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Hanno

Ich hätte sie entführen sollen!« sagte Matho am Abend zu Spendius. »Hätte sie erfassen sollen und aus ihrem Hause reißen! Niemand hätte mir entgegenzutreten gewagt.«

Spendius hörte nicht auf ihn. Behaglich lag er auf dem Rücken und ruhte sich aus. Neben ihm stand ein großer Tonkrug mit Honigwasser, in den er von Zeit zu Zeit den Kopf tauchte, um einen großen Schluck zu tun.

»Was nun?« fuhr Matho fort. »Wie könnte man abermals nach Karthago hineinkommen?«

»Ich weiß es nicht!« antwortete Spendius. Diese Gleichgültigkeit erbitterte den Libyer.

»Ha!« schrie er. »An dir liegt die Schuld! Erst verlockst du mich, und dann läßt du mich im Stich! Feigling du! Warum soll ich dir gehorchen? Bildest du dir gar ein, du seist mein Herr? Du Kuppler, du Sklave, du Knechtskreatur!« Er knirschte mit den Zähnen und erhob seine breite Hand gegen Spendius.

Der Grieche antwortete nicht. Eine Tonlampe glimmte matt am Zeltmast, an dem der Zaimph über der aufgehängten Rüstung schimmerte.

Plötzlich legte Matho seine Stahlstiefel an, schnallte sich seinen Küraß um und nahm seinen Helm.

»Wohin willst du?« fragte Spendius.

»Wieder hin! Laß mich! Ich bringe sie her! Und wer mir entgegentritt, den zertret ich wie eine Viper! Ich töte sie, Spendius! Ja, ich töte sie, du sollst sehen, daß ich sie töte!«

Da horchte Spendius auf. Blitzschnell riß er den Zaimph herunter, warf ihn in eine Ecke und legte eine Schaffelldecke darüber. Draußen erhob sich Stimmengewirr. Fackeln leuchteten. Und Naravas trat ein, von etwa zwanzig Männern begleitet.

Sie trugen weißwollene Mäntel, lange Dolche, lederne Halsbänder, Ohrringe von Holz, und Schuhe aus Hyänenfell. Sie blieben am Eingang stehen und stützten sich auf ihre Lanzen, wie ausruhende Schäfer auf ihre Hirtenstäbe. Naravas war der Schönste von allen. Perlengeschmückte Riemen umschlangen seine hageren Arme. Von dem Goldreifen, der sein weites Gewand am Kopfe festhielt, wallte ihm eine Straußenfeder über die Schulter herab. Ein beständiges Lächeln ließ seine Zähne sehen. Seine Blicke waren rasch und scharf wie Pfeile, und aus seiner ganzen Erscheinung sprach Wachsamkeit und Gewandtheit.

Er erklärte, er sei gekommen, um sich mit den Söldnern zu verbünden. Die Republik bedrohe seit langem sein Reich. Es sei also sein eigner Vorteil, wenn er die Barbaren unterstütze; aber auch ihnen könne er von Nutzen sein.

»Ich werde euch Elefanten liefern – in meinen Wäldern sind ihrer eine Unmenge – Wein, Öl, Gerste, Datteln, Pech und Schwefel für die Belagerungen, zwanzigtausend Mann Fußvolk und zehntausend Pferde. Wenn ich mich an dich wende, Matho, so tue ich es deshalb, weil der Besitz des Zaimphs dich zum Ersten im Heere gemacht hat. Überdies«, setzte er hinzu, »sind wir ja alte Freunde.«

Matho beobachtete Spendius, der auf dem Schaffelle sitzend zuhörte und durch ein leises Nicken mit dem Kopfe seine Zustimmung verriet. Naravas sprach weiter. Er rief die Götter zu Zeugen an und verfluchte Karthago. Bei seinen Verwünschungen zerbrach er einen Wurfspieß. Gleichzeitig stießen alle seine Leute ein lautes Geheul aus. Durch ihre Wut hingerissen, rief Matho laut aus, er nehme das Bündnis an.

Nun führte man einen weißen Stier und ein schwarzes Schaf herbei, Wahrzeichen von Tag und Nacht, und schlachtete sie am Rand einer Grube. Als sie mit Blut gefüllt war, tauchten die beiden Männer ihre Arme hinein. Dann legte Naravas seine blutige Hand auf Mathos Brust, und dieser die seine auf die Brust des Naravas. Dasselbe Blutzeichen drückte man auf die Leinwand der Zelte. Man verbrachte alsdann die Nacht beim Schmause. Die Reste des Fleisches, die Haut, die Knochen, die Hörner und Hufe wurden verbrannt.

Als Matho mit dem Mantel der Göttin zurückgekommen war, hatte ihn ungeheurer Beifall begrüßt. Selbst die nicht kanaanitischen Glaubens waren, merkten an ihrer vagen Begeisterung, daß ihnen ein Schutzgeist nahe war. Niemand dachte daran, sich des Zaimphs zu bemächtigen. Die geheimnisvolle Art seiner Eroberung genügte dem Barbarensinn, Matho als rechtmäßigen Besitzer anzusehn. So dachten die Söldner afrikanischer Herkunft. Die andern, deren Haß gegen Karthago nicht so alt war, wußten nicht, wozu sie sich entschließen sollten. Hätten sie Schiffe gehabt, so wären sie ohne Verzug aufgebrochen, ihrer Heimat zu.

Spendius, Naravas und Matho sandten Boten an alle Stämme im punischen Gebiet.

Karthago sog diese Völker aus. Es bezog ungeheure Steuern von ihnen, und mit Ketten, Beil oder Kreuz ward jede Verzögerung, jedes Murren bestraft. Sie mußten anpflanzen, was der Republik gefiel, und liefern, was sie forderte. Niemand hatte das Recht, eine Waffe zu besitzen. Empörten sich die Dörfer, so wurden ihre Bewohner als Sklaven verkauft. Die obersten Verwaltungsbeamten wurden nach den Summen geschätzt, die sie herauspreßten. Jenseits des den Karthagern unmittelbar unterworfenen Gebiets lagen die Bundesstaaten, die nur einen mäßigen Tribut zahlten. Noch weiter dahinter schwärmten die Nomaden, die man nötigenfalls auf jene losließ. Durch dieses System waren die Ernten stets ertragreich, die Gestüte im besten Stande, die Plantagen geradezu mustergültig. Der alte Kato, ein Kenner in Dingen der Landwirtschaft und der Sklavenausnutzung, war noch zweiundneunzig Jahre später höchlichst erstaunt darüber, und der Vernichtungsruf, den er in Rom immerfort erschallen ließ, war nichts als ein Ausdruck habgierigster Eifersucht.

