Gustav Freytag
Verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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8. Eine Frage der Residenz

Unter den Fragen nach der Frau Professorin, welche während der Krankheit kamen, war auch die eines Fremden. Gabriel erregte im Haushalt ein kleines Erstaunen, als er erzählte: »Da ich einmal nach der Apotheke lief, stand ein Mann von feinem Aussehen auf der Straße im Gespräch mit Dorchen. Dorchen rief mich hinzu, der Mann erkundigte sich nach Allerlei und es schien ihm sehr ungelegen, daß Sie erkrankt waren.«

»Haben Sie nach seinem Namen gefragt?«

»Den wollte er nicht nennen. Er wäre aus Ihrer Gegend und hätte sich nur auf der Durchreise erkundigen wollen.«

»Vielleicht war's Jemand aus Rossau,« klagte Ilse, »wenn er nur nicht den Vater durch seine Reden geängstigt hat.«

Gabriel schüttelte den Kopf. »Er meinte etwas dabei, er spionirte nach dem ganzen Haushalt und that dreiste Fragen, die ich ihm gar nicht beantworten wollte. Weil er ein schlaues Aussehen hatte, ging ich ihm nach bis zum nächsten Gasthof, und da sagte mir der Hausknecht, daß es der Kammerdiener eines Fürsten wäre.« Gabriel nannte den Namen.

»Da ist unser Landesherr,« rief Ilse, »was kann der an mir für Theil nehmen?«

»Der Mann wollte eine Neuigkeit nach Hause bringen,« versetzte der Gatte. »Er war wohl damals mit im Jagdgefolge, und es war gute Meinung.«

Mit diesem Bescheid wurde Gabriel beruhigt, und Ilse sagte vergnügt: »Es ist doch hübsch, wenn ein Landesvater sich auch um die Kinder in der Fremde kümmert, denen es gerade schlecht geht.«

Indeß Gabriels Kopfschütteln war nicht ohne Grund die Nachfrage hatte etwas zu bedeuten.


Hinter der Scheuer eines Bauerhofes saß eine junge Dame auf dem Rasen und band Wiesenblumen zu einem dicken Strauß; ein Knäuel blauer Wolle rollte in ihren Schoß, so oft sie ein neues Büschel Blumen einfügte. Auf der Wiese vor ihr lief ein junger Herr geschäftig durch das tiefe Gras, suchte die Blüthen zusammen und legte sie nach den Farben geordnet vor die Straußwinderin. Daß der Jüngling und das Fräulein Geschwister waren, ließ ein stark ausgeprägter Familienzug ihres Angesichts erkennen, und das gewählte Promenadenkleid machte Jedem zweifellos, daß Beide nicht unter Klee und Kamillen des Grundes aufgeblüht waren, auch wer nicht durch eine Lücke zwischen den Scheuern sah, wie sich auf der andern Seite Pferdeköpfe und die Tressenhüte ihrer Dienerschaft bewegten.

»Du bringst den Strauß nicht zu Stande, Siddy,« sagte der junge Herr zweifelnd zu dem Fräulein, als dieses ungeschickt an dem zerrissenen Wollfaden knüpfte.

»Wenn nur der Faden besser hielte,« rief die Emsige, »mach mir den Knoten.« Es erwies sich, daß der junge Herr damit auch nicht. leicht zu Stande kam. »Gib Acht, Benno, wie schön der Strauß wird, das ist meine Kunst.«

»Es ist ja Alles viel zu locker,« wandte der junge Herr ein.

»Für's erste Mal ist's gut genug,« versetzte Siddy. »Da, schau meine Hände an, und wie sie riechen.« Sie zeigte die blauen Spitzen der kleinen Finger, hielt sie ihm an das Gesicht, und als er guthmütig daran roch, gab sie ihm einen kleinen Nasenstüber. »Von den rothen Blumen habe ich genug,« fuhr sie, wieder über dem Strauße fort, »jetzt kommen nur weiße im Kreise herum.«

»Was für weiße?«

»Ja wer die Namen wüßte,« versetzte Siddy bedenklich, »ich meine Margueriten. Wie nennen Sie diese weiße Blume?« frug sie nach rückwärts gewandt die Bäuerin, welche respectvoll einige Schritt hinter dem beschäftigten Paare stand und mit vergnügtem Lächeln dem Treiben der Beiden zusah.

»Wir nennen sie Gänseblume,« sagte die Bäuerin.

»Ah, richtig,« rief Siddy, »aber lange Stiele, Benno.«

»Sie haben aber gar keine langen Stiele,« klagte dieser und trug herzu, was er in der Nähe abrupfen konnte. »Weißt du, was mich wundert?« begann er, neben der Schwester im Grase sitzend. »Diese Wiese ist voll Blumen, wenn man sie mäht, wird Heu daraus, und im Heu sieht mau von all den Blumen nichts.«

»Nicht?« frug Siddy, und knüpfte wieder an der Wolle. »Sie mögen auch vertrocknet sein.«

Benno schüttelte den Kopf. »Sieh dir einmal ein Bündel Heu an, du wirst wenig darin merken. Ich denke, die Leute pflücken sie vorher heraus und verkaufen sie in der Stadt.«

Siddy lachte und wies über die grüne Fläche. »Da, schau um dich, Sie sind zahllos, und die Leute kaufen auch nur die ewigen Gartenblumen. Und diese hier sind doch weit zierlicher. Wie reizend ist das Sternchen an der Blume unserer Frau Marguerite.« Sie hielt den Strauß ihrem Bruder hin und sah liebevoll auf ihr Kunstwerk.

»Du hast es doch durchgesetzt,« sagte der junge Herr bewundernd, »du bist immer ein kluges Weibchen gewesen. – Mir thut's leid, Siddy, daß du von uns gehst,« setzte er traurig hinzu.

Die Schwester sah ihn ernsthaft an. »Ist das wahr? – Erhalte mir immer deine Freundschaft, mein Bruder, du bist der Einzige hier, der mir den Abschied schwer machen wird. – Benno, wir sind wie zwei Waisenkinder, die in einer kalten Winternacht im Schnee sitzen.«

Die so sprach, war Prinzessin Sidonie, und die Sonne schien warm auf die blühende Wiese vor ihr.

