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9. Das Jahr der jungen Frau

Als die Vermählten am nächsten Morgen ins Freie traten, war die ganze Welt um sie gewandelt. Vom Himmel strahlte die Sonne, und warme Luft wehte sie grüßend an. Die langen Stacheln der wilden Rose am Wall, bisher das Kriegskleid der kahlen Zweige, waren durch unzählige Sträuße heller Blätter verdeckt, und draußen grünte und blühte Wiese und Wald. Anna hielt die Hand des Gatten fest und wollte sie nicht mehr loslassen, und da Wuz herzutrat, lachte sie den Zeugen ihres Gelübdes an und hielt sich noch fester an ihren Herrn, daß der Landsknecht etwas von der Seligkeit merkte und ihr zunickte: »Das ist recht.« Sobald sie auf das Feld kamen, stiegen die Lerchen von allen Seiten in die Luft, und wohin Anna den Schritt wandte, jubelten sie über ihrem Haupt. Wollte ja ein scheuer Vogel aus ihrem Wege fliegen, so sang diesem sein Gefährte zu: Die Federlosen fürchten wir nicht, sie bauen am Neste wie wir. Auch die brüllenden Landsknechte des Weihers, die Frösche, sahen schlau zu der jungen Frau empor, und ein alter Hauptmann dieses Volkes rief mit seiner quarrenden Stimme so deutlich: »Querkopf«, daß sie die Meinung verstand. An der Stelle, wo beide neulich die ersten Boten des Frühlings gehört hatten, breitete Georg seinen Mantel aus, sie lagerten unter dem jungen Laubdach, und die trunkenen Augen flogen über das glitzernde Wasser und den blühenden Grund. Das Weib lag an seiner Achsel, und er lachte und sang laut sein altes Lied: »Der Kuckuck hat sich zu Tod gefallen in einer alten Weiden«, und als er nach dem neuen Zeitvertreibe fragte, hielt ihm Anna den Mund zu und sang weiter, und sie zog und trillerte übermütig wie ein Vogel, schob sich an ihm empor, faßte mit beiden Händen in seine Locken und küßte ihn, bis er rief: »Töricht war Lips Eske, als er behauptete, Jungfer Anna sei zu einer Nonne geboren.«

Da entsprang sie, pflückte Blumen und grüne Zweige und wand zwei Kränze. »Für dich und mich,« sagte sie ernsthaft, »es sind unsere Brautkränze, und heut abend im Turm trägst du deinen und ich meinen. Ach, Ihr habt lange Geduld mit mir gehabt, lieber Junker.«

»Kommt heut abend der Vater,« sagte Georg, »so wird ihm der Festschmuck recht sein, denn er denkt daran, daß auch seine Römer Kränze aufsetzten, wenn sie froh waren.«

»Der liebe Vater bleibt von jetzt als Gast bei uns,« entschied Anna, »ich schaffe ihm neben uns im Schloß eine Kammer. Der Hauptmann wird sie mir nicht wehren.«

Aber am Abend kehrte der Landsknecht ohne den Vater zurück und brachte auch das Geld wieder. Der Magister war von den Polen gegen Gelöbnis nach Danzig gesandt, um dort dem Kastellan in einem Geschäft mit dem Rate zu dienen. »Die Kammer richte ich dennoch morgen für ihn ein,« sagte die Tochter, »damit er bei uns jederzeit gutes Gemach findet.«

»Ich aber lasse morgen eine Treppe nach dem Oberstock zimmern und verbrenne die feindselige Leiter«, rief Georg entschlossen.