Während des letzten Krieges hatten sich die Erpressungen verdoppelt, so daß fast alle libyschen Städte dem Regulus ihre Tore geöffnet hatten. Zur Strafe hatte man ihnen tausend Talente – das sind über vier Millionen Mark – zwanzigtausend Ochsen, dreihundert Säcke Goldstaub und bedeutende Vorauslieferungen von Getreide auferlegt. Die Häuptlinge der Stämme aber waren gekreuzigt oder den Löwen vorgeworfen worden.

Besonders Tunis verabscheute Karthago. Älter als die Hauptstadt, verzieh es ihr die Überflügelung nicht. Angesichts ihrer Mauern lag es im Sumpf am Binnensee, zusammengekauert wie ein giftiges Tier, das starr nach ihr hinblickte. Die zwangsweisen Verschickungen, die Blutbäder und Seuchen hatten es nicht geschwächt. Es hatte Archagathos, den Sohn des Agathokles, unterstützt. Die Esser unreiner Speisen fanden hier sofort Wehr und Waffen.

Die Boten waren noch nicht fort, als in den Provinzen ein allgemeiner Freudenrausch ausbrach. Unverzüglich erdrosselte man in den Bädern die Vertreter und Beamten der Republik, holte die alten Waffen, die man versteckt hatte, aus den Höhlen und schmiedete Schwerter aus den Pflugscharen. Die Kinder schärften Pfeilspitzen an den Türschwellen, und die Weiber gaben ihre Halsbänder, Ringe und Ohrringe hin, und alles, was irgendwie zur Zerstörung Karthagos dienen konnte. Ein jeder wollte dazu beitragen. In den Ortschaften häuften sich die Lanzenbündel wie Maisgarben. Man schickte Schlachtvieh und Geld. Matho zahlte den Söldnern rasch den rückständigen Sold, und diese Tat, deren Vater Spendius war, erhob ihn zum Generalissimus, zum Schalischim der Barbaren.

Gleichzeitig strömten Hilfstruppen herbei: zuerst erschienen die Ureinwohner des Landes, dann die Feldsklaven. Negerkarawanen wurden aufgegriffen und bewaffnet, und Kaufleute, die nach Karthago zogen, schlossen sich den Barbaren aus Gewinnsucht an. Unaufhörlich stießen zahlreiche Banden zu ihnen. Von der Höhe der Akropolis konnte man sehen, wie das Heer anwuchs.

Auf der Plattform der Wasserleitung stand eine Kette von Posten der Garde und neben ihnen in bestimmten Abständen eiserne Bottiche, in denen flüssiger Asphalt brodelte. Drunten in der Ebene wogte die gewaltige Menge der Söldner lärmend durcheinander. Sie waren unschlüssig, voll von jener Ratlosigkeit, die Barbaren stets vor Festungen zu empfinden pflegen.

Utika und Hippo-Diarrhyt wiesen das angebotene Bündnis zurück. Als phönizische Kolonien – gleich Karthago – hatten sie ihre eignen Regierungen und ließen in die Verträge, die sie mit der Republik schlossen, immer von neuem die ausdrückliche Anerkennung ihrer Selbständigkeit aufnehmen. Gleichwohl achteten sie die stärkere Schwester, die sie beschirmte, und glaubten durchaus nicht, daß ein Barbarenhaufen imstande wäre, sie zu besiegen. Im Gegenteil: man war überzeugt, daß die Söldner mit Stumpf und Stiel vernichtet würden. Daher wünschte man, neutral zu bleiben und sich friedlich zu verhalten.

Doch beide Städte waren so gelegen, daß Karthagos Feinde sie keinesfalls links liegen lassen durften. Utika, tief drinnen an einem Meerbusen, lag wie geschaffen, Karthago von auswärts Hilfe zu schicken. Fiel Utika allein, so trat Hippo-Diarrhyt, sechs Stunden weiter nordwestlich an der Küste, an seine Stelle, und die Hauptstadt, von dort mit Lebensmitteln versehen, blieb uneinnehmbar.

Spendius drang auf eine sofortige Belagerung Karthagos. Naravas war dagegen. Man müsse sich zunächst der umliegenden Orte bemächtigen. Das war ebenso die Meinung der Veteranen wie die Mathos, und so wurde bestimmt, daß Spendius Utika und Matho Hippo-Diarrhyt angreifen sollten. Das dritte Heer sollte sich an Tunis anlehnen und die Ebene vor Karthago besetzen. Autarit übernahm dies. Naravas sollte indes in sein Königreich zurückkehren, um Elefanten zu holen, und mit seiner Reiterei die Zugangsstraßen aufklären.

Die Weiber jammerten weidlich über diesen Beschluß.

Sie gelüstete es nach dem Geschmeide der punischen Damen. Auch die Libyer erhoben Widerspruch. Man habe sie gegen Karthago aufgerufen, und nun zöge man ab. Die Söldner traten den Abmarsch an. Matho führte seine Landsleute sowie die Iberer, die Lusitanier, die Männer aus dem Westen und von den Inseln, während alle, die Griechisch sprachen, dem Spendius folgten, seiner Klugheit wegen.

In Karthago war das Erstaunen groß, als man das Heer plötzlich aufbrechen sah. Es marschierte an den arianischen Bergen die Straße nach Utika hin, auf der Seeseite. Eine Abteilung blieb vor Tunis stehen. Der Rest verschwand und tauchte erst am andern Gestade des Golfes wieder auf, am Saume der Wälder, in die er sich verlor.

Es waren etwa achtzigtausend Mann. Die beiden tyrischen Städte, so meinten sie, würden keinen Widerstand leisten. Alsdann sollte es von neuem gegen Karthago gehen. Ein beträchtliches Heer schnitt die Stadt bereits vom Binnenland ab, indem es die Landenge besetzt hielt. Die Stadt mußte dem Hunger rasch erliegen, denn ohne Beihilfe der Provinzen konnte sie nicht leben, da die Bürger nicht wie in Rom Steuern zahlten. Ein höherer politischer Geist fehlte in Karthago. Seine unersättliche Gewinnsucht unterdrückte jene Klugheit, die weitblickender Ehrgeiz zeitigt. Wie ein auf dem libyschen Sande vor Anker gegangenes Schiff hielt es sich nur durch unermüdliche Arbeit. Die Völker umbrandeten es wie Meeresfluten, und der geringste Sturm erschütterte seinen Riesenleib.

