für groben Unfug halte.

Gräfin. Nicht weiter, oder wir verzürnen uns.

Schellander. Und mag die Zahl der Betörten ins Uferlose wachsen, in mein Haus jedenfalls kommt das Zeug nicht.

Julie (ruhig). Es ist schon in deinem Haus.

Schellander (starr). Was?

Julie (zieht eine Glasröhre hervor). Hier.

Schellander. Da hört verschiedenes auf!

Julie. Ich brauch' es für meine Nerven, mit dem besten Erfolg.

Schellander. Du, meine Frau – du brauchst schwindelhafte Mittel hinter meinem Rücken?!

Julie. Ich kenne ja dein Vorurteil.

Schellander. Sei so freundlich und gib's her. Gib's augenblicklich her. (Er nimmt ihr die Röhre ab.)

Julie (leise, zur Gräfin). Ich besorge mir neues. 64

Schellander (die Röhre in die Tasche steckend). Da wollen wir denn doch einen Riegel vorschieben.

Gräfin. Nichts mehr davon! Aber Sie wollten mir ja ein Bild zeigen.

Schellander. Da, sehen Sie. Und du auch, Julie. Die allerneueste Kunst.

Gräfin (das Bild betrachtend, enthusiastisch). Herrlich! Köstlich!

Schellander (verblüfft). Es gefällt Ihnen?

Gräfin. Schlau von Ihnen, daß Sie das gekauft haben. Gratuliere von Herzen.

Schellander. Ich hab' es nicht gekauft und werd' es nicht kaufen.

Gräfin. Dann kaufe ich es.

Schellander. Ist das Ihr Ernst?

Gräfin. Es hat mich schon bestrickt, als ich's im Salon Marschall sah. Heut aber reißt es mich geradezu hin.

Schellander. So erklären Sie mir um alles in der Welt, was Sie daran schön finden.

Gräfin. Das Unerklärliche darin. Das unwiderstehlich Draufgängerische. (Schauernd). Ah, das geht durch Mark und Bein. Das prickelt und streichelt zugleich. Das ist wie gemaltes Morphium. Oh, ich möchte dem Künstler Hände küssen.

Schellander. Sie sind eine Schwärmerin. Aber du, Julie – was sagst du dazu?

Julie. Ist dies nicht das Bild, über das kürzlich ein Hymnus in der Zeitung stand?

Schellander. Ich will deine Ansicht wissen.

Julie. Fraglos was ganz Exzeptionelles.

Schellander (faßt sich an den Kopf). Bin ich verrückt? Oder sind es alle übrigen? 65

Gräfin. Sie sind nur – verzeihen Sie, Teuerster – ein wenig hinter Ihrer Zeit im Rückstand sind Sie.

Schellander. Sehr wahr bemerkt. Ich muß ihn schleunigst einholen. Empfehle mich! (Er will gehen.)

Georg (tritt ihm von rechts entgegen). Der Herr Marschall ist wieder da, mit einem anderen Herrn . . .

Schellander. Was will er denn schon wieder?

Georg. Herrn Professor noch 'ne Minute sprechen, sagt er.

Schellander. 'ne halbe höchstens! Herein mit ihm.

Georg (geht ab rechts und läßt Marschall und Dr. Tuck eintreten).

Zehnter Auftritt

Vorige. Marschall, Dr. Tuck (von rechts)

Marschall. Vergebung. Ein unvorhergesehener Zwischenfall zwingt mich, Sie nochmals zu stören. (Sich verbeugend.) Meine Damen. (Begrüßung.)

Schellander (ungeduldig). Was ist los?

Marschall (vorstellend). Herr Dr. Tuck, dessen Bücher über neue Kunst Sie wahrscheinlich kennen. Da er nur heut hier anwesend ist, legte er großen Wert darauf, den Donald besichtigen zu können.

Schellander (zu Tuck, auf das Bild weisend). Bitte.

Tuck (Ende der Zwanzig, schmächtige Aesthetenfigur mit hoher Gelehrtenstirn). Danke. (Er begibt sich mit wichtiger Amtsmiene zu dem Bild und versinkt in angespannte Betrachtung.)