»Das wird dem Hündlein Amor lieb sein,« antwortete Anna, »er hat mir seither Not genug gemacht, denn er wollte jeden Abend zu Euch herunter, und ich mußte ein Tuch über ihn decken, damit sein Winseln den Herrn nicht störte«; und ihre Wange an die seine legend, gestand sie schüchtern: »Ich habe zuweilen das Tuch über uns beide gedeckt, um uns festzuhalten.«

 

Von dem Jahre, welches der weissagende Vogel den Liebenden vergönnt hatte, vollendete sich ein Mond nach dem andern; gleich einer Mauer umschloß sie der dunkle Ring der Kiefernwälder am Horizont, und nur selten und undeutlich drang Kunde von der Außenwelt zu ihnen. Aber in der Bruderschaft verlorener Leute, welcher sie angehörten, bewährten sich beide als gute Helfer. Georg besserte, wie der Hauptmann ihm zugetraut hatte, an der Zucht des Fähnleins, einigemal durch hohen Ernst, den er gegen Missetäter bewies, immer durch sein frisches Wesen und geschickte Worte. Er bestand darauf, daß das rohe Beuten abgeschafft wurde und regelmäßige Lieferung durch die geplagten Landleute eingeführt, und er gewöhnte den Hauptmann daran, auch den Einwohnern, wenn sie einmal gröblich verletzt wurden, einiges Recht zu bewilligen. Sogar die Kanzlei des Hochmeisters half zu größerer Ordnung; von vielem rückständigen Solde wurde etwas auf Abschlag gezahlt, und Georg meinte, daß sein Vater dabei die Hand im Spiele habe. Wer aber ist das schöne Weib, welches so stolz und sicher wie eine Herrin zwischen den ruchlosen Söhnen der Fremde einhergeht? Ist es die scheue Anna, das Kind des Schulmeisters? Höher scheint ihr Wuchs und gebietender ihr Auge, ihre Wangen färbt wieder ein mildes Rot, und wer in den festen Zügen zu lesen versteht, der kann die frohe Sicherheit, welche ein großes Glück verleiht, darin erkennen.

Mit der Hauptmännin ging sie durch die Gassen der Stadt und antwortete gehalten auf Anreden der Großen und Kleinen; gerade vor ihr hatte sich wildes Getümmel erhoben, trunkene Knechte zankten und schrien nach Hilfe und Waffen. Die Hauptmännin hielt Anna zurück: »Peter Meffert tobt in dem Haufen. Ich rate Euch nicht, weiterzugehen.« »Können wir auf anderem Wege zu der Dirne gelangen?« fragte Anna.

»Wir müssen hier vorüber.« »Dann gehen wir.« Und sie sprach laut: »Gebt Raum für die Frauen, ihr freien Knechte.« Da traten die ersten zurück bis zu dem zornigen Peter, der mit seinem langen Degen um sich fuchtelte. Anna stand ihm gegenüber: »Laßt uns vorbei, Herr, wir gehen zu Eurer Jutta.«

»Geht zum Teufel, aber nicht über meine Schwelle«, rief der Landsknecht.

»Wir würden Euch mit dem unwillkommenen Besuch verschonen,« sagte Anna, »wenn Ihr selbst am Lager Eures kranken Mädchens säßet, statt hier auf der Gasse zu streiten: denn die Arme gebraucht Hilfe, damit Ihr sie nicht verliert, und sie hätte es wohl um Euch verdient, daß Ihr jetzt ein wenig um sie sorgt.« Er sah die Frau des Fähnrichs gehässig an, und die Waffe zuckte in seiner Hand, aber er hob sie nicht, und Anna schritt vorüber. In der Wohnung des Landsknechts warf sich die Kranke in Fieberhitze auf ihrem Lager. »Weicht von mir,« rief sie Anna zu, »denn Ihr seid uns feindlich, und Ihr bringt mir Unglück ins Haus.«

»Sind die Männer Gegner, warum sollen wir Frauen es sein? Läge ich einsam auf dem Krankenlager, würde ich Euch bitten, mir zu helfen.«