»Wie gefällt dir mein Bräutigam?« frug sie nach einer Pause, den blauen Faden häufig um den fertigen Strauß windend.

»Er ist ein schöner Mann und er war Sehr freundlich zu mir,« sagte Benno nachdenklich. »Ob er gescheidt ist?«

Siddy nickte. »Er ist darin ordentlich. Er schreibt auch liebe Briefe. Willst du, so sollst du einen lesen.«

»Das möchte ich gern,« rief Benno.

»Und weißt du,« fuhr Siddy geheimnißvoll fort, »auch ich schreibe ihm alle Tage. Denn ich merke, eine Frau soll ihrem Manne Großes und Kleines vertrauen, und da will ich mich und ihn daran gewöhnen. Ich schreibe ihm der Sicherheit wegen unter fremder Adresse und meine Kammerfrau besorgt die Briefe zur Post, denn ich fürchte, meine dummen Zeilen werden sonst gelesen, bevor sie abgehen.« Sie sagte das gleichmüthig und betrachtete ihren Strauß. »Auch diesen Besuch bei Frau Marguerite erfährt er haarklein, und daß er dir gut gefallen hat. Und jetzt ist der Strauß fertig,« rief sie fröhlich, »ich schlage ein Tuch darum, wir nehmen ihn in den Wagen, und ich setze ihn auf meinen Schreibtisch.«

Benno lachte: »Er sieht aus wie eine Keule, du kannst ihn heut Abend im Ballet den Wilden borgen.«

»Er ist doch besser als die flachen Teller, die man nicht einmal ins Wasser setzen darf,« antwortete die Schwester aufspringend. »Vorwärts, wir tragen ihn zum Brunnen.«

Sie eilten, von der Bäuerin gefolgt, nach dem Hofe. Benno ergriff einen Eimer und trug ihn nach der Pumpe. »Ich will pumpen,« rief Siddy; sie faßte den Schwengel und versuchte zu drücken, aber es gelang ihr schlecht, nur einzelne Tropfen rannen in den Eimer. Benno tadelte: »Du bist ungeschickt, laß mich daran.« Jetzt trat er an das Holz und Siddy faßte den Eimer; er drückte kräftig und der Strahl fuhr über den Eimer auf die Hände und das Kleid der Prinzessin. Sie stieß einen leisen Schrei aus, ließ den Eimer fallen, und Beide lachten laut. »Du hast mich schön zugerichtet, unartiger Bonbon,« rief Siddy. »Ei, das thut nichts, Mutter,« tröstete sie die Bäuerin, welche herzulief und erschrocken die Hände zusammenschlug. »Du, mir fällt etwas ein, ich ziehe mir den Rock unserer Dame Marguerite an, und du einen Kittel ihres Mannes, und wenn der Vetter kommt, soll er uns nicht erkennen und wir überfallen ihn.«

»Wenn nur Alles gut abläuft,« wandte Benno bedenklich ein.

»Es sieht uns ja Niemand,« überredete Siddy. »Mütterchen,« schmeichelte sie der Bäuerin, »kommt in eure Kammer und helft mir beim Anziehen.« Die jungen Herrschaften ergriffen die Hände der Frau und zogen sie in das Haus. Benno legte im Hausflur seinen Sommerrock ab, besah mißtrauisch den neuen Kittel, welchen eine stämmige Magd zutrug, und fuhr mit ihrer Hilfe hinein. Der zierliche Bauerbursch setzte sich geduldig auf eine Bank, seine Gefährtin zu erwarten, und benützte die Muße, einen Schleifstein zu drehen und neugierig die Fingerspitze ein wenig daran zu halten. Während dieser Untersuchung fühlte er einen Schlag auf den Rücken, und sah, erstaunt eine kleine Bäuerin in blauem Rock und schwarzer Jacke, die landesübliche Mütze auf dem Kopf, hinter sich stehen. »Wie gefalle ich dir?« frug Siddy, die Arme in einander legend.

»Allerliebst,« rief Benno überrascht, »ich hätte nicht gedacht, daß ich eine so hübsche Schwester habe.« Siddy machte einen bäurischen Knix. »Wo hast du bis heut die Augen gehabt, du thörichter Bonbon? – Und jetzt helfen wir in der Wirthschaft. Was haben Sie für Ihre neuen Dienstleute zu thun, Frau Marguerite?«

 

Die Bäuerin schmunzelte. »Dort ist das Futter für die Kühe mit Schrotwasser abzubrühen,« sagte sie.

»Nichts mehr mit Wasser, wir haben genug davon. Komm, Benno, wir decken unterdeß den Tisch im Garten unter den Obstbäumen und tragen die saure Milch herzu.« Sie drangen in die Stube, trugen zusammen eine kleine Bank heraus und setzten sie in den Grasgarten unter einen Apfelbaum, dann flogen sie nach Tellern und Löffeln zurück, die Bäuerin und die Magd brachten den Tisch, einen großen Milchnapf und Schwarzbrot. Siddy fuhr behende umher, deckte die Serviette über, strich sie eifrig zurecht und setzte die buntbemalten Thonteller auf. »Sieh dies an,« flüsterte Benno und wies betrübt auf die abgenutzten Blechlöffel.