Marschall. Als hervorragender Spezialfachmann ist nämlich Doktor Tuck vom Fürsten Credenstein berufen worden, seine Privatgalerie nach der modernen Seite hin auszubauen, und hat ihn zu diesem Zweck hierher begleitet.

Gräfin. Der Fürst ist hier? 66

Schellander. Um mich zu konsultieren. Er steht auf meiner Besuchsliste obenan.

Marschall. Und will gleich nach der Konsultation sich in meinen Salon begeben. Deshalb . . .

Tuck (explosiv). Dieses Bild ist ein Durchbruch.

(Alle drehen sich unwillkürlich nach ihm um.)

Gräfin (zu Schellander). Da hören Sie's.

Schellander. Kreuzmillionen!

Tuck (orakelnd). Der Kubismus durch den Triangulismus überwunden, mehr als das, erschlagen. Sensitivsmus in bisher nie erhörter Verästelung. Kniefall vor der gottgewordenen Farbe. Entnatürlichung als Imperatio der Geistnatur. Ich werde Seiner Durchlaucht den Ankauf dieses diktatorischen Werkes aufs dringlichste anraten.

Schellander. Ich falle um.

Marschall (zu Schellander). Vorausgesetzt, daß Sie nicht Hand darauf legen.

Gräfin (leise zu Schellander). So tun Sie's doch.

Julie (ebenso). Kauf's.

Schellander. Ich will ja zugeben, es ist ein gewisser Schmiß darin, ein gewisser Farbenreiz. Aber kaufen – (mit Entschluß) ausgeschlossen.

Marschall. Dann darf ich es wohl sofort abholen lassen.

Schellander. Ich lass' es Ihnen durch meinen Diener hinüberbringen.

Marschall. Sehr freundlich. Wiedersehn.

Tuck. Haben die Ehre. (Marschall und Tuck ab rechts.)

Elfter Auftritt

Schellander. Julie. Gräfin

Julie. Ich verstehe dich nicht, Eduard.

Gräfin. Oh, wie Sie sich das entgehen lassen konnten!

Schellander. Sie doch auch. 67

Gräfin. Nur um es meinem alten Freund Credenstein nicht wegzuschnappen.

Schellander (sieht wieder auf die Uhr). Herrgott, viertel nach fünf.

Julie. Kommen Sie, Gräfin. Unser Tee wartet schon lang' auf uns. (Sie geht mit der Gräfin ab links vorn.)

Schellander. Meine Patienten auf mich noch länger. (Er eilt, ihnen einen Abschiedsgruß nachwinkend, nach rechts.)

Zwölfter Auftritt

Schellander. Georg. (Gleich darauf) Fritz, Klaus. (Dann) Erika

Georg (prallt, von rechts eintretend, mit Schellander zusammen). Herr Professor . . .

Schellander. Georg, tragen Sie dies Bild nach dem Salon Marschall.

Georg (nimmt das Bild, schlägt das Packpapier um dessen Vorderseite). Es sind wieder zwei Herren draußen.

Schellander. Der Teufel soll sie holen!

Georg. Sie wollen Fräulein Götz besuchen.

Schellander. Ach so! Dann führen Sie sie hier herein und rufen Sie das Fräulein.

Georg (mit dem Bild ab rechts).

Schellander (preßt die Hand auf die Stirn, ächzt). Aeh, der Schädel!

Fritz, Klaus (kommen von rechts, verbeugen sich).

Schellander. Treten Sie ungeniert näher, meine Herren. (Er geht zur Tür rechts, aus der ihm Erika entgegentritt. An der Tür, halblaut.) Die zwei Bräutigams?

Erika. Ja.

Schellander (zu Fritz und Klaus),. Tun die Herren ganz, als ob Sie zu Hause wären. (Ab rechts.) 68

Dreizehnter Auftritt

Erika. Fritz. Klaus. (Die beiden sind jetzt gut gekleidet und zeigen ein verändertes Wesen. Fritz ist gedrückt und verdüstert geworden, Klaus flott und sieghaft.)