»So geht, Ihr Stolze, und holt meinem Herrn Bier in seinen Krug, denn wenn er nach Hause kommt und den Krug leer findet, schlägt er mich.« Während die Frau des Hauptmanns die Aufgeregte beschwichtigte und eine Arznei einflößte, füllte Anna den Krug am Brunnen mit Wasser und setzte ihn auf den Tisch, dann holte sie den kleinen Purzel aus der Ecke, welcher dort jämmerlich im Sude lag, setzte sich so, daß die Mutter ihre Arbeit nicht sah, wusch und strählte ihn und zog ihm ein reines Hemd und Röcklein an, die sie mitgebracht hatte. Die Türe ging auf, und Peter drang herein; er sah finster und verächtlich nach den Frauen, warf sich auf den Schemel und hob die Kanne. »Mord und Tod,« fluchte er, »wer hat den Gänsetrunk eingegossen?«

»Ich«, antwortete Anna ruhig, an dem Knaben beschäftigt. Er schüttete das Wasser auf den Boden. »Wie könnt Ihr wagen, an dem Kinde zu hantieren, es geht Euch nichts an«, rief er streitlustig.

»Die Mutter kann ihn nicht wahrnehmen, und Ihr wollt es nicht. In ihren gesunden Tagen hielt die Jutta darauf, daß der Knabe säuberlich einherging. Die Leute sollen nicht über Euren Sohn die Achsel zucken.«

»Ich aber leide nicht, daß das Kind trägt, was aus Euren Händen kommt; und soll ich Euch Gutes raten, so nehmt Eure Lappen mit Euch und weicht aus meinem Hause.«

»Es kann doch nicht nackend gehen«, wandte Anna ein, knüpfte dem schweigenden Purzel das Jäckchen zu und küßte ihn auf die Stirn. »Ist's Euch widerwärtig, daß der Kleine die Kleider behält, so laßt sie ihn wenigstens tragen, bis seine Mutter wieder bei Kräften ist, dann mögt Ihr den Kram wegtun. Und ich sage Euch, Herr, die Hauptmännin und ich lassen uns nicht durch Euren Trotz abweisen, wir kommen jeden Tag, um nach Eurer Kranken zu sehen; gefällt's Euch nicht, mit uns zusammen zu sein, so erlaubt uns die Stube, wenn Ihr nicht daheim seid. Und ich bitte Euch, werbt eine Wärterin aus dem Troß, oder laßt uns das tun, denn ihr Männer bleibt ungeduldige Pfleger.« Als sie sich erhob und mit der Alten das Zimmer verließ, saß Peter auf seinem Schemel und antwortete dem Gruße nicht. Draußen sagte die Frau des Hauptmanns: »Niemals hätte ich gedacht, daß die schüchterne Taube zu einer so dreisten Krähe werden könnte. Ihr seid gemacht, den Befehl über ein Fähnlein zu führen.« Anna aber sah sie verwundert an.

Als Jutta genesen war, lag des Morgens früh ein Bündel auf der Turmschwelle. Anna löste die Schnur und fand das Wams des kleinen Landsknechts darin und dabei einen Rock, der ihr selbst bei der Plünderung geraubt war.