Der Staatsschatz war durch den Krieg mit Rom und durch all das Hin- und Herfeilschen mit den Barbaren vergeudet und vertan worden. Man brauchte aber Soldaten, und keine Großmacht traute der Republik! Erst kürzlich hatte Ptolomäus ihr eine Anleihe von nicht einmal zehn Millionen Mark abgeschlagen. Überdies hatte der Raub des heiligen Mantels allgemeine Entmutigung zur Folge. Spendius hatte das richtig vorhergesehn. [Die afrikanischen Phönizier nannten sich noch in der römischen Kaiserzeit »Kanaaniter«, nach ihrer Heimat Chna (d.h. Niederung).]

Diesem Volk, das sich gehaßt fühlte, lagen sein Geld und seine Götter am Herzen, und seine Vaterlandsliebe wurde durch die Art seiner Regierung genährt.

Zunächst gehörte die Macht allen. Keiner war stark genug, sie an sich zu reißen. Privatschulden galten wie Schulden an das Gemeinwesen. Die Männer kanaanitischer Abkunft hatten das Vorrecht des Handels. Indem sie den Ertrag der Seeräuberei durch Wuchergeschäfte noch vermehrten und den Grund und Boden, die Sklaven und Armen maßlos ausbeuteten, waren etliche zu Reichtum gelangt. Nur dieser erschloß die obersten Staatsämter; und wiewohl sich die Macht in den reichen Geschlechtern forterbte, beließ man es doch bei der Oligarchie, dieweil ein jeder emporzukommen hoffte.

Es gab, entsprechend den dreihundert Geschlechtern, einen Großen Rat aus dreihundert Patriziern, von denen dreißig den Rat der Alten bildeten, die sogenannte Gerusia. Daneben existierte ein Staatsgerichtshof, das Kollegium der Hundertmänner. Auch diese waren Ratsmitglieder, repräsentierten aber eine Behörde für sich von beträchtlichem Einfluß auch auf den Rat. Die Hundertmänner wurden von den beiden Pentarchien gewählt, die aus je fünf Ratsmitgliedern bestanden. Die beiden alljährlich aus der Gerusia neugewählten Suffeten waren Schattenkönige, die weniger Macht hatten als die Konsuln in Rom. Man entzweite sie durch allerlei Niedertracht, damit sie sich gegenseitig schwächten. Sie durften nicht mit über den Krieg beraten. Erlitten sie aber Niederlagen, so ließ der Große Rat sie kreuzigen.

Karthagos innerste Kraft ging von den Syssitien aus, das heißt von einem großen Hofe im Mittelpunkte von Malka, an der Stelle, wo nach der Überlieferung einst die erste Barke mit phönizischen Matrosen gelandet war. Seitdem war das Meer weit zurückgetreten. Dort gab es eine Reihe kleiner Blockhäuser von altertümlicher Bauart, aus Palmenholz mit steinernen Ecken. Sie waren voneinander geschieden, um die Einzelverbände getrennt aufzunehmen. Die Patrizier hielten sich dort massenweise den ganzen Tag über auf, um ihre Angelegenheiten und die der Regierung zu besprechen, vom Pfefferkurs an bis zur Vernichtung Roms. Dreimal im Monat ließen sie ihre Ruhebetten auf die Plattform hinaufschaffen, die entlang der Hofmauer hinlief. Von unten sah man sie dann hoch oben an der Tafel sitzen, ohne Stiefel und Mäntel, mit diamantgeschmückten Händen, die über die Leckereien glitten, mit großen Ohrgehängen, die zwischen den Schenkkannen herabhingen, alle stark und wohlbeleibt, halbnackt, fröhlich, lachend und in freier blauer Luft schmausend, wie sich große Haifische im Meer ergötzen.

Jetzt freilich konnten sie ihre Besorgnis nicht verhehlen: sie waren allzu bleich. Die Menge erwartete sie an den Pforten und begleitete sie bis zu ihren Palästen, um ihnen Neuigkeiten zu entlocken. Wie in Pestzeiten waren alle Häuser geschlossen. Die Straßen füllten und leerten sich ruckweise. Man stieg zur Akropolis hinauf. Man lief nach dem Hafen. Nacht für Nacht hielt der Große Rat Versammlungen ab. Schließlich ward das Volk auf den Khamonplatz berufen, und man beschloß, sich an Hanno zu wenden, den Eroberer von Hekatompylos.

Er war ein bigotter, verschlagener Mann, schonungslos gegen die Afrikaner, ein Erzkarthager. Seine Einkünfte kamen denen der Barkiden gleich. Niemand besaß so viel Erfahrung in Verwaltungsangelegenheiten wie er.

Er befahl die Aushebung aller waffenfähigen Bürger, ließ Geschütze auf den Türmen aufstellen und brachte übermäßige Waffenvorräte zusammen. Sogar den Bau von vierzehn Schlachtschiffen ordnete er an, die man zurzeit gar nicht nötig hatte. Er verlangte, daß alles sorgfältigst gebucht und beurkundet würde.

Er ließ sich nach dem Arsenal, nach dem Leuchtturm, zu den Tempelschätzen tragen. Immerfort sah man seine große Sänfte die Treppen zur Akropolis Stufe um Stufe emporschwanken. Nachts in seinem Palaste, da er nicht schlafen konnte, brüllte er mit furchtbarer Stimme Kommandos, um sich auf den Krieg vorzubereiten.

Die übertriebene Furcht machte die ganze Stadt waffenlustig. Schon beim ersten Hahnenschrei versammelten sich die Patrizier längs der Straße der Mappalier und übten sich mit aufgeschürztem Gewand im Lanzenfechten. Doch da es an Exerziermeistern fehlte, gab es öfters Streitereien. Von Zeit zu Zeit setzte man sich erschöpft auf die Gräber, dann begann man von neuem. Manche unterwarfen sich sogar einer bestimmten Lebensweise. Die einen bildeten sich ein, daß man viel essen müsse, um Kräfte zu bekommen, und aßen übermäßig. Andere, von ihrer Körperfülle belästigt, fasteten, um magerer zu werden.