Erika. Das nenn' ich eine Ueberraschung, ihr Männer. Ihr kommt mich in meinem Dienst besuchen, und noch dazu in euren neuen Sonntagsröcken! Ein wahrer Staat.

Klaus. Kommen wir ungelegen?

Fritz. Hast du Arbeit?

Erika. Die läuft nicht davon.

Klaus. Wir wollten am Haus nicht vorübergehn, ohne einmal nachzuschauen, wie du kampierst.

Erika. Fein, wie ihr seht. Aber was hat euch denn auf die Beine gebracht, zu so ungewohnter Stunde?

Klaus (nachdem er mit Fritz einen Blick gewechselt). Wohnungssuche. Wir haben soeben unweit von hier gemietet.

Erika. Ihr zieht wieder um, trotz dem vorteilhaften Tausch, den ihr erst kürzlich gemacht habt?

Klaus (großtuerisch). Möblierte Bude? Haha, überwundenes Stadium, seit Marschall nicht genug kriegen kann von den Schinken, die ich im Halbschlaf hinstreiche, und mir dafür bietet, was ich mag. Nein, Erika, feudale Sechszimmerwohnung mit Atelier, die ich einrichten lasse nach meinen Entwürfen.

Erika. In einem halben Jahr von Schloß Belvedere bis zur Hochherrschaftlichkeit – das ist ein Tempo!

Fritz (aufseufzend). Ach, Kreatürchen, ich wollte, wir säßen noch dort.

Erika (zu Fritz). Dir jedenfalls ist der Umschwung weniger gut bekommen als ihm.

Klaus. Er spinnt. 69

Erika. Will denn aus deiner Anstellung nichts werden?

Fritz. Ich habe sie in der Tasche.

Erika. Famos!

Fritz. Chefchemiker in der Lautzschen Fabrik vom nächsten April ab.

Erika. Dein sehnlichster Wunsch erfüllt! Und dazu machst du ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter?

Klaus. Er spinnt, sag' ich dir.

Fritz. Ich verdanke sie der Protektion Zinkendrahts. Ich verdanke sie der niederträchtigen Schlinge, die dieser Schubjack mir um den Hals gelegt hat.

Erika. Drachentöter, wo hast du deinen robusten Humor gelassen?

Fritz. Humor! Wenn meine notgedrungene Quacksalberei mich von früh bis spät, auf Schritt und Tritt verfolgt wie ein Rachegespenst! Wenn an jeder Straßenecke, auf jedem gedruckten Stück Papier der impertinente, vermaledeite Name mir entgegengrinst: Mirakulin!

Erika. Darauf mußtest du doch gefaßt sein.

Klaus. Und ob.

Fritz. Konnt' ich voraussehen, daß der Kerl die Stirn haben wird, die leidende Menschheit so infam zu begaunern? Konnt' ich voraussehen, daß er mein harmloses, anspruchsloses Kompositum als Allheilmittel ausschreien wird? So und so oft hab' ich ihn getreten, er soll die unverschämte Reklame einschränken, soll es als das simple Beruhigungsmittel anzeigen, das es ist. Er lacht mich aus. Er hat es ja gekauft, antwortet er mir, und ich hab' ihm nichts mehr dreinzureden.

Erika. Das muß wahr sein, ihr habt euch zwei gewiegten Burschen verschrieben. Die verstehn's aus dem Effeff. 70

Klaus. Bei mir gar nicht nötig. Meinst du, Marschall hätte mit all seinen Tricks mich so mir nichts dir nichts zum Tagesgespräch machen können, zur Berühmtheit, wenn das, was ich jetzt male, nicht als Köder wirkte durch sich selbst? Schluckt irgend jemand es blind hinunter? Kann sich nicht jeder sein eigenes Urteil drüber bilden? Und setz' ich den Tanz noch 'ne Weile so fort, wer kommt zu kurz dabei, außer den lieben Kollegen, die sich krank ärgern vor Neid? Mag nur die Tollheit sich austoben, um so packender wird das Schlußtableau.

Erika. Die Vernunft ist aber schon auf dem Marsch.

Klaus. Wieso?

Erika. Schade, daß ihr vorhin nicht zwei Mäuslein wart, um zu horchen, wie fest sie zur Gegenattacke entschlossen ist.