»Wir waschen sie noch einmal ab und trocknen sie mit grünen Blättern,« rieth die Schwester. Wieder liefen sie mit den Löffeln zu dem Brunnen und rieben kräftig mit Blättern daran, aber sie vermochten keinen weißen Glanz hervorzubringen. »Es ist ihre Art so,« tröstete Benno, »das gehört mit zum ländlichen Fest.«

Der Tisch war gedeckt, Siddy rückte an den Schemeln und wischte mit ihrem Batisttuch herum. »Du bist der Erbprinz,« sagte Siddy, »du mußt auf die Bank und wir andern zu deinen Seiten. Das Schwarzbrot muß zerkrümelt werden, das kann sich Jeder selbst machen. Der Zucker fehlt, es kommt nicht darauf an.« Sie saßen erwartungsvoll vor dem Milchnapf und klapperten im Tact mit den Löffeln. Ein kleiner grüner Apfel fiel vom Baum mitten in die Milchschüssel und verursachte ein Spritzen. Beide lachten laut, sprangen wieder auf, lasen die unreifen Aepfel und Pflaumen aus dem Grase und spähten über die Hecke auf einen Feldweg, der zur Stadt führte. »Er kommt,« rief Benno, »verstecke dich.«

Ein Reiter ritt im Galopp heran, von dem schnaubenden Pferde schwang sich ein junger Offizier, er band das Pferd an einen Pfahl und sprang mit einem Satz über die Hecke. Aber er hielt erstaunt an, denn er wurde aus den Winkeln mit einem Kreuzfeuer von unreifen Aepfeln und Pflaumen überschüttet, schnell ergriff er einige der grünen Geschosse und vertheidigte sich, so gut er konnte, gegen den Angriff. Die kleinen Bauerleute sprangen hervor. »Endlich,« rief Benno, »du hast lange warten lassen.« Und Siddy verneigte Sich vor ihm: »Prinz, die saure Milch ist servirt.« Prinz Victor sah mit unverhohlener Verwunderung auf die junge Bäuerin. »Ei,« sagte er gutmüthig, »jetzt sieht man doch endlich einmal, wie klein die Füße sind, vor die man seine Huldigungen niederlegt. So war's recht, ihr Kinder. Aber vor allem muß ich Satisfaction haben für den Ueberfall.« Er drehte sein Taschentuch zusammen, die Geschwister lachten und baten: »Sei gut, Vetter, wir thun's nicht wieder. – Ach, lieber Herr Oger, Gnade, Erbarmen,« flehte Siddy und fuhr mit dem Zipfel ihrer Schürze nach den Augen.

»Nichts da,« rief Victor, »ich erhalte euretwegen doch wieder Arrest, da will ich euch wenigstens vorher abstrafen.« So trieb er die Andern um den Tisch. »Das thut weh, Vetter,« rief Siddy; »laß die Thorheiten und komm zu Tisch. Ich lege vor. Oben ist der Rahm. Da wird Gerechtigkeit nöthig, wenn Victor dabei ist.«

Victor musterte den Tisch. »Das ist alles sehr schön, aber der Zucker fehlt.«

»Es war keiner zu haben,« riefen die Geschwister im Chor. Victor griff in seine Tasche und setzte eine silberne Büchse auf den Tisch. »Was würde aus euch, wenn ihr mich nicht hättet. Hier ist der Zucker.« Und er griff wieder in den Rock und brachte eine Lederflasche mit kleinem Trinkglas zu Tage. »Und hier ist eine andere Hauptsache, der Cognac.«

»Wozu?« frug Siddy.

»Zum Trinken, gnädigste Cousine. Willst du dies kalte Gelee ohne Cognac mit deinem Innern vermählen, so wage ich nicht zu widersprechen, dir aber, Benno, rathe ich als Mann, sorge für dein Heil.«

Die beiden hielten verlegen ihre Löffel beim Stiele.

»Das wäre nothwendig?« frug Benno argwöhnisch.

»Es calmirt, wie unser Doctor sagt,« erklärte Victor, »es pacificirt und zwingt die rebellische Masse zu ruhiger Submission, welche in Frieden tiefer und tiefer wird. Verweigerst du den Cognac, so geht's wie auf dem Weg zur Hölle. Der Pfad ist anfangs leicht, aber was dahinter kommt, ist Chaos. Jedenfalls würde dir das heutige Ballet erspart werden. Ist euch die Sache klar?«

»Sehr klar,« rief Siddy., »daß du uns zum Besten hast wie immer. Gib ihm eins auf die Finger, Benno.«

Benno tippte ihm mit dem Löffel auf die Hand, Victor sprang auf und parirte in Fechterstellung mit seinem Löffel, und die Geschwister jagten den Vetter wieder lustig um die Bäume.

Da störte ein eiliger Tritt, ein Lakai erschien auf einen Augenblick an der Gartenthür: »Der durchlauchtigste Herr kommt geritten,« rief er.

Alle drei standen still, die Löffel sanken ins Gras. »Wir sind verrathen,« rief Siddy erbleichend, »mache dich fort, Victor.«

»Ich bin Offizier und darf nicht entlaufen,« entgegnete Dieser achselzuckend, ergriff seinen Säbel und hakte ihn eilig ein.

»Du nimmst Alles auf dich, Benno,« rief die Schwester.

»Ich möchte wohl,« versetzte dieser kleinlaut, »ich habe nur zum Erfinden niemals Geschick gehabt.«

Vor dem Hofe stieg der Fürst mit Hilfe des Stallmeisters ab, der Lakai eilte voran, die Pforte zu öffnen, langsam nahte das Schicksal. Der Fürst trat in den Garten und sein scharfer Blick flog über die jungen Herrschaften, welche steif auf ihrem Platz stehen blieben und sich vor ihm verneigten. Ein spöttisches Lächeln zuckte um seinen Mund, als er die Zurüstungen des Tisches sah. »Wer von euch hat den ländlichen Carneval arrangirt?« frug er. Alle schwiegen. »Antworte, Benno,« wandte er sich finster an den jungen Herrn im blauen Kittel.

»Siddy und ich wollten einmal auf einer Wiese sitzen, bevor die Schwester unser Land verläßt. Ich habe aus Ungeschick die Schwester mit Wasser beschüttet, Sie mußte sich umziehen.«

»Wo ist dein Fräulein, Sidonie?« frug er die Tochter.

»Ich bat sie, auf das nahe Gut ihrer Tante zu fahren und mich in einer Stunde von hier abzuholen,« versetzte Prinzessin Sidonie.

