Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Theodor Körner.

Karl Theodor Körner wurde geboren am 23. September 1791 in der auf dem rechten Elbufer gelegenen Neustadt-Dresden. Eine steinerne Gedenktafel an einem Hause der engen, am Ufer gelegenen Gasse bezeichnet die helle Wohnung, in welcher die Wiege des Kindes stand. Weit davon entfernt im Lande Mecklenburg unter einer Eiche auf der Feldflur des Dorfes Wöbbelin bezeichnet ein mit Leyer und Schwert geschmücktes Denkmal von Eisen die dunkle Wohnung, in welche die Kriegsgefährten den am 26. August 1813 im Gefecht gefallenen Heldensänger einsenkten. Noch hatte er sein einundzwanzigstes Jahr nicht vollendet, als er seine Augen für immer schloß; nur ein rasch enteilender Frühling war ihm vergönnt; allein er war reich an Blüthen und Freuden; seine Graburne ist mit dem Kranze der Unsterblichkeit geschmückt, und getröstet rufen wir ihm nach: »Du hast vollendet!«

Der Vater Theodor's, geboren in Leipzig den 2. Juli 1756, war der Sohn des Superintendenten und Predigers bei der lutherischen Gemeinde der St. Thomaskirche. Nachdem er auf der Thomasschule das Zeugniß der Reife erhalten, begann er in Leipzig das Studium der Rechtswissenschaft, welches er in Göttingen fortsetzte. Im Jahre 1778 zum »Doctor juris utriusque« promovirt, gedachte er sich, nach wohlbestandener Disputation »pro facultate legendi« als Privatdocent in Leipzig zu habilitiren. Schon bei dem Knaben war durch den Meßverkehr in Leipzig, wo aus entlegenen Ländern Käufer und Verkäufer der verschiedensten Nationen sich versammeln, die Neigung zum Reisen in das Ausland geweckt worden. Der Vater war wohlhabend genug und wohlgesinnt dazu, um dem Sohne die nöthigen Mittel zu gewähren. Sein nächstes Ziel war Frankfurt am Main, von wo er nach dem romantischen Rheingau wanderte, dann nach Holland und von da nach England ging. An der Thomasschule in Leipzig wurde Kirchenmusik und Gesang, welche der berühmte Cantor und königl. polnische Hofkomponist Sebastian Bach dort mit großem Erfolge gepflegt hatte, eifrig und gründlich betrieben, und Körner, von Natur mit musikalischem Talent ausgestattet, hatte sich praktisch und theoretisch zum Orgel- und Klavierspieler, zugleich auch zum Componisten ausgebildet. Die Aufführungen Händel'scher Oratorien in London rühmte er noch in späterer Zeit als dasjenige, was in England ihn am Meisten interessirt habe. Den Rückweg nahm er nach zweimonatlichem Aufenthalt in England von Dover, wo er sich nach Calais einschiffte, nach Frankreich. Nach einem kurzen Aufenthalte in Paris, von dem er nur die Aufführung klassischer Trauerspiele von Racine und Corneille und der Lustspiele Molière's auf dem théâtre français zu rühmen wußte, kehrte er nach seiner Vaterstadt zurück. Da ihm hier (1781) eine Anstellung als Consistorial-Advokat angetragen wurde, nahm er diese an und gab den Plan auf, Universitätslehrer zu werden. Das Oberconsistorium in Dresden nahm Kenntniß von den ausgezeichneten Arbeiten des jungen Anwaltes und berief ihn 1783 als Consistorial-Assessor nach der Hauptstadt; die Ernennung zum Rath erfolgte zwei Jahre später. Sein Herz aber ließ der junge Consistorialrath in Leipzig zurück. Hier hatte er in dem geselligen Kreise der Familie des Buchhändlers Breitkopf Minna Stock, jüngste Tochter des aus Nürnberg nach Leipzig übergesiedelten Kupferstechers Stock, kennen gelernt, und eine gegenseitige Wahlverwandtschaft hatte die beiden Liebenden, auch ohne ein ausgesprochenes Wort, unwiderstehlich angezogen, unzertrennlich verbunden. Aus der oben mitgetheilten Beschreibung des von Graff gemalten Portraits Minna's als Braut haben wir bereits eine nähere, obwol nur äußerliche Bekanntschaft mit derselben gemacht. Ein günstiges Geschick hat es so gefügt, daß die beiden größten deutschen Dichter in nahe und nächste Beziehung zu der Körner'schen Familie gekommen sind: Goethe als sechzehnjähriger Student in Leipzig, da Minna Stock noch ein Kind war, Schiller als fünfundzwanzigjähriger Dichter, als Minna die verlobte Braut Körner's war. Goethe thut seiner Bekanntschaft mit dem Vater Minna's in »Wahrheit und Dichtung« Erwähnung. Er gedenkt der guten Aufnahme, welche er als Student bei dem Buchhändler Breitkopf gefunden, und fügt dann hinzu: »Nun sollte ich in diesem Hause noch eine andere Art von Verbindung eingehen. Es zog nämlich in die Mansarde der Kupferstecher Stock. Er war aus Nürnberg gebürtig, ein sehr fleißiger und in seinen Arbeiten genauer und ordentlicher Mann ... Er radirte sehr sauber, so daß die Arbeit aus dem Aetzwasser beinah vollendet herauskam und mit dem Grabstichel, den er sehr gut führte, nur Weniges nachzuhelfen blieb. Er machte einen genauen Ueberschlag, wie lange ihn eine Platte beschäftigen würde, und nichts war vermögend, ihn von seiner Arbeit abzurufen, wenn er nicht sein täglich vorgesetztes Pensum vollendet hatte. So saß er an einem breiten Arbeitstische am großen Giebelfenster in einer sehr reinlichen und ordentlichen Stube, wo ihm Frau und zwei Töchter häusliche Gesellschaft leisteten. Von diesen ist die eine glücklich verheirathet (Minna), die andere (Doris) eine vorzügliche Künstlerin; sie sind beide lebenslänglich meine Freundinnen geblieben. Ich theilte nun meine Zeit zwischen den oberen und unteren Stockwerken und attachirte mich sehr an den Mann, der bei seinem anhaltenden Fleiße einen herrlichen Humor besaß und die Gutmüthigkeit selbst war.«

Hiermit stimmt im Wesentlichen überein, was Frau Körner, die ein außergewöhnlich sicheres Gedächtniß besaß, den Freunden in ihrem hohen Alter aus ihrer Kindeszeit mittheilte. »Unsere ganze Wohnung,« erzählte sie, »bestand in einer geräumigen Dachstube im dritten Stock, zwei Schlafkammern und der Küche. Den Tag über waren wir sämmtlich in der Wohnstube, in welcher auch der Vater seine Werkstatt an dem einzigen hellen Fenster aufgeschlagen hatte. Wir waren anfänglich vier Schwestern und ein älterer Stiefbruder. Zwei Schwestern raubte uns der Tod. Die Mutter war, da wir keine Köchin hatten, fast den ganzen Tag in der Küche beschäftigt. Der Vater arbeitete für die Buchhändler Titelkupfer und sogenannte Vignetten; auch hatte er durch Unterricht in seiner Kunst einigen Verdienst. Von seinen Schülern der eifrigste, zugleich aber auch zu allerhand munteren Streichen der aufgelegteste, war der später so berühmt gewordene Goethe, damals Student, 16 bis 17 Jahre alt. Da ich kaum fünf Jahre alt war, hab' ich wol erst später von der älteren Schwester erfahren, wie es bei uns zugegangen. Der lustige Bruder Studio veranlaßte den Vater oft, frühzeitig Feierabend zu machen und entführte ihn zu Schönkopf's oder nach Auerbach's Keller, was der Mutter manchen Kummer verursachte. Kam der Student am folgenden Tage wieder zum Unterricht, dann wußte er durch allerhand Schnurren die Mutter wieder gut zu stimmen; sie mußte ihm sein schönes, aber verwirrtes braunes Haar, welches er ungepudert in einem lose gebundenen Zopfe trug, durchkämmen und in Ordnung bringen, wobei sie, wie Goethe noch viele Jahre nachher erzählte, zur Strafe für die Entführung des Vaters ihn tüchtig zauste und raufte. – Mehr noch als mit uns Kindern machte sich der lustige Student mit dem verzogenen Lieblinge des Vaters, einem kleinen, schwarzen englischen König-Charles-Hündchen zu schaffen. Dies ging soweit, daß er zu Weihnachten für Blackchen ein mit allerhand Leckereien, Würstchen und Biscuit behangenes Christbäumchen brachte, von dem wir nur die Rosinen und Mandeln, welche das Hündchen nicht mochte, erhielten.« –

Die persönliche Bekanntschaft mit Schiller fällt in eine spätere Zeit, als Minna bereits die Braut Körner's war; die ältere Schwester Doris war mit Ludw. Ferdinand Huber, einem jungen Schriftsteller, verlobt. Verfasser des Trauerspiels: »Das heimliche Gericht«, in Schiller's Thalia abgedruckt. Die Verlobung Huber's mit Doris wurde rückgängig. »Wir schwärmten,« erzählte Frau Körner, damals für Schiller, dessen Gedichte wir aus seinem »Taschenbuche für Damen« mit Entzücken kannten und deklamirten, und noch lebhafter wurden Bewunderung und Begeisterung für ihn durch die Räuber, Fiesko, Kabale und Liebe, deren Aufführungen auf der Bühne wir mit Huber und Körner beigewohnt. Meine Schwester, schon damals eine geschickte Portraitmalerin, hatte den glücklichen Einfall, dem Dichter, von dessen traurigen Schicksalen wir gehört hatten, eine Freude dadurch zu machen, daß wir beiden jungen Mädchen ihm, – versteht sich, ohne uns zu nennen, – unsere Portraits schickten. Körner und Huber waren gern damit einverstanden; sie erboten sich, unsere Bildnisse mit einem Briefe und der Komposition eines Gedichtes von Schiller zu begleiten. Hierzu hatte Körner Amaliens Lied in der ersten Scene des dritten Aktes der Räuber gewählt: »Schön wie Engel, voll Walhalla's Wonne.« Ich selbst hatte eine seidene Brieftasche mit einer Stickerei von meiner Hand, einer Lyra mit goldenen Saiten und einem grünen Lorbeerzweige, angefertigt, in welche die Portraits und die Komposition und der Brief gelegt wurden. Ein Buchhalter des Buchhändlers Schwan in Mannheim, welcher dessen Geschäfte in Leipzig besorgte, übernahm es, das Paket Schillern zu überbringen, mit dem Versprechen, unsere Namen zu verschweigen. Der Brief Körner's lautet: »? den 12. Juni 1784. Zu einer Zeit, da die Kunst sich immer mehr zur feilen Sclavin reicher und mächtiger Wollüstlinge herabwürdiget, thut es wohl, wenn ein großer Mann auftritt und zeigt, was der Mensch auch jetzt noch vermag. Der bessere Theil der Menschheit, den seines Zeitalters ekelte, der im Gewühl ausgearteter Geschöpfe nach Größe schmachtete, löscht seinen Durst, fühlt in sich einen Schwung, der ihn über seine Zeitgenossen erhebt, und Stärkung auf der mühevollsten Laufbahn nach einem würdigen Ziele. Dann möchte er gern seinem Wohlthäter die Hand drücken, ihn in seinen Augen die Thränen der Freude und der Begeisterung sehen lassen, – daß er auch ihn stärkte, wenn ihn etwa der Zweifel müde machte: ob seine Zeitgenossen werth wären, daß er für sie arbeitete. – Dies ist die Veranlassung, daß ich mich mit drei Personen, die insgesammt werth sind, Ihre Werke zu lesen, vereinigt, Ihnen zu danken und Ihnen zu huldigen. Zur Probe, ob ich Sie verstanden, habe ich ein Lied von Ihnen zu komponiren versucht. Außer der Art, die ich gewählt, gab es noch zwei: jede Strophe anders, oder wenigstens drei Melodien für die erste und dritte, für die zweite und vierte und für die letzte. Aber Beides schien mir dem Charakter eines für sich bestehenden Liedes weniger angemessen. Abänderungen in Rücksicht auf Tempo und Takt, Stärke und Schwäche bleiben natürlich bei jeder Strophe nothwendig, und die angegebenen sind blos die unentbehrlichsten. – Wenn ich, obwol in einem anderen Fache als das Ihrige ist, werde gezeigt haben, daß auch ich zu dem Salze der Erde gehöre, dann sollen Sie meinen Namen wissen. Jetzt kann es zu nichts helfen.«

Schiller's Neugier, die Namen dieser ungenannten Verehrer seiner Muse zu erfahren, wurde nach einiger Verzögerung von dem Buchhändler Schwan befriedigt. Obschon die Leipziger Freunde, da sie ihre Namen verschwiegen hatten, eine Antwort nicht erwarten durften, so entschuldigte dennoch Schiller sich in einem Briefe aus Mannheim vom 7. December 1784 in wahrhaft rührender Weise, »daß er sieben Monate schweigen konnte.« Er fügt dann hinzu: »Wenn ich Ihnen bekenne, daß Ihre Briefe und Geschenke das Angenehmste waren, was mir – vor und nach – in der ganzen Zeit meiner Schriftstellerei widerfahren ist, daß diese fröhliche Erscheinung mich für die mancherlei verdrießlichen Schicksale schadlos hielt, welche in der Jünglingsepoche meines Lebens mich verfolgten, daß, ich sage nicht zu viel, daß Sie, meine Theuersten, es sich zuzuschreiben haben, wenn ich die Verwünschung meines Dichterberufes, die mein widriges Verhängniß mir schon aus der Seele preßte, zurücknahm und mich endlich wieder glücklich fühlte; wenn ich Ihnen dies sage, so weiß ich, daß Ihre gütigen Geständnisse gegen mich Sie nicht gereuen werden. Wenn solche Menschen, solche schöne Seelen den Dichter nicht belohnen, wer thut es denn?« Er spricht in diesem Briefe die Hoffnung aus, im nächsten Jahre nach Leipzig zu kommen. »Welche süße Momente« – schreibt er – »wenn ich Sie da treffe und Ihre wirkliche Gegenwart auch sogar die geringste Freudenerinnerung an Ihre Bilder verdunkelt. Minna und Dora werden es wol geschehen lassen müssen, wenn sie mich bei meinen neueren poetischen Idealen über einem kleinen Diebstahl an ihren Umrissen ertappen sollten.« In diesem Briefe hatte Schiller den so unverhofft gewonnenen Freunden die Ankündigung der Zeitschrift Thalia, welche er herauszugeben beabsichtigte, mitgetheilt. »Auffallen« – fügt er hinzu – »mag es Ihnen immer, daß ich diese Rolle (des Journalisten) in der Welt spielen will; aber vielleicht söhnt die Sache selbst Sie wieder mit Ihrer Vorstellung aus. Ueberdem zwingt ja das deutsche Publikum seine Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, sondern nach Spekulationen des Handels zu wählen.« Aus solcher Muthlosigkeit sich aufzuraffen, mahnt Körner in einem Briefe vom 11. Januar 1785 mit eindringlichen Worten: »Ihrer Thalia sehe ich mit Verlangen entgegen; aber es sollte mir weh thun, wenn Sie dadurch von dem abgehalten würden, was Ihre eigentliche Bestimmung zu sein scheint. Alles, was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes liefert und Shakespeare noch nicht erschöpft hat, wartet auf Ihren Griffel. Dies ist gleichsam bestellte Arbeit. Wenn Sie hiervon von Zeit zu Zeit etwas liefern, dann mögen Sie übrigens im Genuß Ihrer eigenen Ideen schwelgen, mögen Ihrem Geiste und Ihrem Herzen Luft machen und Menschen, die Sie zu fassen vermögen, werden Sie auch für die Früchte Ihrer Erholungsstunden segnen, während daß Sie durch größere Werke, wie man sie von Ihnen zu erwarten berechtigt ist, zugleich die Forderungen Ihres Zeitalters und Ihres Vaterlandes befriedigen.«

Schiller nahm diese Mahnung als einen neuen Beweis herzlichster Zuneigung auf. »Seit Ihren letzten Briefen,« antwortet er den 10. Februar 1785, »hat mich der Gedanke nicht mehr verlassen wollen: diese Menschen gehören Dir, diesen Menschen gehörst Du ... Edlere Seelen hängen an zarten Fäden zusammen, die nicht selten unzertrennlich und ewig halten. Große Tonkünstler kennen sich oft an den ersten Akkorden, große Maler an dem nachlässigsten Pinselstrich, – edle Menschen oft an einer einzigen Aufwallung. Ihre Briefe – und wir waren Freunde. – ... O, meine Besten, Ihre Briefe, Ihre mir freiwillig entgegenkommende Liebe haben einen merkwürdigen Einfluß auf die wirkliche Lage meines Herzens gehabt ... Ihre liebevollen Geständnisse trafen mich in einer Epoche, wo ich das Bedürfniß eines Freundes lebhafter als jemals fühlte.« Hier bricht Schiller den Brief ab. Nach zwölf Tagen erst schreibt er weiter, daß in dieser Zeit »eine große Revolution mit ihm vorgegangen sei, welche Epoche in seinem Leben machen werde.« »Ich kann nicht mehr in Mannheim bleiben,« fährt er fort; »in einer unnennbaren Bedrängniß meines Herzens schreibe ich Ihnen, meine Besten. Ich kann nicht mehr hier bleiben. Zwölf Tage habe ich's in meinem Herzen herumgetragen, wie den Entschluß, aus der Welt zu gehn. Menschen, Verhältnisse, Erdreich und Himmel sind mir zuwider. Ich habe keine Seele hier, keine einzige, die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen Freund; und was mir vielleicht noch theurer sein könnte, davon scheiden mich Konvenienz und Situation... O, meine Seele durstet nach neuer Nahrung, nach besseren Menschen, nach Freundschaft, Anhänglichkeit und Liebe. Ich muß zu Ihnen, muß in Ihrem näheren Umgang, in der innigsten Verkettung mit Ihnen mein eignes Herz wieder genießen lernen und mein ganzes Dasein wieder in lebendigeren Schwung bringen ... Alle schriftlichen Verbindungen, alle Träume der Phantasie, so ausschweifend sie oft auch sein mögen, sind doch immer nur bestandloses Schattenspiel gegen das Angesicht zu Angesicht. Ich fühle, wie theuer Sie mir jetzt schon sind; aber ich weiß, daß dieses warme Gefühl für Sie durch unsre persönlichen Erkennungen und Berührungen unendlich entflammt werden wird. Ich habe unter den hiesigen Mädchen eine Minna und eine Dora gesucht; aber unser hiesiger Himmelsstrich versteht sich nicht auf solche Gesichter. Ich weiß nicht, was Sie dazu sagen werden, aber ich gestehe Ihnen: Ihre Bildnisse waren mir nicht neu; und doch schwöre ich Ihnen, daß ich mich auf kein ähnliches besinne .... Wie unaussprechlich viele Seligkeiten verspreche ich mir bei Ihnen, und wie sehr soll es mich beschäftigen, Ihrer Liebe, Ihrer Freundschaft und womöglich Ihres Enthusiasmus für mich werth zu bleiben.« – Zur Aufklärung einiger rätselhaften Stellen in diesem Briefe diene Folgendes: »Den Entschluß, aus der Welt zu gehn«, auszuführen, war der an den Rand der Verzweiflung getriebene Schiller damals sehr nahe. In einem Briefe an Körner, welchen dieser mich lesen ließ, schrieb er: »Von der Brücke bei Sachsenhausen sah ich muth- und trostlos hinunter in den Fluß und war entschlossen, einem qualvollen Leben ein Ende zu machen; – da traten Eure Bilder mir vor die Seele, ich gedachte Eurer Liebe und Freundschaft; sie riefen mich in das Leben zurück und retteten mich.« – Als der Vater Körner mich damit betraut hatte, aus dem damals nur handschriftlich vorhandenen Briefwechsel Auszüge für Frau von Wolzogen zu machen, hatte ich diese Stelle als vom größten Interesse zur Veröffentlichung ausgezogen: Körner legte jedoch den Brief zurück, wie er meinte: aus schonender Rücksicht für den Freund.
Wenn Schiller in dem Briefe aus Mannheim vom 22. Februar 1785 klagt: »er habe hier keine Seele, die die Leere seines Herzens ausfülle, keine Freundin, keinen Freund,« und hinzufügt: »und was mir vielleicht noch theurer sein könnte, davon scheiden mich Konvenienz und Situation,« so gaben über diese dunklen Worte mir einige vertrauliche Aeußerungen der erblindeten, achtzigjährigen (nun verstorbenen) Frau v. Kalb in Berlin einigen Aufschluß. Sie kam als junge Frau nach Mannheim und bemächtigte sich des jungen Dichters durch ihre bezaubernde Liebenswürdigkeit und ihren Enthusiasmus für seine Dichtungen. Die erste Bekanntschaft entstand dadurch, daß Schiller sich entschuldigte, daß er ganz zufällig in Cabale und Liebe den Hofmarschall v. Kalb eine so unehrenhafte Rolle spielen lasse. Das Erbieten, dafür einen anderen Namen zu wählen, lehnte jedoch der Gemahl ab. – Schiller brach dies Verhältniß »aus Konvenienz« ab. – Was es mit der Situation für eine Bewandtniß gehabt, erfuhr ich ebenfalls von Frau v. Kalb, und von Frau Körner wurde es bestätigt. Schiller bewarb sich in Mannheim um die Hand des schönen Gretchens, Tochter des Buchhändlers Schwan. Der Vater wollte jedoch seine Einwilligung nur unter der Bedingung geben, daß Schiller zu seinem Berufe als Arzt zurückkehre, oder als Kompagnon in sein Buchhändler-Geschäft eintrete. Dies lehnte Schiller ab; Gretchen verlobte sich mit einem Anderen, und dies war »die Situation«, welche Schiller der Verzweiflung nahe brachte.

Körner, welcher unterdessen sein Amt in Dresden angetreten hatte, schrieb dem Freunde von hier am 3. März 1785: »So haben sich denn also unsere Seelen trotz aller Entfernung gefunden, – wir sind Freunde – und bald wird der erste Blick und Händedruck den Bund unserer Herren versiegeln.« – In überwallendem Gefühle der Freundschaft weiht er den Freund in das Geheimniß seines Glücks ein. »Jetzt, da Ihre Freundschaft an Allem Theil nimmt, hier noch etwas von dem, was wir waren und sind. Ich liebte Minna vier Jahre lang, ohne es mir und ihr zu gestehn. Jetzt ist es drei Jahre, daß ich mich ihr entdeckte. Wir kämpften seit dieser Zeit mit Schwierigkeiten, die fast unüberwindlich schienen, hatten des Kummers viel, waren genöthigt, uns zu trennen, um uns unserem Ziele zu nähern. Jetzt entwickelt sich Alles zu unserem Vortheil, der Zeitpunkt, der uns aus immer vereinigt, ist nicht mehr entfernt, eine selige Zukunft wartet unser. Dora und Huber freuen sich mit uns, daß wir am Ziele sind. Dies ist die Stimmung, in der Sie uns finden werden – und nun bleiben Sie noch zurück, wenn Sie können.«

Schiller verließ Mannheim zu Anfang des April und traf, mit der ordinären Post reisend, an allen Gliedern zerschlagen und gerädert, am 17. April in Leipzig ein. »Körner,« so erzählte uns Frau Körner, »war bereits der Berufung nach Dresden gefolgt. Huber, den Schiller aufgesucht, kündigte uns dessen Besuch für den nächsten Vormittag an, was uns in nicht geringe Aufregung versetzte. Wir beiden Schwestern wohnten noch in der Dachwohnung im Hause von Breitkopf als verwaiste Kinder. Vater und Mutter und zwei Schwestern waren gestorben; ein älterer Stiefbruder führte das Geschäft des Vaters fort, und wir besorgten die Wirthschaft. Mit Zittern und Zagen erwarteten wir den so sehnlich Erwarteten; denn wir konnten uns den Dichter der Räuber nicht anders vorstellen, als mit rasselndem Säbel, klirrenden Sporen und pechschwarzem Barte. Wie überrascht waren wir, als uns Huber einen hochblonden, blauäugigen jungen Mann vorstellte, dem die Thränen in den Augen standen und der es kaum wagte, uns anzureden. Diese Schüchternheit aber verlor sich bald, und als wir nur erst unsern Körner bei uns hatten, wurde das gegenseitige Verhältniß immer unbefangener und zutraulicher.« Zur Feier seines Geburtstages, des 2. Juli, war Körner von Dresden nach Leipzig gekommen. Schiller, dem der gestrenge Superintendent wegen der »Räuber« die geistliche Schwelle zu betreten nicht gestattete, schickte seinen Glückwunsch aus Gohlis schriftlich. Nach Dresden zurückgekehrt, schreibt Körner in überströmendem Gefühl seines Glückes dem Freunde (den 8. Juli 1785): »Das Weib meines Herzens war mir Geliebte und Freundin zugleich. Und nun, da ich mich dem Zeitpunkte nahe, wo ich sie ganz mein nennen kann, da meine Glückseligkeit schon einen Gipfel erreicht hat, der mich fast schwindelnd macht, nun soll auch der frühere Wunsch nach einem Freunde in dem erhabensten, heiligsten Sinne dieses Wortes in vollem Maße befriedigt werden. Ist dies nicht zu viel für einen Menschen wie ich?« –

Von einem Vater, welcher das beseligende Glück, zu lieben und geliebt zu werden, so tief empfunden, hatte der Sohn, wenn ihm einst ein gleiches Loos beschieden sein sollte, – und es ward ihm beschieden, – freudige Zustimmung zu erwarten. Wir werden später an diesen Brief des Vaters erinnern. –

Schiller folgte den Neuvermählten vier Wochen später nach Dresden, wo er theils in der Stadt, theils auf der Weinberg-Villa in Loschwitz, wo er seinen Don Carlos vollendete, glückliche Tage verlebte, bis er im Juli 1787 nach Weimar übersiedelte. – Wer hierüber Näheres zu erfahren wünscht, den verweisen wir auf die Biographie Schiller's und insbesondere auf den Körner-Schiller'schen Briefwechsel. Für die Biographie Theodor Körner's war es unerläßlich, dies Entstehen des Freundschaftsbundes seines Vaters mit Schiller und die Charaktere der Aeltern in ihrem Braut- und Bräutigamsstande kennen zu lernen. – Der berühmte Botaniker Linné und nach ihm viele seiner Schüler begnügten sich damit, die Staubfäden der entfalteten Blume zu zählen, Stamm und Wurzel wurden weniger beachtet, und von der Erdart des Bodens, in welchem der Keim sich entfaltete, von den klimatischen Einflüssen, unter denen die Pflanze heranwuchs, war kaum die Rede. – Auch auf das Gedeihen und die Entwickelung des Menschen üben die ihn in der Kindheit umgebende Natur, die Landschaft und der Himmelsstrich großen Einfluß; der Biograph darf dies nicht unbeachtet lassen. Von bei Weitem größerer Bedeutung aber als Berg und Thal, Festland und See ist die Familie, das älterliche Haus, der Geist des Vaters, das Herz der Mutter; dies sind die Schicksalsmächte, welche von andauerndem Einfluß auf die Richtung der Lebensbahn des Kindes sind, mehr als die Konstellation jenseitiger Gestirne.

Ueber die glücklichen Jahre der Kindheit Theodor's giebt der Vater getreuen Bericht. »Die Schwäche und Kränklichkeit des Knaben in den ersten Jahren machten viel Sorgfalt für seinen Körper nothwendig, und die Ausbildung seines Geistes durfte nicht übereilt werden. Er war daher die meiste Zeit in freier Luft, theils in dem der Wohnung in der Neustadt nahgelegenen Garten des japanischen Palais, theils im Sommer in einem Weinberge bei Loschwitz, eine Stunde von der Stadt am rechten Elbufer, wo wir ein geräumiges Gartenhaus am Fuße des Weinberges und auf dessen Spitze einen Pavillon besaßen, welcher letztere dadurch berühmt wurde, daß Schiller als unser lieber Hausfreund darin seinen Don Carlos vollendete. Theodor gehörte nicht zu den Kindern, die durch frühzeitige Kenntnisse und Talente die Eitelkeit ihrer Aeltern befriedigen. Aber was man schon in den Jahren der Kindheit an ihm wahrnehmen konnte, war ein weiches Herz, verbunden mit Festigkeit des Willens, treue Anhänglichkeit an Diejenigen, die seine Liebe gewonnen hatten, und eine leicht aufzuregende Phantasie.

»Mit dem Gedeihen des Körpers entwickelten sich seine geistigen Fähigkeiten. Seine Aufmerksamkeit zu fesseln, war nicht leicht; aber wenn dies gelungen war, so faßte er schnell. Zur Erlernung der Sprachen hatte er weniger Neigung und Anlage als zum Studium der Geschichte, Naturkunde und Mathematik. Auffallend war sein natürlicher Widerwille gegen das Französische, als er in anderen älteren und neueren Sprachen schon weitere Fortschritte gemacht hatte.« (Der Haß gegen das Franzosenthum steigerte sich mit jedem Jahre, während in den geselligen Kreisen, in welchen die Aeltern verkehrten, seit den Siegen der Franzosen über Oestreich und Preußen französische Sitte und Sprache, zumal in der Residenz Dresden, immer mehr Boden gewannen. Ein gemeinschaftlicher Freund von Theodor und dem Verf. in Dresden, Erzieher eines jungen Grafen Einsiedel, in dessen Familie nur Französisch gesprochen wurde, machte 1811 eine Reise nach Berlin. Bei einem Besuche des Schloßgartens in Charlottenburg erkundigt er sich bei einem dort auf- und abgehenden Officier: ob man hier, wie in Pillnitz, von einer Gallerie des Speisesaales die hohen Herrschaften beim Diner an der Tafel könne sitzen sehen. In der Meinung, daß man am Hofe von Berlin ebenso wie an dem sächsischen nur Französisch spreche, redet unser Kandidat den Officier französisch an. Dieser antwortet ihm in deutscher Sprache und fragt ihn, ob er denn ein Franzos sei. Als er dies verneint und sich als einen ehrlichen Sachsen zu erkennen giebt, ertheilt ihm der preußische Officier eine sehr ernstliche Zurechtweisung wegen der Untreue, die er an seiner Muttersprache und somit an seinem Vaterlande begehe. Wahrend des Gespräches nähert sich ein dienstthuender Kammerherr und fragt: »Befehlen Ew. Majestät anzurichten?« – Zu dem verblüfften Kandidaten gewendet, sagt Friedrich Wilhelm III.: »Haben wollen den König sehen, haben nun auch gesprochen, gut deutsch bleiben!«
Nach seiner Rückkehr theilte unser Freund voll Begeistrung mit, welche Begegnung er mit dem Könige von Preußen gehabt. Wir Anderen, die wir schon längst geschworne Franzosenhasser waren, stimmten freudig in das dem deutschgesinnten Friedrich Wilhelm III. gespendete Lob ein. Es wurden gemeinschaftlich einige Verse niedergeschrieben und dem Könige nach Charlottenburg übersandt. Die Schlußstrophe lautete:
»Wir sehn im Geist schon Deine Adler fliegen. Ruf' Deutschland auf zum Kampf, und Du wirst siegen!«
Dies Gedicht schickte unser Freund mit einem Danksagungsschreiben an den König, welcher es sehr wohl aufnahm und in einem Kabinetsschreiben dem sächsischen Kandidaten unter nochmaliger Ermahnung, »die deutsche Sprache in Ehren zu halten,« seinen Dank aussprach.
»Vielfältige gymnastische Uebungen in früheren Jahren gaben dem Körper Stärke und Gewandtheit, und der Jüngling galt für einen raschen Tänzer, dreisten Reiter, tüchtigen Schwimmer und besonders für einen geschickten Fechter auf Hieb und Stoß.« (In der Schwimm- und Fechtkunst war sein erster Lehrer der in diesen beiden Künsten als Meister hochberühmte General E. v. Pfuel, der in den Jahren 1808 und 1809 in Dresden als preußischer Officier a. D. lebte und zu den Hausfreunden der Familie gehörte.) »Auge, Ohr und Hand waren bei dem Knaben glücklich organisirt und wurden frühzeitig geübt. Feinere Drechslerarbeiten gelangen ihm gut, und er zeichnete mit Erfolg nicht nur Gegenstände der Mathematik, sondern auch Landschaften. Aber in einem höheren Grade fand sich bei ihm Sinn und Talent für Musik. Aus der Violine versprach er etwas zu leisten, als ihn die Guitarre mehr anzog, der er in der Folge getreu blieb. Seine Zither (an seidenen, von schönen Händen gestickten und dem wandernden Sänger als Angedenken und zum Dank für seine Lieder geschenkten Bändern) über die Schulter gehangen, dachte er sich gern zurück in die Zeiten der Troubadours.« (Unter den Romanzen, welche er mit kräftiger und zugleich zarter Baritonstimme sang, machte besonders die aus Novalis' Heinrich von Ofterdingen: »der Sänger geht auf rauhen Pfaden«, viel Glück und gewann ihm manches Herz. Unterricht in Gesang, Saitenspiel und Komposition ertheilten ihm der Vater und ein tüchtiger Klavierlehrer, und Theodor hatte schon als Student in der Kunst des Improvisirens eine solche Fertigkeit, daß er, vom Wein und heitrer Gesellschaft angeregt, ein aus dem Stegreife gedichtetes Lied mit einer zugleich entstandenen Melodie und angemessener Begleitung der Guitarre vortrug, wobei die lustigen Brüder in den Rundreim kräftig einstimmten. Die Dichtkunst war es, zu der ihn schon seit den frühesten Jahren ein herrschender Trieb bestimmte. Sein Vater machte es sich aber zur Pflicht, die ersten Versuche des Sohnes nur zu dulden, nicht aufzumuntern. Er hatte einen zu hohen Begriff von der Kunst überhaupt, um in einem Falle, der ihn so nah anging, nicht sorgfältig darüber zu wachen, daß nicht bloße Neigung mit ächtem Berufe verwechselt werde. Leichtigkeit der Produktion allein war hierbei kein hinlänglicher Grund der Entscheidung. Ein Beifall, der nicht schwer errungen wurde, ist gefährlich und verleitet, auf einer niederen Stufe stehen zu bleiben, wenn Trägheit sich mit Eitelkeit verbindet. Dies war glücklicherweise hier nicht der Fall. Ein jugendlicher Uebermuth achtete vielmehr wenig auf ein fremdes Urtheil und wagte sich gern an die schwierigsten Aufgaben.)

