Gustav Freytag
Die Journalisten
Gustav Freytag

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Karl.

Karl. Herr Doctor Bolz!

Oberst. Ich bin für niemand mehr zu Hause.

Karl. Das habe ich dem Herrn auch gesagt, aber er bestand darauf, den Herrn Obersten zu sprechen, er komme in einer Ehrensache.

Oberst. Was? Oldendorf wird doch nicht so wahnsinnig sein – führ' ihn her!

Bolz.

Bolz (mit Haltung). Herr Oberst, ich komme, Ihnen eine Mittheilung zu machen, welche für die Ehre eines Dritten nothwendig ist.

Oberst. Ich bin darauf gefaßt und bitte Sie, dieselbe nicht zu lang auszudehnen.

Bolz. Nur so lang, als nöthig ist. Der Artikel in dem heutigen Abendblatt der Union, welcher Ihre Persönlichkeit bespricht, ist von mir geschrieben und von mir ohne Oldendorf's Wissen in die Zeitung gesetzt.

Oberst. Es ist mir kaum von Interesse zu wissen, wer den Artikel geschrieben hat.

Bolz (artig). Aber es ist mir von Wichtigkeit, Ihnen zu sagen, daß er nicht von Oldendorf ist und daß Oldendorf nichts davon gewußt hat. Mein Freund war in den letzten Wochen so sehr durch Trübes und Schmerzliches, das er selbst erleben mußte, in Anspruch genommen, daß er die Leitung des Blattes mir allein überließ. Für Alles, was in dieser letzten Zeit darin stand, bin ich allein verantwortlich.

Oberst. Und wozu machen Sie diese Eröffnung?

Bolz. Es wird Ihrem Scharfblick nicht entgehen, Herr Oberst, daß nach der Scene, welche heut zwischen Ihnen und meinem Freunde vorgefallen ist, Oldendorf als Mann von Ehre einen solchen Artikel weder schreiben, noch in seine Zeitung aufnehmen konnte.

Oberst. Wie so, mein Herr? In dem Artikel selbst habe ich nichts Unwürdiges gefunden.

Bolz. Der Artikel setzt meinen Freund in Ihren Augen dem Verdacht aus, als wolle er durch unwürdige Schmeichelei Ihre Theilnahme wieder gewinnen. Nichts liegt ihm ferner als ein solcher Weg. Sie, Herr Oberst, sind zu sehr Mann von Ehre, um selbst bei Ihrem Feinde eine gemeine Handlung natürlich zu finden.

Oberst. Sie haben Recht! – (bei Seite) Dieser Trotz ist unerträglich. – Ist Ihre Erklärung zu Ende?

Bolz. Sie ist es. Ich habe noch eine zweite beizufügen, daß ich selbst sehr bedaure, diesen Artikel geschrieben zu haben.

Oberst. Ich thue Ihnen wohl nicht Unrecht, wenn ich annehme, daß Sie schon Anderes geschrieben haben, was eher zu bedauern war.

Bolz (fortfahrend). Diesen Artikel ließ ich drucken, bevor ich von Ihrer letzten Unterredung mit Oldendorf Kenntniß hatte; (sehr artig) ich bedaure ihn deshalb, weil er nicht ganz wahr ist. Ich war zu schnell, als ich dem Publicum Ihre Persönlichkeit schilderte, das Bild entspricht wenigstens heut nicht mehr der Wirklichkeit, es ist geschmeichelt.

Oberst (ausbrechend). Nun, beim Teufel, das ist grob!

Bolz. Verzeihung, es ist nur wahr! Ich wünsche Sie zu überzeugen, daß auch ein Journalist bedauern kann, Unwahres geschrieben zu haben.

Oberst. Herr! – (bei Seite) Ich muß an mich halten, er behält sonst immer Recht. – Mein Herr Doctor, ich sehe, daß Sie ein gewandter Mann sind und Ihr Handwerk verstehen. Da Sie außerdem heut in der Stimmung scheinen, nur die Wahrheit zu reden, so ersuche ich Sie noch, mir zu sagen, ob Sie vielleicht auch die Demonstrationen geleitet haben, welche sich mir heut als Stimmen des Publicums darstellen.

Bolz (sich verneigend). Allerdings bin ich dabei nicht unthätig gewesen.

Oberst (ihm die Briefe hinhaltend, heftig). Haben Sie dies veranlaßt?