Utika hatte von Karthago schon mehrfach Hilfe erbeten. Aber Hanno wollte nicht ausrücken, solange auch nur eine Schraube noch an den Kriegsmaschinen fehlte. Er verlor allein drei Monate mit der Ausrüstung der hundertundzwölf Elefanten, die in Kasematten untergebracht waren. Es waren dies die Besieger des Regulus. Das Volk liebte sie. Man konnte diese alten Freunde gar nicht gut genug behandeln. Hanno ließ die Erzplatten umschmelzen, mit denen man ihre Brust umpanzerte, ihre Stoßzähne vergolden, ihre Türme vergrößern und die schönsten Purpurdecken mit ganz schweren Fransen für sie anfertigen. Zu guter Letzt befahl er, ihre Führer, die man Indier nannte – ohne Zweifel nach den ersten, die wirklich aus Indien gekommen waren –, alle nach indischer Sitte zu kleiden, mit weißen Turbanen und baumwollenen Pumphosen, die sich ihnen wie Austerschalen um die Hüften bauschten.

Autarits Heer lagerte noch immer vor Tunis, gedeckt durch einen Wall, der aus dem Schlamm des Haffs aufgeworfen und auf seinem Kamme mit Heckenhindernissen versehen worden war. Hier und da hatten die Neger hohe Stangen oben aufgepflanzt und Popanze mit Menschenfratzen, Vogelfedern und Schakal- oder Schlangenköpfen darangehängt, die dem Feind entgegengrinsten und ihn erschrecken sollten. Dadurch wähnten sich die Barbaren unbesiegbar. Sie tanzten und rangen miteinander und machten Gauklerkunststücke, fest überzeugt, daß Karthago dem baldigen Untergang geweiht sei. Jeder andre als Hanno hätte diese Soldateska, die durch einen Vieh- und Weibertroß in ihrer Bewegungsfreiheit behindert war, mit einem Schlage vernichtet. Davon abgesehen, war sie taktisch völlig ungeschult. Autarit verlor alle Lust und verlangte schließlich gar nichts mehr von seinen Leuten.

Man wich ihm aus, wenn er, seine großen blauen Augen rollend, vorüberschritt. Am Ufer des Haffs angelangt, zog er seinen Waffenrock von Robbenhaar aus, löste das Band, das seine langen roten Haare zusammenhielt, und tauchte sie ins Wasser. Es tat ihm jetzt leid, daß er ehedem nicht mit den zweitausend Galliern im Tempel auf dem Eryx zu den Römern übergegangen war.

Oft verlor die Sonne plötzlich mitten am Tage ihren Strahlenglanz. Dann brütete der Golf und das offene Meer unbeweglich wie geschmolzenes Blei. Eine braune lotrecht aufsteigende Staubwolke trieb wirbelnd heran. Die Palmen bogen sich, der Himmel schwand. Man hörte Steine gegen die Rücken der Tiere schlagen. Dann röchelte der Gallier, die Lippen an die Löcher seines Zeltes pressend, vor Erschöpfung und Schwermut. Er träumte vom Herbstmorgenduft der Weiden, von Schneesflocken, vom Gebrüll der im Nebel umherirrenden Auerochsen; und indem er die Augen schloß, glaubte er in länglichen strohgedeckten Hütten im Waldesgrunde Herdfeuer glimmen und ihren Schein über das Moor hinhuschen zu sehen.

Noch andre als er sehnten sich nach ihrer Heimat, wiewohl sie ihnen nicht so ferne lag. Die gefangenen Karthager konnten nämlich jenseits des Golfes an den Hängen des Burgberges die über die Höfe gespannten Zeltdächer ihrer Häuser sehen. Aber sie wurden immerfort von Wachen umkreist. Man hatte sie alle an eine gemeinsame Kette geschmiedet. Jeder trug ein Halseisen. Die Menge ward nicht müde, sie anzugaffen. Die Weiber zeigten den kleinen Kindern ihre einstmals schönen Gewänder, die nun längst zerfetzt um ihre abgemagerten Glieder hingen.

Jedesmal, wenn Autarit den Gisgo erblickte, ergriff ihn von neuem Wut über die ihm dereinst angetane Beschimpfung. Ohne den Schwur, den er Naravas geleistet, hätte er ihn getötet. In solcher Stimmung kehrte der Gallier in sein Zelt zurück, trank ein Gemisch aus Gerste und Kümmel, bis er sinnlos betrunken war, und erwachte erst wieder am hellen Tage, von furchtbarem Durste verzehrt.

Matho belagerte derweilen Hippo-Diarrhyt.

Die Stadt war durch einen See geschützt, der mit dem Meer in Verbindung stand. Sie besaß drei Umwallungen, und auf den Höhen, die sie beherrschten, zog sich überdies eine mit Türmen verstärkte Mauer hin. Matho hatte noch niemals eine derartige Unternehmung geleitet. Dazu peinigte ihn immerfort der Gedanke an Salambo. Er träumte vom Genuß ihrer Schönheit. In Wonnen wollte sich sein Stolz an ihr rächen. Es war ein qualvolles, wildes, endloses Begehren. Er dachte sogar daran, sich als Unterhändler anzubieten, in der Hoffnung, wenn er erst in Karthago wäre, auch bis zu ihr zu gelangen. Mehrfach ließ er zum Sturme blasen und rannte, ohne abzuwarten, auf den Damm, den man im Meere aufzuschütten versuchte. Er riß die Steine mit seinen Händen los, warf alles durcheinander, schlug und stieß mit seinem Schwerte um sich. Die Barbaren folgten ihm in wildem Gewirr. Die Sturmleitern brachen krachend zusammen, und Massen von Menschen stürzten ins Wasser, das in roten Wogen gegen die Mauern spritzte. Schließlich ließ das Getümmel nach. Die Söldner zogen sich zurück, – um baldigst wieder von neuem zu stürmen.

Matho setzte sich draußen vor dem Lager hin, wischte sich mit dem Arm das blutbespritzte Gesicht ab und starrte nach dem Horizont in der Richtung auf Karthago.

Vor ihm, unter Ölbäumen, Palmen, Myrten und Platanen, dehnten sich zwei große Teiche, die mit einem See in Verbindung standen, dessen Ufer in der Ferne verschwammen. Hinter einem Berge stiegen weitere Berge auf, und aus der Mitte des endlosen Sees erhob sich wie eine Pyramide eine schwarze Insel. Zur Linken, am Ende des Golfes, wellten sich Sanddünen wie große, gelbe, erstarrte Wogen, während das Meer, glatt wie eine Platte aus Lapislazuli, eins mit dem Himmel ward. Das Grün der Landschaft verlor sich hier und da in lange gelbe Streifen. Die Früchte der Johannisbrotbäume leuchteten wie Korallenknöpfe. Weinreben hingen von den Wipfeln der Sykomoren herab. Man hörte Wasser rauschen. Haubenlerchen hüpften umher, und die letzten Sonnenstrahlen vergoldeten die Rücken der Schildkröten, die aus den Binsen hervorkrochen, um den kühlen Seewind einzuatmen.