»Schiller und Goethe waren die Lieblingsdichter in dem älterlichen Hause und Schiller's Balladen wahrscheinlich die ersten Gedichte, die der Knabe zu lesen bekam. Alles Hochherzige wirkte mächtig auf ihn; aber in ernsten Dichtungen versuchte er sich später und anfänglich mit Schüchternheit. Sein Talent zeigte sich zuerst in Produkten scherzhafter Gattung, die durch äußere Anlässe entstanden. Es fehlte ihm nicht an Stoff, da das frische Leben und der Frohsinn der Jugend bei ihm durch keinen Zwang unterdrückt wurde, und die Reime strömten ihm zu.

Nicht mit so ernstem Bedenken wie der Vater hielten die Mutter und die Schwester mit Aufmunterung und Beifall zurück, wenn der kleine Karl – erst später wurde er »Theodor« auf den Wunsch seiner Pathe, der Herzogin Dorothea von Kurland getauft – sein allerneuestes Gedicht brachte. Eines der ältesten Produkte der kindlichen Muse hat sich unter dem Nachlaß vorgefunden: »von Karl, als er noch nicht 12 Jahr alt war, gedichtet.« Es ist an seinen Privatlehrer, den Kandidat Küttner gerichtet, als dieser 1802 eine Reise nach Yverdun in der Schweiz unternahm, um bei Pestalozzi dessen Unterrichtsmethode kennen zu lernen.

Küttner's Abschied,

nach Schiller.

Karl. Will sich Küttner ewig von mir wenden, Wo der Wandrer mit erfrornen Händen Jählings in des Gletschers Abgrund sinkt? Wer wird künftig Deinen Karl wol lehren Exponiren und die Götter ehren, Wenn die Schneelawine Dich verschlingt?

Küttner. Theurer Karl, gebiete Deinen Thränen,
Nach den Alpen ist mein feurig Sehnen,
Wo Herr Pestalozzi Schule hält.
Nur fürs Wohl der Kinder und der Waisen
Will ich dieses Stiefelpaar zerreißen,
Bis die Sohle vom Quartiere fällt.
Karl. Soll mir Deiner Rede Strom versiegen,
Sollen Deine Lehren nutzlos liegen,
Bist Du mir verloren, weh mir, weh!
Du wirst hingehn, reich von Eis umflimmert,
Wo der Gießbach durch die Gletscher wimmert,
Deine Liebe stirbt im Alpenschnee.

Küttner. All mein Sehnen will ich, all mein Denken
In der Alpen tiefen Schnee versenken,
Aber meine Liebe nicht.
Horch! schon knallt der Kutscher vor den Mauern,
Hänge mir den Sack um, lass' das Trauern,
Lebe ewig wohl, vergiß mein nicht.

Auf die Richtung des Gemüthes und Bildung des Charakters eines Knaben ist es vom günstigsten Einfluß, eine um einige Jahre ältere Schwester zu haben. Die griechische Muse verherrlicht dies Verhältniß in zwei Gestalten, wie sie edler und schöner nicht wieder geschaffen wurden: in Antigone und Iphigenie. Unserem Theodor ward unter vielen Begünstigungen des Lebens auch diese zu Theil: eine um drei Jahre ältere Schwester zu besitzen, ausgezeichnet durch frühzeitig entwickelte Talente und Liebenswürdigkeit des Geistes und Herzens. Auch dies möchten wir als eine Bevorzugung des heranwachsenden Knaben ansehen, daß die Aeltern nicht dem Glauben der Patriarchen huldigten, welche eine zahlreiche Nachkommenschaft für einen Segen Jehova's erklärten, während ein Haus voll Kinder in unseren Verhältnissen sehr oft zugleich ein Haus voll Noth und Sorge wird, zumal, wenn die nöthigen Mittel fehlen, die Kinder durch Erziehung und Unterricht so weit zu fördern, um ihnen eine dereinstige Selbstständigkeit zu sichern.

Die Aeltern Theodor's hatten ein vollständiges Genügen daran, ihre liebende Sorgfalt und ihre anfänglich beschränkten Mittel der Erziehung und Ausbildung der ihnen vom Himmel geschenkten beiden so ausgezeichneten Kinder ausschließlich zuwenden zu können; denn gerade die, mit künstlerischen Anlagen ausgestatteten sogenannten Sonntagskinder nehmen größere Sorgfalt und bedeutend höhere Ausgaben in Anspruch als die gewöhnlichen Alltagskinder.

Die frohe Nachricht der glücklichen ersten Niederkunft seiner geliebten Minna mit einem Mädchen am 19. April 1788 meldet Körner dem Freunde nach Weimar sogleich, auch daß sie »Emma Sophie« heißen werde. In banger Erwartung hatte Schiller ihm geschrieben: »Ich sehne mich nach der Nachricht von Minna's glücklicher Niederkunft. Wenn ich beten könnte, so wollte ich sie in mein Gebet einschließen, und das sollte wirken.« Nach erhaltener erwünschter Nachricht schreibt er: Weimar, den 25. April 1788. »Viel Glück und Freude, Papa, zu Deiner Emma und eben so viel zu der überstandenen Gefahr Deiner Frau. Ich kann nicht leugnen, daß ich deshalb sehr unruhig war; aber nun ist Dein Glück und meine Freude doppelt. Daß es ein Mädchen ist, freut mich auch; Minna muß ja auch etwas haben, und der Junge wird zu seiner Zeit auch nicht ausbleiben.« Und er blieb nicht aus. Aus Jena, den 3. October 1791, schreibt Schiller dem Freunde: »Meine herzlichsten Glückwünsche zu dem endlich angelangten Stammhalter des Körner'schen Geschlechtes, dem ich meinen besten Segen zurufe. Ich freue mich Eurer Freude und bin in diesem Augenblicke unter Euch, sie mit Euch zu theilen.« Es galt dieser Glückwunsch der Geburt des Knaben, welcher am 23. Septbr. 1791 das Licht der Welt erblickte und in der Taufe den Namen »Karl« erhielt, später aber, wie erwähnt, auf den Wunsch seiner Pathe, der Herzogin Dorothea von Kurland, den Vornamen »Theodor« annahm. –

Zur Ausführung erweiterter Lebenspläne hatte Körner mit Zuverlässigkeit auf eine bedeutende Erbschaft, welche ein Oheim in Zerbst ihm in Aussicht gestellt hatte, gehofft; diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Er meldet dem Freunde aus Dresden den 27. Septbr. 1792: »Diesen Nachmittag ist endlich der Zerbster gebährende Berg von einem Mäuslein entbunden worden.« Anstatt, wie er gehofft, zwanzigtausend Thaler zu erben, erhielt er nur dreitausend. »Mit dieser getäuschten Hoffnung,« schreibt er Schiller, »zerfällt manches Luftschloß. Aber ich bin schon so manchmal in dem Fall gewesen, dergleichen Kartenhäuser einstürzen zu sehen, oder selbst einreißen zu müssen, daß es mich nicht anficht. Nun sehe ich mich genöthigt, wegen meiner ökonomischen Umstände einige Maßregeln zu nehmen. Ueber meine Einkünfte an Besoldung und Interessen brauche ich nach einem gemachten Ueberschlage noch fünfhundert Thaler. Kapitale darf ich nicht mehr angreifen; diese sind von nun an meiner Frau und meinen Kindern heilig; also müssen diese fünfhundert Thaler verdient werden. Und hier giebt es nur zwei Wege: eine bessere Stelle oder Schriftstellerei. Der letzte Weg wäre mir der liebste, wenn ich hoffen dürfte, mir eine größere Leichtigkeit im Arbeiten anzugewöhnen. Ich habe Lust, einen Versuch zu machen. Auf Classicität thue ich Verzicht. Es mag immer jedem einzelnen Produkte an Reife und Vollendung fehlen, wenn es sich nur durch einige interessante Ideen auszeichnet. Aber mein Name muß sorgfältig verschwiegen bleiben: denn sobald meine Autorschaft hier (bei dem Ober-Consistorium) bekannt wird, versperre ich mir den Weg zu einer besseren Stelle. Durch Deine Celebrität kann ich meine Arbeiten ins Geld setzen. Wie, wenn ich monatlich drei Bogen wenigstens für die Thalia lieferte? Ob ich dies von mir erwarten kann, weiß ich freilich nicht, und daher muß ich mich noch durch eine Uebersetzung decken; eine solche kannst Du mir vielleicht negociiren, wo möglich im historischen oder philosophischen Fache. Wie wär's mit Locke?« –

Der in einer idealen Welt schwärmende Dichter führt diesmal den auf die praktische Thätigkeit angewiesenen Staatsbeamten mit freundschaftlichem Rathe auf den Kreis seines Berufs zurück. »Wenn die Dreitausendthalernachricht sich bestätigt,« antwortet er aus Jena am 4. October, »so will ich wetten, daß irgend ein eigennütziger Schuft von Erbschleicher, der ihm zu insinuiren gewußt hat, daß das Geld in Deiner Hand nicht kaufmännisch genug wuchere, Dir bei ihm zuvorgekommen ist.« Er macht ihm für den Zuschnitt seines Haushaltes einen genauen Ueberschlag, schon für den Fall, daß er eine Wittwe mit zwei Kindern zurücklassen sollte. »Mit tausend oder zwölfhundert Thalern Rente kann Deine Minna mit den Kindern ruhig und glücklich leben; denn es giebt in Deutschland noch schöne Gegenden, wo dies ein ansehnliches Vermögen ist. So lange Du lebst, kann Dir eine Einnahme von zwölfhundert bis achtzehnhundert Thalern nicht fehlen. Ich wollte Dir nicht rathen, für jetzt andere Dienste zu suchen. Deine Aussichten in Dresden sind solid für Deine Umstände und selbst für Deine Neigungen nicht zu verwerfen. Es kostet Dich ein Jahr oder zwei, die Freundschaft Deiner Minister zu kultiviren, so ist Deine Verbesserung gewiß ... Fünfhundert Thaler dürften mit schriftstellerischen Arbeiten schwer zu erwerben sein.« Schiller ist bereit, zwanzig bis dreißig Bogen in die Thalia aufzunehmen ... »Könntest Du Dich entschließen, leichter wegzuarbeiten, so wollte ich Dir eher zu eigenen Arbeiten als zu Uebersetzungen rathen. Eine schlechte Uebersetzung ist die schlechteste aller Schlechtigkeiten und eine gute Uebersetzung kostet Zeit.« Die Uebersetzungen wurden nur mit fünf Thalern der Bogen, Aufsätze in der Thalia, welche kleineres Format als die »Memoiren« haben, mit einem Karolin (6 &frac12; Rthlr.) bezahlt. »Wähle einen guten Stoff und nimm Dir vor, in vier Tagen zwei Druckbogen zu schreiben. Schreibe drauf los, bis diese fertig sind, und lass' uns dann sehen, was Du geboren hast. Lass' Dich ganz gehen, und kritisire nicht zu viel. Gelingt's, so weißt Du, daß Du in zwei Tagen einen Bogen schreiben und also immer doch gewiß einen Karolin verdienen kannst. Geschieht dies auch nur einmal in der Woche, so sind Dir fünfzig Karolin des Jahres gewiß. In fünf Jahren läßt Du eine Sammlung drucken und streichst dann hundert Louisd'or auf einmal ein.« – Bei der Gewissenhaftigkeit und Langsamkeit, mit welcher Körner seine für den Druck bestimmten Abhandlungen schrieb, war das auf diesem Wege gewonnene Honorar nie von Belang. Ein höheres Gehalt als Appellationsrath und eine ihm später zugefallene Erbschaft setzten ihn in den Stand, auf eine Einnahme für schriftstellerische Arbeiten nicht weiter zu rechnen. Körner besaß seit 1756 den Weinberg in Loschwitz, seit 1862 ein ansehnliches Haus in der Moritzstraße und später ein kleineres Haus in der Wilsdrufer Gasse. Die Kriegsnoth 1813 in Dresden, die der Ausrüstung der Freiwilligen des Lützow'schen Korps gebrachten Opfer und die ihm als einem bekannten Franzosenfeinde doppelt und dreifach auferlegten Lasten schmälerten sein Vermögen bedeutend. Eine von dem Grafen Geßler, preußischem Gesandten und reichem Gutsbesitzer in Schlesien, letztwillig vermachte Leibrente und das ihm nach dem Eintritt in den preußischen Staatsdienst als Staatsrath und Geheimer Oberregierungsrath gewährte Gehalt setzten ihn in den Stand. seinen Ausgabe-Etat in Berlin auf drei- bis viertausend Thaler zu erhöhen. Der Wittwe war die Hälfte dieser Einnahmen bis zu ihrem Tode gesichert.

Ueber den Fortgang der geistigen und körperlichen Entwickelung der Kinder, besonders des Knaben, macht Körner dem Freunde erfreuliche Mittheilung. »Mein Karl,« schreibt er ihm den 7. Juli 1793, »würde Dir viel Freude machen: man giebt mir Schuld, daß ich den Jungen vorziehe. Wahr ist's, daß ich mich mit ihm mehr beschäftigen kann, als ich es mit Emma thun konnte.«

Schiller, welcher in diesem Jahre nach längerer Verbannung sein geliebtes Schwabenland wieder betreten durfte, wurde in Ludwigsburg am 14. Septbr. 1793 von seiner theuren Lotte mit einem Knaben beschenkt, welchen er aus Freund- und Gevatterschaft mit Körner auf den Namen »Karl« taufen ließ. »Wohl Dir und Deinem Weibchen,« schreibt ihm der Freund aus Dresden den 22. Septbr. 1793, »daß Ihr nun auch in unserem Orden seid. Es ist ein eigner Genuß, ein solches kleines Wesen um sich zu sehen, daß Einem so nah' angehört. Wer diesen Genuß entbehrt, lernt den Werth des Lebens nie vollständig kennen.« In einem Briefe vom 28. März 1794 spricht er seine Freude darüber aus: »wie schön es sein wird, wenn unsere Knaben dereinst Hand in Hand mit einander vor unsern Augen wandeln. Ich fühle mich verjüngt, wenn ich unseren Jungen nur ansehe.« Diese väterliche Freude an dem Knaben spricht sich auch darin aus, daß über Alles, was ihm begegnet, Bericht erstattet wird. Angemeldet wird der erste Zahn, das Impfen der Kuhpocken, was damals eben erst eingeführt wurde. Nicht unerwähnt läßt der Vater, mit welchem Stolze der kleine Karl sich in den ersten Hosen präsentirt habe. Da ihm aber die Kinderfrau vorerzählt hatte, daß zu den Hosen immer auch ein Bart gehöre, habe der Kleine das neue Kleidungsstück dem Schneider mit dem Bemerken zurückgegeben: es wären keine ganzen Hosen, der Bart fehle. Zur Freude der Eltern schritt die Entwickelung ihres Karl sichtbar, aber gleichmäßig vor. »Mir wird« – schreibt Körner dem Freunde den 28. Januar 1798 – »mein Karl immer interessanter. Vielleicht ist es väterliche Täuschung; aber ich glaube manchen guten Zug an ihm zu bemerken. Jetzt gehe ich blos darauf aus, nichts zu zerstören. Was nicht von selbst wächst, pflanze ich nicht. Das ist ein Punkt, über den wir noch Manches sprechen werden.« Im November 1795 machte der Sohn der Frau von Stein, Fritz, dessen Erziehung sich Goethe so angelegen hatte sein lassen, einen Besuch bei Körner. Dieser schreibt über den jungen Mann an Schiller: »Stein war hier und hat uns recht angenehme Empfindungen gemacht. In seinem ganzen Wesen ist nichts, wodurch man für ihn begeistert werden könnte, aber ein gewisses Ebenmaß, das dem Gefühle so wohl thut, wie dem Auge die schönen Verhältnisse der Architektur. Er ist natürlich, unbefangen heiter, verständig, ohne ausgezeichnete Fähigkeiten zu verrathen. Du kennst ihn länger und mußt wissen, ob man in irgend einem Fache etwas Vorzügliches von ihm zu erwarten hat. Oder war dies vielleicht gar nicht die Absicht bei der Erziehung? Sollte er nur zum Menschen gebildet werden? Waren überhaupt seine Triebe nie heftig? Oder wußte man sie durch ein Gegengewicht zu mäßigen? Was Du mir über die Erziehung dieses Menschen schreiben kannst, ist mir interessant. Ich habe ihn als ein pädagogisches Kunstwerk aufmerksam betrachtet. Bei meinem Jungen würde sich ein solches Ziel schwerlich erreichen lassen. Er ist äußerst reizbar und heftig, aber nicht hartnäckig.« – Einen braven Mann bringen sorgfältige Erziehung und Umgang mit gebildeten und sittlichen Menschen wol zu Stande; Talente und in höherem Grade Genie sind Gaben der Natur, welche anzuerziehen selbst ein Goethe nicht vermag. Fritz Stein und noch weit mehr Goethe's eigener Sohn blieben zeitlebens unbedeutende Menschen. – Bei Theodor machten sich ausgezeichnete Eigenschaften frühzeitig bemerkbar. Schiller schreibt an Körner aus Jena den 18. Januar 1798: »Funk Sächsischer Husaren-Rittmeister (später General), Mitarbeiter der Horen, Uebersetzer von Sully's Memoiren und anderen historischen Schriften. erzählte mir viel von Deinen Kindern und besonders Erfreuliches von Deinem Jungen, der so brav werden soll. Mich freut es herzlich, daß Dir dieses Glück zu Theil wird. Auch mein Karl ist wohl und entwickelt sich, daß es eine Freude ist. Goethe ist ganz von ihm eingenommen und mir, der ich nur in dem engsten Lebenskreise existire, ist das Kind so zum Bedürfniß geworden, daß mir in manchen Momenten bange wird, dem Glück eine solche Macht über mich eingeräumt zu haben.« Aber weder Schiller noch Goethe sahen die von ihren Söhnen gehegten Erwartungen in Erfüllung gehn, vielmehr hatten sie die schmerzliche Bekümmerniß, sie dämonischen Gewalten verfallen zu sehn. Der älteste Sohn Schiller's, Karl, begann seine Laufbahn als »Page« am Weimar'schen Hofe, machte den Krieg gegen Napoleon als preußischer Landwehr-Ulanenlieutenant mit und wurde in würtembergischen Diensten zum Oberförster befördert. Ein zweiter Sohn, Ernst, studirte Rechtswissenschaft und wurde preußischer Rath bei dem Apellhofe in Köln. Er hatte sich, eben so wie August von Goethe, dem Trunk ergeben; beide starben an den Folgen dieser Krankheit. Der Schmerz, welchen Theodor den Aeltern durch seinen Tod bereitete, trug den beruhigenden Trost in sich: »Unser Sohn hat unsre schönsten Hoffnungen erfüllt, und wie er uns zu Ehr' und Freude unbefleckten Wandels gelebt, so ist er auch, mit Ehren und Freuden reich geschmückt, für Freiheit und Vaterland in den Tod gegangen.« Diesen und ähnlichen Worten fügte der Vater in späteren Jahren die Betrachtung hinzu: wie sich doch das Sprichwort der alten Römer: » heroum filii noxae!« Die Söhne der Helden werden Taugenichtse auch in neuster Zeit noch als wahr erwiesen habe. Die Söhne unserer großen Dichter, Philosophen und Kriegshelden seien fast ohne Ausnahme zur Mittelmäßigkeit, wenn nicht zu noch tieferen Stufen hinabgestiegen.

Das so sehnlich herbeigewünschte Wiedersehen der Freunde mit Frauen und Kindern ging im Mai 1796 in Erfüllung, wo Körner mit seiner Familie die damals sehr mühselige Reise von Dresden nach Jena ausführte, welche, wie Körner dem Freunde vorher schrieb, »unser wilder Junge sehr erschweren wird.«

Schon frühzeitig im Januar 1796 wurde zwischen den Freunden eine Reise Körner's mit Frau und Kindern nach Jena verabredet. Körner schreibt an Schiller, Dresden den 7. Febr. 1796: »Auf den Dienstag in der Zahlwoche – den 26. April – denken wir in Jena einzutreffen. In zwei Tagen ist diese Reise für uns schwerlich zu enden. Wir werden also wol den ersten Tag in Grimma oder Borna bleiben, den zweiten in Ronneburg, wo das Gut der Herzogin, Löbichau (nicht wie in dem gedruckten Briefwechsel steht: Züllichau), in der Nähe liegt, die wir vielleicht auf einen halben Tag besuchen, um am dritten Tage bei guter Zeit in Jena zu sein ... Ich bin neugierig, wie sich mein Junge gegen Deinen betragen wird. Er ist etwa zwei Jahre älter, und das giebt ihm ein erschreckliches Uebergewicht. In solchen Fällen ist er sehr gefällig und nachgiebig, spielt auch wol den Mentor. Er spricht auch schon viel von der Jena'schen Reise und fragte neulich: ob wir auch die Hühner, die er sehr lieb hat, mitnehmen würden.«

In den Jahrgängen des Briefwechsels von 1796 und 97 geschieht der Kinder nur im Allgemeinen Erwähnung. Von Bedeutung für die frühe Entwickelung des musikalischen Talents Theodor's ist es, daß der Vater bei Schiller eine Guitarre für ihn bestellt und bescheinigt den Empfang, Dresden den 28. April 1797: »Die Guitarre ist da und hat einen schönen Ton. Lass' aber doch den Verfertiger wissen, daß er sich künftig beim Einpacken besser vorsehen soll.« Erst in einem Briefe vom 25. Mai 1798 thut Körner einmal wieder der Kinder Erwähnung: »Gesund sind wir Alle. Emma scheint im Zeichnen gute Fortschritte zu machen. Karl ist ein muntrer Junge, sehr leidenschaftlich, oft ungraziös, aber nicht bösartig. Zum Lernen hat er keinen sonderlichen Trieb; doch rechnet er gern und faßt ziemlich schnell. Emma ist äußerst leicht zu erziehen. Sie treibt Alles mit vielem Ernst, weil sie wirklich Freude daran hat, ohne alle Spur von Prätension oder Koketterie, und ist übrigens ein Kind so gut als andere, wenn sie spielt.« Am 14. August 1799 schreibt Körner dem Freunde: »Karl (damals acht Jahre alt) ist ein wilder, aber gutartiger Junge, nicht ohne Fähigkeiten, aber zu leichtsinnig und unstät, um sie zu gebrauchen. Sein Körper bildet sich gut aus, und er hat ziemliche Gewandtheit und Kraft.« Ueber das Töchterchen lautet ein Bericht vom 6. November desselben Jahres: »Emma (damals elf Jahre alt) macht im Zeichnen bedeutende Fortschritte und zeigt überall viel Fähigkeit und Ernst bei Allem, was sie unternimmt. Dabei ist sie glücklicherweise ein unbefangenes, heitres Geschöpf geblieben, und wenn sie von der Gallerie nach Hause kommt, wo man über ihr Copiren ihr viel Schönes gesagt hat, spielt sie mit ihrer Puppe, als ob nichts vorgefallen wäre.« – Zwei Portraits der Kinder in Lebensgröße aus dieser Zeit, das des Knaben von Graff in Oel, das des Mädchens in Pastell von der Tante gemalt, bestätigen in lebendigen Zügen wohlgetroffener Bildnisse die schriftlichen Aufzeichnungen des Vaters. Der Knabe sitzt mit etwas seitwärts geneigtem Kopfe; in dem Blick der großen blauen Augen spricht sich nicht Zerstreuung nach außen, vielmehr Sammlung nach innen aus; das dunkle, mäßig gelockte, dem Wuchse der Natur überlassene Haar beschattet eine freie Stirn und trotzige Augenbrauen, der Mund verräth Schelmerei, und die starken Nüstern des Stumpfnäschens deuten auf künftigen Uebermuth. In anmuthigem Gegensätze zu dem Bildnisse des Knaben steht das der Schwester. Emma steht vor uns in graziöser Bewegung, als ob sie eben einen Tanz einübe, und doch in einer so natürlichen Haltung, daß – wie auch der Vater ihren Charakter schildert – nicht die leiseste Spur von Prätension oder Koketterie sich bemerkbar macht. Der Ausdruck ihrer Gesichtszüge wie der ganzen Gestalt ist Anmuth, das Köpfchen, mit sorgfältig geordnetem, dunkelgelocktem Haar, ist über die Schulter nach vorn gewendet, sie blickt uns mit zwei braunen Augen an, welchen wir zutrauen, daß sie nach einigen Jahren gefährlich werden dürften, eine Besorgniß, die sich uns selbst wie so manchem Anderen nicht als unbegründet erwiesen hat.

Ueber die fortschreitende Entwickelung der Kinder schrieb Körner dem Freunde, Dresden den 12. Januar 1800: »Die Kinder sind wohl und bilden sich immer mehr aus. Beide sind gutartig, aber sehr verschiedene Naturen. Emma ist in Allem zierlich und streng gegen sich selbst. Was sie unternimmt, gelingt ihr, wenn besonders Fleiß, Aufmerksamkeit und ein feiner Blick dazu gehören. Karl hat viel Anlagen und faßt schneller als Emma; aber er bringt wenig vor sich, weil er immer nur Augenblicke bei einer Sache bleibt. Sein Körper wird indessen immer fester und gewandter.« –

Die Erziehung und Ausbildung Emma's wurde dadurch begünstiget, daß die Aeltern die Tochter eines begüterten Freundes, des Kaufmannes Kunze in Leipzig, zu sich nahmen, welche ein ausgezeichnetes musikalisches Talent insbesondere für den Gesang hatte und mit inniger Schwesterliebe sich an Emma anschloß. Körner schreibt dem Freunde den 5. September 1803: »In meinem Hause werde ich bald manchen musikalischen Genuß haben. Meine Kinder haben Stimme, und ich lasse ihnen von einem sehr guten Meister, den wir hier haben (Dresden hatte damals eine sehr ausgezeichnete italienische Oper unter Paer's Direktion) Unterricht geben. Kunze's Tochter hat auch viel Talent und Eifer zum Singen. Das giebt nebst mir vier Stimmen, womit man schon Manches unternehmen kann.« – »Ich wünschte,« schreibt er in einem folgenden Briefe, »daß Du jetzt meine Mädchen singen hörtest; Du würdest Deine Freude daran haben. In dem mir vermachten musikalischen Nachlasse Körner's befand sich ein nur wenig bekanntes Lied von Gluck: »Einen Bach, der fließet etc.,« mit der Bemerkung: Schiller's Lieblingslied.« Die letzte Nachricht über den Sohn giebt Körner dem Freunde, ein Jahr vor dessen Tode, den 12. September 1804. »Mein Karl macht jetzt gute Fortschritte. Zur Mathematik und zum Drechseln stellt er sich ziemlich geschickt an. Ich möchte gern alle Arten von Fertigkeiten in ihm ausbilden. Er hat ziemliche Gewandtheit und Schnelligkeit für körperliche und geistige Thätigkeiten. Auch ist er gutartig und fröhlich, so daß ich jetzt im Ganzen wohl mit ihm zufrieden bin.«

Am 8. Mai 1805 schlossen sich die Augen des Freundes in Weimar für immer, und dem Freunde in Dresden ward die schöne und ihn über irdische Trauer erhebende Aufgabe zu Theil, durch Herausgabe seiner Werke in erster vollständiger Ausgabe dem heimgegangenen Freunde das würdigste Denkmal zu setzen.

Daß auf die Frühreife des dichterischen Talents Theodor's weder tellurische Einflüsse des Landes, noch siderische der Konstellation des Himmels stattgefunden, wurde bereits erwähnt; die Familie und der gesellschaftliche Kreis der Befreundeten in dem Körner'schen Hause waren für Theodor's Ausbildung die bestimmenden Mächte. Ohne angebornes Talent freilich würde die Dichtkunst niemals der Beruf seines Lebens in so ausgezeichneter Weise geworden sein; zuverlässig aber mag die innige Freundschaft, welche den Vater mit Schiller verband, die frühe Bekanntschaft des Knaben mit dessen Gedichten, vornehmlich den Balladen, auch der Eindruck, welchen auf Theodor, obschon er noch ein Knabe war, die persönliche Erscheinung des hochgefeierten Dichters als eines liebenswürdigen Kinderfreundes machte, wol den noch schlummernden Funken der Begeisterung geweckt haben, wie sich dies auch in den ersten Gedichten, welche er unter dem bescheidenen Titel »Knospen« 1810 drucken ließ, bemerkbar machte, so daß der Beurtheiler derselben in der Jena'schen Literaturzeitung, Professor Wendt, den jungen talentvollen Dichter warnte, er möge nicht allzu bemerkbar »schillern«.