»Sie hat nicht gut gethan, meine Befehle zu vergessen, um die deinen zu erfüllen, und sie hat ihre Pflicht verletzt, als sie die Prinzessin einem solchen Abenteuer überließ. Es ziemt nicht, daß Prinzessinnen allein und verkleidet in Dorfhäusern einkehren.«

Die Prinzessin preßte die Lippen zusammen. »Mein gnädigster Herr und Vater möge verzeihen, ich war nicht allein; ich hatte den besten Schützer bei mir, den eine Fürstin unseres Hauses haben kann, und der war Ew. Hoheit Sohn, mein erlauchter Bruder.«

Der Fürst trat einen Schritt näher und sah ihr schweigend ins Gesicht, und so stark war in seinem Antlitz der Ausdruck von Zorn und Abneigung, daß die Prinzessin erbleichte und die Augen niederschlug. »Gehört Prinz Victor auch zu den Beschützern, welche sich die Prinzessin in den Bauerhof bestellt?« frug er. »Hat der Lieutenant – er nannte den Namen seines Geschlechts – Urlaub, sich aus der Garnison zu entfernen?«

»Ich bin ohne Urlaub herausgeritten,« versetzte der Prinz in militärischer Haltung.

»Melde dich als Arrestant,« befahl der Fürst.

Victor salutirte und machte kehrt, er band sein Pferd ab und nickte hinter dem Rücken des Fürsten über die Hecke seinem Vetter zu, bevor er der Stadt zutrabte.

»Ihr aber eilt, diese Mummerei los zu werden,« befahl der Fürst, »die Prinzessin fährt im Wagen des Erbprinzen nach Haus.« Er winkte, die jungen Herrschaften verneigten sich und eilten aus dem Garten.

»Mir hat das Unglück geahnt,« sagte der Erbprinz im Wagen zu seiner Schwester. »Arme Siddy!«

»Ich will lieber eine Magd dieser Bäuerin sein und Pantoffeln an den Füßen tragen, als dies Sklavenleben noch lange erdulden,« rief die zornige Prinzessin.

»Laß dir nur heut beim Diner nichts merken,« bat Benno.

Der Strauß von Wiesenblumen stand im Eimer und am Abend zerrupften ihn die Kühe der Bäuerin.

Den Tag darauf trat der Obersthofmeister von Ottenberg, ein alter Herr mit weißem Haar, bei dem Fürsten ein. »Ich bemühe Ew. Excellenz,« begann der Fürst zuvorkommend, »weil ich in einer Familienangelegenheit Ihre Ansicht zu vernehmen wünsche. Der Tag naht, wo die Prinzessin uns verläßt. – Haben Sie meine Tochter heut gesprochen?« unterbrach er sich.

»Ich komme von Ihrer Hoheit,« antwortete ehrerbietig der alte Herr.

Der Fürst lächelte: »Ich habe ihr gestern einige ernste Worte gesagt. Die Kinder spielten auf eigene Hand eine Idylle und ich traf sie in Bauerkleidern und ausgelassener Stimmung. Unsere liebe Siddy hatte vergessen, daß solches Spiel Mißdeutungen ausgefetzt ist, die sie zu vermeiden jede Ursache hat.«

Der Obersthofmeister verbeugte sich schweigend.

»Doch nicht um die Prinzeß handelt es sich. Die Zeit ist gekommen, wo über die nächsten Jahre des Erbprinzen ein Entschluß gefaßt werden muß. Ich habe daran gedacht, ihn trotz der Bedenken, welche seine zarte Gesundheit nahe legt, in eine größere Armee eintreten zu lassen. Sie wissen, daß dies uns nur in einem Staate möglich ist. Auch dort hat sich eine unerwartete Schwierigkeit gefunden. Es sind dort zwei Regimenter, welche Sicherheit gewähren, daß der Prinz nur mit Offizieren von Familie in ein kameradschaftliches Verhältniß treten würde. Aber das eine Regiment hat jetzt zum Commandeur denselben Kobell erhalten, der vor Jahren unsern Dienst quittirt hat; es ist unthunlich, den Prinzen zu seinem Untergebenen zu machen. Bei dem andern Regiment aber ist in den letzten Monaten das Unerwartete geschehen und trotz dem Widerstände des Offiziercorps ein Herr Müller eingeschoben worden. So ist dem Erbprinzen unmöglich gemacht in die einzige Armee zu treten, welche uns offen steht.«

»Darf ich mir die Frage erlauben, ob nicht das zweite Hinderniß zu beseitigen wäre?« frug der Obersthofmeister.

»Man möchte uns gern gefällig sein,« versetzte der Fürst, »weiß aber selbst keinen Rath, denn das Einreihen des bürgerlichen Lieutenants war ein Zugeständniß, welches man aus politischen Gründen gemacht hatte.«

»Und es würde nicht viel helfen, wenn an Name und Familie des Lieutenant Müller selbst das Störende geändert würde?« warf der Obersthofmeister ein.

»Auch das ist vorsichtig versucht worden, es hat sich ergeben, daß in dem Vater des Menschen keine Bereitwilligkeit war. Und Excellenz, zuletzt bliebe die Inconvenienz doch dieselbe. Sie wissen, daß ich in diesen Dingen keineswegs Purist bin, aber für den kameradschaftlichen Verkehr des Tages wäre dem Erbprinzen solche Nähe doch gar zu unbehaglich. Müller oder von Müller, der Mehlstaub bleibt.«

Es entstand eine Pause. Endlich begann der Obersthofmeister »Für jüngere Prinzen ohne Vermögen und die Möglichkeit, sich selbst eine kräftige Thätigkeit zu finden, sind die Vorteile einer militärischen Carriere allerdings unleugbar. Ob sie auch für einen Fürsten unzweifelhaft sind, der die Vorbildung für einen großen Beruf sucht? Ich erinnere mich, daß in früherer Zeit Ew. Hoheit das Soldatenspiel an den Höfen als eine Modelaune ohne Vorliebe betrachteten.«