Der Hochsommer kam; über dem dunklen Kranz der Wälder wölbte sich der blaue, lichtvolle Himmel wie eine Halbkugel von blauem Glase; unten in der Mitte des großen Glasberges stand der Turm, in welchen die jungen Gatten gezaubert waren, und oben stieg die liebe Sonne täglich auf und ab und warf ihre heißen Strahlen auf den Boden des umschlossenen Raumes. Dort blühte das Heidekraut und deckte die wilde Landschaft mit rötlichen Farben, und über dem Blütenmeer wallte und zitterte die heiße Luft. An einer Stelle, wo Wald und Heide zusammenstießen, hob sich ein kleiner runder Hügel, der einst als Grabmal eines alten Preußen oder Goten geschichtet war; auf ihm standen Eibenbäume, zwischen denen die Zeidler, die den wilden Honig sammelten, eine kunstlose Hütte errichtet hatten, an der Sonnenseite offen und gerade groß genug, um wenigen Wanderern kurzes Obdach zu geben. Dort pflegte Georg zu rasten, wenn er einmal die Fahne dem getreuen Wuz anvertraute und mit der Armbrust dem Wilde nachging, um seiner Hausfrau die Küche zu bessern. Heute hatte ihn Anna begleitet; die Jagdbeute lag bei den Waffen, und beide harrten, im Heidekraut gelagert, auf den Niedergang der Sonne und die kühle Abendluft. Es war ein wonniges Lager, über den roten Büscheln flatterten die Schmetterlinge, die Bienen trugen den Seim zu ihrem Baume; die Wachtel schlug, Feldhühner schwirrten in langen Ketten, und hoch oben am blauen Gewölbe zog der Adler seine Kreise. Da kam eine große Hummel an die sitzende Frau, umkreiste sie unablässig und brummte mit schwerem Fluge an ihrem Haupt. Georg wollte die Lästige fortscheuchen, aber Anna hielt ihm den Arm: »Sieh, wie schön sie ist, sie trägt stahlblaue Panzerringe um ihren Leib, und schwer wird ihr der Flug, denn sie birgt unter ihrer Rüstung den süßen Honig. Ich verstehe wohl, Gevatterin, was du mir summend verkündest. Willst du es wissen, Georg? Oh, komm näher zu mir, wenn ich an deinem Herzen liege, getraue ich mich dir's zu sagen.« Und sie sprach leise zu ihm nur wenige Worte, aber sein Gesicht erglühte in freudigem Schrecken, und wie sie da saß mit stolzem Lächeln, kniete er vor ihr nieder, bedeckte ihr die Hände mit Küssen und küßte das Gewand ihres Leibes. Dann hielt er sie in seinen Armen, und sie saßen aneinandergelehnt, während sich der Abendhimmel rötete und von wolkenloser Höhe ein ferner Donner klang.

Wieder vergingen Wochen, die dürftige Halmfrucht in der Nähe der Stadt war eingebracht mit Hilfe der Knechte, welche den besten Teil selbst zu genießen dachten. Über die Stoppeln zogen die kleinen Spinnen ihr silbergraues Gespinst, und die Tautropfen glänzten als flüssige Edelsteine darauf. Die Blätter der Birke und Eberesche färbten sich mit Gelb und Purpur, dem letzten Festschmuck zur Ehre des scheidenden Sommers. Anna stand mit dem Gemahl an der Stelle des Weihers, welche beide wohl kannten, und begann mit trübem Lächeln: »Deine Nachtigallen sind fortgeflogen«, und als er antwortete: »Nein, eine, die ich liebe, bleibt treu bei mir«, wandte sie sich ab und fragte: »Wie lange noch? Ein Jahr gestattet der Kuckuck für mein Glück, und die Hälfte ist vorüber.« Georg erschrak, daß sie noch an die vorlaute Frage aus dem Frühjahr dachte. Sie bog ihr Haupt dem seinen zu; da sah er, wie die Tränen aus ihren Augen rannen. »Selig war die Zeit, und wie ein Engel sorgte mein Junker für mich; o Georg, wie ist das Leben schön, und wie traurig ist es, von dem Liebsten zu scheiden.« Er hielt die Schwermütige still an seinem Herzen. Auch er dachte daran, wie hart der Winter für sein liebes Weib werden müsse und wie gefährdet die Zukunft sei. Noch anderes bedrängte ihn. Sein Vater selbst hatte ihm niemals geschrieben, nur durch Bernds Hand war ein Befehl an ihn gekommen, daß er bei der Fahne bleiben möge; von Anna aber stand nichts in dem Briefe.