Das Körner'sche Haus in Dresden und die Gesellschaft, welche sich hier versammelte, haben in der Geschichte der deutschen Literatur eine wohlverdiente Berühmtheit erlangt. Wir besitzen von einem eingebornen Dresdener Schriftsteller, dem Erzähler seiner Zeit vielgelesener launiger Dichtungen, Friedrich Laun, eine getreue Schilderung der gesellschaftlichen Zustände in Dresden und insbesondere im Körner'schen Hause, in welchem er von dem Beginn des Jahres 1800 bis 1814 als willkommener Gast an den bestimmten Gesellschaftsabenden wohl empfangen war; er berichtet: Literaturblatt von Wolfgang Menzell No. 87 u. 88 d. J. 1848.»Mancher andern Stadt gegenüber lastete damals im Allgemeinen auf Dresden noch eine Art ägyptischer Finsterniß. Sie erstreckte sich weit über die den Landes- und städtischen Kollegien vorsitzende Gravität hinaus bis in die meisten Privatwohnungen. Der Unterschied der Stände zerschnitt alles gesellige Leben der höher sich dünkenden Klassen so unbarmherzig, daß sein eigentliches Wesen ganz zu Grunde ging. Den durch Geburt, Rang, Reichthum, Orden u. s. w. Bevorrechtigten wurde meistens höchst unwohl, wo sie irgendwo in Gesellschaft mit Personen von geringerem Belange zusammentrafen; mit einem Worte: aus einem quasi pennsylvanischen Absonderungssystem hatte sich in Dresden seit undenklicher Zeit immer vollständiger ein tragikomischer Zustand entwickelt, der den gebildeten Ausländern, die hier einsprachen, oft unerträglich vorkam, während sich manche andere deutsche Stadt aus der zeitherigen socialen Unerträglichkeit immer besser herausarbeitete. Das Körner'sche Haus gehörte in Kurzem nicht nur zu den wenigen ehrenvollen Ausnahmen, in denen weder Adel noch Orden noch irgend eine blos äußerliche Auszeichnung, vielmehr nur wahrhafte Bildung und Intelligenz Zutritt erhielten, sondern es durfte sich sogar rühmen, hierzu den Ton angegeben zu haben. In ihm regulirte sich ein recht mannigfaches, glückliches Gesellschaftsverhältniß gleichsam von selbst. Wen auch weder die geistige Liebenswürdigkeit seiner drei Begründer noch der Reiz angezogen hätte, den Sänger des hohen Liedes »an die Freude«, den Dichter des Don Carlos von Angesicht zu erschauen, den fesselte doch, nachdem dieser längst in Weimar des fortdauernden Verkehrs mit Goethe sich erfreute, die ganze Einrichtung des gastfreundlichen Hauses und dessen völliges Abweichen von den meisten übrigen Häusern durch anständige Zwanglosigkeit und eine Einfachheit, eben so weit entfernt von Prunk und Hoffart als von unzureichender Bequemlichkeit. Fremde und Einheimische fanden ihre Rechnung in seinen behaglichen Räumen und bei der Frugalität seiner Tafel und seines Büffets, zumal da in der Regel, vermöge der dortigen freien Bewegung der Rede, der mannigfachste Gesprächsstoff sich recht heiter und anmuthsvoll zu gestalten pflegte. Wissen und Kunst, denen in diesem Hause ein Freihafen offen stand, mußten zwar beim Eintritt ihre pedantischen Formen zurücklassen, fühlten sich aber dann auch um so wohler in der lieben, trauten Umgebung. Gemeiniglich übernahmen die drei häuslichen Autoritäten die Leitung der allgemeinen Unterhaltung im Stillen, und ohne daß Jemand Solches inne wurde. Des ansehnlichen, würdevollen Hausherrn vielfache Präponderanz that hierin das Meiste und wußte stets eine imponirende Haltung zu behaupten. Der Hausfrau, zu Anfang der ersten Jahre des neunzehnten Jahrhunderts schon über ihre Blüthezeit hinaus, war zufolge übereinstimmender Berichte früher bei einer noch fortdauernden unvergleichlichen Figur die ausgezeichnetste Grazie eigen gewesen, deren Spur noch immer mächtig nachwirkte, so daß oft durch einen einzigen ihrer Blicke ein Scherz, der über die Schnur zu hauen drohte, auf der Stelle in seiner rechten Bahn festgehalten wurde. Und der dritten Person, ihrer Schwester Doris, fiel ebenfalls kein geringer Theil der Unterhaltungdirektion zu. Mit scharfem, zuweilen zu schonungslosem Witze reich begabt, war sie mitunter eine arge Zuchtruthe, vor der die Voreiligkeit mancher Anwesenden auf ihrer Hut zu sein alle Ursache hatte.« –

Nicht aber waren es die eingeborenen Dresdner, welche die Gesellschaft in dem Körner'schen Hause interessant machten, vornehmlich waren es ausgezeichnete Männer und Frauen aus Nord- und Süddeutschland, welche, wenn sie auch nur auf kurze Zeit in Dresden verweilten, durch auswärtige Freunde empfohlen, bei dem Freunde Schiller's die freundlichste Aufnahme und Gelegenheit fanden, ihre Talente und ihre Liebenswürdigkeit zur Geltung zu bringen. – Der Stern erster Größe am musikalischen Himmel, welcher all die anderen damals erbleichen machte, Mozart, brachte 1789 die Partitur seines Don Juan nach Dresden, und im Körner'schen Hause war es, wo der bescheidene Künstler die staunenden Zuhörer mit dieser, alles andere auf dem Gebiete der deutschen Oper Erschienene weit überstrahlenden Tondichtung bekannt machte. Eine treffliche Bleistiftzeichnung, welche damals Doris Stock von Mozart machte, hat die Künstlerin mir verehrt. Professor Mandel hat davon einen sehr sauberen Kupferstich gemacht. Das Original hab ich dem Komponisten der Oper »Wilhelm von Oranien«, dem Kapellmeister Karl Eckert, geschenkt.

Goethe, welcher, wie erwähnt, als Leipziger Student die Mutter Theodor's als Kind im Hause des Vaters, bei dem er Unterricht in der Kupferstechkunst nahm, kennen lernte, kam später durch Schiller mit Körner in persönlichen und brieflichen Verkehr. Er legte auf Körner's Urtheil auf dem Gebiete der Literatur großen Werth, übersandte ihm die einzelnen Bände seiner Werke sofort nach ihrem Erscheinen und richtete seine Reisen nach den böhmischen Bädern geflissentlich mehrmals so ein, daß er in Dresden einige Tage verweilte. In einem Briefe aus Weimar vom 16. Nov. 1812 bezeigt Goethe dem Vater Körner Dank und Achtung. Er schreibt ihm: »Für Ihren freundlichen Zuruf, durch welchen Sie mir Ihre Theilnahme an meinem zweiten Bande (von Wahrheit und Dichtung) versichern, sei Ihnen herzlicher Dank gesagt. Da ich sehr gern gestehe, es auch aus meinen Konfessionen erhellen wird, daß ich alle meine früheren Arbeiten um mein selbst willen und für mich selbst unternommen, weshalb ich denn auch wegen mancher wol zwölf und mehr Jahre geruhig abwarten konnte, bis sie Eingang fanden und einige Wirkung thaten, so will ich doch gern bekennen, daß es mit diesem letzten Werke sich anders verhält. Ich wünschte, daß meine Landsleute, besonders aber meine Freunde, die in höheren und mittleren Jahren sich befinden, ihre Freude daran haben und sich mit mir einer nicht längst vergangenen schönen Zeit fröhlich erinnern mögen ... Auch wir, mein Bester, haben gute Zeiten zusammen verlebt, und ich habe höchst Ursache, jener Epoche mit Liebe und Treue zu gedenken; wenn ich nur dazu gelange sie darzustellen.

»Ich danke Ihnen, daß Sie auch dieser Arbeit das Zeugniß eines musikalischen und poetischen Effekts geben; doch wer könnte den mehr fühlen als Sie? Auch erwarten Sie mit Recht, daß sich sowol die Darstellung als Reflexion steigere, ja, ich muß mich in Acht nehmen, daß ich nicht zu früh fortgerissen werde .. Erhalten Sie mir, meinen älteren und neuesten Produktionen in Ihrem Kreise ein freundliches Andenken.« – Welch ein lebhaftes Interesse Goethe an den Dichtungen Theodors für die Bühne nahm, werden wir später zu erwähnen haben.

Von Goethe empfohlen, fand der dänisch-deutsche Dichter Oehlenschläger, dessen Schauspiel »Correggio« ihn in Deutschland berühmt und beliebt gemacht, in dem Körner'schen Hause im Jahre 1806 freundliche Ausnahme. Er berichtet darüber in seiner Selbstbiographie: »Die ganze Familie hatte viel Sinn für Poesie. Theodor, der nachherige Held und Tyrtäus, war damals ein hübscher, vierzehnjähriger Knabe, der, wenn ich meine Gedichte vorlas, sehr fromm und aufmerksam zuhörte. Seine Schwester Emma malte schön, ein Fräulein Kunze, die bei ihnen wohnte, sang vortrefflich. Der schöne geniale Italiener Paer, den Napoleon später als Kapellmeister nach Paris berief, war öfter anwesend, und ich hörte ihn mit den Damen Mehreres aus seinem »Sargino« singen. Aus Hoffmann's Novellen wissen wir, daß man zu jener Zeit in keiner Gesellschaft, wo zwei singende Damen vorhanden waren, dem Duett aus Sargino oder der Zögling der Liebe: » dolce dell anima« entgehen konnte. Die Partitur der komischen Oper: »Der lustige Schuster«, Handschrift des Komponisten, ist aus Körner's Nachlaß in meinen Besitz übergegangen. Tante Doris, eine vorzügliche Pastellmalerin, war munter und witzig und wollte mich über meine große Jugendlichkeit manchmal aufziehen.« Geb. zu Kopenhagen (von deutschen Aeltern) 1779, gest. als Professor in Kiel.

Ein dritter deutscher Dichter von hoher Bedeutung, welcher, als Theodor noch ein Knabe war, im Körner'schen Hause viel verkehrte, war Heinrich v. Kleist, der Dichter des Prinzen von Homburg, des zerbrochnen Kruges, des Käthchen von Heilbronn u. A. m. Die Veranlassung zu dem zuletzt genannten Trauerspiele gab ein Erlebniß des Dichters in Körner's Familie. Näheres hierüber theilt E. v. Bülow in dem Supplementbande zu den von ihm herausgegebenen Werken Kleist's mit.

»Im Körner'schen Hause lernte Kleist ein reiches und liebenswürdiges junges Mädchen kennen, mit dem ihn bald eine gegenseitige Neigung verband. Ihrer Verbindung schien auch in der That nichts im Wege zu stehn; dennoch zerschlug sie sich an dem bloßen Verlangen Kleist's, daß ihm die Geliebte ohne Vorwissen Körner's, der ihr Vormund war, schreibe. Sie ging hierauf nicht ein; er wiederholte seine Bitte nach drei Tagen, in denen er sie nicht besuchte, darauf nach eben so viel Wochen und Monaten und löste zuletzt das Verhältniß völlig auf. Nach dem Bruche begann er das Käthchen von Heilbronn zu dichten und ward dazu gewissermaßen von dem schmerzlichen Bedürfnisse angetrieben, seiner ungetreuen Geliebten beispielsweise an seiner Heldin zu zeigen, wie man lieben müsse.«

Auch Novalis – v. Hardenberg war sein wirklicher Name – versäumte nie, so oft er von seinem Wohnorte Weißenfels nach Dresden kam, Körner zu besuchen und in dem stilleren Kreise der Familie seine Gedichte vorzulesen, welche durch den Freundschaftsbund mit Friedrich Schlegel eine katholisirende Färbung erhalten hatten. Schlegel selbst war damals, wo er noch nicht dem Wienerischen Wohlleben verfallen war, mit der Körner'schen Familie nah befreundet, obschon diese, zumal der Vater, sehr entschieden protestantisch war. Dies hatte auch auf Theodor günstigen Einfluß; denn obschon für ihn die Gefahr nahe lag, durch die damals in Aufnahme gekommene romantisch-katholische Schule in diese Strömung hineingezogen zu werden, so bewahrten ihn doch vor solcher kränkelnden Abirrung des Vaters Bekenntniß und seine eigene gesunde Natur. Zeugniß davon geben seine »geistlichen Sonnette« aus dem Jahre 1810 Geweckt und in freiere Bahnen geleitet wurden die dichterischen Anlagen Theodor's vornehmlich dadurch, daß in dem häuslichen Familienkreise und ebenso in den Abendgesellschaften die dem Vater aus Jena und Weimar von Schiller und Goethe mitgetheilten Gedichte und Abhandlungen, öfter schon bevor sie im Druck erschienen, vorgelesen und besprochen wurden. Zuweilen wurden auch Theaterstücke Lessing's, Shakespeare's, Schiller's und Goethe's mit vertheilten Rollen gelesen. Bei einer solchen Vorlesung des » Tell« 1804 war dem dreizehnjährigen Theodor die Rolle des Knaben Tell zugetheilt; er zeigte dabei so großen Eifer, daß er die geschriebene Rolle bei Seite legte und sie frei deklamirte. Die Sprache seiner lyrischen sowol wie seiner dramatischen Dichtungen steht zwar vorherrschend unter dem mächtigen Einflusse Schiller's, allein sehr früh schon giebt sich eine hohe Begeisterung Theodor's für Goethe kund. Wir verweisen auf das in den »Knospen« (1810) abgedruckte Gedicht: »An Goethe, als ich den Faust gelesen hatte« und auf einen Brief aus Freiberg (April 1809), in welchem er mittheilt, welchen Eindruck auf ihn »die Leiden des jungen Werther« gemacht.

»Theodor verließ das älterliche Haus nicht vor der Mitte des siebzehnten Jahres. Bis dahin erhielt er Unterricht theils eine Zeit lang auf der Kreuzschule in Dresden, theils in dem älterlichen Hause durch ausgezeichnete Privatlehrer. Unter diesen war der nachherige Historiker Dippold, Verfasser eines Lebens Karl's des Großen, einer Weltgeschichte u. A. m. der als Professor in Danzig zu früh für seine Wissenschaft starb. Eine dankbare Erwähnung verdienen hier noch vorzüglich als Lehrer des Christenthums der nachmalige Pfarrer Roller in Lausa und für seinen trefflichen Unterricht in der Mathematik der Professor bei der Ritterakademie Fischer.

»Eine der schwersten Aufgaben für einen Vater ist: den Sohn bei der Wahl des künftigen Berufes zu leiten. Genaue Abwägung der Vortheile und Nachtheile eines jeden Verhältnisses ist von der Jugend nicht zu erwarten; was sie bestimmt, sind oft unzureichende Gründe; gleichwol ist es bedenklich, ihrem Entschlüsse zu widerstreben, da man besonders bei lebendigen und kraftvollen Naturen zu wünschen hat, daß Geschäft und Neigung zusammentreffe. Und einen Beruf, der ihm künftig ein hinlängliches Auskommen sichern könnte, hatte auch Theodor zu wählen, da er auf den Besitz eines bedeutenden Vermögens nicht rechnen durfte. Der Bergbau hatte viel Anziehendes für ihn durch seine poetische Seite und durch die vielfältige Geistesnahrunq, die seine Hilfswissenschaften darbieten. Für die innere vollständige Ausbildung des Jünglings war dies zugleich sehr erwünscht. Bei einem überwiegenden Hange zu dem, was die Griechen Musik nannten, bedurfte er zum Gegengewicht einer geistigen Gymnastik, und bei dem Studium der Physik, Naturgeschichte, Mechanik und Chemie gab es Schwierigkeiten genug zu überwinden, die aber mehr reizten als abschreckten.

Im Sommer 1808 sollte nun das Studium des Bergbaues in Freiberg seinen Anfang nehmen, und der neue Bergstudent fand sich dort bald in einer sehr günstigen Lage. Der Bergrath Werner – seiner Zeit die erste Autorität in der Geologie, Geognosie und Oryktognosie – war ein Freund des Vaters und behandelte den Sohn mit vorzüglichem Wohlwollen. Unter den übrigen Lehrern hatte besonders der Professor der Chemie Lampadius viel Güte für ihn. In den angesehensten Häusern fand er eine freundliche Aufnahme, und sein Talent, mit jungen Männern, die ihn interessirten, leicht Bekanntschaft zu machen, kam ihm hier zu Statten. In dem ersten Briefe, welchen der Vater nach Freiberg (Dresden, den 10. Juni 1808) schreibt, macht er dem Sohne die Mittheilung, daß er von jetzt an aus der väterlichen Bevormundung entlassen sei. »Seit heute bist Du nun, lieber Sohn, Dir selbst überlassen. Ueber diese wichtige Veränderung in Deinem Leben habe ich Dir wenig zu sagen. Ich liebe die Vermahnungen nicht, weil ich sie für unnöthig halte, wenn man Grund zum Vertrauen hat, und weil sie im entgegengesetzten Falle ganz unnütz sind. Ohne Vertrauen auf Dich würde ich sehr unglücklich sein; aber ich rechne fest darauf, daß Du fortfahren wirst, Deinen Aeltern Freude zu machen. – Dein Vater Körner.«

Theodor entsprach diesem Vertrauen, und es bildete sich mehr und mehr zwischen Vater und Sohn ein Verhältniß offner und herzlicher Freundschaft aus. – Theodor war von Haus aus eine verliebte Seele, die nur allzu leicht Feuer fing, wenn ein Paar schöne Augen ihn freundlich grüßten, ein holder Mund ihm zulächelte. Sogleich war er berauscht, und war es auch nur ein flüchtiger Rausch, so hielt derselbe immer wenigstens so lange vor, bis er seinem Herzen in einem Gedichte Luft gemacht hatte. »Ich hätte gewünscht,« schreibt er aus Freiberg den 26. März 1809 an die Lieben in Dresden, »die gestrigen Damen hätten unseren Gesprächen auf dem Rückwege nach Dresden unsichtbar zugehört, sie hätten ihr Lob und unsere Begeisterung in tausend Liedern vernommen.« Trotzdem, daß er in dem Briefe »den verdammten Schuster« verklagt, daß er sechsundsechzig sächsische Schuhzwecken in den Stiefelsohlen durchgeschlagen,; was ihm beim Laufen große Schmerzen verursacht habe, lassen ihm die Liebe und die Musen dennoch keine Ruhe, und was er unterweges gesungen, fügt er als Postskript hinzu:

Wahn der Liebe

Kennst Du der Sehnsucht Schmerzen
Tief im Herzen?
Ein glühend Verlangen,
Ein ewiges Bangen,
Ein ewiges Streben,
Wie Qual und Lust,
So still in der Brust
Mit tiefem Beben
Sich innig verweben.

Weit in die Ferne
Himmelwärts,
In den Kreis der Sterne
Sehnt sich das Herz.
Ein schöner Morgen
Bricht glühend heran,
Doch der Liebe Sorgen
Zerstören den Wahn.
Ach, daß es doch bliebe.
Dies Paradies!
Der Wahn der Liebe
Ist gar so süß;
Er ist der Gottheit lebendiger Strahl,
Und das Leben entflieht mit dem Ideal!

Wir finden in dem handschriftlichen Nachlasse mehrere Gedichte aus der Knabenzeit, in denen Eros gefeiert und der Frauenschönheit gehuldigt wird. Dürfen dergleichen Versuche auch nicht in die Sammlung der Gedichte, welcher nur die gereifteren Arbeiten angehören sollen, Aufnahme finden, so sind sie doch für die Biographie von Bedeutung, indem sie in dem Keime die künftige Entwickelung der Pflanze ankündigen. Bereits in seinem dreizehnten Jahre übersetzte er siebzehn Liebeslieder Anakreon's im Versmaße des griechischen Dichters; wir schalten davon hier zwei der gelungensten ein.

Anakreon's erste Ode

Den Kadmos wollt' ich singen
Und singen die Atriden;
Doch meine Lyra tönte
Ein Liedchen nur vom Eros.
Jüngst stimmt' ich nun die Saiten,
Herakles wollt' ich singen;
Doch nur den Liebesgöttern
Ertönte meine Lyra.
So lebt denn wohl, Heroen!
Lebt wohl! denn meine Lyra
Tönt nur den Liebesgöttern.

Anakreon's zwanzigste Ode

Tantalos' Tochter weinet.
Ein Stein auf Phrygien's Bergen,
Und Pandion's Erzeugte
Flog aufwärts, eine Schwalbe;
O, würd' ich doch ein Spiegel,
Daß Du in mir Dich schautest;
Zum Kleide möcht' ich werden.
Daß Du mich immer trügest;
Zur Welle möcht' ich werden.
Dir um die Brust zu spielen;
Zum Oele möcht' ich werden.
Daß ich Dich salben könnte;
Das Band aus Deinem Busen,
Die Perl' an Deinem Halse,
Sandale macht' ich werden.
Daß mich Dein Füßchen trete.

In noch höherem Grade aber als schöne Augen und ein holder Mund übte der Gesang einer sympathischen Stimme eine unwiderstehliche Gewalt auf das durch und durch musikalische Gemüth des Dichters aus. Das glaubwürdigste Zeugniß dafür hat er in seiner »Rosamunde« niedergelegt. (Act I. Auftritt I.) Richard, welcher außerhalb des Gartens Rosamundens Gesang belauscht halte, erinnert den Freund daran in tiefgefühltester Empfindung:
»Da klang ein Zauberton in meine Seele
»Von fern herüber, der das tiefste Mark
»Mit einklangsvoller Seligkeit durchbebte.
»Die Pulse stockten mir, ich wagte nicht
»Des Athems leisen Wellenzug zu trinken.
»Es wurde jeder Nerve zum Gehör,
»Und wie zum Kusse öffnen sich die Lippen,
»Wollüstig von der liedbewegten Luft
»Den Hauch der Silberstimme einzuathmen.
»Da schweigt das Lied, – hier tönt es ewig fort.«

»Theodor betrieb anfänglich das Praktische des Bergbaues mit großem Eifer, scheute keine Beschwerde und war ganz einheimisch in dem Eigenthümlichen des Bergmannslebens. Mit den lebhaftesten Farben schildert er es in seinen damaligen Gedichten, und der biedere und erfahrene Berggeschworene Wenzel, bei dem er wohnte, konnte ihm nie genug davon erzählen. Nach und nach trat eine weniger anziehende Wirklichkeit an die Stelle des Ideals, und der mächtigere Reiz der bergmännischen Hilfswissenschaften machte ihn dem Praktischen untreu.« Diese Bemerkung erhält durch nachstehenden, zu Anfang Februar's 1809 aus Freiberg an den Vater gerichteten Brief Bestätigung: Wenn Adolf Wolff, der fleißige Sammler und verdienstvolle Herausgeber der bei Mertens, Berlin 1858, erschienenen Werke Theodor Körner's, Bd. 4. S. 108, bedauert, daß die Anzahl der ihm zur Verfügung gestandenen Briefe aus der Periode von Theodor's Lehr- und Wanderjahren nur eine geringe sei, so ist der Verfasser gegenwärtiger Biographie im Stande, hier ergänzend einzutreten, indem er sich in dem Besitze der noch ungedruckten Briefe und Tagebücher Theodor's aus jener Zeit befindet.

»Liebster Vater! Ich schrieb Dir jüngst von einem Plane; höre jetzt, was ich nach langer Prüfung beschloß, und gieb mir Deinen Rath. – Das Bergwesen will mich nicht so interessiren, als ich hoffte, ich hatte mir eine ganz andere Idee davon gemacht; hingegen fesselt mich die Naturwissenschaft unwiderstehlich. Die wenigen Blicke, die ich bis jetzt in den heiligen Tempel der Natur thun durfte, machen mich um so begieriger, je weniger ich bei meinem jetzigen Studium je erwarten darf, etwas darinnen zu thun; denn außer Oryktognosie und Geognosie erlaubt das weitläufige Studium des Bergwesens keinen Umgang mit den anderen Zweigen der Naturwissenschaft. Das Bergwesen erfordert, wenn man etwas darin leisten will, einen eisernen Fleiß im Praktischen und die Aufopferung aller anderen Nebenstudien. So angenehm es bei dem Erlernen ist, so widrig ist es mir aber auch geworden, wenn ich das Leben der Officianten sah. Die Unteren blos Rechnungsführer und Aufseher, die Oberen in einem beständigen Treiben und Sorgen, das ganze Gebäude des Bergwesens, das auf sehr schwachen Füßen in den jetzigen Zeiten steht, mühsam zu erhalten. Schon der leblose Theil der Naturwissenschaft, Oryktognosie, Geognosie etc. zieht mich lebhaft an; was muß sie nicht erst wirken, wenn sie lebend durch die Räume der organischen Welt hinschreitet? – Meine große Begeisterung für sie verdanke ich erst Schubert's Vorlesungen und dann noch mancher naturhistorischen Lektüre unter Faber's Anleitung. Wird bei ihr nicht auch die graue Theorie zum blühenden Lebensbaume? Kurz, lieber Vater, ich fühle, daß ich für die praktischen Geschäfte des Lebens nicht geeignet bin, und daß ich nicht den Muth habe, meiner Neigung entgegenzukämpfen. Mein Plan ist also, mich blos dem Studium der Naturwissenschaften zu weihn, in Freiberg nur noch ein Jahr zu bleiben und dann nach Tübingen zum großen Kielmeyer zu wandern, um mich von ihm in das Heiligthum der organischen Welt einweihen zu lassen und unterdessen mich hier blos mit Mineralogie und Chemie abzugeben. Ich fühl' es wol, wie wichtig der Schritt und wie entscheidend über meine Zukunft; aber er ist mit mehr Ueberlegung geschehen als der zum Bergwesen; dieses kannt' ich noch gar nicht, und hier steh' ich doch schon in der Vorhalle des Tempels. Daß mehr Anstrengung dazu gehört, das weiß ich, doch ist der Lohn auch größer, und fliegt doch auch der Adler der Sonne zu und erreicht sie nimmer. Du hast mich bisher rein und unverdorben geführt, theuerster Vater; mit dem Vertrauen auf Deine Liebe und Deine Menschenkenntniß leg' ich mein Schicksal in Deine Hand. Entscheide.

Dein treuer Theodor.«

Der Vater antwortet: »Dresden, den 11. Febr. 180S. Hat der Bergbau für Dich sein Interesse verloren, so getraue ich mir nicht, Dir zur Fortsetzung des Bergstudiums zuzureden. In Deinen Jahren denkt man zu wenig an die Mittel, sich vor künftigen Nahrungssorgen zu sichern. Es ziemt mir also bei Deiner jetzigen Wahl, Dich auch an diesen Punkt zu erinnern. Aber eine zu große Aengstlichkeit darfst Du bei mir nicht fürchten. Die Virtuosität, das weiß ich sehr wohl, nährt in der Wissenschaft wie in der Kunst. Also nur nach dem Höchsten gestrebt, nur keine Erschlaffung, kein Strohfeuer, keine Mittelmäßigkeit! Ernst und Liebe, die dem Deutschen so wohl anstehen, werden auch Dich zu einem würdigen Ziele führen. Dein jetziger Entschluß giebt mir die Aussicht, Dich nach Deinen akademischen Studien ein paar Jahre bei uns zu sehn. Ich gestehe, daß es mir erwünscht wäre, wenigstens etliche Jahre mit meinem ausgebildeten Sohne als Freund zu verleben. Vielleicht könnte ich Dir selbst in Deinem Fache als unbefangener Beobachter nützlich sein und Dich auf Lücken aufmerksam machen, die ich Dir überlasten müßte auszufüllen. Dein Vater Körner.« – Ueber seine Studien und seine auf der neuen freieren Laufbahn begonnene Lebensweise macht Theodor dem Vater in einem Briefe aus Freiberg im April 1809 offenherzige Mittheilung. »Dein Brief, liebster Vater, hat mir unendliche Freude gemacht. Wie uns die alten Lieder so lieblich ansprechen und so heimisch in unseren Herzen klingen, die Zeugen schönerer Tage, so ergreift mich jeglicher Brief von Euch; ich denke mir das geringste Detail, und die Erinnerung ist doch gar so süß.

»Des ganzen Tages leb' ich so ein höchst prosaisches, ganz gemeines Leben wie irgend ein ehrlicher Zünftler. Ich thue so viel als möglich meine Pflicht, höre was zu hören ist, und lebe mit lauter Alltagsmenschen, selbst ein Alltagsmensch. Aber des Abends sind meine schönsten Stunden; da wandr' ich in Sturm und Regen, Gewitter und Sonnenschein hinaus ins Freie, und mir wird so wohl. Und komm' ich endlich an meinen Lieblingsplatz, so nehm' ich den Goethe aus der Tasche und schwebe hinauf in seinen Tönen und labe mich in der Harmonie seines Geistes. Wie lieb ist es mir, daß ich erst jetzt den Herrlichsten zu verehren weiß; die Allgewalt des ersten Eindruckes ergreift desto mächtiger mein begieriges Herz. Im Werther, glaub' ich, wie in Schiller's Räubern, hat sich am Deutlichsten der ungezügelte Geist ausgesprochen, noch durch keine Schranke gefesselt. Erst jetzt erkenn' ich die ewige Wahrheit: kein Fleiß, keine Bildung, keine Form kann die dichtende Kraft erzeugen; das Herz hat sie erzeugt, das Herz nur stimmt ihr die Saiten. O! wie fern ist das Ziel, unendlich liegt die Bahn noch vor mir.«

»Hier meine Lebensweise. Früh arbeite ich gewöhnlich an bergmännischen Ausarbeitungen, schreibe meine Collegien-Concepte ins Reine und habe dann, besonders die 4 letzten Tage der Woche, Collegia. Nach Tisch gehen die Vorlesungen um 3 Uhr an und enden um 7 Uhr. Meine Stundenarrangements schreib' ich Dir künftig ausführlicher; noch sind die Collegien nicht alle bestimmt.« Er theilt die Liste der Vorlesungen und die dafür zu zahlenden Honorare mit, deren Summe 160 Thaler beträgt. »Vater! die Saat ist kostbar; der Boden ist aber gut, und er soll reichen Segen bringen.

Dein treuer Theodor.«

Tante Doris läßt es ihrerseits nicht an guten Ermahnungen in ihrer humoristischen Weise fehlen. Während der Abwesenheit der Aeltern bei dem Onkel in Zerbst hatte sie es übernommen, dem Neffen Nachricht über das, was in Dresden vorging, zu geben. Unzufrieden mit seiner kurzgefaßten Antwort schreibt sie ihm: »Dresden, den 3. Februar 1809. Die wenigen Worte, mit welchen Du mich beehrt hast, sollte ich eigentlich gar nicht beantworten; da aber übermenschliche Güte ein Hauptzug meines Charakters ist, so will ich sie auch diesmal nicht verleugnen und Dir dennoch schreiben.« Nach einigen Mittheilungen über langweilende Konzerte und Bälle, von denen sie »hungrig und verstimmt nach Hause gekommen«, fügt sie am Schlusse hinzu: »Nun komme ich zu der schönsten Stelle in meinem Briefe. Morgen mit der fahrenden Post schicke ich Dir Dein Monatsgeld, zwanzig Thaler. Ich beschwöre Dich, kein Dummkopf, kein Fant, kein Renommist und vor allen Dingen kein Faullenzer zu werden, sondern Deiner Tante Ehre zu machen. Dorothea

Bei dem Ausbruche des Krieges 1809, in welchem Oestreich einen letzten Versuch wagte, Deutschland von der Gewaltherrschaft zu befreien, waren die Herzen der Deutschen noch zu verzagt, um dem Aufgebote des Erzherzogs Karl, dem Aufrufe des heldenmüthigen Schill Folge zu leisten. In unaufgehaltenem Siegesfluge stand Napoleon wenige Wochen nach Eröffnung des Feldzuges vor Wien, sprengte die von drei Erzherzögen geführten Heere aus einander, und der gedemüthigte Kaiser Franz bat de- und wehmüthig um Frieden. Eine größere Schmach aber, als der fremde Eroberer dem deutschen Volke bereitete, fügten den getreuen Unterthanen ihre eigenen Fürsten zu, welche Napoleon mit goldenen Königskronen beschenkt und als Bundesgenossen mit eisernen Ketten an seinen Triumphwagen geschmiedet hatte. Friedrich August von Sachsen – sie nennen ihn zu Haus noch heute »den Gerechten« und haben ihm ein ehernes Denkmal errichtet – dieser Gerechte erließ an sein getreues Heer den schmachvollsten Aufruf, welchen jemals ein deutsches Ohr gehört: »Tapfre Soldaten! führet die Waffen gegen Oestreich im Vertrauen auf die göttliche Vorsehung! Diese wird das Unrecht durch den unüberwindlichen Arm des großen mit uns verbündeten Kaisers bestrafen, der schon zugegen ist, um den Feind zurückzutreiben und Euch zum Siege zu führen.« In gleicher, aller Scham und Scheu baren, das vaterländische Ehrgefühl verleugnenden Sprache waren die Tagesbefehle und Aufrufe der Könige von Baiern und Württemberg, des Großherzogs von Baden, ja sogar eines von Napoleon zum Großherzog von Würzburg beförderten östreichischen Erzherzoges, eines Bruders des Kaisers Franz, verfaßt. Wegen der den Rheinbundesfürsten in Aussicht gestellten Erweiterung ihrer Grenzen und ihrer Willkürherrschaft ließen diese ihre wehrhafte Jugend auf den Schlachtfeldern verbluten, um die Weltherrschaft des fremden Eroberers zu befestigen. Wol war die Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschland's gekommen, als Napoleon in einer Anrede an die baierischen und württembergischen Truppen sagte: »Ich bin nicht als Kaiser von Frankreich sondern als Beschützer Eures Landes und des deutschen Bundes in Eurer Mitte. Kein Franzose ist unter Euch; Ihr allein sollt die Oestreicher schlagen.« Die Kronprinzen von Baiern und Württemberg verdolmetschten ihren Soldaten die Proklamation des Kaisers, welche diese mit einem ihnen eingebläuten: »Vive I'Empereur!« erwidern mußten. – Von einem anderen Geiste waren die vaterländisch gesinnten Herzen der Preußen bewegt, deren König die wiederholten Anträge Napoleon's, in den Rheinbund einzutreten, abgelehnt hatte.

