Theodor Fontane
Die Poggenpuhls
Theodor Fontane

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Fünftes Kapitel

Leo war es zufrieden, denn er hatte wirklich Hunger. Die Entenleber zu Mittag war nicht viel gewesen und die Tasse Schokolade bei Helms noch weniger.

Er ging also hinaus und traf Friederike, die vor einer Küchenlampe saß und, ein an den Fuß der Lampe gestelltes Tintenfaß dicht vor sich, in ihrem Wirtschaftsbuch aufschrieb. Der aus Holz geschnitzte Federhalter, den sie nachsinnend zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, war noch ganz neu (wohl ein Weihnachtsgeschenk) und schloß nach oben hin mit einem Adler ab, der aber auch eine Taube sein konnte. Soviel sich bei dem herrschenden Halbdunkel erkennen ließ, war in der Küche rundum alles in guter Ordnung und Sauberkeit, wenn auch nicht gerade blitzblank; blitzblank war nur der in seinem Kochloch stehende Teekessel, dessen Tüllendeckel beständig klapperte. Denn immer kochendes Wasser zur Verfügung zu haben war ein eigentümlicher, zugleich klug erwogener Luxus der Poggenpuhlschen Familie, die sich dadurch in Stand gesetzt sah, jederzeit eine bescheidene Gastlichkeit üben zu können. Diese betätigte sich dann in verschiedenem. Obenan, fast schon als Spezialität, stand eine mit Hilfe von gerösteten Semmelscheiben und einer Muskatnußprise rasch herzustellende Kraftbrühe von französischen Namen, in deren Anfertigung jeder einzelne so sehr exzellierte, daß selbst Flora, wenn sie abends zu einer Plauderstunde mit herankam, unter freundlicher Ablehnung von »Aufschnitt« und dergleichen, darum zu bitten pflegte. Was auch klug war.

"Ja, Friederike«, sagte jetzt Leo, als er, einen Küchenstuhl heranrückend, sich über die Lehne desselben beugte, »Mama schickt mich zu dir und hat sogar von Abendbrot gesprochen. Wie steht es eigentlich damit? Ich habe Hunger und danke Gott für alles. Und dir auch.«

»Ja, junger Herr, viel is es nich.«

»Na, was denn?«

»Nun, eine Boulette von gestern mittag und ein paar eingelegte Heringe mit Dill und Gurkenscheiben. Und dann noch ein Edamer. Aber von dem Edamer is bloß noch sehr wenig. Und dann kann ich Ihnen vielleicht noch einen Tee aufgießen. Das Wasser bullert ja noch.«

»Nein, Friederike, Tee nicht. Was soll man damit? Aber das andre ist gut, und ich werde gleich hier bleiben, gleich hier in der Küche. Mama ist müd und angegriffen, und du kannst mir dann auch was von den Mädchen erzählen. Sie schreiben mir immer, Manon immer vier Seiten, aber es steht nicht viel drin. Wie geht es denn eigentlich?«

»Ja, junger Herr, wie soll es gehn? Fräulein Therese, na, da wissen Sie ja Bescheid;... aber ich will am Ende nichts gesagt haben. Und dann Sophiechen. Nu, das Sophiechen ist ein Prachtstück. Und Manonchen ist immer fidel, das muß wahr sein.«

»Und hält es mit den reichen Bankiers, und das ist auch klug und weise. Bankiers, das sind eigentlich die einzigen Menschen, mit denen man umgehen sollte, bloß schade, daß sie fast alle vom Alten Bund sind.«

»Ja, junger Herr, so is es, und ich hab es ihr auch schon gesagt; aber da sagte sie: ›Ja, Friederike, wenn man so was will, dann darf man nicht viel aussuchen, dann muß man's nehmen, wie's fällt.‹«

»Sehr vernünftig, ein kluges Mädchen; gefällt mir außerordentlich und ist mir auch ganz recht. Ich bin nämlich auch so 'n bißchen mit drin, hab auch angebändelt, schöne schwarze Person, Taille so, und Augen, na, Friederike, ich sag dir, Augen, die reinen Mandelaugen und eigentlich alles schon wie Harem. Kennst du Harem?«

