Theodor Fontane
Von Zwanzig bis Dreißig
Theodor Fontane

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Siebentes Kapitel

Wie das so geht. Rekonvaleszenz und vergnügte Tage. Dreivierteljahr in Dresden (bei Struve). Rückkehr nach Leipzig. Allerlei Pläne. Militärjahr in Sicht

All das in dem vorstehenden Kapitel Erzählte hatte sich um Ostern sechsunddreißig zugetragen; ich war damals sechzehn Jahr.

Jetzt – in Leipzig – schrieben wir Ostern zweiundvierzig, und wenn ich damals in Berlin deprimiert und wehleidig das Haus Onkel Augusts verlassen hatte, so zog ich jetzt in gehobener Stimmung und voll Hoffnung, meinen als Gelenkrheumatismus auftretenden Nervenfieberrest endlich rasch loszuwerden, aufs neue bei meinem ehemaligen Pensionsvater ein, bei meinem Onkel August also, der bald nach seiner Berliner Scheiterung, wie hier nachträglich zur Situationserklärung bemerkt werden mag, einen Unterschlupf in der bekannten Leipziger Kunsthandlung von Pietro del Vecchio gefunden hatte. »Voll Hoffnung und in gehobener Stimmung«, sag' ich, was nach allem, was ich vor gerade sechs Jahren in der Großen Hamburger Straße miterlebt hatte, vielleicht wundernehmen könnte. Davon war aber gar keine Rede. Daß damals in meiner Berliner Pension nicht alles gestimmt hatte, das hatte freilich an jenem denkwürdigen Tage, wo der Major mit den unmutig sich hin und her bewegenden Kantillen aufgetreten war, nur allzu deutlich zu mir gesprochen. Aber das war nun schon wieder so lange her.

Und dann, des weiteren, was stimmte damals?!

Ich war unter Verhältnissen großgezogen, in denen überhaupt nie was stimmte. Sonderbare Geschäftsführungen und dementsprechende Geldverhältnisse waren an der Tagesordnung. In der Stadt, in der ich meine Knabenjahre verbracht hatte – Swinemünde –, trank man fleißig Rotwein und fiel aus einem Bankrutt in den anderen, und in unsrem eignen Hause, wiewohl uns Katastrophen erspart blieben, wurde die Sache gemütlich mitgemacht, und mein Vater, um seinen eigenen Lieblingsausdruck zu gebrauchen, kam aus der »Bredouille« nicht heraus. Trotz alles jetzt herrschenden Schwindels möcht' ich doch sagen dürfen: die Lebensweise des mittelguten Durchschnittsmenschen ist seitdem um ein gut Teil solider geworden. Reell und unreell hat sich strenger geschieden. Alles in allem hatte ich, wenn ich von meiner Mutter – die aber ganz als Ausnahme dastand – absehe, so wenig geordnete Zustände gesehn, daß mir die Vorgänge mit Onkel August, sosehr sie mich momentan erschüttert hatten, unmöglich einen besonderen moralischen Degout, am wenigsten aber einen nachhaltigen, hätten einflößen können. Meine jetzt grenzenlose Verachtung solcher elenden Wirtschaft trägt leider ein ziemlich verspätetes Datum.

So zog ich denn um Ostern zweiundvierzig aufs neue bei meinem Onkel August ein und war kreuzvergnügt – man vergißt gern, was einem nicht paßt –, wieder so gute Tage leben und an soviel Heiterkeit teilnehmen zu können. Ganz so wie damals, wo Figaro durch die Armbeuge sprang. Onkel August, völlig unverändert, sammelte nach wie vor Witze, konnte gut sächsisch sprechen und saß bei Bonorand und Kintschy, wie er früher »bei Liesens« gesessen und sein Spielchen gemacht hatte. Wir gingen in den Großen und Kleinen Kuchengarten, aßen in einem reizenden, nach Lindenau hin gelegenen Vergnügungslokal allerliebste kleine Koteletts und ein Gemüsegericht dazu, das, glaub' ich, »Neunerlei« hieß und als eine Leipziger Spezialität galt, oder saßen auch wohl in Gohlis mit dem Schauspieler Baudius zusammen – wenn ich nicht irre: Adoptivvater der Frau Wilbrandt-Baudius –, einem trefflichen Künstler und geistvollen alten Herrn. Es waren sehr angenehme Wochen. Ich erholte mich bei diesem flotten Leben sehr rasch, konnte bald wieder laufen und springen, und so kam es denn, daß wir alle drei, der Onkel, die Tante und ich, eine Fahrt in die Sächsische Schweiz verabredeten und auch machten. Es war entzückend, kannt' ich doch nichts als Kreuzberg und Windmühlenberg und hatte deshalb von der Bastei mehr als später von Grindelwald und Rigi. Natürlich waren wir auch einen Tag in Dresden, aber ich sah mir von den dortigen Herrlichkeiten nichts an, weil es nach einer kurz vor Antritt dieser kleinen Reise geführten Korrespondenz für mich feststand, daß ich am ersten Juli nach Dresden gehn und in die dortige Struvesche Apotheke eintreten würde.

Dieser Eintritt erfolgte denn auch und wurde von mir wie Gewinn des Großen Loses angesehen. Nicht ganz mit Unrecht. Struve galt für absolute Nummer eins in Deutschland, ich möchte fast sagen in der Welt, und verdiente diesen Ruf auch. Ich verbrachte da ein glückliches Jahr, wenn auch nicht ganz so vergnüglich wie das in Leipzig. Es war alles vornehmer, aber zugleich auch steifer. In einzelnes mich hier einzulassen – ich habe diesen Dingen vielleicht schon zuviel Raum eingeräumt – verbietet sich, und nur von zwei Nebensächlichkeiten möcht' ich hier noch kurz erzählen dürfen.