Matho stieß tiefe Seufzer aus. Er warf sich flach auf den Boden, grub seine Nägel in den Sand und weinte. Er fühlte sich elend, gebrochen, verlassen. Niemals würde er sie besitzen, er, der ja nicht einmal eine Stadt zu erobern vermochte!

Nachts, wenn er in seinem Zelte allein war, betrachtete er den Zaimph. Was nutzte ihm dies Heiligtum? Zweifel regten sich im Geiste des Barbaren. Dann wieder schien es ihm im Gegenteil, als ob das Gewand der Göttin mit Salambo in Zusammenhang stände, als lebe und webe ein Teil ihrer Seele darin, flüchtiger wie ein Hauch. Er betastete es, sog seinen Duft ein, vergrub sein Gesicht darein und küßte es unter Tränen. Er hing es sich wieder um die Schultern, um sich selbst zu täuschen, und er bildete sich ein, er sei wieder bei ihr.

Bisweilen trieb es ihn plötzlich hinaus. Beim Sternenlicht schritt er über die Söldner hinweg, die in ihre Mäntel gehüllt, schliefen. Vor den Toren des Lagers schwang er sich dann auf ein Pferd, und zwei Stunden später war er vor Utika im Zelte des Spendius.

Zuerst sprach er von der Belagerung. Aber er war nur gekommen, um von Salambo zu reden und so seinen Schmerz zu lindern. Spendius ermahnte ihn zur Vernunft.

»Bezwing diese elende Schwäche! Sie erniedrigt deine Seele! Einst gehorchtest du. Jetzt befehligst du ein Heer! Und wenn auch Karthago nicht erobert wird, so muß man uns doch wenigstens Provinzen abtreten, und wir sind Könige!«

Warum aber verlieh ihnen der Besitz des Zaimphs nicht den Sieg? Spendius meinte, man müsse es abwarten. Matho bildete sich ein, der Mantel übe seine Wunderkraft nur auf Männer kanaanitischen Stammes aus, und mit der Spitzfindigkeit des Barbaren sagte er sich: »Folglich wird der Zaimph für mich nichts tun. Da ihn aber jene verloren haben, kann er auch ihnen nicht helfen.«

Sein Aberglaube verwirrte ihn weiterhin. Er fürchtete, Moloch zu beleidigen, wenn er Aptuknos, den Gott der Libyer, anbete, und so fragte er Spendius ängstlich, welchem von beiden man guttäte, ein Menschenopfer zu bringen.

»Opfere nur!« versetzte Speudius lachend.

Matho, der diese Gleichgültigkeit nicht begriff, argwöhnte, daß der Grieche einen Schutzgeist besäße, von dem er nicht reden wolle.

In diesen Barbarenheeren trafen ebenso wie alle Völkerstämme auch alle Religionen zusammen. Man achtete die Götter der andern, denn auch sie erregten Schrecken. Manche mischten fremde Gebräuche unter ihren heimischen Gottesdienst. Wenn sie auch die Sterne nicht anbeteten, so brachten sie ihnen doch Opfer, sobald eine Konstellation Unheil oder Vorteil verkündete. Ein geheimnisvolles Amulett, das man zufällig bei Gefahr fand, ward zur Gottheit. Oder es war oft nur ein Name, nichts als ein Name, den man nachplapperte, ohne daß man auch nur versuchte, seinen Sinn zu ergründen. Da man oft Tempel geplündert, viele Völker und manche Metzelei gesehen hatte, so war manchem nur noch der Glaube an Tod und Schicksal geblieben, und man schlief allabendlich mit der Seelenruhe wilder Tiere ein. Spendius hätte die Bildnisse des olympischen Zeus angespien. Trotzdem scheute er sich, im Dunkeln laut zu reden, und er versäumte nie, jeden Morgen zuerst seinen rechten Fuß in den Stiefel zu stecken.

Er ließ vor Utika einen langen viereckigen Erdwall aufwerfen. Doch in dem Maße, wie dieser wuchs, erhob sich auch der Stadtwall. Was die einen zerstörten, ward von den andern fast unmittelbar wieder aufgebaut. Spendius schonte seine Leute und brütete über allerlei Plänen. Er suchte sich all der Kriegslisten zu erinnern, von denen er auf seinen Reisen hatte erzählen hören. Warum kam nur Naravas nicht zurück? Man war voller Besorgnis und Unruhe.

Hanno hatte seine Mobilmachung beendet. In einer mondlosen Nacht ließ er seine Elefanten und Soldaten auf Flößen über den Golf von Karthago setzen. Dann umgingen sie den Berg der Heißen Wasser, um Autarit auszuweichen, marschierten aber mit solcher Langsamkeit weiter, daß man am dritten Tage, statt die Barbaren im Morgengrauen zu überraschen, wie der Suffet es berechnet hatte, erst gegen Mittag an Ort und Stelle gelangte.

Östlich von Utika erstreckte sich eine Ebene in südöstlicher Richtung bis zur großen Lagune von Karthago. Im rechten Winkel zu dieser Ebene mündete dicht südlich Utika von Südwesten her ein Tal, von zwei niedrigen Höhenzügen umsäumt, die plötzlich abbrachen. Die Barbaren hatten ihr Lager etwas links des Talausganges aufgeschlagen, um auch den Hafen im Gesichtskreise zu haben. Sie schliefen in ihren Zelten – an diesem Tage ruhte nämlich Freund wie Feind kampfesmüde –, als hinter dem Hügelrücken das Heer der Karthager auftauchte.