Der preußische Husarenmajor v. Schill brach am 28. April 1809 von Berlin auf mit seinem Husarenregimente; es waren Verabredungen mit gleichgesinnten Freunden in der Altmark und in anderen früher preußischen, nach dem Tilsiter Frieden unter des Königs Hieronymus Napoleon von Westphalen Herrschaft gekommenen Provinzen getroffen; es galt einen Aufstand des Volkes in Norddeutschland nach dem Beispiele, welches die Spanier und Tyroler gegeben. Aus Dessau den 2. Mai erließ Schill einen Aufruf »An die Deutschen!« welcher also anhebt: »Meine in den Ketten eines fremden Volkes schmachtenden Brüder! Der Augenblick ist erschienen, wo Ihr die Fesseln abwerfen und eine Verfassung wiedererhalten könnt, unter welcher Ihr seit Jahrhunderten glücklich lebtet, bis der unbegrenzte Ehrgeiz eines kühnen Eroberers unermeßliches Elend über das Vaterland verbreitete. Ermannet Euch, folgt meinem Winke, und wir sind wieder, was wir ehemals waren! Ziehet die Sturmglocken! Dieses schreckliche Zeichen des Brandes fache in Eurem Herzen die reine Flamme der Vaterlandsliebe an und sei für Eure Unterdrücker das Zeichen des Untergangs. Alles greife zu den Waffen; Sensen und Piken mögen die Stelle der Gewehre vertreten ... Jeder greife zu den Waffen, nehme Theil an dem Ruhme der Befreier des Vaterlandes, erkämpfe für sich und seine Enkel Ruhe und Zufriedenheit ... Siegreich rücken Oestreich's Heere vor, trotz den großprahlerischen Versicherungen Frankreichs; die Tyroler haben schon rühmlich die Fesseln zerbrochen; die braven Hessen haben sich gesammelt; an der Spitze geprüfter, im Kampfe geübter Krieger eile ich zu Euch. Bald wird die gerechte Sache siegen, der alte Ruhm des Vaterlandes wiederhergestellt sein. Auf! zu den Waffen! Schill

Nicht unberührt blieb Theodor von der Aufregung, welche damals alle edleren Gemüther bewegte; auch trat der Kriegslärm näher und näher an ihn heran. »Es lebt hier,« schreibt er aus Freiberg den 27. Februar 1809 an die Seinen, »Alles in großer Unruhe, die Kassen sind fort, kurz, Jeder denkt die Kaiserlichen morgen auf dem Halse zu haben, und Alles das macht mir das größte Vergnügen; denn man sieht so deutlich, wie wahr sich die Charaktere im Momente der Gefahr aussprechen. Die Unruhe mag nun gegründet sein oder nicht, mich soll sie nicht stören und kann höchstens den schlimmen Einfluß haben, daß Werner seine Vorlesungen aussetzt ... Das sächsische Regiment Max rückt heut bei uns ein, und Alles zieht das Gesicht in so mörderische Falten, daß ich meine Pistole und Büchse geladen und meinen Hieber gewetzt habe, um im Nothfalle nicht Freiberg, sondern meine Bücher und Werner's Kabinet zu beschützen. Es mag kommen, wie es will, ich bleibe hier und rühre mich nicht von der Stelle, es müßte denn die Akademie einfallen, und dann sag ich Valet.« Für Deutschland's Erhebung war die Zeit noch nicht erschienen; auch noch nicht die der Begeisterung für die Befreiung des Vaterlandes in Theodor's Herzen. War er auch weit davon entfernt, so unwürdige Gesinnung, wie sie sich in dem Aufrufe seines Königs kund gab, in sich auskommen zu lassen, so fand er doch in seinen nächsten Umgebungen keine Zustimmung zu seinen Ansichten, am Wenigsten in Dresden, wo der König und sein Hofgesinde die gesammte Bevölkerung durch und durch napoleonisirt hatten. Für ein gewagtes Wort durfte es damals gelten, daß Theodor dem Vater schrieb: »Wie hat sich unser König mit der Proklamation blamirt! à la Française!« Nicht ohne Besorgniß war man in Dresden vor dem Einmarsch eines östreichischen Korps aus Böhmen, und bereits im April wurden Vertheidigungsmaßregeln getroffen, die Festungswälle in Stand gesetzt, Kanonen ausgepflanzt und die Bäume auf denselben niedergehauen. »Ich hatte große Lust,« schreibt Theodor aus Freiberg im April 1809, »mich drei Seiten lang zu verwundern ob der grimmigen Anstalten, die in Dresden gemacht worden. Etwas abgeschmackt finde ich das Umhauen der Bäume; dazu war Zeit, wenn die Kaiserlichen anrückten. Ich bin jetzt ganz neutral; nur rath' ich alleweil zum Frieden, weil ich sonst auf Pfingsten das Riesengebirge unbereist lassen müßte, was mir gar sehr fatal wäre.

»Lass't uns nicht bangen im Kampfe der Zeit,
»Tobt auch auf dem Felde der blutige Streit;
»Wem das Herz in heiliger Ruhe schlägt,
»Der wird nicht vom Sturme des Schicksals bewegt.«

In einem Ende April's an die Aeltern gerichteten Briefe schreibt er: »Ihr scheint so ziemlich in Eurer edlen Residenz zu leben; denn wenn die Knechte der Gerechtigkeit (die Bürgergarde) selbst Wache stehn, wie kann man da sorgen! Politisches erfahrt Ihr ja doch erst durch die dritte Hand und könnt ihm also nur wenig Glauben beimessen, da die Nachrichten sich gewaltig widersprechen. Wir leben in gänzlicher Unwissenheit, zumal ich. Zeitungen les' ich nicht, kannegießern mag ich nicht, und raisonniren soll ich nicht; also sind mir alle Wege außer Euern Briefen abgeschnitten.«

Die Nachricht von dem Aufbruche Schill's aus Berlin war auch in das Erzgebirge gedrungen; sein aus Dessau erlassener Ausruf fand am Allerwenigsten Anklang in Sachsen; selbst Theodor schreibt dem Vater darüber im Mai: »Die Proklamation Schill's ist doch etwas starker Komplexion! – Schenk hat Briefe, worin versichert wird, es stände im Westphälischen Alles wieder ruhig, und ich denke also, es soll mich nichts in meinen Wanderungen stören. Sende mir doch noch ein Wenig Wein, Mütterchen; ich habe ein neues Getränk machen gelernt, was Capacello heißt und göttlich schmeckt ... Das Leben in der freien Luft bekömmt mir ganz ungemein. Ich lebe wie die Patriarchen blos von Milch; denn Heuschrecken habe ich noch nicht finden können.« Ein sächsisches Korps unter dem mit der Familie Körner nahe befreundeten General Thielmann war gegen die böhmische Grenze aufgebrochen, von wo man das Eindringen eines östreichischen Korps befürchtete. Der allgemeine Wunsch m Deutschland war, daß dem Doppeladler Oestreich's der Sieg beschicken sein möge, und freudig wurden die Nachrichten von glänzenden Siegen der Erzherzöge Karl und Johann ausgenommen. Nur zu bald erwies sich dieses »Victoria!« des Doppeladlers als ein bloßes Geschnatter Wienerischer Zeitungs-Enten; allein auch diese verstummten, als nach der Kapitulation der Kaiserstadt, am 12. Mai, ihnen der Schnabel gestopft wurde. Theodor schreibt dem Vater aus Freiberg, den 2. Mai: »Trotz allen den Siegesnachrichten kann ich doch nicht an die gewonnene Schlacht glauben. So viel ich hörte, steht in der Prager oder Wiener Zeitung der Bericht von dieser Schlacht, aber zum Vortheil der Oestreicher, als hätten sie gewonnen. Vermuthlich also ist es ein Seitenstück von der bei Eylau. Um Montag hörten wir deutlich kanoniren von früh 4 Uhr bis Mittag; so sagten wenigstens die zu der Zeit auf der Straße gewesenen Bergleute aus. Ein Altenberger Bote berichtet dasselbe. Mich dauert unsere Armee, daß sie ins Böhmische rücken muß; es wird nicht ohne Blut abgehen ... Das historische Datum in dem Tagesbefehl vom 24. April, daß Cäsar mit Xerxes kämpfte, kann interessante Aufschlüsse für die Geschichtsfreunde geben.«

Weder des Einmarsches des Herzogs von Braunschweig in Sachsen (den 21. Mai) noch der Schlachten bei Aspern (den 21. und 22. Mai), bei Eßlingen an denselben Tagen, noch der bei Wagram (den 5. Juli), ebensowenig des Waffenstillstandes im Lager bei Znaim (den 12. Juli) und des am 14. October in Wien abgeschlossenen Friedens thut Theodor in den Briefen an die Seinigen Erwähnung. Der Grund hiervon ist wol, daß er in dieser Zeit wiederholt zum Besuche in Dresden war und im August und September sich auf einer bergmännischen Reise in Schlesien befand. Anfänglich war die Absicht auf den Harz gerichtet, um sich mit dem Betriebe des dortigen Bergbaus und der geognostischen Beschaffenheit des Gebirges bekannt zu machen. Das Reisetagebuch mit dem Titelblatte »Collectaneen zu einer Reise auf den Harz von Th. K.« und der Reiseroute war in Ordnung, das Felleisen gepackt, der Bergknappen-Anzug lag bereit; da traten Bedenken ein wegen der im Harzgebirge angeblich noch umherstreifenden Aufständischen; das Wort »Harz« wurde auf dem Titelblatte des Tagebuches gestrichen und an dessen Stelle »aus das Riesengebirge« gesetzt. Theodor schreibt an den Vater, aus Freiberg, den 1. August: »Ihr Lieben! Nichts ist lächerlicher in der Welt als meine Pläne. – Bergrath Werner, der heute meinen Plan zu der morgen nach dem Harz anzutretenden Reise durchsah, fand ihn sehr gut, nur graute ihm »für das liederliche Gesindel, was in den dortigen Wäldern hausen könnte und seinen geliebten Zögling todtschlagen würde.« Er sagte mir übrigens, die Tour sei auch fürs erste Jahr wegen der sehr zusammengesetzten geognostischen Verhältnisse zu schwer, und überredete mich – ins Riesengebirge zu gehn. Die dortigen Verhältnisse sind leichter, und er glaubt, meine dortigen Konnexionen könnten mir sehr nützlich werden. So bleibe ich denn noch einige Tage hier, um mich zu präpariren, und wandre dann nach Schlesien.«

Der brave Sohn ist ein fleißiger Briefschreiber. Es befinden sich in meinem Besitz sieben bisher nicht veröffentlichte handschriftliche Briefe, das Tagebuch mit Gedichten und bergmännischen Aufzeichnungen, auch eine Zeichnung der Burg Kynast, welche Theodor später selbst radirt hat, so daß wir einen vollständigen Bericht über diese Reise zu geben im Stande sind. Aus dem Tagebuche und mehr noch aus den Briefen Theodor's ergiebt sich, daß der frohe Bergstudent sich mehr an den Schönheiten der Natur über als an ihren Schätzen unter der Erde erfreute, mehr schwärmerisch dichtete als wissenschaftlich berichtete. Seine Reise wurde dadurch sehr begünstigt, daß er in den mit den Aeltern befreundeten Familien der Grafen Reden, Stollberg, Hochberg, Einsiedel und Geßler auf ihren schön gelegenen Besitzungen gastliche Aufnahme fand und daß der Oberbergrath Charpentier sich seiner in wissenschaftlicher Beziehung fördersamst annahm. Der erste Brief ist aus Görlitz, den 12. August 1809. Er meldet, daß er am 10ten in Bautzen übernachtet, am folgenden Tage in das schöne Spreethal und über Reichenbach mit dem Ränzel auf dem Buckel nach Görlitz gewandert sei. »Auf dem Wege hierher wechselte ich mit dem vorüberfahrenden Isidorus Orientalis v. Löben einige gewiegte Worte und ging mit schwerem Herzen an Schloß Drehse vorüber, wo die schönen Wornsdorfs weilen. Der Stern in Reichenbach nahm uns unter seine Strahlen, denn Flügel kann ich doch nicht sagen, und heut früh um 6 Uhr verließen wir das Städtchen und wanderten der Landskrone zu. Wir stiegen, keine bequemeren Wege suchend, grad' hinauf bis auf die Krone, wo uns eine herrliche Aussicht belohnte.« In Görlitz führte ihn Doktor Anton in das Museum der naturforschenden Gesellschaft. »Schade,« bemerkte er, »um den Reichthum der Sammlung, die bis jetzt, wenig oder gar nicht geordnet, unbeträchtlichen Nutzen, vielleicht gar keinen bringt.« Er besuchte mit seinem Reisegefährten, Bergakademiker Henoch, die Peterskirche, die er für die schönste gothische Kirche erklärt, auch Jacob Böhme's Grab. »Jetzt sitzen wir hier, haben uns gehörig durch Essen und Trinken gestärkt und wollen morgen über Lauban nach Löwenberg, dann über Greiffenberg und Mäffersdorf auf den Isarkamm nach Schreiberhau. Glück auf!« Der zweite Brief ist aus Warmbrunn, den 19. August. Die Reise ging weiter, wie sie der Schluß des vorigen Briefes ankündigt. Eine freundliche Aufnahme fand Theodor in Hohlstein. »In der Schenke machte ich meine Toilette und ging dann ins Schloß, wo ich der Prinzeß Hohenzollern (Tochter der Herzogin von Kurland) Deinen Brief, liebes Tantchen, überbrachte. Ihre Schwester, Prinzeß Accerenza, war ebenfalls da. Sie nahmen mich ungemein artig auf, führten mich in dem Garten herum und ließen Freund Henoch, der zurückgeblieben war, überall suchen, bis er gefunden war; dann dejeunirten wir, und Prinzeß Pauline sang mir ihre lieblichen Kompositionen vor. Es waren herrliche Stunden; wir sollten durchaus bleiben, aber wir wünschten noch bis Greiffenberg zu kommen und wanderten weiter.« Der romantische Greifenstein wurde erstiegen und am folgenden Tage in dem Badeort Flinsberg eingekehrt. »Wir machten uns den Spaß, an der table d'hôte zu essen, wo wir den ächten schlesischen Adelston beobachten konnten. Es war höchst komisch.« Am folgenden Tage machte das Ersteigen der Tafelfichte große Beschwerde. »... Der Anblick der Gebirgskette von den Schreiberhauner Höhen ist trefflich. Miserable Kost und schlechtes Nachtlager in der oberen Schenke wollte nicht schmecken. Am Donnerstag besuchten wir den Zackenfall, er ist wunderschön, und stiegen dann über die neue schlesische Baude zum Elbbrunnen, wo wir still und feierlich Eure Gesundheit tranken. Wir wanderten von hier zum Pantschefall und zu dem majestätischen Elbfall. Von hier gingen wir über die Schneegruben nach der kleinen Sturmhaube und über den Spitzberg zurück. Der herrliche Blick von dieser Höhe nach Schlesien, Sachsen und Böhmen versetzte uns in die herrlichste Stimmung. In der alten schlesischen Baude übernachteten wir auf dem Heuboden, besuchten dann frühmorgens den Elbfall nochmals und wanderten dann zum Kochelfall, der wol unter den vielen Wasserfällen die oberste Stelle behält, wenn er auch nicht die Höhe des Zacken- und Elbfalls hat. Von hier aus gingen wir nach Schreiberhau zurück und erstiegen am Nachmittag die Burg Kynast, die ohnstreitig die schönste Ruine ist, die ich je gesehen. Wir sahen von da die Sonne untergehn; es war ein herrlicher Abend. Nachdem wir herabgestiegen, wanderten wir vollends nach Warmbrunn und quartierten uns im schwarzen Adler ein, von wo aus wir den herrlichsten Anblick auf das Riesengebirge haben. Uebermorgen soll es, wenn Gott will, auf die Riesenkoppe gehn. – Ich hoffe, Ihr seid so wohl und vergnügt wie ich.« –

Aus Warmbrunn, den 23. August: »Soeben bin ich wieder hier angelangt. Am Montage verließen wir Warmbrunn, erstiegen die Koppe durch Nebel und Sturm, und unsere Beharrlichkeit wurde durch den schönsten Abend und den herrlichsten Sonnenuntergang belohnt. Wir blieben die Nacht in der weißen Wiesenbaude, eine Stunde von der Koppe, und ruhten auf duftendem Heu. Die Thüre des Heubodens blieb offen, und man sah die stolze Schneekoppe in der lichten Mondnacht vom Strahle des Mondes versilbert. Es war herrlich. – Des Morgens um 3 Uhr bestiegen wir die Koppe zum zweiten Male, und wenn auch der Horizont nicht klar war und Frost und Sturm uns sehr plagten, so war doch der Anblick des Kampfes der Sonne mit dem Nebel, der wie ein Ozean über Schlesien lag, wunderschön. Mittags bestiegen wir die Koppe zum dritten Male und wurden endlich durch einen heitren Horizont erfreut. – Wir blieben die Nacht in der Hampelbaude in sehr lustiger Gesellschaft und wanderten heut früh um 7 Uhr nach Buchwald. Hier erfuhr ich, daß Geßler Mittags dahin kommen werde. Um so angenehmer war es mir, da ich ihn zu verfehlen dachte, weil ich nach Böhmen, wo er in Johannisbad verweilte, nicht hinein durfte. Auf der Koppe habe ich, da es gerade Prinzeß Dorothea's Geburtstag war, verschiedene Sonnette gemacht. Wenn ich sie werde abgeschrieben haben, schicke ich sie Euch, damit Ihr sie weiterbefördern mögt. Trotz aller Frugalität, trotz der Butter, Milch und Käse kostet doch das Hiersein viel. Ich werde also Geßler in Anspruch nehmen müssen.« –

»Gestern,« schreibt Theodor aus Schmiedeberg, den 26. August 1809, »war ich mit Geßler in dem göttlichen Buchwald bei den herrlichen Redens, wo mir der Minister Empfehlungen nach Oberschlesien zu geben versprach. Schon ist mein Ränzel wieder gepackt. Ich gehe auf ein paar Tage nach Kupferberg, wo ich den Grafen Einsiedel treffen werde ... Ihr erhaltet hierbei eines von den Koppen-Sonnetten; wenn es Euch gefällt, könnt Ihr es an Prinzeß Dorothea schicken, wenn nicht, so zerreißt es, es ist so nicht viel daran. Buchwald, lieber Vater, das wäre so ein Aufenthalt für Dich, zumal bei der liebenswürdigen Reden'schen Familie. Es ist in der That ein großer Genuß, mit diesen trefflichen Menschen umgehen zu dürfen. Doch über die Lage von Buchwald kann man blos sprechen und nicht anders als in Sonnetten.« –

Seine bergmännische Wünschelruthe führte ihn noch einmal nach Schmiedeberg, von wo er den 29. August »den Lieben« schreibt: »Heut bin ich hier wieder eingezogen, nachdem ich in Kupferberg viel Interessantes für Mineralogie gesehen hatte. Morgen wandere ich wieder zum Minister Reden nach Buchwald, übermorgen nach Waldenburg, von da über Neurode nach Reichenstein und dann bis Tarnowitz hinauf, von wo ich dann meinen Weg über Oppeln, Reichenbach, Striegau etc. nehmen werde. In Kupferberg hab' ich den Grafen Einsiedel gesprochen, der mir Adressen an alle Bergämter gegeben hat. Ich freue mich sehr auf diese Tour, da sie mir so viel Nützliches in Bezug auf Oryktognosie lehren und zeigen wird. Graf Geßler hat mich mit dem nöthigen Gelde versorgt, und nun hält mich nichts mehr ... Ich werde wol von dieser Reise erst ganz zu Ende September's zurückkommen; denn sie hat sich weiter erstreckt, als ich vermuthete. Man hat hier bestimmte Nachricht, daß Schill lebt und als englischer Divisions-General gelandet ist. Hier bemerkt man wenig Bewegung, außer daß sich die Truppen zusammenziehn ... Uebrigens bin ich als dichtender Wanderer ziemlich auf dem Zeuge, und es regnet Sonnette. Tausend Grüße und Küsse etc.«

Er erstattete »den Lieben« ferneren Bericht aus Waldenburg, den 5. September: »Soeben komme ich mit dem Bergrath Charpentier von Fürstenstein, dem sehr schön gelegenen Schlosse des Grafen Hochberg, zurück. Den Aufenthalt in Schmiedeberg hat mir Geßler sehr angenehm gemacht. Am Donnerstag früh marschirte ich ab. Der Scheideblick vom Landshuter Berge auf die Riesenkette war herrlich. In Landshut hielt ich Mittag, traf Abends 8 Uhr hier ein und war ziemlich auf den Hund; denn der verdammte Schuster hatte schon wieder die Zwecken auf den Schuhsohlen durchgeschlagen. Am Freitag geognosirte ich in der Gegend umher und ging nach dem nahgelegenen sehr besuchten Badeort Altwasser. Der hiesige Sauerbrunnen schmeckt wunderschön; ich habe so viel getrunken, daß ich kaum fortkonnte. Sonnabend fuhr ich auf dem schiffbaren Stollen an, was in der That sehr romantisch ist, und dann noch auf der »Segen-Gottes-Grube«. Abends war ich in Altwasser. Sonntag Mittag aß ich an der table d'hôte in Altwasser, und hier machte ich Bekanntschaft mit mehreren Badegästen, meistentheils, weil die Leute nicht wußten, was sie aus dem eleganten Bergmann machen sollten. Abends war Ball, wo ich recht auf dem Zeuge war, und obgleich es sehr leer war, so war es doch sehr animirt. Ich tanzte sehr viel mit einem Fräulein Salawa, die der Adelaide Warnsdorf wie aus den Augen geschnitten war, und man gab mir Schuld, ich hätte ihr die Cour gemacht; – aber Ihr kennt mich ja! – Gut, daß sie heut früh abgereist ist; ich wäre sonst noch in Altwasser kleben geblieben ... Morgen geh' ich nach Neurode, übermorgen nach Reichenstein, und wahrscheinlich muß ich wegen Mangel an Zeit meine oberschlesische Tour aufgeben und gehe zu Charpentier aufs Gut, wo Chrysoprasbrüche sind; von da zu Geßler nach Neudorf.« –

Der letzte Reisebericht, in welchem Theodor den Tag seiner Heimkehr meldet, ist aus »Reichenbach und Neudorf, d. 12. Septbr.: Endlich bin ich in Reichenbach und habe nun auch Nachricht von Euch, einen Brief vom Vater und einen von Emma. Wie hat es mich gefreut, endlich etwas von Euch zu hören! Meine Reiseabenteuer von heut vor acht Tagen an sind sehr einfach. Ich ging nach Neurode, fand da viel Interessantes für die Wissenschaft, aber ein schändliches Nachtlager, wo die ganze Entomologie (Insekten der schlimmsten Art) aufgeboten war, um mich nicht schlafen zu lassen. Dienstag ging ich durch die herrliche Grafschaft Glatz nach Reichenstein, wo ich des anderen Tages in den Arsenikwerken viel Lehrreiches sah und hörte und viel schlechte Luft einathmete. Donnerstag ging ich über Frankenstein nach Glatzhofpeyla, wo mich Charpentiers sehr freundschaftlich aufnahmen. Den Freitag besuchte ich Charpentier's Schwiegervater, den Grafen Pfeil, und dessen Chrysoprasbrüche, aß daselbst und fuhr dann nach Glatzhof, von wo mich Charpentiers noch bis Nieder-Peyla brachten, worauf ich meinen Weg in stockfinstrer Nacht bis Neudorf fortsetzte. Graf Geßler war in Peterswalde, jedoch war Alles bereit, und ich schlief auf sanften Flaumen. Den anderen Tag ließ mich Geßler nach Peterswalde mit dem Wagen holen, wo ich in der herrlichen Stollberg'schen Familie schöne Stunden verlebte. Dies wird wol der letzte Brief sein, den Ihr von mir erhaltet; ich gehe von hier nach Kupferberg und dann über das Riesengebirge nach Friedberg, wo ich dann bald sächsischen Boden wiederbetreten werde. Den 22. d. bin ich bei Euch. Glück auf!« – Die meisten auf dieser Reise entstandenen Gedichte wurden in die »Knospen« aufgenommen.

In einem Briefe vom 19. September meldet er den Aeltern seine glückliche Ankunft in Freiberg. Die Strapazen der Reise, mehr noch vielleicht »die flotten Abende und Nächte«, an welchen er mit den Freunden zur Fastnacht der Flasche stark zugesprochen, zogen ihm eine Unterleibsentzündung zu, die ihn zwar einige Tage an das Bett fesselte, ihm jedoch seinen unverwüstlichen Humor nicht benahm. Freiberg, den 28. März 1810, schreibt er: »Soeben, liebes Mütterchen, wirken Deine Pulver. Schon siebenmal hab' ich aus Hygiea's Altar geopfert; doch die Göttin scheint noch nicht zufrieden zu sein. Wie sehr ich durch diese heiligen Handlungen begeistert worden bin, kannst Du aus beifolgender Ballade ersehn, die ihr Dasein diesem poetischen Morgen verdankt.« – Außerdem beschäftigte ihn der Plan, einen »Christen-Almanach« und ein dramatisches Gedicht: »Die Hermannsschlacht« zu schreiben. Die Mutter fragt in einem folgenden Briefe vom 8. April an: »Bist Du bald fertig mit Deiner Arbeit? bemühe Dich, denn der Mensch kann, was er will ... Ich bin stolz auf Dich, mein Kind, ich möchte Dich glänzen und fertig sehn; nur schone Deine Gesundheit, daß Du in Deiner Blüthe blühend bleibst ... Mit dem nassen Tuch um den Leib, von dem Du erzählst, kann man sich viel Schaden thun.«

Dem Wunsche des Sohnes, sich ausschließlich dem Studium der Naturwissenschaften zu widmen, gab der Vater nochmals seine Zustimmung, sowie auch dazu, daß er zunächst die Universität Tübingen besuche. Es wurde vorläufig bestimmt, er sollte bei Kielmayer Pflanzenphysiologie und vergleichende Anatomie, bei Gmelin Mineralogie, bei Abel ein philosophisches, bei Conz ein geschichtliches Collegium hören. Dem Vater war es nicht unlieb, daß ihm Theodor schrieb: »Hier in Freiberg kommt man kaum mit 800 Thalern aus; in Tübingen braucht man noch keine 300 Thaler.« Mit Begeisterung schreibt Theodor von dem Ergreifen eines alle seine geistigen Kräfte in Anspruch nehmenden Studiums. Der Vater ist ganz dafür gewonnen. Er antwortet ihm, den 11. Mai 1816: »Ich verjünge mich selbst, wenn ich sehe, wie Lebenskraft und Lebenslust sich in Dir regen. Gern möcht' ich etwas dazu beitragen, die Dauer eines solchen Zustandes bei Dir zu sichern. Viel gewinnst Du schon dadurch, daß Dein Studium Dich begeistert, folglich die Abwechslung zwischen ernster Thätigkeit und Genuß und das Streben nach einem hohen Ziele Dich vor Uebersättigung bewahren. Dein Körper ist gesund und abgehärtet, und Du kannst ihm Vieles zumuthen, was mancher Andere nicht unternehmen darf. Aber eben deswegen wär es Schade, wenn Du ihm doch vielleicht manchmal zu viel zumuthetest und in den Momenten eines jugendlichen Rausches nicht Meister Deiner selbst bliebest. Ich verlange von Dir keine altkluge Aengstlichkeit, kein pedantisches Wachen über Deine Gesundheit; aber auch für die Freude giebt es einen Rhythmus.« – Der Plan, nach Tübingen zu gehn, wurde jedoch aufgegeben. Die von dem Vater geschriebene Biographie giebt hierüber näheren Aufschluß. »Theodor's akademische Laufbahn in Freiberg endigte im Sommer 1816, und er wünschte anfänglich, in Tübingen seine Studien fortzusetzen, um dort besonders Kielmayer's Unterricht zu benutzen. Später entschied er sich für die neuerrichtete Universität in Berlin, wo für seine wissenschaftlichen Zwecke sich mehrere günstige Umstände vereinigten; es sollte jedoch Leipzig, wo sein Vater geboren war, wo noch mehrere seiner Verwandten und Freunde lebten, und wo es auch für die Bedürfnisse des Sohnes nicht an verdienstvollen Lehrern fehlte, nicht ganz vorbei gegangen werden, sondern ein halbes Jahr wurde zu einem dortigen Aufenthalte bestimmt. Die Vorlesungen in Freiberg endigten zu spät, um zu Anfang des Sommerhalbjahres in Leipzig einzutreffen, und die Zwischenzeit wurde auf Reisen verwendet. Theodor begleitete seine Aeltern nach Karlsbad, machte dort sehr angenehme Bekanntschaften und verlebte nachher einige glückliche Wochen in Löbichau, wo ihn eine Beschädigung am Fuße länger zu verweilen nöthigte, als er sich vorgenommen.

War unserm Theodor aber auch der Fuß gelähmt, die Flügel seiner Phantasie hoben und trugen ihn über Berg und Thal zurück nach Karlsbad, wo er – ohne Liebe gab es für ihn keine Begeisterung –hochbeglückte Stunden in der Verehrung einer allgemein gefeierten Schönheit verlebt hatte, die vielbewundert im Morgenneglige am Neubrunnen den Becher sich füllen ließ oder als Königin des Festes in glänzender Toilette auf dem Ball im sächsischen Saal erschien. Theodor feiert sie in mehreren seiner Erinnerungsgedichte an Karlsbad. Hier nur einige Strophen aus dem Gedicht mit der Ueberschrift »Am Neubrunnen.« ...
»Alle kosten den heilsamen Trank,
»Bei Vielen gehört es zum guten Ton,
»Die Dreisten sind von langer Weile krank.
»Aber siehst Du jene süße Gestalt,
»Die dort im bunten Schwarme
»Leichtschwebend vorüberwallt,
»Wie sie mit leicht gehobenem Arme,
»Von allen Reizen der Anmuth geziert,
»Den Becher zur rosigen Lippe führt?
»Wie das Auge so blau und frühlingsklar,
»Der Mund so lieblich, so golden das Haar,
»Die Brust so voll, der Nacken so weiß!
»Ach! im Herzen brennt es mir glühend heiß!
»Im lichten Zauberreich der Gesänge
»Schwelgt die begeisterte Phantasie;
»Aus meinem Blick verschwindet die Menge,
»Und ich sehe nur sie.«
Die in mehreren Gedichten von Theodor gefeierte Schönheit, Fräulein Marianne Saling, gegenwärtig in Berlin lebend, erzählt dem Freunde in vertraulicher Unterhaltung als würdige Matrone von achtzig Jahren gern von jenen Tagen, und ein damals gemaltes Miniaturporträt rechtfertigt des jugendlichen Dichters Schwärmerei für solche Schönheit.
Außerdem wurde Theodor's poetisches Talent vielfach in Anspruch genommen. Von den anwesenden Gästen vereinigten sich einige mit unserem Dichter, für die Unterhaltung am Theetisch zu sorgen, und so entstand eine Sammlung von Märchen, Erzählungen, Charaden und Gedichten, die unter dem Titel » Theeblätter« handschriftlich in dem Gewahrsam der Herzogin von Kurland blieben.

