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Stolz.


Auf einer Reise durch die lieblichen und üppigen Gegenden nördlich vom Harze, welche durch die letzten Gebirgsausläufe, durch Bergketten mit herrlichen, freundlichen Buchenwäldern durchzogen werden, führte mich mein Weg durch ein Dorf, in dem ich früher wohl oft und gern gewesen war, das ich aber seit Jahren nicht betreten hatte.

Kaum sah ich das Dorf vor mir liegen, als die Erinnerung an die früheren Jahre, an die Stunden und Tage, welche ich in demselben zugebracht hatte, wieder mit frischer Lebhaftigkeit in mein Gedächtniß zurückkehrte.

Dort hinter jener hohen Gruppe von Kastanien und Linden mußte das Gut der Herren von Schwarz liegen mit seinem stolzen, prachtvollen, wenn auch schon halb zerfallenen Schlosse, mit seiner schattig düsteren Lindenallee, die es an einer Seite einschloß, mit seinem Garten, der, wenn er auch halb verödet war, doch noch seine frühere Pracht und seinen Glanz verrieth.

Ja, dort hinter jenen Bäumen mußte es liegen! Und ich sah es in diesem Augenblicke vor meinem Geiste dastehen, wie ich es zuletzt gekannt hatte. Ich sah das große, düstere Gebäude mit seinen erblindeten und zum Theil zerbrochenen Fenstern, ich sah das Gras, welches zwischen den Steinen seiner breiten Eingangstreppe hervorgeschossen war und den Hauslauch, welcher auf seinem mit Moos überzogenen Dache wucherte. Ich sah die schwere eichene Thür, welche kaum noch in den losgelösten Angeln hing, denn seit Jahren war sie nicht geöffnet, seit Jahren war keines Menschen Fuß durch sie hindurchgegangen. Eine kleine Giebelthür führte alle die in das düstere Gebäude, welche etwas darin zu suchen hatten. Ich erblickte dies Alles deutlich im Geiste vor mir, denn zu deutlich hatte es sich mir einst eingeprägt, das alte zerfallene Schloß, das so schweigend und doch noch so stolz dastand.

Und im Geiste trat ich ein in seine Thür und erinnerte mich an all' die halb zerfallenen Zeugen seiner früheren Größe und seines Glanzes. Ich bewunderte wieder das prachtvolle und noch gut erhaltene Fußgetäfel des großen Saales, die schweren, zum Theil losgelösten und zerrissenen Sammettapeten, die Goldverzierungen an der Decke, welche durch all' die hunderte von Spinnengeweben hindurchschimmerten, und die alten, ernsten Ahnenbilder der Herren von Schwarz, welche bestäubt und verzogen an den Wänden hingen. Sie hatten andere Zeiten gekannt und in anderen Zeiten gelebt, wo der Moder noch nicht seinen vernichtenden Zahn an das stolze Schloß gelegt hatte, wo in seinen Räumen noch ein reiches und lustiges Leben herrschte.

Und immer weiter und weiter drängte mich meine Erinnerung. Ich schritt durch die Zimmer, welche einst die letzte Besitzerin dieses Schlosses, jene stolze, übermüthige Frau, bewohnt hatte. Alles erinnerte hier noch an eine fürstliche Pracht, die zersprungene Marmortafel über dem alten und reichverzierten Kamin, die zerrissenen Seiden- und Atlastapeten, das kostbare Getäfel des Fußbodens, selbst die versilberten Griffe an den zerschlagenen Fenstern.

Da trat ich ein in ein kleines Zimmer, das vor Allem noch deutlich in meiner Erinnerung lebte, das mir vor Allem lieb war; es war das kleine Bibliothekzimmer der alten Herren von Schwarz. Es war, als einst die alten und kostbaren Möbeln und Geräthschaften dieses Schlosses verkauft waren, unberührt geblieben, denn wer hatte Lust gehabt, sich die Bücher, die dort in wilder Unordnung übereinanderlagen, aufzubürden. Aber für mich hatte dies Zimmer einen besonderen Reiz gehabt, denn manche Stunde hatte ich dort still und allein gesessen, hatte dort zwischen den wurmzerfressenen Bänden des Molière und Voltaire Bücher hervorgesucht, welche mich mit unwiderstehlichem Interesse anzogen und mir manchen Aufschluß über das Leben des letzten Besitzers dieses Schlosses gaben. Es waren Tagebücher und einfache Rechnungsbücher, welche Niemand beachtet hatte, welche mir aber manches bis dahin Unerklärbare enthüllten.

Immer tiefer hatte ich mich diesen Gedanken und Erinnerungen hingegeben, bis ich endlich in das Dorf selbst eintrat und dies meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ja, es war das alte, freundliche Dorf noch und dennoch war es mir in den Jahren, in denen ich nicht dort gewesen war, fast fremd geworden. Neue Gebäude waren entstanden, alte verschwunden. Statt der zahlreichen grauen Strohdächer blickten mir rothe Ziegel freundlich entgegen. Ja sie waren freundlicher und heller und dennoch vermißte ich die Strohdächer schmerzvoll, da sie in meiner Erinnerung das Dorf wie mit einem stillen und geheimnißvollen Schleier bedeckten. Die Dächer waren mir zu hell, die Häuser zu licht für das, was hier einst vor Jahren geschehen war und die Gemüther so sehr bewegt hatte. Still durchschritt ich das Dorf, es drängte mich zum Ausgange desselben, wo das Gut und das alte, stolze Schloß der Herren von Schwarz lag.

Schon erblickte ich die hohe Lindenallee. Zwar waren einige Lücken in ihr bemerkbar, doch was war Auffallendes dabei, die Zeit konnte ja auch von diesen alten, mächtigen Bäumen einige gestürzt haben und die lassen sich nicht in einem Menschenalter ersetzen. Da trat ich um die letzte Biegung der Straße und blieb überrascht, fast erschrocken stehen. Meine Augen suchten das alte, stolze Schloß und die Wirthschaftsgebäude des Gutes, welche ihm zur Seite gestanden hatten – ich glaubte zu träumen, denn über die ziemlich hohe Mauer, welche einst den Hof und Garten umschloß und auch jetzt noch stand, erblickte ich nichts als in der Ferne die Wipfel einiger Bäume, kein Schloß, kein Gebäude.

Zögernd, mit einem fast ängstlichen Gefühle, trat ich an die mächtigen, hohen steinernen Pfeiler, zwischen denen einst das eiserne Gitterthor sich so oft und gastlich frei geöffnet hatte. Ich erblickte es auch jetzt noch, aber es war geschlossen. Ich trat heran und durch das Gitter den Thores hindurch warf ich einen Blick auf die Stätte, die einst der Hof gewesen war. Wo war er? wo war das Schloß? wo die Wirthschaftsgebäude? Ein großer, weiter Raum lag vor mir. Ein üppiges Kornfeld bedeckte ihn, und die halbreifen, schwer gebeugten Aehren wogten im Winde langsam hin und her.

Unwillkürlich hielt ich mich an den Eisenstäben des Gitters, einen so gewaltigen Eindruck hatte dieser erste und unerwartete Anblick auf mich gemacht. Ja, ich irrte mich nicht, ich lehnte an dem alten, mir so wohl bekannten Thore! Dort hatte das Schloß gestanden, dort die Wirthschaftsgebäude, dort der alte massive Taubenpfeiler. Alles, Alles war vernichtet und geschwunden, die Pflugschar war bereits über jene Stätten hingezogen und üppige Saaten reiften auf ihnen. Nur inmitten jenes Raumes, wo einst der herrliche Garten gewesen, erhob sich noch eine alte belaubte Linde mitten in dem Korne. Ja, ich kannte diesen Baum, ich wußte, wie verhängnißvoll er für das Leben mehrerer Menschen, und auch für das des letzten Herrn von Schwarz geworden war.

Und er – er stand noch und grünte mit erneuter Kraft. Er hatte Alles ringsum fallen und vernichten sehen, und stand noch da, wie ein Zeuge aus längst entschwundenen Tagen und längst vergessener Thaten.

Und um den ganzen Raum schloß sich noch die alte hohe Mauer, als ob diese Stätte abgeschieden bleiben sollte von den Feldern und Wiesen ringsum, und an dem hohen mittleren Steinpfeiler des Thores prangte noch das alte in Stein gehauene Wappen der Herren von Schwarz, auf dem einen Felde der schwarze Helm mit geschlossenem Visir, auf dem andern die goldenen Sterne auf rothem Grunde, ich kannte es wohl. Es allein war noch vollständig erhalten, gleichsam als ob es jedem Wanderer, der hier vorüberschritt, verrathen und erzählen sollte, welches schwere Geschick über dieser Stätte gewaltet hatte, als ob dies auch jetzt noch nicht versöhnt wäre, als ob es auch jetzt noch nicht den Namen und die Ehre dessen, der Alles dies verschuldet hatte, der Vergessenheit übergeben wollte. Nein, er sollte auch an dem Unglück noch haften bleiben, er sollte das letzte Werk der Vernichtung schauen!

Vergangenheit, Erinnerung und die starre Wirklichkeit vor mir wogten in meinen Gedanken durcheinander. Wie ein Traum erschien mir das Gewesene, wie ein Traumbild das Gegenwärtige.

Da schritt ein alter Mann an mir vorüber, und an ihn richtete ich die Frage, wo das Schloß, der Garten, die Wirthschaftsgebäude, wo Alles das, was einst dort gestanden, geblieben sei.

»Es ist niedergerissen,« erwiderte er.

Niedergerissen – das sah ich, das wußte ich. Aber weshalb, durch wen? Wer hatte seine Hand an das alte stolze Gebäude zu legen gewagt? Das war es, was ich wissen wollte, und diese Frage richtete ich an den Alten.

Er sah mich über meine ungeduldige Hast erstaunt an, entgegnete aber: »Ja, die Gläubiger hatten nicht länger Lust, das Gut verwalten zu lassen, weil auch nichts dabei herauskam, nicht einmal die Zinsen. Da ist es zum Verkauf gekommen. Aber das war so eine Sache: an den Gebäuden war seit Jahren nichts geschehen, sie waren halb zerfallen und kaum noch zu benutzen, und das Schloß zumal. Das schreckte einen Käufer ab, denn er hätte Alles müssen neu aufbauen. Da hat es endlich die Gemeinde für sich gekauft; die Felder sind vertheilt, die Gebäude niedergerissen, da sie zu nichts mehr nützten, und diese Stätte hier ist verpachtet. Aber sehen Sie, Herr, welch' herrliches Korn hier wächst! Das hätte Niemand geglaubt – aber freilich, der Boden hatte lange genug brach gelegen, da kann er schon einmal etwas hergeben.«

Ich hörte die letzten Worte des Alten kaum, denn meine Gedanken waren auf ganz andere Gegenstände gerichtet. Was kümmerten, mich jetzt die Saaten und Felder, was der Boden, der vor mir lag. Ich dachte an die Menschen, die zuletzt an dieser Stätte gelebt, und an das Geschick, das sie fortgetrieben.

»Wo ist der Junker, der jüngste Sohn des alten Herrn von Schwarz, der noch vor Jahren hier im Schlosse wohnte?« fragte ich weiter.

Der Alte nickte mit dem Kopfe. »Ich verstehe, wen Sie meinen, Herr. Ja, der hat hier gewohnt, bis das Gut verkauft war. Als ihm aber das Schloß über dem Kopfe niedergerissen wurde, ist er fortgezogen, ich weiß nicht wohin, und nachher hat er noch geerbt.«

»Und der alte Martin, der Ackermann?« forschte ich ungeduldig weiter.

Der Alte blickte mich einen Augenblick überrascht und schweigend an. »Sie wissen, Herr, in welcher Beziehung er zu dem Gutsherrn und dem Schlosse stand?« erwiderte er endlich.

Ich nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Sehen Sie,« fuhr er fort, »es wissen Wenige so genau darum, als ich. Er lebt noch und ist hoch in den Jahren, aber er hat selten davon gesprochen, denn er kann es nicht vergessen, was es ihn gekostet und es ist ihm ans Herz gegangen. – Doch kommen Sie, Herr; drüben ist mein Haus, dort läßt sich besser über eine Sache reden, die nicht Jedermann weiß. Kommen Sie, Herr!« –

 

Es war ein milder, sonniger Herbstmorgen. Waren die Felder auch bereits zum größten Theile eingeerntet, so war doch in der ganzen Natur eine Frische und ein Leben, welches an die schönsten Tage des Sommers erinnerte. Noch hatte sich fast kein einziges Blatt auf den Bäumen gefärbt, Wiesen und Aenger waren noch mit dem frischesten Grün bekleidet und an den Gräben und in den Gärten blühten die Herbstblumen in schönster Pracht. Die Nächte waren noch warm und mild wie im Sommer, und glänzten auch früh Morgens Tausende von Thauperlen an den Gräsern und Halmen, eine Stunde Sonnenschein hatte sie alle verzehrt, dafür war den Tag über die Luft um so reiner und frischer, und ein wolkenlos blauer Himmel spannte sich über die Erde.

Ein solcher Morgen war es, an dem in dem kleinen Dorfe, in welchem das Gut des Herrn von Schwarz lag, ein reges und lebendiges Leben herrschte. Das Geräusch und die Arbeit des Werktages ruhte, obgleich ein solcher war, und mit Feiertagsschmuck hatten sich Jung, und Alt angethan.

Neugierig drängten sich die Dorfbewohner an das Hofthor des Gutes des Herrn von Schwarz, denn auf dem Gutshofe und in dem Schlosse war es vor Allem, wo ein ungeduldiges, unruhig geschäftiges Leben etwas Besonderes erwarten ließ.

Die eisernen Gitterthorflügel waren weit geöffnet, die in Stein gehauenen Löwen, welche auf den hohen und starken Thorpfeilern lagen, trugen Blumenkränze über ihren dicken Mähnen und von einem Thorpfeiler zum andern war eine Guirlande aus den prachtvollsten Blumen gewunden.

Diener in reicher Livree, Reitknechte und Arbeiter liefen geschäftig über den großen und schönen Gutshof, um hier und dort noch etwas zu besorgen und die Pracht und den Glanz, die schon auf dem Hofe angebracht waren, noch zu erhöhen.

Auf den zu der Schloßpforte hinaufführenden Stufen waren die schönsten Blumen und mächtige Orangenbäume, deren Kronen sich fast zu einem Laubdache vereinten, aufgestellt. Teppiche waren über die steinernen Stufen gelegt und reichten bis in das Schloß hinein, und von dem hohen Erker wehte eine lange seidene Fahne in den Landesfarben herab, in welche die Anfangsbuchstaben der Namen des Fürsten und seiner Gemahlin mit Gold gestickt waren.

Und dem fürstlichen Paar, welches auf dem Schlosse erwartet wurde, um in dem nahen Walde an einer großen Treibjagd Theil zu nehmen, galten alle diese großartigen Vorbereitungen.

Wohl waren die Dorfbewohner daran gewöhnt, daß es auf dem Gute und in dem Schlosse des Herrn von Schwarz fast immer mit fürstlicher Pracht herging, daß die Gesellschaften und Bälle kein Ende nahmen und daß die Verschwendung und Prunksucht des Gutsherrn sowohl wie seiner Gemahlin oft die Grenzen ihres Standes und die Kräfte ihres Reichthums überstiegen, aber an diesem Tage war Alles aufgeboten, um das Außerordentlichste zu erreichen. Hatte doch die stolze, übermüthige Gutsherrin gesagt, daß sie ihrer Landesfürstin zeigen wolle, daß sie es mit ihr aufnehmen könne an Pracht und Schönheit, und daß ihre fürstliche Tafel nimmer so theuere und herrliche Gerichte gesehen, als sie ihr in ihrem Schlosse vorsetzen lassen wolle. Währten doch die Vorbereitungen zu diesem einen Tage schon Tage und Wochen, waren doch die Gerichte für die Tafel fast aus allen Ländern verschrieben und hatte sich doch die übermüthige Frau zum Empfange ihrer Fürstin ein Kleid von Paris kommen lassen, das 500 Thaler kostete und so prachtvoll war, wie die Fürstin nimmer eins getragen.

Das Alles war den Dorfbewohnern nicht unbekannt geblieben und hatte sie mit der ungeduldigsten Neugierde erfüllt.

Die Ankunft des fürstlichen Paares konnte jeden Augenblick erwartet werden, denn schon vor einer Stunde war ihnen der Gutsherr entgegengefahren, um es abzuholen. Da schallte es die Straße herab: »Sie kommen, sie kommen!« und gleich darauf wurde der Vorreiter sichtbar, welcher dem fürstlichen Wagen vorausritt.

Die Bewohner stellten sich zu beiden Seiten des Weges auf, um den Landesvater mit einem lauten Hurrah! und Hoch! zu begrüßen. Der fürstliche Wagen rollte vorüber, ein lauter Jubelruf empfing ihn. Der Fürst erwiederte ihn freundlich, und die Fürstin beugte sich grüßend zum Wagen heraus. Beide waren einfach gekleidet. Wohl fuhren sie mit vier Pferden, aber auch diese verriethen den erstaunten Landbewohnern nichts Außerordentliches, und der leichte Jagdwagen erschien ihnen noch mehr als einfach. Nur der Diener in fürstlicher Livree, welcher hinten auf dem Wagen stand, verrieth, den hohen Rang der Insitzenden.

Dicht hinter dem fürstlichen Wagen fuhr der des Gutsherrn. Stolz zurückgelehnt saß er in dem neuen, prachtvollen, mit glänzenden Silberbeschlägen versehenen Wagen da. Er blickte kalt und verächtlich zur Seite, ohne einen Gruß der Dorfbewohner zu erwiedern. An seiner Seite saß ein Offizier. Der Kutscher vermochte kaum die vier schwarzen Hengste im Zaume und in gehöriger Entfernung vom fürstlichen Wagen zu halten, so muthig und ungestüm drängten die Thiere vor, die ungleich schöner als die vor dem fürstlichen Wagen waren.

Dann folgten noch mehre Wagen mit Hofdamen der Fürstin, mit Offizieren und hohen Herren. Ihnen schenkten die Bewohner weniger Aufmerksamkeit, ihre Blicke eilten dem Fürsten und ihrem Gutsherrn nach, und im Stillen stellten sie Vergleichungen zwischen Beiden an.

Wohl kannten sie Alle den übermüthigen Stolz und die Prunksucht ihres Gutsherrn, wohl ärgerten sie sich, daß er für ihren Gruß, den der Fürst so freundlich erwiedert, nicht einmal ein leises Neigen seines Kopfes gehabt hatte, aber Viele vergaßen dies in diesem Augenblick und fühlten sich auch geschmeichelt, daß ihr Gutsherr einen ungleich schöneren Wagen und herrlichere Pferde hatte als selbst der Fürst.

Nur einen von den Dorfbewohnern hatte die Neugierde nicht auf die Straße gelockt, das war der reiche Ackermann Martin. Was kümmerten ihn die großartigen Vorkehrungen in dem Schlosse und auf dem Gutshofe, nicht einen Schritt würde er darnach gethan, selbst nicht seine Augen aufgeschlagen haben, und wenn Alles in ein Feenreich verwandelt wäre. Er kannte den Stolz und Uebermuth des Gutsherrn und seiner Gemahlin. Er war fast in demselben Alter mit ihm, mit ihm in demselben Dorfe aufgewachsen und hatte ihn von Jugend auf gekannt, und von Jugend auf hatte ihn der Hochmuth des Edelmanns empört. War jener zu stolz, ihn zu grüßen und mit ihm zu reden – gut, auch er besaß Stolz und war reich genug, um sich vor jenem nicht zu demüthigen. Und er hatte seinen Reichthum durch Fleiß und Arbeit erworben, er genoß ihn in Ruhe, ohne einen Pfennig davon zu vergeuden.

Er wußte, daß der Gutsherr ihn seines Bauernstolzes wegen haßte, dieser Stolz war indeß nur das Bewußtsein seiner selbst und seiner mühsam errungenen Größe als Bauer. Auch er haßte den Gutsherrn seines Hochmuths wegen.

Als der Wagen des Fürsten in das Dorf eingebogen war, war er vor seinen Hof getreten, hatte höflich und artig sein Haupt entblößt, dann war er aber sofort zurückgekehrt und hatte die Hofpforte hinter sich verschlossen.

Seine Lippen waren fest und unwillig aufeinander gepreßt, als er in sein Zimmer trat, und als er sein einziges Kind, ein hübsches liebliches Mädchen von achtzehn Jahren, am Fenster stehen und auf die Straße blicken sah, sprach er ernst: »Komm vom Fenster, Grete. Der Fürst ist bereits vorüber gefahren, und die Anderen kümmern Dich nicht.«

Schweigend trat das Mädchen zurück, und auf seinem Gesicht war eine traurige Stimmung deutlich ausgeprägt. Der Bauer bemerkte es; indem er an das Mädchen herantrat, mit der Rechten seinen Kopf emporhob und ihm in die großen blauen Augen schaute, fragte er mit milderer, freundlicherer Stimme: »Nun, Grete, was fehlt Dir?«

Das Mädchen schlug die Augen nieder und erwiderte: »Das ganze Dorf ist vor dem Gutshofe versammelt und schaut sich die Pracht und die Schönheiten auf demselben an, ich allein darf nicht hingehen.«

Ueber das Gesicht des Bauern zuckte bei diesen Worten ein heftig aufsteigender Unwillen, er bezwang ihn indeß sofort wieder; indem er mit seiner breiten Hand über die Wangen seines einzigen Kindes, das ihm so sehr ans Herz gewachsen war, strich, sprach er ruhig: »Nun gieb Dich zufrieden. Du magst gegen Abend auch dorthin gehen und Dir Alles anschauen, nur jetzt wäre es mir nicht lieb, eben weil dort Alle versammelt sind, als ob es ein Wunder zu schauen gäbe.«

Das Gesicht des Mädchens heiterte sich bei diesen Worten rasch auf, und munter verließ es das Zimmer, um an seine Arbeit zu gehen.

Die Augen des Vaters blickten ihm mit Liebe und stiller Freude nach. Er war reich, er hatte Haus und Hof, seine Felder waren die besten auf der ganzen Flur, seine Wiesen grünten herrlich und üppig, aber dies Mädchen, sein Kind, war sein größter Schatz, der Stolz seines Vaterherzens.

 

In dem Schlosse entfaltete sich im Laufe dieses Tages ein fast unglaublicher Luxus und eine Verschwendung, die sündhaft zu nennen war. Selbst den fürstlichen Dienern wurden kostbare Weine und Champagner in Ueberfluß gereicht. Die wunderbarsten Erzählungen von diesem übermüthigen Luxus und dem Hochmuthe der Gutsherrschaft liefen in dem Munde der Dorfbewohner um und doch waren sie nicht aus der Luft gegriffen, ja zum Theil nicht einmal übertrieben. Man erzählte sich, daß der Fürst diese übermüthige Verschwendung nur mit Unwillen aufgenommen, und daß die Fürstin die Gutsherrin gefragt habe, wie viel das herrliche Kleid koste, welches sie trage. Da habe die übermüthige Frau mit Stolz geantwortet: »500 Thaler.« Aber die Fürstin sollte in bitterem Tone erwidert haben: »Gut, Frau von Schwarz, ich kann Ihnen nicht verbieten, dieses Kleid zu tragen, obschon ich selbst nie ein so kostbares besessen habe und auch nicht tragen möchte, aber ich befehle Ihnen, daß Sie, so oft Sie es wieder anziehen, in die Armencasse dieses Dorfes 500 Thaler geben,« und darauf habe sie sich von der stolzen Frau abgewandt.

Dies vor Allem war es, was die Zungen und Gemüther der Dorfbewohner beschäftigte, und die Fürstin hatte. in der That jene Worte gesprochen, um den sinnlosen Uebermuth zu strafen und ihm eine Grenze zu setzen.

Das fürstliche Paar hatte das Schloß auch früher wieder verlassen, als Anfangs bestimmt war, und der Abschied war von seiner Seite ein äußerst kalter und förmlicher gewesen. Doch dies Alles schien die stolze Gutsherrschaft noch nicht gedemüthigt zu haben. Noch war ja das Schloß mit Gästen erfüllt und es herrschte die lauteste, ungebundenste Heiterkeit unter ihnen. In der prachtvollen Illumination und Beleuchtung des Schlosses, welche dem Fürsten zu Ehren vorbereitet war, sollte auch nicht die geringste Störung und Aenderung eintreten, obschon jener nicht mehr zugegen war.

»Und wenn ich sie ganz allein ansehen müßte, so soll sie dennoch stattfinden,« hatte die Gutsherrin gesagt, und sie fand statt.

Es war ein weicher, milder Abend. Kein Windhauch regte die Wipfel der Bäume, und die Sterne hoch oben am Himmel flimmerten und glänzten so hell und freundlich, als ob sie der Hunderte und Hunderte von Lichtern in dem erleuchteten Schlosse spotten wollten.

Das ganze Dorf war vor dem Gutshofe versammelt, um die Pracht sich anzuschauen und der herrlichen, rauschenden Musik zu lauschen, welche aus den geöffneten Fenstern des Schlosses deutlich durch die Stille des Abends herüberschallte. Nur der reiche Ackermann Martin war nicht unter der Menge, er saß still und allein in seinem Zimmer. Selbst sein Kind, die Grete, hatte er nicht zurückhalten mögen, denn er mißgönnte ihm die Freude nicht, die sein Herz an den Lichtern und den Tönen der Musik empfand. Nur er mochte nichts davon sehen und hören, er mochte dem stolzen Gutsherrn nimmer den Willen thun und sein Auge darnach aufschlagen.

Es war nicht Neid von ihm, denn sein Vermögen war groß genug, daß er es auch gekonnt hätte. Er verachtete solche eitle Pracht und haßte solche Verschwendung. War er auch stolz, so wollte er doch ein Bauer bleiben, der sich wohl reich und groß fühlte, aber sich nicht zu gut hielt, um noch selbst die Hand an die Arbeit zu legen und mit dem Geringsten seiner Arbeiter zu reden, freundlich und einfach.

Auf dem Gutshofe, dicht an einen der mächtigen Thorpfeiler gedrängt, stand Grete allein und in dem Dunkel des Abends. Ihre Blicke waren auf das prachtvoll erleuchtete Schloß gerichtet. und ihr Ohr war berauscht von den Tönen der herrlichen Musik. Ihre Wangen glühten, ihr Herz schlug unruhig und laut, denn sie – sie stand ja in einer näheren Beziehung zu all' dem Glanze und zu dem Schlosse als irgend einer der Bewohner des Dorfes. Ihre Hoffnungen und Träume waren schon oft die stolzen Räume durcheilt. Auch sie sollte einst dort eintreten, sie sollte sich in all' der Pracht eigen und heimisch fühlen, sie das einfache, kindliche Mädchen.

Ihre Brust hob und senkte sich ungestüm bei diesen Träumen und Gedanken, sie vermochte es nicht zu fassen, daß sie einst verwirklicht werden könnten, aber hatte es ihr der jüngste Sohn des Gutsherrn, hatte es ihr Hugo, den ihr Herz mit aller Leidenschaftlichkeit der ersten Liebe umfing, nicht hundertmal in das Ohr geflüstert, hatte er ihr nicht seine Liebe und Treue geschworen, konnte er sie täuschen und hintergehen? Nein, er liebte sie, und ihre Wangen färbten sich noch röther und ihr Herz pochte so gewaltig, daß es ihre Brust beengte.

Suchend schweiften ihre Augen über die Gestalten, ö welche sich auf dem Hofe und vor dem Schlosse bewegten. Sollte er nicht an sie denken und kommen, um sie aufzusuchen, da er doch erwarten konnte, daß auch sie hierher gekommen war!

Da schlüpfte aus einer kleinen Pforte des Gartens Hugo, oder der Junker, wie er gewöhnlich genannt wurde, auf den Hof. Er mochte ungefähr zwanzig Jahre zählen, eine mittelgroße Gestalt. Der jüngste von den beiden Söhnen des Gutsherrn, – der älteste war Officier in österreichischen Diensten und seit Jahren entfernt – hatte seine übermüthige, verschwenderische und doch schwache Mutter ihn verwöhnt und verzogen, während sein Vater sich nur wenig um ihn gekümmert hatte. In seiner Jugend waren ihm die besten Lehrer gehalten, aber, ohne talentlos zu sein, hatte er doch nie Trieb zum Lernen in sich gefühlt und seine Mutter hatte ihn auch nie dazu angehalten. Wozu sollte er sich Kenntnisse erwerben, es genügte nach ihrer Ansicht, wenn er sich die äußeren Formen einer scheinbar feinen Bildung angeeignet hatte.

Hugo war von Herzen keineswegs schlecht, aber auch eben so wenig gut, denn all' seine besseren Kräfte und alle Willensstärke waren in dem üppigen, verwüsteten Leben zu Grunde gerichtet. Hatte er doch nie gelernt, sich einen Wunsch zu versagen, stand er doch auch jetzt noch wie ein Kind unter der verwöhnenden und verzärtelnden Leitung seiner Mutter.

