Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Aus den Jahren 1891, 1893, 1897
Es war so schön, und nun umzieht sichs wieder, mit grauen bleiernen Regenwolken, eh du noch Zeit gefunden, dich zu freuen
und das bißchen Sonne ist wieder weg
und mit ihm gleich der ganze frohe Trug der Dinge ...
Und dann und wann ... ein bißchen Sonne, ein goldener Tag mit blauem Himmel und weißen Wiesenblumen und einem Liedchen, tief im grünen Grund
ist alles,
was du am Ende hast von deinem Leben!
*
Da aber kommt sie doch wieder aus ihren Wolken ... ein halb Stündchen vorm Nachtwerden ... als ob sie doch den Tag nicht gehen lassen wolle, ohne einen Kuß auf seine sehnsuchtstillen Augen ...
ein halbes Stündchen vielleicht ... und dennoch lang genug und schön genug: des ganzen grauen Tags Unfreude und all die Torheit seines Mißmuts wieder vergessen zu machen!
Wie hab ich dich lieb, Sonne!
*
Wir wollen uns nicht mehr sorgen, komm! wir wollen lieber die Hecken hingehn und die goldenen Felder draußen und all die Unrast einmal hinter uns lassen, mit der wir uns so müd und unfroh machen müssen.
Komm! nimm deinen Hut! Ich hab so Sehnsucht aus all den Mauern und aus all dem Lärm hinaus! ... nach Frieden, Rast und Ruhe!
und du sollst mitkommen! ganz still!
und dann ... wollen wir uns freuen draußen über den blauen Himmel, die goldenen Felder und die grünen Wiesen
und einen Strauß Blumen mitnehmen und ihn zu Hause auf den Tisch stellen,
so daß wir immer denken müssen, wie schön es sein kann, und immer wieder froh und mutig werden!
*
Regen, Regen und Regen!
tagelang!
und dumpf und bleiern lastet der Himmel auf die Erde, wie schleichender Tod.
Ich will ihm trotzen ... aber immer stiller wird mein Lachen und immer lähmender fällt es in meine Brust und immer lauter draußen rinnt der Regen und ich muß immer wieder hinaussehen und zuhören
und immer lauter wird die Stille um mich her und ich fange an, mit mir selbst zu sprechen,
wie ein Kind, das sich im Dunkeln fürchtet ...
Und an einem solchen Abend tratest du in meine Türe, ein paar Rosen in der Hand, und lachtest:
Du, in vier, fünf Wochen ist es wieder Frühling! ... ist das nicht schön!?
*
Nun ward es Sommer und die Rosen blühn und blaue Sterne blitzen durch die Nacht ...
und durch die Nacht und ihre blühenden Rosen und ihre glück-tieffrohe Stille hingehen wir ... zwei selige Kinder ...
und endlos vor uns breitet sich ... in wunderbarer Helle, von reifendem Korn durchrauscht, die schöne Welt.
*
Und die Sonne kommt! und die Sonne kommt! und es wird doch ein schöner Tag!
Immer weiter reißen die Risse in den Wolken und immer blauer leuchtet der Himmel dahinter und über dem Forsthof steigen die Tauben und auf den Wiesen funkelt der Tau ...
bunte Schmetterlinge fliegen und die Blumen nicken und lachen und vom Birkenhang über den Bach her
klingt ein fröhliges Erntelied.
Die Sonne kommt! die Sonne kommt! Und es wird doch ein schöner Tag!
*
Liebe? Nein! es war nicht Liebe! es war ein kurzer Sinnentaumel nur, der dir das Blut aufstürmte ...
Wie heißer Juliwind mit durstigem Kusse die Wellen aufreißt in den stillen Havelseen, sich satt zu trinken für seinen Weiterflug über den brennenden Marksand
brachs plötzlich über dich, in deine Stille, durstig, lechzend ... und drängte deine Hand in mein Haar und meinen Kopf auf deinen Schooß und empor an deine Brust und empor, bis ich deinen Atem auf die Stirne glühen fühlte ... wie der Wind die Wellen emporküßt ... bis wir Lippe an Lippe hingen ... mit geschlossenen Augen.