Mit Schleudern bewaffnete Troßknechte waren ausgeschwärmt auf den Flügeln aufgestellt. In der vordersten Front ritt die Garde in ihren goldenen Schuppenpanzern auf schweren Pferden ohne Mähne, Schopf und Ohren, die mitten auf der Stirn ein silbernes Horn trugen, damit sie Rhinozerossen ähnlich sahen. Zwischen ihren Schwadronen marschierte junge Mannschaft, mit niedrigen Helmen auf dem Kopf, in jeder Hand einen Wurfspieß aus Eschenholz. Dahinter nahten die langen Lanzen des schweren Fußvolks. Alle diese Krämer hatten ihre Leiber mit Waffen überladen. Man sah manche, die eine Lanze, eine Streitaxt, eine Keule und zwei Schwerter trugen. Andre starrten wie Stachelschweine von Wurfspießen, während sie ihre mit Horn- oder Eisenschienen gepanzerten Arme weit vom Küraß abspreizten. Zuletzt erschienen die hohen Gerüste der Kriegsmaschinen. Karroballisten, Onager, Katapulte und Skorpione schwankten auf Wagen daher, die von Mauleseln und Ochsenviergespannen gezogen wurden. Je mehr sich das Heer entwickelte, um so emsiger eilten die Hauptleute bald nach rechts und bald nach links, um unter lauten Befehlen geschlossene Ordnung, Fühlung und Marschrichtung aufrecht zu erhalten. Die Stabsoffiziere, die Gerusiasten waren, prunkten in Purpurmänteln, deren prächtige Fransen sich in den Riemen ihrer Panzerstiefel verwickelten. Ihre Gesichter, über und über mit Zinnober bestrichen, glänzten unter ungeheuren Helmen, auf denen sich Göttergestalten abhoben. Ihre Schilde mit edelsteinbesetzten Elfenbeinrändern leuchteten wie Sonnen über ehernen Mauern.

Die Karthager manövrierten so schwerfällig, daß die Söldner sie höhnisch aufforderten, sich doch lieber hinzusetzen. Sie schrien ihnen zu, sie würden ihnen demnächst die dicken Bäuche erleichtern, die Vergoldung von der Haut klopfen und ihnen Eisen zu saufen geben.

Hoch auf dem Maste, der vor Spendius' Zelt aufgepflanzt war, ward eine Standarte von grüner Leinwand gehißt: das war das Zeichen zum Kampfe.

Das Heer der Karthager antwortete alsbald mit einem gewaltigen Lärm ihrer Trompeten, Zimbeln, Pauken und Flöten aus Eselskinnbacken. Die Barbaren waren bereits über die Palisaden gesprungen. Beide Heere standen einander auf Speerwurfweite gegenüber.

Ein balearischer Schleuderer trat einen Schritt vor, legte eine Tonkugel in seinen Riemen und schoß sie ab, indem er die nötigen Griffe machte. Drüben beim Gegner zersprang ein Elfenbeinschild, und die beiden Heere wurden handgemein.

Die Griechen stachen die feindlichen Pferde mit ihren Lanzenspitzen in die Nüstern, so daß sie sich überschlugen und auf ihre eignen Reiter fielen. Die Sklaven hatten zu große Steine geschleudert, die deshalb unweit vor ihnen schon wieder zu Boden fielen. Beim Ausholen mit ihren langen Schwertern ließen die punischen Fußtruppen ihre rechte Flanke ungedeckt. Die Barbaren durchbrachen die Reihen und machten sie rottenweise nieder. Sie stolperten über Sterbende und Tote, weil sie nichts sahen vor lauter Blut, das ihnen ins Gesicht spritzte. Dieses Durcheinander von Lanzen, Helmen, Panzern, Schwertern und Gliedmaßen drehte sich um sich selbst, dehnte sich aus und zog sich elastisch wieder zusammen. Die karthagischen Kompagnien lichteten sich immer mehr. Ihre Geschütze waren im Sand stecken geblieben. Am Ende verschwand sogar die Sänfte des Suffeten, seine große kristallglitzernde Sänfte, die man seit Kampfesbeginn immer zwischen den Kämpfern hatte auf- und niederwogen sehen, wie einen Kahn auf den Fluten. Ohne Zweifel war Hanno gefallen! Alsbald sahen sich die Barbaren allein.

Der Staub um sie her senkte sich, und sie begannen bereits zu singen. Da erschien Hanno in eigenster Person auf einem Elefanten. Barhäuptig saß er unter einem baumwollnen Sonnenschirm, den ein hinter ihm stehender Neger hielt. Seine Halskette aus blauen Metallschildern klirrte über den gemalten Blumen seiner schwarzen Tunika. Diamantreifen umspannten seine dicken Arme. Sein Mund war geöffnet. Die riesige Lanze in seiner Hand, die an der Spitze wie eine Lotosblume aussah, glänzte heller als ein Spiegel. Alsbald dröhnte der Erdboden, und die Barbaren sahen in einer einzigen Linie die sämtlichen Elefanten Karthagos heranstürmen, mit ihren vergoldeten Stoßzähnen, ihren blaubemalten Ohren und ihren ehernen Panzern. Auf ihren Scharlachdecken schaukelten lederne Türme, in denen je drei Bogenschützen mit großen gespannten Bogen standen.

Die Söldner hatten kaum Zeit, zu den Waffen zu greifen. Sie bildeten aufs Geratewohl Glieder und Rotten. Der Schreck machte sie starr und ratlos.

Schon regneten von den Türmen Pfeile, Brandgeschosse und Bleimassen auf sie herab. Einige der Barbaren klammerten sich an den Fransen der Decken fest und wollten hinaufklettern. Man hieb ihnen mit Stutzsäbeln die Hände ab, so daß sie rücklings in die starrenden Schwerter der andern stürzten. Die Lanzen waren zu schwach und gingen entzwei. Die Elefanten brachen in die Reihen ein, wie Eber in ein Gebüsch. Sie rissen mit ihren Rüsseln die Pikettpfähle aus, durchstürmten das Lager von einem Ende zum andern und warfen mit ihrer Brust die Zelte um. Die Barbaren waren allesamt geflohen. Sie suchten Deckung hinter den Hügeln, die das Tal umsäumten, durch das die Karthager marschiert waren.

Hanno zog als Sieger vor die Tore von Utika. Dort ließ er die Trompeten blasen. Die drei Räte der Stadt erschienen oben auf einem Turme in einer Scharte der Brustwehr.

Die Einwohner von Utika sträubten sich, so wohlbewaffnete Gäste aufzunehmen. Hanno wurde heftig. Endlich willigte man ein, ihn mit einem schwachen Geleit einzulassen. Für die Elefanten waren die Straßen zu eng. Sie mußten draußen bleiben.

Sobald der Suffet in der Stadt war, kamen die Patrizier, ihn zu begrüßen. Er ließ sich in die Bäder führen und rief seine Köche.