Bolz. Zum Theil, Herr Oberst. – Dies Gedicht ist der Herzenserguß eines ehrlichen Jungen, welcher in Ihnen den väterlichen Freund Oldendorf's und das Ideal eines ritterlichen Helden verehrt; ich habe ihm den Muth gemacht, Ihnen das Gedicht zu übersenden. Es war wenigstens gut gemeint. Der Poet mag sich ein anderes Ideal suchen. – Die Adresse kommt von Frauen und Mädchen, welche den Verein für Erziehung verwahrloster Kinder bilden. Der Verein zählt auch Fräulein Ida Berg unter seine Mitglieder, ich selbst habe den Damen diese Adresse verfaßt, sie ist von der Tochter des Weinhändlers Piepenbrink abgeschrieben.

Oberst. Ungefähr so habe ich diese Briefe beurtheilt. Es ist unnöthig zu fragen, ob Sie auch der Maschinist sind, welcher mir die Bürger hergeschickt hat.

Bolz. Wenigstens habe ich nicht abgerathen.

Von außen vierstimmiges Männer-Quartett.

    Hoch, hoch, hoch!
Es lebt ein Ritter hochgesinnt
In unsrer Mauern Bann,
Ihn segnet jedes Bürgerkind,
Den edlen, treuen Mann.
Wer Hilfe sucht in Noth und Leid,
Der ruft den Ritter werth,
Denn Liebe ist sein Waffenkleid,
Erbarmen heißt sein Schwert.
    Wir feiern heut mit Sang und Wort
    Ihn, aller Armen Schutz und Hort,
    Den Oberst, den Oberst,
    Den edlen Oberst Berg.

Oberst (klingelt nach den ersten Takten des Gesanges).

Karl.

Du wirst Niemand vorlassen, wenn du in meinem Dienst bleiben willst.

Karl (erschrocken). Herr Oberst, sie sind schon im Garten, eine große Gesellschaft, es ist die Liedertafel, die Anführer stehen bereits auf der Treppe.

Bolz (der das Fenster geöffnet). Sehr gut gesungen, Herr Oberst – Templer und Jüdin –. Es ist der beste Tenor unserer Stadt, und die Begleitung ist originell genug.

Oberst (bei Seite). Es ist zum Tollwerden! – Führe die Herren herein. (Karl ab; am Ende der Strophe:)

Fritz Kleinmichel, zwei andere Herren.

Fritz Kleinmichel. Herr Oberst, die hiesige Liedertafel bittet um die Erlaubniß, Ihnen einige Lieder singen zu dürfen. Hören Sie das kleine Ständchen als einen schwachen Ausdruck der allgemeinen Verehrung und Liebe freundlich an.

Oberst. Meine Herren, ich bedaure sehr, daß eine Erkrankung in meiner Familie mir wünschenswerth machen muß, Ihre künstlerischen Leistungen abgekürzt zu sehen. Ich danke Ihnen für die gute Meinung und ersuche Sie, Herrn Professor Oldendorf die Lieder zu singen, die Sie mir zugedacht haben.

Fritz Kleinmichel. Wir hielten es für Pflicht, zuerst Sie zu grüßen, bevor wir Ihren Freund aufsuchen. Um Kranke nicht zu stören, werden wir uns, wenn Sie erlauben, weiter vom Hause ab im Garten aufstellen.

Oberst. Thun Sie nach Ihrem Belieben. (Fritz Kleinmichel und die beiden Andern ab.) – Ist dieser Aufzug auch von Ihrer Erfindung?

Bolz. (sich verneigend). Wenigstens zum Theil! – Aber Sie sind zu gütig, Herr Oberst, wenn Sie alle diese Demonstrationen auf mich allein zurückführen; mein Antheil daran ist doch sehr gering. Ich habe nichts gethan, als die öffentliche Meinung ein wenig redigirt. Diese vielen Menschen sind keine Puppen, welche ein gewandter Puppenspieler an den Drähten umherziehen könnte. Alle diese Stimmen gehören tüchtigen und ehrenwerthen Personen an, und was sie Ihnen gesagt haben, das ist in der That die allgemeine Meinung der Stadt, das heißt, die Ueberzeugung der Besseren und Verständigen in der Stadt. Wäre sie es nicht, so hätte ich mich diesen braven Leuten gegenüber sehr vergeblich bemüht, auch nur einen von ihnen in Ihr Haus zu führen.

Oberst. Er hat wieder Recht, und ich habe immer Unrecht!

Bolz (sehr artig). Gestatten Sie mir noch die Erklärung, daß mir gegenwärtig auch diese zarten Aeußerungen der allgemeinen Achtung unpassend erscheinen, und daß ich den Antheil, welchen ich daran habe, höchlich bedaure. Wenigstens heut hat ein Freund Oldendorf's keine Veranlassung, Ihren ritterlichen Sinn oder Ihre Selbstverleugnung zu feiern.