Und dennoch liebtest du mich nicht und deine Seele war weit weg in der Ferne ...
nur dein Mund war mein!
O daß ich sie zu mir schmeicheln könnte! Daß deine Seele mein würde! deine weiße ferne Seele mit all der Wonne ihrer Sonnensehnsucht ...
einen Tag nur,
eine Stunde nur!
daß mein Glück nicht bloß ein Taumel deiner Sinne ...
daß dich das mir gäbe, was mich selbst zu deinen Knieen niederwirft in stummer Seligkeit!
*
Mitten in der schönsten Rosenzeit ... Glühwürmchen leuchteten in den Büschen und durch die Tannen flimmerte der Mond und leicht und fein wie Spinnweb nebelte sein leises Licht im Uferschilf des Sees.
Es war der Weg, den wir so oft gegangen, lachend und singend ...
früher ...
diesmal aber ...
ich weiß nicht mehr, was uns so schweigsam machte ...
Ich weiß nur noch, daß du auf einmal ... an der kleinen Brücke war es ... stehen bliebst und über den See hinsahst, und dann, als wär dir kühl, den Umhang fester zogst ...
»Wie schön! und doch: ist das nicht alles schon, als ob es ... Herbst ... wäre?!«
Mitten in der schönsten Rosenzeit!?
... als ob es Herbst wäre!
und ich? ...
warum ... warum ... war mir auf einmal auch ... als ob es Herbst wäre ... mitten in der schönsten Rosenzeit?!
*
So geht ein Sonntag still zu Ende, auf den du lange dich gefreut ...
ein müder Bettler steht am Weg,
am heimatlosen,
und spielt ein Leierkastenlied ...
ein leises Abendrot verweint am Himmel ...
und aus den Gärten her, sommermüd,
kommt's wie ein Duft von heimlich verwelkenden Rosen.
*
Es ist, als suche Etwas nach mir ... irgend woher ... aus der Ferne ...
ich fühl's ...
und über einem See drüben sucht es ... weit weg ... zwischen jungen wehenden Birken, die vor einer Rotdornhecke stehen,
und in schneeblumenweißem Kleide geht es
über grüne Wiesen mit nickenden Blumen
und immer hastiger und hastiger
hang- und hügelauf durch rotes Heidekraut und über Steingeröll, immer höher, über Klippen und Grate, und steht und ruft meinen Namen ins Tal und in die Wolken ...
Wer bist du? was willst du?!
Und plötzlich tritt es in mein Zimmer, immer in schneeblumenweißem Kleide, und starrt nach dem Platz, auf dem ich sitze ...
mit weitoffenen Augen ... doch wie ins Leere! oder ... als ob ein anderer da säße, den es nicht kenne ...
und geht durchs Nebenzimmer und setzt sich auf die Treppe draußen und weint und schluchzt ...
Was willst du? wer bist du?
*
Und plötzlich wird es wieder totenstill und ich höre nur ein fernes Wehen, als brauten Nebel über einer Wiese.
*
Verträumt und müde wie ein Schmetterling im September taumelt der Sommer das Gelände entlang. Altweiberfäden wirren sich um seine zerrissenen Flügel und die Blumen, die noch blühen, haben keinen Honig mehr.
Am Hochwald drüben, hinter dem die Sonne glutet, lauert die Nacht, gleich einer großen Spinne, und wie ein engmaschiges Netz hängt sie die Dämmerung vor das verflackernde Abendrot, nach dem der Schmetterling seinen Flug nimmt.