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Drei Stunden später saß er immer noch in dem mit Zimtöl gefüllten großen Badebecken. Eine Ochsenhaut war vor ihm ausgespannt. Aus ihr, als Tisch, schmauste er im Bade Flamingozungen mit Mohnkörnern in Honigsauce. Neben ihm stand unbeweglich in langem, gelbem Gewande sein griechischer Leibarzt und ließ von Zeit zu Zeit heißes Öl nachgießen. Zwei Knaben lagen über die Stufen des Beckens gebeugt und massierten dem Badenden die Beine. Doch die Sorge für seinen Körper tat seiner politischen Passion keinen Abbruch, denn er diktierte einen Brief an den Großen Rat; und da man Gefangene gemacht hatte, überlegte er sich, welch gräßliche Züchtigung er für sie erfinden solle.

»Halt!« gebot er dem Sklaven, der stehend auf der hohlen Hand schrieb. »Man führe ein paar von den Gefangenen herein! Ich will sie sehen!«

Ans dem Hintergrunde des mit weißem Dampf erfüllten Raumes, in dem die Fackeln wie rote Glutflecke schimmerten, trieb man alsbald drei Barbaren herbei: einen Samniter, einen Spartiaten und einen Kappadokier.

»Schreib weiter!« rief Hanno.

»Freut euch, Gottbegnadete! Euer Suffet hat die gefräßigen Hunde ausgerottet! Segen über die Republik! Ordnet Gebete an!« Da erblickte er die Gefangnen und brach in Gelächter aus: »Ah! Meine Helden von Sikka! Warum brüllt ihr denn heute nicht? Ich bin's doch! Erkennt ihr mich nicht? Wo habt ihr denn eure Schwerter? Ihr seid schreckliche Kerle! Donnerwetter!« Er tat, als wolle er sich verstecken, als fürchte er sich vor ihnen. »Ihr habt Gäule, Weiber, Land, Ämter verlangt, natürlich, und Pfründen! Na, ich werde euch in ein Land schicken, das ihr nie mehr verlassen sollt! Und Galgen sollt ihr umarmen, ganz jüngferliche! Euer Sold? Den wird man euch aus geschmolzenen Bleibarren ins Maul gießen! Und hohe Stellen will ich euch auch verschaffen, sehr hohe, himmelhohe, damit euch die Geier recht nahe sind....«

Die drei langhaarigen, in Lumpen gehüllten Barbaren blickten ihn an, ohne zu verstehen, was er sagte. Man hatte die an den Knien Verwundeten gefangen, indem man ihnen Stricke überwarf. Die Enden ihrer schweren Handketten schleppten über die Steinfliesen hin. Hanno ward ob ihrer Unempfindlichkeit wütend.

»Nieder! Nieder! Ihr Bestien! Dreck seid ihr! Ungeziefer! Mist! Und ihr antwortet nicht! Gut! Verstummt! – Man soll ihnen lebendig das Fell abziehen! Auf der Stelle!«

Er schnaufte wie ein Nilpferd und rollte die Augen. Das wohlriechende Öl floß durch eine plumpe Bewegung seines Körpers über und umschäumte seine schuppige Haut. Im Fackellicht sah sie rosig aus.

Er fuhr fort zu diktieren:

»Wir haben vier Tage lang schwer unter dem Sonnenbrand gelitten. Beim Übergang über den Makar Verluste an Maultieren. Trotz der starken Stellung hat der außerordentliche Mut ... – Demonades! Ich habe große Schmerzen! Man feure den Ofen, bis die Ziegel glühen!«

Man hörte das Geräusch der Ofentür und des Schaufelns. Der Weihrauch in den breiten Pfannen wirbelte stärker, und die nackten Badeknechte, die wie Schwämme schwitzten, rieben dem Karthager die Gelenke mit einer Salbe aus Weizen, Schwefel, Rotwein, Hundemilch, Myrrhen, Galbanum und Storaxbaumharz. Unaufhörlicher Durst verzehrte ihn. Aber den Mann im gelben Gewande rührte dieses Gelüst nicht. Er reichte ihm einen goldenen Becher, in dem nur Vipernbrühe dampfte.

»Trink!« sprach er, »damit dir die Kraft der sonnengeborenen Schlangen in das Mark der Knochen dringe, und fasse Mut, du Ebenbild der Götter! Du weißt überdies, daß ein Priester Eschmuns die grausamen Sterne in der Nähe des Sirius beobachtet, von denen deine Krankheit herrührt. Sie verblassen wie die Flecken auf deiner Haut. Du wirst also nicht daran sterben.«

»Ja ja, nicht wahr?« fiel der Suffet ein. »Ich muß nicht daran sterben!« Und seinen rotblauen Lippen entströmte ein Atem, ekelhafter als die Ausdünstung eines Leichnams. Zwei Kohlen schienen an Stelle seiner wimpernlosen Augen zu glühen. An der Stirn hing ihm ein Klumpen runzliger Haut. Seine Ohren standen ab und sahen dadurch um so größer aus, und die tiefen Furchen, die in Halbkreisen um seine Nasenflügel liefen, verliehen ihm etwas Seltsames, Abschreckendes, das Aussehen eines wilden Tieres. Seine entstellte Stimme klang wie Brüllen.

»Du hast vielleicht recht, Demonades,« sagte er. »In der Tat, hier: mehrere Geschwüre haben sich geschlossen! Ich fühle mich kräftig. Da, sieh nur, wie ich esse!«

Bei diesen Worten machte er sich, weniger aus Eßlust als aus Prahlerei und um sich selbst zu beweisen, daß er gesund sei, an die Farce von Käse und Majoran, an die entgräteten Fische, die Kürbisse, Austern, Eier, Rettiche, Trüffeln und die kleinen am Spieß gebratenen Vögel. Dabei blickte er unverwandt auf die Gefangenen und weidete sich in Gedanken an der ihnen bevorstehenden Marter. Doch da fiel ihm Sikka ein, und die Wut über all seinen damaligen Ärger entlud sich in Schmähungen gegen die drei Männer.

