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Nachwort

Dem fruchtbaren Menschenalter nach den Befreiungskriegen, das uns jene Reihe der Meister lebenstreuer Schilderung von Otto Ludwig bis zu Keller und Fontane geschenkt hat, entstammt auch die Erzählerin Louise v. François. Sie wurde am 27. Juni 1817 in Herzberg an der Schwarzen Elster geboren und gehörte einem Hugenottengeschlecht an, das um 1660 aus der Normandie in Brandenburg einwanderte und zu seinen Gliedern den späteren Generalleutnant Karl v. François zählte, den seine abenteuerlichen Schicksale während der Franzosenzeit bekannt gemacht haben. Dessen älterer Bruder war Louisens Vater, ein schlichter Offizier, der nach dem Feldzug Bataillonskommandeur in Weißenfels und Herzberg war, aber im rüstigsten Mannesalter, noch nicht fünfzig, einem Magenleiden erlag und nach seinem Wunsch (wie Fräulein Muthchens Vater) ohne Sarg, nur mit seinem Soldatenmantel angetan, in die Erde gesenkt ward. Aus Weißenfels hatte er sich die zweite Frau geholt, eine Tochter aus der Tuchmacher- und Tuchhändlerfamilie Hohl, die, mit dem Kreisgerichtsrat Herbst wiedervermählt, seit 1822 im Hohlschen Stammhaus am Markt in Weißenfels wohnte.

Weißenfels ist Louisens eigentliche Heimat und späterhin mit den Licht- und Schattenseiten der Kleinstadt kaum verhüllter Schauplatz mancher ihrer Erzählungen. Hier kommt sie auch in erste Berührung mit Literatur und gesellschaftlichem Leben, denn in dem ehemaligen Residenzstädtchen hat der Schicksalsdramatiker Adolf Müllner – der Hofrat in unserer Novelle – sein Privattheater ins Leben gerufen und die weltkundige Romanschriftstellerin Fanny Tarnow ihre vielbesuchten Leseabende. An einem dieser Abende lernt Louise einen jungen Offizier kennen und lieben, aber der hoffnungsvoll geschlossene Bund wird wieder gelöst, als die Braut sich um ihr leichtfertig verwaltetes Erbe betrogen sieht und Klage führen muß, die, über Jahre hingeschleppt, schließlich abgewiesen wird. Sie folgt nun einer Aufforderung ihres verwitweten Oheims General Karl v. François nach Minden, schließt Freundschaft mit ihrer Base Clotilde (der nachmaligen Frau v. Schwartzkoppen) und den beiden schriftstellernden Damen v. Hohenhausen, Mutter und Tochter, die sie unablässig zu literarischer Tätigkeit ermuntern, und begleitet den verabschiedeten General auch nach Halberstadt und Potsdam, wo der Tod 1855 seiner bewegten Bahn ein Ziel setzt. Sie machte in jenen Jahren vor dem Beginn des eigenen Schaffens auf alle, die ihr begegneten, einen unvergeßlichen Eindruck durch große Schönheit und eine außergewöhnliche Belesenheit.

Jugenderlebnisse und Überlieferungen, zumal ihrer mütterlichen Vorfahren, angesiedelt in den ihr vertraut gewordenen Gegenden, geben seit ihren frühesten Versuchen mit der Feder das Gerüst ab für ihre Darstellung menschlicher Handlungen und Geschicke, die sie, nach Weißenfels zur Pflege ihrer dahinsiechenden Mutter und des erblindeten Stiefvaters zurückgekehrt, hauptsächlich unternimmt, um ihrer nichts weniger als glänzenden Tage aufzuhelfen. – »In einen einsamen Born, kühl und durchsichtig wie ein Kristall, da ist einmal ein Staubkorn gefallen, das Samenkorn einer Blüte, die niemand blühen sah. Lange, lange Jahre hat es auf dem Grunde geruht, und plötzlich treibt es verwandelt empor, und es trübt sich der klare Spiegel. Aber des Himmels Lichter brechen sich farbig in der verdunkelten Fläche; ein erster grüner Keim drängt über sie hinaus, bald ragt ein Blatt in die Höhe, bald eine blaue Blume von anlockendem Duft; es lebt und webt in dem einsamen Born, es ist Frühling in ihm und über ihm geworden, ringsumher Farbe und Würze, Vogelsang und wärmender Sonnenstrahl. Es klingt wie ein Märchen, was dem alten Born geschah.« Damit soll das Geheimnis ihrer »Letzten Reckenburgerin«: wie die versäumte Natur sich hilft, umschrieben sein, es trifft aber auch auf die Dichterin selbst zu und bezeichnet das Problem fast aller ihrer Werke, ihr Problem: die Stellung eines Einzelnen am Ende einer bisher nicht unterbrochenen Kette – das Fräulein v. François, dessen nächster Blutsverwandter ein unverehelicht gebliebener Bruder war, muß das an sich selbst immer wieder empfunden haben –, eine Stellung, die nun (über persönliche Erfahrung hinaus) den Helden oft in einen Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung führt. Aber zugleich wird der Weg zu einer neuen Entwicklung bereitet. Der Mensch, der wie Fräulein Muthchen durch eine Tat der Liebe die Last unverschuldeter Verhältnisse überwindet, verleugnet darum seine Vergangenheit nicht und bewährt nur nüchternen, unbeirrbaren Sinn.