Im October 1810 bezog Theodor die Universität Leipzig; der Eifer für die Naturwissenschaften fand hier keinen günstigen Boden, und die gelehrten Freunde, an welche der Vater ihn empfohlen hatte, bestimmten ihn, wegen der Aussicht auf eine künftige Anstellung im königlich sächsischen Staatsdienste fürs erste Halbjahr vornehmlich Cameralia zu studiren, als eine nothwendige Fortsetzung seiner in Freiberg gehörten Vorlesungen im Fache des Bergbaues. Die Collegien wurden belegt, bezahlt, anfänglich auch fleißig besucht, späterhin noch fleißiger »geschwänzt«. Verlockten unseren Freund auch nicht, wie weiland Goethen, »die warmen Kräpfel«, so gab es doch Frühstückskeller, wo man für vier gute Groschen von den Butterbemmchen mit »belegter Zunge« oder anderen »Umständen« nach Belieben zulangen durfte und dazu ein Becherglas Rothwein erhielt. Das damals verbreitete Gerücht: der König Jerome von Westphalen habe während seines Aufenthaltes in Leipzig täglich zwei Anker Rothwein zu stärkenden Bädern verbraucht, welcher Wein nachher an die Keller- und Gastwirthe billig verkauft worden sei, schreckte uns nicht ab, nach dem ersten Becher noch ein und das andere »Schnittchen« – so wurde ein halber Becher genannt – einschenken zu lassen. »Mit Eurem Brodstudium,« rief dann wol Theodor in dithyrambischer Aufregung, »will ich nichts zu schaffen haben!« Er befand sich mehr in seinem Elemente an der Commerstafel, wo er als Vorsänger präsidirte, wenn bei dem »Landesvater« die Hüte und Mützen mit dem Schläger durchbohrt wurden, als aus der Schulbank vor dem Katheder eines ihn langweilenden Professors. Eine damals bestehende Verbindung junger Männer zu literarischen, besonders schönwissenschaftlichen Unterhaltungen und Arbeiten, Makaria Ort der Seligen. genannt, glaubte an dem Dichter der »Knospen« eine vorzügliche Erwerbung gemacht zu haben. Eine Zeit lang nahm er auch fleißig Antheil an den Versammlungen; allein bald däuchten ihm diese »Schäfer an der Pleiße«, wie er sie nannte, zu philisterhaft, und er ließ sich in den Orden der Constantisten aufnehmen, deren Händel mit den Amicisten er als Vorfechter und guter Schläger zu mehreren Malen ausfocht. Körner's Erscheinen aus der Straße war das eines »Burschen von ächtem Schrot und Korn.« Eine schwarze Tuchmütze mit schwarz-roth-weißem Band und Troddeln, in der einen Hand die Tabakspfeife mit Quasten derselben Farben, in der andern einen armstarken Ziegenhainer, so schritt er am Arm eines Freundes auf dem breiten Stein einher und machte mit scharfem Elbogen sich »eine freie Gasse.« Er war von schlanker Gestalt, maß 5'8", behend in jeder Bewegung, im Gang wie beim Sprechen. »Körner's Aeußeres,« so schildert es der ihm befreundete Professor Amadeus Wendt, »war nicht gerade einnehmend. Ein schnell ausgewachsener, schmächtiger Körper, aber frisch und beweglich, langbeinige Statur, kleine Verhältnisse des sonst muntren Gesichts empfahlen ihn auf den ersten Blick nicht vorzüglich; aber ein dunkel glänzendes blaues Auge zog bei näherem Betrachten zu dem lebendigen Natursohne hin. In seinem Umgange zeigte sich ein deutscher gerader Sinn, ungemessen, oft sarkastisch in Ausdrücken, aber herzlich gegen jeden Hochgesinnten. Kleinliche Pedanterie und Verstellung haßte er tödtlich. Der Ton der Welt war ihm Zwang; um so mehr mußte ihm der Umgang mit jugendlich kräftigen Menschen gefallen, die ihn liebten, und welchen er sich so anschloß, daß er selbst ihre Rohheiten annahm und sich in den bizarresten Aeußerungen akademischer Freiheit sehr wohl gefiel. Dessen ungeachtet unterschied er sich von den Meisten seines Umganges durch eine früher erlangte Kultur und gleichsam angeerbte Kunstliebe und Begeisterung, welche sich in der gebildeteren Gesellschaft durch glückliche und pikante, nur nach Jugendart meist zu stark ausgedrückte Einfälle und durch ein ungemeines Talent poetischer Improvisation und Versifikation mitzutheilen liebte. Dabei widersprach das durch Umgang mit gebildeten Frauen angeeignete Benehmen und die äußere Harmonie seiner poetischen Erzeugnisse seinem eigenen Aeußern auf eine seltsame Art; sei es nun, daß er auch hier nur jugendlich renommirte und in seinem Betragen für nachlässiger gelten wollte, als er es eigentlich war... So anmaßend und vernichtend oft seine Aussprüche über Literatur und Kunstprodukte klangen, so empfänglich war er doch für jede gegründete und wohlgemeinte Belehrung; ja, wo er auch nur einem Kunstfreunde begegnete, der über flachen Dilettantismus erhaben war, da schloß sich auch sein Herz in großer, erwärmender Begeisterung auf.« – Damals galt es in Leipzig, wie es auch heutigen Tages auf den deutschen Universitäten Brauch ist, für unehrenhaft, zu beleidigen, ohne Genugthuung im Zweikampf zu geben, und ebenso, für empfangene Beleidigung keine Genugthuung zu fordern. – Gegen die Constantisten, denen Körner angehörte, hatte sich eine Partei – sie wurde »Sulphuria« (Schwefelbande) benannt – gebildet, welche den Mitgliedern dieses Ordens die Genugthuung versagte. Es galt nun nach damaligem Brauch für geboten, sich, wie der Ausdruck des Comments lautete, »in Avantage zu setzen.« – (Wer mir einen »dummen Jungen« stürzt und nicht auf der Mensur erscheint, gegen den Hab' ich das Recht, ihm meinen Ziegenhainer auf dem Buckel tanzen zu lassen.) – Diese Avantage, an einem Sulphuristen vollzogen, führte zu einer allgemeinen Holzerei in Masse auf offener Straße, bei welcher auch Körner sich betheiligt hatte. Er wurde mit mehreren Anderen zur Untersuchung gezogen, zu achttägiger Carcerstrafe verurtheilt und mußte das consilium abeundi unterschreiben. Diese Unterschrift »des guten Rathes, abzugehen,« war der Vorbote der Relegation (»Ausweisung«) bei irgend einer neuen Anklage. Um es nicht zu einer Wiederholung der Straßenprügelei kommen zu lassen, übernahm es Körner, als Cartellträger einer Herausforderung en masse die Angelegenheit in herkömmlicher Weise auszufechten. Unterdessen war eine Untersuchung eingeleitet gegen die Ordensverbindungen, in welche Theodor ebenfalls verwickelt war; es wurde ihm und den anderen Ordensbrüdern vorläufig Stadtarrest zuerkannt. Dem wollte sich Körner nicht aussetzen, ohne vorher den Hauptführer der Gegenpartei vor die Klinge genommen zu haben. Dies geschah; der Ausgang war für Theodor kein glücklicher; zwar saß eine von ihm gut geschlagene Quart dem Gegner in der linken Achsel; allein dieser benutzte geschickt eine Blöße, welche Theodor gab, und versetzte ihm einen Hieb in die Stirn, daß die Wunde blutend klaffte. Nach herkömmlicher Weise galt nun die Sache für abgemacht, und die Gegner waren versöhnt; nicht aber der Senat. Eine neue Untersuchung wurde eingeleitet, eine sechsmonatliche Einsperrung im Carcer und Relegation standen in Aussicht. Körner hielt bis zu seiner Heilung sich bei Freunden verborgen und entzog sich dann der weiteren Untersuchung und Bestrafung durch die Flucht nach Berlin, wo er, nach der Bestimmung seines Vaters, seine Studien fortsetzen sollte. – Ein wunderliches Gemisch von Wildheit und Zärtlichkeit war damals in Körner's Charakter; wie oft sahn ihn die flotten Zechbrüder plötzlich aufspringen und davoneilen! Er war nicht zu halten und achtete nicht darauf, daß sie ihn »den Mondsüchtigen« nannten, der es vorziehe, mit der Laute unter Liebchens Fenster schmachtende Lieder zu singen, als in den Rundreim in Auerbach's Keller mit seines Basses Grundgewalt einzustimmen.

Eines seiner Liebeslieder aus dieser Zeit hat sich unter den mir von ihm selbst und später von dem Pater übergebenen Papieren vorgefunden. So viel ich mich erinnere, war es nicht gelungen, das Gedicht in die Hände der Angebeteten gelangen zu lassen. Für die Biographie hat dasselbe eine Bedeutung, zumal in diesem entscheidenden Zeitpunkte, deren es in der Gedichtsammlung entbehren würde. (Leipzig, März 1811.)

Meine Flucht

An Sie

Abends ging ich die gewohnten Wege
An dem lieben Fenster still vorbei.
Sah hinauf, wie ich so immer pflege,
Ob die Liebliche zugegen sei.

Und ich sah im lichten Dämmerweben
Deine süße, himmlische Gestalt;
Ach! da faßte mich der Sehnsucht Beben
Mit unendlich freudiger Gewalt.

Bald warst Du aus meinem Blick verschwunden,
Und mich trieb es aus der Brüder Reihn.
Ich verträumte himmlisch schöne Stunden
Einsam in des Mondes Silberschein.
In die weite, nebelgraue Ferne
Starrt' ich meinen Idealen nach.
Deinen Namen strahlten mir die Sterne,
Deinen Namen murmelte der Bach.

Also stand ich lange Zeit versunken,
Träumte lange meinen schönen Traum,
Schaute freudig, im Gefühle trunken.
Aufwärts in den sternenhellen Raum.
Endlich schied ich von der Weit der Träume,
Von der Sterne lichtem Friedensblick;
Aus der dunklen Zaubernacht der Bäume
Kehrt' ich in die Zelle spät zurück.

Deinen Namen in dem vollen Herzen,
Vor den Augen Dein geliebtes Bild,
Kam der Schlaf mit seinen luft'gen Scherzen,
Und das Flammenherz ward weich und mild.
Ach! es greift der Liebe tiefes Walten
In der Träume Reich lebendig ein;
In des Schlummers freundlichen Gestalten
Sah ich Dich und ewig Dich allein.

Früh erwacht' ich, als der Morgen graute.
Und lebendig ward das ganze Haus.
Still begeistert griff ich nach der Laute,
Ging dann muthig in den Wald hinaus.
Schon versammelt fand ich meine Freunde,
Und der blanke Stahl begrüßte mich,
Gegenüber stand ich meinem Feinde;
Aber ich, ich dachte nur an Dich.

Und die Klingen flogen rasch zusammen.
Still erwartend schwieg der Freunde Kreis,
Aus den Schlägern sprühten helle Flammen,
In den Herzen schlug es wild und heiß.
Doch ich sah nicht meines Gegners Hiebe,
In die Ferne schweifte nur der Blick,
Ach! ich dachte nur an meine Liebe,
Ach! ich dachte nur an Dich zurück.

Dreimal traf ich ihn in blinder Hitze,
Doch ihn schützte sein gebogner Hut,
Endlich faßte meines Schlägers Spitze,
Von der Achsel floß ihm warmes Blut.
Aber Nemesis wollte sich rächen,
Und mich traf zugleich des Gegners Hand,
Daß mein wildes Blut in warmen Bächen
Seinen Ausgang durch die Stirne fand.

Auf den Rasen sank ich rückwärts nieder,
Schnell erloschen war der Wange Gluth.
Still betrauernd standen meine Brüder;
Denn es floß ja auch für sie mein Blut.
Aber als mein Leben neu erwachte.
Kam auch bald die Ruhe in mein Herz;
Denn das Erste, was ich wieder dachte,
Das warst Du, und ich vergaß den Schmerz

Doch nun kamen drei der schwersten Stunden,
Wo Erinnrung mich noch grausend füllt,
Bis die Freunde sorgsam mich verbunden
Und des Blutes heißer Strom gestillt;
Aber bei der höchsten meiner Qualen,
Die ich nie geahnet noch gewußt.
Warf Dein Bild doch sanfte Friedensstrahlen
Freundlich in die schmerzzerrißne Brust.

Und nach Hause schlich ich schwer ermattet,
Kalte Fieberschauer faßten mich;
Doch von Schlummers Armen sanft umschattet
Stillten bald des Blutes Wellen sich.
Nach der kurzen Ruhe ward ich stärker;
Doch mein schönstes Glück sah ich verwehn,
Denn die enge Stube war mein Kerker,
Und mein Auge durfte Dich nicht sehn.

Zwar die Freunde dachten meiner Schmerzen,
Kamen liebevoll, mich zu zerstreun,
Doch nur Einer sprach nach meinem Herzen;
Denn der Eine sprach von Dir allein.
Alles, Alles sollt' er mir beschreiben,
Ach. das war mein ganzes stilles Glück; –
Was der Welt nur Kleinigkeiten bleiben,
Das wird heilig in der Liebe Blick.

Der Vater war durch einen Freund im Ober-Konsistorium von den Vorgängen in Leipzig in Kenntniß gesetzt worden. Er schreibt an Theodor, Dresden, den 10. März 1811: »Lieber Sohn, ich begreife, daß es Dir schwer wurde, mir von Deinen neuerlichen Verhören zu schreiben. Jetzt ist es nicht weiter nöthig, und ich weiß den ganzen Hergang der Sache aus dem Ober-Konsistorio.

Kein Wort über die Sache; nur was jetzt zu thun sei, lass uns gemeinschaftlich überlegen ... Du wirst beschuldigt, das Werkzeug einer Herausforderung zu sein. Ein Zeuge hat ausgesagt, Du hättest darauf eingetragen, daß Einige von beiden Parteien gewählt würden, die die Sache ausmachten. Du selbst sollst eingeräumt haben, daß Deine Unterhandlung der letzte gütliche Versuch gewesen sei. Also hat das Wort »ausmachen« in diesem Zusammenhange nur vom Schlagen verstanden werden können... Jetzt ist die Sache mit einer leidlichen Carcerstrafe abgethan, und ich bin der Meinung, daß es besser ist, sich dieser zu unterwerfen. Du hast Stadtarrest. Diesen zu brechen und heimlich fortzugehen, hat sehr nachtheilige Folgen. Auch wäre es für Dich ganz unanständig. Du sollst nicht wie ein Verbrecher von Leipzig entweichen. Die Ursache des Carcers ist eine Vergehung gegen die Gesetze, die nicht unbestraft bleiben kann, die aber Deiner Ehre nicht nachtheilig ist. In einem Unterhaltungsblatte las ich eine angeblich auf Thatsachen beruhende Novellette: »Theodor Körner in Leipzig. Einem Freunde nacherzählt von Th. Creizenach.« Weder wahr, noch gut erfunden. – ... Nimm Deine Maßregeln im Voraus, damit Du bald nachher, wenn Du aus dem Carcer kommst, nach Berlin reisen kannst. Deine Reise sollst Du in einer Courierchaise machen.« –

Theodor fand nicht für gut, sich einer längeren Carcerstrafe, der jedenfals die Relegation gefolgt wäre, auszusetzen; er brannte durch und kam mit noch verbundenem Kopfe, mit dem Heftpflaster über der Stirn, in Berlin an. Er meldet dem Vater nun von hier aus den weiteren Verlauf der Sache, und dieser antwortet ihm: Dresden, den 25. März 1811... »Nach dem, was vorgefallen war, kann ich Dir es freilich nicht verdenken, daß Du lieber von Leipzig heimlich weggingst, als Dich der Gefahr aussetztest, ein halbes Jahr ins Carcer gesperrt zu werden. Aber eine andere Frage ist: ob das Vorgefallene nicht zu vermeiden gewesen wäre... Ich hatte Dich ernstlich gebeten, in den letzten Tagen Deines Aufenthaltes in Leipzig und bei der Lage Deiner schon anhängigen Sache Dich vor leidenschaftlichen Streichen zu hüten. Dies schien mir kein großes Opfer zu sein. Du scheinst dies selbst gefühlt zu haben, da Du schriebst, daß Du » vor einiger Zeit« Händel gehabt hättest. Gesetzt aber, die Händel waren nicht zu vermeiden, so hätte doch wenigstens, nach Studentengesetzen, das Schlagen so lange aufgeschoben werden können, bis die acht Tage im Carcer vorbei waren und Dein Stadtarrest aufhörte. Aber Du rechnetest zu sehr auf Dein zeitheriges Glück, und die Erfahrung lehrt Dich nun, daß Du nicht immer in solchen Fällen Herr des Erfolges bist ... Du kannst mir nicht Schuld geben, daß ich einen Pedanten oder Philister aus Dir machen will; aber von einem Jünglinge von zwanzig Jahren, dem es nicht an Verstand und Stärke der Seele fehlt, kann man in wichtigen Fällen einige Besonnenheit fordern; man kann erwarten, daß er sich nicht wie ein Trunkener von jeder Leidenschaft fortreißen lasse. Die Ruhe meines Lebens beruht auf dem Glauben an Deinen persönlichen Werth und an Deine Liebe zu mir. Diesen Glauben habe ich auch jetzt nicht verloren. Ich weiß, daß Du unfähig bist, unedel zu handeln, daß es Dich schmerzt, mich zu betrüben, und daß es Dein eifriger Wunsch ist, mir Freude zu machen. Dies kannst Du leicht in der neuen Periode Deines Lebens, die Du jetzt in Berlin anfängst, und von allem Vergangenen wird alsdann unter uns nie mehr die Rede sein.« –

Bei seiner Ankunft in Berlin, in der letzten Woche des März 1811, hatte Theodor das burschikose Wesen des Leipziger Renommisten noch nicht abgelegt. Aus dieser Zeit befindet sich in der Autographen-Sammlung des Antiquarius Zeune in Berlin das nachstehende Stammbuchsblatt von Körner's Hand:

»Toll, aber klug«

Berlin, den 16. April 1811

Ausgeschmiert und relegirt,
Hat mich Alles nicht gerührt!
Bin drauf nach Berlin spaziert;
Doch trotz der Philosophie
Blieb ich ein fideles Vieh.
Pereat Sulphuria!

(Zwei verschlungene Schriftzüge der Ordensverbindungen.)

Dein Freund, Bruder und Landsmann Theodor Körner aus Dresden, rel. cons. carcerisque Candidatus.
Der Vater hatte ihn mit Empfehlungen an die ihm befreundeten Familien des Hofraths Parthey (Inhabers der Nicolai'schen Buchhandlung), des Grafen Hoffmannsegg, des Direktors Zelter, Professors Schleiermacher u. A. m. versehen und ihm empfohlen, die philosophischen Vorlesungen des letzteren und Fichte's sowie die geschichtlichen Niebuhr's zu besuchen. Kaum aber hatte er diese neue akademische Laufbahn begonnen, als er von einem Wechselfieber befallen wurde, welches man »das dreitägige« nennt, obschon es vier und mehrere Wochen anhält. Die Aerzte riethen eine Veränderung der Luft, und da die Aeltern während des Juni in Karlsbad zu verweilen gedachten, kehrte Theodor auf einige Wochen nach Dresden zurück und reiste dann mit den Seinen nach Karlsbad. Völlig wiederhergestellt, war sein Wunsch, eine Reise nach dem Rhein zu unternehmen und seine Studien in Heidelberg wiederzubeginnen. Der Vater hatte gegründete Besorgnisse, den Sohn aufs Neue den Gefahren des Studentenlebens preiszugeben. Er entschied sich zunächst für Wien, wo Theodor zu Ende des August eintraf; später sollte er nach Berlin, Breslau oder Göttingen gehen. Außer den allgemeinen Vorzügen Wien's rechnete der Vater besonders auf das Haus des preußischen Ministers und Gesandten am Wiener Hofe, Wilhelm v. Humboldt, mit dem er seit mehreren Jahren in genauer Verbindung stand. Auch hatte er wegen freundschaftlicher Verhältnisse mit Friedrich Schlegel bei diesem verdienstvollen Gelehrten eine erwünschte Aufnahme für seinen Sohn zu hoffen. Der Vater hielt jetzt eine ernste Ermahnung nicht für überflüssig. »Bedenke,« schreibt er dem Sohne aus Dresden, den 13. September 1811, »daß seit Deiner Abreise von Freiberg durch ein Zusammentreffen von Umständen nunmehr über ein Jahr verflossen ist, in dem Du keinen bedeutenden Fortschritt in Deinen Studien gemacht hast, und daß wir Beide es vor Gott und unserm Gewissen nicht verantworten könnten, wenn noch ein halbes Jahr Deiner kostbaren Jugendzeit verschwendet werden würde.« Zunächst wird Breslau in Betracht gezogen, wo für Philosophie und Naturwissenschaft Steffens, für Geschichte Bredow empfohlen wird. »Sollte es Dir denn,« schreibt der Vater, »gar nicht möglich sein, Dich für irgend eine Wissenschaft oder Beschäftigung, es sei welche es wolle, mit dem früheren Eifer zu interessiren? Gesetzt, die Naturwissenschaften hätten ihren Reiz für Dich verloren: hat denn auch Geschichte gar nichts Anziehendes mehr für Dich? Ist Dir nicht einleuchtend, wie sehr sie auch dem Dichter dient, um den Gestalten seiner Phantasie Bestimmtheit und Körper zu geben?« Er empfiehlt Theodor Benutzung der kaiserlichen Bibliothek zu einem gründlichen Studium der Quellen der deutschen Geschichte. – »Aber Alles,« so schließt die väterliche Vermahnung, »ist vergebens, wenn Du nicht Stärke der Seele genug hast, den Entschluß zu einem ernsten Geschäfte streng auszuführen.«

Das gute Wort des Vaters fand eine gute Statt bei dem Sohne, der die Aeltern durch einen aus Wien an seinem Geburtstage, den 23. September 1811, geschriebenen Brief erfreut und beruhigt. Der Vater antwortet den 30. September: »Eben erhalte ich Deinen Brief vom 23sten. Mit herzlicher Freude haben ich und die Mutter darin die Gefühle eines braven Sohnes gefunden, die unser Vertrauen zu Dir stärken und erhöhen. Wir werden uns ferner treu bleiben, und ich denke noch viel Freude an Dir zu erleben. Daß Humboldts Deinen Geburtstag so liebevoll gefeiert haben, danke ich ihnen sehr. Du bleibst also nunmehr in Wien. Meinen Segen dazu!« Und zu diesem Segen fehlte auch ein anständiger Wechsel nicht. Theodor erhielt monatlich fünfzig Thaler, diese betrugen 75 Conventions-Silbergulden, welche damals einen Werth von gegen eintausend Gulden Schein hatten, womit ein einzelner junger Mann anständig leben konnte. Anfänglich war Theodors Aufenthalt in Wien nur auf ein halbes Jahr berechnet; er verlangte selbst wieder danach, eine Universität zu beziehen, und der Vater war damit einverstanden. »Mein Wunsch,« schreibt er ihm den 21. October 1811, »ist es auch, daß Du zu Ostern wieder eine Universität besuchen möchtest, und ich habe gegen Göttingen nichts einzuwenden, zumal wenn Du Dich für die Geschichte bestimmst.« – Da die Behörden der deutschen Universitäten übereingekommen waren, einen relegirten Studenten auf keiner anderen Universität aufzunehmen, so erbot sich Theodor gegen den Vater, sich in Leipzig zu stellen und die in contumaciam über ihn verhängte Carcerstrafe abzusitzen, die nicht über 14 Tage betragen würde. Der Vater findet das sehr lobenswerth, verhehlt ihm jedoch die Bedenklichkeit der Sache nicht, »Vierzehn Tage Carcer,« schreibt er, »wären an sich kein großes Uebel; allein ich traue nur den Verhältnissen in Leipzig nicht und fürchte, daß Du dabei in die Falle gelockt werden könntest ... Wer steht uns dafür, daß, wenn Du einmal in Leipzig bist, nicht neue Denunciationen angebracht oder neue Untersuchungen angefangen würden, und sich ein Vorwand fände, Dich vielleicht ein halb Jahr lang auf dem Carcer sitzen zu lassen? Also lass uns behutsam zu Werke gehn; es ist jetzt nichts zu versäumen.« Theodor war hiermit gern einverstanden; denn er wurde in Wien von Tag zu Tag heimischer, zumal es an verliebten Abenteuern nicht fehlte. »Jüngst passirte mir,« – schreibt er den Seinen den 25. October 1811, – »ein hübscher Spaß. Hört! Ich kam aus dem Prater und begegnete auf der rothen Thurmbrücke einem himmlischen Mädchen, das meiner ersten Liebe in Dresden frappant ähnelte. Wie gefesselt an ihre Schritte, folge ich ihr zurück in die Leopoldstadt. Sie ging mit mehreren Freundinnen ins Theater. Ich that das Nämliche. Die Logen neben der ihrigen waren schon voll; so mußte ich in das Parterre. Man gab Clara von Hoheneichen so niederträchtig, daß meine ästhetische Seele zu Eis gefroren wäre, hätte nicht das liebliche Mädchen immer auf mich niedergesehen und manchmal mir freundlich gewinkt. Ich war ganz entzückt. Als das Stück zu Ende war, nickte sie mir bedeutend; ich eilte, trunken von meinem schnellen Glück, vor das Theater und glaubte sie verstanden zu haben. Sie schwebte die Stiege herab, eilt auf mich zu – aber dicht neben mir vorbei auf ihren Bräutigam oder Liebsten, der schon das ganze Stück über hinter mir gestanden hatte, und begrüßte ihn mit einem herzlichen: Du hier? Ich wollte schwarz werden vor Aerger, faßte mich aber und ersäufte meine Wuth in einer Flasche Tokayer.«

Niemals aber gewann der ausgelassene Humor so sehr die Ueberhand, daß er die tieferen Gefühle unterdrückt hätte. Der Schluß des Jahres regte zu ernsten Betrachtungen und Bekenntnissen an. »Soeben,« – schreibt er den 25. Dezember an den Vater, – »erhalte ich Deinen lieben, guten Brief. Lass mich Dir recht aus vollem Herzen danken für die herzlichen Worte der Liebe. Wir wissen und bewahren es treu, wie es unter uns steht. Du hast Dir aus dem Sohne einen Freund gemacht, und kindliche Liebe ist zu männlichem Vertrauen gereift ... Mein Brief trifft zu Neujahr ein, also herzliche Wünsche Euch und allen Freunden. Ich glaube, es wird ein bedeutendes Jahr werden; der Mensch wird fest stehen müssen, und vielleicht gilt's – wollen sehn! Lebt wohl!« Aufs Neue hatte der Vater die Wiederaufnahme des Studiums der Naturwissenschaften und der Geschichte empfohlen. Hierauf antwortete Theodor den 6. Januar 1812 ... »Uebrigens habe ich die Idee, diesen Winter das Wiener Theater und meine Muse zu dem Beginnen meiner dramatischen Laufbahn zu benutzen. Geradezu, ich überzeuge mich alle Tage mehr, daß eigentlich Poesie das sei, wozu mich Gott in die Welt geworfen. Ein Talent ist nicht das Eigenthum eines einzelnen Menschen; es wird das Eigenthum der Nation, und diese verlangt, daß man ihr Pfund wuchern lasse.« Theodor beschäftigte sich damals mit der Geschichte Conradin's, des letzten der Hohenstaufen, welcher 1268 zu Neapel enthauptet wurde, um diesen Stoff zu einem Trauerspiele zu verwenden. Er wünschte deshalb einen Römerzug – eine Reise nach Italien – zu unternehmen und »der Geschichte wegen« nach Göttingen zu gehen. »Willst Du mich,« schreibt er dem Vater, »gern in Berlin, so schreibe mir Deine Gründe. Die Furcht vor Excessen ist theilweise ungegründet. Zwar werde ich das, was ich glaube und fühle, gern zu jeder Stunde auch mit dem Blute besiegeln, dazu hast Du mich erzogen; und mein Wort, Vater: »Lieber auf dem Schilde als ohne Schild!« Studentengeschichten aber habe ich satt, und wegen solcher Spielerei will ich mein gutes Leben nicht wieder in die Schanze schlagen. So mein Plan für die Zukunft. Er könnte nur durch den Krieg Frankreichs mit Preußen geändert werden, wo ich, wenn die Sache je ein insurrektionsartiges Ansehen erhielte, meine deutsche Abkunft zeigen und meine Pflicht erfüllen müßte. Man spricht so viel von Freiheit und bleibt hinter dem Ofen. Ich weiß wol, daß ich der Sache den Ausschlag nicht geben würde; aber wenn Jeder so denkt, so muß das Ganze untergehn. Man wird vielleicht sagen, ich sei zu etwas Besserem bestimmt; aber es giebt nichts Besseres, als dafür zu fechten oder zu sterben, was man als das Höchste im Leben erkannt. Ich würde Euch manche traurige Stunde kosten; aber die That wäre nicht gut, wenn sie nicht ein Opfer forderte. Euch unruhige Minuten zu schaffen, ist das drückendste Gefühl für mich. Mein ruhiges Bewußtsein da zu opfern, wär' der härteste Kampf, den ich höher anschlüge als das Bischen Leben, was ich dabei verlieren könnte ... Gott befohlen, treuer Freund, ich harre Deiner Antwort.«

Was die politischen Angelegenheiten betrifft, war der Vater in seinen Briefen schweigsam; er erwähnte weder der Anwesenheit Napoleon's in Dresden im Mai 1812 und des Feldzuges nach Rußland, noch der Vernichtung der großen Armee und der vereinsamten Rückkehr des großen Kaisers nach Dresden im Dezember. Dem Entschlusse des Sohnes, sich ganz der Dichtkunst zu widmen, setzt der Vater einsichtige und wohlgemeinte Bedenken entgegen. Er äußert die Besorgniß, Theodor könne darüber so Manches versäumen, was zu seiner vollkommenen Ausbildung gehöre. »Es ist,« schreibt er ihm, »eine gefährliche Klippe für den Künstler, wenn er sich eine gewisse Fertigkeit erworben hat und mit dem, was er in kurzer Zeit fertig macht, eine günstige Aufnahme bei seinem Publikum findet. – – Zu bedauern ist Jeder, der von der Muse Unterhalt erwartet. Nähren soll den Mann sein Geschäft, und hierzu soll sich der Jüngling vorbereiten. Zu der Kunst treibt ihn die Liebe, und was sie ihm dagegen darbietet, hat er blos als Geschenk anzunehmen, aber nie auf einen Sold dafür zu rechnen.« – Gegen ein so entschiedenes Talent, wie es Theodor zur Dichtkunst besaß, ließ sich mit Vernunftgründen ebensowenig ausrichten wie gegen eine entschiedene Neigung des Herzens, zumal da jene von dem Publikum, diese von der Auserwählten begünstigt ward. »Ihr Lieben,« – meldet Theodor den Seinen aus Wien, den 17. Januar 1812, – »soeben komme ich aus dem Burgtheater, wo zum ersten Mal meine beiden kleinen Stücke mit einem Beifall gegeben wurden, den ich mir als Anfänger nicht geträumt hatte. Das Haus war wider Gewohnheit an einem Wochentage gedrückt voll.« Es waren dies »die Braut« und »der grüne Domino«, zwei einaktige Lustspiele in Versen. In jedem derselben treten nur zwei Personen auf; sehr beliebte Schauspieler hatten die kleinen Rollen übernommen. »Die Adamberger,« schreibt Theodor, »braucht nur den Mund zu öffnen, um zu bezaubern.« Unter Denen, die von dieser liebenswürdigen, talentvollen, durch Anmuth und Geist ausgezeichneten Künstlerin unwiderstehlich bezaubert wurden, lief unser Theodor allen anderen den Rang ab. Er schrieb für sie nach der Erzählung »Die Verlobung in St. Domingo«, von Heinrich v. Kleist, ein Drama in drei Aufzügen: »Toni«, in welchem Antonie Adamberger die Titelrolle spielte. Die Leseproben und das Einstudiren der Rolle führten bald zu näherer Bekanntschaft, und die Zuneigung Theodor's blieb nicht unerwiedert. Noch ganz erfüllt von dem glücklichen Erfolge, welchen sein erstes größeres Drama gehabt, schreibt er aus Wien, den 18. April 1812: »Gestern wurde Toni zum ersten Male gegeben. Der Beifall war ungeheuer, jede Scene wurde beklatscht, und am Ende hörte das Bravorufen gar nicht auf. Die Adamberger wurde herausgerufen. Alle gaben sich unendliche Mühe, da ich von Allen gut gelitten bin ... Alle aber übertraf doch die Toni, und der Pistolenschuß, der zum Glück gut ablief, brachte das Publikum in gewaltigen Enthusiasmus. Man rief sogar wider alle Sitte am Ende des Stücks meinen Namen. Seit langer Zeit hat kein Stück einen so guten Erfolg gehabt ... Der Adamberger gab der Gedanke, daß ich das Stück für sie geschrieben hatte, und daß es ihren Namen trägt (sie heißt selbst Toni) ungewöhnliches Feuer. Nun geht's mit frischem Muth an Zriny.«