»Bande! Verräter! Halunken seid ihr! Schurken! Verfluchte! Ihr habt mich beleidigen wollen, mich, den Suffeten! Eure Dienste? Den Lohn für euer Blut? Habt ihr nicht so gesagt! Ha, ha, euer Blut!« Er redete wie zu sich selbst weiter: »Alle miteinander sollen sie sterben! Nicht einer wird verkauft! Aber vielleicht wäre es besser, sie nach Karthago mitzunehmen? Als Staffage für mich? Doch ... ganz gewiß hab ich nicht Ketten genug mitgebracht.... Schreib: Sendet mir ... – wieviele Gefangene sind es? Man frage sofort Muthumbal darnach! Fort! Nur kein Mitleid! Man bringe mir in Körben ihre abgehauenen Hände!«

In diesem Augenblick drang ein seltsames Geschrei, heiser und doch schrill, in das Gemach und übertönte Hannos Stimme und das Klirren der Schüsseln, die man ihm auftafelte. Es ward immer stärker, und plötzlich erscholl das Wutgebrüll der Elefanten, als ob die Schlacht von neuem begönne. Um die Stadt herum lärmte und tobte es laut.

Die Karthager hatten gar nicht versucht, die Barbaren zu verfolgen. Sie hatten sich am Fuße der Mauern gelagert, mit ihrem Gepäck, ihren Dienern und ihrem ganzen fürstlichen Troß. Sie ergötzten sich in ihren schönen, perlengeschmückten Zelten, während das Söldnerlager draußen in der Ebene nur noch ein Trümmerhaufen war. Spendius hatte seinen Mut wiedergefunden. Er sandte Zarzas an Matho, durchstreifte die Gehölze und sammelte seine Leute. Die Verluste waren unbedeutend. Man ordnete sich wieder in Reih und Glied, voller Wut, daß man ohne Kampf besiegt worden war. Da entdeckte man ein großes Faß voll Erdöl, das offenbar von den Karthagern zurückgelassen worden war. Spendius ließ sofort Schweine aus den Meierhöfen holen, bestrich sie mit dem Erdöl, zündete es an und ließ die Tiere auf Utika hetzen.

Durch das Feuer erschreckt, ergriffen die Elefanten die Flucht und liefen bergan. Man schleuderte ihnen Wurfspieße nach. Da machten sie Kehrt und schlitzten den Karthagern mit ihren Stoßzähnen die Leiber auf oder erdrückten und zerstampften sie mit ihren Füßen. Hinter den Tieren kamen die Barbaren den Hügel herab. Das punische Lager, das keinen Wall hatte, wurde beim ersten Anlauf genommen und geplündert. Die Karthager wurden gegen die Tore der Stadt getrieben. Aus Furcht vor den Söldnern wollte man nicht öffnen. Der Tag brach an. Von Westen her sah man Mathos Fußvolk heranmarschieren. Gleichzeitig tauchten Reiterscharen auf. Das war Naravas mit seinen Numidiern. Sie setzten über Hecken und Gräben weg und hetzten die Flüchtlinge, wie Jagdhunde die Hasen. Dieser Wechsel des Kriegsglücks überraschte den Suffeten. Er schrie, man solle ihm aus dem Bade helfen.

Die drei Gefangenen standen noch immer vor ihm. Da flüsterte ihm ein Neger – der nämliche, der in der Schlacht seinen Sonnenschirm trug – ein paar Worte ins Ohr.

»Ach so?« entgegnete der Suffet langsam. »Ja, töte sie!« fügte er in barschem Tone hinzu.

Der Äthiopier zog einen langen Dolch aus seinem Gürtel, und die drei Köpfe fielen. Einer davon rollte über die Reste des Mahls und fiel in das Badebecken. Eine Weile schwamm er. Das Morgenlicht drang durch die Mauerspalten ein. Die drei Leichen lagen auf der Brust. Ihr Blut strömte in dicken Strahlen wie aus drei Quellen. Ein Teppich von Blut rann über die Mosaik, die mit blauem Sande bestreut war. Der Suffet tauchte die Hand in diesen warmen Schlamm und rieb sich die Knie damit! Es galt dies als Heilmittel.

Als es Abend geworden, entwich er mit seinem Gefolge aus der Stadt. In der Richtung auf die Berge wollte er sein Heer einholen. Er fand nur die Trümmer davon wieder.

Vier Tage darnach war er in Gorza, [Die Lage von Gorza ist nicht überliefert. Wahrscheinlich lag sie südlich des Unterlaufs des Bagradas.] auf der Höhe über einem Paß, als sich die Truppen des Spendius in der Tiefe zeigten. Mit zwanzig guten Lanzen, gegen die Vorhut ihrer Marschkolonne gerichtet, hätte man sie leicht aufhalten können. Doch die Karthager ließen sie in höchster Bestürzung vorübermarschieren. Hanno erkannte bei der Nachhut den Fürsten der Numidier. Naravas neigte sich zum Gruß und machte dabei ein Zeichen, das der Karthager nicht verstand.

Unter allerhand Nöten gelangte man nach Karthago zurück. Nur des Nachts ward marschiert, tagsüber verbarg man sich in den Olivenwäldern. Auf jeder Rast starben Leute. Mehrere Male glaubte man sich völlig verloren. Endlich ward das Hermäische Vorgebirge erreicht, wo Schiffe sie aufnahmen.

Hanno war so ermüdet, so verzweifelt – besonders bedrückte ihn der Verlust der Elefanten –, daß er Demonades um Gift bat, um seinem Leben ein Ende zu machen. Es war ihm zumute, als sei er bereits ans Kreuz geschlagen.

Aber Karthago hatte nicht mehr die Kraft, ihm zu zürnen. Die Expedition hatte beinahe eine Million Mark, achtzehn Elefanten, vierzehn Ratsmitglieder, dreihundert Patrizier, achttausend Bürger, Getreide für drei Monate, beträchtlich viel Gepäck und sämtliche Kriegsmaschinen gekostet. Der Abfall des Naravas stand außer Zweifel. Die beiden Belagerungen begannen von neuem. Autarits Heer dehnte sich jetzt von Tunis bis Rades aus. Von der Höhe der Akropolis sah man in der Ebene lange Rauchwolken zum Himmel emporsteigen. Das waren die brennenden prächtigen Landsitze der karthagischen Patrizier. Ein einziger Mann konnte die Republik noch retten. Man bereute es, ihn verkannt zu haben, und selbst die Friedenspartei stimmte dafür, den Göttern Brandopfer zu bringen, damit Hamilkar zurückkehre.

Der Anblick des Zaimphs hatte Salambo tief erschüttert. Nachts glaubte sie die Schritte der Göttin zu hören und wachte mit entsetztem Schrei auf. Tagtäglich ließ sie Speisen in die Tempel tragen. Taanach lief sich beim Ausführen ihrer Befehle müde, und Schahabarim verließ sie nicht mehr.


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