Fritz (gespannt). Dein Professor . . .?

Erika. Ja, der ist keiner von denen, die nicht alle werden. Der läßt sich durch nichts und durch niemand um seine klaren fünf Sinne bringen.

Fritz. Bekämpft er das Mirakulin?

Erika. Grimmig.

Fritz. Gott sei gelobt!

Erika. Und wird Herrn Zinkendraht das Handwerk legen.

Fritz. Ach, wenn ihm das gelänge, mir würde ja ein Zentner vom Herzen fallen.

Erika. Es wird ihm gelingen, verlaß dich drauf.

Fritz. Ein Hoffnungsstrahl!

Erika. Deine Urheberschaft hab' ich ihm wohlweislich verschwiegen, damit er kein Blatt vor den Mund nimmt. Und aus demselben Grund hab' ich auch dich verleugnet, Klaus, als ihm heute Marschall dein »Delirium« zum Kauf anbot. 71

Klaus. Nun, und?

Erika. Er hat es natürlich schaudernd abgelehnt.

Klaus. Ha, was tut's? Meine Anhänger werden ihn für einen Banausen erklären.

Erika. Wart' nur, der ist ihnen über.

Klaus. Du bist ja Feuer und Flamme für den Mann.

Erika. Er imponiert mir.

Fritz (nachdem er mit Klaus einen Blick gewechselt, drucksend). Höre, mein Kind – uns hat noch etwas Andres zu dir hergetrieben.

Erika. Was denn?

Fritz. Die Unruhe um dich.

Klaus. Denn leider müssen wir annehmen, daß du hier vom Regen in die Traufe geraten bist.

Erika. Inwiefern?

Fritz. Wir haben in Erfahrung gebracht, daß dieser ernste Mann der Wissenschaft im Ruf eines Don Juans steht . . .

Erika. Aha, Mobilmachung der Schutztruppe.

Klaus. Sollte er dir gegenüber sich als solcher noch nicht erwiesen haben?

Erika. Traut ihr mir zu, daß er's kann?

Fritz. Wir wünschen auf alle Fälle, daß du nicht hier in Stellung bleibst.

Klaus. Zumal du es nicht mehr brauchst.

Erika. Ei, darauf läuft es hinaus. Ihr habt's nun dazu. Drum soll ich mir mein Brot nicht mehr selbst verdienen . . .

Fritz. Das war ja von jeher unser Traum.

Erika (fortfahrend). Obwohl ich bisher die einzige von uns dreien war, die es sich redlich verdient hat.

Fritz (getroffen). Wahrhaftig, ja!

Klaus. Possen! 72

Erika. Soll zu euch zurückkehren, in die neue feudale Wohnung, als wäre das noch dasselbe wie ehemals, könnte je wieder dasselbe sein. – Nein, Jungens, daraus wird nichts.

Fritz (rasch und leise zu Klaus). Jetzt rück' ich heraus.

Klaus (leise). Nur zu.

Fritz (zu Erika). Du irrst, Kind. Nicht dasselbe ist's, was uns vorschwebt. Vielmehr was Andres, was Besseres.

Erika (gedehnt). So!

Fritz. Kannst du dir nicht denken, was ich meine? – Wo du doch genau weißt, welchen Platz du bei uns einnimmst, wie wir dir angehören mit Leib und Seele, mit Haut und Haar, kurzum, dich lieb haben, einer wie der andre.

Klaus. Und du?

Erika. Ich?

Fritz. Hast du uns nicht vor deinem Auszug Treue gelobt? Uns nicht von neuem ausdrücklich deine Bräutigams genannt?

Erika. Gewiß.

Fritz. Aber dann – das wirst du wohl einsehen – dann mußt du doch schließlich auch mal Braut werden.

Klaus. Und das liegt nur noch an dir, Erika.

Fritz. Denn es ist nun so weit.

Klaus. Nichts steht mehr im Weg.

Beide. Wir können dich heiraten.

Erika. Zu zweit? Das geht ja gar nicht.

Fritz. Eben deshalb sind wir hier.

Klaus. Wir wollen Klarheit.