Oberst (auf ihn zugehend). Mein Herr Doctor, Sie benutzen das Vorrecht Ihrer Zunft, rücksichtslos zu reden und Fremde zu beleidigen, in einer Weise, welche meine Geduld erschöpft. Sie sind in meinem Hause, und es ist eine gewöhnliche Rücksicht der gesellschaftlichen Klugheit, daß man das Hausrecht des Gegners respectirt.

Bolz (sich über einen Stuhl lehnend, gemüthlich). Wenn Sie damit sagen wollen, daß Ihnen das Recht zusteht, unangenehme Fremde aus Ihrem Hause zu entfernen, so war es unnöthig, mich daran zu erinnern; denn Sie haben heut schon einen Andern aus Ihrem Hause gewiesen, dem seine Liebe zu Ihnen ein größeres Recht gab hier zu sein, als ich habe.

Oberst. Herr, eine solche Dreistigkeit ist mir noch nicht vorgekommen.

Bolz (sich verneigend). Ich bin Journalist, Herr Oberst, und nehme nur das in Anspruch, was Sie soeben das Vorrecht meiner Zunft nannten.

Großer Marsch von Blasinstrumenten. Karl schnell herein.

Oberst (ihm entgegen). Verschließe das Gartenthor, Niemand soll herein. (Die Musik schweigt.)

Bolz (am Fenster). Sie sperren Ihre Freunde aus, diesmal bin ich unschuldig.

Karl. Ach, Herr Oberst, es ist zu spät. Hinten im Garten stehen die Sänger, und vorn kommt ein ungeheurer Zug vor das Haus, es ist Herr von Senden und die ganze Ressource. (Nach dem Hintergrund.)

Oberst. Herr, ich wünsche, daß die Unterredung zwischen uns ein Ende nehme.

Bolz (aus dem Fenster zurücksprechend). In Ihrer Lage, Herr Oberst, finde ich diesen Wunsch sehr natürlich. (wieder hinaussehend) Ein brillanter Aufzug, sie tragen alle Papierlaternen. Auf den Laternen sind Inschriften! – Außer den gewöhnlichen Devisen der Ressource sehe ich noch andere. – Daß dieser Bellmaus doch niemals zusieht, wo er der Zeitung nützlich sein könnte. (schnell eine Brieftasche vorziehend) Die Inschriften wollen wir schnell für die Zeitung notiren. (zurücksprechend) Verzeihen Sie! – Ach, das ist höchst merkwürdig: »Nieder mit unsern Feinden!« – und hier eine schwärzliche Laterne mit weißen Buchstaben: »Pereat die Union!« Alle Wetter! (zum Fenster hinausrufend) Guten Abend, meine Herren!

Oberst (zu ihm tretend). Herr, Sie sind des Teufels!

Bolz (sich schnell umdrehend). Es ist sehr gütig von Ihnen, Herr Oberst, daß Sie sich neben mir am Fenster zeigen. (Oberst tritt zurück.)

Senden (von unten). Was ist das für eine Stimme?

Bolz. Guten Abend, Herr von Senden! – Der Herr, welcher die braune Laterne mit der weißen Inschrift trägt, würde uns sehr verbinden, wenn er die Güte haben wollte, dem Herrn Oberst die Laterne einmal heraufzureichen. Blasen Sie Ihr Licht aus, Mann, und reichen Sie mir die Laterne. – So, ich danke Ihnen, Mann mit der geistreichen Devise. – (die Stocklaterne hereinholend) Hier, Herr Oberst, ist das Document der brüderlichen Gesinnung, welche Ihre Freunde gegen uns hegen. (Reißt die Laterne vom Stock) Die Laterne für Sie, der Stock für den Laternenträger. (Wirft den Stock zum Fenster hinaus.) Ich habe die Ehre mich zu empfehlen. (Wendet sich zum Abgang, begegnet Adelheid.)

Männderchor wieder nahe »Es lebt ein Ritter hochgeehrt«, einfallender Tusch, vielstimmiges: der Oberst Berg soll leben, hoch!

Adelheid.

Adelheid (von der Seite links während des Lärms eintretend). Ist denn heut die ganze Stadt in Aufruhr?

Bolz. Ich habe das Meine gethan, er ist halb bekehrt. Gute Nacht!

Oberst (die Laterne zu Boden werfend, wüthend). Zum Teufel mit allen Journalisten!

Männerchor, Senden, Blumenberg und viele andere Herren (im Zuge an der Gartenthür sichtbar; die Deputation tritt ein, Chor und Laternen gruppiren sich am Eingange).

Senden (mit lauter Stimme, bis der Vorhang am Boden ist). Herr Oberst, die Ressource gibt sich die Ehre, ihr hochverehrtes Mitglied zu begrüßen.

Der Vorhang fällt während der letzten Worte.


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