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Die nackte Muse

Seelenstudie

Von allen schlechten Eigenschaften, die man der Liebe andichtet – freilich tun das nur Leute, die kein Glück in der Liebe haben oder über einem liebeleeren Dasein altern – von diesen Eigenschaften ist die berüchtigtste: daß Liebe blind mache.

Das sagte Wladislaw Ostrowsky zu dem jungen Mädel an seiner Seite und sah mit träumerischen Augen über den stillen Weiher hin. Die grünen Lanzetten des Riedgrases stachen wie Speerspitzen aus dem Wasser heraus. Und in der Flut widerspiegelte der Sommerhimmel blauend – bis da drüben hin, wo das Gezack eines Tannenschlages das Himmelblau mit zerrissenen Rändern grenzte.

Bewundernd sah Lotte Müller zu dem Manne auf: wie klug alles klang, was er sagte – wie gelehrt und nachdenksam; manchmal verstand sie ihn gar nicht. Nun ja. ein Dichter! Und schön war dieser Mann … so schön. Die Braunaugen, ein wenig verschleiert blickend, waren oftmals von unirdischem Glänzen durchleuchtet; dann schimmerten sie weltabwesend und fern allem Erdensein. Die Lider, wie von der Last der Gedanken des Dichters schwer gemacht, verhüllten halb den Blick des Genies. Und sicherlich war Ostrowsky ein Genie.

Lottes Wunder war, daß er Gefallen gerade an ihr gesunden hatte – er, der so hoch über ihr stehende Poet, an ihr, dem Ladenmädel einfacher Herkunft. Sie sah an ihrem dürftigen Sommerkleidchen nieder, beugte sich über den Band des Wassers und warf einen halb eiteln, halb zweifelnden Blick auf das im glatten Flutenspiegel sichtbar werdende Bild ihrer Mädchenhaftigkeit. Das niedliche Gesichtchen sah frisch und lebhaft aus, das ihr entgegenleuchtete: der Mund war üppig und halb geöffnet, wie die aufbrechende Rose, in jenem unbewußten Dürsten des Weibes, dessen Sehnsüchte irgendwie zum Klingen gebracht wurden.

»Aber nichts könnte mir die Liebe verkleinern. Erhaben bleibt sie doch. Wer da sagt, sie mache kurzsichtig und schaffe Blindheit, der weiß nichts von den Wunder schauenden Augen, die Liebe verleihen kann. Denn dies ist das Geheimnis des den Menschen zum gottähnlichen Geschöpf emportragenden Gefühles: Liebe sieht im geliebten Gegenstand das Idealste, was die Erde birgt – das Schönste dessen, das Schönheit schuf – das wahre Glück von allem Glück der Welt.«

So hatte der Dichter hellträumend weitergesprochen. In skandierenden Gebärden hob er die weibisch zarten, schönen Hände dem Himmel zu.

Lotte Müller langweilte sich nun doch ein bißchen. Sie richtete sich auf und suchte eine Wasserrose zu erreichen, die auf einer von Binsen freien Stelle nahe dem Ufer schwamm.

»Was willst du diese Blüte sterben machen!« sagte der Dichter. »Wer weiß denn, ob sie vielleicht nach Liebe verlangend den keuschen, bleichen Kelch entfaltete? Aus Liebe sterben, muß wundervoll sein. In Liebe erblüht, aber von unzarter Hand getötet – – nein, Lotte, du solltest diese Blume leben lassen …«

Das Mädel behielt die Hände im Wasser. Der Sommertag glühte in der weltabgeschiedenen Einsamkeit um den Weiher und machte die Luft über dem Teich flirren.

»Ob hier das Wasser tief genug wäre?« meinte Lotte nachdenklich, tiefen Ernst auf der sich faltenden Stirn.

Der Dichter erschrak über diese Frage.

»Du – so jung, so schön – möchtest du in dieser Kühle dein Leben enden?« forschte er. Seine Stimme bebte elegisch und gerührt.

»Ach was – baden würde ich … es ist so gräßlich heiß. und wenn ich allein wäre, würde ich mich schnurstracks ausziehen.«

Sie errötete sanft und schlug verschämt die Augen nieder. In atemholendem Seufzen reckte sie den jungen; festen Busen vor und breitete die bis zu den Ellbogen entblößten weißen Arme über das Gewässer. Dann Rahm sie den Strohhut ab und schleuderte ihn ins Gras. Strähnen ihrer goldblond gelockten Haare sanken über das erhitzte Mädchengesicht und verhüllten den in heimlichen Wünschen brennenden Blick.