Fritz. Wir geben uns in deine Hand.

Klaus. Du sollst einen von uns wählen.

Fritz. Ja, darum bitten wir dich.

Erika (mit ausweichendem Lachen). Haha, ihr seid kostbar. 73

Fritz. Es ist unser heiliger Ernst damit.

Klaus. Sprich offen und rückhaltlos.

Erika. Eine sonderbare Art von Werbung, das muß ich gestehn.

Fritz. Konnten wir anders – gute Kameraden, wie wir sind? Wir haben einander gelobt, daß keiner hinterm Rücken des andern um dich freien soll. Drum blieb uns nur übrig, es gemeinsam zu tun.

Erika. Gute Kameraden – schlechte Liebhaber.

Klaus. Die Idee stammt von Fritz. Anstandshalber ging ich darauf ein, in dem Vertrauen, daß sie am Resultat nichts ändern wird.

Fritz. Was willst du damit sagen, Klaus?

Klaus. Ich überlasse Erika das Wort.

Fritz. Sei barmherzig, Kreatürchen. Laß uns nicht lange zappeln.

Erika. Ach, ihr Jungens, ihr großen, ihr kleinen, ihr ganz kleinen Jungens, man hat seine liebe Not mit euch. Ihr seid nun so weit, für euch steht nichts mehr im Weg. Und da kommt ihr Hals über Kopf dahergerannt und setzt mir meuchlings die Pistole auf die Brust. Aber habt ihr euch vorher nur ein einziges Mal gefragt, ob auch ich so weit bin, ob auch für mich nichts mehr im Wege steht?

Fritz (verdutzt). Für dich?

Klaus. Wie? Du kannst noch keine Entscheidung treffen? Hast sie nicht längst getroffen? – Du schweigst? Nun, so zeig' uns doch das Medaillon, zeig', ob es inwendig noch leer ist! (Er nähert sich ihr.)

Erika (die Stelle, wo sie das Medaillon trägt, mit beiden Händen schützend, rasch und entschieden). Laß!

Klaus. War es Fiebereinbildung? Oder sah ich darin, als ich auf dem Krankenbett lag, eine Photographie? 74

Fritz (zu Erika). Ist das wahr?

Klaus. Die meine!

Fritz (dringender). Ist das wahr?

Klaus. Trägst du sie auf der Brust oder nicht?

Fritz (schmerzvoll). Keine Silbe mehr! Ich weiß genug.

Erika (heftig). Nichts weißt du. Nichts wißt ihr. Gar nichts.

Fritz. Weshalb stehst du ihm dann nicht Rede? Zeigst uns nicht das Medaillon?

Erika. Ich mag nicht.

Klaus. Aus welchem Grund?

Erika. Wie, wenn ein Dritter darin wäre?

Klaus. Ein Dritter?!

Erika. Haltet ihr das für so ganz undenkbar?

Fritz. Du bist uns untreu?!

Klaus. Der Professor am Ende!

Erika. Ich sprach nur von der Möglichkeit.

Fritz. Warum quälst du uns dann so?

Erika. Weil ihr mich quält. Ich habe niemand auf der Welt als euch. Das Beste, das Hübscheste, was mir bisher zuteil wurde, das dank' ich eurer Freundschaft. Aber wenn ihr plötzlich so unsanft an mir herumzerrt, mich zwingen wollt, mein Herz auf den Präsentierteller zu legen, mich gewaltsam vor die Wahl stellt, welchen von euch zwei Männern ich heiraten und welchen ich verschmähen soll, dann muß ich euch aufrichtig bekennen: ihr gefallt mir alle beide nicht mehr.

Klaus (zornig). Erika!

Erika. Jawohl, alle beide.

Fritz. Jetzt versteh' ich! Du verdenkst uns, was wir damals getan haben mit deiner Zustimmung.

Erika. Nicht, was ihr getan, sondern wie es auf euch zurückgewirkt hat.

Klaus. Du bist nicht mehr, die du warst. 75

Erika. Umgekehrt, ihr seid andere geworden. Ihr seid wie ausgetauscht. (Zu Fritz.) Du bist nicht mehr der Junker Drachentöter . . .