»Natürlich kenn ich Harem. Das is das, wo die Türken ihre Frauen drin haben und keine Fenster als bloß ganz kleine Löcher, wo sie nur mal heimlich rausgucken können.«

»Richtig. Und so wie bei den Türken oder doch beinahe so, so sieht meine auch aus.«

»Aber wird es denn gehen, junger Herr? Wird es denn die Familie zugeben?«

»Welche? Meine oder ihre?«

»Nu, ich meine die Poggenpuhls.«

»Das ist mir egal, Friederike. Und dann... sieh, so dumm sind die Poggenpuhls auch nicht, wenn es nur recht viel ist, sind sie ganz zufrieden und geben alles zu.«

»Is es denn viel?«

»Ja, das weiß ich selber noch nicht. Und dann sind diese Orientalen so gräßlich vorsichtig und machen immer Ehekontrakte, wo man nichts kriegt, wenn man nicht gleich ein halbes Dutzend herzaubert. Und so schnell geht es doch nicht.«

»Ach, Leochen, Sie werden schon...«

»Ja, Friederike, das sagst du so; die Spiele der Natur sind aber merkwürdig, und wenn dann welche geboren werden, kleine, reizende Engelchen, denn wenn sie ganz klein sind, sind sie immer Engelchen, dann sterben sie, und sieh, dann sitzt man wieder da und hat alle Mühe umsonst gehabt.«

»Ja, ja, so was kommt vor. Na, aber sind Sie denn schon eins miteinander?«

»I Gott bewahre, sie weiß eigentlich kein Sterbenswort, und ich sage das auch bloß alles so, weil einem immer das Messer an der Kehle sitzt, und da malt man sich denn so was aus und tröstet sich und denkt, ›mal wirst du doch wohl rauskommen aus all dem Elend‹... Aber Friederike, du könntest mir doch eigentlich einen Tee machen, das heißt, wenn noch ein bißchen Rum da ist.«

»Nein, Leochen, Rum is nich mehr da; bloß noch ein Gilka.«

»Hm, das paßt eigentlich nicht recht. Aber am Ende, warum nicht? Eintun kann ich ihn freilich nicht, aber so nebenher ist er ganz gut zu brauchen. Und nach dem Hering ist mir doch so 'n bißchen durstig geworden. Und was ich dir von der schönen schwarzen Jüdin gesagt habe, drüber mußt du reinen Mund halten und darfst davon nicht sprechen, nicht zu Mutter und auch nicht zu den Schwestern, wenigstens nicht zu Therese. Zu Manon kannst du schon eher etwas sagen, die ist ja schon so gut wie mit dabei, mit ihren ewigen Bartensteins, wo sie mich auch immer hin haben will. Der Alte soll übrigens sehr reich sein, und ich weiß auch noch nicht, was ich tue. Man ist dann mit einemmal raus, und das ist doch die Hauptsache. Wenn es aber nichts wird, na, dann, Friederike, dann müssen die Schwarzen ran, das heißt die richtigen Schwarzen, die wirklichen, dann muß ich nach Afrika.«

»Gott, Leochen! Davon hab ich ja gerade dieser Tage gelesen. Du meine Güte, die machen ja alles tot und schneiden uns armen Christenmenschen die Hälse ab.«

»Das tun sie hier auch; überall dasselbe.«

»Und soviel wilde Tiere, Schlangen und Krokodile, daß man bei all der Hitze nich mal baden kann.«

»Ja, das ist richtig. Aber dafür hat man auch alles frei, und wenn man einen Elefanten schießt, da hat man gleich Elfenbein, soviel man will, und kann sich ein Billard machen lassen. Und glaube mir, so was Freies, das hat schließlich auch sein Gutes. Hast du mal von Schuldhaft gehört? Natürlich hast du. Nu sieh, so was wie Schuldhaft gibt es da gar nicht, weil es keine Schulden und keine Wechsel gibt und keine Zinsen und keinen Wucher, und wenn ich in Bukoba bin – das ist so'n Ort zweiter Klasse, also so wie Potsdam -, da kann sich's treffen, daß mir der Äquator, von dem du wohl schon gelesen haben wirst und der so seine guten fünftausend Meilen lang ist, daß mir der gerade über den Leib läuft.«