Die Liebe zu dem lieblichen Mädchen des Ackermanns war es, die zuerst einige bessere und gesundere Regungen in ihm wachrief. Hier zum ersten Male stieß er in seinen Wünschen auf Schwierigkeiten, welche nicht so leicht zu überwinden waren. Weder seine Eltern, noch Grete's Vater durften von dieser Liebe etwas erfahren, vor aller Welt mußte er sie geheim halten und doch war sie aufrichtig und wahr. Er liebte Grete wirklich und innig, er dachte nicht daran, sie zu täuschen, vielmehr gab er sich nur zu sehr den Träumen an die Zukunft hin, wenn er dieses Mädchen als sein Eigenthum in das Schloß einführen und mit Glanz und Pracht umgeben werde. Er selbst liebte diese steife Pracht zwar weniger, aber in ihr aufgewachsen, hielt er sie für nothwendig zum Leben. Zugleich fühlte er auch, welchen heilsamen Einfluß die Liebe auf seinen Charakter ausübte, denn wie ein Engel erschien ihm das Mädchen mit seinem reinen kindlich-einfachen und unschuldigen Herzen.

Als er aus dem Garten auf den Hof getreten war, blickte auch sein Auge forschend und suchend umher und er näherte sich der Hofpforte. Auch seine Wangen waren geröthet und auch sein Herz schlug ungeduldig und erwartungsvoll in seiner Brust.

Die ganze strahlende Pracht dieses Tages, die schweren Weine, die Musik – dies Alles hatte ihn in eine gewaltige Aufregung gebracht und selbst halb berauscht. Mit Ungeduld zog es ihn zu dem geliebten Mädchen, um an seinem Herzen für kurze Zeit Ruhe zu schöpfen. Da sah er es an dem Thorpfeiler stehen. Hastig trat er heran und erfaßte seine Hand.

»Grete, Grete,« flüsterte er erfreut – »gut, daß Du hier bist. Ich habe Dich gesucht.«

»Ich wußte, daß Du kommen würdest,« erwiderte das Mädchen leise.

»Wir dürfen nicht hier stehen bleiben, Grete,« fuhr Hugo flüsternd fort. »Man könnte uns hier sehen. Komm mit mir in den Garten, dort kannst Du Alles besser sehen, dort sind wir allein und ungestört.«

Das Mädchen zögerte schweigend. Noch nie hatte es einen Fuß in jenen Raum gesetzt und fast angstvoll bebte es davor zurück.

»Nein – nein, Hugo,« sprach es leise und zögernd, aber er hatte seine Hand erfaßt und zog es ungestüm mit sich.

Mit angstvoll pochendem Herzen trat Grete ein in den Garten, aber sie hatte nicht Zeit, auf die Stimme ihres Herzens zu hören. Wie in einem Feenreiche schritten sie in dem Schatten dunkler Orangenbäume dahin, durch das Grün der Bäume schimmerten die hell erleuchteten Fenster des Schlosses, rauschend und herrlich tönte die Musik herüber, während in dem Garten in der unmittelbaren Nähe Alles still und schweigend war. All' ihre Sinne waren angezogen und halb betäubt. Hugo hatte den Arm um sie geschlungen und zog sie mit sich fort; willenlos folgte sie ihm.

Dort unter jener Linde, die noch jetzt allein und verlassen auf der verödeten Stätte des früheren Gartens steht, bildete eine dichte Rebenwand ein stilles und abgeschlossenes Plätzchen. Auf den Bänken, die dort standen, lagen weiche Polster und zu Füßen waren noch die Teppiche ausgebreitet, auf denen am Nachmittage die Fürstin gesessen. Der Platz war heimlich dunkel und abgeschlossen, nur nach vorn schimmerte das erleuchtete Schloß durch die Bäume.

Dorthin führte Hugo das Mädchen und zog es neben sich auf die Bank. Schweigend, zögernd und aufgeregt setzte sich Grete nieder. Er schlang seinen Arm um ihre Taille und sie lehnte ihre glühende Wange an seine Schulter.

»Sieh', wie herrlich das Schloß sich von hier ausnimmt,« sprach Hugo leise, »sieh' wie all die Lichter funkeln. Dort in jene Räume will ich Dich einst einführen, dort sollst Du Herrin werden und ich will Dich mit Glanz und Pracht umgeben wie eine Fürstin. Dort wollen wir mit einander leben, so glücklich wie nur zwei Menschenherzen leben können.«

Gretens Herz schlug lauter und lauter. Ihre aufgeregte Phantasie spiegelte ihr die verlockendsten Bilder der Zukunft vor, und innig und leise drückte sie die Hand des Geliebten. Sie dachte nicht an den Stolz und Hochmuth des Gutsherrn und seiner Gemahlin, sie dachte nicht an die unerbittliche Strenge ihres Vaters, der nimmer, die Verbindung seines einzigen Kindes mit dem Sohne des Mannes, den er haßte, zugeben würde, das beseligende Gefühl ihrer Liebe hielt all' ihre Gedanken gefangen.

Und Hugo flüsterte zu ihr von seiner Liebe und seinem Glücke. Er schwor ihr ewige Treue, malte ihr die Zukunft in sonnigen, herrlichen Bildern aus und schlang seine Arme fester und ungestümer um ihren Hals. Sie fühlte seinen Hauch auf ihren Wangen und seine Lippen auf ihrer Stirn, sie hörte sein Herz rasch und laut schlagen, und rasch, fast ringend schöpfte sie Athem.

Immer leiser wurde sein Geflüster von Liebe und Glück, immer mehr regte es sie auf und schläferte sie zugleich ein. Wie Sterne an dem Himmel ihres Glückes erschienen ihr die flimmernden Lichtstrahlen vom Schlosse her, und die Musik drang wie in fernen, leisen Tönen in ihr Ohr.

Immer heftiger und berauschender flammte die Leidenschaft der Liebe in den Herzen der beiden Glücklichen auf, immer fester umschloß sie ihre Gedanken, immer schmeichelnder und verlockender legte sie sich um ihre Sinne.

»Du bist mein, Du bist mein,« flüsterte Hugo leise und schloß ihren Mund mit ungestümen und glühenden Küssen. Sie vermochte ihn nicht zurückzudrängen und sich loszureißen aus dem wilden Rausche der sie umfangen hielt, willenlos sank sie hin in seinen Armen.

Die Musik war verstummt, die Lichter in dem Schlosse waren ausgelöscht, die Gäste fortgefahren und die neugierigen Dorfbewohner in ihre Häuser zurückgekehrt. Alles ringsum war still, kein Lufthauch regte die Wipfel der Bäume. Mit glühenden Wangen, aufgeregt eilte Grete durch eine kleine Pforte aus dem Garten auf die Straße. Hugo wollte sie begleiten, aber sie drängte ihn fast ungestüm zurück. Er schloß sie noch einmal in seine Arme und flüsterte: »Nun bist Du mein, für ewig mein!« da riß sie sich gewaltsam von ihm los und eilte wie eine Verfolgte davon.

Angst und drückende Bangigkeit lag auf ihrem Herzen. Dicht an die Häuser und Mauern gedrängt eilte sie durch das Dorf ihrem väterlichen Hause zu. Aber je mehr sie sich ihm näherte, um so beängstigender wurde das Gefühl, das ihre Brust zusammenpreßte, und mehr als einmal mußte sie stehen bleiben, um Athem zu schöpfen.

Mit fast fieberhafter Aufregung suchten ihre Augen das väterliche Haus und erst, als sie gewahr wurde, daß weder in der Stube noch in der Schlafkammer ihres Vaters ein Licht brannte, wurde ihr etwas ruhiger. Ihr Vater erwartete sie also nicht, sie brauchte nicht vor ihn hinzutreten und ihm zu antworten, wenn er sie mit sein er strengen Stimme fragte: »Wo bist Du so lange geblieben?« Sie brauchte jetzt nicht ihre Augen zu ihm aufzuschlagen und ihm ihre brennende Stirn zu zeigen, auf der Alles, Alles geschrieben stand. Das machte sie ruhiger.

Als sie aber an die Pforte ihres väterlichen Hauses kam, blieb sie lange und zögernd stehen. Hatte sie auch ein Recht hier einzutreten? War sie noch das Kind dieses Hauses, auf dem kein Flecken und kein Makel ruhte? Durfte sie in ihm ihr Haupt wieder zur Ruhe niederlegen? Konnte sie unter diesem Dache noch Schutz und Schirm finden?

Ein Fieberfrösteln ergriff sie und durchschauerte ihren Körper. Mit Gewalt raffte sie sich zusammen. Sie legte die Hand auf das Schloß der Thür, sie war nicht verschlossen. Leise, rasch schlüpfte sie hinein und verschloß sie hinter sich. Sie eilte auf ihre Kammer, verriegelte die Thür und warf sich dann erschöpft, halb bewußtlos auf das Bett. Sie barg das glühende Gesicht in die Kissen, sie sehnte sich nach Thränen, um dem Bangen ihres Herzens Erleichterung zu verschaffen, vergebens. Thränen sind ja nicht geschaffen, eine Schuld zu sühnen, eine That ungeschehen zu machen und das düstere Verhängniß, daß durch sie heraufbeschworen ist, abzuwenden. Der Schlaf erbarmte sich endlich über sie und gab ihrem Herzen Ruhe.

Der neue Tag war längst hereingebrochen. Da pochte ihr Vater an die Kammerthür und rief scherzend heiter: »Nun, Grete, steh' auf, oder Du wirst heute nimmer die Sonne mehr untergehen sehen.«

Rasch und erschreckt fuhr sie in die Höhe. Sie sah, daß sie sich unentkleidet auf das Bett geworfen hatte, der Kopf schmerzte ihr, ihre Gedanken waren noch verwirrt. Sie fuhr mit der Hand langsam über die Stirn und strich das Haar zurück. Da kehrte die Erinnerung an den vorhergehenden Abend zurück und ihre ganze Schuld stand mit einem Male klar und groß vor ihrer Seele. Mit verzweiflungsvollem Schmerz und Bangen warf sie sich wieder auf das Bett. Der Tod würde sie in diesem Augenblicke glücklich gemacht haben. Aber sie konnte nicht sterben, sie mußte ihre Kräfte gewaltsam zusammenraffen und vor ihren Vater hintreten, der sie erwartete.

Sie sprang empor, ordnete hastig ihre Kleider und verließ mit schwerem, angstvoll pochendem Herzen die Kammer. Ihre sonst so frischen Wangen waren bleich.

Als sie zu ihrem Vater in das Zimmer trat, schlug sie rasch und zitternd die Augen auf. Da saß er ruhig und mit heiterem Gesicht – – er hatte ja noch keine Ahnung von der Schuld und dem Unglücke seines Kindes.

»Das war wohl schön gestern Abend?« fragte er mild und freundlich. »Mir ward die Zeit hier lang, da habe ich mich früh zur Ruhe gelegt und all' den Spectakel verschlafen.«

Grete wagte nicht zu antworten. Eine glühende Röthe bedeckte ihre Wangen, ihre Augen waren auf den Boden gerichtet und ihre Kniee erzitterten.

Ihr Vater bemerkte es. »Nun, nun, Grete,« sprach er lächelnd. »Du brauchst Dich nicht zu schämen, weil Du einmal die Zeit verschlafen hast. Der Lärmen und die Aufregung gestern Abend werden daran Schuld sein. Rühre jetzt die Hände etwas geschäftiger, dann, denke ich, wird es wohl noch nachzuholen sein, was Du versäumt hast.« Er strich ihr bei diesen Worten freundlich und schmeichelnd über die Wangen.

Grete vermochte kein Wort zu entgegnen. Es war ihr, als ob alles Blut ihres Körpers mit einem Male und gewaltsam in das Herz geschossen wäre und es zu zersprengen drohte. Sie eilte zum Zimmer hinaus und erst als sie allein war, als die ihrer harrende Arbeit sie in Anspruch nahm, wurde sie etwas beruhigter und leichter ums Herz, sie gewann zum wenigsten Zeit, sich zu fassen. –

 

Wochen und Monde waren seit jenem Tage vergangen. Auf dem Gute des Herrn von Schwarz herrschte nicht allein noch das frühere üppige und verschwenderische Leben, sondern dies war sogar noch gesteigert. Die Zurechtweisung der Fürstin der Gutsherrin gegenüber, die Kälte beim Abschiede und die noch größere Kälte, die einer Zurückweisung nicht unähnlich war, als Frau von Schwarz kurze Zeit darauf am Hofe erschienen war dies Alles war in den adligen Kreisen, in deren Gesellschaft sich Frau von Schwarz bewegte, nicht unbekannt geblieben und hatte einiges Aufsehen erregt. Die stolze Gutsherrin wußte dies, sie sprach sich in vertrauten Kreisen über die Fürstin bitter aus, und um öffentlich zu zeigen, wie wenig sie sich aus der Gnade oder Ungnade der Fürstin mache, wie wenig sie des Hofes bedürfe, steigerte sie ihren Luxus und Glanz bis zur sinnlosen Verschwendung.

Durch alle Mittel war sie bemüht, den Adel ihrer Gegend fast täglich in ihrem Schlosse zu Gesellschaften zu versammeln, hier wollte sie selbst gleichsam den Hof halten. Und es fanden sich genug, welche sich durch die glänzenden Festlichkeiten angezogen fühlten und der zwar hochmüthigen und stolzen, aber immer noch stattlichen und hübschen Dame ihre offenen Huldigungen darbrachten. Und wer die hochgewachsene Frau mit ihrem regelmäßigen Gesichte, mit ihren stolzen und berechnenden Augen, mit ihrem vornehmen Lächeln, in Seide und Atlas gekleidet durch den Saal schreiten sah, der fühlte sich wohl für den ersten Augenblick durch ihre Erscheinung geblendet und imponirt, er konnte sie wirklich für eine Fürstin halten. Aber bei alle dem lag nichts Anziehendes und Fesselndes in ihrer Erscheinung. Ihr Hochmuth stieß ab, ihr Uebermuth verletzte, da er in jeder Beziehung berechnet war.

Zugleich war Frau von Schwarz selbst im Kreise ihre Familie, ja selbst ihrem Gemahl gegenüber herrisch und befehlend. Sie war aus einer alt adligen, stolzen Familie, hatte ihrem Gemahle ein bedeutendes Vermögen mitgebracht, aber dies war längst durch ihre Verschwendung und Prunksucht vergeudet. Das war ihr gleichgiltig. Sie dachte bei ihren maßlosen Wünschen nie an die Mittel, durch welche sie befriedigt würden, nie an die bedeutenden Opfer, welche sie vielleicht verlangten.

Herr von Schwarz war seiner Frau gegenüber schwach, außerdem trafen ihre Leidenschaften meist mit den seinigen zusammen. Auch er war leichtsinnig, verschwenderisch, stolz und hochmüthig. Auch er scheute bei der Befriedigung eines Wunsches selbst die größten Opfer nicht.

Regte sich auch zuweilen der Gedanke in ihm, daß die Verschwendung und die bedeutenden Ausgaben seine Kräfte weit überstiegen, kehrte dann und wann bei dem Gedanken an die Zukunft auch ein banger, sorgenvoller Gedanke bei ihm ein, ja machten ihm häufig selbst schon die Mittel zur Bestreitung so bedeutender Ausgaben Sorgen – die Gesellschaften ließen ihm keine Zeit und Ruhe, solche Gedanken mit Ernst zu verfolgen, sein leichtsinniger Sinn war froh, wenn er Gelegenheit fand, sie von sich abzuwerfen und zu vergessen.

Er ahnte und wußte, daß er auf diese Weise einem endlichen Verderben entgegenging, wie nahe es ihm aber bereits schon stand, das ahnte er nicht.

Das Vermögen seiner Frau, das nicht minder bedeutende Vermögen, welches er von seinem Vater geerbt hatte, dies Alles war durchgebracht und selbst auf seinem Gute lasteten bereits Schulden. Er wußte dies Alles, und mußte es ja natürlich wissen, ihm bangte, wenn er daran dachte, aber er wollte nicht daran denken, und es gab kein besseres Mittel, ihn hierin zu unterstützen, als Vergnügungen, Gesellschaften und hohes Spiel, welche ihn in steter Aufregung, in einem Rausche erhielten.

Hugo stand inmitten dieses Lebens wie ein Rohr da, das sich willenlos von dem herrschenden Winde biegen läßt. Von Jugend auf nur mit den Gedanken an seine besonderen Wünsche und Vergnügungen beschäftigt, hatte er nie einen überlegenden Blick auf das Leben seiner Eltern gerichtet. Er kannte ja auch ihre Mittel, ihr Vermögen nicht, er hatte sich nie Sorgen über die Zukunft gemacht, weil er sie sich nicht anders vorzustellen vermochte, als die Gegenwart war. Und jetzt vor Allem, wo sein Herz mit der Liebe zu Grete beschäftigt war, konnten solche Gedanken nicht in ihm aufkommen.

Stiller und trauriger war es während dieser Zeit in dem Hause des reichen Ackermanns Martin hergegangen. Die bleichen Wangen, die bange und scheue Traurigkeit, ja selbst die häufig verweinten Augen seines Kindes waren dem Vater nicht lange verborgen geblieben. Vergebens hatte er nach dem Grunde, der diese Veränderung hervorgerufen, geforscht. Grete hatte nie eine befriedigende Antwort auf seine Fragen gehabt, meist hatte sie das Zimmer verlassen und er hatte sie mehre Male in den heftigsten, bittersten Thränen gefunden. Er selbst vermochte keinen Grund zu finden und sah körperliches Unwohlsein als die Ursache an, welche sein Kind so traurig stimmte. Es that ihm in der Seele weh. Gretens bleiche Wangen erregten Tag für Tag bange Sorgen in seinem Herzen und er bot seine größte Freundlichkeit und Milde auf, um sie heiter zu stimmen. Wie oft trat er an sie heran, legte seine Hand auf ihr Haupt oder strich ihr über die Wangen und fragte: »Was ist es, Grete, was Dich so traurig stimmt! Sag's mir, vielleicht kann ich Dir helfen!« Und wenn das Mädchen dann schwieg, wenn sie aus dem Zimmer eilte, dann ging er selbst wohl hinaus auf das Feld, weil es ihm im Hause nimmer Ruhe ließ. Aber auch seine Felder und herrlich blühenden Aecker vermochten ihn nicht zu zerstreuen. Was kümmerten sie ihn, was kümmerte ihn all sein Reichthum, da er um seinen größten Schatz, um sein Kind besorgt war.

Dies Mädchen war es, welches allein von allen Menschen seinem Herzen so nahe stand, welches es ganz erfüllte, sie allein war ihm von mehren Kindern übrig geblieben. Sie alle hatte ihm der Tod geraubt, und selbst sein Weib hatte er schon vor Jahren hinaustragen lassen zum Friedhof, in dessen Erde seine liebsten Herzen gebettet waren. Auf dies eine ihm gebliebene Kind, auf Grete, hatte er nun alle seine Liebe vereint, gegen sie war er ein liebevoller, zärtlicher Vater, so streng er auch gegen Andere sein konnte, so wenig Sanftmuth und Schwäche in seinem festen, unerbittlichen Charakter lag.

Dieses bange Besorgtsein, diese zärtliche Liebe ihres Vaters war es, die des unglücklichen Mädchens Herz täglich folterte und quälte. Er war so mild und gut gegen sie, und immer und immer mußte sie, sich gestehen, daß sie diese Liebe und aufmerksame Sorgfalt nicht verdient habe. Wäre er hart und rauh gegen sie gewesen, hätte er sie fortgestoßen, sie würde darin eine Sühne für ihre Schuld erblickt haben, und diese Sühne würde ihr banges Herz erleichtert haben.

Sie litt unendlich. Manche Nacht hatte sie durchweint, mehr als einmal war ihr der Gedanke gekommen, sich den Tod zu geben, und dadurch all' ihren Schmerzen und ihrem Elende ein Ende zu machen. Aber sie schauderte vor diesem Gedanken, wenn ihr dann die Verzweiflung und der Schmerz ihres Vaters vor die Seele traten. Und dann wieder war sie entschlossen gewesen, sich ihm zu Füßen zu werfen und Alles, Alles zu gestehen, bald, bald mußte er es ja doch erfahren, denn nimmer konnte sie die Folgen ihrer Schuld abwenden. Dann mochte er sich von ihr abwenden, mochte sie verstoßen, sie hatte es so verdient, keine Strafe erschien ihr zu hart für ihr Vergehen.

Aber auch vor diesem Entschluß bebte sie zurück. Noch ahnte er nichts, noch hielt er sie für rein und schuldlos, noch war sie sein größter Schatz, sein höchstes Glück; durfte sie ihm dies Alles, Alles durch das eine Wort rauben?

Sie zitterte bei dem Gedanken an die Stunde, wo ihr Vater es erfahren würde. Mit ihrem eigenen Leben, mit ihrem Glück und der Hoffnung auf ihre Zukunft hatte sie bereits abgeschlossen, nur sein Glück lag ihr noch am Herzen.

Es kamen in ihrer Verzweiflung selbst Stunden, wo sie sogar ihren Geliebten haßte, wo sie nicht im Stande gewesen wäre, ihn zu sehen. Und dann wieder klammerte sie sich mit aller Leidenschaftlichkeit ihrer Liebe an ihn, dann konnte sie ihm nicht zürnen, denn er war ja nicht schuldiger als sie selbst. Ja, sie fand einen Trost darin, alle Schuld auf sich allein zu wälzen, um den, den ihr Herz so innig liebte und verehrte, rein zu wissen.

Nur selten kam sie mit Hugo zusammen. Sie hatte anfangs die Trennung von ihm sich als Buße auferlegt, aber lange hatte sie dieselbe nicht zu ertragen vermocht, denn ein Herz mußte sie zum wenigsten haben, dem sie sich anvertrauen konnte, ein Herz, das ihren Schmerz verstand und ihn mitempfand.

Und Hugo allein war es auch, der sie zu trösten vermochte. Er liebte sie noch eben so innig, er sprach ihr Trost ein und suchte sie durch die Gedanken an die Zukunft zu beruhigen. Wenn er bei ihr war und zu ihr sprach, trat ihr alles Andere ferner, sie fühlte ihr Herz erleichtert, wußte sie doch, daß er nimmer von ihr lassen würde, denn hundertmal hatte er ihr ewige Treue geschworen.

So war der Winter in dem Hause des Ackermanns still und traurig dahingeflossen. Schon hatten die warmen Strahlen der Frühlingssonne an den Bergabhängen frisches Grün und duftende Blüthen hervorgerufen, in der ganzen Natur war ein neues und reges Leben, das auf den Zweigen sang und jubelte, das die Luft mit lustigen Liedern erfüllte und auf der Erde sich geschäftig regte. In Gretens Herzen fanden diese Freude und dieser Jubel keinen Wiederhall. Sie fühlte sich doppelt unglücklich und elend.

Seit Wochen hatte sie keine Gelegenheit gehabt, Hugo zu sehen und zu sprechen, sie sehnte sich nach ihm, denn ihr Herz vermochte die Einsamkeit, auf welche es angewiesen war, nicht länger zu ertragen. Da war ihr Vater eines Tages auf ein benachbartes Dorf gegangen, wo er bis spät am Abend bleiben wollte, die Dienstboten waren auf dem Felde und sie war ganz allein im Hause. Der Zufall führte Hugo vor dem Hause vorüber, sie gab ihm ein Zeichen und wenige Minuten später trat er durch den Garten und die Hinterpforte unbemerkt in das Haus ein. Grete empfing ihn mit bange pochendem Herzen, aber sie mußte ihn sprechen, wenn auch nur auf einige Minuten.

Sie führte ihn in das Zimmer, das er zum ersten Male in seinem Leben betrat.

»Hugo,« sprach sie weinend und mit bebender Stimme, »ich ertrage die Qual meines Unglücks und meiner Schande nicht länger mehr, sie verzehrt und vernichtet mich.«

»Sei ruhig, Grete,« bat er, »denk' daran, daß wir auch ein Pfand haben, das uns für immer unzertrennlich aneinander bindet.«

»Und mein Vater, mein Vater!« schluchzte das Mädchen und barg ihr Gesicht in den Händen.

Der Schmerz des geliebten Mädchens schnitt ihm tief ins Herz hinein, er schlang seine Arme um sie und zog sie an sein Herz.

Fast heftig riß sich Grete von ihm los und eine dunkle Röthe flammte über ihre Wangen. Hier in dem Zimmer ihres Vaters durfte er sie nicht umfassen, diesen ihr so heiligen Raum durfte er nicht entweihen, denn vor den Augen ihres Vaters hatte er noch kein Recht, sie zu berühren.

Ueberrascht, erstaunt blickte sie Hugo an.

»Hier, hier darfst Du mich nicht umfassen, Hugo!« rief sie. »Hier nicht, denn dies ist das Zimmer meines Vaters.«

»Du bist mein, mein vor Gott!« rief Hugo. »Kein Mensch kann und soll uns trennen – ich habe ein Recht, Dich zu umarmen!« Er streckte seine Arme nach ihr aus, doch sie wich einen Schritt zurück.

In diesem Augenblicke wurde die Thür geöffnet und der Ackersmann trat ein. Ueberrascht, erschrocken blieb er auf der Schwelle stehen, als er den Junker erblickte und sah, wie er die Arme nach seinem Kinde ausstreckte. Blässe überzog sein Gesicht, machte aber sogleich wieder der dunklen Röthe des gewaltsam in ihm auflodernden Zornes Raum. Seine ganze, große und starke Gestalt erzitterte, und er war nicht im Stande, ein Wort hervorzubringen.

Grete erblickte ihn zuerst und fuhr mit einem halb unterdrückten Schrei des Schreckens zurück. Auch Hugo blickte sich um und die unerwartete Erscheinung des Ackermanns, sein finsterer, drohender Blick erschreckte ihn für den ersten Augenblick nicht weniger.

Der Ackermann schien mit aller Gewalt die Heftigkeit seines Zornes zu bekämpfen.

»Was haben Sie in meinem Hause zu suchen, Junker von Schwarz?« fragte er und seine Stimme erklang kalt und drohend.

Hugo schwieg verwirrt.

»Was haben Sie hier zu suchen? Sprechen Sie!« rief er noch strenger und befehlender. »Gilt Ihr Besuch dem Mädchen dort? Gut, so will ich zeigen, wie ich ihn aufnehme und von meinem Hausrechte Gebrauch machen.«

Er schritt auf Hugo zu und seine Aufregung verrieth, daß er seine Hand an ihn legen werde.

Mit der Spannung der höchsten Angst hatte Grete jeden Blick, jede Bewegung ihres Vaters beobachtet. Sie ahnte, was er im Sinne hatte und eilte ihm entgegen, um ihn zurückzuhalten.

»Er ist mein Verlobter, Vater!« rief sie, um den Geliebten zu schützen.

»Dein Verlobter?« wiederholte der Ackermann, und lachte laut auf. »Dein Verlobter, der Junker von Schwarz?! Ha, ha! Gut, ich will ihm das Jawort geben,« und er streckte seinen Arm nach ihm aus, um ihn zu erfassen. Grete hielt ihn zurück.

»Laß ihn, Grete,« sprach Hugo, den des Bauern Heftigkeit und Drohung erbitterte. »Laß ihn, ich fürchte ihn nicht!«

Wieder schoß das Blut gewaltsam in des Ackermanns Gesicht, aber er bezwang sich und erwiderte mit bitterem Spott: »Ha, Ihr habt auch nicht nöthig, mich zu fürchten, Junker von Schwarz, denn meine Hand ist zu gut, um sich an Euch zu vergreifen. Aber jetzt marsch aus meinem Hause, oder …«

Er vollendete seine Worte nicht.

Hugo verließ das Zimmer und der Ackermann blickte ihm finster drohend nach. Dann schritt er heftig im Zimmer auf und ab, gleichsam als wollte er seine innere Heftigkeit mit Gewalt niederkämpfen. Seine Brust holte tief und schwer Athem, seine Lippen waren fest, fest aufeinander gepreßt, nicht ein Wort sprach er, nicht einen Blick warf er auf sein Kind.

Bleich, bebend, die Augen starr auf den Boden gerichtet, stand Grete da. Ihr ahnte, daß eine schwere Stunde für sie kommen werde, und das Blut schien in ihrem Herzen zu stocken.

Endlich blieb ihr Vater vor ihr stehen und richtete seinen Blick auf sie. »Grete,« sprach er, und seine Stimme erklang so furchtbar ernst, daß sie erzitterte. »Grete,« wiederholte er, »was hat der Junker hier gewollt?«

Das unglückliche Mädchen rang vergebens nach einer Antwort. »Was hat der Bursch hier gewollt?« fragte er noch einmal, und sein Auge blickte unerbittlich streng auf sie.

Da warf sie sich ihm zu Füßen, umklammerte seine Kniee mit beiden Armen und gestand ihm mit schluchzender Stimme Alles, Alles, ihre Schuld, ihr Vergehen, ihr Elend und ihre Verzweiflung.

