Friedrich der Große
Der Antimachiavell
Friedrich der Große

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Wege zum Nachruhm

Lärm und Aufsehen in der Welt verursachen und sich Ruhm gewinnen – das ist zweierlei. Die große Masse, ein sehr unberufener Richter darüber, wem Ehre gebühre, läßt sich durch den äußeren Schein alles Großen und Wunderbaren leicht betören und verwechselt gar zu gern gute Taten und außerordentliche, Reichtum und persönliches Verdienst, blendenden Glanz und innere Gediegenheit. Ganz anders der Maßstab, den aufgeklärte und geistig bedeutende Menschen anlegen, vor denen hält es schwerer zu bestehen; sie zergliedern das Leben der Großen wie ein Anatom eine Leiche und werfen die Frage auf: War, was sie wollten, recht und edel? Waren sie gerechten Sinnes? Was hatte von ihnen die Welt: mehr Segen oder mehr Schaden? Stand ihr Mut unter der Vormundschaft ihrer Weisheit oder war er nur ein Ausbruch ihres Temperaments? Den Wert des Erreichten bemessen sie nach dem Werte der Beweggründe, beurteilen aber nicht die Beweggründe nach dem Erfolge. Mag das Laster in den schönsten Schein sich hüllen, sie lassen sich nicht blenden und geben den Preis des Ruhms nur dem Verdienste und dem Manneswert.

Was Machiavell groß und ruhmwürdig nennt, ist genau jener falsche Schimmer, der das Urteil der Masse besticht! Ganz im Geiste des Volkes schreibt er, und zwar des niedrigen, des gemeinen Volkes. Doch für ihn wird es ebenso unmöglich sein, mit dieser gewöhnlichen Denkweise den vornehmen Geschmack eines Mannes von höheren Ehrbegriffen zu treffen, wie es für Molière unmöglich war; wer den Misanthrop recht hochstellt, wird den Scapin um so tiefer stellen.

Das vorliegende Kapitel Machiavells enthält Brauchbares und Fehlerhaftes nebeneinander. Ich will zunächst die Verstöße aufweisen, um dann zu unterschreiben, was er an Nichtigem und Löblichem vorbringt. Zum Schluß will ich mir erlauben, zu einigen Fragen, die sich ungezwungen hier anschließen, Stellung zu nehmen. Für alle, die durch große Unternehmungen und seltene, außerordentliche Leistungen sich auszuzeichnen gedenken, stellt der Verfasser als Vorbilder auf: Ferdinand von Aragonien und Bernhard von Mailand. Er findet das Wunder ohnegleichen in der Kühnheit eines Unternehmens und in der Schnelligkeit seiner Ausführung. Das ist etwas Großes, zugegeben; doch anerkennenswert vermag ich es nur so weit zu nennen, wie der Eroberer in den Grenzen des Rechts bleibt. »Du rühmst dich der Ausrottung der Räuber«, sagten die skythischen Gesandten zu Alexander, »und dabei bist du selber der größte Räuber auf Erden, hast du doch die Völker, die dir erlagen, insgesamt ausgeraubt und geplündert. Bist du ein Gott, so mußt du den Menschen Gutes tun und ihnen nicht entreißen, was sie besitzen; bist du ein Mensch, so vergiß auch niemals, daß du es bist.«

Ferdinand von Aragonien begnügte sich nicht damit, offen und ehrlich das Kriegshandwerk zu treiben, sondern er benutzte als Deckmantel für seine Pläne die Religion. War dieser König wirklich fromm, so beging er eine lästerliche Entweihung des Heiligen, indem er die Sache Gottes zum Vorwand nahm, um seinen wilden Leidenschaften zu folgen. War er nicht gläubig, so handelte er gar als Betrüger und Schuft, indem er durch sein heuchlerisches Tun den frommen Glauben des Volkes mißbrauchte, um seinen Machthunger zu stillen.

An zweiter Stelle führt Machiavell das Beispiel Bernhards von Mailand an zur Beherzigung für die Fürsten, damit sie daran lernen, ihre Belohnungen wie ihre Strafen so ins Werk zu setzen, daß es in die Augen fällt, damit all ihr Tun die Gebärde der Größe trage. Nun, Fürsten von edler Art kommen ohnehin schon zu Glanz und Ansehen, zumal wenn ihre Freigebigkeit, ohne selbstische Zwecke, einfach der Ausdruck ihrer Seelengröße ist. Herzensgüte wird ihnen leichter als jeder andere Vorzug den Weg zur Größe bahnen. Cicero sagte zu Cäsar: »Das Größte, was dein Glück dir gegeben hat, ist die Macht, so vielen Mitbürgern ein Retter zu sein; nichts, was deiner Güte würdiger wäre, als der Wille, es zu tun.« Alle Strafen also, die ein Fürst verhängt, sollten hinter dem Maße der Kränkung, die er erfuhr, zurückbleiben, alle Belohnungen, die er spendet, hinausgehen über die Bedeutung des Dienstes, den er empfing.