Louisens erste Arbeiten wurden in den fünfziger Jahren meist im Cottaschen »Morgenblatt« gedruckt, größtenteils ohne Namenangabe; auch Plaudereien und Berichte aus Potsdam und aus der Provinz Sachsen schickte sie in die Welt. Manches ist nur als tüchtiger Unterhaltungsstoff anzusprechen, anderes gelangt hoffentlich noch zu der Geltung, die ihm gebührt; es sind abgerundete, wirklichkeitsfrohe, herzlich anmutende Bilder von echter Künstlerhand darunter. Der Tod des »Morgenblatt«-Herausgebers, Hermann Hauff, zerreißt die Verbindung mit dem Verlag Cotta. Ihr großer Roman »Die letzte Reckenburgerin« (Univ.-Bibl. Nr. 6436-39), der bereits angenommen war, tritt seine Irrfahrten bei Schriftleitern und Buchhändlern an, bis er 1870 in Jankes »Romanzeitung« und 1871 als Buch erscheint, ein Buch, das den Beifall eines Beurteilers wie Gustav Freytag findet, von gebildeten Liebhabern stets geschätzt worden ist und den Ruhm seiner Verfasserin besiegelt hat. – Der »Letzten Reckenburgerin« schließen sich 1872 und 1873 »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne«, 1877 die »Stufenjahre eines Glücklichen«, 1879 der köstliche, viel zu wenig gewürdigte »Katzenjunker« an.

Mit ihrer Hardine von Reckenburg ist Louise v. François häufig verglichen worden. Sie hat sich gesträubt, die gemeinsamen Züge anzuerkennen. Ihre Gestalten, besonders die weiblichen, strömen, wie es von Fräulein Muthchen heißt, ein kräftigendes Fluidum aus: voran die Reckenburgerin, dann die Mutter der Zwillingssöhne, Judith die Klubswirtin (in der gleichnamigen Novelle) – überall stößt man auf einen kräftigen Träger der Handlung. Die Nebenpersonen sind scharf gesehen, aber ohne Härte wiedergegeben, eher mit gutmütigem Humor, wie der Hausmeier. Das Ganze wird nicht selten in den Rahmen eines bedeutsamen Weltgeschehens gespannt und so zum historischen oder kulturhistorischen Roman erhoben. Der Zeit der Befreiungskriege hat Louise v. François ein beinahe wissenschaftliches Studium gewidmet und sie gern in ihren Dichtungen erneuert, so in unserer Erzählung. Gelegentlich wird weiter zurückgegriffen, gelegentlich die Begebenheit in die Gegenwart verlegt, deren politische und geistige Bewegungen hereinspielen. Die rote Erde Westfalens, der Dom von Halberstadt stehen neben den Landschaften und Städten, in denen wir die Örtlichkeiten von Louisens sächsisch-thüringischer Heimat, soweit sie nicht benannt werden, meist unschwer erkennen. Die Heimat selbst kommt mit Sitte und Brauch und in mundartlicher Rede ausgiebig zu Wort.

Mit ihrer Kunst, die nach Stoffwahl und Gesinnungsgehalt mit der ihrer Zeitgenossen gleichläuft, gewann Louise v. François im Alter noch zwei namhafte Freunde, Bewunderer ihres Meisterwerks: Marie v. Ebner-Eschenbach und Conrad Ferdinand Meyer, denen die Art der Norddeutschen Verehrung und Zustimmung abnötigte. Sie hielt den Zusammenhang mit der literarischen Welt von ihrer Weißenfelser Einsamkeit aus mit gut beratenem Geschmack aufrecht. Von allerlei Leiden gequält, starb sie am 25. September 1903.

Dr. Hermann Hoßfeld.


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