»Das leugne ich nicht,« versetzte der Fürst, »und Ihnen gegenüber darf ich mich wohl zu dieser Ansicht bekennen. Der gewöhnliche Zustand der menschlichen Gesellschaft ist jetzt nicht der Krieg, sondern der Friede. Die angelegentliche Vorbildung eines jungen Fürsten für den Krieg wird allerdings in seinem Wesen einige männliche Seiten entwickeln, überliefert ihn aber in allen Hauptsachen hilflos den Händen seiner Beamten. Und im Vertrauen, Excellenz, die Freude an Epauletten ist gerade während der Friedenszeit in die Höfe gedrungen, und im Fall eines großen Krieges, wo nur bei wirklichem Feldherrntalent Hilfe zu finden ist, wird das militärische Dilettiren der Fürsten sich mit wenigen Ausnahmen als durchaus unnütz erweisen. Das alles ist unleugbar. Leider ist es gegenwärtig nicht mehr Modelaune, wenn an den meisten Höfen dieser Bildungsweg für junge Fürsten gewählt wird, sondern ernste Nothwendigkeit. Die Zeit, in welcher wir zu leben verurteilt sind, hat eine engere Verbindung der Höfe mit den Heeren unvermeidlich gemacht, und was einst besser unterblieb, ist jetzt eine Stütze fürstlicher Stellung geworden.«

»Ich sehe die Stellung erlauchter Herren nicht dadurch verstärkt, daß Sie schlechte Generäle sind,« erwiederte der Obersthofmeister. »Ja, man darf behaupten, daß viele von den Schwierigkeiten, welche die Gegenwart zwischen Fürsten und Völkern aufgehäuft hat, gerade daher rühren, daß unsere Prinzen neben vortrefflichen Ansichten über den Hufbeschlag der Pferde und Ausarbeiten der Recruten, auch einige Vorurtheile und Unarten der Garnison zu ihrem hohen Beruf mitbringen, und viel zu wenig von der Sicherheit, dem edlen Stolz und dem fürstlichen Sinn, welchen die Uebung in den großen Geschäften zu entwickeln vermag.«

Der Fürst lächelte. »Excellenz sind also der Ansicht, daß der Erbprinz eine Universität besuchen soll? Denn eine andere Schule gibt es doch nicht, wenn er einmal diesen Hof verläßt. Der Prinz ist schwach und bestimmbar, die Gefahren, welche für ihn auf diesem Wege liegen, sind doch noch größer, als der Verkehr mit einem ungeeigneten Offizier.«

»Es ist wahr,« warf der Obersthofmeister ein, »daß während dieser Jahre der Erbprinz gewisse Zugeständnisse an den Brauch einer Akademie zu machen hat; für den persönlichen Umgang finden sich aber doch auf jeder Universität Söhne alter Familien, welche die Ehre den Prinzen zu entouriren wohl würdigen. Es wird vielleicht dort leichter sein den jungen Herrn von unpassender Kameradschaft frei zu halten, als beim Regiment.«

»Nicht diese Gefahr fürchte ich,« versetzte der Fürst, »sondern unpraktische Theorie und zerstörende Ideen, welche dort verkündet werden.«

»Was man bekämpfen muß, sollte man doch vorher kennen lernen,« entgegnete der Obersthofmeister. »Erachten Ew. Hoheit bei der vielseitigen Erfahrung, welche Höchstdenselben ein reiches Leben verlieh, die Bekanntschaft mit diesen Ideen so gefährlich?«

»Wer geht in die Hölle, um fromm zu werden?« frug der Fürst in guter Laune.

»Als ein großer Dichter dies gewagt hatte,« versetzte der Obersthofmeister, »Schrieb er sein göttliches Gedicht. Und mein gnädigster Herr, der selbst warmes Interesse für wissenschaftliche Thätigkeit vielfach bewährt hat, wird doch unsere Akademien höchstens für Orte eines milden Fegfeuers halten. Sollte an den Seelen unserer erlauchten Herren nach der Rückkehr von dieser Stätte hie und da ein infernalisches Flämmchen hängen, es wird durch die hohen Interessen des fürstlichen Berufes sehr bald getilgt.«

»Ja,« bestätigte der Fürst mit devoter Miene, »es liegt eine Weihe auf dem Amt des Fürsten, welche das Wesen auch des schwachen Mannes für die großen Interessen umbildet, welche er durch sein Leben darzustellen hat. Aber, Exzellenz, es ist schwer, ohne verächtliches Mitleid auf die sentimentale Gefühlsseligkeit neuer Regenten zu sehen, und aus Fürstenmunde immer wieder die alten Phrasen von Liebe und Vertrauen gläubig nachgesprochen zu hören. Allerdings sind diese populären Aufwallungen vergänglich, und auch mancher von uns älteren hat einst geschwärmt und da grünes Moos zu pflanzen versucht, wo es von der Sonne versengt wird, aber die furchtbaren Gefahren unserer argen Zeit machen solches Schwanken neuer Regenten immer gefährlicher, und falsche Schritte der ersten Regierungswochen mögen oft die ganze spätere Stellung verderben.«

Der Obersthofmeister erwiederte entschuldigend: »Es ist vielleicht gut, weiser zu sein als Andere, aber nüchterner zu sein als alle Andere, bringt doch nicht zu jeder Zeit Vortheil. Ein wenig Poesie und jugendliche Begeisterung mag man unsern Fürsten auch gönnen. Wenn ich deshalb für des Erbprinzen Hoheit den Besuch einer Universität zu empfehlen wage, so thue ich dies mit der willkommenen Empfindung, daß ich damit auch Ew. Hoheit eigentliche Meinung ausspreche.«

Der Fürst sah scharf nach dem Obersthofmeister und auf seiner Stirn zog sich ein schnelles Gewölk zusammen. »Wie wollen Sie wissen, was meine geheimen Gedanken sind?«

»Das wäre Ew. Hoheit gegenüber ein ganz vergeblicher Versuch,« versetzte der alte Herr ruhig, »und es würde einem alten Diener wenig anstehen, nach den geheimen Gedanken seines Herrn zu spähen. Aber Höchstdieselben haben bis jetzt dem Erbprinzen immer solche Gouverneure und Begleiter gegeben, welche nicht Militärs waren. Das legte einen Schluß auf Ew. Hoheit Willensmeinung für Jedermann nahe.«