»Um Gottes willen...«

»Und so was ist hier ganz unmöglich, und deshalb will ich auch hin, wenn sich hier nicht bald was findet.«

»Gott, junger Herr, dann doch lieber...«

»Gewiß, Friederike, viel lieber. Und all das Poggenpuhlsche, wovon Therese soviel Lärm macht... Aber, alle Wetter, dabei fällt mir ein, wo steckt denn nur eigentlich Therese? Sie wollte ja, wie du sagtest, bloß in die Stadt, um noch zu Mamas Geburtstag was einzukaufen... Gott, Geburtstag. Sage, Friederike, da muß ich am Ende doch auch wohl was anschaffen, die alte Frau glaubt sonst, ich denke bloß immer an mich. Also was meinst du, was kann ich ihr wohl schenken, was braucht sie?«

»Gott, junger Herr, die gnädige Frau braucht ja eigentlich alles.«

»Alles? Das ist mir zuviel, das geht nicht, das ist über meinen Etat. Und zurück muß ich doch auch noch wieder, und es reicht schon nicht... Aber du hast ja vorhin von einem Edamer gesprochen. Is noch was da?«

»Versteht sich.«

»Nun gut. Aber zunächst wollen wir das mit dem Geburtstagsgeschenk abmachen. Freilich, zurück muß ich, das bleibt das erste.«

»Ja, junger Herr, wieviel wollen Sie denn wohl anlegen?«

»Wollen? Eine Million. Aber können, Friederike, können, da sitzt es, da hapert es. Über, über... na, ich will lieber keine Summe nennen; nur bloß was Nettes, was Sinniges muß es sein.«

»Nu, ich denke mir eine Primel.«

»Gut, Primel. Primel paßt ganz vorzüglich. Primel oder Primula veris, das ist nämlich der lateinische Name, heißt soviel wie Frühlingsanfang, und Mutter wird siebenundfünfzig. Und sieh, das ist das, was ich sinnig nenne.«

»Und dann, junger Herr, vielleicht noch eine Tüte mit Mehlweißchen; die ißt sie für ihr Leben gern. Aber knusprige, nicht solche, die sich so ziehen wie Leder.«

»Auch gut. Also Primel und Mehlweißchen, knusprig und alle weiß bestreut. Aber es ist schon so spät; ich glaube, man kriegt keine mehr.«

»Nein, heute nicht mehr; ich besorge sie aber morgen früh. Vor neun wird ja doch nich aufgebaut, denn es muß doch erst überall warm sein und auch alles ein bißchen in Ordnung.«

Unter diesen Worten begann Friederike die herumstehenden Teller und Gläser abzuräumen und setzte dafür den halben Edamer, der eigentlich nur noch eine rote Schale war, auf den Tisch. Aber das tat nichts. Leo hatte schon sein kleines Taschenmesser, weil ihm das am handlichsten war, herausgenommen und schabte damit die guten Stellen mit vieler Geschicklichkeit heraus, immer versichernd, daß, wenn man noch was fände, wo eigentlich nichts mehr zu finden sei, das sei jedesmal das beste und darin läge auch was Sinniges. »Ja, Friederike, so muß man leben, immer so die kleinen Freuden aufpicken, bis das große Glück kommt...«

»Ja, wenn es bloß kommt...«

»Und wenn es nicht kommt, dann hat man wenigstens die kleinen Glücke gehabt.«

Und dabei setzte er den ausgehöhlten Edamer auf seinen linken Zeigefinger und drehte ihn erst langsam und dann immer rascher herum, wie einen kleinen Halbglobus.

»Sieh, das hier oben, das ist die Nordhälfte. Und hier unten, wo gar nichts ist, da liegt Afrika.«


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