Schweigend, die Augen starr auf sie gerichtet, hatte der Ackermann sie angehört. Er schien es für unmöglich zu halten, was sein Kind zu ihm gesprochen, aber ihr verzweiflungsvoller Schmerz, ihre bleichen abgehärmten Wangen bestätigten es nur allzusehr.

Seine Kniee erzitterten, er schien zu wanken und fuhr sich mit der Hand langsam über die Stirn. Ein schwerer Seufzer rang sich aus seiner Brust hervor, und mit den mühevoll hervorgestoßenen Worten: »O Gott! Verführt – entehrt – mein Haus geschändet!« sank er halb bewußtlos auf einen Stuhl, das Gesicht in den Händen bergend.

Schweigend, regungslos saß er da. Seine Brust rang hörbar und mit Mühe nach Athem und verrieth, was in ihm vorging.

Grete wagte nicht zu ihm aufzublicken. Sie lag noch auf den Knieen und hatte ihren Kopf auf einen Stuhl gestützt. Sie schluchzte heftig, ohne eigentlich zu weinen, denn der Trost der rinnenden und lösenden Thränen war ihr in diesem Augenblick nicht gegönnt. Was sie in dieser Stunde litt, war hinreichend, ihre Schuld zu sühnen, aber die That konnte dadurch nicht ungeschehen gemacht, ihre Folge nicht abgewendet werden.

Plötzlich sprang der Ackermann aufgeregt in die Höhe, und sein Körper schien seine ganze Größe und Kraft wieder erreicht zu haben.

»Der Bube hat Dir die Ehe versprochen?« rief er fragend. »Er hat Dir weiß gemacht, Dich zu seinem Weibe nehmen zu wollen?«

»Er hat es mir geschworen,« antwortete Grete kaum hörbar.

»So soll er sein Wort halten, so soll er die äußere und öffentliche Schande zum wenigsten von Dir abwenden, mag auch mein Leben darüber zu Grunde gehen!«

Ohne auf sein Kind noch einen Blick zu werfen, ergriff er seine Mütze und verließ das Zimmer.

Grete wußte nicht, was er vorhatte. Sie wagte nicht, ihm zu folgen, sie wäre auch nicht einmal dazu im Stande gewesen. Den Kopf wieder auf den Stuhl gestützt, blieb sie auf den Knieen liegen, halb betäubt und besinnungslos durch ihren Schmerz.

Mit festen und raschen Schritten eilte der Ackermann dem Gutshofe zu. Wohl lag auf seinem Gesichte eine ernste Ruhe, aber dies war eine Ruhe, die einen Jeden, der sie gesehen, mit einem bangen Gefühle erfüllt haben würde, so finster und drohend war sie. Starr blickte sein Auge auf das Schloß, als ob es ihm vorauseilen wolle und die Zeit nicht erwarten könne, wo es seinem Feinde entgegenblickte.

Mit derselben Festigkeit und äußerlichen Ruhe stieg er die Stufen zum Schlosse empor und trat in dasselbe ein. Es waren lange, lange Jahre her, daß er nicht hier gewesen war, es hatte sich hier Vieles verändert – was kümmerte es ihn, nicht einen flüchtigen Seitenblick warf er darauf.

Einen Diener fragte er nach dem Herrn v. Schwarz und sagte, daß er ihn zu sprechen wünsche.

»Der gnädige Herr ist in dem Saale. Ich werde es ihm sagen,« erwiderte der Diener und eilte ihm voraus.

Er folgte ihm, er zitterte fast vor Ungeduld und fühlte, daß er die äußere Fassung, welche er sich mit Gewalt auferlegt hatte, nicht länger mehr zu bewahren vermöge. Fast dicht hinter dem Diener trat er in den Saal ein, in dessen Pracht die sinnlose Verschwendung ihren höchsten Grad erreicht zu haben schien.

Die Decke schimmerte von goldenen Verzierungen, an den Wänden mit den schweren, kostbaren Sammettapeten hingen die Ahnenbilder des Herrn v. Schwarz und blickten stolz und ernst herab, und der kostbar getäfelte und polirte Fußboden erglänzte fast wie ein Spiegel. Erstaunt und mit einem unwilligen, stolzen Blicke trat der Gutsherr dem Bauer entgegen.

»Was wünscht Ihr?« fragte er kurz und herrisch.

Der Ackersmann schwieg einen Augenblick und richtete seine Augen fest und durchdringend auf den hochmüthigen Mann vor ihm.

»Herr v. Schwarz,« sprach er endlich, und seine Stimme erklang, als ob mit jedem Worte ein Stück von seinem Herzen und Leben losgerissen würde »Herr v. Schwarz,« wiederholte er langsam, »Ihr Sohn hat mein Kind – meine Tochter – verführt – entehrt!« Er mußte inne halten, denn die Stimme versagte ihm, sein Herz wurde wie durch eine furchtbare Gewalt zusammengepreßt.

Der Gutsherr war durch diese Worte Anfangs überrascht, aber gleich darauf zuckte ein spöttisches Lächeln über sein Gesicht. Er sah den ihm so sehr verhaßten Mann auf's Bitterste gekränkt und gedemüthigt, er sah ihn durch seinen Sohn an einer Stelle verwundet, die ihm am heiligsten galt, er sah seine stolze Ehre befleckt, von der er durch all' seinen Reichthum diesen Flecken nicht zu wischen vermochte. Er würde seinem Sohne ein noch zehnmal größeres Vergehen dieses einzigen Triumphes wegen mit Freuden verziehen haben, und mit herzloser Grausamkeit weidete er sich an dem Schmerze des Vaters.

Verächtlich, gleichgiltig zuckte er mit den Schultern.

»Ist es wahr,« sprach er, »daß mein Sohn sich so weit vergessen hat, sich mit Eurer Tochter einzulassen – gut, so werde ich die Kosten tragen.«

Starr und drohend hielt der Ackermann seine Augen auf ihn gerichtet, er war indeß zu aufgeregt, um den Spott und die Verachtung, welche in diesen Worten lagen, zu verstehen. Wie konnte er auch daran denken, daß der Gutsherr es wagen könne, ihm Geld anzubieten und eine Schuld, die an seinem Leben rüttelte, mit Geld zu sühnen! Wie konnte er daran denken, er, der so reich war, reicher als der stolze Gutsherr, der sein Vermögen durchgebracht hatte, dessen Gut mit Schulden belastet war, mit dem er nimmer hätte tauschen mögen.

»Die Kosten tragen?« wiederholte er, weil er die Worte nicht verstand. »Er hat meinem Kinde die Ehe versprochen und ich verlange sie. Nur durch eine rasche Ehe kann die Schande äußerlich abgewendet werden, nur dadurch kann die öffentliche Ehre gerettet werden.«

Der Gutsherr lächelte spöttisch und verächtlich. »Gut,« entgegnete er. »Wenn Ihr glaubt, daß die Ehe die Ehre Eurer Tochter zu retten vermag, so will ich mit meinem Jäger reden. Er ist unverheirathet und vielleicht bereit …«

»Herr v. Schwarz!« unterbrach ihn der Ackermann mit lauter, drohender Stimme, und die Worte stockten vor heftiger Aufregung in seiner Brust, »Herr v. Schwarz – kein Wort weiter. Ihr Bube hat wein Kind entehrt, er soll es wieder zu Ehren bringen und er hat ihm geschworen, es zum Weibe nehmen zu wollen!«

Er hatte die Worte laut und bebend gesprochen, er war einen Schritt auf den Gutsherrn zugetreten, und so fest hatte er seinen Fuß auf den glänzenden Boden gesetzt, daß der Saal erzitterte.

»Ha, ha!« lachte der Gutsbesitzer. »Ha, ha! Mein Sohn Euer Mädchen zur Frau! Ihr scheint den Verstand verloren zu haben, sonst würdet Ihr dies nicht einmal zu denken gewagt haben. Aber bedenkt, daß Ihr nicht auf dem Estricht Eures Zimmers steht, auf dem Ihr meinetwegen mit dem Fuße stampfen mögt, dieser Parquetboden ist nicht für Bauernfüße geschaffen.«

Die dunkle Röthe des Zornes flammte über des Bauern Gesicht und er hatte einige Zeit nöthig, um Worte zu finden. Er trat fest einen Schritt näher an den Gutsbesitzer heran und sprach mit bebender Stimme: »Ha, dieser Boden wird vielleicht noch an einen Bauer verkauft werden, damit Sie sich für das Geld ein Stück Brod kaufen. Sie selbst kommen vielleicht einst noch vor meine Thür und werden mit Freuden ein Stück Brod von mir annehmen und dann – dann wird wohl Ihr gottloser Hochmuth verschwunden sein. Und diese Zeit wird kommen – sie kommt! – Noch einmal verlange ich, daß Ihr Sohn meine Tochter heirathet. Er hat sie entehrt, hat ihr die Ehe versprochen – jetzt soll er es halten. Wäre es anders – wäre er gekommen, um mein Kind zu werben, ich würde dem Junker von Schwarz die Thür gewiesen haben!«

»Schweigt!« rief ihm der Gutsherr erzürnt zu und ergriff eine auf dem Tische stehende Klingel, um seinen Diener zu rufen.

»Wirf den unverschämten Menschen zum Schlosse hinaus!« rief er dem eintretenden Diener zu, den dieser Befehl in die größte Verlegenheit versetzte, denn furchtlos und ruhig stand der Ackermann da.

Drohend, fest blickte dieser dem Gutsherrn, der scheu einen Schritt zurückgetreten war, in die Augen und schien eine heftige Leidenschaft mit Gewalt in sich niederzukämpfen. Endlich wandte er sich mit einem verachtenden, stolzen Blicke von ihm ab und verließ ruhig und mit festem Schritte den Saal.

Als er aber die Thür in seiner Hand hielt, da zuckte es plötzlich durch seinen ganzen Körper und er warf sie mit einer solchen Kraft hinter sich zu, daß sie wieder aufflog und aus den Angeln gerissen niederfiel. Ohne den Blick zurückzuwerfen, ohne auf die drohenden Worte des Gutsherrn und des ihm nacheilenden Dieners zu hören, verließ er langsam, fest und ruhig das Schloß.

Er wünschte, daß ihn der Diener anrühren möge, dann hätte er seiner Aufregung und Leidenschaft die Zügel schießen lassen, dann würde es aber auch ein Unglück gegeben haben. Aber der Diener fürchtete sich vor seiner großen und kräftigen Gestalt und nahm lieber die härtesten Worte des Gutsherrn über seine Feigheit hin.

Als Martin in sein Haus zurückkehrte, war der Abend bereits hereingebrochen. Er trat ein in das Zimmer, welches Grete verlassen hatte, und setzte sich nieder, das Gesicht in den Händen bergend. Schweigend, regungslos saß er da, nur das schwere und langsame Athmen seiner Brust verrieth, was in ihm vorging, welchen Gedanken er nachhing.

Er merkte es nicht, daß es immer dunkler und dunkler im Zimmer wurde, und daß sein unglückliches Kind schüchtern, leise eintrat und ein Licht vor ihn hinstellte. Er sah nicht den tiefen Schmerz, mit dem des Mädchens Augen auf ihm ruhten – hätte er es gesehen, es würde auch seinem Herzen eine schwache Beruhigung gegeben haben.

Seine Gedanken weilten bei dem Unglücke seines Kindes, bei der Schande seines Hauses und dem Spotte und Hohne des hochmüthigen Gutsbesitzers. Wirr und wild sprangen sie durcheinander und er bemühte sich vergebens, sie zu ordnen und einen Entschluß zu fassen. So wie es jetzt war, konnte es nicht bleiben, das fühlte er deutlich, und doch sah er keinen Ausweg. Er konnte sein Kind nicht gänzlich verstoßen, denn mochte es ihn auch noch so unglücklich machen, mochte es auch all' sein Glück vernichtet haben, es blieb immer sein Kind und war noch unglücklicher als er selbst. In seinem Hause durfte es indeß nicht bleiben, denn dies Haus, dessen fleckenlose Ehre sein Stolz gewesen war, durfte diese Schande nicht sehen, und auch fremden Leuten mochte er es nicht übergeben.

Es war spät am Abend, als er endlich auffuhr und aus seinen düstern Gedanken erwachte. Er sah sein Abendbrod auf dem Tische stehen und Niemand anders als Grete konnte es dorthin gestellt haben, aber er rührte es nicht an. Er ging in seine Schlafkammer, um sich zur Ruhe zu legen, denn er fühlte sich erschöpft und matt. Wohl hielt der Schmerz den Schlaf noch lange Zeit von seinen Augen entfernt, aber endlich schloß er sie doch und legte sich beruhigend auf sein Herz.

Nichts spannt mehr ab als Schmerz, nichts zehrt die Kräfte rascher auf, nichts stumpft das Gefühl schneller ab – der Schlaf wird stets in kurzer Zeit sein Sieger.

 

Als der Ackermann früh am folgenden Morgen erwachte, stand sein Entschluß fest. Rasch kleidete er sich an, gab einem Knechte den Befehl, die Pferde anzuschirren, und fuhr bald darauf allein von dem Hofe, ohne Grete gesprochen, ja ohne sie gesehen zu haben. Sie blickte ihm durch das Fenster ihrer Kammer nach und erschrak vor seinen kummervollen und bleichen Zügen. Wohl vermochte sie nicht zu errathen, was er im Sinne hatte, das galt ihr auch gleich, denn für sich selbst bangte sie nicht, für ihren Vater war sie besorgt. Sie konnte seinen Schmerz schon daran bemessen., daß er nicht einmal verlangt hatte, sie zu sehen, ehe er fortgefahren war, sie wußte, daß ihm dies früher unmöglich gewesen sein würde, denn er liebte sie so innig und zärtlich, wie nur ein Vater sein Kind zu lieben vermochte.

Noch wußte Niemand im Dorfe, was in dem Hause des Ackermanns vorgefallen war. Es war zwar bekannt geworden, daß Martin aufgeregt auf das Schloß gegangen war und mit dem Gutsherrn einen heftigen Streit gehabt hatte, allein hieraus ließ sich wenig vermuthen, denn die Feindschaft dieser beiden Männer war für Niemand ein Geheimniß. Zudem hatten Beide einen leicht erregbaren, leidenschaftlichen Charakter, da konnte es leicht zu einem Streite kommen.

Grete und Hugo hatten das Geheimniß ihrer Liebe streng bewahrt, noch hatte Niemand eine Ahnung davon.

Wenige Stunden darauf kehrte der Ackermann zurück. Wieder verrieth sein strenges, äußerlich ruhiges Gesicht nichts, aber die schäumenden Pferde zeigten, wie sehr er sie angestrengt hatte und das war sonst seine Art nicht, denn er pflegte lieber zu Fuß zu gehen, um ihnen möglich viel Ruhe zu lassen.

Ohne mit dem Knechte, der ihm die Zügel abnahm, ein Wort zu sprechen, sprang er vom Wagen und trat in das Haus ein. Er traf Grete im Zimmer, er sah, wie sie die Augen niederschlug, a eintrat, und auch zu ihr sprach er nicht. Aufgeregt schritt er im Zimmer auf und ab.

Endlich blieb er vor ihr stehen und ließ feinen Blick auf ihr ruhen. Man sah es ihm an, wie schwer es ihm wurde, seinen Schmerz zu verbergen und ihr das zu sagen, was er vorhatte. Und doch mußte es geschehen.

»Grete,« sprach er, »ich bin bei meiner Schwester gewesen und habe mit ihr gesprochen. Sie will Dich in ihrem Hause aufnehmen, bis – bis –. Halte Dich bereit, in einer Stunde fährst Du fort.«

Er wollte sich abwenden, aber das Mädchen warf sich vor ihm nieder und umklammerte seine Kniee.

»Vater, Vater,« rief sie schluchzend, »stoß mich nicht von Dir, stoß mich nicht aus Deinem Hause, wenn ich es auch verdient habe! Laß mich hier bleiben, ich will es auch nicht besser haben als die schlechteste Magd, ich will Dein Kind nicht mehr sein, nur in Deiner Nähe laß mich, damit ich Dich täglich sehen kann! Ich bin bereits elend genug, mache mich nicht noch elender!«

Jedes Wort seines Kindes schnitt ihm tief ins Herz hinein und er wandte das Gesicht ab, um den flehenden Blick nicht zu sehen, mit dem Grete zu ihm aufschaute. Sie hing ja noch immer fest an seinem Herzen, hätte sie auch eine noch hundertmal größere Schuld auf sich geladen, er würde nimmer im Stande gewesen sein, sie daraus zu reißen.

Er hatte sich fest vorgenommen, sich nicht durch des Mädchens Unglück und seine Bitten erweichen zu lassen, er, wollte unerbittlich bleiben und schon jetzt schwankte er. Auch er dachte mit Schmerz und Bangen daran, daß er sein Kind nicht täglich, stündlich mehr sehen sollte, auch für ihn war es eine bittere Qual, von ihm getrennt zu sein, und sein eigenes Herz hatte sich schon genug bemüht, seinen Entschluß zum Wanken zu bringen. Doch nein – es dufte nicht sein! Das Gefühl seiner unverletzten Ehre, sein Stolz regten sich wieder in ihm – es durfte nicht sein, in feinem Hause konnte er sie nicht behalten.

»Nein, nein, es geht nicht, Grete,« erwiderte er und seine Stimme klang weniger streng. »Hier darfst Du nicht bleiben, in diesem Hause nicht und auch hier im Dorfe nicht – es geht nicht. Sollen die Menschen mit Fingern auf Dich zeigen, sollen sie rufen; Seht, das ist des reichen Martin Tochter, die hat der Junker – –. Nein, nein, Du darfst nicht hier bleiben, Du mußt fort, heute noch, – in dieser Stunde, denn Niemand soll Dich mehr sehen!«

»Laß mich hier, laß mich bei Dir bleiben,« flehte das unglückliche Mädchen. »Ich will mich auf meiner Kammer einschließen, ich will Niemand, Niemand sprechen. Keiner soll mich sehen, für immer verborgen will ich dort leben, nur in Deiner Nähe, in diesem Hause laß mich, bis der Tod mich erlöst!«

Sie hatte ihre Stirn an seine Kniee gelehnt, sie schluchzte laut und die kräftige Gestalt des Ackermanns erzitterte vor Schmerz und gewaltiger Aufregung. Er hatte den Blick voll Traurigkeit und Liebe zugleich auf sein unglückliches Kind zu seinen Füßen gerichtet, über eine Wangen rannen langsam Thränen herab und fast unwillkürlich hatte seine Hand sich auf den Kopf des Mädchens gelegt. Ha! diese Berührung des geliebten Hauptes durchzuckte seinen ganzen Körper, sein Entschluß wankte, sein Herz schien das Uebergewicht zu erlangen, schon dachte er an den Trost, den ihm der Anblick seines' Kindes geben würde, da war es ihm, als ob er das spöttisch-hochmüthige Gesicht des Gutsherrn vor sich erblickte, es schien sich zu freuen über seinen Schmerz und an seiner Qual zu weiden – da raffte er all' seine Kräfte zusammen, drängte sein Herz mit Gewalt zurück – es durfte nicht sein.

»Du mußt fort, Du mußt fort, in dieser Stunde noch!« rief er und seine Stimme erbebte.

Grete schrie vor Schmerz laut auf. Da vermochte er sich nicht mehr zu bekämpfen, er beugte sich zu ihr nieder, umfing sie mit den Armen, küßte sie auf die Stirn und rief mit vor Thränen und Schmerz gedämpfter Stimme: »Gott sei mit Dir, mein unglückliches – unglückliches Kind, und gebe Dir und mir Kraft, es zu tragen! Mach Dich bereit, es geht nicht anders!«

Er riß sich von ihr los und eilte aufgeregt schnell aus dem Zimmer. Nachdem er einem seiner Knechte den Auftrag gegeben, sein Kind zu seiner Schwester zu fahren, eilte er fort von dem Hofe auf das Feld hinaus, denn er konnte nicht zugegen sein, wenn die, die einst sein größter Schatz und Stolz gewesen, aus dem väterlichen Hause schied. Die Brust war ihm beengt, er sehnte sich nach freier Luft und mußte allein sein, fern von den Menschen, um seinen Schmerz in der Einsamkeit zu überwinden.

Er schritt durch seine Felder, sie prangten im frischesten Frühlingsgrün und verhießen eine reiche gesegnete Ernte, aber er wandte sein Auge von ihnen ab, denn sie erinnerten ihn nur daran, wie glücklich er sein könnte und wie glücklich er gewesen war. Er hätte sie alle, alle hingegeben, hätte er wieder wie einst in das Auge seines Kindes schauen und mit zufriedenem, stolzen Lächeln ihm über die Wangen streichen können.

Das war dahin, dahin! Er konnte die Vergangenheit nicht auslöschen, die eine That, die ihn so elend gemacht, nicht ungeschehen sein lassen, er mußte sie tragen und überwinden.

Langsam, den Kopf gebeugt, die Augen auf die Erde gerichtet, ging er dahin, bis er am Abhange eines Berges dicht am Waldessaume sich niedersetzte. Hier war er allein, hier störte ihn Niemand. Den Kopf gedankenvoll auf seine Hand gestützt, saß er lange Zeit regungslos da. Er dachte an sie, an Grete. Sein Herz murrte über seine Strenge, und doch ging es nicht anders. Thränen rannen langsam über seine Wangen herab und tropften auf den grünen Rasen, auf dem er saß. Nie in seinem Leben war er schwach gewesen, aber jetzt war all' seine Kraft dahin und er wehrte den Thränen nicht.

Er fühlte, wie unendlich schwer ihm die Trennung von seinem Kinde werden würde, er sehnte sich schon jetzt darnach, es noch einmal zu sehen. Hätte er in diesem Augenblick seine Augen aufgeschlagen, so würde er gesehen haben, wie in der Ferne ein Wagen langsam dahin fuhr, wie das Mädchen, das auf ihm saß, heftig weinte und zurückschaute nach dem Dorfe, in dem es so glückliche, heitere Jahre verlebt hatte, hätte er die Augen aufgeschlagen, er würde sein Kind noch einmal gesehen haben.

Als er aber endlich seinen Blick emporrichtete, da fiel er auf das Schloß, das so stolz und glänzend inmitten der hohen Linden und Kastanien lag. Ein wildes, leuchtendes Feuer zuckte aus seinen Augen, und unwillkürlich streckte er drohend seinen Arm dagegen aus.

»An dir und Denen, die in dir wohnen, wird es heimgesucht werden, was sie an mir und meinem Kinde verschuldet haben!« rief er. »Noch zweifle ich nicht an der Hand Gottes und an der rächenden Macht der Nemesis, sie werden einst die Ernte zu Garben binden, zu der der Samen in schändlichem, sündhaften Hochmuth dort ausgesäet ist!«

Er erhob sich. Seine Gedanken hatten eine andere Richtung genommen, und ihnen nachhängend schritt er langsam dem Dorfe zu. –

 

»Des Martin's Grete hat mit dem Junker ein Verhältniß,« diese Worte liefen schon in den nächsten Tagen im ganzen Dorfe um und Niemand wußte, wer sie zuerst ausgesprochen hatte. Manche zweifelten noch an der Wahrheit derselben, denn die Grete war als ein stilles und sittsames Mädchen bekannt und der gegenseitige Haß zwischen dem Ackermann und Gutsherrn war Niemand verborgen. Es stellten sich aber bald soviel Beweise für die Wahrheit jener Worte ein, daß jeder Zweifel daran schwinden mußte. Der Ackermann hatte auf dem Schlosse mit dem Gutsherrn einen heftigen Streit gehabt, am folgenden Morgen war Grete aus dem Hause und dem Dorfe gebracht und der Bauer wich fast jedem Menschen aus und sah finster und traurig darein. Das war nicht seine Art und Weise und mußte natürlich seinen Grund haben.

War Martin seines Reichthums und stolzen Sinnes wegen auch nicht sehr beliebt in dem Dorfe, so bedauerten doch Alle aufrichtig den Schmerz des Vaters und das Unglück des Mädchens. Der Junker sammt dem hochmüthigen Gutsherrn wurden ihnen noch verhaßter und wäre Martin der Mann darnach gewesen, diese Stimmung zu schüren und zu benutzen, es würde ihm nicht schwer geworden sein, die Burschen des Dorfes zu einer offenen Gewaltthat gegen den Junker und Gutsherrn zu bewegen. Er dachte nicht daran. Dies war nicht nach seinem Sinne. Wohl dachte er daran, sich an dem hochmüthigen Gutsherrn zu rächen, denn dieser Gedanke brachte einige Linderung für seinen Gram und Schmerz, aber diese Rache sollte nicht in einer Gewaltthat bestehen, die vielleicht später auf sein eigenes Haupt zurück gefallen wäre – nein, er sann darauf, den Hochmuth dieses Mannes zu brechen, seinen Stolz zu demüthigen und zwar durch ihn, den er so schändlich behandelt hatte. Nur eine solche Rache konnte den Ackermann befriedigen, weil sie ihm selbst zugleich eine Genugthuung gab.

Er hatte nach allen Seiten hin darüber nachgedacht, noch hatte er keine Möglichkeit zur Ausführung dieser Rache gefunden. Aber er wußte, daß sich ihm einst die Gelegenheit dazu bieten werde, der Gutsherr selbst arbeitete mit allen Kräften darauf hin, und Martin war einer von den Charakteren, die sich nie übereilen, die jeden Gedanken, jeden Entschluß mit ernster Ruhe nach allen Seiten hin überlegen, deshalb aber auch mit einer außerordentlichen Festigkeit und Zähigkeit daran festhängen.

Er hatte einmal beschlossen, sich an dem Gutsherrn zu rächen und dieser Entschluß stand so fest in ihm, daß er nicht gemildert wurde, selbst wenn sich ihm erst in Jahren die Gelegenheit zur Ausführung darbieten sollte. Vergessen konnte er nichts.

Auch der Gutsherr, der über das stolze, derbe Auftreten des Bauern in seinem Schlosse noch mehr erbittert war, als dieser über seinen Spott und Hochmuth, sann auf eine Rache und neue Kränkung des Ackermanns. Und zwar sobald als möglich sollte diese ausgeführt werden. Er hatte gesehen, wie sehr den Ackermann die Worte, daß sein Jäger das Mädchen heirathen solle, um dadurch die öffentliche Schande abzuwenden, erbittert hatten, und diesen Gedanken hielt er fest, um dem bekümmerten Vater eine neue Kränkung zu bereiten.

Es wurde ihm nicht schwer, seinen Jäger, einen wilden, verwegenen Burschen durch eine Belohnung zu bewegen, bei dem reichen und stolzen Bauer um dessen einzige Tochter anzuhalten, und schon im Voraus freute er sich über den Schmerz und die Kränkung des bekümmerten Vaters. Er sah zwar voraus, daß derselbe sich leicht zu einer Gewaltthat gegen den Jäger hinreißen lassen würde, aber dieser war nicht der Bursch darnach, dieselbe sich geduldig gefallen zu lassen. Ja, als er ihm diese Vermuthung mittheilte und hinzufügte, daß er sich nicht vor den Folgen zu fürchten brauche, wenn er gegen den Bauer etwas zu weit. gehe, schwor der Jäger, daß er sich nicht fürchte und dem geldstolzen Ackermann in seinem eigenen Hause, ja in seinem eigenen Zimmer zeigen wolle, welchen Respect und welche Behandlung er verdiene.

Er brüstete sich nun im Dorfe damit, daß er bei dem reichen Martin um seine Tochter werben wolle und fügte hinzu, daß jener es ihm danken müsse, denn auf dem Mädchen hafte jetzt ein Schandfleck, der sich durch alles Geld nicht fortwaschen lasse. Er würde sich auch bedankt haben, ein solches Mädchen zur Frau zu nehmen, wenn er es nicht seinem Herrn zu Gefallen thue.

Alle hatten des Jägers freche Worte mit Unwillen aufgenommen und ein Freund des Ackermannes ging zu ihm und theilte ihm des Jägers Absicht mit.

