Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lessing

Vormals im Leben ehrten wir dich wie einen der Götter, Nun du tot bist, so herrscht über die Geister dein Geist.
Schiller

Deutschland kann stolz sein, daß Lessing sein Bürger.
Johannes v. Müller

Tapferer Winkelried, du bahntest den Deinen die Gasse; Dein ist, Starker, der Sieg! hast du ihn gleich nicht gesehn.
Grillparzer


Die Wahrheit, die man auf einem Bogen nicht sagen und erweisen kann, ist wohl nicht weit her oder ist vielmehr zu weit her.


Nichts ist groß, was nicht wahr ist.


Es sei, daß noch durch keinen Streit die Wahrheit ausgemacht worden, so hat dennoch die Wahrheit bei jedem Streite gewonnen. Der Streit hat den Geist der Prüfung genährt, hat Vorurteile und Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten, kurz, hat die geschminkte Unwahrheit verhindert, sich an der Stelle der Wahrheit festzusetzen.


Auch kann ich nicht der Meinung sein, daß wenigstens das Streiten nur für die wichtigeren Wahrheiten gehöre. Die Wichtigkeit ist ein relativer Begriff, und was in einem Betracht sehr unwichtig ist, kann in einem andern sehr wichtig werden. Als Beschaffenheit unserer Erkenntnis ist dazu eine Wahrheit so wichtig als die andere, und wer in dem allergeringsten Dinge für Wahrheit und Unwahrheit gleichgültig ist, wird mich nimmermehr überreden, daß er die Wahrheit bloß der Wahrheit wegen liebt.


Wie lächerlich, die Tiefe einer Wunde nicht dem scharfen, sondern dem blanken Schwert zuschreiben. Wie lächerlich also auch, die Überlegenheit, welche die Wahrheit einem Gegner über uns gibt, einem blendenden Stil desselben zuschreiben. Ich kenne keinen blendenden Stil, der seinen Glanz nicht von der Wahrheit mehr oder weniger entlehnt. Wahrheit allein gibt echten Glanz und muß auch bei Spötterei und Posse wenigstens als Folie unterliegen.


Erst wollen wir den Standort gehörig erwägen, auf dem jeder von uns hält, damit wir um so redlicher Licht und Wetter teilen können. Denn nicht genug, daß wir alle mit gleichen Waffen fechten. Ein Sonnenstrahl, der des einen Auge mehr trifft als des andern, ein strenger Luftzug, dem dieser mehr ausgesetzt ist als jener, sind Vorteile, deren sich kein ehrlicher Fechter wissentlich bedient. Besonders bewahre uns Gott alle vor der tödlichen Zugluft heimlicher Verleumdung.


Der Begriff ist der Mann, das sinnliche Bild des Begriffes ist die Frau, und die Worte sind die Kinder, welche beide hervorbringen. Ein schöner Held, der sich mit Bildern und Worten herumschlägt und immer tut, als ob er den Begriff nicht sehe oder immer sich einen Schatten von Mißgriff schafft, an welchem er zum Ritter werde!


Der Mann, der bei drohenden Gefahren der Wahrheit untreu wird, kann die Wahrheit doch sehr lieben, und die Wahrheit vergibt ihm seine Untreue um seiner Liebe willen. Aber wer nur darauf denkt, die Wahrheit unter allerlei Larven und Schminke an den Mann zu bringen, der möchte wohl gern ihr Kuppler sein, nur ihr Liebhaber ist er nie gewesen.


Man kann studieren und sich tief in den Irrtum hineinstudieren.


Wenn ein großer Mann eine Sophisterei begeht und wenn ich sage, daß er eine begangen habe, so habe ich das Kind bei seinem Namen genannt. Ein anderes wäre es, wenn ich ihn dagegen einen Sophisten nennte. Man kann sich einer Sophisterei schuldig machen, ohne ein Sophist zu sein; so wie man eine Unwahrheit kann gesagt haben, ohne darum ein Lügner zu sein, so wie man sich betrinken kann, ohne darum ein Trunkenbold zu sein.


Das große Geheimnis, die menschliche Seele durch Übung vollkommen zu machen, besteht einzig darin, daß man sie in steter Bemühung erhalte, durch eigenes Nachdenken auf die Wahrheit zu kommen. Die Triebfedern dazu sind Ehrgeiz und Neugierde, und die Belohnung ist das Vergnügen an der Erkenntnis der Wahrheit.