*
So still und ruhig, so erfüllten Wunsches froh gingen auch wir einst durch die lauten Straßen, langsam, Arm in Arm, und plaudernd, wie man so plaudert, wenn man Sommerabends durch die Straßen schlendert ... ein bißchen aus den Häusern rauszukommen und die Sonne untergehn zu sehen,
draußen, über der Heide, braun und rot ...
es ist so schön, die Sonne untergehn zu sehn und Hand in Hand so, eines stillen Glückes ruhig, im schattenlosen, weichen Licht der Dämmerung zu stehen.
Und nun ist alles, wie vor jenem Sommer:
in Hast und Unruh hetz ich durch den Tag und suche mich in Arbeit zu vergessen und nenne das: Sieg! und nenn es Knabentorheit: seine Zeit an solche Stimmungen und Liebesträume zu vertrödeln!
Und dennoch, wenn ich auf den Straßen dann und wann Zwei gehen sehe, unbekümmert um den Lärm rings plaudernd und so still und ruhig, wie auch wir einst gingen ...
da packt es mich und wie ein Bettler folg ich ihnen, irgend ein paar Worte zu erhorchen, und wie ein Dieb, von ihrem stillen Glück mir was zu stehlen.
*
Das sind so Tage ... wie ein fremder Zwang liegt es auf deiner Seele und nimmt ihr die Kraft und nimmt ihr die Ruhe und läßt nicht los ...
und läßt nicht los.
Es ist wie Totensonntag über dir und wie das Rauschen schwerer, schwarzer Flügel und dann ganz leise wieder wie die Seufzer einer Herbstnacht ...
als gräme irgendwo ein Mensch sich, den du kennst, in namenloser Angst und Qual und riefe dir ... du weißt nicht wer? du weißt nicht, wo? ... es ist nur wie ein ungeheurer Jammer um dich her ...
und du springst auf, als könntest du suchen ...
doch überall sieht es wie graue Dämmerung dir entgegen
und immer, immer siehst du nur: ein frierend Kind an deinem Weg und ... rotgeweinte Augen und seine blasse Hände flehen zu dir auf: Hilf mir! komm! ich bin die Sonne, bin die Freude! ich bin das Beste, das du hast! hilf mir! ich bin ... ich bin ...
und dann erstickt es wieder ... im Rauschen schwerer, schwarzer Flügel und dumpf wie Totensonntag bleibt es über dir.
*
Das hat den Bann gelöst endlich, dies helle Lachen ...
den Bann,
der wie ein grauer Regentag ob meinem Sommer hing, der wie ein Hilferuf aus fernen Tälern in das Lied klang, das ich singen wollte, und meiner Freude ihre Kraft nahm, sich zu Frucht zu reifen ...
noch hör ichs durch den stillen Eichwald klingen ...
so hell und silbern,
wie wenn Neck-Elfen einen Wanderer abgelockt durch Tann und Unterholz auf ihre Wiese und im Gesträuch verrinnend ihn verlachen, wie er dasteht und mit verdutzten Händen in die leere Luft greift ...
Noch hör ich so dein Lachen, hell und silbern, den stillen Weg entlang, und seh dein Rosakleid hinleuchten durch die Bäume ...
Ich will dir nach ... und will dich halten ... bleib doch! bleib! ... und steh vor einem Busch glutroter Rosen ...
und plötzlich fällt's wie dunkle Träume von mir ab ... und
über meine Lippen klingt mit hellem Jubel das Lied, nach dem ich suchte ...
das selige Lied der Freude!
*
Nun trank ich alle Schalen der Freude, mit denen das Leben erquicken kann; doch jede leerte sich mit einem bittern Rest und keine einzige möcht ich noch einmal trinken ...
nicht die der Jugend mehr, nicht die der Liebe, ja selbst die goldene des Ruhms nicht mehr.
Das aber möcht ich wohl:
so frei und aufrecht und so froh und heiter hingehen können durch die lauten Straßen und durch das bunte Marktgedräng des Lebens,
daß weder Groll noch Neid mich mehr beirrt, wenn andern ... lachend ... kampflos in den Schoß fällt, um was ich Jahre lang die beste Kraft verblutet! ...