Der Ackermann lächelte verächtlich. »Ich konnte es mir denken, daß der Gutsherr Alles aufsuchen werde, um mich zu kränken,« erwiderte er. »Wenn er aber glaubt, daß ich mich hierüber besonders härmen werde, so irrt er. Laß nur den Burschen kommen und bei mir um Grete's Hand werben, ich werde ihm eine Antwort geben, die er nicht in seinen Katechismus einschreibt.«

»Laß Dich nicht zu einer Gewaltthat hinreißen, Martin,« warnte der Andere. »Es würde Dir's zwar Niemand verargen und dem Burschen geschähe es recht, aber wenn es schließlich vor das Gericht kommt, würdest Du im Unrecht sein, denn da geht's nach dem Buchstaben. Laß Dir rathen und verbiete dem Burschen Dein Haus, ehe er in dasselbe eintritt.«

Der Bauer schüttelte abwehrend mit dem Kopfe. »Nein, nein« sprach er. »Mein Haus steht für einen Jeden offen, Jedermann kann ungefährdet zu mir kommen. Vergißt er aber, daß ich hier Herr bin, beleidigt er mich gar hier in meinem Eigenthume, nun gut, so mache ich von meinem ganzen Hausrechte Gebrauch. Ich möchte sehen, ob das Gericht etwas dagegen haben könnte.«

»Dagegen nicht,« erwiderte der Andere, »aber der Jäger ist ein wilder und verwegener Bursch, der ist bestochen und wird sich nichts gefallen lassen.«

»Glaubst Du, daß ich mich vor ihm fürchte,« rief der Ackermann unwillig. »Mich kümmert der Bursch nicht. Ich werde ihm nichts in den Weg leger, aber wehe ihm, wenn er in mein Haus kommt, um mit mir Händel zu suchen. Eintreten mag er ungefährdet, aber wie er das Haus wieder verläßt, ist etwas Anderes.«

»Martin, Martin, es sollte mir wehe thun, wenn Du durch eigene Schuld noch in eine schlimmere Lage kämst, als Dir Dein Mädchen schon bereitet hat. Es sollte mir leid thun, wenn der hochmüthige Mensch, der Gutsherr, noch eine Ursache mehr bekäme, über Dich zu triumphiren.«

Der Ackermann schwieg und ging nachdenkend im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor seinem Freunde stehen, legte die Hand auf dessen Schulter und sprach bewegt: »Ich weiß, daß Du es offen und redlich mit mir meinst und ich danke Dir für Deinen Rath, auch wenn ich ihn nicht annehmen kann. Er mag gut sein, Du magst Recht haben, das will ich nicht bestreiten, aber für mich taugt er nicht. – Du weißt, daß ich mein ganzes Leben hindurch stets den geraden und offenen Weg gegangen bin. Ich mag manches Unrecht gethan haben, aber den will ich suchen, der mir sagen kann, daß es meine Absicht gewesen sei, Unrecht zu thun. Absichtlich bin ich nie Jemandem zu nahe getreten, aber auch ich dulde es nicht gegen mich, das weißt Du auch. – Sieh, ich habe von dem Gutsherrn verlangt, daß sein Bube, der meinem Kinde die Ehre genommen, sie ihm durch die Ehe wieder geben sollte, das ist kein Unrecht, weder vor Gott, noch vor den Menschen. Er hat mich verhöhnt und ich hab's ertragen, weil ich damals fühlte, daß ich mich nimmer würde beherrschen können, wenn ich meiner Leidenschaftlichkeit nur etwas die Zügel schießen ließe. Ich habe mich beherrscht. Er weiß, wie sehr mir das Unglück meines Kindes, das doch sein Bube verschuldet, ans Herz gegangen ist, er weiß, daß ich jetzt den Kopf nicht mehr, wie früher, hoch und geradeauf trage, denn es liegt mir schwer, zu schwer darauf, sieh und deshalb glaubt er mich noch obenein kränken und verhöhnen zu können! Mag er thun, was er will, mich kümmert es nicht, tritt er mir aber in den Weg, bei Gott, ich weiche nicht zurück, ich werde mir Raum und Recht und Genugthuung obenein verschaffen. – Sieh, deshalb lasse ich jetzt Alles ruhig an mich herankommen. Ich bin schwer gebeugt, aber noch bin ich stark genug, mein Recht zu hüten und von ihm Gebrauch zu machen, wenn es muthwillig gekränkt wird. Ich suche keinen Streit, aber ich fürchte ihn auch nicht. Damit laß es gut sein, »Du änderst nichts in mir, weil Du das Geschehene nicht ungeschehen machen kannst.«

Er drückte dem Manne die Hand und wandte sich von ihm ab, um seine innere Bewegung zu verbergen. Sein ganzes Unglück stand in diesem Augenblicke deutlich vor ihm und er sah im Geiste, wie sich für ihn noch Schmerz auf Schmerz und Schande auf Schande häufen werde. Er war sich bewußt, daß er es nicht verdient hatte. Deshalb ertrug er es äußerlich ruhig und sah mit Fassung Allem, was ihn noch treffen konnte, entgegen.

An dem folgenden Morgen hatte der Jäger beschlossen, zu dem Ackermann zu gehen, und es wurde an dem Abende dieses Tages viel in dem Dorfe von dem schlechten Vorhaben des wilden Burschen gesprochen. Fast Alle ahnten, daß dasselbe keinen guten Ausgang nehmen werde, denn Martin war nicht der Mann, um sich viel bieten zu lassen oder eine Frechheit und Kränkung von solch' einem Burschen ungeahndet zu ertragen. Mochte der Jäger immerhin ein verwegener und starker Bursch sein, auch der Ackermann war noch kräftig genug, um ihn zum Hause hinauszuwerfen.

Als der Jäger am folgenden Morgen vom Schloßhofe trat, um sein Vorhaben auszuführen, hatten sich mehre Männer und junge Burschen auf der Straße versammelt, um den Ausgang der Werbung anzusehen und nöthigenfalls auch, wenn der Jäger sich zu einer zu großen Frechheit oder Gewaltthat gegen den Ackermann hinreißen lassen sollte, diesem kräftig beizustehen.

Die gerötheten Wangen des Jägers, seine Aufregung verriethen, daß er sich Muth getrunken hatte und halb berauscht war.

»Hurrah!« rief er den Burschen zu. »Jetzt will ich um die Grete werben. Ich bekomme zwar sogleich eine Zugabe mit, die mir nicht lieb ist, aber ich weiß, woher sie kommt. Ich will doch sehen, wie der Alte meine Werbung aufnimmt! Er hat es nicht verdient, daß ein rechtlicher Bursch sein Mädchen freit – ich hoffe, er wird es mir Dank wissen!« Er lachte bei diesen Worten laut und spöttisch auf und schritt rasch dem Hause des Ackermanns zu.

Keiner der Burschen und Männer hatte ein Wort erwidert, so erbittert sie auch über diese Frechheit waren. Sie mochten sich jetzt noch nicht in diese Angelegenheit mischen. Kam es zum Schlimmsten, so sollte der Ackermann sehen, daß sie ihm treu zur Seite standen. Der aufgeregte, halbtrunkene Zustand des Jägers ließ sie indeß das Schlimmste befürchten und sie folgten ihm deshalb in einiger Entfernung. Dicht an der Hofthür des Ackermanns blieben sie stehen. Rasch und keck war der Jäger eingetreten.

Der Ackermann hatte ihn erwartet und durch das Fenster sein Nahen erblickt. Unruhig, aufgeregt schritt er im Zimmer auf und ab. Als Jener aber an der Thür pochte, hatte er seine volle Fassung wiedergewonnen und mit fester Stimme rief er herein!

Keck und entschlossen trat der Jäger ein. Als er aber die große und starke Gestalt des Bauern dicht vor sich stehen sah, als er seinen ernsten Blick, den er unbeweglich auf ihn gerichtet hielt, bemerkte, wurde er etwas verwirrt, und die Worte, die er vorher so geläufig im Sinne gehabt, stockten.

»Was wünscht Ihr von mir?« fragte der Ackermann, und seine Stimme erklang so ernst und fest wie die eines Richters, der einen Schuldigen vor sich stehen hat.

Der Jäger würde vielleicht eine Ausflucht gesucht und kein Wort von seinem Vorhaben gesprochen haben, hätte er nicht daran gedacht, wie lächerlich er sich dadurch im ganzen Dorfe gemacht haben würde, da er mit seiner Werbung sich so sehr gebrüstet hatte. Dieser Gedanke gab ihm seine ganze Entschlossenheit und freche Keckheit zurück.

»Ich komme,« sprach er mit spöttischem Lächeln, »um bei Euch um die Hand Eurer Tochter zu werben. Ich weiß, daß Ihr einen Mann für dieselbe gebrauchen könnt, und bin deshalb neugierig, Euren Bescheid zu hören.«

»Den sollt Ihr hören,« erwiderte der Bauer fest, »aber zuvor sagt mir, ob Ihr aus eigenem Antriebe kommt, oder ob Euer Herr Euch gesandt hat – darnach werde ich meinen Bescheid einrichten.«

»Das kann Euch wohl gleich sein,« entgegnete der Jäger lächelnd. »Ich denke, Ihr werdet nicht allzu große Auswahl bei der Wahl Eures Schwiegersohnes haben und ich dachte, Ihr würdet es mir Dank wissen, daß ich mich dazu hergeben will. Ihr werdet sonst Großvater und wißt nicht einmal durch wen!«

»Schweig, Bube!« unterbrach ihn der Ackermann und seine Stimme erklang so laut und drohend, daß der Jäger unwillkürlich einen Schritt zurückwich. »Sieh, jetzt will ich Dir meinen Bescheid geben. Du hättest verdient, daß ich Dich mit der Hundepeitsche aus meinem Hause triebe, aber ich weiß, daß Du, erbärmlicher Bube, dafür bezahlt bist, deshalb werfe ich Dich aus dem Hause, wie einen ungezogenen Jungen, der noch nicht weiß, was er thut!«

Ehe der Jäger es sich vermuthete, hatte die kräftige Rechte des Bauern ihn im Nacken erfaßt. Er sträubte sich mit allen Kräften dagegen, aber die-Hand hatte seinen Hals so fest umfaßt, daß das Blut ihm in die Augen schoß und er zu ersticken drohte. Ohne sich um das Sträuben zu kümmern, öffnete der Bauer mit der Linken die Stubenthür und führte ihn hinaus aus dem Hause und über den Hof. Der Arm, welcher den Burschen gefaßt hielt, erzitterte, aber eher würde er gebrochen sein, ehe die Hand losgelassen. Noch wenige Augenblicke länger und er würde ihn erdrosselt haben.

Da öffnete er die Hofpforte, führte den Burschen bis über die Schwelle und stieß ihn dann gewaltsam auf die Straße.

»Sieh, dorthin geht Dein Weg, Du Bube!« rief er, »und dies ist mein Bescheid, den Du getreulich ausrichten magst!«

Dann trat er zurück und warf die Hofthür zu.

Der Jäger stolperte einige Schritte auf die Straße hin und fiel dann nieder.

Ein lautes Gelächter der Männer und Burschen, welche ihn erwartet hatten, machte sich Luft.

»Ha, ha! Die Braut scheint nicht zu Hause zu sein, daß er sobald wieder kommt!« rief einer der Burschen. »Der Ackermann hat auch vergessen, ihn zu bitten, bald wiederzukommen.«

Der Niedergestürzte versuchte sich empor zu richten, stieß aber einen Schmerzensruf aus, als er sich bewegte – sein Fuß war gebrochen. Die Männer und Burschen bemerkten dies nicht, und wenn sie es auch gesehen hätten, sie würden mit dem Burschen kein Mitleid gehabt haben. Sie hörten nur seinen Schmerzensruf und lachten noch lauter auf.

In diesem Augenblicke kam der Herr von Schwarz die Straße herab. Er sah den Jäger an der Erde liegen, hörte seinen Schmerzensruf und errieth sofort, was vorgefallen war.

Als er sich dem Jäger näherte, rief ihm dieser zu: »Er hat mich zur Erde geworfen und mein Fuß ist gebrochen!«

Der Gutsherr stand erschrocken still. Mit finsterem Blicke sah er nach dem Hause seines Feindes, aber der Ackermann ließ sich nicht sehen.

»Du sollst gerächt werden,« sprach er zu dem unglücklichen Jäger. »Diese Gewaltthat soll ihm. theuer zu stehen kommen, – hebt den Jäger empor und tragt ihn auf das Schloß!« wandte er sich mit befehlendem Tone zu den überraschten Männern und Burschen, aber diese hatten keine Lust, seinem Befehle zu gehorchen. Schweigend wandten sie sich ab und gingen fort. Nur einer der Burschen erwiderte unwillig und keck: »Wer ihn zum Freien ausgesandt hat, mag ihn nun auch heimgeleiten, unsere Sache ist dies nicht!«

Der Gutsherr stieß eine Drohung aus, doch hatte er kein Recht, diesen Männern zu befehlen und auch von denen, welche aus Neugierde herbeikamen, zeigte sich Niemand bereit, ihm zu helfen und dem Jäger beizustehen. – Beide waren Allen verhaßt.

Der hochmüthige stolze Mann, dessen Winke von seinen Untergebenen schon als die strengsten Befehle angesehen wurden, war auf das Heftigste erbittert. Der unglückliche Jäger verlangte stöhnend nach Hülfe. Da trat er an das Haus seines Feindes und pochte laut an das Fenster. Der Ackermann öffnete es und fragte kurz: »Was wollen Sie?«

»Ihr habt meinen Jäger niedergeworfen,« rief der Gutsherr.

Doch der Bauer unterbrach ihn mit den Worten: »Wenn Sie mit mir etwas zu reden haben, so ist dort die Hofthür, welche zu meinem Hause führt,« und schlug dann heftig das Fenster wieder zu.

Aufgeregt und erzürnt verließ der stolze Gutsherr den Platz, auf dem sich immer mehr Neugierige versammelten.

Er selbst mußte zum Schlosse zurückkehren, um Diener herbeizuholen, welche den Jäger forttrugen.

 

Dieser neue Unglücksfall, dessen Folgen auf den Ackermann einzustürmen drohten, erregte in dem kleinen Dorfe ein gewaltiges Aufsehen. Dem Jäger gönnte ein Jeder den Unfall, der ihn betroffen, nur daß der Ackermann deshalb vielleicht in Strafe verfallen werde, that Allen leid. Es gingen Mehre, die von dem ganzen Vorfalle Zeugen gewesen waren, zu ihm und boten sich als solche vor Gericht an, um zu bestätigen, daß er den Jäger nicht zur Erde geworfen habe, sondern daß derselbe gestolpert und gefallen sei.

Ruhig entgegnete Martin: »Ist es des Jägers oder vielmehr seines Herrn, der die Triebfeder von Allem ist, Absicht, mich zu verklagen, so brauche ich Eure Zeugenaussage nicht. Ich weiß, wie weit mein Recht geht und ob ich strafbar bin oder nicht. Selbst das Gericht kann mich in der Ausübung meines Hausrechtes, das mir gestattet, Jeden, der in mein Eigenthum dringt und mich beleidigt, hinauszuwerfen, nicht hindern. Daß der Bursch niedergestürzt ist und das Bein gebrochen hat, ist nicht meine Schuld, ebensowenig wie es meine Absicht gewesen ist, daß es so kommen sollte.«

Niemand zweifelte, daß der Gutsherr diesen Unfall seines Jägers benutzen werde, um dem Ackermann neue Unannehmlichkeiten zu bereiten und bereits am folgenden Tage fuhr er selbst zur Stadt, um persönlich bei dem ihm befreundeten Richter im Namen seines Jägers eine Klage gegen den Bauer einzuleiten.

Martin erfuhr es, blieb indeß völlig ruhig, denn er war der festen Ueberzeugung, daß ihm Niemand etwas anhaben könne. Als er vor den Richter beschieden wurde, blieb er sanft und ruhig und erzählte Alles, so wie es gewesen und gekommen war, auch nicht um ein Geringes wich er von der Wahrheit ab. Er wäre nicht im Stande gewesen, eine Lüge zu sagen, und wenn er sein ganzes Vermögen verloren hätte, denn sein Stolz, das Bewußtsein, daß noch nie ein Martin zu einem solchen Mittel gegriffen habe, hielt ihn davon zurück.

Mehre Männer aus dem Dorfe wurden als Zeugen vor dem Gerichte abgehört, sie alle sprachen zu Gunsten des Ackermanns und dieser lachte über die Bemühungen des Gutsherrn, ihn in Strafe zu bringen.

Um so mehr war er aber erschrocken, als er nach einigen Wochen wieder vorgefordert und ihm das Urtheil vorgelesen wurde, das ihm drei Wochen Gefängniß zuerkannte, weil er sich an dem Jäger vergriffen hatte und dadurch der Beinbruch herbeigeführt war. Zugleich wurde er zur Bezahlung sämmtlicher Kosten, welche der Unfall des Jägers verursacht hatte und welche durch des Gutsherrn Bemühungen so hoch als möglich angesetzt waren, verurtheilt.

Er war kaum im Stande, ein Wort darauf zu erwidern, so sehr hatte ihm dieser unerwartete Schlag die Fassung geraubt. Daß er die Kosten bezahlen sollte, war ihm gleichgiltig, denn was lag ihm an ein paar hundert Thalern, aber er – er in das Gefängniß wie ein Verbrecher? Er vielleicht in einem Raume mit Betrügern und Spitzbuben? Das war es, was all' seine Kraft für den Augenblick lähmte, war ihm gewaltig an das Leben griff.

Er war indeß nicht der Mann, sich diesem Urtheile in Ruhe und Geduld zu fügen, sondern er legte Berufung an eine höhere Behörde ein und zweifelte nicht, daß er dort sein Recht erhalten werde.

Seine Bemühungen waren vergebens, das erste Straferkenntniß wurde auch von der Oberbehörde bestätigt.

Als Martin mieses Endurtheil empfing, befand er sich in seinem Zimmer. Mit zitternder Hand nahm er das Schreiben dem Gerichtsboten, der es ihm überbrachte, ab. Kaum hatte er aber einen Blick hineingeworfen, als er bleich und fast besinnungslos auf einen Stuhl zurücksank. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und saß eine Zeitlang regungslos da. Als er sich endlich wieder emporrichtete, hatte er seine ganze frühere Fassung wiedergewonnen. Niemand wußte, was in jenen wenigen Augenblicken in ihm vor sich gegangen war, welchen gewaltigen Kampf er durchkämpft hatte. Er war entschlossen, sich in Ruhe seinem Geschicke zu fügen und die Strafe zu ertragen, welche ihm das Gericht zuerkannt hatte, denn Widerstand wäre hier Thorheit gewesen.

Es war ihm im ersten Augenblicke der Gedanke gekommen, sich das Leben zu nehmen, um der Schande des Gefängnisses zu entgehen, aber eben so schnell hatte er diesen Gedanken wieder von sich geworfen. Denn wäre es nicht eine hundertmal größere und unvertilgbare Schande, die er dadurch auf seinen Namen gehäuft hätte! Wohl war jetzt das Glück, das ihn einst so fest und freudig an das Leben gekettet hatte, dahin, er hoffte selbst nicht einmal, daß es einst für ihn wiederkehren könne, aber er mochte nicht von der Erde scheiden, ehe er den Tag erlebte, an dem sein Feind, der Gutsherr, der all' das Elend über ihn gebracht, gedemüthigt, an dem sein glühendes Verlangen nach Rache befriedigt war. Diesen Tag wollte er sehen und daß er einst kommen werde, davon war er so fest überzeugt, als er an die Gerechtigkeit seines Gottes glaubte.

Er war entschlossen gewesen, ehe er die Abbüßung seiner Strafe antrat, sein unglückliches Kind, das er seit dem Tage, wo es aus seinem Hause geschieden war, nicht wiedergesehen hatte, noch einmal zu besuchen, aber er gab diesen Entschluß wieder auf, weil er fühlte, daß er jetzt nicht stark genug dazu sei. Und die wenigen Kräfte, welche ihm geblieben waren, hatte er nöthig, um seine Strafe mit Fassung zu ertragen.

Wenige Tage darauf trat er seine Strafe an, ernst und gefaßt. –

 

Hundertmal größer war, was die unglückliche Grete bis zu diesem Tage erduldet hatte. Wohl fehlte es ihr in dem Hause ihrer Tante nicht an Pflege und freundlicher Behandlung, aber diese vermochten ihr nimmer zu ersetzen, was sie verloren hatte.

Nie war sie bis dahin aus dem Hause ihres Vaters gekommen, fast kein böses Wort hatte sie aus seinem Munde gehört, und jetzt, wo sie so namenlos elend war, durfte sie nicht bei ihm sein. Wäre sie allein unglücklich gewesen, sie würde es ertragen haben, aber der Gedanke, daß sie auch ihren Vater, der sie so kindlich innig liebte, unglücklich gemacht der Gedanke, daß er ihr zürnte und sie nicht sehen mochte, das folterte sie hundertemal mehr als ihr eigenes Elend.

Es zehrte an ihrer Gesundheit und ihrem Leben, ihre einst so blühenden Wangen waren bleich, ihr Körper war hinfällig und schwach. Sie empfand dies Alles nicht, weil sie unablässig mit ihrem Schmerze beschäftigt war.

Als sie erfuhr, welch neues Unglück ihren Vater betroffen hatte, welch neue Schande auf sein Haupt gehäuft werden sollte, erfaßte sie fast Verzweiflung, denn dies Alles war nur die Folge ihres eigenen Vergehens. Sie wollte zu ihm eilen, sich ihm zu Füßen werfen, seine Kniee umklammern und zu ihm flehen, sie wieder in sein Haus aufzunehmen, damit sie bei ihm sein, ihn pflegen und jeden Wunsch ihm an den Augen absehen könne.

Ihre Tante hinderte sie daran.

»Bleib, bleib, Kind,« sprach sie. »Ich habe Deinem Vater versprechen müssen, Dich nicht fort zu lassen, es sei denn, daß er selbst es wünsche. Du hast Dich schwer, schwer an ihm für all seine Liebe, die er stets gegen Dich im Herzen getragen, vergangen, vergrößere Deine Schuld deshalb nicht noch durch Ungehorsam. Ich kenne Deinen Vater und weiß, wie sehr ihm dies Alles ans Herz und Leben gegangen ist, laß ihm Ruhe und Zeit, es zu überwinden, so weit es zu überwinden ist, denn die Zeit allein kann hier helfen. Du mußt es in Ruhe ertragen, wenn diese Strafe auch zu hart ist für eine schwache Stunde.«

Das unglückliche Mädchen konnte nur mit bitteren und verzweiflungsvollen Thränen darauf antworten. War ihre Tante auch gut und mild gegen sie, ihr konnte sie ihren ganzen Schmerz nicht anvertrauen, sie konnte ihn nicht verstehen und begreifen, wie glühend heiß er in ihrem Herzen brannte, wie qualvoll er an ihrem Leben zehrte.

Nur zwei Menschen gab es für sie, denen sie all' ihren Schmerz und ihr Elend hätte mittheilen können – ihren Vater und Hugo. Beide hatte sie seit jenem Tage, wo sie aus dem Vaterhause geschieden war, nicht wieder gesehen.

Mit treuer Liebe hing ihr Herz an dem, der all' das Unglück über sie gebracht hatte, fest, ihn sprach sie frei von jeder Schuld, die sie mit Grausamkeit sich allein aufbürdete. Von Tag zu Tag hatte sie gehofft, daß Hugo sie aufsuchen werde, er war nicht gekommen. Auch von ihm glaubte sie sich jetzt verlassen, ihre letzte Hoffnung, an welche sie sich geklammert hatte, sah sie geschwunden und auch dieser Schmerz gesellte sich noch zu ihrem Leiden.

Hugo hatte Grete nicht vergessen, er liebte sie noch eben so sehr wie früher, aber schwach und unentschlossen wie er war, ließ er sich gänzlich durch seine Mutter leiten und wagte sich seinem Vater, der ihm streng untersagt hatte, sich Grete je wieder zu nahen, nicht zu widersetzen.

Er kannte die ganze Größe von Gretens Elend Unglück und nicht, sonst würde er vielleicht zu ihr geeilt sein, er bemaß ihren Schmerz nur nach dem seinigen und der war kaum groß genug, ihn weniger Vergnügen an Gesellschaften und rauschenden Freuden finden zu lassen.

Die thörichte Hoffnung, Grete einst sein zu nennen, hatte er keineswegs ganz aufgegeben, wenn er auch nicht daran dachte, auf welche Weise dieselbe verwirklicht werden könnte. Wie schwache Menschen es zu thun pflegen, stellte er Alles einem günstigen Geschicke der Zukunft anheim.

Die zwischen seinem Vater und dem Ackermann stets offener und gewaltiger hervorbrechende Feindschaft bereitete ihm manche bange Sorgen, weil sie eine immer größere Scheidewand zwischen ihm und dem geliebten Mädchen aufthürmte, aber auch hier war er zu schwach, um auf seinen Vater versöhnend einzuwirken.

Wäre Grete die Seine geworden, er würde ihr ein angenehmes Leben bereitet und sie mit Liebe gehütet haben, aber er war nicht im Stande, etwas zu wagen, um sie zu erringen.

Auch er hatte jetzt Niemand, gegen den er von seiner Liebe sprechen konnte, auch er sehnte sich nach Grete; stimmte ihn dies auch zuweilen traurig, so verschwand diese Stimmung doch eben so rasch wieder und machte keinen tieferen Eindruck auf ihn.

Sein Vater triumphirte offen gegen ihn über die Art und Weise, wie er den stolzen Bauer gedemüthigt habe, und seine Mutter schwieg über das Verhältniß, das ihn an Grete knüpfte. Als sie es zuerst erfahren, hatte sie zu ihm gesagt, sie wolle ihm verzeihen, daß er sich so sehr vergessen habe, aber sowohl sein Stand, wie sie, verlange jetzt, daß er an diese Sache nicht weiter denke. Sie sei seiner unwürdig und deshalb für ihn abgethan.

Sie selbst hatte auch in der That nicht weiter daran gedacht. Sie hatte auch keine Zeit dazu. Denn Tag für Tag war sie durch Gesellschaften und Feste in Anspruch genommen, und kam für sie eine ruhige Stunde, wo sie allein war, so waren ihre Gedanken auf einen ganz anderen Gegenstand gerichtet. Näher und näher rückte das Ende ihres unsinnig verschwenderischen Lebens heran. Sie war zu leichtsinnig und zu stolz, um an dies Ende selbst zu denken, aber daß die Mittel zu ihrem übermüthigen Leben immer spärlicher flossen und immer schwieriger herbeizuschaffen waren, konnte ihr natürlich nicht verborgen bleiben.

Das Vermögen war längst verthan, das Gut bereits so sehr mit Schulden belastet, daß es schwer wurde, diese Last noch zu vergrößern, und doch blieb nichts Anderes übrig, denn sich einzuschränken, daran dachte weder sie noch der Gutsherr, oder sie mochten nicht daran denken.

Sie waren zu verwöhnt und durch das rauschende, üppige Leben zu verweichlicht, um an einem anderen Leben Vergnügen zu finden und sich dazu entschließen zu können. Sie sannen deshalb nur darauf, sich neue Mittel zu verschaffen, um das bisherige Leben fortzusetzen. Wie lange? daran dachten sie nicht.

Um die peinlichen Verlegenheiten, welche sich jetzt immer häufiger einstellten, zu verbergen, um Niemand sehen zu lassen, auf einem wie untergrabenen und hohlen Grunde ihr ganzes Leben beruhte, setzte die leichtsinnige Frau, wenn es ihr möglich war, ihrer Verschwendung keine Grenze mehr., Sie wollte dadurch blenden und, ohne daß ihr dies gelang, machte sie ihre Lage dadurch nur noch unrettbarer.

Sie hatte von jeher gern und mit Leidenschaft gespielt, jetzt brachte sie ganze Abende und halbe Nächte am Spieltische zu, weil sie wußte, daß sie stets Glück im Spiel gehabt hatte und ihre peinliche Lage dadurch zu verbessern hoffte. Sie spielte stets nur mit Herren und sehr hoch, Beides nur aus wohlberechneter Ueberlegung. Oefter kam jetzt der Fall vor, daß, wenn sie verloren hatte, sie irgend einen Grund hatte, um nicht zu bezahlen. Sie hatte dann entweder ihre Börse vergessen oder wußte irgend einen Zufall herbeizuführen, der sie plötzlich vom Spieltische abrief. Mit unübertrefflicher stolzer Ruhe und meisterhafter Verstellung that sie dann später, als ob sie den ganzen Fall vergessen habe, oder, als ob es ihr zu gering sei, darauf zurückzukommen und ihre Schuld zu tilgen. Hatte sie dagegen gewonnen, so nahm sie den Gewinn streng und genau zu sich.

Anfangs war dies in der That den Herren, mit denen sie gewöhnlich zu spielen pflegte, nicht aufgefallen und sie hatten wirklich nur ein Vergessen vermuthet, bei mehrmaliger Wiederholung konnte es ihnen nicht verborgen bleiben, daß sich Absichtlichkeit hinter der ruhigen Miene der stolzen Frau verbarg

Sie befanden sich in einer unangenehmen Lage. Sie sollten nur verlieren ohne zu gewinnen, und gleichwohl konnten sie den Anstand nicht so sehr bei Seite setzen, und die stolze Frau, bei der sie so oft zu Gast gewesen waren, an ihre Schuld erinnern. Ebensowenig konnten sie ablehnen, mit ihr zu spielen, da sie meist von ihr selbst dazu aufgefordert wurden.

Dieses unschöne Manoeuvre der Frau v. Schwarz wurde bald in den Kreisen, in denen sie sich bewegte, bekannt und verbreitete sich auch fast ebenso rasch weiter. Es mochte sich indeß Niemand deshalb von ihr zurückziehen, oder sie es in irgend einer Weise empfinden lassen, da sie immer noch ein großes Haus machte und sich mir demselben Stolze in den Gesellschaften bewegte.

