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Eine Seele.

Flog zum Himmel eine junge Seele,
Leisen Fluges hob sie sich empor;
Fast ein Kind noch, rein und ohne Fehle,
Trat sie schüchtern durch das goldne Tor.

Und: »Sieh' da, das Kind des Patrioten!«
Irrt' ein Murmeln hier und dort im Nu.
Standen auf die besten deutschen Toten,
Schritten hastig auf die Tote zu.

Kam heran der edle starre Seume,
Mann der Freiheit und der Poesie;
Eilte Schiller durch die lichten Räume.
Hutten, Schubart – alle kamen sie.

Sahn sie an mit unverstellter Klage;
Boten Gruß ihr, warm und fest und schlicht;
Blickten stumm und ängstlich eine Frage
In das schmerzlich lächelnde Gesicht

Ach, sie senkt es, sah zur Erde nieder;
Zitternd stand sie, zitternd und geknickt:
Heiße Tränen sprangen durch die Lider,
Die des Vaters Hand – nicht zugedrückt!

Sieh', da zuckt' es in der Faust dem Seume;
Schubarts dunkle, breite Stirne schwoll;
»Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,«
Sagte Schiller bittern Zornes voll.

Aber Seume: »Mädchen, sei zufrieden!
Auch der Tod, du weißt es, kann befrei'n!
Laß sie Schlösser, laß sie Ketten schmieden –
Frei mit Freien wird dein Vater sein!

»Frei zu mir und diesen wird er treten,
Auch ein Toter für das Vaterland!
Auch ein Licht, zu dem in Sturmesnöten
Deutsche Männer heben Herz und Hand!

»O, wie stolz dann wird der Müde rasten!
Freilich – dann erst! Bete, daß er stirbt!
Bete, Kind! ich kenne die Dynasten,
Deren Willkür seine Kraft zermürbt!

»Ihn ins Enge, mich vordem ins Weite
Trieb derselbe finstre Herrscherstamm:
Sagten dir nicht eher schon die Leute,
Daß der Seume nach Neuschottland schwamm?

»Drum so fleh', daß bald mit grünen Spitzen
Gras der Lahn um einen Hügel kost!
Neben Hütten soll dein Vater sitzen –
Tochter Jordans, bet' und sei getrost!«

St. Goar. Februar 1844.


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