»Sie haben Recht – wie immer,« sagte der Fürst versöhnt. »Und es war mir Freude, Ihre Auffassung in Uebereinstimmung mit der meinigen zu finden. Denn es ist immerhin ein ernster Entschluß, er raubt mir auf längere Zeit die Nähe meines lieben Benno.«

Der Obersthofmeister bewies sein Mitgefühl durch eine stumme Verbeugung. »Der Höchste Entscheid wird allerdings große Veränderungen hervorbringen, denn er entfernt zu gleicher Zeit alle jungen Herrschaften vom Hofe.«

»Alle?« frug der Fürst überrascht. »Der Erbprinz würde kurz nach der Vermählung seiner Schwester abreisen, aber da ist ja noch Prinz Victor, welcher zurückbleibt.«

»Dann bitte ich unterthänigst um Verzeihung,« entgegnete der Obersthofmeister, »ich hatte vorausgesetzt, daß die Abreise des Erbprinzen auch den Uebertritt des Prinzen Victor in eine fremde Armee zur Folge haben würde.«

»Wie kommen Sie dazu?« frug der Fürst überrascht. »Ich habe durchaus nicht die Absicht, den Prinzen Victor in der Fremde zu fourniren, er mag seine Reitkunst bei unsern Schwadronen üben.«

»In diesem Falle würde seine Stellung am Hofe geändert,« sagte der Obersthofmeister nachdenklich, »er erhält den Rang und wird für diese Jahre dem Hofe bei Gelegenheit der stellvertretende Prinz des erlauchten Hauses.«

»Was fällt Ihnen ein, Obersthofmeister?« versetzte der Fürst unwillig.

»Hoheit wollen gnädigst angeben, wie das vermieden werden soll. Das Recht des Blutes kann nie gegeben und nie genommen werden. Der Prinz ist der nächste Anverwandte, die Ordnung des Hofes fordert die entsprechende Stellung, und der Hof wird in tiefster Ehrfurcht darauf bestehen, daß Sie dem Prinzen nicht versagt werde.«

»Der Hof,« rief der Fürst verächtlich, »sagen Sie gerade heraus, der Obersthofmeister.«

»Der Obersthofmeister ist von Ew. Hoheit dazu bestellt, über die Ordnung des Hofes zu wachen,« versetzte der alte Herr mit Festigkeit. »Als persönliche Meinung wage ich noch anzuführen, daß für den lebendigen und thatkräftigen Geist des Prinzen Victor der Dienst in dieser Residenz und die Nähe des Hofes nicht vorteilhaft sind; es ist vorauszusehen, daß er öfter Ew. Hoheit Veranlassung zur Unzufriedenheit geben wird, und daß der Verlust Höchster Gnade bei dem aufgeweckten und volkstümlichen Wesen des Prinzen .eine dauernde Veranlassung zu Medisance und böswilligem Geschwätz sein würde. Deshalb wagte ich anzunehmen, daß die Bedenken, welche eine militärische Carriere des Erbprinzen in fremder Armee hindern, bei Prinz Victor ohne Gewicht sein würden.«

Der Fürst sah finster vor sich hin. Endlich begann er mit Ueberwindung: »Ich muß Ihnen dankbar sein, daß Sie mich auf dieses Bedenken geführt haben. Ich werde nach reiflicher Ueberlegung meinen Entschluß fassen. Seien Excellenz überzeugt, daß ich den warmen Antheil wohl zu schätzen weiß, den sie mir und den Meinen bewahren.« Er neigte das Haupt, der Obersthofmeister verließ das Zimmer; und die Falten im Antlitz des Fürsten zogen sich drohend zusammen, als er dem Alten nachsah.

Die Folge dieser Unterredung war, daß der Erbprinz auf eine Universität gesandt wurde. Dies Ereigniß ward an der Universität im Schein der höllischen Flämmchen, welche hie und da loderten, nicht ganz so aufgefaßt als am Hofe.

Der Magnificus trat eines Abends bei Professor Werner ein und begann, Ilse begrüßend: »Sie haben Ihrem Lande ein gutes Beispiel gegeben, als Sie zu uns kamen, von oben ist der Universität die Mittheilung geworden, daß im nächsten Semester Ihr Erbprinz bei uns seine Studien beginnen will.« Zum Professor gewandt fuhr er fort: »Man erwartet, daß wir Alles thun werden, den jungen Herrn zu fördern, was mit den Pflichten unseres Amtes verträglich ist. Ihnen habe ich den hohen Wunsch auszudrücken, daß auch Sie dem Erbprinzen auf seinem Zimmer eine Vorlesung halten.«

»Ich lese kein Prinzencollegium,« erwiederte der Professor, »dazu ist meine Wissenschaft zu umfangreich, sie läßt sich nicht in eine Nußschale packen.«

»Vielleicht würde sich doch irgend ein populäres Thema ergeben,« mahnte der kluge Magnificus. »Mir scheint fast höherer Werth, als auf den Inhalt der Vorlesung, darauf gelegt zu werden, daß Ihre Person mit dem Erbprinzen in wohltuende Verbindung tritt.«

»Wenn der Prinz sich in meinem Hause wohl fühlen und unserm Brauch fügen kann, so bin ich zu jeder anständigen Aufmerksamkeit erbötig. In meinen Vorträgen führe ich seinetwegen keine Aenderung ein. Besucht er als Student eines meiner Collegien, gut. Auf seinem Zimmer lese ich weder ihm noch jemand Anderem.«

»Wird man die Weigerung nicht als eine Unfreundlichkeit empfinden?« wandte der Rector ein.

