Theodor Fontane
Unwiederbringlich
Theodor Fontane

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Und was Holk geträumt, es erfüllte sich oder schien sich doch erfüllen zu wollen.

Johannistag war, und ein sonniger, blauer Himmel stand über ganz Angeln, am sonnigsten aber über Schloß Holkenäs. Wagen in langer Reihe hielten an den Treib- und Gartenhäusern hin, und das Holksche Wappen über dem Portale trug einen Efeukranz, in den weiße und rote Rosen eingeflochten waren. Arne hatte Myrte gewollt, aber Christine war dabei geblieben, daß es Efeu sein solle.

Und nun schlug es zwölf von Holkeby her, und kaum daß die zwölf Hammerschläge verklungen waren, so kam auch schon ein allmähliches Schwingen in die mächtige, jetzt von zwei Männern gezogene Glocke, die nun weit ins Land hinein verkündete, daß die Feier, zu der sich alle befreundeten Familien von nah und fern her versammelt hatten, ihren Anfang nehme. So war es denn auch, und nicht lange mehr, so öffnete sich die hohe nach dem Park hinausführende Glastür, und wer von Neugierigen, und ihrer waren viele, draußen zwischen den Gartenbeeten einen guten Stand genommen hatte, der sah jetzt, wie sich drinnen im Saal alles zu einem Zuge ordnete, an dessen Spitze zunächst Holk und Christine erschienen, die Gräfin in weißem Atlas und einem Orangeblütenkranz im Haar, von dem ein Schleier niederhing. Hinter dem Paare, das nun wie zu neuem Ehebunde den Segen der Kirche empfangen sollte, schritten Asta und Axel, dann Arne, der die ältere Gräfin Brockdorff, und dann Schwarzkoppen, der die Dobschütz führte, viele andere mit ihnen, und zuletzt alle die, die gebeten hatten, der Feier im Festzuge beiwohnen zu dürfen, und deren Teilnahme, weil es Fernerstehende waren, die Herzen der wieder zu Trauenden besonders beglückt hatte. Dienerschaften schlossen sich an, und als der Zug, der sich auf Holkeby zu in Bewegung setzte, den zwischen den Tannen des Parks hinlaufenden Kiesweg passiert hatte, trat man in ein Spalier ein, das die Holkebyer Bauerntöchter samt den Mädchen aus den Nachbardörfern gebildet hatten. Alle hielten Körbe in den Händen und streuten Blumen über den Weg, einige aber, die dem Ansturm ihrer Gefühle nicht wehren konnten, warfen die Körbe beiseite und drängten sich an Christine heran, um ihr die Hand oder auch nur den Saum des Kleides zu küssen. »Sie machen eine Heilige aus mir«, sagte die Gräfin und suchte zu lächeln; aber Holk, dem sie diese Worte zugeflüstert hatte, sah wohl, daß ihr dies alles mehr Pein als Freude schuf, und daß sie, wie das in ihrer Natur lag, ängstlich schmerzliche Betrachtungen oder vielleicht selbst trübe Zukunftsgedanken an dies Übermaß von Huldigung knüpfte. Das volle Leben um sie her indes entriß sie dem wieder, und als sie jetzt deutlich hörte, daß der Glocken immer mehr wurden und daß es klang, als ob alle Kirchen im Angliter Lande das seltene Versöhnungsfest mitfeiern wollten, da fiel, auf Augenblicke wenigstens, alles Trübe von ihr ab, und ihr Herz ging auf in dem Klange, der gen Himmel stieg.

Und nun waren sie bis an die niedrige Kirchhofsmauer gekommen, an der entlang, wie damals, wo Asta und Elisabeth hier gesessen hatten, wieder hohe Nesseln standen und zerschnittene Stämme hoch aufgeschichtet lagen, und als die vordersten daran vorüber waren, bog der Zug in das Portal ein und bewegte sich, zwischen Gräbern hin, auf die Kirche zu, die weit aufstand und einen freien Blick auf den erleuchteten Altar am Ende des Mittelganges gestattete.

Da stand Petersen.

Er war hinfällig gewesen all die Zeit über, und zu der Last seiner Jahre war schließlich auch noch die Last schwerer Krankheit gekommen. Als er aber vernommen hatte, daß ›Schwarzkoppen, wenn Petersen bis Johannistag nicht wieder genesen sei, die Traurede halten solle‹, da war er wieder gesund geworden und hatte denen, die zur Vorsicht und Schonung mahnen wollten, beteuert, daß er, und wenn's vom Sterbebette aus wäre, seine geliebte Christine wieder zum Glück führen müsse. Das hat alle Welt gerührt, ihm aber die Kraft seiner besten Jahre wiedergegeben, und da stand er nun so grad und aufrecht wie vor neunzehn Jahren, als er, auch an einem Johannistage, die Hände beider ineinander gelegt hatte.

Gesang hatte begonnen im selben Augenblicke, wo der Zug in den Mittelgang eintrat, und als das Singen nun schwieg, nahm Petersen zu einer kurzen Rede das Wort, alles Persönliche vermeidend, am meisten aber jeden Hinweis auf den ›Ungerechten, über den mehr Freude sei im Himmel als über hundert Gerechte‹.

Statt dessen rief er in einem schlichten, aber gerade dadurch alle Versammelten tief ergreifenden Gebet die Gnade des Himmels auf die Wiedervereinten herab und sprach alsdann den Segen.

Und nun fiel die Orgel ein, und die Glocke draußen hob wieder an, und der lange Zug der Trauzeugen nahm jetzt den Rückweg dicht am Strande hin und stieg, als man den zur Dampfschiff-Anlegestelle führenden Brettersteg erreicht hatte, links einbiegend die Terrasse nach Schloß Holkenäs hinauf.

Da war die hochzeitliche Tafel unter der vorderen Halle gedeckt, derart, daß alle Gäste den Blick auf das Meer hin frei hatten, und als der Augenblick nun gekommen war, wo, wenn nicht ein Toast, so doch ein kurzes Festeswort gesprochen werden mußte, erhob sich Arne von seinem Platz und sagte, während er sich gegen Schwester und Schwager verneigte: »Auf das Glück von Holkenäs.«

Alle waren eigentümlich von den beinah schwermütig klingenden Worten berührt, und die, die dem Bräutigam zunächst saßen, stießen leise mit ihm an.

Aber eine rechte Freude wollte nicht laut werden, und jedem Anwesenden kam ein banges Gefühl davon, daß man das ›Glück von Holkenäs‹, wenn es überhaupt da war, nur heute noch in Händen hielt, um es vielleicht morgen schon zu begraben.

 


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