Der Dichter sank vor ihr auf die Knie.

»Ach. wenn du das tun wolltest!« rief er begeistert. »Wenn ich hier still am Weiherrande sitzen dürfte und zusehen, wie sich deine Glieder mit dem Blau des widergespiegelten Himmels vereinen – wie sich dein Körper in dieses Wassers Klarheit als Sommermärchen der Schönheit – als den seligen Geist dieses Teiches … O, Gott. ich glaube, ich würde sterben vor Entzücken! Oder wundersame Gedanken würden mich begeistern zum Erhabensten, das ich je schuf.«

Er schluchzte erregt, stammelte, wie überwältigt von der vorgefühlten Größe eines solchen Erlebnisses. Die heiligsten Gelöbnisse legte er zu Lottes Füßen. Bis das törichte junge Ding einwilligte. Doch mit wissenden Augen sah sie ihn an … sie war längst kein Kind mehr.

Als sie sich aus ihrem leichten Sommerkleide geschält – er war zartfühlend weit vom Ufer fortgegangen – als sie ihn herbeirief nachdem sie in die wohlig kühlende Flut geschlüpft war, huschte der Schimmer ganz rein bewußter Lüsternheit über ihr sinnliches Gesichtchen. Sie dachte der Lösung dieses Rätsels »Mann« nach, während sie vergnügt in dem lauwarmen, stehenden Gewässer plätscherte. An einer jungen Erle, wenige Schritte vom Ufer entfernt, durfte er nun sitzen und träumen. Sie hatten verabredet, daß er nicht näher kommen sollte.

Er berauschte sich am Wunder dieser Stunde, und seine Dichterseele sammelte die Schätze dieser Eindrücke, an denen er seine Begeisterung bereicherte. Kein anderer Gedanke kam ihm – nur das platonische Genießen der Schöne dieses keuschen Mädchenleibes hielt ihn gefangen. Anbetend das Märchen aus der Gnadenhand schöpfungsfroher Natur, saß er stumm bei dem raunenden Gebüsch, versunken in diese Andacht der Liebe und der Schönheit. Das Mädchen war die Muse, die er gesucht; er verspürte den göttlichen Funken. Mit diesem Wunder von Weib zu eigen, würde er Wunderwerke schaffen können. –

In der Ehe Wladislaw Ostrowsky mit Lotte wirkte jener Sommertag in schier nimmer erlöschender Zärtlichkeit nach. Dennoch ging die junge Frau mit müden Blicken, mürrischem und enttäuschtem Gesicht umher und war gar oft nervös und verstimmt. Aus dem kleinen Ladenmädel war nun wahr und wahrhaftig die Gattin eines Dichters geworden. Und es war, als hätte sie ihm wirklich Glück gebracht: die Schöpfungen seines Genies verdrängten einander in fast ununterbrochenem Dahinströmen. Sein Name begann bekannt zu werden. Die Zeitungen knüpften große Hoffnungen an diesen neuerstandenen Dichter. Er selbst war restlos glücklich.

Sie aber – – bereute …!

All ihrem Durst nach Liebe spendete er nie den Trank seliger Sünden. Er kannte nur das: bald mußte sie, bloß mit einem Schleier blutroten Gewebes verhüllt, auf einem grünen Teppich lesend liegen, während er mit begeisterten, tief in seiner Seele suchenden, nach innen gekehrten Blicken an einem seiner Werte schrieb. Dann wieder wand er ihr ein blauseidenes Band um die Hüften, und nur so bekleidet mußte sie sich auf der roten Samtdecke des Diwans ausstrecken. Heute schmeckte er die goldroten Haare mit einem Vergißmeinnichtkränzlein und hüllte ihren Körper streng in eine weiße Toga – morgen flocht er einen Streifen Rosen über ihren schneeigen Busen und ließ sie nackt vor einem meerfarbenen Seidenvorhang qualvoll lange stillestehen. In seltsamen Feuern schweiften seine Augen über alle die unerschöpfliche Pracht ihrer Glieder, über den Reichtum ihrer Schönheit. Er schrieb – dachte – und schrieb wieder.