Große Aufmunterung, die, wenn auch mit glücklichem Anfange betretene, doch schwierige Laufbahn mit gutem Muthe weiter zu verfolgen, gewährten Theodor die zustimmenden Briefe Goethe's an seinen Vater über die ihm zugeschickten beiden Dramen: »Die Sühne« und »Toni«. – »Lange hat mir nichts so viel Freude gemacht,« schreibt Theodor aus Wien, den 9. Mai, »als der Brief von Goethe. Es thut dem jungen Herzen so wohl, wenn der Meister an dem Lehrlinge so warmen Antheil nimmt.« – Nun aber drängt es ihn auch, den Vater von dem höchsten Glück, das er errungen, freudige Mittheilung zu machen. Nach einer kurzen Einleitung, Geldangelegenheiten betreffend, fährt er fort: »Das war eigentlich die Ursache dieses Briefes; weil es mir aber bei dieser Gelegenheit vergönnt ist, so recht offen, Freund zu Freund zu sprechen, so kann ich mir's nicht versagen, Dich, den ich nicht blos als meinen guten Vater verehre, sondern den ich als meinen herzlichsten Vertrauten von Jugend an zu betrachten gewohnt bin, mit dem Glücke, mit der Seligkeit Deines Theodor bekannt zu machen. Vater, treuer, treuer Freund, ich habe mein Ziel gefunden, wo ich meinen Anker werfen soll. Vater, ich liebe. – Sieh, es ist mein größter Stolz, daß ich mit dieser Freiheit der Empfindung Dir ins väterliche Auge blicken darf und sagen kann: ich liebe, liebe einen Engel! Nun, Du wirst sie sehen, und wenn Dich ihr Anblick nicht ebenso ergreift wie mich, wenn Dir aus ihren dunklen Augen nicht eben die friedliche Seligkeit entgegenweht wie mir, so ist es eine Lüge, was mein kindliches Herz von Uebereinstimmung und Harmonie unserer befreundeten Seelen geträumt hat. Vater, die Gewißheit, die ich in mir trage, daß sie Dich ebenso begeistern wird wie mich, sei Dir Bürge meiner Liebe, meiner Wahl. Ich darf es wol gestehen: ohne sie wär' ich untergegangen in dem Strudel neben mir. Du kennst mich, mein warmes Blut, meine ungeschwächte Kraft, meine wilde Phantasie; male Dir dies ungestüme Gemüth in diesem Garten voll blühender Lust und berauschender Freude, und Du wirst begreifen, daß mich nur die Liebe zu diesem Engel so weit brachte, daß ich keck aus der Schaar heraustreten darf und sagen kann: hier ist Einer, der sich ein reines Herz bewahrt hat, den noch kein viehischer Rausch der Sinne entweihte. Ich seh' es ein, Vater, ich hätte Dir nichts schreiben sollen, auch glaube ich, daß noch kein Sohn seinem Vater so geschrieben hat, ich hätte Dir nichts sagen sollen, als bis Du sie gesehen hättest; aber mein volles, warmes Herz, das die Sehnsucht nicht bekämpfen kann, seine Seligkeit in die Freundesbrust zu tauchen, riß mich allmächtig fort. – Vater, ich liebe, und wenn Du mich recht kennst, weißt Du, wie ich liebe! ewig, unendlich. – Sie sieht der Mutter recht ähnlich, welcher Zufall mich um Deinet- und meinetwillen vorzüglich gefreut hat. Deswegen erwarte ich Dich auch diesmal mit um so größerer Sehnsucht, weil ich kein Maß mir träumen kann für die Seligkeit der Minuten, wo Du mir es sagen sollst, daß Dir Toni unendlich gefällt; ach! was ist das für ein nüchternes Wort! Daß sie Deine Liebe, Deinen Segen verlangen darf ... Vater, mir stehen die Thränen in den Augen; ich gäb' eine Welt drum, wenn ich Dich jetzt in diesem heiligen Augenblicke umarmen könnte. Wenn ich je das Glück verdiene, was mich an Toni's Herzen erwartet, hab' ich's nicht Dir, nicht Deiner Liebe zu danken? und der guten, edlen Mutter? Ich werde zu weich. Leb' wohl! leb' wohl! Vater, Du hast einen glücklichen Sohn, und bei Gott! er will es verdienen!« – Der Vater verschob es, brieflich seine Uebereinstimmung mit den Empfindungen des Sohnes auszusprechen, da er für den Sommer eine Reise nach Wien in Aussicht genommen hatte. Wenn er sich erinnerte, in welchen überschwenglichen Worten er einst seinem Freunde Schiller das Glück seiner eigenen Liebe geschildert hatte, war er gewiß nachsichtig gegen den Sohn gestimmt, den die Liebe zu einem ganz neuen Menschen gemacht hatte. »Wie der letzte und der jetzige Sommer mich so ganz verschieden begrüßen!« – schreibt dieser aus Wien, den 30. Mai.– »Damals war ich krank und schwach und ein roher, wilder Bursche obendrein, der sich in seichter Gesellschaft von Studenten herumschlug, und jetzt bin ich so stark und frisch und glücklich und überdies etwas abgeschliffen von Zeit und Menschen.«

Unterdessen hatte der Vater einen zweiten Brief von Goethe erhalten, in welchem dieser, als Direktor des Weimar'schen Theaters, über den günstigen Erfolg »der Sühne« und über die Vorbereitungen zur »Toni« berichtet. Der Vater theilt ihn Theodor mit, und dieser antwortet: »Goethe's zweiter Brief war für mich ein großer Freudenbote.« Er bezog eine Sommerwohnung in dem nahe bei Wien gelegenen Dörfchen Döbling. Von hier schreibt er den Aeltern, den 6. Juni: »Wenn ich Euch doch hier bei mir hätte! dann würde ich der Zeit zurufen, sie möchte stillstehen; denn man kann nicht glücklicher und fröhlicher leben als ich jetzt. Es hat Jedermann seine Frühlingsblüthen im Leben zu brechen, und mein Strauß ist, bei Gott, nicht der kleinste, und Eure Liebe das Immergrün unter den bunten Schwestern.« Er fühlte sich zum Schaffen freudig angeregt, er arbeitete mit einer an das Talent der Improvisatoren reichenden schöpferischen, poetischen Geistesgegenwart.

»Endlich« – schreibt er aus Döbling, den 6. Juni, – »ist es mit mir und dem Zriny zum Durchbruch gekommen. Am verwichenen Mittwoch hab' ich angefangen auszuarbeiten und bin jetzt beim zweiten Aufzuge.« Und am 29sten desselben Monats: »Heut früh hab' ich den vierten Aufzug fertig gemacht und denke mit dem fünften, den ich schon viel im Kopfe bearbeitet habe, übermorgen fertig zu sein.«

In Betreff seiner Herzensangelegenheit hatte Theodor mehr Vertrauen zu dem Vater als zu der Mutter, der Schwester und der Tante. Er hatte Besorgniß, daß diese letzteren die Wahl einer Schauspielerin bedenklich finden dürften, um so mehr, als Theodor ihnen bisher seine sehr oft wechselnden Neigungen nie verhehlt hatte. In einer besonderen Einlage mit der Aufschrift: »Meinem Vater«, macht er diesem nähere, vertrauliche Eröffnungen; er bedauert, daß er, was ihn so glücklich macht, vor den Andern nicht nennen darf. Es ist ein Geburtstagsbrief, und er schreibt aus Döbling, den 27. Juni: »Vater, ich habe mit aller Sorgfalt und Liebe Dir wol nie ein besseres Geschenk erdenken können als diesmal mit der Ueberzeugung, die ich in mir trage, daß ich des Lebens höchste Freude kenne, daß ich ganz glücklich bin und nur Deine segnende Hand noch fehlt, um mich selig zu machen. Wenn ich mich recht erinnere, so hab' ich Dir noch eigentlich gar nicht gesagt, wer die Sonne ist, die die Wandelsterne meines Strebens in ein ewiges System gebannt hat. Antonie Adamberger heißt sie, reich von der Natur mit Schönheit des Körpers, aber unendlich reicher an Herz und Seele begabt. Nein, Du hast keinen Begriff von diesem heiligen Gemüth ... Ich könnte Dir ein klares Bild von ihr geben, wenn ich Dir nur einen ihrer lieben, lieben Briefe schicken würde; aber ich kann mich nicht von ihnen trennen. Was hat sie für unendliche Gewalt über mich! Sie hat mich aus all den wilden Gesellschaften herausgezogen, hat mich billig gegen die Philister, natürlich gegen die Welt gemacht, meine keimende Lust an Trinkgelagen ganz unterdrückt, mich zur Arbeit angehalten, mich ausgescholten, wenn ich faul war, und mich geliebt! Gott! das verdiene ich nicht so! Du kannst Dir denken, welche Verhältnisse eine Waise, Ihr Vater war Sänger bei der Oper, ihre Mutter Schauspielerin am Burgtheater gewesen. die nur eine Tante hat, – eine unendlich würdige, aber fast zu strenge Frau, – zu überwinden gezwungen ist, besonders in dieser üppigen großen Stadt, wenn sie als Schauspielerin sich als Mädchen in der größten Achtung beim ganzen Publikum erhalten hat. Sie ist die Einzige, die in den ersten Cirkeln willkommen ist. Frau v. Pichler erzählt: man habe Toni einen »dragon de la vertu« genannt. ... Ach! wie sie Dir gefallen wird! S' ist aber auch ein ganz himmlisches Geschöpf. Wenn ich es Dir jemals vergelten kann, was Du unendlich Liebes und Gutes an mir gethan hast, so mag ich es damit können, daß ich Dir meine Toni als Tochter zuführe. Vater, wie glücklich, wie selig wollen wir sein! Leb' wohl! leb' wohl! meine Toni grüßt Dich unendlich und küßt Dir die väterliche Hand. Leb' wohl, mein theurer Vater! Dein glücklicher Theodor.« –

Den Zauber ihres holden Wesens unwiderstehlich zu machen, war Toni Meisterin im seelenvollen Vortrage deutscher Lieder. Clärchens »Freudvoll und leidvoll« sang sie mit größtem Beifall. »Ihr solltet das Lied von Toni hören,« schreibt Theodor den Aeltern, »gar wunderlieblich schlüpfen die zarten Töne aus dem lieben Munde.« Im August 1812 kamen die Aeltern und die Schwester nach Wien. Die zukünftige Schwiegertochter gewann ihr Herz, und sie wünschten sich und dem Sohne Glück zu dieser Wahl. Der Vater spricht seine Freude hierüber in der von ihm verfaßten Biographie Theodor's aus: »Daß die ungeschwächte Jugendkraft Theodor's mitten unter den Gefahren einer verführerischen Hauptstadt nicht verwilderte, war vorzüglich das Werk der Liebe. Ein holdes Wesen, gleichsam vom Himmel zu seinem Schutzengel bestimmt, fesselte ihn durch die Reize der Gestalt und der Seele. Körner's Aeltern kamen nach Wien, prüften und segneten die Wahl ihres Sohnes, erfreuten sich an den Wirkungen eines edlen Gefühls und sahen einer schönen Zukunft entgegen, als ein glückliches Ereigniß den Zeitpunkt zu beschleunigen schien, der das liebende Paar vereinigen sollte.«

Den glücklichsten Geburtstag seines Lebens feierte Theodor am 23. September 1812; keine Ahnung, daß es der letzte seines Lebens sein werde, trübte den festlichen Tag. »Noch nie,« schreibt er an die Lieben, »hat mich ein 23. September so glücklich gefunden. Der Kranz der Liebe ist um mich geschlungen, und alle Blüthen, die Ihr in mir erzogen habt, hat die Sonnenzeit meines heiligsten Gefühls, hat meine Toni mir zum ewigen Frühling aufgeküßt. Ich fordere Den auf, der glücklicher zu sein sich rühmen kann!«

In der nächsten Zeit nahmen ihn die Proben zu »Zriny«, den er, da es »ein Großes Spektakelstück« war, dem Theater an der Wien übergeben Hatte, in Anspruch. Am 30. Dezember 1812 schreibt er den Aeltern: »Beiliegender Theaterzettel sagt Euch, daß heut Abend Zriny aufgeführt wird. Endlich! ... Ich verspreche mir viel! Die letzte Dekoration ist von ungeheuerem Effekt. Fünffacher Feuerregen, eine förmliche Schlacht, Eva stürzt mit vier Türken sammt dem ganzen Schlosse in den brennenden Schutt. Kurz, ich hoffe, es wird nicht schlecht wirken. Die Logen sind schon für mehrere Male versagt. Heute fallen die entscheidenden Würfel meines Glücks.« Und sie fielen so glücklich, als er es kaum erwartet. Er wurde gerufen. »Ich wollte nicht herausgehn, weil fast kein Beispiel ist, daß ein Dichter, der nicht zugleich Schauspieler gewesen wäre, herausgerufen ward. Grüner aber zog mich heraus. Ich wurde sehr enthusiastisch begrüßt, und weil doch ein Dichter nicht stumm sein darf, so nahm ich mir den Muth und sagte Einiges. Es lautete ungefähr also – ich selbst habe es nicht behalten, ich folge also der Tradition –: »Ich fühl' es deutlich in mir, daß ich diesen schönen Zuruf nicht meiner schülerhaften Muse, nein, nur dem schönen Eifer des Künstlervereins und dem begeisternden Andenken an die große That einer großen Nation zu danken habe.« – Damals stimmten die Wiener noch mit Freuden ein, wenn die Ungarn als große Nation gefeiert wurden. – Der Erzherzog Karl, den Theodor in Leyer und Schwert als den Sieger von Aspern besingt, ließ ihn zu sich bescheiden. »Er sprach,« schreibt Theodor dem Vater, den 9. Januar 1813 – »über eine halbe Stunde auf das Gütigste und Herzlichste mit mir, größtentheils über Literatur, zuletzt aber über Meinungen und Gesinnungen, wo mir das Herz gewaltig aufging und ich frisch von der Seele weg schwatzte, was ihn sehr zu freuen schien. Er entließ mich mit den Worten: es sei ihm sehr lieb, solch wackern jungen Deutschen kennen gelernt zu haben. Ich rechne es zu den schönsten Vorfällen in meinem Leben.« Aber noch Interessanteres hatte Theodor zu melden: »Zweitens« – schreibt er in demselben Briefe, – »habe ich die Ehre, Ihnen, verehrteste Angehörige, in meiner Person den kaiserl. königl. Hoftheaterdichter Theodor Körner vorzustellen.« Der Direktor des Theaters an der Wien, Graf Palffy, und der des Hofburgtheaters, Fürst Lobkowitz, hatten zu gleicher Zeit ihm Anträge gemacht. Körner entschied sich für das letztere. »Wenn ich,« – schreibt er dem Vater, – »in ökonomischer Hinsicht beim Theater an der Wien gewonnen hätte, so ist der Gewinn an einem gebildeteren Publikum und an einem vollendeteren Künstlerverein am Hoftheater gewiß höher anzuschlagen. Draußen durfte ich nur für Kulissenreißer schreiben; in der Stadt liegt das komische und tragische Feld in gleicher Freiheit vor mir. Heut früh hab' ich abgeschlossen. Ich liefere zwei große Stücke, wovon ein jedes einen Theaterabend ausfüllt, und zwei kleine Nachspiele und übernehme die sogenannten Bearbeitungen. Dagegen erhalte ich ein Jahrgehalt von fünfzehnhundert Gulden W. W., und jede meiner Arbeiten über das Verdungene wird mir besonders und sehr gut bezahlt, habe auch Freiheit zu reisen, wenn ich will, sobald ich nur meine Stücke abgeliefert habe. Der Kontrakt ist vom 1. Januar auf drei Jahre abgeschlossen, und gefällt es mir länger, so trete ich in das förmliche Dekret, und meine Pensionsfähigkeit wird vom Tage des Kontraktabschlusses an gerechnet ... Nun, Gott wird seinen Segen geben; für mich hätte ich nun schon etwas zu essen und wol auch etwas mehr.« –

Und alle diese schönen Verhältnisse der Liebe, der Freundschaft, des Berufes als der gefeierte Dichter der Kaiserstadt löste Theodor mit freudigem, wenn auch mit blutendem Herzen bei dem ersten Rufe: zur Befreiung des Vaterlandes die Waffen zu ergreifen. Daß in Preußen, wo es galt, die in und nach den unglücklichen Feldzügen dem Königshause und dem Vaterlande durch einen übermüthigen Feind zugefügte Schmach zu rächen, die Ehre und den Waffenruhm der Adler Friedrich's des Großen wiederherzustellen, eine allgemeine Begeisterung alle Herzen erfaßte, so daß nicht nur die rüstigen Männer und Jünglinge, daß selbst Greise, Knaben und Jungfrauen sich in die Reihen der Krieger stellten, hat nichts Verwundersames. Bei Weitem höher haben wir die Gesinnung Derer als eine wahrhaft deutsche anzuerkennen, die, wie Theodor Körner, obschon der Sachsenkönig sein Heer und seine Festungen dem Unterdrücker der deutschen Freiheit zur Verfügung gestellt, obschon es in Sachsen für Hoch- und Landesverrath erklärt wurde, in die feindlichen Heere der Preußen und Russen einzutreten, dennoch dem tapfern Vorfechter des Befreiungskrieges, dem Könige der Preußen, den Fahneneid schwuren.

Theodor war durch den Verfasser gegenwärtiger Biographie bereits im Dezember 1812 in Kenntniß gesetzt von der überraschenden Ankunft Napoleon's in Dresden aus Rußland, auf dessen Schneefeldern er »die große Armee«, von Hunger, Frost und Elend aller Art zu Grunde gerichtet, zurückgelassen hatte. Daß nach dem Uebergange des preußischen Armeekorps unter York's Befehl zu den Russen die Zeit der Erhebung für ganz Deutschland gekommen sei, war dem Freunde in Wien ebenfalls mitgetheilt worden. Der Vater durfte als königlich sächsischer Beamter es nicht wagen, dergleichen Mittheilungen dem Sohne zu machen, zumal er ihn, durch seine dramatischen Arbeiten in sorgenfreier Stellung und in den Armen der geliebten Braut geborgen, in dem friedlich gesinnten Wien festgehalten wußte. Die Aeußerung Theodor's in einem Briefe aus Wien, den 27. Januar 1813: »Es rückt ein großer Augenblick des Lebens heran. Seid überzeugt, Ihr findet mich Eurer nicht unwürdig, was auch die Prüfung gelte,« – wird von dem Vater gänzlich mißverstanden. Er antwortet, Dresden, den 1. Februar 1813: »Wenn ich den Schluß Deines Briefes recht verstehe, so hast Du wegen des Unterschiedes der Religion Kämpfe zu erwarten. Ich begreife dies wohl; aber ich habe zu Dir und zu Toni das Vertrauen, daß dieser Punkt Euch Beide nicht beunruhigen wird;« woran sich sehr tolerante Betrachtungen über die Verschiedenheit des kirchlichen Bekenntnisses in der Ehe anschließen. Theodor beeilt sich, dies Mißverständniß aufzuklären. »Meine paar Worte zu Ende des vorigen Briefes,« schreibt er aus Wien, den 10. Februar, »hat der Vater ganz falsch verstanden. Was Du meinst, hat mir noch keinen unruhigen Augenblick gemacht. Ich hatte es auf den großen Kampf der Zeit gemünzt.« – Der Vater antwortet, Dresden, den 15. Februar: »Die Stelle in Deinem Briefe, worauf Du eine so unpassende Antwort erhalten hast, habe ich nicht allein falsch verstanden. Auf das, was Du meinst, läßt sich nicht schriftlich antworten. Ich verstehe Dich und ehre Deine Denkart; aber ich wiederhole meine Bitte: keinen entscheidenden Schritt zu thun, ohne vorher mündlich mit mir Rücksprache genommen zu haben. In einem solchen Falle bedarf es vollständiger Akten, ehe eine Resolution gefaßt wird. Bei den edelsten Bewegungsgründen sind wir vor Illusionen der Phantasie nicht sicher, und wenn Opfer gebracht werden sollen, darf man wenigstens den rechten Zeitpunkt nicht verfehlen.«

Theodor beruhigte die besorgten Aeltern durch einen Brief an die Mutter vom 6. März, wie ihn Egmont selbst nach dem Einmarsche Alba's nicht sorgloser geschrieben haben würde. »Ich lebe hier ein sehr glückliches Leben, wie Du weißt. Bis um 11 Uhr arbeite ich, dann gehe ich zu meiner geliebten Toni, von da geh' ich essen, wo ich eben eingeladen bin: zu Humboldts, Bartholdy, Arnsteins, Pereira, Geymüllers, Zichy, Baumanns u. s. w. Dann mach' ich ein paar Visiten, geh' entweder nach Hause und arbeite, oder bringe meinen Abend theils im Theater, theils in Gesellschaften zu. Am Häufigsten bin ich bei der Pereira, wo ein schöner kleiner Zirkel, welcher aus ihr, Marianne Saaling, der Gräfin Engel, Bartholdy besteht, meine angenehmsten Stunden herbeiführt.«

In Dresden aber fing das Volk in den Schichten der Arbeiter an, sich zu regen. Der französische General Reynier war mit den Trümmern des sächsischen Armeekorps aus Rußland hierher zurückgekehrt und hatte, durch französische Ersatzmannschaft verstärkt, den Befehl, Dresden gegen feindlichen Ueberfall zu schützen. Als er nun am 9. März die Elbbrücke absperren und Anstalten treffen ließ, einige Bogen und Pfeiler in die Luft zu sprengen, rottete sich das Volk zusammen und vertrieb am folgenden Tage die als Todtengräber der schönen Elbbrücke beschäftigten französischen Sappeurs und die aufmarschirten Schutzwachen. Ein hochweiser Magistrat ermahnte in einer Tags darauf erlassenen Proklamation »die sämmtlichen Mitbürger auf das Ernstlichste, durch voreilige Aengstlichkeit in diesem verhängnißvollen Zeitpunkte die Bedrängnisse nicht zu vermehren, sondern mit der den friedlichen Bürger ehrenden Ruhe Dem entgegenzusehen, was die Vorsehung über uns beschlossen habe, und was daher menschlicher Wille nicht zu ändern vermöge.« Seine Majestät Friedrich August der Gerechte hatte bei Zeiten seine unverletzliche Person in Sicherheit nach Plauen im Voigtland gebracht, und eine von ihm zurückgelassene Immediat-Kommission erließ eine Bekanntmachung, in welcher es heißt: »Das Publikum ist erinnert, welcher Gestalt Ihro Königliche Majestät bei Ihrer Abreise von hier Ihre getreuen Unterthanen ermahnt haben, durch ein ruhiges, ordnungsmäßiges Verhalten den alten Ruhm des sächsischen Volks zu behaupten. Dennoch haben hiesige Einwohner sich Unordnungen und Ungebürnisse zu Schulden kommen lassen, welche uns nöthigen, die Strenge der Gesetze und vornehmlich das Mandat wider Tumult und Aufruhr vom 18. Januar 1791 in Erinnerung zu bringen, um die allgemeine Ruhe und Ordnung, die jedem gutgesinnten Bürger, der seinen König liebt, vor Allem heilig sein muß, aufrecht zu erhalten u. s. w.«

Reynier machte dem Marschall Davoust Meldung davon, daß er nicht hinreichende Mannschaft habe, die Volksbewegung niederzuhalten und die Sprengung der Brücke auszuführen. Der Marschall rückte einige Tage später an der Spitze von 10,000 Mann ein, und das von den Dresdnern wie ein Heiligthum verehrte stolze Bauwerk, welches schon so manchem Stoße der mit Gewalt anprallenden Eisschollen widerstanden, flog am 19. März, durch Pulver gesprengt, in die Luft. – Freund F. F. in Dresden gab Theodor Nachricht von Dem, was in seiner Vaterstadt sich begeben. Der Vater überließ es diesmal der Mutter, – mit den Damen durfte es die geheime Brieferöffnungs-Kommission nicht so streng wie mit den Männern nehmen, – dem Sohne über das Vorgefallene zu berichten Sie schreibt aus Dresden, den 11. März, an ihrem Geburtstage, einen Brief mit vielen Gedankenstrichen und berührt die Vorgänge in Dresden nur mit den kurzen Worten: »Seit zwei Tagen haben wir Volksaufruhr – – –; der gute Vater wird Dir Alles schreiben – – –.« Allein der gute Vater hält auch noch zurück mit dem Berichte über die Sprengungsanstalten auf der Brücke. Obschon die Nachricht von dem Einzuge der Russen in Berlin seit einigen Tagen in Dresden bekannt war, ebenso der Aufruf zur Bildung freiwilliger Jäger vom 3. Februar, schreibt dennoch der Vater, den 12. März, an Theodor: »Über Preußen's Entschluß ist noch keine öffentliche Erklärung erschienen, und von den Truppenbewegungen in Schlesien weiß man noch nichts Zuverlässiges. Wohl uns, daß Du jetzt in Wien so gut aufgehoben bist. Genieße ungestört Deine glückliche Lage und benutze sie zu immer weiteren Fortschritten.« –

Bevor aber Theodor diesen Brief erhielt, hatte er bereits seinen Entschluß gefaßt. Er schrieb jenen denkwürdigen Brief an den Vater aus Wien, vom 10. März 1813, welcher als das beredteste Zeugniß für des jugendlichen Dichters Hochherzigkeit, zugleich aber auch als der Ausdruck der allgemeinen Begeistrung gelten darf, von welcher alle edleren, vaterländisch gesinnten Herzen bewegt wurden.

»Liebster Vater! Ich schreibe Dir diesmal in einer Angelegenheit, die, wie ich das feste Vertrauen zu Dir habe, Dich weder befremden noch erschrecken wird. Neulich schon gab ich Dir einen Wink über mein Vorhaben, das jetzt zur Reife gediehen ist. Deutschland steht auf! Der preußische Adler erweckt in allen treuen Herzen durch seine kühnen Flügelschläge die große Hoffnung einer deutschen, wenigstens norddeutschen Freiheit. Meine Kunst seufzt nach ihrem Vaterlande; lass' mich ihr würdiger Jünger sein! Ja, liebster Vater, ich will Soldat werden, will das hier gewonnene glückliche und sorgenfreie Leben mit Freuden hinwerfen, um, sei's auch mit meinem Blute, mir ein Vaterland zu erkämpfen. – Nenn's nicht Uebermuth, Leichtsinn, Wildheit; vor zwei Jahren hätt' ich es so nennen lassen; jetzt, da ich weiß, welche Seligkeit in diesem Leben reifen kann, jetzt, da alle Sterne meines Glücks in schöner Milde auf mich niederleuchten, jetzt ist es, bei Gott, ein würdiges Gefühl, das mich treibt, jetzt ist es die mächtige Ueberzeugung, daß kein Opfer zu groß sei für das höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit. Vielleicht besagt Dir Dein bestochnes väterliches Herz: Theodor ist zu größeren Zwecken da, er hätte auf einem anderen Felde Wichtigeres und Bedeutenderes leisten können, er ist der Menschheit noch ein großes Pfund zu berechnen schuldig. Aber, Vater, meine Meinung ist die: zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist Keiner zu gut, wol aber sind Viele zu schlecht dazu! Hat mir Gott wirklich etwas mehr als gewöhnlichen Geist eingehaucht, der unter Deiner Pflege denken lernte, wo ist der Augenblick, wo ich ihn mehr geltend machen kann? Eine große Zeit will große Herzen, und fühl' Ich die Kraft in mir, eine Klippe sein zu können in dieser Völkerbrandung, ich muß hinaus und dem Wogensturme die muthige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleiern? Soll ich Komödien schreiben auf dem Spotttheater, wenn ich den Muth und die Kraft mir zutraue, auf dem Theater des Ernstes mitzusprechen? Ich weiß, Du wirst manche Unruhe erleiden müssen, die Mutter wird weinen, Gott tröste sie! ich kann's Euch nicht ersparen. Des Glückes Schooßkind rühmt ich mich bis jetzt; es wird mich jetzo nicht verlassen. Daß ich mein Leben wage, das gilt nicht viel; daß aber dies Leben mit allen Blüthenkränzen der Liebe, der Freundschaft, der Freude geschmückt ist, und daß ich es doch wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe, die mir in der Ueberzeugung lebte, Euch keine Unruhe, keine Angst zu bereiten, das ist ein Opfer, dem nur ein solcher Preis entgegengestellt werden darf. Sonnabend oder Montag reise ich ab, wahrscheinlich in freundlicher Gesellschaft; vielleicht schickt mich auch Humboldt als Courier. In Breslau, als dem Sammelplatze, treffe ich zu den freien Söhnen Preußen's, die in schöner Begeisterung sich zu den Fahnen ihres Königs gesammelt haben. Ob zu Fuß oder zu Pferd, darüber bin ich noch nicht entschieden und kommt einzig auf die Summe Geldes an, die ich zusammenbringe. Wegen meiner hiesigen Anstellung weiß ich noch nichts gewiß; vermuthlich giebt mir der Fürst Fürst Lobkowltz, Intendant des Hofburgtheaters. Urlaub, wo nicht, es giebt in der Kunst keine Ancienneté, und komm' ich wieder nach Wien, so hab' ich doch das sichere Versprechen des Grafen Palffy, das in ökonomischer Hinsicht noch mehr Vortheile gewährt. Toni hat mir auch bei dieser Gelegenheit Ihre edle, große Seele bewiesen. Sie weint wol; aber der beendigte Feldzug wird ihre Thränen schon trocknen. Die Mutter soll mir ihren Schmerz vergeben, wer mich liebt, soll mich nicht verkennen, und Du wirst mich Deiner würdig finden.