Fritz (schwermütig). Das stimmt.

Erika (zu Klaus). Und du nicht mehr der Junker Schmerzenreich.

Klaus. Lächerlich!

Erika. Ich muß euch erst von neuem kennen lernen, falls ich euch überhaupt gekannt habe bis heut.

Fritz. Und dann?

Erika (mit feinem Lächeln). Dann? Ja, wer weiß? Dann werd' ich vielleicht auf euren ehrenvollen Doppelantrag zurückkommen. – Seid ihr mir böse? Bin ja drum euer Kamerad nach wie vor. (Jedem eine Hand hinhaltend.) Na, kommt. Gut sein. Pfötchen geben.

Fritz (schlägt wehrlos ein).

Klaus (läßt ihr seine Hand widerstrebend). Das wirst du noch bedauern, ich wette drum.

(Man hört hinter der Tür rechts Stimmen.)

Erika (erstaunt aufhorchend). Mein Professor!

Vierzehnter Auftritt

Vorige. Schellander (von rechts)

Schellander (in der Tür, spricht zurück). Für niemand zu sprechen. Auch Telephon abstellen. (Er tritt ein, mit mühsamem Schritt, die Hand auf die Stirn gepreßt.) Schluß für heute, Fräulein. Unfreiwilliger Rückzug.

Erika. Ist Ihnen nicht wohl, Herr Professor?

Schellander. Miserabel ist mir. Mittendrin mußt' ich meine Rundfahrt abbrechen, zum erstenmal in meiner ganzen Praxis. Den Besuch beim Fürsten hab' ich mit Ach und Krach noch absolviert. Dann aber ging's beim besten Willen nicht mehr. (Zu Klaus und Fritz, die nach rechts 76 hinten gegangen sind und sich zurückziehen wollen.) Lassen die Herren sich nur ja nicht inkommodieren. Ich lege mich augenblicklich ins Bett.

Erika. Soll ich die gnädige Frau benachrichtigen?

Schellander. Gott behüte! Ich brauche Ruhe, weiter nichts. (Er geht einige Schritte nach links hinten, wankt.) Sakrament, ich komme nicht bis in mein Zimmer. Ich muß mich einen Moment niedersetzen. (Er setzt sich links an den Tisch.) Bitte, Fräulein, bringen Sie mir ein Glas Wasser. (Zu Klaus und Fritz.) Nochmals, bleiben Sie, meine Herren. Ich räume sogleich das Feld.

Erika (ist nach hinten zum kleinen Tisch gegangen, hat das Glas eingeschenkt, bringt es ihm). Hier.

Schellander. Schön Dank. (Er tut einen Schluck, stellt das Glas neben sich auf den Tisch. Zu Erika.) Denken Sie sich nur, selbst ein so urteilsfähiger Mann wie der Fürst hat mir Wunderdinge vorgefabelt von dem Mirakulin. (Er zieht aus der Tasche die Glasröhre, die er vorher seiner Frau abgenommen hat, legt sie vor sich auf den Tisch.)

Erika (mit Blick nach Fritz). Wirklich?

Schellander. Es vertreibe ihm binnen fünf Minuten die heftigsten Kopfschmerzen, behauptet er.

Erika. Ist Ihnen nun besser?

Schellander. Im Gegenteil. (Die Hand auf der Stirn.) Ich halt's nicht mehr aus. – Aeh! – Da sei standhaft, wer mag. In der Not frißt der Teufel Fliegen. (Er nimmt die Glasröhre vom Tisch.)

Erika (sieht ihm in äußerster Verblüffung zu). Sie wollen, Herr Professor . . .?

Schellander. Zum Henker, man kann's ja mit dem verdammten Zeug mal probieren. (Er holt eine Tablette heraus.)

Erika. Mit dem Mirakulin?! 77

Schellander. Bloß der Wissenschaft halber. (Er nimmt die Tablette in den Mund, spült sie mit einem Schluck Wasser hinunter.)

Georg (kommt von rechts mit dem uneingewickelten Bild, das er vorher hinausgetragen). Wo soll das Bild hinkommen, Herr Professor?

Schellander (zeigend). Dort, wo es war.