Eine jede Wissenschaft, in ihrem engeren Bezirk eingeschränkt, kann weder die Seele bessern noch den Menschen vollkommener machen. Nur die Fertigkeit, sich bei einem jeden Vorfall schnell bis zu allgemeinen Grundwahrheiten zu erheben, nur diese bildet den großen Geist, den wahren Helden in der Tugend und den Erfinder in Wissenschaften und Künsten.


Alle Wissenschaften reichen sich einander Grundsätze dar und müssen entweder zugleich oder eine jede mehr als einmal getrieben werden. Die Logik oder die Kunst zu denken, sollte man glauben, müsse billig allen anderen Wissenschaften vorangehen; allein sie supponiert die Psychologie, diese die Physik und Mathematik und alle die Ontologie.


Nicht der Irrtum, sondern sektirischer Irrtum, ja sogar die sektirische Wahrheit machen das Unglück der Menschen oder würden es machen, wenn die Wahrheit eine Sekte stiften wollte.


Nicht das, was man nimmt, sondern das, was man an dessen Stelle setzen will, bringt auf, und das mit Recht. Denn wenn die Welt mit Unwahrheiten soll hingehalten werden, so sind die alten bereits gangbaren ebenso gut dazu als neue.


Die Weisheit selbst hat durch die Neugierde ihre meisten Verehrer erhalten.


Ist es die Eiche oder ist es der Boden, worin die Eiche steht, welcher das Moos und die Schwämme um und an der Eiche hervorbringt? Ist es der Böden, was kann die Eiche dafür, wenn endlich des Mooses und der Schwämme so viel wird, daß sie alle Nahrung an sich ziehen und der Gipfel der Eiche darüber verdorrt? Doch er verdorre immerhin, die Eiche, solange sie lebt, lebt nicht durch ihren Gipfel, sondern durch ihre Wurzeln.


Durch Erwägung der allgemeinen Natur des Menschen lernt der Philosoph, wie die Handlung beschaffen sein muß, die aus dem Übergewichte gewisser Neigung und Leidenschaften entspringt; das ist, er lernt das Betragen überhaupt, welches der beigelegte Charakter erfordert. Aber deutlich und zuverlässig zu wissen, wie weit und in welchem Grad von Stärke sich dieser oder jener Charakter bei besonderen Gelegenheiten wahrscheinlicherweise äußern würde, das ist einzig und allein eine Frucht von unserer Kenntnis der Welt.


Besser ist es, unter noch so bösen Menschen leben als fern von allen Menschen. Besser ist es, sich vom Sturm in den ersten besten Hafen werfen lassen als in einer Meeresstille mitten auf der See verschmachten.


So ist es nun einmal in der Welt, das zahme Pferd wird im Stall gefüttert und muß dienen, das wilde in seiner Wüste ist frei, verkommt aber vor Hunger und Elend.


Wer wird durch Mitteilung und Freundschaft die Sphäre seines Lebens zu erweitern suchen, wenn ihn beinahe des ganzen Lebens ekelt? Oder wer hat auch Lust, nach vergnügten Empfindungen in der Ferne umherzujagen, wenn er in der Nähe nichts um sich sieht, was ihm deren auch nur eine gewähren könnte?


Die Natur weiß nichts von dem verhaßten Unterschiede, den die Menschen unter sich selbst gesetzt haben. Sie teilt die Eigenschaften des Herzens aus, ohne den Edeln und den Reichen vorzuziehen, und es scheint sogar, als ob die natürlichen Empfindungen bei gemeinen Leuten stärker als bei anderen wären. Gütige Natur, wie beneidenswürdig schadlos hältst du sie wegen der nichtigen Scheingüter, womit du die Kinder des Glücks abspeisest! Ein fühlbares Herz, wie unschätzbar ist es! Es macht unser Glück auch alsdann, wenn es unser Unglück zu machen scheint.


Unser Urteil schlägt sich allezeit auf die Seite unseres Wunsches. Wenn dieser die Einbildungskraft beschäftigt, so läßt er ihr keine Zeit, auf spitzige Zweifel zu fallen, und alsdann wird den meisten ein unbestrittener Beweis eben das sein, was einem Weltweisen ein unzubestreitender ist. Ein Fechter faßt die Schwäche der feindlichen Klinge. Wenn die Arznei heilsam ist, so ist es gleichviel, wie man sie dem Kinde beibringt.