Dein Theodor.«

In dem nächsten Briefe, vom 13. März, meldet Theodor dem Vater seine Abreise nach Breslau, wo er am nächsten Freitag früh einzutreffen gedenkt. »Der Abschied von Wien,« schreibt er, »liegt noch gewitterdumpfig auf meinem Herzen! Wäre das schon überstanden! Warum muß gerade die Straße der Pflicht unbarmherzig manch stilles Blümchen niedertreten, das gern am Wege aufgeblüht wäre. Schreibt doch an Toni etwas Beruhigendes ... Behüte Euch Gott, und segnet mich, wenn auch ein paar Thränen mit drein fallen sollten.« – Der Vater gab in einem Briefe voll patriotischer Begeisterung dem Sohne seine Zustimmung und seinen Segen. Von der großen Gemüthsaufregung, in welcher sich Theodor während der Fahrt nach Breslau befand, geben einige aus Troppau den 12. März an Frau v. Pereira gerichtete Zeilen Zeugniß: »Ich hoffe bald in Reih und Glied zu stehen, und dann, von dem äußeren Leben geräuschvoll gepackt, in dem inneren zu derart Ruhe zu kommen, die zu einer klaren Erinnerung gehört. Ich habe unendliche Liederträume gehabt, aber keine Ordnung, keine Ausführung, kein Licht!« – –

Bei seiner Ankunft in Breslau am 19. März war seine erste Frage die: »Wo meldet man sich zum Eintritt in das Lützow'sche Freikorps?« Ein Brief seines Freundes F. aus Dresden hatte ihn bereits für dieses Korps angeworben. – Zu Fuß, zu Roß und zu Wagen zogen die Freiwilligen aus allen Theilen des durch den Tilsiter Frieden so sehr geschmälerten Königreichs herbei. Es hielt so schwer, ein Unterkommen in Breslau zu finden, daß der damals eine so einflußreiche Stellung als Bevollmächtigter des Kaisers Alexander einnehmende Minister Stein sich mit einer Schlafstelle, welche der Major v. Lützow ihm in seiner elenden Herberge überließ, begnügen mußte. Das Anmeldebüreau des Lützow'schen Korps befand sich im Gasthofe zum goldenen Zepter, und wenn Lützow's Adjutant, Friedrich Friesen, der blonde friesische Jüngling, – »eine wahre Sigfriedgestalt« nennt ihn Jahn – anderweit beschäftigt war, übernahm Frau v. Lützow, eine geborene Gräfin Ahlefeldt, auf der dänischen Insel Laland geboren, das Einrolliren der sich meldenden Freiwilligen. »Wär' ich,« äußerte Körner nach der Ankunft in Dresden gegen seinen Freund, »noch unentschlossen gewesen, ob ich Deiner Anwerbung für das Lützow'sche Korps Folge geben solle, mein Entschluß war entschieden, als diese wunderbar schöne Frau, eine blondgelockte, blauäugige Thusnelda, mit freundlichem Zuspruch voll Wohllaut und mit deutschem Händedruck mich willkommen hieß, als ich mich: »Theodor Körner, kaiserlich königlich österreichischer Hofburgtheater-Dichter aus Wien,« anmeldete. Körner entschied sich für den Eintritt in das Jägerdetachement zu Fuß unter Befehl des Majors v. Petersdorf, dessen Hauptquartier in dem Bergstädtchen Zobten war. Von hier schrieb Theodor, den 22. März, der Freundin nach Wien: »Mein Herz dreht sich gewaltsam um, wo ich nur eine Büchse blinken sehe. Gott, was ist das für eine große, herrliche Zeit. Alles geht mit so freiem, stolzem Muthe dem großen Kampfe fürs Vaterland entgegen, Alles drängt sich, zuerst für die gute Sache bluten zu können. Es ist nur ein Wille, nur ein Wunsch in der ganzen Nation, und das abgenutzte: Sieg oder Tod! bekommt neue heilige Bedeutung.«

In Zobten erreichten Theodor auch wieder Briefe des Vaters, der, weit entfernt, ihm das Herz durch Bedenklichkeiten schwer zu machen, vielmehr ihn wiederholt seiner vollen und freudigen Zustimmung versichert. Er schreibt ihm aus Dresden, den 22. März: »Für den Fall, daß Du meinen ersten Brief nicht erhalten hättest, wiederhole ich die Versicherung, daß wir Beide ganz eines Sinnes sind. Der Vetter erhält von mir eine Anweisung auf fünfhundert Thaler zu Deiner Disposition, sobald die Kommunikation wiederhergestellt ist. Bis dahin wirst Du schon Kredit finden, wenn Deine Baarschaft nicht zureichen sollte.« – Von Zobten, den 26. März, giebt Theodor den Seinen Nachricht über sein Wohlbefinden. »Ich bin,« schreibt er dem Vater, »frisch und gesund und freue mich des neuen Wirkungskreises ... Um die Hände in den Schooß zu legen, ward ich nicht Soldat ... Das Korps singt schon viele meiner Lieder, und ich kann Euch gar nicht beschreiben, wie angenehm das Verhältniß ist, in dem ich lebe, da die gebildetsten und ausgesuchtesten Köpfe aus ganz Deutschland neben mir in Reih und Glied stehen. Man könnte einen großen Plan mit lauter Schriftstellern ausfüllen, so viele stehen bei den schwarzen Jägern. Es gilt ein großes Werk; wer sein Sandkorn nicht mit dazu legt, soll sich nicht in seinem Schatten freuen dürfen ...«

An demselben Tage – Zobten, den 26. März 1813 – giebt er auch der Freundin in Wien fernere Nachricht. »Denken Sie sich«, schreibt er an Frau v. Pereira, »einen Haufen von fünfzehnhundert jungen Leuten, alle aus einem Trieb, aus Haß, aus Rache gegen den Tyrannen und voll der glühendsten Begeisterung für die gute Sache des Volks zu den Waffen geeilt, die letzten sorglosen Minuten des Lebens keck und frei genießend; – der zweite Mann muß verloren sein, ist der allgemeine Glaube und das Schiller'sche:

»Und trifft es morgen, so lasset uns heut
Noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit!«

wird gesungen und befolgt. Oft wird es mir doch zu wild; dann gehe ich in den Wald und denke an das geliebte Wien, an so manchen Silberblick, der mir vorüberleuchtete und der nun in der Nebelgestalt der Erinnerung an mir vorüberzieht. – Was sage ich, Nebelgestalten! O, es ist ein lebendiges, klares Wiederempfinden, Wiedergrüßen; die schönen Stunden kehren mir zurück und alle Stille und Freude meines Herzens; gewöhnlich kann ich mich dann nicht enthalten, die Wälder mit dem Liede: »Im Walde schleich' ich still und mild« zu plagen. Es ist ein gar liebes, liebes Lied!« –

Eine hohe Weihe erhielt der Krieg dadurch, daß er nicht allein für die Befreiung des Vaterlandes von fremder Gewaltherrschaft, daß er zugleich auch als ein heiliger Krieg, wie für den Herd so auch für den Altar geführt wurde. Von Priesterhand und durch Priesterwort wurden die Waffen mit erhebender Feier in den Kirchen gesegnet. Lützow's Freischaar hielt diese Feier in der Dorfkirche zu Rogau am 26. März. Theodor berichtet darüber an die Freundin in Wien, aus Jauer vom 30. März: »Eine große, herrliche Stunde habe ich am Sonnabend verlebt. Wir zogen in Parade aus Zobten nach Rogau, einem lutherischen Dorfe, wo die Kirche zur feierlichen Einsegnung der Freischaar einfach aber geziemend ausgeschmückt war. Nach Absingung eines Liedes, das Ihr Freund zu der Gelegenheit verfertigt hatte, In »Leyer und Schwert« abgedruckt. hielt der Prediger des Ortes, Peters mit Namen, eine kräftige, allgemein ergreifende Rede. Kein Auge blieb trocken. Zuletzt ließ er uns den Eid schwören: für die Sache der Menschheit, des Vaterlandes und der Religion weder Gut noch Blut zu schonen und zu siegen oder zu sterben für die gerechte Sache; wir schwuren! Darauf warf er sich auf die Knie und flehte Gott um Segen für seine Kämpfer an. Bei dem Allmächtigen! es war ein Augenblick, wo in jeder Brust die Todesweihe flammend zuckte, wo alle Herzen heldenmüthig schlugen. Der feierlich vorgesagte und von Allen nachgesprochene Kriegseid, auf die Schwerter der Officiere geschworen, und: Eine feste Burg ist unser Gott, machte das Ende der erhebenden Feier, die zuletzt noch mit einem donnernden Vivat, das die Krieger » der deutschen Freiheit!« ausbrachten, gekrönt wurde, wobei alle Klingen aus der Scheide flogen und helle Funken das Gotteshaus durchsprühten. Diese Stunde hatte um so mehr Ergreifendes für uns, da die Meisten mit dem Gefühl hinausziehen, es sei ihr letzter Gang. Ich weiß auch einige Gesichter in meinem Zuge, von denen ich es ganz deutlich voraus weiß, sie sind unter den Ersten, die der Würgengel fordert. Es gleicht wol nichts dem klaren, bestimmten Gefühle der Freiheit, das dem Besonnenen im Augenblicke der Gefahr lächelnd entgegentritt. Kein Tod ist so mild, wie der unter den Kugeln der Feinde; denn was den Tod sonst verbittern mag, der Gedanke des Abschiedes von dem, was Einem das Liebste, das Theuerste auf dieser Erde war, das verliert seinen Wermuth in der schönen Ueberzeugung, daß die Heiligkeit des Unterganges jedes verwundete, befreundete Herz bald heilen werde. –... Seit der Todesweihe im Gotteshause zuckt mir immer eine Ahnung durchs Herz. Denken Sie meiner immer freundlich und vergessen Sie über der ganzen Wildheit und Unbändigkeit eines glühenden Herzens so mancher stillen, guten Blume nicht, die ich doch gewiß in dem Heiligthume meiner Brust verwahre.« –

Theodor trat den Marsch von Schlesien nach Sachsen in Reih und Glied als Jäger zu Fuß an. Nach Überschreiten der sächsischen Grenze kommandirte ihn Major von Petersdorf, als Quartiermacher mit einem Kommando vorauf zu fahren. Körner benutzte die ihm hierdurch gewordene Muße, einen Aufruf zu verfassen: »An das Volk der Sachsen. Von ihren Freunden.« Er schickte ihn voraus an den Vater nach Dresden, welcher, um sich nicht einer schweren Verantwortlichkeit auszusetzen, mit der Beförderung zum Druck den Verfasser dieser Biographie beauftragte, welcher bereits für ein vom ihm verfaßtes Heftchen patriotischer »Freiheitslieder. An die erwachten Deutschen« eine Anweisung von dem General Blücher in Dresden am 1. April ausgestellt erhalten hatte. Theodor's Aufruf beginnt: »Brüder! Durch dreifache Bande, des Blutes, der Sprache, der Unterdrückung an Euch gekettet, kommen wir zu Euch. Oeffnet uns Eure Herzen, wie Ihr uns Eure Thüren geöffnet habt; die lange Nacht der Schmach hat uns vertraut gemacht, die Morgenröthe einer besseren Zeit soll uns verbunden finden. Landsleute sind wir, Brüder sind wir, im festen Vertrauen auf Euer Beharren bei der guten, bei der heiligen Sache Gottes und des Vaterlandes rühmen sich Viele unter uns, Euch anzugehören, in Eurem Kreise geboren, in Eurer Sitte auferzogen zu sein. Wie es nun Brüdern geziemt, wollen wir durch Eure Thäler wandern. Wem wäre denn die heimathliche Erde, dies eine große Vaterhaus aller deutschen Herzen heiliger, wem läge denn mehr an der Sicherheit, an dem Wohlstande eines Landes, für dessen Freiheit wir freudig Blut und Leben zu opfern geschworen haben! Ja, für die Freiheit dieses Landes wollen wir fechten und, wie Gott will, siegen oder sterben. Soll denn die fremde Tyrannei noch länger Eurer heiligen Gesetze, der ehrwürdigen Ueberlieferungen Eurer Väter, spotten? Soll der fremde Gerichtshof sich auf Eure Rathhäuser drängen und die angeborne Sprache nicht mehr gelten, die Ihr seit Jahrhunderten bewahrt habt? Sollen Eure Speicher, Eure Keller noch länger die Henkersknechte füttern, Eure Weiber, Eure Töchter noch länger ihrem zügellosen Frevel preisgegeben sein, Eure Söhne noch länger für die Raserei eines schamlosen Ehrgeizes geschlachtet werden?« – Nach der Erinnerung an die Helden, deren Thaten die Geschichte Sachsen's ausgezeichnet hat, ruft er dem Volke zu: »Und Ihr solltet ruhig bleiben und den Greuel, welchen die Feinde verübt, unvergolten lassen? Nein! nein! Du gutes, wackres Volk, das sollst Du, das kannst Du nicht! Hast Du den Moskowiten gesehen, wie er den Fackelbrand in seine Paläste schleuderte? Siehst Du den Preußen jetzt, Deinen Bruder und nächsten Bundesgenossen, wie er sich rüstet, Landwehr und Landsturm, alle waffenfähigen Männer, eins in dem beschworenen Entschlusse, zu sterben oder frei zu sein? Und Du wolltest zaudern? Nein, Du zauderst nicht, auch Du wirst aufstehen, Deine Ketten schütteln und die welke Raute des sächsischen Wappens wird herrlich aufblühen zum Kranze der Freiheit! Sieh auf unsere muthige Schaar! Wir haben es im Gotteshause beschworen, zu kämpfen, zu sterben für unsere, für Eure Freiheit: der Segen der Kirche ist mit uns und die Wünsche und Gebete aller treuen und redlichen Herzen. Sammle Dich zu uns, wehrbare Jugend des unterjochten Sachsenlandes! Sammlet Euch zu uns, tüchtige Männer des tüchtigen Volkes! Wer nicht mitziehen kann, helfe der allgemeinen Sache mit Rüstung und Zuspruch; Eure Brüder in Westphalen erwarten uns, Preußen 's und Rußland's Adler kämpfen mit uns, und Gott hilft uns siegen! Es ist in unserer Schaar (er meint die Freischaar Lützow's) kein Unterschied der Geburt, des Standes, des Landes. Wir sind alle freie Männer, trotzen der Hölle und ihren Bundesgenossen und wollen sie ersäufen, wär's auch mit unserm Blute. Nicht Söldner sind wir; der Frieden, das Glück führt uns auseinander, wie uns Rache und Kampf zusammenführt. Wenn der Feind darniederliegt, wenn die Feuerzeichen von den Bergen des Rheines herüber rauchen und das deutsche Banner im Hauche der französischen Lüfte flattert, dann hängen wir das Schwert in den Eichenwäldern des befreiten Vaterlandes auf und ziehen heim in Frieden. Nun, so der Himmel will, es wird bald gethan sein, Gott ist ja mit uns und die gerechte Sache und: Eine feste Burg ist unser Gott! Amen!«

Um wie viel mächtiger war seit 1809 die Begeisterung für Freiheit und Vaterland bei Theodor geworden. Wir erinnern uns, daß er damals den von Schill erlassenen Aufruf doch »etwas zu stark« fand, und jetzt ruft er das Volk auf für dieselbe heilige Sache, aber in einer Sprache, gegen welche Schill's Worte zurückhaltend und gemäßigt erscheinen.

Dieselbe traurige Erfahrung aber, wie Schill sie 1809 in Preußen erfuhr, machte 1813 Körner in Sachsen. Am 6. April traf er in Dresden bei den Aeltern ein. Theodor aber und die geringe Anzahl ihm gleichgesinnter Landsleute überzeugten sich nur zu bald von dem geringen Anklange, den sein Aufruf in Dresden und in Leipzig fand. »Zum Tollwerden,« schreibt Körner aus Leipzig, den 18. April, an einen Freund, »Hab' ich mich über die Schlafmützen geärgert. Da verkriechen sie sich hinter dem Allergnädigsten und sind im Grunde ihres Herzens recht froh, daß dieser über alle Berge gegangen ist. Da meine Prosa, wie Du mir schreibst, und wie ich es leider selbst genugsam erfahren habe, den Leuten nur den Kopf etwas anfeuchtet, ohne bis auf die Haut zu dringen, so habe ich ihnen nun ein Hagelwetter hinterdrein geschickt, das allen faulen Gesellen durch Mark und Bein gehen soll. Pfui über die Buben hinter dem Ofen!« Männer und Buben«, abgedruckt in Leyer und Schwert

An Aufruf und Zureden ließen es auch die obersten Befehlshaber der russischen und preußischen Kriegsheere bei ihrem Einrücken in Sachsen nicht fehlen. General Blücher erließ aus Bunzlau, den 23. März, einen Aufruf, in welchem er den Sachsen die brüderliche Hand bietet und ihnen zuruft: »Sachsen! Ihr seid ein edles und aufgeklärtes Volk. Ihr wißt, daß ohne Unabhängigkeit alle Güter des Lebens für alle edelgesinnten Gemüther keinen Werth haben, daß Unterjochung die höchste Schmach ist. Ihr könnt und werdet die Sklaverei nicht länger ertragen, Ihr werdet nicht länger dulden, daß eine arglistige, gleißnerische Politik für ihre raubgierigen, ehrsüchtigen Entwürfe das Blut Eurer Söhne fordere, die Quellen Eures Handels austrockne, Euren Kunstfleiß lähme, Eure Preßfreiheit vernichte und Euer einst so glückliches Land zum Schauplatze des Krieges mache. Schon hat der Vandalismus der Euch unterdrückenden Fremdlinge Euer schönstes Monument der Baukunst, die Brücke bei Dresden, unnöthig und muthwillig zerstört. Auf! vereinigt Euch mit uns, erhebt die Fahne des Aufstandes gegen die fremden Unterdrücker und seid frei!« – In einem noch höheren Tone redete der russische General Graf Wittgenstein in einem aus Belzig, den 30. März, erlassenen Aufruf die Sachsen an. »Sachsen! Ich betrat Euer Land, um Euch mit Krieg zu überziehen, oder mit Euch vereint für Eure Freiheit, für die Wiederherstellung Eurer geschändeten Ehre zu kämpfen. Wählet! Eure Wahl kann Eure Krone in Gefahr bringen, kann einst Eure Kinder bei dem Gedanken an ihre Väter erröthen machen; sie hält Deutschland 's gezeitigte Befreiung nicht auf. Seht, was neben und um Euch geschieht, werft einen Blick auf die edlen Preußen, Eure Nachbarn. Die ganze Nation erhebt sich in Masse, in ihren Reihen findet Ihr den Sohn des Pflügers neben dem des Fürsten, aller Unterschied der Stände ist in den großen Begriffen: Freiheit und Ehre, König und Vaterland zusammengeschmolzen; es giebt keinen Unterschied mehr als den des größeren Talentes, des feurigeren Eifers zum Kampfe für die große, heilige Sache; Freiheit oder Tod! ist das Losungswort, welches Friedrich Wilhelm ausgegeben hat, und feierlich schwört sein ganzes hochherziges Volk, zu siegen oder eines solchen Fürsten würdig zu fallen. Sachsen! Deutsche! Unsere Stammbäume, unsere Geschlechtsregister schließen mit dem Jahre 1812. Die Thaten unserer Ahnen sind durch die Erniedrigung ihrer Enkel verwirkt. Nur die Erhebung Deutschland's bringt wieder edle Geschlechter hervor und giebt denen, welche es waren, ihren Glanz zurück!« – All' diese erhebenden Worte waren in Sachsen tauben Ohren und in allerunterthänigst-loyaler Servilität verkommenen Herzen geprediget. Theodor, der sich einen großen Erfolg von seinem Aufrufe und von seinen Kriegsliedern versprochen hatte, äußerte einmal in seiner Verzweiflung: »Eher glaube ich damit einen Hund hinter dem Ofen vorlocken zu können als diese feigen Philisterseelen.« Wenn Beitzke in seiner Geschichte der deutschen Freiheitskriege (Bd. I. S. 202) berichtet: Körner's Aufruf habe eine so außerordentliche Wirkung gehabt, daß alsbald fünfhundert Mann Sachsen sich zum Eintritt in das Lützow'sche Freikorps angemeldet hätten, so klingt das sehr schön; aber Beitzke war nicht dabei, er hat die Feldzüge der Befreiung nicht mitgemacht.

Körner verweilte in Dresden, wo er am 6. April angekommen war, nur drei Tage; am 10ten brach das Korps wieder auf gen Leipzig. Die wenigen Stunden, welche Theodor den Seinen angehörte, benutzte die Schwester dazu, eine Kreidezeichnung von dem geliebten Bruder zu machen, das einzige wohlgetroffene Bildniß aus dieser Zeit. Emma malte später nach dieser Zeichnung das Portrait in Oel, zu welchem Theodor nicht gesessen hat. Die Zeichnung in schwarzer Kreide erhielt der Verf. von der Mutter zum Geschenk, das Oelbild der getreue Freund Dr. Wendler in Leipzig, der den bei Kitzen schwerverwundeten Theodor nach einer sichren Freistatt brachte. Das Lützow'sche Freikorps wurde dem Bülow'schen Armeekorps zugetheilt und marschirte nach der unteren Elbe, wo es verschiedene unbedeutende Gefechte hatte, ohne an den großen Schlachten bei Großgörschen, den 2. Mai, und bei Bautzen, den 20. und 21. Mai, Theil zu nehmen. Aus Dessau, den 28. April, meldet Theodor dem Vater, daß er Lieutenant geworden, was bei den Detachements der Freiwilligen durch die Wahl der Kameraden erfolgte. Trübe Vorahnungen und Unmuth darüber, daß ihm nicht beschieden war, in jenen großen Schlachten mitzufechten, erfüllten seine kampflustige Seele. An Frau v. Pereira schrieb er aus Leipzig, den 18. April: »Gestern Abend war ich an einer Freundes-Tafel mit zwölf Anderen, und die Hausfrau erschrak sehr über die ominöse Dreizehn! Was meinen Sie dazu?« Und vier Wochen später aus Perleberg in der Priegnitz, den 15. Mai, an dieselbe: »Was soll ich Ihnen schreiben? – meinen Mißmuth? – Was soll ich Ihnen vertrauen? meinen Grimm? Er wühlt gräßlich in mir! Vor ein paar Tagen war eine elende Affaire, das ist Alles, was ich bis jetzt erlebt habe. Die Franzosen hielten trotz ihrer Uebermacht nicht Stich; an hundert Todte und Gefangene waren die Beute des Tages; ich hätte recht brav einhauen können, wenn die Hunde Muth gehabt hätten ... – Ehe am 12ten die Kanonen zu donnern anfingen, schlief ich ein halbes Stündchen an einem Wachtfeuer. Da hatte ich einen Traum, den ich ewig verschweigen werde, der aber der fürchterlichste und lebhafteste meines ganzen Lebens ist. Sie und Marianne Saaling waren bedeutend mit im Spiele und sonderbarer Weise sah ich Marianne in altdeutschen, bürgerlichen Trauerkleidern, mit langen schwarzen Locken.« Fräulein Saaling war eine ausgezeichnet schöne Blondine.

Noch vor der Schlacht von Bautzen versuchte es Napoleon, den Kaiser von Rußland zu einseitiger Verhandlung wegen Abschluß eines Waffenstillstandes zu verhandeln. Alexander lehnte dies ab, und nun übernahm Oesterreich, welches bis dahin sich theilnahmlos verhalten hatte, die Rolle des Vermittlers. Am 4. Juni wurde in dem Dorfe Poischwitz bei Jauer ein Waffenstillstand bis zum 28. Juni einschließlich und noch sechs Tage darüber abgeschlossen. Ein schmaler Landstrich von der böhmisch-schlesischen Grenze bis zur Mündung der Elbe wurde für neutral erklärt. Der zehnte Artikel bestimmte: »Alle Truppenbewegungen werden so eingerichtet, daß eine jede Armee ihre neue Linie am 12. Juni einnimmt. Alle Korps oder Parteien des verbündeten Heeres, welche sich jenseit der Elbe (also auf deren linkem Ufer) befinden könnten, sollen nach Preußen zurückkehren.« –

Lützow, welcher mit einem Theil seines Korps einen kühnen Streifzug im Rücken des nach Schlesien vordringenden Feindes unternommen hatte, war am 8. Juni durch Thüringen und Franken bis Hof vorgegangen, wo er, als er zur Erstürmung der Stadt sich anschickte, von dem baierischen Kommandanten von dem am 4. Juni abgeschlossenen Waffenstillstände Kenntniß erhielt. Er trat sofort seinen Rückmarsch an, machte hiervon dem in Dresden kommandirenden sächsischen General v. Gersdorf Meldung und ersuchte ihn, da es ihm nicht möglich sei, sich mit seinem Korps am 12. Juni, wie der Waffenstillstand es bestimme, auf dem rechten Elbufer zu befinden, um sicheres Geleit durch einen sächsischen Officier als Marschkommissär. General Gersdorf schickte als solchen den Lieutenant von Gösnitz an Lützow ab und benachrichtigte ihn, daß er in einem dienstlichen Schreiben den Prinzen von Neufchatel, Marschall Berthier, ersucht habe, den Kaiser hiervon in Kenntniß zu setzen. Unangefochten führte Lützow seine Mannschaft von Hof über Plauen, Gera, Zeitz und bezog am 17. Juni eine Biwacht bei dem Dorfe Kitzen, zwei Meilen von Leipzig. Der französische General Arrighi, Herzog von Padua, war Kommandant von Leipzig. Er hatte von Napoleon den gemessenen Befehl: »Hinreichende Kolonnen ausrücken zu lassen, um die Räuberbande des schwarzen Korps einzufangen und niederhauen zu lassen.« Der französische General beging die Niederträchtigkeit, dem Major Lützow durch den Oberst Becker die beruhigende Zusicherung geben zu lassen, daß er ihm Officiere senden werde, seinen ferneren Marsch nach dem rechten Ufer der Elbe zu dirigiren. Hierüber die näheren Bestimmungen zu erhalten, sendete Lützow den Lieutenant v. Kropff zu dem Herzog von Padua, welcher diesen mit den Worten empfing: »Der Major Lützow ist mit seiner Räuberbande außer dem Gesetz erklärt; er hat sich selbst von dem Waffenstillstande ausgeschlossen. Sie sind mein Arrestant.« Unterdessen hatten die in Zeitz und den nahegelegenen Dörfern liegenden französischen und rheinbündischen Truppen unter General Fournier und dem württembergischen General Normann Befehl erhalten, ohne irgend eine vorausgehende Aufforderung oder Unterhandlung die Lützower von allen Seiten zu umzingeln und sie niederzusäbeln. General Normann, welchen Lützow zunächst befragte, was der Aufmarsch seiner Truppen mit gezogenen Säbeln bedeuten solle, wies ihn an den französischen General Fournier und als er an diesen dieselbe Frage richtete, erhielt er im barschen Tone die Antwort: » l'armistice pour tout le monde, excepté pour vous!« (Waffenstillstand für Alle, ausgenommen für Euch!) Rasch wandten Lützow und sein Adjutant Körner ihre Pferde und sprengten zurück zu ihren im ruhigen Weitermarsch abziehenden Schwadronen. Plötzlich, bevor sie sich dessen versahen, werfen sich die württembergischen Dragoner unter Normann's Befehl auf die in ausgedehntem Zuge reitenden Lützower und hauen und stechen nieder, was ihre Klinge erreichen kann. Unter den Schwerverwundeten befand sich auch Körner. Er schleppte sich, als er aus tiefer Ohnmacht erwacht war, nach einem nahen Gehölz. Ein Holzhauer, der ihn fand, brachte ihn mit einem Gärtner nach dessen Wohnung in Großzschocher. Von hier schickte er durch eine Bauerfrau einige Zeilen an den ihm befreundeten Direktor W. F. Kunze in Leipzig, welcher sich sogleich mit einem geschickten Arzte, Professor Dr. Wendler, nach Großzschocher begab, den Schwerverwundeten mit bürgerlicher Kleidung versah und in einem Kahne bis zu einem Gartenpförtchen der Stadt und dann weiter in einen sicheren Versteck brachte. Die Freunde wagten viel, da Leipzig auf Napoleon's Befehl wegen aufrührerischer Gesinnung in den Belagerungszustand erklärt und das Verbergen feindlicher Soldaten bei Todesstrafe verboten war. Nach ewigen Tagen war Theodor so weit genesen, daß er nach einem Landgute in der Nähe von Borna, drei Stunden von Leipzig entfernt, fahren konnte, von wo er zur gänzlichen Wiederherstellung sich unter fremdem Namen nach Karlsbad begab. Dem Vater gab er schon am 18. Juni beruhigende Nachricht, »daß er gesund und sein eigner Herr sei und bei vortrefflichen Leuten lebe, die ihm jeden Schmerz vergessen machten.« Den Brief unterzeichnete er: »Lorenz Juranitsch.« – Aus Karlsbad, den 2S. Juni, meldet er dem Vater seine Ankunft daselbst, und daß Frau von der Recke und Geh. Rath Dr. Sulzer sich seiner mit aller Sorgfalt angenommen haben. »Die nichtswürdige Geschichte,« schreibt er im nächsten Briefe, »Dir ausführlich zu erzählen, erspare mir, bis wir uns sprechen; nur so viel, daß ich verwundet ward, als ich, ohne den Säbel zu ziehen, die Schurken fragen sollte, ob dies der versprochene Waffenstillstand wäre?« – Aus Karlsbad, den 14. Juli, schreibt er, daß er am 19ten sich im Hauptquartier melden und am 21sten in Berlin sein werde. »Aengstiget Euch nur nie, wenn die Nachrichten ausbleiben, Gott hat mich so weit gebracht, er wird mich weiter bringen, und denkt nur, daß ich eine heilige Pflicht erfülle, und daß ein redlich deutsches Herz auf Alles gefaßt sein muß. – Durch! – Von Toni hab' ich Nachricht; sie ist auf dem Lande und befindet sich wohl. Es wär' nicht unmöglich, daß ich in eine Generalssuite bei der großen Armee käme, doch müssen die Bedingungen gut sein, weil ich sonst ungern mein angenehmes Verhältniß mit Lützow's Bravheit aufgäbe. Nun, der Himmel sei mit Euch. Gott wird uns Alle froh zusammenführen, an diesem Glauben haltet.« Während er die Lieben daheim mit herzhaftem Zuspruche zu beruhigen sucht, verhehlt er der Freundin in Wien seine trüben Ahnungen nicht, »Über die Ahnungen« – schreibt er aus Gitschin, den 18. Juli, an Frau v. Pereira, – »hab' ich jetzt recht tüchtige Erfahrungen gemacht. Vor der unglücklichen Affaire bei Kitzen wies mir der Major v. Lützow von Weitem ein Grab, deren es dort seit der Lützener Schlacht zahllose giebt. Ich sprengte drauf los, und als ich näher heran ritt, sank mein Pferd mit den Vorderfüßen hinein. Es war mir eine unangenehme Empfindung, und etwas verstimmt kam ich zum Major zurück. Ich sagte ihm: es wär' mir zu Muthe, als ging es uns heut noch schlecht: die französischen Vorposten hatten wir heut schon von Weitem gesehn. Er lachte mich aus und bat mich, die Poesie aus dem Feldleben zu verjagen. Lützow war Feuer und Flamme, wenn es galt einzuhauen, sonst aber die hausbackene Prosa, während seine sentimentale Gemahlin für Poesie und Poeten schwärmte Kurz darauf, als ich mit ihm zum Parlamentiren vorritt, stürzte sein Pferd, der beste Springer im ganzen Korps, als er über einen kleinen Graben setzte. Mühsam arbeitete sich Lützow unter ihm hervor, und ich hatte das unangenehme peinliche Gefühl eines nahen Unglücks zum zweiten Male. Fünf Minuten darauf sank ich von drei Hieben zerfleischt auf den Hals meines Pferdes, und nur seinem Sprunge verdanke ich mein Leben, denn sonst hätte der vierte Hieb, der mir den Mantel zerhaute, mich völlig abgefertigt.«

Die rührendste Erinnerung an diese ihm in so unehrenhafter Weise von einem für den Unterdrücker Deutschland's fechtenden Deutschen geschlagene Wunde wird für ewige Zeiten das schöne Sonnett bleiben:

Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben etc.

Freiheit und Liebe, die Goethe im Egmont als ein entschwindendes Traumbild verklärte, erscheinen uns hier in gegenwärtiger Wirklichkeit, dem Schwerverwundeten Tröstung bringend, »als er zu sterben meinte.«

Die Finten und Winkelzüge, welche Napoleon und seine Diplomaten auf dem Kongresse zu Prag während des Waffenstillstandes machten, wurden durch die Beharrlichkeit der an der Spitze der Volksbewegung in Preußen stehenden Staatsmänner und Heerführer durchhauen; der Beitritt Oesterreich's zu dem Bündnisse legte ein bedeutendes Gewicht in die Wagschals des Krieges; der Waffenstillstand wurde von unserer Seite gekündiget, wir begrüßten es als ein Zeichen glücklicher Vorbedeutung, daß der Krieg am 17. August wieder begann, dem Todestage Friedrich's des Großen, der an uns aus seinem Grabe den Mahnruf erließ, den Ruhm seiner Fahnen wiederherzustellen.

Körner war bereits im Lager der Lützower, von seinen Kameraden freudig empfangen, wieder eingetroffen. General Walmoden, dem das Lützower Freikorps zugetheilt war, hatte die Aufgabe, den Marschall Davoust, welcher in und bei Hamburg ein starkes Armeekorps versammelt hatte, am Vordringen gegen Berlin und Magdeburg zu hindern. Täglich fanden Vorpostengefechte statt.

Während am 25. August Tettenborn die Lützow'schen Jäger eine Biwacht bei Wöbbelin und Warsow beziehen ließ, unternahm Lützow einen Streifzug mit zweihundert Reitern, zur Hälfte Kosacken, von Warsow nach Gottesgabe, drei Stunden westlich von Schwerin, und legte sich während der Nacht in ein Gehölz unweit Rosenhagen, rechts der Straße von Gadebusch nach Schwerin. Am 26. mit Tages Anbruch wurde von den ausgestellten Vorposten die Ankunft eines beladenen feindlichen Wagenzuges unter einer starken Infanteriebedeckung gemeldet. Der Major Lützow ließ sogleich aufsitzen, die Kosacken erhielten Befehl, durch einen stürmischen Angriff den Transport aufzuhalten, während Lützow mit seinen Husaren der Bedeckung den Rückzug abschneiden wollte. Die Bauern, welche die Wagen fuhren, hieben bei dem ersten Hurrahruf der Kosacken aus Leibeskräften auf ihre Pferde, um so schnell als möglich aus dem Bereich des Gefechts zu kommen; von den französischen Infanteristen hielten sich viele an den Wagen und Pferden an, um das Gehölz zu erreichen, andere legten sich in die Gräben zur Seite der Straße und feuerten auf die Husaren. Die Wagen wurden bald eingeholt und zum Stehen gebracht; schwieriger war es, die aus dem Gehölz und den Gräben schießenden Infanteristen unschädlich zu machen, da sie gegen die Retter im Vortheil waren, den ihnen gebotenen Pardon annahmen und, wenn der Husar heranritt, dem Gefangenen das Gewehr abzufordern, es noch auf ihn abfeuerten.