So unrichtig die eben betrachteten Ausführungen Machiavells sind, so zutreffend ist seine Warnung an die Fürsten, sich mit anderen Herrschern, die mächtiger sind als sie, leichtfertig zu verbünden, die, anstatt ihnen beizustehen, sie erst in den Abgrund stoßen könnten. Das wußte sehr wohl ein großer deutscher Fürst, gleich geachtet bei Freund und Feind. Die Schweden fielen in sein Land zur Zeit, da er mit allen seinen Truppen fern am Niederrhein stand, um den Kaiser in seinem Kriege gegen Frankreich zu unterstützen. Seine Minister rieten auf die Kunde von dem überraschenden Einbruch, den russischen Zaren zu Hilfe zu rufen. Der Fürst jedoch, scharfsichtiger als sie, erwiderte, die Moskowiter seien wie die Bären: wehe dem, der sie loskette; einmal freigelassen, seien sie schwer wieder an die Kette zu legen! Hochgemut nahm er das schwere Werk der Vergeltung auf seine eigenen Schultern, und er brauchte es nicht zu bereuen.

Eine Hand hält der Büste Machiavellis den »Antimachiavell« entgegen, wie einen Spiegel, in dem erst sein wahres Antlitz offenbar wird.

Ebenso verständig wie die Frage von Bündnissen behandelt Machiavell die der Neutralität. Alte Erfahrung lehrt, daß ein Fürst, der neutral bleibt, dadurch sein Gebiet rücksichtsloser Behandlung durch beide kriegführende Parteien aussetzt; seine Staaten werden das Kriegstheater, stets verliert er nur durch seine neutrale Haltung, ohne je einen greifbaren Vorteil dabei zu gewinnen.

Auf zwiefache Art kann ein Herrscher sich vergrößern: einmal durch Eroberung, wenn ein kriegerischer Fürst mit Waffengewalt die Grenzen seiner Herrschaft erweitert. Das andere Mittel ist die Tatkraft des betriebsamen Fürsten, der alle Werktätigkeiten und alle Wissenschaften in seinem Lande zur Blüte bringt, die es kräftiger und gesitteter zu machen vermögen. Unser Buch enthält von vorn bis hinten nichts als Betrachtungen über jene erste Art der Vergrößerung; reden wir doch auch einmal von der zweiten, die unschuldiger und gerechter ist und dabei ganz so gedeihlich wie jene.

Die für das Leben notwendigsten Tätigkeiten sind die Landwirtschaft, der Handel und der Gewerbfleiß; die Wissenschaften, darinnen der Menschengeist seine höchste Würde offenbart, sind die Geometrie, Philosophie, Astronomie, Redekunst, Poesie und die Gesamtheit der sogenannten schönen Künste. Wie nun jegliches Land seine eigene Natur hat, so ruht die Stärke des einen in seiner Landwirtschaft, die anderer im Weinbau, hier in den Gewerben, da im Handel; auch gedeihen diese Fertigkeiten in manchem Lande wohl gleichzeitig nebeneinander.

Entscheidet sich nun ein Fürst für diese friedliche und freundliche Form der Machterweiterung, so wird seine nächste Aufgabe sein, sich um die gründliche Kenntnis der Natur seines Landes zu bemühen, um sich darüber klar zu werden, welche von jenen Erwerbsmöglichkeiten dort die aussichtsvollsten und welche demgemäß zu fördern am dringendsten die Pflicht gebietet. Den Franzosen und Spaniern ward das Fehlen des Handels fühlbar, und so sannen sie denn auf Mittel, den der Engländer zu vernichten. Sollte Frankreich damit Glück haben, so würde der Niedergang des englischen Handels seine Machtstellung in viel beträchtlicherem Maße heben, als es die Eroberung von zwanzig Städten und tausend Dörfern vermöchte, und England und Holland, die beiden blühendsten und reichsten Länder der Welt, würden dabei ganz allmählich zugrunde gehen, wie ein Kranker, der an Schwindsucht oder Auszehrung dahinsiecht.

Die Länder, deren Getreide- und Weinbau all ihren Reichtum darstellt, haben zweierlei zu beobachten: erstens sollen sie alles Land sorgfältig urbar machen, um jedes Fleckchen Erde auszunutzen; zweitens sollen sie auf jede Weise bedacht sein, den Absatz zu vergrößern und zu erweitern, ferner ihre Waren wohlfeil zu befördern und deren Preis nach Möglichkeit heraufzuschrauben.

Die Industrie bringt vielleicht jedem Staate am meisten Nutzen und Gewinn; denn sie befriedigt die Bedürfnisse und den Luxus der Einwohner, und auch die Nachbarn sehen sich genötigt, eurem Gewerbfleiß ihren Zoll zu entrichten. So wird auf der einen Seite das Geld im Lande behalten, auf der anderen muß es hereinströmen.