Herr v. Schwarz war in dies Verfahren seiner Gattin eingeweiht und hatte nichts dawider, da er es in anderer Beziehung nicht besser machte. Daß indeß Andere gleichfalls darum wußten, davon hatte er keine Ahnung. Er hätte sich leicht sagen können, daß es unmöglich lange verborgen bleiben könne; aber wenn der Mensch einmal verblendet ist, übersieht er das Zunächstliegende am ersten, und begreift das Leichteste am schwersten. Es war in der That, als ob er sowohl wie seine Gattin jetzt nur noch ein willenloses Werkzeug ihres Leichtsinns waren, als ob das Geschick, das sie durch ihr leichtsinniges Leben selbst heraufbeschworen hatten, ihnen die Hände band, um sie unrettbar und ohne Umwege dem verdienten Verderben entgegenzuführen.

Selbst unter den Bauern des kleinen Dorfes war es kein Geheimniß mehr, daß der Gutsherr jetzt öfter in der peinlichsten Geldverlegenheit war, und daß er seine Besitzung, das Gut, mit Schulden überhäuft hatte. Auch der Ackermann wußte darum, und dies trug nicht wenig dazu bei, ihm die schweren Tage in dem Gefängniß zu erleichtern. Er sah die Stunde der Vergeltung und Genugthuung für das erlittene Unrecht näher und näher herankommen, er brauchte nicht lange mehr zu leben, um den stolzen, hochmüthigen Gutsherrn in Noth und Elend zu sehen. Er freute sich auf diese Zeit. Es war nicht niedre Schadenfreude über das Unglück eines Andern, sondern die Ueberzeugung, daß jedes Unrecht, jede Frevelthat sich selbst räche. Er war ein zu kräftiger und selbständiger Charakter, um seinem Feind in christlicher Selbstverleugnung vergeben zu können und zu wollen.

 

Als endlich der Tag erschienen war, an welchem Martin aus seiner Haft entlassen wurde, kehrte er mit schwererem Herzen heim, als er vor wenigen Wochen dem Antritt seiner Strafe entgegengegangen war. Es war ihm ein peinigendes, niederdrückendes Gefühl, jetzt wieder unter den Menschen zu erscheinen, unter denen er früher nicht ohne gewissen Stolz umhergegangen war, weil er sich nicht mehr sagen konnte, an deiner Ehre haftet kein Fleck, kein Makel; es ist Niemand, der dir ein absichtliches Unrecht vorwerfen kann.

Das war jetzt anders, seine Ehre, sein unbefleckter Name war dahin, war doppelt geschändet. In seinem Herzen ertrug er es mit einer dumpfen Fassung, aber daß er es den Augen der Welt zeigen sollte, das kam ihm schwer an.

Es war Abend geworden, als er seinem Hofe wieder ankam. Knechte. und Mägde empfingen ihn mit der alten Freundlichkeit und Anhänglichkeit, aber dennoch schien es ihm, daß ihre Blicke, wenn auch nur verstohlen, häufiger und anders auf ihm hafteten als früher. Schweigend schritt er in sein Zimmer, warf sich in den alten Lehnstuhl und blieb dort still und regungslos sitzen. Jetzt war er wieder in seinem Eigenthum, in dem alten ihm so lieben Zimmer, aber war nicht selbst hier Alles anders geworden? Es standen ringsum noch die alten Gegenstände, sie waren nicht verrückt und nicht verändert, aber auch sie waren anders, sie blickten ihm nicht mehr so freundlich und vertraulich entgegen wie in den, glücklichen Tagen seines Lebens.

Eine Magd brachte ihm Licht und er mochte es nicht zurückweisen, obgleich er am liebsten im Dunkel gesessen hätte. Nie in seinem Leben war es ihm peinlich gewesen, daß die Läden vor den Fenstern nicht geschlossen waren – weshalb auch? Sein Leben war offen und gerade gewesen, er hatte nicht nöthig gehabt, es zu verbergen. Jetzt war es ihm, als ob durch jede Scheibe des Fensters ein neugieriges Gesicht schaute, um den zu sehen, der in dem Gefängnisse gesessen.

Er ließ die Läden schließen, aber auch jetzt wich dieses peinliche Gefühl noch nicht von ihm, durch jede Ritze in der Thür und den Fensterläden glaubte er ein neugieriges Auge funkeln zu sehen, und dies Gefühl wurde bei ihm nicht eher verscheucht, als bis er sich zur Ruhe gelegt hatte und Dunkelheit die Kammer erfüllte.

Wohl hatte er oft, oft an sein Kind gedacht und hatte sich mit all der Liebe, welche er noch zu ihm in seinem Herzen hegte, nach ihm gesehnt; jetzt war er frei, jetzt konnte er dies Sehnen befriedigen und zu ihm gehen, aber ein anderes Gefühl hielt ihn zurück.

Wie sollte er Grete gegenübertreten? Auch er war ja nicht mehr rein und fleckenlos. Konnte er sie mit einem vorwurfsvollen Blicke anschauen, er, der soeben aus dem Gefängnisse kam? Konnte er zu ihr ein [lieb]es, mahnendes Wort reden? Und doch konnte er ihr den Fehltritt auch noch nicht völlig vergeben.

Er schob seinen Entschluß, zu Grete zu gehen, auf Tage hinaus, um Zeit zu gewinnen, sich mit sich selbst wieder zurechtzufinden. Hätte er gewußt, wie sehnsuchtsvoll dieselbe nach ihm verlangte, hätte er gesehen, wie sein Kind krank und elend auf ihrem Lager lag, hätte er eine Ahnung davon gehabt, wie nahe der Tod an sie herangetreten war, wie bald sie ihm für immer entrissen, werden sollte, er würde wild und bange von seinem Lager aufgesprungen und noch in dieser Stunde zu ihr geeilt sein!

 

Ja, krank und elend lag Grete auf ihrem Lager, und sie war kränker als sie selbst glaubte und elender, als sie mit Worten auszudrücken vermochte. Ihr ahnte zwar, daß die Grenze ihres Lebens bereits, abgemessen sei und sie hatte sich willig in diesen Gedanken ergeben, denn Hoffnung und Glück waren für sie gänzlich erstorben, aber dennoch glaubte sie noch länger zu leben, als ihr bestimmt war.

Sowohl über ihre stets zunehmende körperliche Schwäche und ihr sich steigerndes Unwohlsein, so wie über die Todesahnungen hatte Grete gegen ihre Tante geschwiegen, und diese nahm ihren Zustand viel leichter und argloser auf. War doch unter den Verhältnissen, in denen sie sich befand, bei dem Gram und Schmerze, dem sie sich kaum ein besseres Wohlsein zu erwarten.

In derselben Nacht, in welcher ihr Vater zum ersten Male wieder unter seinem eigenen Dache schlief und so viel an sie dachte, steigerte sich Gretens Unwohlsein so sehr, daß sie es nicht länger zu verbergen vermochte. Sie weckte ihre Tante und diese bemühte sich willig, ihr beizustehen, ohne ihr wirkliche Hülfe zu bringen, denn mit jeder Stunde wurde ihr Zustand ein schlimmerer.

Grete weigerte sich hartnäckig, daß ein Arzt herbeigeholt werde, fühlte sie doch, daß er ihr nimmer zu helfen vermöge, und sie mochte nicht auch noch einen Fremden zum Zeugen ihrer Schande machen.

Als der Morgen hereingebrochen war, fühlte sie sich etwas wohler, ohne daß das Gefühl ihres baldigen Todes sie verließ. Sie richtete sich im Bette empor und bat, so schwach sie auch war, um Feder und Papier, um dem, den sie so wahr und innig geliebt, nach dem sie sich so unendlich auch noch in dieser Stunde sehnte, ein Wort zum ewigen Abschiede zu schreiben.

Ihre Tante gab ihrer Bitte nach. Mit Mühe brachte sie einige Zeilen zu Papier, in denen sie Abschied nahm von Hugo, ohne ihm mit einem einzigen Worte seine Schuld an ihrem Unglück und ihrem Elend vorzuhalten. Der Tod erlöste sie ja bald von diesen Qualen, und auch ihre Schande wurde durch ihn gesühnt.

Ihre Thränen flossen und tropften auf den Brief nieder gleichsam als Siegel ihrer treuen Liebe.

Als sie den kurzen Brief vollendet und geschlossen hatte, sank sie erschöpft auf das Bett zurück.

»Soll ich ihn heute noch fortsenden?« fragte die Frau.

Grete nickte zustimmend mit dem Kopfe.

»Soll ich zugleich Deinem Vater sagen lassen, daß er kommen möge.«

»Nein, nein,« erwiderte Grete rasch, fügte aber gleich darauf hinzu: »Ich weiß nicht, ob er mich sehen mag – er ist noch kein einziges Mal hier gewesen – er zürnt mir noch.«

»Ich werde ihm sagen lassen, Du sehnest Dich nach ihm,« sprach die Frau, »dann wird er kommen, denn er liebt Dich noch immer und ist stets so gut gegen Dich gewesen. Ich begreife, wie sehr es ihm ans Herz gegangen ist, sein einziges Kind – doch sei ruhig, sei ruhig,« unterbrach sie sich selbst, als sie sah, daß Grete das Gesicht in den Händen barg und weinte. »Beruhige Dich, Du bist nicht die Einzige, welche so gefehlt hat; Du kannst es durch Dein späteres Leben hundertmal wieder gut machen, und ich bin fest überzeugt, daß Du es thun wirst, denn Du bist stets ein gutes Mädchen gewesen. Sei ruhig, Kind, die Zeit heilt Alles, und über die Vergangenheit wird der Schleier der Vergessenheit gedeckt.«

Grete entgegnete nichts. Die Zeit heilt Alles – ja aber noch sicherer heilt der Tod, und ihn fühlte sie näher und näher an sich herantreten. Er deckt noch einen anderen Schleier als den der Vergessenheit über die Thaten und Tage der Vergangenheit, denn mit der Luft von den Gräbern weht uns zugleich ein versöhnender, mildernder Hauch entgegen, das » de mortuis nil nisi bene« der Natur.

Sie fürchtete ihn nicht. Selbst der Gedanke an das neue Leben, das sie geben sollte, war nicht im Stande, die Liebe zu dem eigenen zurückzurufen.

Derselbe Bote, der Hugo die letzten Zeilen von Gretens Hand brachte, kehrte auch auf dem Hofe des Ackerbauers vor und sagte ihm, daß sein Kind sich nach ihm sehne und ihn bitten lasse, zu ihm zu kommen.

Martin war durch diese Worte, die in seinem eigenen Herzen ein so lautes Echo fanden und seinen Entschluß zu vernichten drohten, so sehr überrascht, daß er den Boten gehen ließ, ohne ihm eine bestimmte Antwort zu geben, und ohne ihn nach dem Zustande seines einzigen Kindes zu fragen.

Unschlüssig kämpfte er mit seinem Herzen und seinem Entschlusse, mit der Liebe zu seinem Kinde und seinem eigenen Stolz. Er ging hinaus aufs Feld, um allein zu sein, um keinen anderen Einfluß auf die Entscheidung dieses inneren Kampfes einwirken zu lassen, als das üppige Grün der Felder und das tiefe, weite Thor des Himmels, als den Frieden und die Ruhe der Natur, die sein Herz so mannigmal beruhigt hatten.

Und diese Ruhe kehrte wirklich langsam in seine Brust ein, sein Stolz wich vor der Liebe zu seinem Kinde zurück. Hätte er gewußt, wie elend es war, hätte er die lauten, bangen Schmerzensrufe, die es in der selben Stunde ausstieß, vernommen, keine Minute würde er gezögert haben. Er wußte nichts davon. Der Abend brach bereits herein, als er sich dem Dorfe, in dem seine Schwester wohnte und sein Kind weilte, näherte. Er ging langsam, fast schwerfällig. Er erschien äußerlich ruhig und gefaßt, aber die bleichen Wangen, die fest aufeinander gepreßten Lippen, der starr auf den Weg gerichtete Blick, der sich nur dann und wann scheu und rasch auf das vor ihm liegende Dorf warf, dies Alles verrieth, daß es in seinem Innern nicht so ruhig war.

Als er vor dem Hause seiner Schwester angelangt war und bereits die Hand an die Thür gelegt hatte, um sie zu öffnen, blieb er zaudernd stehen. Ihm mochten all' die Augenblicke in den Sinn kommen, in denen er früher in dieses Haus so oft eingetreten war, die ganze Vergangenheit mit ihrem Glück und ihren Freunden mochte im Geiste an ihm vorüberziehen und ihm zurufen: »So war es!«

Dann überwand er diese Eindrücke und trat zwar rasch, aber doch leise in das Haus ein. Es war still in ihm, und er traf Niemand auf der bereits dunklen Hausflur. Er schritt auf das Wohnzimmer seiner Schwester zu, da hörte er deren Stimme in einem kleinen, dem Wohnzimmer gegenüber liegenden Gemache. Es war ihm lieb, wenn er die Schwester zuvor sprechen konnte, ehe er seinem Kinde gegenüber trat.

Leise öffnete er die Thür des kleinen Gemaches und blieb überrascht, erschrocken auf der Schwelle stehen.

Daß nur von einem schwachen Lichte matt erhellte Zimmer hinderte ihn im ersten Augenblick, Alles genau zu erkennen, doch sah er Jemand im Bett liegen und einen Mann vor demselben knieen, während er seine Schwester deutlich zu den Füßen des Bettes stehen sah.

Eine bange Ahnung durchzuckte ihn, und ehe sich sein Auge noch an das Dämmerlicht des Zimmers gewöhnt, wußte er schon, daß es sein Kind, seine Grete war, die entstellt, seinem Auge fast unerkennbar, in dem Bette lag und ihre Rechte dem vor ihr knieenden Räuber ihres Glückes gereicht hatte.

Und auf diesen richteten sich seine Augen, welche über die bleiche Gestalt seines Kindes nur rasch gestreift waren, starr und drohend. In ihm zuckten all' die Schmerzen und Qualen auf, die er dieses Menschen wegen erduldet. Vor ihm stand sein Vater mit höhnendem, hochmüthigen Blicke, schien die Hand ihm entgegenzustrecken und zu rufen: »Sieh, Du stolzer Bauer, mein Blut hat Dich zum elendesten und erbärmlichsten Menschen gemacht!«

Eine furchtbare Aufregung ergriff ihn. Er hörte nicht den leisen, halb freudigen und halb erschrockenen Aufschrei seines Kindes, er sah nicht, wie es abwehrend und doch auch wieder heranziehend die Hand ihm entgegenstreckte – er sah nur den Knieenden, den Schuldigen, den Verhaßten, der all das Elend über ihn gebracht. Seine Augen wichen auch nicht einen Augenblick von ihm. Sein ganzer Körper erbebte, seine Brust rang mit Mühe nach Athem. Er hätte der gewaltigen Aufregung mit einem lauten Schrei Luft machen und sich dann auf den Verhaßten stürzen mögen, um mit einem Male all' seinen Groll an ihm zu kühlen.

Und mit starr und drohend auf ihn gerichteten Augen, mit fest aufeinander gepreßten Lippen und bleichen Wangen trat er auf ihn zu und hatte schon den Arm über ihm erhoben – da hielt ihn seine Schwester zurück mit dem Rufe: »Martin, Martin, mäßige Dich. Sieh hier,« – und sie zeigte mit der Hand auf einen Korb, in dem ein neu geborenes Kind lag – »sieh hier,« wiederholte sie und fügte dann leise, fast flüsternd hinzu – »schone, bedenke Dein unglückliches Kind. Du stehst vielleicht an seinem Sterbebette.«

Er hatte diese letzten Worte nicht vernommen, sein Blick war auf das Kind, das erst vor einigen Stunden des Lebens Licht erblickt, gerichtet und all' sein Zorn, all' seine auffahrende Aufregung schienen mit einem Male dem vernichtenden, niederdrückenden Gefühle seiner unabwendbaren Schmach zu weichen.

Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und seine große, kräftige Gestalt schien mehr und mehr zusammenzusinken.

Seine Schwester benutzte diesen Augenblick und faßte Hugo bei der Hand, um ihn aus dem Zimmer zu führen. Seine Wangen waren bleich, sein Blick kummervoll, seine Augen schwammen in Thränen. Die wenigen Zeilen von Gretens Hand, welche er an diesem Tage empfangen, und welche nur zu unverhüllt aussprachen, daß der Abschied, den sie ausdrückten, ein ewiger sein solle, hatten ihn mächtig ergriffen, und seine ganze Schuld, ja sein Verbrechen deutlich vor seine Seele geführt.

Die Liebe zu dem Mädchen, die in seinem Herzen noch nicht ausgelöscht war, der strafende, beschuldigende Zuruf seines Gewissens, das Verlangen, die Geliebte noch einmal zu sehen, und von ihren Lippen selbst ihre Verzeihung zu hören, hatten die Schwachheit seines Charakters für den Augenblick besiegt, hatten ihn das strenge Verbot seines Vaters vergessen lassen und hierher getrieben. Und er war noch früh genug gekommen. Grete hatte soeben mit dem letzten Aufwand ihrer Kräfte Abschied von ihm genommen.

Er hatte das Kind, sein Kind, vor ihren Augen auf den Arm gehoben und an sein Herz gelegt, das jetzt von wahrem und tiefem Schmerz erfüllt war, er hatte ihr geschworen, nimmer von dem Kinde zu lassen und es einst als sein Blut anzuerkennen. Er hatte sich wieder vor ihrem Bett auf die Kniee geworfen und noch einmal die Hand mit Küssen und Thränen bedeckt, die vielleicht bald, schon kalt und starr war – da war der Ackermann in die Thür getreten.

Er machte sich jetzt von der Hand der Frau los und warf sich noch einmal über Grete, die schwach, fast ohnmächtig, aber mit geöffneten Augen im Bett zurückgesunken war. Noch einmal küßte er sie leidenschaftlich, verzweiflungsvoll vor Schmerz auf Mund und Stirn, drückte ihr noch einmal die Hand zum ewigen Abschiede, und ließ sich dann zerknirscht, willenlos von der Frau vom Bette und zum Zimmer hinausführen.

Der Ackermann hatte von diesem Allen nichts bemerkt, weil er noch immer die Augen mit den Händen überdeckt hielt. Als er diese endlich herabsinken ließ, schien er Hugo's Entfernung nicht zu bemerken, ja nicht einmal mehr an ihn zu denken, denn er trat ans Bett und reichte seinem unglücklichen Kinde mit einem Blick, in dem sich der tiefste Schmerz ausprägte, dessen Ruhe aber doch zugleich Vergebung und Versöhnung verhieß, die Hand dar.

Grete hatte ihre Augen nicht von ihm gewandt und ergriff jetzt mit dem Aufwand ihrer letzten Kräfte die dargereichte Rechte mit beiden Händen.

»Mein armes, unglückliches Kind!« sprach der Ackermann und vermochte die Thränen in seinen Augen nicht zurückzuhalten. Als sein Blick die bleichen, von Krankheit und Kummer abgezehrten Wangen des einzigen und so sehr geliebten Kindes getroffen, hatte er seinen eigenen Schmerz, seinen vernichteten Stolz und verschwundene Glück vergessen. Das Herz des Vaters regte sich in diesem Augenblick so mächtig, wie nie zuvor, und nur an sie dachte er, die er so elend vor sich erblickte, nur an ihren Schmerz und ihre Schande.

Seine Schwester trat zu ihm, legte die Hand auf seinen Arm und bat ihn: »Sei ruhig, Martin. Schone sie, rege sie nicht auf, sie ist sehr, sehr schwach.«

Grete hatte diese Worte gehört, und auch die Thränen in den Augen ihres Vaters waren ihr nicht verborgen geblieben. Wohl fühlte sie, daß ihre letzten und mit aller Kraft zusammengehaltenen Kräfte sie zu verlassen drohten, und daß der Tod immer näher und näher an sie herantrat, wenige Minuten völlige Ruhe hätten ihn vielleicht noch einige Stunden länger fern gehalten – was konnten ihr diese wenigen Stunden nützen, jetzt im Augenblick der Versöhnung, der Verzeihung ihres Vaters, keine Minute durfte sie von diesem Augenblick verlieren. Sie wußte ja, daß sie nimmer ihr Kind an ihrem Herzen großziehen könne, daß ihre Hand nimmer wieder im Stande war, die tiefen Furchen des Grams von der Stirn ihres Vaters zu verwischen – sie hatte diese Hoffnungen bereits aufgegeben, ihr Herz sehnte sich jetzt nur darnach, mit seiner völligen Vergebung zu scheiden.

Sie erhob sich etwas im Bette, indem die Hand ihres Vaters sie unterstützte.

»Laß, laß!« sprach sie mit matter und abgebrochener Stimme zu ihrer Tante. »Laß den Vater sich aussprechen – laß ihn mir verzeihen, so lange ich ihn noch hören kann – ich fühle, daß ich bald – bald« – sie sank erschöpft ins Bett zurück.

Erst jetzt schien der Vater die ganze Lage seines Kindes zu begreifen und er entsetzte sich vor dem Gedanken an den Tod. Wie ein betäubender Schlag traf ihn diese Entdeckung, und er suchte sich mit Gewalt gegen sie zu sträuben.

»Nein, nein, Grete!« rief er aufgeregt, »Du irrst, Du bist nur schwach – schwach; eine Nacht Ruhe wird Dich wieder kräftigen!« Grete schüttelte wehmüthig lächelnd mit dem Kopfe.

»Ich mag Dich und uns alle nicht täuschen, Vater,« sprach sie. »Ich fühle mein Ende – ich scheide gern – da Du mir vergeben. Vergiß mein Kind – mein Kind nicht – und – und vergieb auch – – « Die Kräfte verließen sie. Sie suchte sie mit Gewalt zusammenzunehmen – vergebens. Ihre Lippen bewegten sich noch, aber kein Laut kam über dieselben. Nur aus ihren Augen sprach noch das volle Leben.

»Grete, Grete!« rief der Vater fast aufschreiend. »Mein Kind, mein unglückliches Kind. Nein – nein, Du darfst nicht sterben. Ich verzeihe Dir, kein böses Wort will ich Dir sagen, kein finsterer Blick soll Dich an das Geschehene erinnern. Du mußt, Du mußt leben.« Er warf sich in verzweiflungsvollem Schmerze über das Bett, er umfaßte sie mit seinen Armen, hob ihren Kopf empor und blickte ihr in die lieben, lieben Augen.

Ja, sie glänzten noch und blickten ihm ruhig lächelnd wie verklärt entgegen, während um die Lippen, um Nase und Mund der Tod schon seine Züge eingrub.

Er bemerkte es. Fast wild, verzweiflungsvoll sprang er empor, blickte sich um, als suche er nach einem Mittel, um den Tod zu scheuchen, als suche er nach einem Opfer, das er darbringen wolle, um das Leben seines einzigen und geliebten Kindes zu erkaufen – vergebens, vergebens. Der Tod läßt sich nicht bestechen.

Und wieder sank er auf das Bett hin, rief den Namen seines Kindes und weinte laut.

Wenn der Sterbenden Lippen sich auch nicht regten, ihr Ohr schien doch den Namen zu hören, denn ihre Augen öffneten sich noch einmal weit und glanzvoll, sie richtete sich gewaltsam empor, ihre Lippen öffneten sich: »Mein Kind, mein Kind!« rief sie und sank dann kraftlos, zusammenbrechend, todt auf das Kissen zurück.

Der Schmerz des Vaters war ein ungebändigter, ein verzweiflungsvoller. Sich selbst klagte er an, das Leben seines Kindes durch seine Härte geopfert und gemordet zu haben, gegen sich selbst richtete er in diesem Augenblicke all seinen Haß, und seine selbst tief erschütterte Schwester bot vergebens Alles auf, ihn zu beruhigen und seinen wilden Schmerz in eine stillere Trauer hinüberzuleiten.

Sie versuchte, ihn aus dem Zimmer zu entfernen, um ihm den Anblick der Todten zu entziehen, aber er weigerte sich. »Laß mich, laß mich!« rief er fast heftig und auffahrend. »Wer kann mich von meinem Kinde trennen? Wer? – Du sagst, sie ist todt – todt! Ha, sieh', ihre Augen sind noch nicht geschlossen, siehst Du nicht, daß sie mir zulächelt, als ob sie sagen wolle, todt bin ich nicht, todt kann ich nicht sein, weil Du dann so elend, so namenlos elend wärest. – Ha, und meinst Du denn das Herz schlage nicht mehr, weil Du es nicht hörst und nicht fühlst. – Sieh', Schwester, das Herz sitzt drinnen in der Brust, da ist das Leben, da, da! Sieh' und deshalb gehe ich nicht fort von hier. Hier setze ich mich neben dem Bette nieder und warte, bis sie sich wieder erholt hat. Still, still. Sieh', die Hand ist noch warm, ich fühle, wie sie sich in der meinen regt – sieh', der Tod ist aber kalt und starr, und deshalb glaube ich es nicht. – Still, still, ich glaube, sie will schlafen!«

Er ließ sich still neben dem Bette auf einem Stuhle nieder, hielt die Hand der Todten fest in der seinigen und ließ sein Auge auf ihren bleichen, leblosen Zügen ruhen.

Die Schwester wagte nicht, ihn zu stören und seinen Schmerz, der wenn er auch nur durch einen Wahn für den Augenblick beruhigt zu sein schien, auf's Neue wachzurufen.

Es hat ja etwas Ergreifendes und trotz aller Wildheit etwas Erhabenes, wenn sich der Schmerz zur Verzweiflung steigert, die sich selbst durch den Gedanken der Unmöglichkeit und Täuschung zu beruhigen sucht.

Sie trug das Kind, das nie das Auge seiner Mutter sehen, nie deren Herzschlag hören und nie dessen Thräne auf seinen Wangen fühlen sollte, aus dem Zimmer, denn es war ihr schrecklich, daß ein so junges Leben in der Nähe des Todes sein sollte. Sie zitterte, als sie es in den Armen hielt, ihre Thränen tropften auf es nieder – sie waren die erste Gabe, die es in seinem Leben empfing. Der eignen Mutter Auge hatte nicht Zeit gehabt, über es zu weinen, weder aus Freude noch aus Schmerz, all ihre Thränen hatte es bereits vor seiner Geburt hinweggenommen.

Als Martin's Schwester zu ihm in das Zimmer zurückkehrte, sah sie, daß er wie erschöpft und müde sein Haupt an den Rand des Bettes gelehnt hatte.

Sein Schmerz schien ruhiger geworden zu sein, und sie trat zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter und sprach: »Ertrag's, Martin. Du kannst es nicht ändern, sei gefaßt.«

Er hob den Kopf in die Höhe und blickte sie schweigend an. Aber in diesem schweigenden Blicke sprach sich am deutlichsten aus, was er litt.

»Ja, ich werde es ertragen, ich muß es,« sprach er endlich, »aber diesen Schlag habe ich nicht erwartet, Marie. Er ist zu hart, zu hart –« und wieder barg er das Gesicht in den Händen.

Als die Schwester ihn nochmals bat, das Zimmer zu verlassen, erwiderte er: »Nein, Marie. Laß mich hier. Gönne mir, daß ich von meinem Kinde Abschied nehme. O, – o, ich habe es so lieb, so lieb gehabt und diese Prüfung ist eine zu harte. – Da wankt der Glaube, da zieht der Zweifel an eine Vorsehung in die Brust ein. Laß mich diese Nacht bei ihr. Sieh', sie ist todt, die Hand ist kalt, das Herz steht still – aber in meinem Herzen lebt sie noch – sieh', da – da, laß mich Abschied nehmen. Morgen werde ich ruhig und gefaßt sein und nur hier – an dem Bette meines Kindes kann ich es werden!«

Die Frau gab seinen Bitten nach und verließ ihn.

Wieder setzte er sich neben dem Bette nieder, lehnte sein Haupt an den Rand desselben und hielt die kalte, starre Hand der Todten fest in der seinigen – er erwärmte sie nimmer wieder.

Was er in dieser einen Nacht litt, welche Schmerzen, welche Gedanken durch seine Brust hinzogen? Welche Kämpfe er ertrug? Wie er rang? – Seine Brust holte tief und schwer Athem, seine Augen blickten starr, regungslos auf den Boden – kein Schlaf senkte sich auf sie.

So saß er noch, als die Morgensonne bereits in das Zimmer schien.

Als seine Schwester wieder eintrat, als er sich emporrichtete und sie ansah, schrak sie zurück, eine solche Veränderung war in dieser einen Nacht mit ihm vorgegangen. Seine Wangen waren bleich, ja bleicher noch als die der Todten, seine Augen zurückgetreten und blickten mit einer fast unheimlichen Ruhe.