Lotte aber blieb einsam bei diesem tun. O, so einsam. Die Rächte wurden ihr zu endlosen, schlafraubenden Gedankenfoltern. Er aber schlummerte tief und glücklich …

Bis der Tag kam, an dem das blühende Weib diese Ehe als eine ängstigende Fessel fürchten gelernt. War denn das Leben? Immer nur entsagen, immer nur dürsten, immer nur diese albernen Entkleidungen mitmachen müssen, nach denen ihr das Blut kochte, die Schläfen hämmerten, ihr Innerstes brannte und ihr Leib vor Gier zitterte … um, wenn sie sich ihm einmal zärtlich nahte, mit zwar sanften, aber trockenen Worten fortgewiesen zu werden.

»Laß – du störst mir sonst den Gottesdienst der Schönheit!«

Gottesdienst? … es war für sie nur Götzendienst. Und zu einem Götzenbild hatte sie nicht werden wollen, als sie dieses überspannten Dichters Weib geworden. Sie war ein Wesen von weißem Fleisch und rotem Blut, mit warmen, weichen, gelenkigen Gliedern, mit loderndem Herzen und sich nach Leben sehnendem Schoße. Und weniger als solch ein Wesen wollte sie nicht sein, auch mehr nicht – Weib wollte sie sein, nicht Göttin, nicht Muse und nicht Schönheit. Was weckte er mit seltsamen Maskeraden immer wieder das, was doch ohnehin so wach in ihr war, ohne es nachher in jenen selig erschöpften Schlummer lullen zu können, von dem sie in wütend durchwachten Nächten träumte. Sie begann ihm zu grollen, versuchte es aber noch einmal mit allen Evalisten. Und als er auch da wieder nur der Dichter blieb, waren ihr die Kraft des Ertragens und der Mut des Entsagens gebrochen. Mochte er ihre Schönheit ruhig weiter anbeten – ihr Herz, ihre Seele und ihr atmender Körper verlangten mehr als das. –

Als er die Schuld entdeckte – ihre Schuld, denn seines Verschuldens war sich dies reine Dichterherz nicht bewußt! – als er sich darüber klar geworden, daß sie ihn betrog, brach er unter der Wucht seines Entsetzens und seiner Enttäuschung zusammen.

Die Auseinandersetzung war kurz und in ihrer harten Kürze niederschmetternd.

Lotte wurde dabei, was sie gewesen war: das Ladenmädel, das nach dem Leben verlangte, nichts von der Schönheit der Dichterandächte wissen wollte, nur eitel dieses Dichters Weib geworden war. Nicht seine schöne Seele hatte sie geliebt, nicht seine glühende Bewunderung des schönsten Naturerschaffenen mitgegossen: er war ihr nur ein Mensch gewesen, dessen Fleisch sich ihrem Fleische fügen sollte. Sie sagte ihm alles in offenen Worten, umschrieb nichts und verheimlichte nichts, denn ehrlichen Herzens war sie. Aber sie redete im Tone jener Kreise, denen sie entstammte, und warf ihm – wie sie es nannte – den Bettel vor die Füße. Dann verließ sie ihn und kam nie, niemals wieder.

Ein paar Tage zermürbte er sich in der Sehnsucht nach ihr, versuchte vergeblich sein Herz zum Schweigen zu bringen. Dann kam er zur Einsicht: weltentfremdet war er und nicht von dieser Erde … überflüssig in dem treibenden All, das alles Erschaffene sich zu erneuen und wiederzuerschaffen bestimmte … unnütz war er in diesem ewigen Kreisen von Werden und Vergehen … ein Nichts war er, das sich erhob zum Gotte, der Menschheitswerte begeistert erschaffen – schöpfen? – durfte, um dann wieder in die Nacht seines Erstehens zurückzutauchen.

Er ordnete alle seine Handschriften und bezeichnete jedes einzelne Stück so, wie er sich's als dem Schönheitsideal einiger weniger Menschen nützlich dachte. Dann verlöschte er das Licht. In Finsternis versank der Raum, in dem noch ein Hauch des wundersamen Märchens der Schönheit seines Weibes nachduftete.

Draußen schnob der Herbst über den einsamen Weiher. Das hochgeschossene, jetzt welkende Riedgras raschelte unheimlich. Der Wind trieb das gurgelnde Wasser ans Ufer.

Dann flatterten aufgescheucht ein paar lärmende Wildenten mit klatschenden Flügelschlägen über den Teich und verbargen sich erregt jenseits im Schilf.

Und plötzlich war das Schweigen des Todes über dem verlassenen Ort.


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