»Wohl möglich,« versetzte der Professor, »und ich gestehe Ihnen, daß mir dies im vorliegenden Fall besonders peinlich ist. Aber keine persönliche Rücksicht soll mich bestimmen, von einem Grundsatz abzuweichen. Ich habe früher einmal die Erfahrung gemacht, wie demüthigend es ist, einem Knaben, dem die nöthige Vorbildung, dem Verständniß und inneres Interesse fehlte, ernste Männerarbeit zurechtzuschneiden. Ich thue es nie wieder. Dann aber handle ich im Interesse dieser jungen Herren selbst, soviel ich als Einzelner vermag, dessen Studien von der Heerstraße fürstlicher Bildung weitab liegen. Wollen sie von uns etwas lernen, was für ihr Leben fruchtbar ist, so sollen sie es ordentlich lernen, und sie sollen mit den Vorkenntnissen zu uns kommen, welche ihnen möglich machen, von der Wissenschaft Nutzen zu ziehen. Ich habe hie und da aus der Ferne gesehen, wie traurig es mit der innern Bildung der Mehrzahl bestellt ist. Das flache zerstreuende Wesen ihrer Erziehung, Welches ihnen fast die Möglichkeit nimmt, an irgend einem Gebiete geistiger Arbeit ein warmes Interesse zu nehmen, macht sie auch später für das Leben und für ihre Regentenpflichten wenig brauchbar. Und wir nehmen Theil an diesem Unrecht, wenn wir Jünglinge, die in Wahrheit nicht die Kenntnisse eines Tertianers haben, mit dem Schein und Firniß wissenschaftlicher Cultur überziehen. Denn darauf ist es doch in der Regel abgesehen. Man braucht sicher nicht die Universität zu besuchen, um ein tüchtiger Mann zu werden; wenn man aber diesen schwierigen Weg einschlägt – und ich meine allerdings, jeder künftige Regent sollte das –, so darf es nur in einer Weise geschehen, welche auch tüchtige Resultate sichert. Ich verurtheile nicht die Lehrer, welche anders denken,« schloß der Professor, »es gibt ohne Zweifel Disciplinen, bei denen gedrängte Darstellung einiger Hauptsätze möglich und nützlich ist. Die Alterthumswissenschaft wenigstens gehört nicht dazu. Und deshalb bitte ich zu entschuldigen, wenn ich mich dem jungen Herrn für Privatstunden versage.«

Der Rector zuckte die Achseln und sprach diesen Grundsätzen seine Anerkennung aus.

»Mein armer Erbprinz,« rief Ilse bedauernd, als der Rector sich entfernt hatte.

»Mein armer Codex,« parodirte der Professor lachend.

»Aber eine Ausnahme hast du doch gemacht,« wandte Ilse ein, »bei deinem Weibe.«

»Hier ist die Lehrstunde nur der Leitfaden, unser ganzes Leben die Erläuterung,« versetzte der Professor. »Den künftigen Landesherrn von Bielstein aber wirst du unter diesen Umständen wohl nur aus der Ferne als dein stilles Eigenthum betrachten können; und auch mir schwindet eine gewisse unsichere Hoffnung, welche ich auf das flüchtige Begegnen mit seinem Vater baute. Denn es ist allerdings wahrscheinlich, daß man dort meine Weigerung als launischen Hochmuth auffaßt.«

Darüber hätte der Professor ruhig sein können. Es wird dafür gesorgt, daß solche Auffassung nicht zu rechter Zeit an die Adresse gelangt, für welche sie bestimmt ist. Die Schärfe wird umgebogen, die Spitze abgebrochen und zuletzt hält man in hoher Luft dergleichen Gesinnung für so ungeheuerlich, daß man sie nur den verworfensten Menschen zutraut. Dafür galt der Professor keineswegs. Schon der Rector war vorsichtig genug, die Weigerung Werners durch Gründe zu verdecken, und in der Residenz des Fürsten hatte man einmal beschlossen, daß der Erbprinz ein Zuhörer des Professors werden sollte. Aus dem eingesandten Verzeichniß der Vorlesungen wurde ein kleines Collegium Werners ausgesucht: Besichtigung und Erklärung antiker Bildwerke in Gipsabgüssen, bei welchen der Erbprinz mit seinem Begleiter wenigstens nicht unter allerlei bunten Mützen zu sitzen nöthig hatte, sondern in fürstlicher Isolirung umherwandelnd gedacht werden konnte.

Wieder wogten die Wellen der reifen Aehren, als Ilse mit ihrem Gatten dem Gute des Vaters zufuhr. Ein Jahr, reich an Freuden, nicht frei von Schmerzen, lag hinter ihr, auch sie hatte jetzt eine kleine Geschichte, Frieden mit Streit, Wachstum und Vergehen am eigenen Leben erfahren. Wer in ihr Antlitz sah, der konnte an der bleichen Wange das Leid erkennen, welches Sie getroffen, und an dem sinnenden Blick, daß ernste Gedanken durch ihr Haupt gezogen waren. Aber als sie auf der Höhe das dunkle Dach des Vaterhauses erblickte und an der wetterblauen Holzkirche vorbeifuhr, da war Großes und Kleines vergessen, und sie empfand sich wieder als Kind in dem Frieden der Heimat, der ihr jetzt so wohltuend und trostbringend erschien. Als sich die Gutsleute um die Thür drängten, als die Geschwister heranstürmten, und der Vater alle überragend den Gatten und sie selbst aus dem Wagen hob, da hielt sie Jeden in Stummem Gruß umfangen, aber als der kleine Franz an ihr aufsprang, drückte sie ihn so lange an ihr Herz, bis sie die Haltung verlor und in Thränen ausbrach, so daß ihr der Vater das Kind vom Arme nehmen mußte.

Es konnte nur ein kurzer Besuch sein, den die Gatten auf dem Gut machten, Amtsgeschäfte zwangen den Professor zu schneller Heimkehr, er hatte Ilse den Vorschlag gemacht, sie länger beim Vater zu lassen und abzuholen; sie aber wollte nicht.

Prüfend sah der Vater auf Haltung und Antlitz der Tochter und ließ sich von dem Professor immer wieder erzählen, wie schnell und gut sie in der Stadt heimisch geworden war.

Unterdeß flog Ilse durch Hof und Garten hinaus in die Landschaft, wieder leichtbeflügelt wie die kleinen Geschwister, die ihre Hand nicht loslassen wollten. »Alle seid ihr gewachsen,« rief sie, »mein Krauskopf aber am meisten, der wird werden wie der Vater. Ein Landwirth, Franz.«

»Nein, ein Professor,« erwiederte der Knabe.