»Morgen werde ich ruhig und gefaßt sein,« hatte er gesprochen, und er war ruhig. Aber es war nicht die Ruhe eines inneren Friedens, nicht die Fassung, welche sich der Macht einer höheren Hand unterordnet. Es war gleichsam die dumpfe, unheimliche Ruhe und Stille in ihm, die einem heranziehenden Gewitter vorherzugehen pflegt, die Ruhe, die sich der Allgewalt des Augenblickes fügt und in finsterem Brüten der Zukunft entgegensieht.

 

Ja, er war ruhig, bestimmt, fast streng. Mit völliger Fassung ordnete er Alles an, was die Todte und das unglückliche Kind betraf. Seine Schwester erbot sich, es vor der Hand bei sich zu behalten und über dem schwachen, elterlosen Leben zu wachen, es zu hüten – er war damit zufrieden.

Den Leichnam seines Kindes, mit dem der Tod ihn völlig ausgesöhnt, ließ er in sein heimathliches Dorf bringen – dort auf dem Friedhofe wurde er neben seiner Mutter beigesetzt.

Es war ein stiller, sonniger Morgen, als die Tode hinausgetragen wurde zum Gottesacker. Martin hatte sich alles Geleit seiner Bekannten und Freunde verbeten – er allein ging hinter dem mit Blumen geschmückten Sarge her. Es war etwas in ihm, das er Niemand zeigen mochte.

Still wurde der Sarg in das Grab hinabgelassen. Die Träger und auch der Ackermann traten dicht heran, entblößten ihr Haupt und beteten schweigend. Die Hände des Vaters, welche sich gefaltet hatten, zitterten heftig, seine Augen verdunkelten sich von Thränen und seine Kniee vermochten ihn kaum zu tragen.

»Faßt Euch, ertragt es,« sprach einer der Träger zu ihm und stützte ihn.

Da nahm er sich gewaltsam zusammen und gab schweigend mit der Hand das Zeichen, daß das Grab zugeworfen, werden solle. Als aber die ersten Erdschollen dumpf und hohl auf den Sarg herabfielen, wandte er sich ab. Sie – sie sollten ihm für immer sein Kind entziehen, das er noch vor wenigen Monden so froh und glücklich an seine Brust gedrückt! Und es war ihm, als ob sie all' auf sein Herz gewälzt würden und schwer, immer schwerer darauf lasteten. All sein Glück und sein Hoffen war hineingesenkt in das Grab und wurde durch sie zugleich mit verschüttet und begraben.

Und je mehr das Grab sich füllte, je höher endlich der Hügel aufgeworfen wurde, um so weiter schien ihm das zu liegen, was ein Menschenherz beglücken kann.

Als endlich die letzte Erde auf den Hügel geworfen war, der nun auf dem ringsum grünen und blühenden Friedhofe so schwarz und düster dalag, als die Träger sich noch einmal zum Gebet um ihn gestellt hatten und nun die Geräthschaften auf die düstere Bahre legten und forttrugen, blieb der Ackermann noch still und regungslos an dem Grabhügel seines Kindes stehen.

Er mußte allein sein. Hier wollte er noch einmal Abschied nehmen von dem Mädchen, das einst seine Brust mit so unendlich viel Glück geschwellt und ihn nun so elend gemacht hatte. Sie hatte ausgelitten, und was er noch duldete, daß sein Herz sich vor Pein krampfhaft zusammenzog – das verzieh er ihr, er hatte es ihr ja bereits vergeben, als er an ihrem Sterbebette stand.

Ernst, ruhig lag sein Blick auf dem schwarzen Hügel. Er konnte sich von ihm noch nicht trennen. Diese Erde, auf der er stand, war so ruhig, so heilig, sie barg das Liebste, was er besessen, – sein Weib, sein Kind.

Endlich hob er den Blick empor und ließ ihn wie ein Erwachender ringsum schweifen. Er traf auf die hohe, schattige Baumgruppe und Allee, welche das Schloß umgab und aus denen dieses selbst ihm entgegenschimmerte.

Sein Auge zuckte wild auf und blieb glühend und drohend auf dem Schlosse haften. Seine ganze Gestalt erhob sich und stand wieder gerade und kraftvoll da. Er streckte nicht wie einst den Arm drohend gegen das stolze Gebäude aus, kein Laut, keine Verwünschung kam über seine Lippen; sie waren fest, fest geschlossen.

Dieser eine Blick auf das Schloß erklärte seine Festigkeit und Ruhe, er verrieth, weshalb er seine Kräfte so gewaltsam zusammennahm. Er wußte, daß er sie nöthig hatte, wenn einst der Tag der Vergeltung kam. –

Und er mußte kommen. Wie der schwarze Grabhügel vor ihm einst, wie die Hügel ringsum, von einer grünen Rasendecke überzogen wurde, wie die kommende Frühlingssonne auch auf ihm Gräser und wohl auch Blumen hervorrief, obschon das ausgelöschte Leben unter ihm längst moderte und in Staub und Asche zerfiel – so gewiß mußte er kommen der Tag der Vergeltung und Sühne. –

 

Fast drei Jahre waren verschwunden. In dem Schlosse des Herrn von Schwarz hatte in dieser Zeit ein sehr wechselvolles Leben stattgefunden. Das stolze, verschwenderische Leben war bereits bis auf die empfindlichsten und nothwendigsten Einschränkungen herabgesunken gewesen, da hatte eine unerwartete kleine Erbschaft ein neues, hochmüthiges Aufflackern desselben hervorgerufen, gleichwie ein verlöschendes Feuer durch einen Windhauch noch einmal zur letzten hellen Flamme angetrieben wird, bis es gleich darauf ganz und für immer zusammenbricht.

Auch dieses unerwartete Hülfsmittel war aufgezehrt und die Verlegenheiten des Gutsherrn waren jetzt größer und peinlicher als je. Es giebt keinen schwereren Schritt als den, von einem sonnigen, rauschenden Leben zurück in ein einfaches und auf mäßige Ansprüche beschränktes. Weniger der Gutsherr und noch weniger seine Frau konnten sich zu diesem Schritte entschließen, und mit einer zähen Hartnäckigkeit und Aengstlichkeit klammerten sie sich an die letzten Flitter ihrer früheren Lage fest.

Ihre Verhältnisse waren jetzt zu sehr zerrüttet, daß; es ihnen noch möglich gewesen wäre, Anderen gegenüber selbst nur den äußeren Schein ihres früheren Glanzes zu bewahren. Sie lebten jetzt gleichsam nur noch von den Nachstrahlen desselben und suchten sich durch dieselben selbst zu täuschen.

Das Gut war seit fast zwei Jahren verpachtet, aber die Pacht reichte nicht aus, um die Zinsen der Schulden, mit denen es belastet war, zu decken und die drängenden Gläubiger zu befriedigen. Herr von Schwarz sann unablässig auf die Herbeischaffung neuer Mittel, er beugte selbst seinen stolzen und hochmüthigen Sinn, um sie zu erlangen, aber nur selten hatten seine Bemühungen einen befriedigenden Erfolg.

Er hatte sich in der That bedeutend eingeschränkt, während er sich in mancher Beziehung mit zähem Eigensinn dagegen sträubte. Die Gesellschaften und Feste auf dem Schlosse hatten aufgehört, ein Theil seiner Diener war entlassen, aber noch immer fuhr er mit vier Pferden, wenn auch die Pferde selbst, ja sogar das Geschirr, der Wagen, selbst die Livree des Kutschers einen sich schon bis auf so geringfügige Gegenstände erstreckenden Mangel verriethen.

Herr von Schwarz hatte doch noch die Genugthuung, zu den Gesellschaften, zu denen er eingeladen wurde, und die ihm wie seiner Frau jetzt um so unentbehrlicher wurden, weil sie selbst außer Stande waren, noch welche zu geben, die für sie gleichsam noch das einzig Haltbare in ihrer ganzen Lebensstellung bildeten, weil sie durch dieselben aus den Verlegenheiten daheim herausgerissen wurden – mit vier Pferden wie einst zu fahren. Ging es auch langsamer wie einst, mochten die Pferde auch durch ihre ganze Erscheinung verrathen, daß sie selbst mit dem Mangel an Futter nicht mehr unbekannt waren, die Gutsherrin saß noch mit demselben kalten, hochmüthigen Stolze in dem Wagen, sie selbst wollte zum wenigsten keine Veränderung zeigen, mochten sich ihre Verhältnisse auch noch so sehr verändert haben.

Auch der Gutsherr zeigte ihm Gleichstehenden gegenüber seinen alten Stolz, war er aber daheim, so lagerten sich die Falten der Sorgen auf seine Stirn und er haderte nicht allein mit sich und seinem Geschicke, sondern mit jedem seiner Untergebenen, der das Unglück hatte, mit ihm in Berührung zu kommen.

In dem Dorfe war es kein Geheimniß, daß es jetzt in dem Schlosse oft sehr knapp herging und die Bauern sagten nicht ohne heimliche freudige Genuthuung: »Wenn's im Schlosse nichts mehr giebt auf den Tisch zu setzen, so läßt der Gutsherr seine vier Rappen anspannen und sie fahren fort, um bei einem Nachbar zu speisen.« Und so war es in der That, wenn auch ein wenig übertrieben. Trat aber daheim der Mangel allzu schroff hervor, dann wurden allerdings die herabgekommenen vier Rappen angespannt, um ihn anderwärts zu vergessen.

Hugo empfand diese gewaltige Veränderung am wenigsten. Einestheils hatte der Tod Gretens einen tiefen und immer noch nicht ganz verwischten Eindruck auf ihn hervorgerufen, anderntheils war er zu schwach, ja zu gleichgiltig gegen das prunkvolle Leben, um durch dessen Verlust in dem Nachhängen und Nachgehen seiner besonderen Vergnügungen sich gestört zu fühlen. Das frühere Leben hatte ihm eigentlich wohl gefallen, er hatte es mitgenossen, er entbehrte es jetzt aber eigentlich nicht. Was von jeher eines seiner liebsten Vergnügen gewesen war, mit der Büchse über der Schulter durch das Holz zu streifen, mit träumerischem Nichtsthum seine Zeit hinzubringen, das konnte er auch jetzt noch thun und er that es mehr als früher, weil ihn Niemand darin störte.

Daß er an Gretens Sterbebett gestanden, davon hatte weder sein Vater noch seine Mutter je etwas erfahren. Beide dachten auch nicht mehr an diesen Gegenstand, den sie längst für vergessen hielten. Sie hatten den Tod des Mädchens erfahren und nicht ohne heimliche Freude – damit war Alles für sie ausgelöscht. Nach dem Kinde, das die Ursache dieses Todes geworden war und doch immerhin das Kind ihres Sohnes blieb, hatten sie nie gefragt – was kümmerte sie das Kind eines Bauernmädchens!

Oefter hatte Hugo daran gedacht. Er wußte, daß es lebte und in demselben Hause, wo es geboren war, erzogen wurde, aber auch er wagte nicht, sich näher um dasselbe zu bekümmern, weil er seine Eltern fürchtete. Er konnte ohnehin nichts dafür thun und wußte, daß seine Sorge auch unnöthig war, so lange es in den Händen, in welchen es sich befand, blieb.

Wohl sehnte er sich zuweilen nach dem Wesen, dem er das Leben gegeben, in dessen Adern sein eigenes Blut rann, aber die Verhältnisse, welche sich zwischen ihn und dies Kind gestellt hatten, hielten dasselbe von seinem Herzen fern und er liebte es eigentlich nur als ein Andenken an die Geliebte, als ein Pfand glücklicher und lebensfrischer Stunden und Tage.

Anders als in dem Schlosse sah es auf dem Hofe und in dem Hause des reichen Ackermanns Martin aus. Gleichsam als ob das Glück den so schwer geprüften und tief gebeugten Mann auf andere Weise entschädigen wollte, hatten sich verschiedene Umstände gehäuft, um seinen Reichthum zu vergrößern. Die Ernten seiner Felder waren die reichsten und ergiebigsten gewesen und Alles, was er unternommen hatte, war glücklich eingeschlagen. Aber all' dies Glück, all' dieser Segen und Reichthum vermochte auf seinem ernsten, und strengen Gesichte nicht das geringste Lächeln, nicht die leiseste Miene der inneren Zufriedenheit hervorzurufen.

Was nützte ihm all' der Reichthum! Er hatte ihn nicht nöthig, er vermochte sich nicht einmal darüber zu freuen, denn immer und immer erinnerte er ihn daran, daß er Niemand hatte, dem er einst zu gute kommen konnte.

Priesen Andere sein Glück, so glitt wohl ein spöttisches Lächeln um seinen Mund und er erwiderte: »Schweig davon. Einst habe ich mich wohl darüber gefreut und das Herz hat mir oft gelacht, wenn ich meine blühenden Felder schaute – jetzt frage ich nichts darnach. Der Segen, der mir wird, nach dem verlange ich nicht und den brauche ich auch nicht!«

Sein Haar war in den wenigen Jahren völlig erbleicht und in seinem ganzen Wesen war eine große Veränderung vorgegangen. Wohl war er von jeher streng gewesen, wenn er auch meist seine Strenge durch spätere Güte wieder milderte, jetzt war er sogar oft hart und unerbittlich in seinem strengen Willen. Er lebte möglichst abgeschlossen von den Menschen, kam er mit ihnen zusammen, so war er kalt und schroff.

Sein Gang, seine Gestalt hatten, wenn er durch das Dorf hinschritt, nichts von ihrer früheren Festigkeit verloren, aber ging er allein durch seine Felder, wähnte er sich unbeachtet, so sank wohl sein Kopf herunter und seine Augen hafteten wie träumend auf dem Boden.

Den Schmerz über den Tod seines einzigen Kindes hatte er noch immer nicht überwunden. Täglich, fast stündlich dachte er an Grete und suchte dabei ängstlich Alles zu vermeiden und Allem auszuweichen, was ihn an ihren Fehltritt und ihr Unglück erinnern konnte. Er wollte ihr Bild in der Erinnerung bewahren, so wie es einst gewesen war, lebensfrisch und fleckenlos.

Deshalb hatte er auch ihr Kind noch nicht wieder gesehen, obschon er gewissenhaft für dasselbe Sorge trug. Er haßte dieses unschuldige Leben nicht, er würde es vielleicht selbst zu sich genommen haben, flösse nicht in den Adern desselben das Blut seines ärgsten, erbittertsten Feindes. Das hielt ihn fern von demselben.

Mit unerbittlicher und unwandelbarer Zähigkeit hatte Martin den Haß gegen den Herrn von Schwarz in sich bewahrt. Mit größter Selbstüberwindung hatte er ihn in sich verborgen gehalten, um ihn einst, wenn die rechte Stunde gekommen war, mit einem um so größern und vernichtendern Erfolge hervortreten zu lassen.

Dieser Haß, das glühende Verlangen nach Genugthuung war es eigentlich, was ihn noch an das Leben fesselte. Unverwandt hatte er sein Auge auf den Gutsherrn und dessen Leben gerichtet, und nichts war ihm entgangen. Er hatte bemerkt, wie die Lage desselben eine immer peinlichere und bedrängtere geworden war, er wußte, daß die eine Verlegenheit auf die andere folgte und daß sich bereits wirklicher Mangel auf dem stolzen Schlosse einstellte.

Eine innere, freudige Genugthuung erfüllte ihn, er fühlte kein Mitleid mit der Gutsherrschaft, denn noch immer hatten sie ihren alten Stolz und Hochmuth beibehalten.

Schon längere Zeit hatte er ein Mittel in den Händen, um seinen Feind zu demüthigen, ja zu vernichten, aber er bezwang seine Ungeduld, denn noch immer schien ihm nicht der rechte Augenblick gekommen zu sein, noch hätte der Gutsherr möglicherweise einen Ausweg haben können, sein Schlag sollte ihn aber unfehlbar treffen.

Von einem Hauptgläubiger des Herrn von Schwarz hatte er, ohne daß dieser es wußte, mehre Schuldscheine über bedeutende, von dem Gutsherrn gemachte Anlehen gekauft. Er wußte, daß er, wenn ihm auch das Gut selbst immerhin einige Sicherheit bot, doch Hunderte und Tausende dabei verlieren würde; aber was fragte er darnach. Er empfand einen solchen Verlust bei seinem Reichthum nicht und mit Freuden würde er für dieses Mittel, das er in den Schuldscheinen besaß, um den hochmüthigen Mann zu demüthigen, ein bei Weitem größeres Opfer gebracht haben.

Mit diesen Schuldscheinen wollte er in einem Augenblicke, wo des Gutsherrn Verlegenheit am größten war, wo er keinen Ausweg mehr suchen konnte, vor ihn hintreten. Dort, in dem Schlosse, wo er ihn einst so schändlich und hochmüthig behandelt hatte, wollte er vor ihm stehen und ihm zeigen, daß er die Macht habe, ihn von seinem väterlichen Gute zu stoßen und ihm den Bettelstab in die Hand zu geben. Dort, dort wollte er ihm jene Stunde ins Gedächtniß zurückrufen, wo er zu ihm gesagt, daß das kostbare Getäfel seines Saales nicht für Bauernfüße sei, dort wollte er es ihn fühlen lassen, daß er seiner Gnade anheimgegeben war, und er wollte ihm ein Almosen anbieten, ihm dem stolzen und hochmüthigen Herrn von Schwarz.

Niemand wußte um diesen Plan, mit eiserner Festigkeit hatte er ihn in seiner Brust bewahrt. Gänzlich unerwartet sollte dieser Schlag treffen, weil er wußte, daß er dadurch um so härter wurde. Der Gutsherr konnte ihm nicht entgehen, die so sehnlichst erwartete Stunde mußte endlich kommen.

 

Und sie kam. Der Ackermann erfuhr, daß der Gutsherr seine vier letzten Pferde und den Wagen verkauft hatte. Er erzitterte fast vor freudiger Ungeduld, um endlich seinen jahrelang zurückgehaltenen Wunsch erfüllt zu sehen. Er kannte den stolzen und zähen Mann zu gut, um nicht zu wissen, daß ihn zu diesem Schritte, der gleichsam den letzten Rest seines früheren glanzvollen Lebens vernichtete, nur die größte Verlegenheit und bedrängteste Lage getrieben hatte.

Jetzt war der rechte Augenblick gekommen, kein Ausweg konnte sich dem Gutsherrn mehr darbieten, sonst würde er ihn schon sicher eingeschlagen haben.

Es war Abend, als der Ackermann diese Nachricht empfangen hatte. Erst am folgenden Morgen konnte er seinen Entschluß ausführen und das jahrelange Warten war ihm nicht so lang erschienen, als diese eine Nacht. Aber auch eine Nacht nimmt ein Ende, wenn sich auch nur Stunde an Stunde und Minute an Minute reiht. Sie ließ sich ertragen, wenn auch schlaflos, mit ungeduldig pochendem Herzen.

Als der Bauer am folgenden Morgen in seinem Werktagsanzuge, ganz wie er daheim ging – denn er wollte dem verhaßten Gutsherrn nicht die Ehre seines Sonntagsrockes gönnen – mit den so wichtigen Schuldscheinen durch das Dorf hin dem Schlosse zuschritt, ahnte Niemand, was er im Sinne hatte. Aber um seinen Mund zuckte ein siegreiches Lächeln, in seinem ganzen Gesichte prägte sich das Gefühl der endlich erfüllten Genugthuung aus.

Fest und gerade betrat er den Gutshof. Sein Auge blickte nicht zur Seite, den Kopf trug er hoch aufgeworfen, – er wollte stolz erscheinen. Schon hatte er die Stufen vor dem Schlosse erstiegen, als ihm der noch einzige Diener entgegentrat. Er bemerkte dessen verstörtes und erschrockenes Aussehen nicht, sondern verlangte in fast befehlendem Tone, mit dem Herrn zu sprechen.

Der Diener war verlegen und verwirrt; als der Ackermann sein Verlangen noch einmal wiederholte, theilte er ihm mit, daß der Gutsherr so eben vom Schlage getroffen und gestorben sei.

Der Ackermann erschrak. Er wollte es nicht glauben; aber das Gesicht des Dieners verrieth nur zu deutlich, daß er die Wahrheit gesprochen hatte.

Mit einem Male, so nahe vor seiner Verwirklichung sah er seinen lange gehegten Plan scheitern, er war zweifelhaft, was er nun beginnen sollte, der Tod, an den er nicht gedacht hatte, war ihm zuvorgekommen und hatte all' seine Berechnungen durchkreuzt. Da tauchte der Gedanke in ihm auf, wenn er in diesem doppelt unglücklichen Augenblicke mit seinen Forderungen vor die Gutsherrin hinträte! Hatte sie sich nicht auch durch ihren Stolz und Hochmuth an ihm und an so Vielen versündigt, war sie nicht eben so schuldig wie der jetzt durch den Tod ihm Entzogene? Floß nicht auch in ihr das Blut, das ihn und sein Kind so unglücklich gemacht hatte, jenes hochmüthige Blut! Betraf nicht sein Haß das ganze Geschlecht der Schwarz, selbst den Namen!

Einen Augenblick gab er sich diesem Gedanken hin, der mit dämonischer Gewalt ihn anzog und lockte, aber er drängte ihn zurück; die Menschlichkeit regte sich in seinem Herzen. Ja, mochte sie auch gleich schuldig sein wie ihr gestorbener Gatte, die stolze, leichtsinnige Frau –, in diesem Augenblicke, wo sie an einem Sterbelager weinte, mochte er nicht vor sie hintreten und sie noch tiefer demüthigen.

Er dachte an die Stunden, wo auch er einst an den Sterbelagern seines Weibes und dann seines Kindes gestanden hatte, und das Andenken an sie machte sein Herz milder und milder. Den Herrn von Schwarz würde er nicht geschont, mit ihm würde er kein Mitleiden gehabt haben – mit einer Frau mochte er nicht rechten, auf sie hatte das Geschick jetzt ohnehin seine Hand schwer genug gelegt.

Innerlich ergriffen kehrte er heim. – Noch in derselben Stunde traf ihn das Gerücht, welches bereits im ganzen Dorfe umlief, daß der Gutsherr nicht eines natürlichen Todes gestorben sei, sondern in der Verzweiflung seiner rettungslosen Lage sich selbst das Leben genommen habe. Um diese Schande von seinem Namen und seinem Andenken abzuwenden, heiße es nun, daß ihn der Schlag getroffen habe. Er zweifelt nicht an der Wahrheit dieses Gerüchtes, war doch in ihm selbst bereits dieser Gedanke aufgetaucht. Und konnte er eine größere Genugthuung erhalten, als ihm jetzt durch die Hand der Nemesis zu Theil geworden war! Konnte des Todten Schuld und Hochmuth wirkungsvoller gerächt werden!

Er schauderte unwillkürlich bei dem Gedanken an das Ende dieses Mannes, der sich einst so reich und groß fast wie ein Fürst gedünkt hatte, zurück und im Vergleich mit ihm mußte er sich glücklich schätzen, mochte auch sein Leben durch den immer noch nagenden Schmerz über seinen unersetzlichen Verlust langsam aufgezehrt werden.

Das Gerücht über den Selbstmord des Herrn von Schwarz wurde immer lauter und lauter ausgesprochen und erfuhr von keiner Seite her eine begründete Widerlegung, aber trotzdem wurde der Todte nach wenigen Tagen mit dem letzten Aufwande des früheren Reichthums und Pompes spät Abends bei Fackelschein in der Familiengruft unter der Kirche beigesetzt.

Das ganze Dorf hatte sich aus Neugierde vor der Kirche versammelt, um den Leichenzug zu sehen, an dem alle früheren Freunde des Geschiedenen Theil nahmen. Nur der Ackermann fehlte. Er mochte den Zug nicht sehen, ihn trieb die Neugierde nicht dahin, denn er dachte daran, wie still und einfach sein Kind in die Erde gebettet war – er allein hatte ihm das letzte Geleit gegeben.

Aber mochten die Fackeln auch weit durch die Nacht hin leuchten, mochten die Glocken ernst und feierlich läuten, ja mochte über den Todten, den Selbstmörder, ehe er in der Gruft beigesetzt wurde, von dem Pfarrer in der Kirche vor dem Altare ein lautes Gebet gesprochen werden, mochten vornehme und reiche Herren den Sarg umgeben, mochte er mit erborgtem Flitter behangen sein – sein Geschick hatte sich dennoch an ihm erfüllt, sein letztes Haus, der Sarg, war nicht einmal bezahlt, und die Pferde, welche ihn zum Gottesacker hinauszogen, waren nicht mehr seine eigenen – sondern erborgte. –

 

Bereits wenige Tage darauf traten sämmtliche Gläubiger mit ihren Forderungen auf, und die stolze, hochmüthige Gutsherrin sah sich in die demüthigende Lage versetzt, zu bekennen, daß sie außer Stande sei, die Schulden, welche den Werth des Gutes und ihres ganzen Eigenthums überstiegen, zu bezahlen. Sie mußte die Worte ertragen, daß sie kein Mitleid verdiene, daß sie aus dem Schlosse gestoßen werden solle und von der Erinnerung an ihr leichtsinniges, verschwenderisches Leben zehren möge.

Sie ertrug diese Worte schweigend und setzte ihnen noch immer einen Stolz entgegen, zu dessen völliger Demüthigung noch härtere Schläge erforderlich waren.

Die Mehrzahl der Gläubiger hatte große Lust, diese Drohungen wahr zu machen und drang ernstlich darauf, daß das Gut sammt dem Schlosse verkauft werde. Nur Einer war entschieden dagegen und wandte all' seinen Einfluß auf, um es zu verhüten – das war der Ackermann Martin.

Er wollte die Genugthuung haben, daß die stolze Frau gleichsam von seiner Gnade und von ihm abhängig lebte. Sie sollte sich selbst sagen müssen: »Sieh', einem Bauer, einem Menschen, auf den Du stets mit Hochmuth und Verachtung herabgeblickt hast, dem hast du es jetzt zu verdanken, daß Du nicht arm und hülflos in die Welt hinausgestoßen wirst. Von seinem Edelmuthe lebst Du, denn nur er hat es verhindert, daß das Gut und Schloß nicht verkauft ist. Er ist reich genug, daß er es selbst hätte kaufen können, und wer hätte ihn dann hindern können, daß er dieses Zimmer, in dem du einst die glänzendsten Gesellschaften gegeben, in dem du den Fürsten und seine Gemahlin empfangen, auf das du stolz gewesen bist wegen seiner Pracht und seines Glanzes daß er dieses Zimmer zu einer Stube für seine Knechte und Mägde machte, daß diese diesen kostbaren Fußboden, über den du so mannigmal in Sammet und Seide hingerauscht bist, dessen Glanz dein eigenes Bild wiederspiegelte, mit ihren schweren Füßen beträten und vernichteten.«

Und der Einfluß des Bauern siegte, sein Vorschlag, das Gut fernerhin zu verpachten und mit dem Pachtgelde vorläufig nicht die Zinsen der Schulden zu zahlen, sondern einen Theil der Schuld abzutragen, bis diese auf den wirklichen Werth des Gutes herabsank, drang durch.

Er hätte laut aufjubeln mögen, als ihm dies gelungen war, aber er bezwang sich, blieb ruhig und ließ Niemand errathen, welche Absicht er damit verband. Was kümmerte er sich darum, ob Manche, welche darum wußten, welches Leid ihm durch den Gutsherrn zugefügt war, seinen jetzigen Edelmuth eine Thorheit nannten, ob sie es ihm verdachten, daß er die hochmüthige Frau jetzt nicht in Noth und Elend verstieß – was kümmerten ihn überhaupt die Menschen und deren Ansichten über ihn?

Wonach er seit Jahren gestrebt hatte, erreichte er jetzt. Er wollte Genugthuung haben, ohne sein eigenes Gewissen durch eine unrechte und harte Handlung zu beschweren. Er wollte demüthigen, nicht durch niedrige Rache, sondern dadurch, daß er, der verachtete Bauer, edler handeln konnte, als der stolze, adlige Herr. Nicht wirklicher Edelmuth trieb ihn dazu, das war er sich wohl bewußt und darauf machte er auch keinen Anspruch, sondern die Gewißheit, daß er die stolze Frau nicht besser demüthigen konnte als so.

 

Und wieder vergingen Jahre.

Die Frau von Schwarz war noch immer die stolze, kalte Frau geblieben, aber sie hatte sich dennoch bis auf das Aeußerste einschränken müssen und war jetzt öfter einem wirklich drückenden Mangel, selbst an den nothwendigsten Lebensbedürfnissen preisgegeben.

Die weiten Räume des großen Schlosses standen unbenutzt da, nur drei Zimmer waren noch bewohnt, eins von der Herrin, das andere von Hugo und ein drittes kleines Gemach von der einzigen alten Dienerin, die schon seit langen Jahren in dem Schlosse weilte, und die jetzt auch im Unglücke nicht geschieden war, weil sie gleich hülflos in der Welt dastand.

Die Frau von Schwarz war noch immer zu stolz, um die, mit denen sie in den Tagen ihres Reichthums umgegangen war, um eine Unterstützung anzusprechen, oder eine solche von ihnen anzunehmen. Sie darbte lieber, ehe sie sich zu einem solchen Schritte hätte entschließen können.