Noch kann ich's nicht ... so, wie ich möchte! ich werd es aber können!
*
Einzig schöne Tage, Sonnentage der Seele ...
da sie stille liegt in wunschlosem Traum, wie der Märchensee hoch oben in stiller Schwarzwaldberge grüner Einsamkeit!
Keine Welle kräuselt seinen klaren Spiegel ...
nur wenn eine weiße Wasserrose in froher Sonnensehnsucht sich aus seiner Tiefe hebt
oder wenn ein kleiner Vogel, ein Liedchen zwitschernd, über ihn streift, mit leichtem Flügel
oder wenn
ein braunes Reh wo aus den Tannen tritt, an ihm zu trinken.
*
Dort, an der Mauer um den stillen Garten ... ich möchte stundenlang da stehen und die langen Baumgänge hinuntersehen.
Welkes Laub liegt auf dem Boden und welkes Laub hängt an den Bäumen, im Schimmer einer fernen, stillen Sonne ...
ich hab es immer nur so gesehn ... in sturmlos hellem klarem Herbst ... und könnte mir auch kaum recht denken, wie es hier anders werden sollte oder was ein Frühling hier wollte.
Ganz unten nur, wie durch offene Tore sieht man in ferne mittaghelle Weiten mit sonnbeschienenen Hügeln und Tälern, Flüssen und Seen und kleinen Dörfern ...
dann müssen sie diese offenen Tore für große stille Augen halten ... und wenn sie sind, wie Menschen sind, dann mein ich, müßten sie froh und ruhig werden, wenn sie heraufsehen.
*
Oben auf dem breiten Gesims eines Bodenfensters saß er ... mit langen braunen Locken.
Sein feines Gesicht war krankhaft blaß, seine Brust atmete schwer und langsam, aber seine Augen flammten in blitzendem Feuer, als strahlten sie die Abendlichter zurück, die durch die stillen Wipfelkronen der Eichen flimmerten, die das Haus umstanden.
Er hatte einen Strohhalm in der Hand und tauchte ihn dann und wann in ein kleines Kristallglas voll purpurroten Schaumes, das auf dem Gesims neben ihm stand, und blies prächtige Seifenblasen in die Luft. Immer größer und schöner. Und wie Gold und Purpur leuchtend trieben sie die Gärten hinab, zwischen die ärmlichen, niedrigen Dorfhütten hinein.
Unter dem roten Schaum in seinem Glas jedoch pulsierte, langsam und immer langsamer, ein leise zuckendes Herz.
Drüben über dem Gartenzaun stand ein Haufe Kinder, der sich nach und nach zusammengefunden hatte, ihm zuzusehen, und schrie und lärmte zu dem stillen, einsamen Knaben empor und klatschte in die Hände über das schöne Seifenblasenspiel, das er ihnen vormachte:
»Noch mehr! noch mehr!«
Wenn eine davon jedoch zu schwer geraten war und niedersank, so kletterten sie auf den Zaun und schlugen nach ihr und freuten sich, wie sie zerplatzte.
Die Sonne aber sank tiefer und tiefer und die blitzenden Augen des Knaben oben erloschen in gleicher Weise mit der Sonne. Zuletzt blieb nur noch ein einziger Strahl an seinem Glase haften. Wie Golddampf leuchtete es daraus auf und ein zitterndes Purpurwölkchen zerkräuselte sich in der Luft, während die Kinder über dem Straßenzaun drüben johlend in die Hände klatschten ...
nur durch die Kronen der alten Eichen schauerte ein heimlicher Windstoß.