»Ach du armes Kind,« sagte Ilse.

Die Feldarbeiter verließen die Garben und eilten ihr entgegen, es gab viel zu grüßen und zu fragen: der Großknecht hielt seine Pferde an, das Sattelpferd, der Schimmel, rückte heftig mit dem Kopfe. »Er kennt Sie recht gut,« sagte der Knecht und klatschte lustig mit der Peitsche. Ilse ging in das Dorf und trug ihren Gruß zu den Toten und den Lebendigen, und als der kranke Benz sie endlich losgelassen hatte, rief er nach seiner Tafel und verfertigte mit zitternder Hand ein Freudengedicht. Bedächtiger wandelte die Frau Professorin durch den Hof. Vom Zuge der Mägde geleitet, schritt sie den Gang zwischen den Rindern entlang, trotz ihrem modischen Kleide der sagenhaften Frau Berchta ähnlich, welche Segen streuend durch Stall und Haus des Landmanns gleitet. Vor jedem gehörnten Haupte hielt sie an, die Kühe hoben die Mäuler zu ihr auf und brummten, bei jeder war eine wichtige Neuigkeit zu berichten. Die Mägde wiesen ihr stolz die angebundenen Kälber und baten um Namen für die erwachsenen Fersen; denn der Herr hatte befohlen, daß Ilse das Jungvieh mit Namen versehen sollte, und die Mägde freuten sich über die vornehmen Stadtnamen Kalypsoe und Xanthippe. – Alles vertraut und Alles wie sonst, und doch bei jedem Schritt Neues für Auge und Ohr.

Clara gab ihr Rechenschaft über die Wirthschaft; das Mädchen hatte sich trefflich gehalten, ihr Lob, welches die Mamsell und, was wichtiger war, die Großmagd in vertraulicher Unterredung erteilten, that Ilse sehr wohl, und sie sagte: »Jetzt erst bin ich ganz beruhigt, ich kann hier entbehrt werden.«

Gegen Abend suchte der Professor seine Frau, die seit Stunden verschwunden war. Er hörte den Lärm der Kinder am Bach, und dachte sich, wo Ilse jetzt sein müsse. Als er um den Stein der Höhle bog, sah er sie im Halbdunkel sitzen, das Auge nach dem Vaterhause gewandt. Er rief ihren Namen und streckte die Arme nach ihr aus, sie flog ihm an die Brust und sagte leise: »Ich weiß, daß an deinem Herzen meine Heimat ist; habe Nachsicht, wenn die alte Zeit mir jetzt mächtig wird.«

Am späten Abend, als der Vater den Professor in das Schlafzimmer führte und mit ihm noch Geschäfte und Politik besprach, schickte Ilse ihre Schwester Clara zu Bett und Sie setzte sich auf den Stuhl. Da der Vater hereinkam, das Licht vom Tische zu holen, fand er die Ilse wieder an ihrer alten Stelle zum Nachtgruß, und sie hielt ihm den Leuchter hin. Er setzte das Licht auf den Tisch, ging, wie er pflegte, vor ihr auf und ab und begann: »Du bist bleicher und ernster als du warst. Wird das vorübergehen?«

»Ich hoffe, es wird vorübergehen,« wiederholte die Tochter. – Nach einer Weile fuhr sie fort: »Man denkt über Vieles anders in der Stadt, und man glaubt anders, Vater.«

Der Vater nickte mit dem Kopf. »Das war's,« sagte er, »und deshalb habe ich um dich gesorgt.«

»Es wird mir unmöglich, schwere Gedanken los zu werden,« Sprach Ilse leise.

»Armes Kind,« rief der Landwirth, »dabei dir zu helfen, geht über meinen Verstand. Denn bei uns auf dem Lande ist es leicht, an Vatersorge zu glauben, wenn man über das Feld geht und sich des Wachsthums freut. Aber laß dir von einem Landmann ein vertrauliches Wort sagen. Es ist in allen Dingen auf Erden Bescheidenheit nöthig und Entsagung. Wir auf dem Lande sind nicht besser und gescheidter, weil wir wenig um das sorgen, was dem Menschen räthselhaft ist. Wir haben keine Zeit zu grübeln, das ist bequem, und wenn uns ein Gedanke erschreckt, hilft die Arbeit darüber weg. Aber manchmal kommt doch die Ungewißheit. Auch ich habe Tage gehabt, und ich habe sie noch, wo ich mir meinen Kopf zerbreche, obgleich ich weiß, daß ich nicht auf's Reine kommen kann; und deshalb suche ich mir jetzt solche Gedanken fern zu halten. Das ist Vorsicht, aber es ist nicht Tapferkeit. Du bist hineingesetzt in ein Leben, wo dir das Hören und Nachdenken unvermeidlich wird. Du mußt dich durchkämpfen, Ilse. Vergiß dazu zweierlei nicht. Die Menschen haben von je sehr verschieden angesehen, was ihnen nicht ganz verständlich war, und sie haben einander deshalb seit alter Zeit gehaßt und wie Kannibalen geschlachtet, nur weil Jeder gegen den Andern Recht haben wollte. Darin liegt eine Warnung. Aber Eines hat sich immer bewährt gegenüber dem Zweifel: seine Pflicht thun, alle Tage das Nächste thun, und im Uebrigen vertrauen, daß man nicht deshalb verloren ist, weil man Eines und das Andere denkt. Bist du der Liebe deines Mannes Sicher?«

»Ja,« versetzte Ilse.

»Und hast du eine aufrichtige Achtung vor dem, was er thut, für dich und für alle Andern?«

»Ja,« rief Ilse.

»Dann ist Alles in Ordnung,« sagte der Vater, »denn an seinen Früchten erkennen wir den Acker. Um das Uebrige grämen wir uns nicht heut, nicht in der Zukunft. Gib mir das Licht und geh zu deinem Mann. Gute Nacht, Frau Professorin.«


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