Georg (trägt das Bild auf den alten Platz und geht dann ab rechts).

Klaus (das Bild erkennend). Mein »Delirium«!

Schellander. Wie?

Erika (vorstellend). Hier der Maler des Bildes, Herr Professor. Klaus Donald.

Schellander (überrascht). Sie sind . . .? Angenehm. Sehr angenehm. Ich habe Ihr Bild soeben gekauft.

Erika (unwillkürlich). Oh!

Schellander. Ja, mich ließ der Gedanke daran nicht mehr los, und als der Fürst mir mit seiner Jagd auf den Leckerbissen renommierte, wurde meine Lust, ihm die Beute abzuluchsen, so unbezwinglich, daß ich auf dem Heimweg trotz meiner Schlappheit bei Marschall vorfuhr. Der forderte nun natürlich mit Berufung auf das Angebot der fürstlichen Galerie den doppelten Preis wie vorher – sechstausend Mark.

Klaus. Donnerwetter!

Schellander (sich die Hände reibend). Aber einerlei, der Fürst hat das Nachsehen. – Hm! Warum schauen Sie mich so an, Fräulein Götz?

Erika. Mir kommt vor, als ob es Ihnen besser ginge, Herr Professor.

Schellander. Bedeutend. Der Kopfdruck, die Mattigkeit hat nachgelassen. (Er steht auf.) Ich kann wieder auf meinen zwei Füßen stehen. (Er stellt sich vor das Bild; 78 zu Klaus.) Ihr Bild, Herr Donald, ist ja nicht so ohne weiteres zugänglich. Man muß sich erst allmählich hineinfinden, wie in alles Neue und Kühne. Aber je länger ich es betrachte, desto mehr beglückwünsche ich mich zu meinem Kauf. Ein geniales Werk, ohne jede Frage.

Klaus (geschmeichelt). Sehr verbunden.

Schellander. Unglaublich, aber wahr! Die Schmerzen wie weggeblasen. Weiß der Kuckuck, Fräulein, es ist doch was an der Sache, gar nicht zu leugnen. Das erste Mittel, das mir hilft. Eine Wohltat! Eine Errungenschaft! Ich werd' auf alle Fälle noch eine zweite Tablette nehmen. (Er schluckt sie.)

Erika. So darf ich Sie wohl mit dem Erfinder bekannt machen?

Schellander. Dem Erfinder des Mirakulin?

Erika (Fritz vorstellend). Er steht vor Ihnen.

Schellander. Was Sie nicht sagen! (Zu Fritz.) Freue mich. Freue mich ungemein. Ja, frei heraus, meine Herren, ich war bis heut Ihr entschiedener Gegner, aber was wäre an einem Gelehrten, der nicht umlernen könnte! So gewiß dies ein ungewöhnliches Bild ist, so gewiß ist dies ein ungewöhnliches Mittel. Freut mich, zwei Männer vor mir zu sehen, von denen jeder die Welt um einen bleibenden Wert bereichert hat. Doch um Verzeihung. (Zu Fritz.) Dank Ihnen fühl' ich mich wieder so frisch, daß ich meine unterbrochene Besuchsfahrt fortsetzen kann. (Ab rechts.)

Fünfzehnter Auftritt

Erika. Fritz. Klaus

Erika (mit unverhohlener Enttäuschung). Der auch!

Fritz (ironisch auflachend). Die Vernunft, die sich nichts weismachen läßt! 79

Erika. Auch sie kapituliert. Euer Sieg ist vollständig.

Fritz (geknickt). Meine letzte Hoffnung dahin!

Klaus (steht in Betrachtung seines Bildes vertieft). Sechstausend Mark! Das Zwanzigfache von dem, was der Räuber mir dafür gezahlt hat! Und doch nicht zu teuer. O nein, zu billig. Wußt' ich denn selber bisher, welch einen Wurf ich da getan habe? Ein Dämon hat mir den Pinsel geführt. Mein Dämon! Der Professor hat recht: dies Werk ist genial.

Erika (zu Fritz). Das ist die Höhe! Der fällt auf seinen eigenen Schwindel 'rein. 80


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