Kürzer wurden die Tage und rauher das nächtliche Dunkel; der Herbststurm fuhr wild um die Mauern des Turmes, er drehte die Wetterfahne am Schlosse, daß sie ächzte, und polterte wie ein unseliger Geist an den Türen und Fensterläden. Da sorgten die Menschen um die nahe Winterzeit, auch Georg sammelte als Hauswirt Vorräte und half selbst die Holzscheite um den Turm zu einem Wall häufen, damit in dem Ofen, den die Kunst des Töpfers für sein Weib hergestellt hatte, die Wärme nicht fehle. Doch die Knechte dachten am liebsten darauf, den Gewinn des Sommers lustig zu verwenden, viele Tönnlein Bier wurden gewälzt, um die Feuerstätten dufteten die Braten, und in lärmender Gesellschaft verzehrten sie sorglos, was kluger Bedacht des Erwerbenden auf den ganzen Winter verteilt. Auch im Schloßhofe war jetzt täglich reges Leben und Geschrei. Und oft schritt Anna durch gedrängte Haufen. Aber Männer und Weiber gaben ihr ehrerbietig Raum, wo sie ging, die Augen der Frauen ruhten mit Teilnahme auf ihr, sogar die derbe Jutta unterbrach das Gezänk mit einer andern Dirne und schwieg, bis Anna vorüber war; die Kinder des Trosses standen verschüchtert zur Seite und wagten nicht mehr, sich an ihre Arme zu hängen wie ehedem, auch die Männer, welche sonst das schöne Weib mit dreistem Blick betrachtet hatten, wandten jetzt unwillkürlich die Augen ab, als ob ihnen nicht gezieme, eine Geweihte anzustarren. Und kam sie langsam mit schwerem Tritt die Stufen hinauf in das Turmgemach, dann rückte Georg ihr den Stuhl zurecht und legte das Federkissen herein, welches die Hauptmännin in mütterlichem Wohlwollen herzugetragen hatte. So saß sie eines Tages und hörte zu, wie Georg ihr lachend sagte: »Henner, die rastlose Dohle, welche nur auf Augenblicke herzufliegt, ritt heut ein und fragte ernsthaft, wie es dir gehe.« Und sie antwortete: »Sage ihm nur, ich bin bei dir.«

Da öffnete sich schnell die Turmtür, und der Magister trat herein. Mit einem Freudenschrei erhob sich Anna und ging dem Vater entgegen. Diesen aber übermannte die Bewegung, als er die Tochter sah, denn sie war anders, als er sie immer in seinen Gedanken geschaut hatte. Er setzte sich sogleich auf einen Schemel an der Tür und bedeckte die Augen mit der Hand. Doch nicht lange, so fuhr er empor, faßte Georg um den Leib und rief: »Ich habe unrecht, mein Sohn, sie gehört jetzt dir«, und darauf erst begrüßte er gerührt sein liebes Kind. Anna saß zwischen dem Vater und dem Gemahl, jeder hielt eine Hand, beide sprangen auf, sooft sie meinten, daß ihr etwas zu bringen sei, und der Magister lief ungeschickt um den Herd herum und trug das Kissen des Hündleins statt der Fußbank. Als Anna inmitten der beiden ausruhte, welche ihr die Liebsten auf der Erde waren, und wieder das Lachen und die lateinischen Reden des Vaters hörte, sagte sie in inniger Freude: »Heut bin ich glücklich.«

»Ach, du armes Kind,« antwortete der Magister und suchte vergebens nach seinem Sacktuch, »euer Schicksal ist ganz ohne Beispiel, und ich weiß niemanden, mit dem ich dich vergleichen könnte, es müßte denn die deutsche Fürstin Thusnelda sein.«