Theodor Körner, Lieutenant und Adjutant Lützow's, sprengte eben herbei, und als aus dem Versteck des Gehölzes von den dahin geflüchteten Franzosen auf die Unsrigen gefeuert wurde, rief er in höchster Entrüstung: »Die Halunken! wer ein braver Kamerad ist, folgt mir!« So sprengte er auf seinem Schimmel muthig voraus, über den Graben dahin, woher die Schüsse gefallen. Ihm zur Seite folgte der Oberjäger Helfritz, von Herz und Faust ein Pommer, wie es keinen tüchtigern geben konnte; einige Andere schlossen sich an, es wurden mehrere Gefangene gemacht; aber die Reiter waren in dem Gehölz zu sehr im Nachtheil gegen die feindlichen Tirailleurs, welche im Gebüsch und hinter Baumstämmen sich verbergen konnten. Mehrmals ließen Lützow und der Rittmeister Fischer Appell blasen, ohne daß die Freiwilligen dem Zuruf Gehör leisteten. Auf den kühnen Reiter, der mit lautem Zuruf auf leuchtendem Schimmel den anderen vorausritt, wurden vornehmlich die feindlichen Schüsse gerichtet; dies hielt ihn nicht zurück, die Feinde aus ihrem Versteck aufzujagen und seine »Eisenbraut« zum blutigen Hochzeitreigen zu führen. Da fällt aus dem Dickicht ein Schuß, die Kugel pfeift, die Kugel trifft, trifft in das Herz – und der für Freiheit und Vaterland begeisterte Sänger und Kämpfer, der Heldenjüngling von zweiundzwanzig Jahren, Deutschland, Dein Theodor Körner sinkt, zum Tode verwundet, vom Pferde und färbt mit seinem Herzblute die grüne Heide von Rosenhagen.

Bei der von dem Verfasser gegebenen Erzählung kann er nur für die Wahrheit Dessen einstehen, was er selbst erlebte, oder worüber er mündliches und schriftliches Zeugniß glaubwürdiger Gewährsmänner nachzuweisen im Stande war. Als solche Zeugnisse mögen hier zwei an den Verfasser gerichtete Briefe eine Stelle finden: Der erste von dem Oberjäger Helfritz, später Amtsrath in Iven bei Anklam, in dessen Armen Körner seinen Geist aufgab, der zweite von dem Wachtmeister Zenker, gegenwärtig Gutsbesitzer in Brunow bei Neustadt-Eberswalde. An diese beiden mir befreundeten Kameraden richtete ich die Bitte, einen schriftlichen Bericht über Körner's Tod aufzuzeichnen, da sie Beide die nächsten Augenzeugen bei diesem traurigen Ereigniß waren. Beide Freunde haben meinem Wunsche, der Eine früher, der Andere später, bereitwilligst entsprochen.

Helfritz schreibt:

»Iven bei Anklam, im Juli 1846.

»Meinem Freunde und Waffengefährten Friedrich Förster in Berlin brüderlichen Gruß.«

»Schon 1811 auf der Universität in Berlin wurde ich mit Körner bekannt, die innigsten Bande der Freundschaft einten unsere Herzen. Unser höchstes Streben war auf unser damals so bedrängtes Vaterland gerichtet. Nur auf kurze Zeit trennten wir uns. Das allgemeine Losungswort, Körner's Wort: »Auf, deutsches Volk, erwache!« führte auch uns wieder zusammen. In dem Lützow'schen Korps, dem Vereinigungspunkte der deutschen Hochschüler, in der »wilden verwegenen Jagd,« standen auch wir uns als getreue Kämpfer für Vaterland und Freiheit zur Seite.

»Im Gefechte bei Gadebusch, am 26. August, war Körner bekanntlich Adjutant bei Lützow. Am Tage vor demselben begrüßten Körner und ich – wir hatten uns seit längerer Zeit nicht gesehen – uns auf das Herzlichste und Brüderlichste. Noch wenige Tage vor dem Gefecht hatte Körner im Gespräche mit Dir in Liebe unserer früheren Verhältnisse gedacht. Deshalb ist mir sein Siegelring, in dessen Besitze ich mich noch heute befinde, ein ewig theures Andenken. Einen Abdruck desselben lege ich bei. Der Form und Inschrift »Fidis manibus« nach ist es ein Ring, wie sie König Stanislaus von Polen den Verbündeten der Konföderation von Bar 1768 verlieh.

»Wenige Worte waren es, welche ich und Körner während des Gefechts wechselten. Ein Theil der von uns den Franzosen abgenommenen Wagen entkam und eilte auf der Straße im Walde davon. Körner rief mir zu – nachdem von Lützow schon Befehl gegeben war, den Feind nicht weiter zu verfolgen: »»Bruder Helfritz, Du kennst Deine Jäger besser als ich, wir wollen noch Mal drauf gehen.«« Er sprengte fort; dem geliebten Freunde folgte ich mit den Worten: »Ja, Bruder!« Meinem Zuge rief ich zu: »Jäger! Vorwärts!« Die braven Kameraden folgten mit dem Rufe: »»Hurrah! Oberjäger, Hurrah!«« Unsern Körner aber traf die tödtliche Kugel, etwa dreißig Schritte von mir und meinen Jägern entfernt. Zu mir den Blick gewandt, rief er: »Da hab' ich Eins – schadet weiter nicht –« – und mit diesen Worten endete sein ruhmvolles Leben. Er sank vom Pferde, ich sprenge hinzu, sitze ab, helfe mit Zenker, Freydank und Anderen den Fuß, welcher noch im Bügel hing, herausbringen und in meinen Armen ruhte als Leiche der allen seinen Freunden und Waffengefährten, ja dem gemeinsamen großen deutschen Vaterlande ewig unvergeßliche Theodor Körner. – Das Uebrige ist Dir bekannt; Du nahmst den theuren Leichnam in Empfang und bereitetest ihm mit anderen Freunden das Grab unter der Eiche bei Wöbbelin.«

»Die Thräne rinnt, die Feder will nicht weiter –
Vale faveque!
Dein Bruder und Waffengefährte F. Helfritz.«

Der zweite Freund und Kamerad, Zenker, schreibt aus Brunow bei Neustadt-Eberswalde, den 29. December 1863: »Lieber alter Freund und Kamerad. Meine Erinnerung an das Gefecht, welches uns unsern Körner raubte, ist – obschon fünfzig Jahre seitdem vergangen sind, – noch ganz klar und ungetrübt, und so berichte ich Dir treulich über den ganzen Hergang.

»In der Gegend des Dorfes Lübthene in Mecklenburg-Schwerin'schen stand die Kavallerie des Freikorps im Bivouac (Biwacht zu Deutsch). Eines Morgens früh, den 25. August, kam Lützow's Adjutant, Lieutenant Körner, zu mir, der ich Wachtmeister bei dem Jäger-Detachment (zweite Schwadron) war, und brachte den Befehl: es sollten sogleich von jeder Schwadron zwanzig Mann vor Lützow sich sammeln.

»Mein wackerer Rittmeister von Petersdorf schlief noch sehr schön; um ihn nicht zu stören, übernahm ich die Führung dieses kleinen Kommandos und suchte mir dazu zwanzig der besten Jäger und Pferde aus. Mein Kommandirbuch übergab ich dem Oberjäger Thürnagel mit dem Auftrage: dem Rittmeister die nöthige Meldung zu machen und mich damit zu entschuldigen, daß ich seinen Schlummer nicht hätte stören wollen.

»So sammelten wir uns bei Lützow's Hütte, 100 Mann von uns und 100 Kosacken. Wir brachen sogleich auf und ritten den ganzen Tag über. Unterwegs erfuhr ich: Lützow wolle die Franzosen umgehen und in ihrem Rücken zu ihrer Reserve-Artillerie und Munitions-Kolonne zu gelangen suchen, um diese zu zerstören. Es wurde zu dem Ende eine Menge großer Nägel mit Widerhaken zum Vernageln der Kanonen dem Oberjäger Starkloff und seiner Mannschaft übergeben.

»Es war schon später Abend, als wir auf einem großen, ganz frei und isolirt gelegenen Gutshofe einritten und fütterten; aus dem Hause wurden uns Lebensmittel gebracht.

»Unsere Vedetten hatten zwei Reisende angehalten, die ich Lützow vorstellte, welcher mir Befehl ertheilte, sie in den Saal zu bringen, wo die Adjutanten sich befanden, und sie dort bewachen zu lassen.

»Ich trat also in den großen Saal ein und fand hier außer vielen anderen Kameraden auch Körner, welcher, wie er es immer zu thun pflegte, uns ein »neues schönes Lied« vortrug. Es war das Schwertlied: »Du Schwert an meiner Linken rc.« Die sehr muntere und aufgeregte Gesellschaft sang das Lied sogleich nach irgend einer Melodie, oder stimmte wenigstens in das Hurrah! Hurrah! Hurrah! lebhaft ein. Körner verwahrte dieses Lied in seiner Brieftasche, in welcher es am nächsten Tage gefunden wurde. Die erste Abschrift davon machte der Oberjäger Beuth, der später als Gründer des Gewerbe-Instituts sich hohen Ruhm erwarb, und schrieb darunter: Körner schrieb dies Gedicht am 24. August Morgens in Kirch-Jesar, wozu ich ihm den Bleistift lieh. Beuth

»Noch ehe der Morgen dämmerte, brachen wir wieder auf und verbargen uns, nachdem wir eine gute Strecke Weges zurückgelegt hatten, in einem Gehölz. Hier ging uns die Nachricht zu, daß eine große Anzahl Wagen unter dem Geleit von französischen Rekruten und Rekonvaleszenten im nahen Dorfe, ich glaube, es hieß Rosenau, übernachtet habe, soeben aufbreche und auf dem Wege zum Davoust'schen Lager unsern Busch passiren werde.

»Lützow versammelte die Führer und sagte uns: seine Absichten auf das Davoust'sche Lager seien vereitelt, es bleibe nun nur übrig, einen im Anzuge begriffenen Transport zu nehmen und dessen Bedeckung niederzuhauen.

»Die Landstraße von Rosenau nach Schwerin hatte damals anfänglich zu beiden Seiten freies Feld, dann zur Rechten und ein Viertel Weges auch zur Linken dünn bestandenes Gehölz. Lützow hatte mir Befehl ertheilt, mich mit zwanzig Mann an der äußersten Ecke des Gehölzes zur Rechten ins Versteck zu legen und auf den Feind einzuhauen, sobald er weit genug vorgerückt sein würde. An meinen rechten Flügel schlossen die 100 Mann Kosacken sich an. Der Lieutenant v. Lützow, Bruder des Majors, sollte mit 40 Mann sich da, wo die Straße zu beiden Seiten Wald hatte, aufstellen und den Franzosen die Zuflucht in denselben verwehren. Die noch übrigen 40 Mann Lützower waren ebenfalls in ein Versteck gelegt und sollten aushelfen, wo es nöthig sein würde.

»Ich war sehr gut beritten, brach rechtzeitig hervor und kam mit meinen Leuten zuerst an die Franzosen, welche mehrentheils ihre Gewehre auf die Wagen, zum Theil auch sich selbst drauf gelegt hatten. So überrascht und erschrocken sie auch waren, setzten sie sich doch sogleich zur Wehr. Ein kleiner Voltigeur stach nach mir und meinem Pferde mit vieler Gewandtheit und hielt mich ziemlich fest, als ich zwei französische Offiziere bemerkte, welche bemüht waren, ihre Leute zu sammeln. Ich sprengte auf sie los, hieb den einen herunter und überließ den zweiten den Lanzen der Kosacken, die nun auch aus dem Walde hervorgebrochen waren. Den Franzosen, die sich unter die Wagen verkrochen und aus dem Versteck auf uns schossen, war schwer beizukommen. Die Pferde des Transportes wurden scheu und gingen durch, die Vorspannbauern schnitten die Stränge durch und jagten davon; Alles fuhr, ritt, lief und schoß durch einander; die Verwirrung war groß. Nun bemerkte ich, daß die zersprengten Franzosen Zuflucht in dem nahen Walde zu beiden Seiten der Straße suchten, von wo aus sie das Feuer auf uns erneuten. Der jüngere Lützow war nicht zeitig genug auf der ihm bezeichneten Stelle eingetroffen, um den Feinden den Weg zu verlegen. Dies auszuführen, rief ich rasch meine Jäger zusammen; die Feinde hatten jedoch den Wald schon erreicht, der nur dünn mit Holz besetzt war; hier wurden mir zwei Mann, Carus und Erdsack, erschossen und mein Pferd tödtlich verwundet. Es machte noch einen gewaltigen Satz und stürzte dann todt nieder, mich gegen einen großen Stein werfend. Da hörte ich Appell blasen und sah meine Leute, die mich für todt hielten, vor mir vorüber zurückreiten. Eine Zeit lang lag ich betäubt; als ich wieder zu mir gekommen war, sah ich dicht vor mir eine Anzahl Franzosen, die, sobald sie merkten, daß ich mich unter meinem Pferde hervorarbeitete, auf mich los stürzten. Es gelang mir, mich durchzuhauen, sie schossen hinter mir her, aber Keiner traf mich.

»Als ich aus dem Gehölz wieder auf das freie Feld auf der linken Seite der Straße gekommen war, bemerkte ich Körner, von Helfritz und anderen Kameraden gefolgt, zum Angriff vorgehend. Die in dem Walde versteckten Feinde gaben Feuer, und nicht weit von mir sah ich Körner vom Pferde sinken. Da er mit dem Fuße im Steigbügel hängen geblieben war, nahm ihn Helfritz in die Arme, wir Andern standen ihm bei, Körner's Schimmel jagte davon. Der Appellruf ließ sich wiederholt vernehmen. Einen der Jäger bat ich, er möchte mich an seinen Steigbügel fassen lassen; da sank auch er, von einer Kugel in die Brust getroffen, todt vom Pferde, welches ich nun bestieg, und da ich Körner in sicheren Händen wußte, ritt ich, dem Appellruf Folge leistend, zu Lützow zurück. Dieser hatte deshalb uns zurückgerufen, um den Angriff anders zu ordnen, der nun auch gelang; denn wir bekamen sämmtliche reichbeladene Wagen und machten eine große Anzahl Gefangene.

»Mir ward nun der Auftrag, die Avantgarde der zur Bedeckung der Beute beorderten Mannschaft zu bilden. Unser Rückweg über ?? (wahrscheinlich Mooras) war äußerst beschwerlich, aber gefahrlos. Vor Anbruch des Tages (am 27. August) erreichte ich Eure Vorposten und brachte die erste Nachricht von Körner's Tode. Die Wagen, welche die Leichen Körner's, Hardenberg's und der anderen Kameraden brachten, folgten bald nach...

»In treuer Bruderliebe
Dein Z.«

Große Verbreitung hat die Sage gefunden: »Körner habe einer jungen Mecklenburgerin das Versprechen abgenommen, seine Stirn, wenn er im Gefechte den Tod gefunden haben werde, mit einem Vergißmeinnicht-Kranze zu schmücken; dies junge Mädchen sei, als sie die Nachricht von Körner's Tod erhalten habe, nach Wöbbelin gegangen, habe dort bei nächtlicher Weile das Grab aufgegraben, den Deckel des Sarges geöffnet und dem Heldensänger den versprochenen Kranz auf das Haupt gelegt.« Als ein nicht minder romantisches Abenteuer wurde dem Verfasser Folgendes mitgetheilt. In der Nachbarschaft von Gernrode, in einem hochgelegenen Wirthshause auf dem Stuben- oder Stufenberge, zeigte man vor Jahren einen von Körner in eine Fensterscheibe mit einem Diamant eingekritzelten Vers. Dort wurde erzählt: Körner sei in der Walpurgisnacht 1813 als schwarzer Jäger auf dem Blocksberge gewesen und habe in einem verfallenen Kloster nahe bei der Teufelskanzel einen daselbst verborgenen Schatz gehoben, worauf er sich, als Freiberger Bergstudent und mit einer Wünschelruthe versehen, ganz ausbündig verstanden habe. Eine Tonne Goldes mindestens sei die Ausbeute gewesen, und mit diesem Gelde habe dann Lützow eine Schwadron schwarzer Husaren, »lauter stich-, hieb- und kugelfeste Mordkerle«, angeworben und ausgerüstet. – Diese romantisch schauerliche Sage ist – wir sagen: leider! – durch die historischen Forschungen unseres gelehrten Freundes H. Pröhle also aufgeklärt worden: »Auf einem Streifzuge der Lützower durch den Harz kam Theodor Körner nach Halberstadt; hier begab er sich in die am Domplatz gelegene Wohnung des Kreissekretairs Klewitz. Er war sehr galant gegen die Damen und forderte den Herrn des Hauses auf, ihn nach seinem Keller zu begleiten. Dieser hatte dort eine ihm anvertraute westphälische Kasse vergraben. Ein patriotischer Kassenbeamter, der nachmalige preußische Steuerrath Stävie, hatte dies verrathen. Körner – ein studirter Bergmann – erkannte sofort die Stelle in der Mitte des Kellers und ließ von einigen mitgebrachten schwarzen Jägern den vergrabenen Schatz, eine Kiste mit mehreren hundert Thalern, heben.« Allgemeine Zeitung, Beilage, 11. März 1859. Kehren wir aus dem Dunstkreise der Sage zu dem Festlande der Geschichte zurück.

Der Major Lützow begleitete am 26. August den Wagenzug von Rosenberg über Hof-Lützow und Weltzien auf Mooras, südöstlich von Hagenow, beinah eine Meile von Rosenberg. Von Mooras wendete sich der Major mit seiner Streifschaar nach Granzien; der Wagenzug ging unter geringer Bedeckung nach dem 1 1/2 Meile entfernten Wöbbelin, wo er in früher Morgenstunde am 27. August ankam.

Einem aus Wöbbelin, den 28. August 1813, von dem Verfasser an die Seinen geschriebenen Briefe entnehmen wir ferneren Bericht: »Wir brachten den Leichnam in ein der Landstraße zunächst gelegenes Bauernhaus in Wöbbelin. Damals die Wohnung des Holzwärters Franke, welcher von Theodor's Vater für treue Mühwaltung bei der Beerdigung zum Wächter des Grabes bestellt wurde. Die Aerzte untersuchten die Wunde und gaben uns wenigstens die beruhigende Versicherung, daß die Kugel ihn auf der Stelle getödtet haben müsse, da sie unter der Herzgrube bis in das Rückenmark gedrungen sei. Von seinen vertrauteren Freunden und Landsleuten schlossen sich Ackermann, v. Nostitz und v. Thümmel an mich an, um eine Grabstätte auszuwählen und eine angemessene Leichenfeier anzuordnen. Zwei Schreiner von dem Detachement der Fußjäger, bei welchem Theodor zuerst eingetreten war, gingen sogleich daran, einen Sarg für ihren Lieutenant zu zimmern. Unterdessen hatten wir ganz in der Nähe auf der Feldflur zwei einzelne hohe Eichen bemerkt und unter ihren Schatten »die Stätte ausgewählt für das Grab unseres geliebten Waffenbruders. Unser ehrwürdiger Feldwebel Markwort, ein fünfzigjähriger Schreiblehrer aus Berlin, übernahm die Besorgung der Gräber; denn es sollten auch die anderen Gebliebenen hier ihre Ruhestätte erhalten.

»In dem Bauernhofe waren andere Freunde beschäftigt gewesen, Kränze von Eichenlaub zu winden und ein Paradebett aufzubauen, auf welches der Sarg gestellt werden sollte.

»Nun begab ich mich zum letzten Abschiede noch einmal in das Kämmerlein, in welchem der entseelte Freund auf Stroh gebettet lag. Die Freunde, die hereintraten, benachrichtigten mich, daß alles zur Beerdigungsfeier in Bereitschaft sei. Wir nahmen den Leichnam auf, legten ihn in den Sarg und schmückten das geliebte Haupt mit einem Eichenkranze. Ein ernster Friede war über die edlen Züge des Gesichts gebreitet, vollkräftig in jugendlicher Schöne lag er da, dem Anscheine nach mehr noch dem Leben als dem Tode ungehörig; keine Leichenblässe, keine blauen Lippen, keine eingefallenen Augen – je länger man ihn ansah, desto mehr belebten sich die Züge; mir war's, als ob er wieder athme. – Die Maler Olivier und Schmidt haben ihn gezeichnet; der erstere hat mir die Zeichnung geschenkt, die ich mit anderem Nachlaß den tiefbetrübten Aeltern nach Dresden schicken werde. – Die anderen in dem Gefecht Gebliebenen, darunter Graf Hardenberg, wurden auf die aus jungen Baumstämmen und Wagenleitern bereiteten Bahren gelegt und waren sämmtlich mit Eichenzweigen und Kränzen geschmückt; auf engem Raume ein Schlachtfeld mit theuren Opfern. –

»Unter gedämpftem Trommelschlag trugen wir unsern geliebten Theodor zur Ruhestätte, die wir ihm mit eigenen Händen, von unsern Thränen benetzt, gegraben hatten. Daneben waren die Gräber zur Aufnahme der anderen Kameraden gegraben. Wegen der Nähe des Feindes hatte Wallmoden eine Ehrensalve aus Geschütz und Gewehr untersagt; so senkten wir ihn unter Anstimmung des Gebetes: »Vater, ich rufe Dich!« in die Gruft und schieden nach der Einsenkung mit dem Abschiedsgruße: »Das war Lützow's wilde verwegene Jagd!«

»Noch waren wir nicht in das Lager zurückgekehrt, als die Trompeten und Hörner Alarm bliesen. Der Ueberfall des Transportes in unmittelbarer Nähe des feindlichen Lagers war ein zu verwegener Streich, als daß Davoust nicht sofort sich Genugthuung und Sicherheit gegen eine Wiederholung zu verschaffen bedacht gewesen wäre. Das Lager bei Wöbbelin wurde abgebrochen, doch kehrte unser Korps nach zwei Tagen wieder dahin zurück.

Der Verf. war mit zwei Kameraden als Nachtfeldwache zurückgeblieben; hier
schrieb er:

Unter Körner's Eiche.

Vorüber zogen all' die Schaaren,
Die Dir den letzten Gruß gebracht
Und wie wir sonst zusammen waren,
Blieb ich bei Dir in stiller Nacht.
Wir haben oft die Lagerstätte
Im Felde brüderlich getheilt,
Nun ruhest Du im kühlen Bette
Einsam, vom Todespfeil ereilt.

Kaum war der Tag uns aufgegangen,
Umhüllt noch lagen Berg und Thal,
Da küßte mit den Rosenwangen
Die Freiheit Dich im Morgenstrahl.
Und eh' die Sonne noch erstiegen
Die freie Bahn im goldnen Glanz,
Ach! um die edle Stirne fügen
Die Freunde Dir den Todtenkranz.

Oft wird Dein Lied uns noch vereinen.
Gilt es den Kampf fürs Vaterland;
Und Viele werden um Dich weinen.
Die Dich im Leben nie gekannt;
Doch wird kein Sänger uns geboren,
Kein Held so muthig in Gefahr
Wie Du, mit dem ich treu verschworen
Ein Herz und eine Seele war.

Gesprengt sind nun der Knechtschaft Bande,
Und, was Dein frommer Wunsch begehrt:
Ein Grab im freien Vaterlande,
Erwarbst Du Dir mit Deinem Schwert.
Und diesem Ort ein heil'ges Zeichen,
Erhebt sich auf dem grünen Grund
Uralter Stamm der deutschen Eichen
Und thut des Sängers Urstätt' kund.

In Deinen Zweigen hör' ich's rauschen,
Du heil'ger, dichtbelaubter Baum,
Der Geisterstimme will ich lauschen.
Da tönt's aus unsichtbarem Raum:
»Was klagt Ihr, meine Waffenbrüder,
Werd' ich doch immer mit Euch sein,
Euch übergab' ich Schwert und Lieder,
Auf! singt und schlagt und denket mein!«

»Unter der Eiche war sogleich wieder der Sammelplatz der Freunde und Kameraden. Unser Kapellmeister versammelte das Sängerchor hier bei mondheller Nacht. Fingal und seine Waffenbrüder haben ihren gefallenen Helden keine würdigere Todtenfeier bereitet, als wir dem unsern. Auch sind wir nicht bang darum, daß jemals dies Grab vergessen werden könnte; allen vaterländischen Herzen ist es anbefohlen zu getreuer Bewahrung. Wir haben ein ovales Stück der Eichenborke ausgeschnitten und Kamerad Schreiber (Berlin) hat mit glühend gemachtem Ladestocke Namen und Datum » Theodor Körner, den 26. August 1813« in den Stamm eingebrannt.«

War es Körner auch nicht beschieden, in einer der großen Schlachten mit vielen Tausenden der Brüder für einen entscheidenden Sieg das Leben in die Schanze zu schlagen, sein Loos ist ihm nicht minder glücklich gefallen, der Kranz nicht minder rühmlich, den ihm fort und fort die deutsche Jugend flicht, die an seinen Gesängen sich zu tüchtiger Gesinnung heranbildet. Und auch darin dürfen wir Körner glücklich preisen, daß er für den Seelendrang seiner Begeisterung in der Lützow'schen Freischaar die Kameradschaft fand, deren der Sänger bedurfte und die er weder bei einem Garderegiment noch in einem der Hauptquartiere gefunden haben würde. –

Nicht immer und nicht aller Orten ist die Bedeutung jenes Freikorps nach Verdienst anerkannt und gewürdigt worden; um so mehr verdient das Zeugniß eines Unbefangenen und Ebenbürtigen hier eine Aufnahme. »Ist der alte Blücher,« sagt Immermann, Immermann: »Das Fest der Freiwilligen zu Köln am Rhein, den s. Februar 1838.« Er hatte selbst die Feldzüge des Befreiungskrieges als Freiwilliger im Leibregiment mitgemacht. »der erdgeborne Muth, die erfolgbringende Thatkraft, so tritt in einem anderen Kreise eine nach außen hin mit solchen Wirkungen nicht vergleichbare, innerlich aber eben so bedeutende Potenz jenes Kampfes besonders hervor. Die Jugend und Frische des deutschen Gesammtlebens war in seinen zartesten Nerven von der fremden Ueberziehung angetastet worden, deutsches Denken, Sinnen und Dichten stand in Gefahr, mit der heimischen Sprache den fremden Lauten und dargeliehenen oder aufgedrungenen Geistesformen weichen zu müssen. Deshalb kämpfte die Blüthe der Jugend aus dem Hörsaal, der Kirche, dem Lehrstuhl, der Gerichtshalle so begeistert mit; diese Jugend fühlte, daß das ganze Erbe unserer großen geistigen Ahnen und die Zukunft des Geistes, welche ihr anheimfallen sollte, auf dem Spiele stehe: der Athem dieser Jugend durchdrang erfrischend das Heer; überallhin waren ihre Sprossen gepflanzt; nirgend stand der junge grüne Hain so dicht als in der Lützow'schen Freischaar. Hier war der Student Nebenmann des Professors; Aerzte, Künstler, Lehrer, Geistliche, Naturforscher, ausgezeichnete, zum Theil schon hochgestellte Staatsbeamte aus allen Gauen Deutschland's waren an die Jäger-Kompagnien und Schwadronen, deren Masse aus tüchtigen Handwerksgesellen und Bauernburschen bestand, vertheilt, welche zum Zeichen, daß alle Farben des deutschen Lebens erst wiederaufblühen sollten, das farblose Schwarz trugen.

»Die Lützow'sche Freischaar war die Poesie des Heeres, und so hat denn auch der Dichter des Kampfes, Theodor Körner, in ihren Reihen gesungen, gefochten und vollendet. Von ihm kann man sagen, was Wallenstein von Max sagt:

»Sein Leben
Liegt faltenlos und leuchtend ausgebreitet.«

»Ein schönes, beneidenswerthes Leben! Indem er den Kriegerrock anzieht, streift er alles Schwache, Nachgeahmte seiner ersten Versuche ab; er ist ein Anderer geworden. Von Feldwacht zu Feldwacht, von Gefecht zu Gefecht quellen ihm Lieder zu, eigene, unnachgeahmte, unnachahmbare, welche die Nation zu ihren Schätzen stellt; er dichtet ein »Schwertlied«, einen der höchsten Laute unserer Sprache; da werben schon die Trompeten; er wirft den Stift weg und ergreift die Eisenbraut, welche er eben besungen; in der Fülle dieser Wonne, auf dem Gipfel solchen Glückes tritt ihn der Tod an, rasch, ohne daß er sein Antlitz gesehen hat, und die Brüder geben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft. Er fehlt im Siegesheimzuge; aber er ruht, wie er es gehofft, in freier Erde, und lebt, wie er es verdient, im deutschen Volke fort von Geschlecht zu Geschlecht:

»Denn was berauscht die Leyer einst gesungen,
»Das hat des Schwertes freie Thal errungen.«

Die Befreiung des Vaterlandes von den eingedrungenen Feinden war vollbracht, die Fahnen, unter denen Körner gefochten, für deren Hochhaltung er sein Herzblut vergossen, waren siegreich in Paris auf der stolzen Hofburg des gedemüthigten, in die Verbannung nach Elba verwiesenen Kaisers aufgepflanzt. – Im September 1814 traten der Vater, die Mutter und die Schwester Theodor's die Wallfahrt nach der Grabstätte des geliebten Sohnes an, wo am 27sten desselben Monats die Einweihung des Denkmals stattfand, welches der Vater dem Sohne gewidmet. Es besteht aus einem Opferaltar in antiker Form, nach einer Zeichnung des Hofbildhauers Thormeyer in Dresden in der königlichen Eisengießerei in Berlin ausgeführt. Leyer und Schwert, mit einem Eichenkranze geschmückt, stehen auf dem Altäre. Inschrift der Vorderseite:

Hier wurde Karl Theodor Körner von seinen Waffenbrüdern mit Achtung und Liebe zur Erde bestattet.

Auf der Rückseite:

Karl Theodor Körner, geboren zu Dresden den 23. September 1791, widmete sich zuerst dem Bergbau, dann der Dichtkunst, zuletzt dem Kampfe für Deutschland's Rettung. Diesem Berufe weihte er Schwert und Leyer und opfern ihm die schönsten Freuden und Hoffnungen einer glücklichen Jugend. Als Lieutenant und Adjutant in der Lützow'schen Freischaar wurde er bei einem Gefecht zwischen Gadebusch und Schwerin am 26. August 1813 schnell durch eine feindliche Kugel getödtet.

Auf der Seite zur Rechten:

»Vaterland, Dir woll'n wir sterben.
Wie Dein großes Wort gebeut;
Unsre Lieben mögen's erben.
Was wir mit dem Blut befreit.
Wachse, Du Freiheit der deutschen Eichen,
Wachse empor über unsere Leichen.«

Auf der Seite zur Linken:

»Dem Sänger Heil, erkämpft er mit dem Schwerte
Sich nur ein Grab in einer freien Erde!«

Beide Verse wurden aus »Leyer und Schwert« ausgewählt.

Das Anerbieten des Großherzogs von Mecklenburg, zu erneuter Beerdigung eine Stelle aus dem Kirchhofe zu Ludwigslust – nicht, wie irrthümlich verbreitet wurde: in der Fürstengruft – anweisen zu lassen, nahm der Vater nicht an; dagegen wurde ihm das Grundstück mit der Grabstätte, welches durch Ankauf eines daran grenzenden Ackers eine Vergrößerung erhielt, gegen einen geringen Erbzins überlassen. – Der Vater ließ Anpflanzungen von Bäumen und Sträuchern machen und sicherte durch eine Stiftung die Unterhaltung der zu einem Waldgehege emporgewachsenen Pflanzung. Ein eisernes Gitter umschließt die engere Umfriedung der fünf Gräber, der beiden Aeltern, der beiden Kinder und der Tante. An der Eiche ist der Säbel des preußischen Lieutenants Schnelle aufgehangen, eines Kameraden Theodor's, welcher, schwer verwundet in der Schlacht von Ligny, bald darauf in Löwen verschied. – Am fünfzigjährigen Todestage Theodor's, den 26. August 1863, fand unter der Eiche zu Wöbbelin eine Nationalfeier zum Gedächtniß des Heldensängers statt, dessen Andenken fortleben wird, so lange deutsche Herzen für Recht und Freiheit glühen, deutsche Schwerter für das Vaterland kämpfen, deutscher Sang » Lied, Liebe und Wein« feiern werden.


 << zurück