Der Zuschauer, der auf die Finger zu gut acht gab, tut am besten, er schweigt. Schweigt? Aber wenn er nun auf die Hand des betrogenen Spielers gewettet hat? So kann er freilich nicht schweigen, wenn er sein Geld nicht mutwillig verlieren will. Dann ist der Fall kitzlig. Er gehe mit seinem Mute zu Rat und wette wenigstens nicht weiter.


Die Konsequenz, vermöge welcher man voraussagen kann, wie ein Mensch in einem gegebenen Falle reden und handeln kann, ist es, was den Mann zum Manne macht, ihm Charakter und Stetigkeit gibt. Diese großen Vorzüge eines denkenden Menschen, Charakter und Stetigkeit, berichtigen sogar mit der Zeit die Grundsatze, denn es ist unmöglich, daß ein Mensch lange nach Grundsätzen handeln kann, ohne es wahrzunehmen, wenn sie falsch sind. Wer viel rechnet, wird es bald merken, ob ihm ein richtiges Einmaleins beiwohne oder nicht.


Der rechtschaffene Mann braucht nicht immer die Entschuldigung, die er brauchen könnte. Besonders läßt er gern von den eigenen Vorrechten nach, die ihm als Glied irgendeiner Gesellschaft zustehen, wenn er durch diese Entäußerung Wahrheit und Tugend fördern kann. In solchen Angelegenheiten ist ihm jeder Richter sein Richter, sobald er sich ohne Vorurteil von ihm gehört zu werden versprechen darf.


Den wahren Weg einschlagen, ist oft bloßes Glück; um den rechten Weg bekümmert zu sein, gibt allein Verdienst.


Der Langsamste, der sein Ziel nur nicht aus den Augen verliert, geht noch immer geschwinder als wer ohne Ziel herumirrt.


Die sich am leichtesten übereilen, sind nicht die schlechtesten Menschen; denn sie sind größtenteils ebenso fertig, ihre Übereilung zu bekennen, und eingestandene Übereilung ist oft lehrreicher als kalte Unfehlbarkeit.


Die Bescheidenheit richtet sich genau nach dem Verdienste, das sie vor sich hat; sie gibt jedem, was jedem gebührt. Aber die schlaue Höflichkeit gibt allen alles, um von allen alles wieder zu erhalten. Die Alten kannten das Ding nicht, was wir Höflichkeit nennen. Ihre Urbanität war von ihr ebensoweit als von der Grobheit entfernt. Der Neidische, der Hämische, der Rangsüchtige, der Verhetzer ist der wahre Grobe; er mag sich noch so höflich ausdrücken.


Es ist dem Stolze wesentlich, daß er sich weniger durch Worte als durch das übrige Betragen äußert. Seine Worte sind öfters bescheiden, und es läßt sich nur sehen, nicht hören, daß es eine stolze Bescheidenheit ist.


Der Lebhafte wird Feuer und Flammen gegen den, der ihm zu lau sich zu betragen scheint, und der Laue wird kalt wie Eis,

um jenen so viele Übereilungen begehen zu lassen, als ihm nur immer nützlich sein können.


Das Vergnügen, einem Unbekannten ohne Absicht beigestanden zu haben, ist schon für sich groß. Und er selbst würde uns mehr Segen nachgewünscht haben, als er uns jetzt übertriebene Danksagung hält. Wen man in die Verbindlichkeit setzt, sich weitläufig für die dabei verknüpften Kosten zu bedanken, der erweist uns einen Gegendienst, der ihm vielleicht saurer wird als uns unsere Wohltat geworden. Die meisten Menschen sind zu verdorben, als daß ihnen die Anwesenheit eines Wohltäters nicht höchst beschwerlich sein sollte. Sie scheint ihren Stolz zu erniedrigen.


Wenn der Rat eines Toren einmal gut ist, so muß ihn ein gescheiter Mann ausführen.


Ich finde, daß das Glück zu einem kleinen Schlag, den es uns versetzen will, oft schrecklich weit ausholt. Man sollte glauben, es wolle uns zerschmettern und hat uns am Ende nichts als eine Mücke auf der Stirn totgeschlagen.