Stets war es meine Überzeugung, daß der Mangel an diesen Erzeugnissen eine Ursache mehr für die ungeheuren Auswanderungen aus den Nordlanden gewesen ist, so der Goten und der Vandalen, die so häufig die südlichen Länder überschwemmten. In jenen fernen Zeiten kannte man in Schweden, in Dänemark wie im größten Teile von Deutschland von allen Tätigkeiten nur den Ackerbau; der ertragfähige Boden war auf eine bestimmte Anzahl von Eignern verteilt, die ihn bebauten und ihren Unterhalt daraus zogen. Nun ist aber das Menschengeschlecht zu jeder Zeit von besonderer Fruchtbarkeit in jenen kalten Himmelsstrichen gewesen, und so gab es bald doppelt soviel Einwohner im Lande, als der Ackerbau ernähren konnte; da taten sich denn die jüngeren Söhne der Adelsgeschlechter zusammen, wurden notgedrungen zu Glücksrittern, überfielen fremde Länder und warfen dort die Besitzer hinaus. In der Geschichte Ost- und Westroms war es denn auch die Regel, daß die Barbarenhorden nichts begehrten als Grund und Boden zur Bebauung, um ihren Lebensunterhalt zu finden. Die Nordlande sind heut nicht weniger dicht bevölkert als damals, aber inzwischen hat der Luxus wohlweislich unsere Bedürfnisse vervielfältigt und damit den Anstoß zu gewerblicher Tätigkeit und zu all jenen Fertigkeiten in der Herstellung gegeben, von denen ganze Völker leben können, die sonst ihren Unterhalt auswärts suchen müßten.

Diese verschiedenen Mittel, die einen Staat zur Blüte bringen, sind der fürstlichen Weisheit anvertraute Pfunde; der Fürst soll damit wuchern, soll sie nutzbringend anlegen.

Das sicherste Kennzeichen dafür, daß ein Land unter weiser Leitung des Glückes, der Wohlhabenheit und Fülle genießt, ist dann das Erwachen der schönen Künste und Wissenschaften; denn diese Blumen gedeihen nur auf fettem Boden und unter mildem Himmel; bei Trockenheit, beim Ungestüm nördlicher Winde sterben sie hin.

Nichts gibt einem Reiche mehr Glanz, als wenn die Künste unter seinem Schutz erblühen. Das Zeitalter des Perikles dankt seinen Ruhm ebenso dem Phidias, dem Praxiteles und zahlreichen anderen Großen, die damals zu Athen lebten, wie den Schlachten, die dieselben Athener gewannen. Das augusteische ist bekannter durch einen Cicero, Ovid, Horaz und Virgil als durch die Ächtungslisten des grausamen Kaisers, der schließlich doch einen guten Teil seines Nachruhms der Leier des Horaz verdankt. Das Jahrhundert des großen Ludwig ist gefeierter um solcher Größen willen wie Corneille, Racine, Molière, Boileau, Descartes, Coypel, Le Brun, Regnaudin, als durch den über alles Maß gelobten Rheinübergang, die Belagerung von Mons, an der Ludwig in Person teilnahm, und die Schlacht bei Turin, die Marsin auf allerhöchsten Befehl den Herzog von Orléans verlieren ließ.

Die Könige ehren die ganze Menschheit in der Auszeichnung und Belohnung derer, die ihr am meisten Ehre machen; wer wäre das sonst als die überragenden Geister, die der Vervollkommnung unserer Erkenntnis, dem Dienste der Wahrheit sich weihen, die keinem irdischen Werte nachfragen, um das rein geistige Element zu immer höherer Vollendung zu steigern? Wie die Weisen die Leuchten der Welt sind, so sollten sie eigentlich ihre Gesetzgeber sein.

Glücklich die Herrscher, die selbst diese Wissenschaften pflegen, die da mit Cicero, dem römischen Konsul, dem Befreier seines Vaterlandes, dem Altmeister der Redekunst, denken: »Die Wissenschaft bildet die Jugend heran, bescheert den reiferen Jahren seinen schönsten Reiz; dem Glück gibt sie höheren Glanz, dem Unglück Trost; sie macht in unseren vier Wänden, im fremden Hause, auf der Reise, in der Einsamkeit, zu allen Zeiten wie an jedem Orte die Wonne unseres Daseins aus.«

Lorenzo von Medici, der Größte seines Volkes, war für Italien der Friedebringer und zugleich der Erneuerer der Wissenschaften; sein redlicher Sinn gewann ihm das Vertrauen aller Fürsten insgesamt. Mark Aurel, einer der größten Kaiser Roms, vereinte Feldherrnglück mit der Weisheit des Philosophen; er hielt sich in seiner Lebensführung aufs strengste an die Sittenlehre, die er bekannte. Schließen wir mit seinem Wort: »Einem Könige, den Gerechtigkeit leitet, ist die Welt ein Tempel, darinnen die guten Menschen als Priester des Opferdienstes walten.«


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