»Seife hätt's auch getan!« meinte der Totengräber am anderen Tag, »und er wäre dann noch am Leben!«
»Seife ... hätt's auch getan!«
*
Jauchze mein Herz und trinke dich satt an dieser Tage goldener Sonne, an dieser Farben köstlicher Freude, an dieser Ruhe voll schaffender Kraft ...
jauchze, mein Herz,
und trinke dich satt!
Es wird gar bald ein Winter wieder kommen, müdemachend und arm und alt, mit spätem Tag und langem Abend ...
ein Winter, da du froh sein wirst, ein bißchen Sonne von früher zu haben.
*
Ich sitze am Fenster und blicke auf die Dächer
und über dem Dächergewirr in der Tiefe des herbsthellen Himmels kreist ein Flug von weißen Tauben, langsam in die Ferne versinkend ...
und wo sie niederfliegen, da denk ich mir in weiten Frühlingsgärten ein weißes stilles Haus, mit Säulen und Giebeln,
und in der Halle auf dem Hochaltar zwischen roten blühenden Rosen
ein schartiges, narbiges Schwert.
*
Lege das Ohr an die Erde
und höre ...
und du wirst Hufgestampf hören, in weiter Ferne nur, aber näher und näher kommend.
Es ist die Zukunft
auf lichtweißen Pferden ...
eine goldene Krone im blauen Banner ...
die Krone des Menschen und seines Siegs und seines Königtums!
Raffe dich auf aus deinem Alltag und gürte das Schwert um deine Lenden und kämpfe ihr entgegen ...
denn
noch ist ... Kampfeszeit.
*
Nicht bei Seite sehen,
nicht drum rum gehen und ausweichen, nicht darüber hinwegträumen ...
Stand halten,
Aug in Auge seine Kraft erproben und Herr drüber werden!
Und plötzlich fällt es wie graue Nebel von deinem Tag und nackt und nüchtern starrt es dir entgegen:
Es war nur Täuschung! es war nur Selbstbetrug, wenn du dir vorgeredet, das sei, was du wollest und was in deine Tiefen dich erfülle:
dieses Der-bloßen-Pflicht-Genügen,
dieses Spiel:
dich selber unter's Joch zu zwingen ... wie lange du so stark wärst, es zu tragen?!
Es war nur Täuschung ... keine Tat!
*
Laß sterben, was sterben will, und schleppe dich mit ihm nicht müde! Du zwingst es doch nicht mehr zum Leben und zu der frohen Freude eines Sommers! Es hat die Kraft nicht mehr, dein Mitleid, deine Liebe dir zu danken und zerrt dich selber nur in seinen Herbst!
Laß sterben drum, was sterben will ... und ohne Klage!
Neu anfangen zu können
ein einziges Mal wenigstens!
Nicht aufzuräumen haben, weglegen und lassen dürfen, was nicht fertig wurde ...
einen Abschnitt machen können ... bis auf den Grund ... ein Meer zwischen gestern und heute bringen ...
ein einziges Mal wenigstens ... ein Neuer sein dürfen ... das ist's ... was einen hinübertreibt über die Wasser!
dieser große stille Morgenwunsch jedes neuen Tages, jedes neuen Jahres ... mit seinem schönen Mutigwerden!
Mit dünnen spinnigen Armen aber greift es herüber
schattenhaft, schadenfroh
und kettet jedes Heute mit hundert kleinen Zetteleien an Gestern und saugt sich herzblutgierig an ihm fest und lähmt ihm gleich das Beste wieder, das es hat: den frohen Mut, neu anzufangen ...
ein einziges Mal, neu anzufangen!
*
Die Dichter, das sind die großen Träumer ihres Volkes ...
die Träumer seiner Sehnsucht!
Schon dämmert der Morgen über die stillen Häuser herauf, mit blauem Schimmer sie umspinnend ...
beinahe feindselig blendet meine Lampe mit rotgelbgrellem Licht ihm entgegen.