»Diese aber, Herr Vater, wurde von ihrem Hausherrn getrennt.«

»Richtig,« versetzte der Magister, »dies stimmt nicht, aber anderes stimmt.« Und er sprang wieder auf und trug ihr das flackernde Licht aus den Augen. Bald jedoch war er fröhlich dabei, von den eigenen Abenteuern zu erzählen, und lobte den Pan Stibor sehr: »Zuletzt hat er mich ohne Lösegeld entlassen, nachdem ich ihm beim Danziger Rate die Auszahlung eines Erbteils durchgesetzt, und ich bin völlig frei. Freier als ihr, arme Kinder. Doch dies ist ein Jahr der Gefangenschaft; nicht nur uns erging es so, auch ein Größerer, der unser aller Hoffnung war, sitzt, der Menschheit entzogen, in Haft. Die Danziger glaubten ihn in dem Kerker seiner Feinde, aber jüngst ist Botschaft gekommen, daß er irgendwo verborgen lebt. Und da es ihm besser ergangen ist, als wir wähnten, so hoffe ich jetzt auch für euch Günstiges.«

»Und Ihr bleibt bei uns, Herr Vater,« bat Anna, »seit dem Frühling steht Euer Gemach bereit.«

»Natürlich bleibe ich,« rief der Magister, »ich darf doch meinem lieben Kinde die Ruhe nicht mitnehmen. Aber nur bis morgen, denn hier herrscht, wie ich merke, das Geräusch des Lagers, und die Musen haben nicht viel Förderung zu erwarten. Es ist alles bedacht, ich finde Unterkunft in der ansehnlichen Stadt Elbing, und wenn ihr mich einmal begehrt, so kann ich jetzt, wo der Verkehr wieder eröffnet ist, leicht zu euch dringen.«

Trotz aller Bitten blieb der Magister fest, und er sagte beim Abschiede in seiner ehrlichen Weise den wahren Grund nicht der Tochter, aber seinem Schüler Regulus: »Auch die Kinder müssen zuweilen Nachsicht mit den Eltern üben. Du hast dir den Ring, den ich an meinem Finger trug, redlich verdient, ich lobe dich und ich segne dich; aber den Alten vexiert's, daß sein Kind nicht mehr ihm gehört, und er braucht Zeit, um das zu überwinden.«

Der harte Winter war gekommen. Das Himmelsdach umschloß schwarzgrau, wie ein ungeheures Kerkergewölbe, die Heide, den Turm und die beiden Gatten, nur am Morgen und Abend vermochte man an einem feurigen Scheine den Ort zu erkennen, in welchem die Wintersonne auf- und niederstieg. Über der weiten Ebene lastete tiefer Schnee, er glich nicht dem weißen Tuch, welches zum Schutz des schlummernden Lebens gebreitet ist; wie ein brandendes Meer war er von dem Sturmwind aus den Steppen des Ostens herangetrieben; langgestreckte Schneewellen hoben sich, soweit das Auge reichte, eine hinter der andern, und wie Wasserschaum der Wellen stoben weiße Wolken über dem Kamm der Schneehügel in die Luft, sanken in die Schneetäler, die der Wind eben erst gefegt, und erhoben neue Berge über den Grund. Hinter dem weißen Schneemeer aber ragte der schwarze Ring des Kiefernwaldes, auf welchen die Wolkendecke gemauert schien. Bei Tage kein Ton in der Luft als das Heulen des Windes, der Schrei eines Raubvogels und das Gekrächz eines Krähenschwarmes, welcher frohlockend der Stelle zuflog, wo ein Wild in den Schneehügeln verendet war. Auf wenige Stunden des dämmrigen Tageslichts folgte eine lange, bange Nacht, schwarz und sternlos, dann verstummten auch Adler und Krähen, nur die Wölfe heulten, und in dem fahlen Licht, welches die untergehende Sonne über den Schnee sandte, sah man die Herde der Hungrigen um die Mauern trotten, hinter denen die Menschen sich bargen. Dann läutete noch einmal die kleine Glocke der Stadt, zitternd und wehklagend war der Laut, ein Hilferuf gegen die Gewalten der Nacht, bis er unkräftig in wirbelndem Schnee und sausendem Wind verhallte; das Dach des Himmels wurde kohlschwarz, und die Erde begann gespenstig zu leuchten, ein matter bläulicher Schein glomm von dem Schnee herauf gegen die Finsternis der Luft, und eisige Kälte, der Todfeind des Lebens, fraß sich in das Holz der Bäume, bis der Kern zersprang, sie drang durch die Mauern und machte die Menschen beben, auch wenn sie sich mit dichtem Pelz geschützt hatten.