Selten nur verließ sie ihr Zimmer, seltener noch das Schloß, um in den verwilderten Garten zu treten – sie mochte sich den Menschen nicht zeigen. In Gesellschaften ging sie nie mehr. Wohl besuchten einige ihrer früheren Freunde sie dann und wann und spielten mit ihr. Mit stillschweigendem Uebereinkommen machten sie nie Anspruch auf einen etwaigen Gewinn, zahlten aber gewissenhaft und bereitwillig ihre Verluste an die Gutsherrin aus. Sie sahen dies als eine Unterstützung, als ein Almosen an, und dies war die einzige Form, unter der es angenommen wurde, weil sie scheinbar den Stolz weniger verletzte.

Natürlich reichten diese ungewissen Hülfsmittel zum Leben nicht aus, und ein werthvoller Gegenstand nach dem andern, von denen noch immer genug im Schlosse sich vorfanden, wurde unter schweigender Einwilligung der Herrin von der alten Dienerin heimlich verkauft.

Wohl hatten sie kein Recht mehr an diesen Gegenständen, die sämmtlich den Gläubigern gehörten, aber diese waren außer dem Ackermann fern und hatten versäumt, ein Inventar sämmtlicher Gegenstände im Schlosse aufzunehmen.

Martin wußte recht wohl um diese heimlichen Verkäufe, denn mit aufmerksamem Auge beobachtete er Alles, was im Schlosse vorging. Mehr als einmal ertappte er die alte Dienerin bei einem solchen unrechten Vorhaben, aber er schwieg darüber, wenn er auch selbst dadurch einen Verlust erlitt, denn er hatte das größte Anrecht an diesen Gegenständen. Er wollte der Gutsherrin zeigen, daß er nur aus Mitleid schweige, sie sollte durch das Bewußtsein gedemüthigt werden, daß er ein Recht in Händen habe, sie zur Verantwortung zu ziehen und der öffentlichen Schande preiszugeben, und dies ängstigende, beunruhigende Bewußtsein sollte sie für Alles das, was sie verschuldet hatte, strafen.

Und er hatte sich nicht geirrt. Der Gedanke, daß sie gleichsam nur durch die Gnade ihres erbittertsten Feindes, eines von ihr verachteten Bauern lebte, kränkte sie mehr als der Verlust ihres Reichthums, mehr als ihre bedrückte Lage. Die Befürchtung, daß er den unberechtigten Verkauf so manches Gegenstandes, um den er wußte, zur öffentlichen Anzeige bringen möge, ließ sie manche Nacht nicht schlafen, und sie krümmte und wand sich oft in Verzweiflung unter solchen Gedanken.

Hugo ertrug diese gewaltige Veränderung, welche in seinem Leben eingetreten war, mit der Gleichgiltigkeit eines durchaus schwachen Charakters. Jetzt endlich mußten sich ihm die Gedanken an die Zukunft aufdrängen, für ihn wäre es möglich gewesen, sich aus dieser Lage loszureißen und irgend eine Beschäftigung zu ergreifen, die ihm zum wenigsten den Unterhalt erworben hätte, aber er schrak vor jeder Anstrengung und Arbeit zurück und litt lieber Mangel und Noth.

Zugleich war auch er nicht ohne Stolz und Dünkel auf seinen Adel und sein früheres Leben, und ehe er sich entschlossen hätte, sich durch die Arbeit seiner Hände Brot zu verdienen – und ein anderes Mittel gab es kaum für ihn, da er nichts gelernt hatte – lieber würde er verhungert sein.

Am meisten kränkte es ihn, daß er nicht mehr wie früher mit der Büchse über der Schulter durch das Feld und den Wald streifen durfte, denn die Jagdberechtigung gehörte jetzt dem Pächter des Guts. Doch auch hierin hatte er sich gefunden, und er durchstreifte jetzt den Wald ohne Büchse, was ihm natürlich Niemand untersagen konnte.

Oefter als früher ging jetzt der Ackermann an dem Gute vorüber, und mit heimlicher Freude bemerkte er, wie die Wirthschaftsgebäude und das stolze Schloß, um deren Erhaltung sich Niemand kümmerte, von Tage zu Tage mehr verfielen, wie der Garten, der einst fast einem Feenreiche geglichen hatte, verwildert da lag, und das Unkraut so lustig auf den Wegen und früheren Blumenbeeten wucherte. Jede zerbrochene Fensterscheibe in dem stolzen Schlosse rief ein Lächeln auf seinem sonst so strengen und ernsten Gesicht hervor, und jeden Sturmwind begrüßte er mit heimlicher Freude, weil er wußte, daß derselbe an dem Gebäude rüttelte, und an den Fenstern und über das Dach desselben vernichtend vorüberbrausen würde, und doch keine Hand den Schaden wieder ausbesserte. Ja, ihn selbst überkam oft eine dämonisch wilde Lust, einen Stein aufzuheben und in die Fenster des Schlosses zu schleudern; er bezwang sich indeß stets. Er selbst hätte mögen mit einem Griffe das ganze Gut vernichten, und selbst das Andenken an den Namen dessen, der es einst besessen, auslöschen. Aber noch lebten zwei Menschen auf ihm, mit denen er noch nicht völlig abgerechnet hatte, die ihm noch Genugthuung schuldig waren, und er war nicht der Mann, um von dem Groll und Hasse, der so tiefe Wurzeln in seiner Brust geschlagen hatte, selbst den geringsten Theil schwinden zu lassen.

Auch die Gutsherrin wurde endlich, nachdem sie ihren Mann noch vier Jahre überlebt hatte, aus ihrer zuletzt äußerst drückenden Lage durch den Tod erlöst. Es war kein Geheimniß in dem Dorfe geblieben, daß sie sich manchen Abend hungrig zur Ruhe gelegt hatte, aber dennoch fühlten nur Wenige ein geringes Mitleid mit ihr. Noch immer war sie die stolze Frau, welche mit Verachtung auf jeden Bauer, der sich ihr näherte, blickte, noch immer hatte sie, wenn auch nur in einzelnen Zügen, ihr früheres hochmüthiges Leben beibehalten.

War sie Sonntags zuweilen zum Gottesdienst in die Kirche gegangen, so hatte ihr die alte Dienerin, was einst ein Diener in reicher Livree thun mußte, das Gesangbuch tragen müssen, und sie hatte ganz die alte Miene noch, die keinen Gruß erwiderte und Niemand zu bemerken schien. Und dies war Alles um so thörichter erschienen, als sowohl ihr Anzug wie der ihrer Dienerin ihre Noth verriethen und Jeder wußte, daß sie am Mittage vielleicht nichts zu essen hatte.

Auch ihr Leichnam wurde in der Familiengruft beigesetzt, aber ohne Fackelschein, nur unter dem Läuten der Glocken, wozu die Kirche, deren Patronin sie gewesen, verpflichtet war.

Und wie still und einfach war diese Frau den letzten Weg hinausgetragen! Keiner ihrer früheren Freunde, die einst so gern zu ihren Gesellschaften und Festen gekommen waren, hatte sich eingestellt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen und sie zur Ruhe zu geleiten. Der Tod hatte die letzten schwachen Bande gelöst. Hugo war der Einzige, der hinter dem Sarge herschritt und sein Schmerz über den Tod der Mutter war um so größer, als er nun ganz allein und verlassen in der Welt dastand.

Hatte auch der stolze, unbeugsame Sinn dieser Frau die traurige Lage, in der sie zuletzt gewesen war, nicht zu mildern vermocht, Hugo hatte zum wenigsten an ihr eine Stütze gehabt, die ihn den oft drückenden Mangel ruhig ertragen ließ. Auch diese Stütze war ihm jetzt genommen.

Er war tief gebeugt. War er auch schwach und durchaus unselbständig, hatte er auch sein Leben in leichtsinnigem Nichtsthun hingebracht und sich selbst jeden rettenden Weg für die Zukunft abgeschnitten, die Vergleichung seiner jetzigen Lage mit den früheren Tagen seines Lebens mußte sich ihm aufdrängen. Er mußte an jenen Tag denken, wo seine Mutter in ihrem unbegrenzten Hochmuthe sich vermessen hatte, ihre Fürstin mit einer größeren Pracht zu empfangen als selbst diese aufbieten konnte. Wie hatte sich dieser Hochmuth bitter gerächt – jetzt wurde sie, fast eine Bettlerin, hinausgetragen in die Familiengruft, und das einfache, weiße leinene Tuch, welches den Sarg bedeckte, hatte der Pachter des Gutes aus Barmherzigkeit geliehen, um die noch größere Einfachheit des Sarges, in dem die stolze Frau lag, zu verdecken.

Dieser Contrast mit dem früheren Leben, welches auf dem Schlosse geherrscht hatte, trat so schroff und gewaltig hervor, daß er selbst die Neugierde der Dorfbewohner zurückschreckte; denn als der Sarg durch das Dorf hingetragen wurde, blickte nur hier und dort ein Auge halb verstohlen durch das Fenster. Ein beschämendes Gefühl hielt Jeden zurück.

Auf den Ackermann war dies Alles nicht ohne einen ergreifenden Eindruck geblieben. Er war am tiefsten gekränkt gewesen, aber es freute ihn, daß er sowohl gegen die Geschiedene wie gegen ihren Mann nicht härter und schonungsloser aufgetreten war, denn das Geschick selbst hatte ihn gerächt.

Er würde jetzt dem Junker, der so sehr zu bemitleiden war, verziehen haben, wäre er, nur er allein, durch ihn gekränkt und unglücklich gemacht, aber der Schatten seines Kindes drängte sich vor sein Auge, er sah sie entstellt und zum Erbarmen elend auf dem Sterbebette liegen und dieser Anblick scheuchte jede mildere Regung seines Herzens. Ja, auch Hugo mußte noch büßen, auch an ihm mußte die Schuld, durch welche er das unschuldige Mädchen hingeopfert hatte, gesühnt werden, oder sich selbst sühnen.

Hugo war jetzt von jedem Hülfsmittel entblößt. Hätten bei den Lebzeiten seiner Mutter deren frühere Freunde ihn gewiß unterstützt, wenn er den ernsten Willen gezeigt hätte, sich aus der drückenden Lage emporzuringen, so konnte er jetzt nicht mehr auf sie rechnen. Sie hatten ja dadurch, daß sie die Geschiedene nicht einmal zur Ruhe geleitet hatten, deutlich genug bewiesen, daß sie mit einer Verbindung und Freundschaft die ihnen ohnehin schon lästig und, unangenehm geworden war, jetzt völlig brechen und sie vergessen wollten.

Wieder traten jetzt die Gläubiger zusammen und waren entschlossen, das Gut zu verkaufen, und wieder brachte sie der Ackermann von diesem Entschlusse zurück. Das Gut wurde wie bisher verpachtet und die in dem mehr und mehr zerfallenden Schlosse noch vorhandenen Möbeln und Geräthschaften, welche nur irgend einen Werth hatten, wurden verkauft und öffentlich versteigert.

Hugo wurden aus Mitleid in den unteren Räumen des Schlosses zwei kleine Zimmer eingeräumt und zur zinsfreien Wohnung überlassen, die früher von den Bedienten bewohnt waren.

Ohne jede Unterstützung, ohne jedes Hülfsmittel war Hugo der bittersten Noth preisgegeben. Er hätte in der Verzweiflung seiner Lage sich vielleicht entschlossen, sich als gewöhnlicher Tagelöhner, der es weit besser hatte als er, durch Arbeit seiner Hände Brot zu verdienen, wäre seine Vergangenheit nicht stets wie ein Gespenst hinter ihm gestanden, hätte er einen einfachen bürgerlichen Namen gehabt. Das eine Wort »Junker,« womit er noch stets benannt wurde, und das Wappen an dem hohen mittleren Steinpfeiler des Hofthors hielten ihn zurück. Worauf sein Vater und seine Mutter einst so stolz gewesen waren, auf den Adel, den Namen, das Wappen, das ruhte jetzt wie ein Fluch auf ihm.

Was die alte Dienerin, die unzertrennlich an das Schloß und ihn gefesselt war, durch Spinnen erwarb, was sie im ungeheizten Zimmer und selbst Abends in dem Halblichte des Mondscheins, der durch die zum Theil zerbrochenen Fensterscheiben strahlte und mit dem sie sich begnügte, weil sie kein anderes Licht hatten, durch den Rocken mühsam verdiente, war das Einzige, wodurch er sein Leben fristete.

Niemand im Dorfe fühlte mit ihm Mitleid, gerade weil er sich nicht zur Arbeit entschließen konnte, und arbeiten mußten auch die, welche hundertmal reicher waren als er und ihn hätten unterstützen können. Was ihn jetzt zurückhielt und zurückschreckte, das wußten sie nicht und vermochten es auch nicht zu begreifen. Wäre er aber zu dem Ackermann gegangen, hätte er ihn um Unterstützung gebeten, dieser würde sie ihm gegeben haben, willig, denn er war es, den einst sein unglückliches Kind so innig geliebt hatte.

Aber sollte er ihm seine Hülfe aufdrängen, um sie vielleicht zurückgewiesen zu sehen? Sollte er ihn zuerst aufsuchen? War der Junker auch jetzt noch zu stolz, zu ihm zu kommen und ihn zu bitten – ha, in seiner Brust lebte noch ein größerer Stolz!

Und doch sollte er es sein, der seinen Stolz zuerst überwand. Und er konnte es auch, war doch derselbe nicht ein eitler, thörichter Dünkel, sondern ein gerechtes Bewußtsein, durch eigene Kraft und Mühe das geworden zu sein, was er war.

 

Es war ein kalter, stürmischer Winterabend. Auf Fluren und Felder lag eine gleichförmig weiße Schneedecke, die bei jedem Schritte knisterte. Ungehindert fuhr der Wind darüber hin und war scharf und schneidend.

Der Ackermann war auf einem benachbarten Dorfe gewesen und der Abend hatte ihn überrascht, ehe er heimgekehrt war. Er war der ganzen Heftigkeit und schneidenden Kälte des Windes ausgesetzt und seit langer Zeit hatte er sich nicht so sehr nach dem warmen, bequemen Zimmer daheim gesehnt als in dieser Stunde.

Unwillkürlich dachte er an das Elend so mancher Armen, die bei dieser Kälte nicht die Mittel besaßen, sich ein warmes Zimmer zu verschaffen, die bei der stockenden Arbeit sich kaum das nöthige Brot zu verdienen im Stande waren. Auch auf Hugo richteten sich seine Gedanken und er bemitleidete ihn doppelt. Trug er auch einen großen Theil der Schuld, daß er jetzt darben mußte und mit Noth und Elend rang – er hatte doch bessere Tage gekannt und an seiner Wiege war es ihm nimmer gesungen, daß es ihm einst so ergehen sollte. Aber weshalb war er zu stolz, zu ihm zu kommen – jetzt da er elend und unglücklich war, würde er ihm nicht wie einst die Thür gewiesen haben.

Mit diesem Gedanken näherte er sich dem Dorfe. Der Weg führte an dem Kirchhofe vorüber und er konnte nicht vorüberschreiten, ohne einen Blick nach jener Stelle zu werfen, wo sein Weib und Kind in die Erde gebettet waren, wo ihre Grabhügel sich unter der weißen Hülle bemerkbar erhoben. Er war überrascht, als er einen Mann neben den Grabhügeln stehen sah. Das Halbdunkel des Abends hinderte ihn, denselben zu erkennen. Er blieb stehen und eine Ahnung, ein Gedanke tauchte in ihm auf, doch ungläubig verwarf er ihn sogleich wieder und sprach zu sich selbst: »Was sollte der Junker dort an den Gräbern zu schaffen haben? Der Abend ist kalt und er ist nicht gewöhnt, einem solchen Wetter Trotz zu bieten.«

Die Neugierde trieb ihn näher und durch eine Mauer gedeckt schritt er geräuschlos heran. Nur wenige Schritte war er noch von ihm entfernt. Jetzt erkannte er ihn und seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, es war der Junker, der an dem Grabhügel der Geliebten, seines unglücklichen Kindes, stand.

Ein schmerzlich wehmüthiges Gefühl durchzuckte das Herz des Ackermanns. Dieser einzige Augenblick rückte den Unglücklichen seinem Herzen um ein Bedeutendes näher. Er sah ihn regungslos dastehen, das Haupt auf die Brust herabgesenkt, die Augen starr auf den Grabhügel gerichtet, er hörte ihn laut weinen und schluchzen und dies Weinen erklang ihm so verzweiflungsvoll, wie ein unausgesprochenes Sehnen, neben der längst Geschiedenen tief in der Erde zu ruhen, um von aller Noth und allem Elende mit einem Male befreit zu sein.

Er fühlte Mitleid mit ihm, denn jetzt sah er, was er nie geglaubt, daß der Unglückliche seine Tochter wirklich geliebt hatte, daß er auch jetzt noch an sie dachte und ihr Andenken in seinem Herzen trug, obgleich sie schon so lange Jahre todt war.

Ein Seufzer rang sich aus seiner Brust. Er wollte zu ihm treten, ihm die Hand zur Versöhnung reichen und seinen Beistand versprechen, aber er mochte ihn nicht stören, er weinte an dem Grabe seines Kindes und dieser Augenblick hatte etwas Heiliges für ihn. Wie anders hätte Alles werden können, hätte sich einst der Stolz und Hochmuth des Gutsherrn nicht zwischen sie gedrängt – doch der war todt, den hatte das Verhängniß mit schwerer, strafender Hand erfaßt.

Sollte er des Vaters Schuld noch jetzt an dem Sohne rächen, dessen Herz nicht schlecht sein konnte, da er hörte, wie er jetzt an dem Grabe weinte! Wohl war er nicht frei von Schuld, aber er hatte sie bereits zum Theil gesühnt.

Leise, wie er herangetreten war, ging er wieder fort. Für sein eigenes Herz, das so unruhig schlug, hatte er Ruhe nöthig. Er trat ein in sein Haus und in die warme Stube. Er setzte sich nieder und hing seinen Gedanken nach, aber das Bild Hugo's, der draußen in der Kälte und dem Sturme des Winterabends neben dem Grabhügel Gretens stand, wich nicht von ihm. All' das Glück und all' die Freuden und dann die Schmerzen und Leiden der Vergangenheit wurden in seiner Erinnerung mit aller Lebhaftigkeit wachgerufen und kämpften in ihm mit den milderen und versöhnenden Regungen seines Herzens.

»Nein, nein! ich kann ihm nicht vergeben,« rief er aufspringend. »Durch ihn ist mein größter Stolz und meine Freude in die Erde gesenkt und hat mein ganzes Lebensglück vernichtet, aber um meines Kindes willen, das auch er geliebt hat und noch liebt, soll er nicht elend zu Grunde gehen. Ich will ihm beistehen und für ihn sorgen – nur versöhnen kann ich mich nie mit ihm.«

Ohne Zögern eilte er, diesen Entschluß auszuführen. Er verließ sein Haus und schritt durch das Dorf dem Schlosse zu. Der kalte rauhe Abend hielt alle Menschen in den Stuben gefesselt – Niemand begegnete ihm. Und es war ihm lieb, denn es hätte seinen Entschluß vielleicht zum Wanken gebracht, hätte Jemand gesehen, daß er zum Sohne seines ärgsten Feindes ging, zum Junker, der sein Kind verführt.

Still und todt war es auch auf dem Gutshofe. Als er an dem Schlosse hinging, durch dessen zerbrochene Fenster der Wind pfeifend und heulend fuhr, als er seinen Blick zu dem finstern Gebäude, das durch keinen einzigen Lichtstrahl erhellt war, das so unheimlich dastand, aufschlug, ergriff ihn ein eigenthümliches, unheimliches Gefühl. Er dachte an jene Stunde, in der er hier von dem Gutsherrn so hochmüthig, schnöde behandelt war, wo er ihn durch seine Diener hatte hinauswerfen lassen wollen, und jetzt hatte vielleicht der Wind den Schnee durch die zerbrochenen Fenster auf das kostbare Getäfel des Saales getrieben, jetzt weilte schon seit Jahren kein Diener mehr in dem Hause, jetzt stand es da verlassen und verödet.

Rasch eilte er an dem Schlosse vorüber und trat in eine kleine Thür, welche in den Giebel desselben führte, wo das kleine Zimmer lag, das Hugo bewohnte.

Er fand die Thür unverschlossen und leise trat er ein. Ein schwacher Lichtschimmer, der durch die Thürspalte drang, zeigte ihm den Weg. Er pochte an, öffnete die Thür und blieb auf der Schwelle stehen. Nur durch eine kleine Oellampe war das Zimmer spärlich erhellt, wohl brannte ein Feuer in dem alten Ofen, aber es reichte kaum aus, diesen selbst zu erwärmen. Dicht an ihn geschmiegt saß die alte Dienerin hinter dem Rocken, an der anderen Seite der Junker. Er sprang erschrocken auf, als er die große Gestalt des Ackermanns in der Thür erkannte, seine Wangen erbleichten und seine Augen waren starr auf ihn gerichtet.

Auch er hatte so eben an Grete gedacht und in ihm hatte es gerufen: »Du hast sie unglücklich gemacht und ihr den Tod gegeben. Du hast ein unschuldiges Leben frevelhaft vernichtet und Alles, was du jetzt erdulden mußt, ist eine Strafe deines Vergehens, eine Sühne deiner Schuld!« Da trat ihr Vater mit seinem ernsten, strengen Gesicht mitten in diese Gedanken hinein. Ha, war er gekommen, das Leben seines Kindes von ihm zurückzufordern, wollte er jetzt Abrechnung mit ihm halten und ihn forttreiben von dieser Stätte, dem letzten Orte, der dem Verlassenen und Unglücklichen eine Zuflucht bot.

»Junker,« unterbrach der Ackermann diese wilden Gedanken mit einer Stimme, die, wenn auch ernst, doch zugleich bewegt klang. »Junker, ich komme, um Ihnen meine Unterstützung anzubieten.«

Hugo schwieg. Er konnte keine Worte finden, denn nach einer anderen Richtung hin rissen ihn jetzt seine Gedanken mit sich fort.

»Sie haben ein schweres Leid über mich gebracht,« fuhr Martin fort. »Sie haben mein einziges Kind unter die Erde gebracht – das möge Ihnen einst Gott verzeihen – ich kann es nicht. Aber ich habe Sie heute Abend an Gretens Grabhügel stehen sehen, habe Ihr Weinen und Schluchzen gehört, und um meines Kindes willen sollen Sie nicht zu Grunde gehen, deshalb Junker – deshalb will ich Sie unterstützen!«

Er trat auf ihn zu und reichte ihm eine Rolle Geld dar. Mit abgewandtem Gesicht wehrte Hugo es ab. Die Gestalten seiner Mutter und seines Vaters traten vor seinen Geist und schienen finster und drohend auf ihn zu blicken.

»Ich kann es nicht annehmen!« rief er, »ich darf es nicht, und wenn ich auch verhungern muß – Eure Eure Hand darf mir keine Gabe reichen!«

Der Ackermann schien zu ahnen, was in ihm vorging und über seine Stirn legte sich ein düsterer Schatten.

»Junker,« sprach er ernst, »rufen Sie den unheilvollen Schatten, welchen der Stolz und Hochmuth Ihres Vaters und Ihrer Mutter zwischen uns geworfen haben, nicht wieder hervor. Lassen Sie das einzige Erbtheil, das jene Ihnen hinterlassen, den Hochmuth und Dünkel fahren, denn er paßt nicht zu einem Bettler. Auch ich bin stolz, ich bin in diesem Hause gekränkt wie selten ein Mensch, ich bin unglücklich und elend gemacht durch Sie – durch Sie, und doch habe ich mich überwunden und bin hierher gekommen, um Sie nicht untergehen zu lassen, weil auch zwischen uns eine versöhnende Gestalt steht – die meines Kindes.

Ich biete es Ihnen nicht an, denn wir Beiden können nie, nie etwas miteinander gemein haben – ich gebe es Ihnen im Namen und Andenken meines Kindes!«

Hugo kämpfte mit sich. Dann nahm er schweigend und fast hastig das Geld aus der Hand des Ackermanns an und wandte sich ab. Er mochte nicht zeigen, was in ihm vorging, Niemand sollte die Röthe der Scham sehen, welche sich über seine Wangen ergoß, und die Thränen, die sich unwillkürlich in seine Augen drängten.

»Noch Eins, Junker,« fuhr der Bauer fort, »sind Sie wieder in Noth, so kommen Sie zu mir – meine Tochter hat Sie einst geliebt – Sie sollen nicht hungern und zu Grunde gehen!«

Er wandte sich der Thür zu, um das Zimmer zu verlassen, aber Hugo trat rasch auf ihn zu, erfaßte seine Hand und hielt ihn zurück. »Bleibt, bleibt!« sprach er ergriffen und aufgeregt. »Ich habe das Geld angenommen von Euch, ich werde Eure Hülfe in Anspruch nehmen, wenn die Noth mich dazu treibt, versprecht mir aber, daß Ihr es einst zurücknehmen wollt, wenn ich es zurückerstatten kann. Versprecht es mir.«

Der Bauer schwieg einen Augenblick, dann richtete er sich zu seiner ganzen Größe empor und blickte stolz auf den jungen Mann vor ihm. »Ich soll zurücknehmen, was ich Ihnen als eine Gabe gebe?« sprach er. »Ich leihe kein Geld aus, Junker von Schwarz; was ich einmal gegeben habe, kann Jeder behalten. Sehen Sie, als Sie mein Kind verführt und ihm versprochen hatten, es zu Ihrer Frau zu machen, kam ich hierher ins Schloß zu Ihrem Vater, um von ihm zu fordern, daß Sie Ihr Versprechen erfüllen sollten, noch ehe die öffentliche Schande über das unglückliche Mädchen hereingebrochen sei – sehen Sie, Junker von Schwarz, da hat mir Ihr Vater mit frevelhaftem Hohne erwidert, daß er die Schmach, die Sie über mein Kind gebracht hatten, mit Geld auslöschen wolle und ich war damals schon reicher als er. Das hat mich gekränkt, ich habe geschworen, Genugthuung dafür von ihm zu fordern, und er hätte sie mir geben müssen, wäre nicht der Tod mir zuvorgekommen. Aber ich habe es nicht vergessen. – Jetzt können Sie sühnen, was Ihr Vater verschuldet hat, behalten Sie das Geld, ich brauch's nicht, und wäre es hundertmal so viel, ich würde den Verlust nicht empfinden – aber – aber – der Junker von Schwarz würde ohne dasselbe vielleicht verhungern!«

Er hatte diese Worte mit leidenschaftlicher Aufregung gesprochen und verließ rasch das Zimmer, noch ehe der Junker ein Wort erwidern konnte. Sein Herz schlug noch aufgeregt, als er über den Gutshof dahinschritt. Mit versöhnenden Gedanken war er hierhergekommen, er hatte seinen eigenen Stolz verleugnet und den ersten Schritt zur Annäherung gethan, und er, der Junker, der Bettler, war zu stolz, um von ihm eine Unterstützung als Geschenk anzunehmen. Auch in ihm lebte noch ein Rest von dem alten Hochmuthe – freilich floß in seinen Adern noch dasselbe Blut – das Blut der Herren von Schwarz, das Martin so sehr haßte.

Es gereute ihn nicht, daß er, wenn er auch mit ganz anderen Absichten gekommen war, der seit Jahren zurückgehaltenen Stimmung dem Junker gegenüber freien Lauf gelassen hatte, denn auch in ihm lebte der Dämon des Stolzes, wenn er auch gerechtfertigter erschien und weniger schroff hervortrat.

Er hatte befürchtet, daß der Junker ihm das Geld zurückbringen werde – er that es nicht. Die Noth mochte den Stolz überwunden haben. Zwar kam er auch nicht, um seine Unterstützung auf's Neue in Anspruch zu nehmen, aber der Ackermann gab der alten Dienerin von Zeit zu Zeit nicht unbedeutende Gaben, welche zum wenigsten zur Bestreitung der nothwendigsten Lebensbedürfnisse genügten. Daß der Junker dies erfuhr und erfahren mußte, wußte er, und er erreichte seine Absicht auf diese Weise vollkommen.

Mehr noch als früher wichen diese beiden Männer sich jetzt aus. Der Junker empfand die Beschämung, welche für ihn darin lag, daß er durch den Bauer unterstützt und unterhalten wurde, tief und mochte sie ihm am wenigsten zeigen, und Martin wurde durch ein edles Gefühl zurückgehalten. Er fühlte, daß er persönlich dem Junker, dem Blute des Herrn von Schwarz, nicht freundlich entgegentreten könne, daß er außer Stande sei, sich so sehr zu beherrschen, und er wollte den so tief Gedemüthigten nicht noch tiefer beugen.

 

So schwanden wieder zwei Jahre dahin und in der Stellung der beiden Männer trat keine Veränderung ein. Der Junker lebte einfach und abgeschlossen, wie es seine Verhältnisse bedingten, den Menschen entzog er sich mehr und mehr. Doch das Asyl, welches er aus Mitleid in dem Schlosse seiner Väter fand, sollte ihm nicht länger gestattet bleiben.