Ich sitze noch und schreibe ...
doch immer langsamer und schwerer und stockender wird meine Hand ...
und es ist, als rücke alles immer weiter von mir ab ... Tisch und Schreibereien ... und als sänke ich selber nach, immer tiefer und tiefer ...
Da löst ein Schatten sich aus den Gardinen und beugt sich über mich:
Es ist genug! komm, du bist müde! Es ist Zeit, müde zu sein: Geh zur Ruh! komm! Und laß auch der Nacht ihr Recht und mir!
Und die Bilder an den Wanden nicken mir zu und lächeln und aus einem Strauß verwelkten Heidekrautes klingt es leise:
Geh! geh! ... und träume ... von einem Wald im Abendrot, am rauschenden See, draußen, in weiter Sommereinsamkeit, und von einem Kinde, mit dem du mich pflücktest ...
Geh! geh!
schlafe ... träume!
und laß auch der Nacht ihr Recht!
*
Wie das erfrischt und Roß und Reiter fröhlich und gelenkig hält: der eigenen Behaglichkeit zum Trotz sich einmal etwas zuzumuten ...
eine Nacht durch ... ob nun Mondschein oder Regen ...
und nur:
zu sehen, ob man seinen Willen kann, sich und dem Pferde gegenüber, und ob es nicht versagte, käm's drauf an ...
und mit der Sonne dann querein durch Wald und Heide, und von der Höhe aus: Rundschau zu halten über seine Welt!
*
Ihr blickt so müde, so abgesorgt und freudlos! ...
Seid jung ... und froh!
wir müssen jung sein, wenn wir siegen wollen
und froh
und stark! und der Tag darf uns nicht müde machen!
Jugend tut not! und Freude!
der ganzen Zeit, der ganzen Welt!
Ach! ... und nur Jugend
und nur Freude
siegt!
Unter blühenden Rosen ruhe das Schwert ...
Frohe Menschen gilt's zu sein! und wer's nicht ist, der eile, eile, es zu werden ...
Und wenn ihr logt und ... ›nur so sagtet‹ ... dann logt ihr eben! meinetwegen! ... Ich halte mich an eure Worte, ob sie von Herzen kamen oder nicht!
Im übrigen
wird es wohl sein, wie immer: ein bißchen Wahrheit und ein bißchen Lüge, in liebenswürdig buntem Durcheinander, ganz ehrlich beides und ganz gut gemeint ...
und meist wohl nur, weil wir nun einmal nie daran gewöhnt, uns wirklich klar zu werden ...
vielleicht auch weil wir nicht gern kränken wollen ...
im allgemeinen aber, weils uns ... Hand aufs Herz! im letzten Grund doch herzlich Wurst ist, ob einer sich nach links ausfindet, ob nach rechts, wenn wir nur höflich waren gegen ihn!
Oder ... sollte es am Ende ... doch so was wie weiße Raben geben!
*
Ich war so glücklich! ... und nun ist alles wieder verschüttet unter trübseligem Nebel
das ganze bißchen Sonnenschein,
das ganze bißchen Frühlingsfroheit, das sich herausgewagt hat nach so langem Frost ...
weg! erstickt! erwürgt!
Sieh, solche Macht hast du über meine Seele ...
mit einem einzigen Wort sie zurückzustürzen in Verzagtheit ... mit einem einzigen Wort ihr ganzes frohes Keimenwollen auf lange Tage wieder zu binden!
Ich weiß, es schmerzt dich selbst nun und du würdest's gerne ungeschehen machen ...
Aber gräme dich jetzt nicht noch darum!
Es war ja nur, daß ich mich drauf gefreut, dir ein paar ... Blumen zu bringen
und nun ... nun ... hab ich eben keine!
*
Hab Dank, du mein liebes Rad du! Du hast mir geholfen, mich hinaus zu finden wieder aus der Enge der Häuser und der Straßen ...
du hast mir geholfen, von all der Frack- und Zylinder-Feierlichkeit los zu kommen ...
du hast mir geholfen, mich an mir selbst zu freuen und wieder froh zu werden!