Der Eingangstür gegenüber, im Hintergrunde der Apotheke, befand sich ein sogenannter Rezeptiertisch, auf den sich – zumal in Sommerzeiten, wenn alles weit aufstand – der Blick aller Vorübergehenden ganz unwillkürlich richtete. Das mußte so sein. Hier standen nämlich, wie Tempelwächter, zwei schöne, junge Männer, ein Lüneburger und ein Stuttgarter, also Welfe und Schwabe, weshalb wir den Tisch denn auch den »Guelfen- und Ghibellinentisch« nannten. Beide junge Leute vertrugen sich so gut miteinander, wie das zwischen Rivalen an Schönheit und Eleganz nur irgendwie möglich war. In Schönheit siegte der Welfe, ein typischer Niedersachse mit einem mächtigen rotblonden Sappeurbart, an Eleganz aber stand er hinter dem Ghibellinen erheblich zurück. Dieser war nämlich, ehe er nach Dresden kam, ein Jahr lang in Paris gewesen, eigentlich nur zu dem Zwecke, sich in allem, was Kleidung anging, auf eine wirkliche Situationshöhe zu heben. Das war ihm denn auch gelungen. Ich hörte nicht auf, ihn darüber zu necken, was er sich gutmütig gefallen ließ, aber doch auch mit einem nur zu berechtigten Schmunzeln der Superiorität, denn was umgekehrt meine Garderobe betraf, so stammte sie zu drei Vierteln aus dem damals von meinen Eltern bewohnten großen Oderbruchdorfe, darin es statt Dusantoyscher Leistungen nur lange, dunkelblaue Bauernröcke gab. Ich konnte mit meinem Aufzuge, selbst wenn ich bloß schneiderliche Durchschnittskollegen gehabt hätte, nur ganz notdürftig passieren und mußte nun, meine Minderwertigkeit zu steigern, auch just noch diesen mich totmachenden falschen Pariser in nächster Nähe haben. Übrigens hatten beide Kollegen, gute Kerle, wie sie sonst waren, außer Sappeurbart und Rockschnitt herzlich wenig zu bedeuten, und wenn man an ihnen die damals noch ganz aufrichtig von mir geglaubte Stammesüberlegenheit der Niedersachsen und Schwaben hätte demonstrieren wollen, so wäre wohl auch der parteiischste Guelfen- und Ghibellinenbewunderer in einige Verlegenheit gekommen.

Und nun noch ein zweites Geschichtchen aus jenen Tagen.

Der Sommer 42 war sehr heiß, und weil Struve eben Struve war, so hatten wir natürlich so was wie freie Verfügung über die Struveschen Mineralwässer oder bildeten uns wenigstens ein, diese freie Verfügung zu haben. Selterser, Biliner usw. – alles mußte herhalten und wurde täglich vertilgt – unter reichlicher Zutat von Himbeer- und Erdbeer- oder gar von Berberitzensaft, den wir als eine besondere Delikatesse herausgeprobt hatten. Eines Tages beschlossen wir, so wenigstens in Bausch und Bogen herauszurechnen, wie hoch sich wohl all das belaufen möchte, was von uns sechs Gehülfen und drei Lehrlingen im Laufe des Jahres an Fruchtsaft und Mineralwasser ausgetrunken würde. Die Summe war ein kleines Vermögen. Wir empfanden aber durchaus keine Reue darüber, lachten vielmehr bloß und sagten: »Ja, nach Apothekertaxe.«

 

Die vorgesetzte Zeit verging, die Dresdner Tage waren um, und wir schrieben Sommer 43. Ich kehrte nach Leipzig zurück und machte daselbst, nicht bloß durch Dichterfreunde, sondern, was mehr sagen will, auch durch einen zahlungskräftigen Verleger dazu bestimmt, einen ersten ganz ernsthaften Versuch, mich als Schriftsteller zu etablieren. Ich hatte nämlich verschiedene Skripta von Dresden her mitgebracht – war ich doch in meinen Mußestunden daselbst sehr fleißig gewesen – und hoffte nun, mit einer Auswahl der in Spenserstrophe geschriebenen Dichtungen eines in den vierziger Jahren in England sehr gefeierten Anti-Cornlaw-Rhymers – Mr. Nicolls – mich achtunggebietend in die Literatur einführen zu können. Der Verleger aber schien gerade diesen Spenserstrophen, die mir so sauer geworden waren, ein besonderes Mißtrauen entgegenzubringen und sprang plötzlich wieder ab, so daß mir, nach Aufzehrung meiner kleinen Ersparnisse, nichts anderes übrigblieb, als in das Haus meiner Eltern zurückzukehren. Hier kam ich auf die tolle Idee, meine Schulstudien wieder aufzunehmen, um nach absolviertem Examen irgendwas zu studieren. Am liebsten Geschichte. Voll Eifers ging ich dann auch auf Latein und Griechisch aufs neue los, und wer weiß, wieviel Müh' und Arbeit – denn es wäre schließlich doch nichts geworden – ich damit vergeudet hätte, wenn ich nicht durch mein Militärjahr, das abzumachen höchste Zeit war, davor bewahrt geblieben wäre. Schon im Oktober, als ich von Leipzig nach Hause zurückreiste, hatte ich mich in Berlin beim Franz-Regiment gemeldet, und Ostern 44 war zu meinem Eintritt bestimmt worden. Dieser Termin war jetzt vor der Tür. Ich warf also Horaz und Livius, womit ich mich – nur dann und wann an Macbeth und Hamlet mich aufrichtend – ein halbes Jahr lang gequält hatte, froh an die Wand und machte mich nach Berlin hin auf den Weg, um bei dem vorgenannten Regiment mein Dienstjahr zu absolvieren.


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