Einsam und preisgegeben dem Zorn des Winters stand das Lager der Landsknechte zwischen den Schneebergen, selbst der Mauergraben war zugeweht, und durch die flache Rinne zogen sich lange weiße Bänder der Windwehen bis zu den Zinnen herauf. Innerhalb der Mauern drängten sich die Menschen zusammen, wo eine Feuerstätte war oder ein Ofen, und die Knechte haderten und schlugen sich um den wärmsten Platz; jeden Tag liefen Weiber und Kinder mit den Äxten, sie scheuten die Mühe und fürchteten die Gefahr, Brennholz durch den tiefen Schnee aus dem Walde zu schleifen. Die Balken der geworfenen Scheuern waren längst verbrannt, jetzt zerhieben rotgeschwollene Hände den Dachstuhl, die Türen und Fenster der leeren Stadthäuser, ja sogar das Gebälk der Wohnungen, in denen die Knechte selbst herbergten, so daß der Schnee in das Innere wehte und durch die erwärmten Decken tropfte. Mehr als einmal krachte ein Haus zusammen, und mit Mühe entrannen die Bewohner dem Verderben, dennoch wurden die Sorglosen nicht vorsichtiger, scharrten nach kurzem Geschrei ihre Habseligkeiten aus den Trümmern und drängten sich in eine andere Wohnung; bis der Hauptmann einen Rat der alten Knechte berief und durch diesen ein Verbot ergehen ließ. Hans selbst mußte, obgleich ihm der kalte Winter den Fuß gelähmt hatte, schwerfällig mit seinem Stock durch die Straßen schreiten und das Gesindlein züchtigen, das er über verbotenem Holzschlage traf.

Draußen aber in der Wildnis glitt ein Schlitten die Schneehügel abwärts und wieder hinauf. Um den einsamen Führer Finsternis und Öde, hinter ihm das Geheul des Sturmes und das Bellen der jagenden Wölfe; ungeduldig peitschte er die müden Pferde und richtete sich auf, um in der Ferne den Lichtfunken zu erkennen, der aus dem Turmzimmer blinkte und zu dem ihn Sehnsucht und heiße Angst zogen. Es war Georg, der im Auftrage des Hauptmanns zu den Knechten auf das Dorf geschickt war, um ernste Händel mit den Polen zu vergleichen. Ungern war er ausgefahren, denn sein liebes Weib war erkrankt. Doch sie selbst hatte ihn lächelnd fortgetrieben mit gutem Trost. Den ganzen Tag hindurch verweilte er bei den Zänkern, jetzt schnürte dem Heimkehrenden die Angst das Herz zusammen, wie er sein Weib wiederfinden werde. Er sah das Licht, er unterschied die Umrisse des schwarzen Turmes und jagte in den Schloßhof mit heißen Wangen.

Als er in den Turm trat, vernahm er den Schrei einer Stimme, die bis dahin noch niemals in den Wänden des Turmes erklungen war; er sprang die Treppe hinauf, sein Weib ruhte auf dem Lager, und die Hauptmännin hielt ihm einen nackten Knaben entgegen. Es war sein neugeborner Sohn. Da schlug er die Hände zusammen und rief außer sich: »Herr, mein Gott!« Scheu und ehrfürchtig empfing er das Kind in seine Arme und sank an dem Lager seines Weibes nieder. »Halte die Hand über ihn und mich und flehe zu unserm Vater im Himmel, daß ich würdig werde, sein Wunder zu bewahren.«


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