Und nicht bloß mir!
der ganzen Zeit!
hab Dank!
Du hast ihr eine neue Freude gegeben ...
und ein Stückchen Freiheit wieder, zu sich und zur Natur zurück ...
und hast ihr damit ein Stückchen Jugend wiedergebracht und Frohmut und Harmlosigkeit ...
hab Dank!
*
Das war nun wieder so ein toter Tag ...
Kopfweh vom frühen Morgen an, verstimmt und müde ...
mit jeder Post verdrießliche Briefe ...
Alles schal und abgestanden,
dumm und taub!
und draußen stickiger Dunst und dumpfer schwüler Regen ...
kein Blitz! keine Kraft! Alles schlaffe müde bleierne Gleichgültigkeit und Nörgelei!
*
Fest auf der Erde steh mit beiden Füßen und laß dich nicht verwirren von der Sehnsucht, die dich hinüberlocken will in ihrer Dämmerung ewig leere Weiten ... fest auf der Erde steh, die dich geboren: sie allein ist deine Heimat, aus ihr allein quillt Kraft und Wille dir und Tat
und was du bist, bist du aus ihr!
Was willst du in den blauen Fernen drüben, in die dein Traum sich Paradiese baut und goldener Seligkeiten schimmernde Paläste?! ... wenn du den dunkeln Weg dazu erfüllt, du stündest doch nur vor der Antwort wieder, der du geglaubt entfliehen zu können!
Drum bleib und steh und wohne dich zurecht auf deiner Erde und in ihre Grenzen, du hast in langem hartem Kampf sie dir erworben ... und träume nicht das Beste, das du ihr verdankst, hinaus ins Leere!
Hier auf der festen Erde ist dein Platz
und hier sei auch dein Sieg!
Ganz in der Ferne dröhnt ein Bahnzug, hohl und hart ...
Nun ist er vorüber ... und es ist wieder nur das leise Surren der Nacht umher ...
graue Wolken stehen um den Mond ... schwer und massig ...
und wieder schnauft ein Bahnzug in die Weite
und ich denke an die Menschen, die so in die Nacht hinausfahren.
*
Das ist nicht Sommer mehr, das ist September ... Herbst:
diese großen weichen Wolken am Himmel, diese feinen weißen Spinnwebschleier in der Ferne und hinter den Gärten mit den Sonnenblumen der ringelnde Rauch aufglimmender Krautfeuer ...
und diese süße weiche Müdigkeit und diese frohe ruhige Stille überall und trotzdem wieder diese frische, satte, erntefreudige, herbe Kraft ...
das ist nicht Sommer ... das ist Herbst!
*
Ich möchte einmal ein Buch schreiben, ein kleines, frohes Buch ...
das ich aber nur denen geben möchte, die es lieb haben würden und die mit ihm froh sein könnten ...
ein kleines, kleines Buch, in dem nur stünde: wie schön der Sonnenschein über dem Garten draußen am See, mit den blühenden Rosen ... und wie schön das Lied der Vögel in den schattigen Baumwipfeln und wie schön der blaue Himmel über dem allem und seine weißen Wolken ...
denn ich bin ja selber nur ein Stückchen Garten, Wald und See ... über dem die Sonne flimmert, über dem die Vögel singen, über dem die Wolken ziehn ...
Sie müßten es dann aber um sich haben wollen, wie man Kinder um sich hat ... die ganz still in einer Ecke sitzen und sich kaum rühren ...
Man kann nicht immer mit ihnen spielen ...
aber man weiß, daß sie aus ihrem Ofenwinkel herüber horchen, mit leuchtenden Augen, und mitdenken und mitfühlen bei allem, was man tut, voll neugieriger Heimlichkeit ... still und lieb und traulich ...
*
So müßten sie es um sich haben wollen!
*