Die Pachtzeit des Gutspächters war abgelaufen. Ein neuer Pächter fand sich zu den bisherigen und von den Gläubigern festgesetzten Bedingungen nicht, weil die Wirthschaftsgebäude, auf deren Instandhaltung schon seit Jahren kein Pfennig verwandt war, in einen so sehr zerfallenen Zustand gerathen waren, daß sie ohne einen gründlichen Ausbau kaum noch zu benutzen waren.

Die Gläubiger mochten sich aber zu einer Reparatur, deren Anschlag eine nicht unbedeutende Summe erforderte, nicht verstehen, denn hierdurch wurde die Schuldenlast nur noch erhöht. Außerdem lag Mehren derselben daran, ihr Capital selbst mit einigem Verluste zurückzuerhalten, weil sie es auf andere Weise besser verwerthen konnten.

Ernstlicher als je wurde deshalb der Verkauf des Gutes in Berathung gezogen. So sehr Martin auch dagegen war, hatte er doch den gewichtigen vorliegenden und drängenden Gründen nicht gleich triftige entgegenzusetzen; er mußte sich der Mehrheit der Gläubiger, die entschieden für den Verkauf des ganzen Gutes sammt Schloß stimmten, fügen.

So schnell als die Gläubiger indeß gehofft hatten, wurde diese Sache nicht erledigt. Derselbe Umstand, der sie bewog, das Gut zu verkaufen, schreckte auch einen Käufer zurück, denn auch er mußte sofort bedeutende Summen auf die äußerst baufälligen Gebäude verwenden. Es meldeten sich wohl mehre Käufer, aber deren Gebote waren so gering, daß sie den Betrag der Schulden bei Weitem nicht erreichten und deshalb auch nicht angenommen werden konnten. Der Verkauf blieb nichtsdestoweniger fest beschlossen.

Da tauchte in dem Kopfe des Ackermanns fast zufällig ein Gedanke auf, und kaum hatte er ihn in nähere Erwägung gezogen, als er ihn hartnäckig festhielt und ihn zu verwirklichen suchte. Dieser Gedanke ging darauf hinaus, daß die Grundbesitzer des Dorfes selbst das Gut kaufen und dessen Felder und Aecker unter sich vertheilen sollten. Die Gebäude konnten dabei nicht in Betracht kommen, da sie dann unnütz wurden.

Es lag auf der Hand, daß die einzelnen Grundbesitzer aus dem Lande, das unter sie vertheilt wurde und das sie vielleicht mit denselben Arbeitskräften, die sie bereits besaßen, bewirthschaften konnten, einen viel größeren Nutzen zu ziehen im Stande waren, als Jemand, der das ganze Gut kaufte. Sie konnten deshalb auch einen höheren Preis für dasselbe bezahlen und die Gebäude gleichsam nur als eine Zugabe betrachten, die freilich immerhin noch den Werth des in ihnen enthaltenen Materials besaßen.

Martin hatte diesen Gedanken nach allen Seiten hin so reiflich erwogen, und es waren die Vortheile, die für die Grundbesitzer des Dorfes daraus erwachsen mußten, ihm so sehr zur festen Ueberzeugung geworden, daß es ihm nicht schwer wurde, mehr und mehr die Bauern für seinen Plan zu gewinnen.

Er selbst hatte freilich noch einen besondern und ihn allein angehenden Gedanken dabei im Sinne. Er konnte all' das ihm zugefügte Leid nicht besser sühnen, als wenn er diese einstige Besitzung seines Feindes, auf welche jener so stolz gewesen war, die all' seinen Stolz und Hochmuth gesehen hatte, der Zersplitterung und Vernichtung anheimgab. Ging sie unzertheilt in die Hände eines Besitzers über, so würde sie vielleicht noch lange den Namen behalten haben, den er haßte, dessen Andenken selbst er vernichten wollte.

Die Gläubiger waren sämmtlich mit seinem Plane einverstanden, denn ihnen konnte nur daran gelegen sein, das Gut zu einem solchen Preise zu verkaufen, der die Schulden, wenn auch nicht ganz, doch so viel als möglich deckte. Was kümmerte es sie, ob die Ländereien auseinandergerissen und vertheilt wurden, ob der Name von Schwarz, der so lange Jahre an sie geknüpft war, von ihnen losgerissen wurde, ob er unterging.

Und der Kauf zwischen den Grundbesitzern des Dorfes und den Gläubigern wurde abgeschlossen. Um ihm durchaus keine Schwierigkeit entgegenzusetzen, hatte der Ackermann, der ohnehin mit einer bedeutenden Summe dabei betheiligt war, fast das ganze übrige Kaufgeld als ein verzinsbares und in gewissen Terminen abzuzahlendes Darlehn hergegeben. Er konnte es, denn er war reich genug dazu.

Manche hatten es ihm verdacht, daß er das ganze Gut nicht selbst gekauft hatte. Als ihn ein Freund darum befragte, weshalb er es nicht gethan habe, glitt ein stolzes, verächtliches Lächeln über sein Gesicht.

»Glaubst Du, daß ich Lust habe, Gutsbesitzer zu spielen?« erwiderte er. »Ja, ich hätte es wohl kaufen können, ohne deshalb den letzten Thaler aus der Tasche zu geben, ich will indeß ein Bauer bleiben und ich bin stolz darauf, daß ich es bin. Sieh, als Bauer habe ich es so weit gebracht, daß ich mehr habe, als ich gebrauche, daß ich ein adliges Gut kaufen könnte, aber der Gutsherr ist auf jenem Gute zu Grunde gegangen, und wenn er auch lebte, würde es ihm wie seinem Sohne, dem Junker gehen, er hätte nicht so viel, sich den ärmsten und kleinsten Bauerhof dafür zu kaufen, ja er könnte hungern und müßte von Almosen leben, wie dieser. Ha, er hat mich verachtet, weil ich ein Bauer war, und ich bin zu stolz, um Gutsherr zu spielen. Ich möchte es nicht, und wenn mir das Gut geschenkt würde.«

»Du könntest die Felder des Gutes mit Deinem Hofe vereinen,« warf der Andere ein.

Der Bauer schüttelte verneinend mit dem Kopfe.

»Ich bekomme meinen Antheil davon bei der Theilung,« erwiderte er, »mehr mag ich nicht. Ich hätte auch an dem meinigen genug gehabt. Sieh, ich habe bei Weitem nicht so viel Land, als zu dem Gute gehört – schüttet man zu einer Kanne Wasser einige Tropfen Wein, so bleibt das Ganze doch Wasser und heißt auch Wasser, ich mag aber nicht, daß einst von meinem Besitzthum gesagt wird: ›Das ist das frühere Gut des Herrn von Schwarz‹ – mein Hof soll Bauerhof bleiben, er hat mich genährt und wird Jeden nach mir nähren, der ihn behandelt wie ich es gethan habe.«

Und dabei blieb es.

Die Ländereien wurden vertheilt und bald darauf zogen der Bauern Pflüge über die Felder hin, die seit Jahrhunderten den Herren von Schwarz gehört hatten.

Des Ackermanns Herz war vor freudiger Genugthuung aufgeregt, als er dies sah, als die Marken und Grenzsteine des Gutes, auf denen die beiden Buchstaben v. S. eingehauen waren, einer nach dem andern niedergerissen wurden, als Pflug und Spaten für immer jene Grenzen, welche die Länder geschieden, vernichteten.

Noch standen aber die Wirthschaftsgebäude des Gutes, noch das Schloß, das, mochte es auch halb zerfallen sein, mochte der Wind durch die zerbrochenen und eingefallenen Fenster heulend fahren, mochten die Thüren, die sich einst den reichen und vornehmen Gästen geöffnet hatten, kaum noch in den Angeln hängen, immer noch ein stolzes, düsteres Ansehen sich bewahrt hatte.

Sie standen leer und unbenutzt da, nur der Junker wohnte noch in dem kleinen Zimmer des Schloßgiebels, still und abgeschlossen. Der Verkauf und die Vernichtung seiner väterlichen Besitzung hatten ihn tief ergriffen und noch nie war seine traurige Lage so drückend für ihn geworden; er unterlag ihr fast.

Mußte er nicht jeden Tag erwarten, daß er auch aus dem Schlosse, seiner letzten Zufluchtsstätte, vertrieben wurde, denn schon mehre Male war die Rede davon gewesen, daß die sämmtlichen Gebäude niedergerissen werden sollten, um zum wenigsten aus dem Baumateriale noch einigen Nutzen zu ziehen. Er wußte nicht, wohin er sich dann wenden sollte, denn in dem Dorfe konnte er nicht bleiben. Keiner der Bauern würde ihm sein Haus geöffnet und eine Zufluchtsstätte in demselben eingeräumt haben und an den Einzigen, der es gethan hätte von ihnen, mochte er nimmer eine solche Zumuthung stellen.

Martin war es, der den Plan, die Wirthschaftsgebäude und das Schloß niederzureißen und das Material öffentlich zu versteigern, zum festen Entschlusse brachte. Er sehnte sich nach dem Augenblicke, wo die Hand an das stolze Gebäude gelegt wurde, wo es niedergerissen war und auch über die Stätte, wo es gestanden, der Pflug seine Furchen zog und neue Saaten keimten.

Die Zeit, wo mit dem Niederreißen der Gebäude begonnen werden sollte, wurde bestimmt, zuvor aber noch ein Termin festgesetzt, an dem manche Gegenstände in dem Schlosse, die noch immer werthvoll waren, versteigert werden sollten.

Der Ackermann war zum Vorsteher des Dorfes ernannt und mußte deshalb dem Junker mittheilen, daß er das Schloß bis zu einem festgesetzten Tage verlassen möge, wenn er nicht sehen wolle, daß dasselbe über seinem Kopfe niedergerissen werde. Er that es ungern, denn das Geschick hatte den unglücklichen Menschen bereits tief genug gedemüthigt und er hatte mit ihm abgerechnet. Was er noch an ihm haßte, war sein Name und das Blut seines Vaters, das in seinen Adern rann. Von der alten Dienerin hatte er erfahren, daß Hugo das Dorf verlassen wolle, obgleich er noch nicht wisse, wohin er sich wenden, wovon er leben solle. Er fügte deshalb der Aufforderung, das Schloß zu verlassen, eine Summe Geld als Geschenk bei, die zum wenigsten für einige Zeit hinreichte, ihn zu ernähren, die es ihm möglich machte, ein anderes Leben zu beginnen, wenn er überhaupt Lust dazu hatte.

Der Termin der öffentlichen Versteigerung kam. Es hatten sich mehre Herren aus der Stadt und mehre der benachbarten Gutsbesitzer eingestellt, welche sich noch aus früheren Jahren an die kostbaren Parquet-Fußböden und die alterthümlichen werthvollen Kamine erinnerten und große Lust hatten, dieselben zu erstehen, zumal da sie hoffen durften, dieselben zu einem verhältnißmäßig geringen Preise zu erhalten.

Auch die Bauern waren in großer Anzahl erschienen. Sie hatte theils die Neugierde herbeigetrieben, theils waren unter den zu versteigernden Gegenständen manche Sachen, die auch sie gebrauchen konnten, zumal wenn sie wenig kosteten.

Unter ihnen befanden sich auch der Ackermann und Hugo. Dieser hatte seine Wünsche auf einige Gegenstände gerichtet, die zwar an sich wenig Werth, für ihn aber als Andenken an seine Eltern und an seinen Namen eine besondere Bedeutung hatten. Er hoffte sie deshalb für ein Geringes zu erhalten.

Was der Ackermann im Sinn hatte, wußte Niemand und die meisten glaubten, daß er, wie so viele Andere, nur aus Neugierde hierher gekommen war. Diese Vermuthung bestätigte sich indeß nicht, denn fast theilnahmlos schaute er dem ganzen Treiben zu und bot auf keinen Gegenstand.

Die größte Aufmerksamkeit hatten die Meisten und namentlich die Herren aus der Stadt und die Gutsbesitzer auf den Parquetboden des Saales gerichtet. Es war der werthvollste von allen und noch sehr gut erhalten, er konnte noch immer als eine Zierde in dem größten Hause dienen. Als an ihm die Reihe der Versteigerung kam, eilten Alle, welche nach ihm trachteten, in den Saal. Auch Martin drängte sich zwischen den Bauern hindurch, um den Saal zu erreichen.

»Ha, ha, Martin!« rief ihm ein Bekannter zu. »Du hast es ja so eilig, als ob Du im Sinn hättest, auf den Fußboden zu bieten.«

»Vielleicht!« erwiderte er kurz, indem er weiter vordrang. »Ich denke, er wird das theuerste Stück werden,« bemerkte der Andere. »All' die Herren haben ein Auge auf ihn geworfen, der wird einen Thaler Geld kosten.«

Martin entgegnete nichts, denn er betrat gerade den Saal, als das erste Angebot auf den Fußboden geschah.

Rasch wurden die Gebote erhöht, er stand ruhig und schweigend daneben. Als aber der Parquetboden schon ziemlich hoch in die Höhe getrieben war, als die Gebote langsamer erfolgten und wenige Minuten ganz stockten, da trat auch er vor und steigerte das Gebot sofort um fünf Thaler. Auch er wurde wieder überboten, als er aber mit derselben Ruhe noch fünf Thaler zulegte, wandte sich einer der Gutsbesitzer ärgerlich und verächtlich an ihn. »Weshalb bietet Ihr? Ihr könnt das Getäfel nicht gebrauchen und werdet es auch nicht bekommen.«

»Es steht hier einem Jedem das Recht zu, zu bieten und zu kaufen, wenn er es bezahlen kann!« erwiderte der Ackermann ruhig und fest. »Wer am meisten bietet, der bekommt's, so ist's Sitte bei der öffentlichen Versteigerung!«

Die Gutsbesitzer und Herren aus der Stadt konnten nichts dagegen einwenden, obschon die zurechtweisenden Worte des hochmüthigen Bauers sie erbitterten. Sie sahen es als eine Ehrensache an, dem Ackermann nicht das letzte Gebot zu lassen und überboten ihn fortwährend. Dieser blieb völlig ruhig dabei, und während jene stets nur einen Thaler zulegten, überbot er sie jedes Mal mit fünf Thaler.

Endlich verloren sie die Geduld. Das Getäfel war bereits höher gesteigert als es werth war, ja als es vielleicht neu gekostet hatte.

»Hört jetzt auf, unsere Gebote zu steigern!« rief einer der Herren im heftigsten Unwillen dem Ackermann zu. »Wenn Ihr vielleicht zu den Gläubigern gehört oder von ihnen bestochen seid, das Gebot so hoch als möglich hinaufzutreiben, so habt Ihr Eure Absicht erreicht, denn so viel ist das ganze Getäfel nicht werth. Jetzt belästigt uns nicht weiter.«

Ueber das Gesicht des Bauern ergoß sich eine dunkle Röthe. »Schweigen Sie, Herr, und hüten Sie sich vor einer Beleidigung,« rief er mit fester und lauter Stimme. »Ich könnte Ihnen mit demselben Rechte vorwerfen, daß Sie bezahlt seien, mich zu überbieten. Wer zwingt Sie, auf das Getäfel zu bieten, wenn Ihnen der Preis zu theuer ist, wenn Sie ihn nicht bezahlen mögen oder können? Ich habe schon einmal gesagt, hier hat ein Jeder, der zahlen kann, ein Recht zu bieten und zu kaufen, und wer am meisten bietet, der bekommt es. Das warten Sie ab und schweigen Sie.«

Er hatte diese Worte so bestimmt und seines Rechtes bewußt gesprochen, daß Niemand etwas darauf zu erwidern wagte. Die Herren warfen einen erzürnten und verächtlichen Blick auf den »frechen Bauer,« wie sie ihn murmelnd nannten und suchten ihn durch einige starke Gebote abzuschrecken. Als Martin aber sie wieder und mit derselben Ruhe überbot, entfernten sie sich schweigend Einer nach dem Andern und er erstand das Getäfel.

Dieser Vorfall hatte unter allen Anwesenden das größte Aufsehen erregt. Die Bauern umringten den Ackermann und bestürmten ihn mit Fragen, was er mit dem Getäfel beginnen wolle.

»Nun, ganz dasselbe, was jene Herren damit beginnen wollten,« sprach er ruhig lächelnd. »Sie würden es in ihre Zimmer gelegt haben und ich bin auch nicht Willens, meine Stühle damit polstern oder es hinter Glas und Rahmen machen zu lassen.«

»Du hast es aber viel zu theuer bezahlt,« warf Jemand ein.

»Das weiß ich wohl,« entgegnete Martin. »Ich hoffe indeß, die paar hundert Thaler bezahlen zu können, ohne dadurch arm zu werden. Ich habe auch nicht darauf gerechnet, es wohlfeiler zu erhalten.«

Die Versteigerung nahm ihren Fortgang und er kümmerte sich nicht weiter darum. Nur als das große eiserne Gitterthor, sammt den hohen steinernen Pfeilern mit den in Stein gehauenen Löwen darauf, als der letzte Gegenstand zur Versteigerung kam, trat er wieder heran und man sah es ihm an, daß er sein Auge darauf gerichtet hatte.

Die Herren aus der Stadt und die Gutsbesitzer hatten aus Aerger über den früheren Vorfall sämmtlich das Gut verlassen und Martin erstand das ganze Thor deshalb zu einem äußerst geringen Preise, da von den Bauern Niemand hoch bieten mochte.

Nur ein Stein war auf des Junkers Wunsch und Antrag ausgenommen, der in dem Mittelpfeiler, in welchen sein väterliches Wappen eingehauen war. Er sollte besonders zur Versteigerung kommen und Hugo konnte kaum denken, daß außer ihm Jemand darnach trachten werde. Ihm lag aber viel daran, daß dieses letzte Zeichen des früheren Glanzes, dieses Andenken an frühere glückliche Tage und Jahre ihm erhalten wurde und nicht in andere Hände gerieth.

Der Zufall hatte es gefügt, daß er dicht hinter den Ackermann zu stehen kam, als das Wappen versteigert wurde. Niemand machte ein Angebot darauf, denn es war für Andere ein nutzloser Gegenstand. Schüchtern bot Hugo zwei Thaler. Martin schien ihn zuvor nicht bemerkt zu haben, als er aber seine Stimme hörte, wandte er sich um und ließ seine Augen einige Minuten lang auf ihm ruhen.

»Ich gebe zwanzig Thaler, Junker von Schwarz,« rief er dann und seine Stimme klang so herausfordernd, als hätte er hinzugefügt: Nun, wagen Sie, es mit mir aufzunehmen!

Hugo wandte sich erröthend ab. Er war nicht reich genug, um den Ackermann zu überbieten und Niemand außer ihm machte Jenem den Stein streitig.

Martin erhielt den Zuschlag und als habe er nun alle seine Pläne erreicht, verließ er den Platz und kehrte heim.

Seit Jahren hatte ihn nicht ein so zufriedenes Gefühl erfüllt. Jetzt endlich hatte er erreicht, wornach er sich so lange gesehnt. Er hatte seinem stolzen Sinn Genüge gethan und sich für all' die Leiden, die er einst geduldet, gerächt. Er, der verachtete, gering geschätzte Bauer, hatte doch endlich über den stolzen Gutsbesitzer gesiegt, selbst das Symbol seines Adels und Stolzes, sein Wappen, gehörte jetzt ihm und er konnte es vernichten, wenn er wollte, Niemand durfte dagegen einen Einspruch thun.

Es wurde über sein auffallendes Benehmen an diesem Tage viel im Dorfe gesprochen. Seine vertrautesten Freunde vermochten ihn nicht zu begreifen. Was wollte er mit dem theuren Getäfel, was mit dem eisernen Gitterthor und dem Wappen, für das er zwanzig Thaler bezahlt hatte, beginnen? Zum wenigsten über eine von diesen Fragen sollten sie nicht lange im Unklaren bleiben.

Schon in den nächsten Tagen ließ Martin das Getäfel in dem Saale des Schlosses aufnehmen, und den Fußboden seines eigenen Zimmers damit auslegen, und da dies zu klein war, auch seine Schlafkammer noch.

Er kümmerte sich nicht darum, mochten selbst seine Freunde und Nachbarn über seinen Stolz und Hochmuth heimlich spotten, sie wußten nichts davon, welche Bedeutung das Getäfel für ihn hatte, welche Genugthuung es ihm gab. Als er zum ersten Male in seinem Zimmer darüber hinschritt, hob sich seine Gestalt unwillkürlich höher und höher, und ein stolzes zufriedenes Lächeln lag auf seinem Gesichte. Er erinnerte sich jener Stunde, wo der Gutsherr ihm gesagt hatte, daß dieser Boden nicht für Bauernfüße geschaffen sei, und seiner eigenen Worte, die er ihm damals in dem Uebermaße seiner Erbitterung entgegengerufen hatte, daß das Getäfel vielleicht noch an einen Bauer verkauft werden würde. Ha! das Schicksal selbst hatte jenen Uebermuth gerächt. Bauernfüße schritten jetzt darüber hin als auf ihrem Eigenthum, und seine Worte waren in Erfüllung gegangen, was er damals kaum geglaubt hatte.

Und fest, fest trat er mit seinem schweren Fuße auf das Getäfel auf, – es war sein Eigenthum. Viel hätte er darum gegeben, wäre der Gutsbesitzer in diesem Augenblick vor ihm gestanden und hätte es gesehen. Der lag freilich unter der Kirche in der Familiengruft, vermodert und verwest, und das war gut für ihn.

Was er dagegen mit dem Thore und dem Wappen im Sinne hatte, vermochte Niemand zu errathen und er selbst sprach sich nicht darüber aus. Der Junker verließ das Schloß und das Dorf, die Gebäude sammt Schloß wurden niedergerissen, die Stätten, an denen sie gestanden, geebnet und der Pflug zog über sie hin um sie für die Saaten vorzubereiten. – der Ackermann ließ Thor und Wappen ungestört an der früheren Stelle und Niemand hatte etwas dagegen, denn die Gemeinde wäre sonst nur genöthigt gewesen, für eine andere Einfriedigung Sorge zu tragen.

Von dem Gutshofe war nichts mehr zu erkennen, in dem einst so prachtvollen Garten grünten die Saaten – Alles war verschwunden, was einst diese Räume erfüllt hatte, nur die mächtige und weithin schattende Linde, welche für das Geschick des Ackermanns so verhängnißvoll geworden war, hatte ein Zufall erhalten und sie grünte, von Getreidefeldern umgeben, noch eben so frisch wie vor Jahren, als die schönsten Blumen unter ihr dufteten und Stühle und Bänke unter ihrem Schatten zur Ruhe einluden.

Hätte der Ackermann eine Ahnung davon gehabt, daß unter diesem Baume das Geschick seines unglücklichen Kindes entschieden war, daß er mit seinem Schatten die Frevelthat, welche Grete so elend gemacht, verdeckt hatte – mit eigener Hand würde er ihn gefällt, er würde nicht eher geruht haben, als bis der letzte Zweig von ihr vernichtet gewesen wäre!

 

Des Junkers Geschick hatte bald nach seinem Fortzuge aus, dem Dorfe eine günstigere Wendung genommen. Sein älterer Bruder, der im österreichischen Militair stand und mit dem er seit Jahren, schon bei Lebzeiten seines Vaters, jede Verbindung abgebrochen hatte, war ohne Erben gestorben und ihm fiel dessen Vermögen zu, das ihm ein Leben mit bescheidenen Ansprüchen sicherte.

Er hatte sich in einer kleinen Stadt niedergelassen und jetzt, wo das Leben mit einer Ruhe und Sorglosigkeit an ihn herantrat, sehnte er sich mehr denn je nach seinem Kinde. Er wünschte, es zu sich zu nehmen, ihm seinen Namen zu geben und für es zu sorgen, und der Ackermann hatte nichts dagegen.

Der Ackermann selbst lebte jetzt noch stiller und eingezogener als früher. Er hatte nicht Lust, mit den Menschen zu verkehren. Die Erinnerung an die vergangenen Tage und Jahre gab seinem Geiste Unterhaltung genug.

An äußerem Glücke fehlte es ihm nicht. Die Menschen nannten ihn stolz und er war auch stolz, er trug selbst sein greises Haupt noch gerade auf und der Blick seiner Augen hatte etwas Gebietendes, aber er war fern von einem frevelhaften Hochmuthe. Er fühlte sich als Bauer. –

 

Ich konnte das Dorf nicht verlassen, ohne den Ackermann, den ich früher so gut gekannt hatte, gesehen zu haben. All' das Interesse, das ich einst an ihm genommen, war jetzt doppelt wachgerufen. Rasch entschlossen schritt ich seinem Hofe zu. Ich traf ihn in seinem Zimmer und als ich eintrat, mußte ich unwillkürlich den Blick zuerst auf das Getäfel richten.

Er erkannte mich sofort und bemerkte meinen Blick.

»Ah, woher kommen Sie, Herr?« rief er, indem er noch rüstig mir entgegentrat und die Hand reichte, »willkommen hier! Was schauen Sie so starr auf den Boden? Sie sind nicht im Schlosse, sondern in dem Hause eines Bauern. Treten Sie nur dreist auf – ha, ha, der Boden hier ist längst an alle Füße gewöhnt!«

Er war der Alte noch. Noch so hoch und gerade. Wohl hatten sich mehr Falten in sein Gesicht eingegraben, aber es erschien dennoch milder und freundlicher als früher, weil er selbst viel heiterer geworden war.

»Sie wollten wohl wieder auf das Schloß und unter den alten Büchern umherstöbern?« fragte er freundlich, als ich mich neben ihm niedergelassen hatte. »Ha, ha, wo mögen die Bücher geblieben sein! Sie werden das ganze Schloß vergeblich suchen – das steht nicht mehr!«

»Das weiß ich – ich habe es bereits gesehen,« erwiderte ich. »Aber sagt mir, Alter, weshalb habt Ihr das eiserne Gitterthor und das Wappen der – der – weshalb habt Ihr das Alles an dem alten Platze gelassen, da es doch Euer gehört?«

»Ha, ha,« lachte er. »Sind Sie eben so neugierig wie fast Jeder hier im Dorfe! Nun, Ihnen will ich es sagen, weil Sie doch wieder von hier scheiden. Sehen Sie – ja sehen Sie – nun ich weiß, daß Sie um mein früheres Leben, um die Grete und den Herrn von Schwarz – ich meine den Alten – wissen, mit dem habe ich noch immer nicht völlig abgerechnet. Nähme ich das Thor und das Wappen dort fort, so würde kein Fremder errathen, daß einst ein herrliches Gut und stolzes Schloß hinter jenem Thore standen, selbst das Andenken daran würde bald ausgelöscht sein. Das soll nicht sein. Das Wappen soll den Namen des Herrn von Schwarz in der Erinnerung erhalten und zugleich auch den Hochmuth, die Schande und das Elend, was zuletzt mit ihm verbunden war. Jeder, der jetzt vorübergeht und sein Auge auf das Thor und das Wappen wirft, soll daran denken, wie es einst war. Deshalb sollen sie dort bleiben, so lange als ich lebe!«

Er war aufgestanden und schritt im Zimmer auf und ab; fest und stolz setzte er seine Füße auf das Getäfel.

»Ihr steht allein, weshalb nehmt Ihr nicht das Kind Eurer Tochter zu Euch?« fragte ich weiter.

Er schüttelte langsam und abwehrend sein graues Haupt. »Ja, es ist das Kind meiner Tochter, die, Gott weiß es, mir noch immer hier im Herzen lebt,« erwiderte er, »aber in seinen Adern fließt auch das Blut derer von Schwarz.«

»Ihr wollt dem Mädchen auch einst Euren Hof nicht vermachen, es soll Euch nicht beerben und steht Euch doch am nächsten?« rief ich unwillkürlich.

»Meinen Hof!« wiederholte der Alte erstaunt »Herr, wo denken Sie hin! Sehen Sie, und wenn auch nur ein einziger kleiner Blutstropfen des Junkers in ihm steckte – auf diesen Hof, in dieses Haus würde es nimmer kommen. Er soll rein bleiben, er ist ein Bauernhof und hat nichts – nichts mit dem Adel gemein. Wenn ich einst dahinfahre, und die Zeit kann bald kommen, dann habe ich das Mädchen mit einem hübschen Theile meines Geldes bedacht, aber den Hof bekommt der älteste Sohn meiner Schwester.«

Ich wußte nichts darauf zu erwiedern. Er war etwas aufgeregt und maß das Zimmer mit hastigen Schritten, die Hände auf den Rücken gelegt, den Kopf fest, gerade, stolz in die Höhe gerichtet. Mein Auge glitt über die rüstige, hohe Gestalt des Greises hin – ja, sie war stolz. Aber das Herz, das in ihr schlug, war, trotz aller Strenge und Wildheit, edel und gut – das söhnt mit Manchem aus! –

* * *


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