Glaube man ja nicht, daß man zerstreut ist, wenn man allzuviel in seinen Gedanken hat; man ist niemals zerstreuter, als wenn man an gar nichts denkt.


So wie es selten Komplimente gibt ohne alle Lügen, so finden sich auch selten Grobheiten ohne alle Wahrheit.


Ein Bund Stroh aufzuheben, muß man keine Maschinen in Bewegung setzen; was ich mit dem Fuße umstoßen kann, muß ich nicht mit einer Mine sprengen wollen; ich muß keine Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen.


Zug um Zug ist eine Regel in der Handlung, aber nicht in der Freundschaft. Handel und Wandel leidet keine Freundschaft, aber Freundschaft leidet auch keinen Handel und Wandel.


Ein Mann von Ehrgeiz setzt die Wahrheit nur alsdann mit aller Macht durch, wenn er sein Ansehen und seine Gewalt mit ihr zugleich befestigen kann. Laufen diese hingegen die geringste Gefahr, so gibt er sie auf; er herrscht gern über erleuchtete Menschen, aber ehe er dann lieber nicht herrscht, mögen sie so unerleuchtet bleiben als sie wollen.


Wie dem, der in einer schnellen Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder still sitzt, die äußeren Gegenstände mit ihm herumzugehen scheinen, so wird auch das Herz, das zu heftig erschüttert worden, nicht auf einmal wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurück, die wir ihrer eigenen Abschwächung überlassen müssen.


Nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach sich als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre.


Die Frau wollte die Natur in ihrem Meisterstück machen; aber sie vergriff sich im Ton, sie nahm ihn zu fein.


Wir trauen einer stolzen Frau nicht viel Zärtlichkeit und einer zärtlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen es ihr nicht zu, sage ich, denn die Kennzeichen des einen widersprechen den Kennzeichen des anderen. Es ist ein Wunder, wenn ihr beide gleich geläufig sind; hat sie aber nur die einen vorzüglich in ihrer Gewalt, so kann sie die Leidenschaft, die sich durch die anderen ausdrückt, zwar empfinden, aber schwerlich werden wir ihr glauben, daß sie dieselbe so lebhaft empfindet, als sie sagt.


Die Natur rüstet das weibliche Geschlecht zur Liebe, nicht zu Gewaltsamkeiten aus; es soll Zärtlichkeit, nicht Furcht erwecken, nur seine Reize sollen es mächtig machen, nur durch Liebkosungen soll es herrschen und soll nicht mehr beherrschen wollen, als es genießen kann.


Es ist leichter, zum Mitleiden zu bewegen, als lachen zu machen. Man lernt eher, was Glück und Unglück, als was sittlich und unsittlich, anständig und lächerlich ist.


Den Verstand nur allein an dem üben wollen, was unsere körperlichen Bedürfnisse betrifft, würde ihn mehr stumpfen als wetzen heißen. Er will schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt sein, wenn er zu seiner völligen Aufklärung gelangen und diejenige Reinigkeit des Herzens hervorbringen soll, die uns die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben fähig macht.


Warum sind wir zu gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper weniger als bei siechen und abgematteten aufgelegt?


Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter.


Der Himmel hat die Einbildung in unserer Gewalt gelassen. Sie richtet sich nach unseren Taten, und wenn diese unseren Pflichten und der Tugend gemäß sind, so dienen die sie begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres Vergnügens.


Ein Präservativ ist auch eine schätzbare Arznei, und die ganze Moral hat kein kräftigeres, wirksameres als das Lächerliche.


Die Leidenschaften sind nicht hinlänglich, einen Charakter zu machen; denn sonst müßten alle Menschen ihren Charakter haben, weil alle Menschen ihre Leidenschaften haben.


Wie schlau weiß sich der Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könnte, was er bei kaltem Blute selbst nicht billigt.


Es ist gewiß, daß ein Herz, dem die Dankbarkeit mangelt, überhaupt der allergrößten Niederträchtigkeit fähig ist; wie im Gegenteil, wenn diese großmütige Tugend in der Seele vorwirkt, gewiß nicht die anderen liebenswürdigen Eigenschaften fehlen werden, welche eine gute Gemütsart ausmachen.


Es ist schwer, daß auch die gleichsten Fußgänger einen langen Weg immer Hand in Hand zurücklegen können. Aber wenn die Rauhigkeit des Weges sie zwingt, ihre Hände fahren zu lassen, so können sie doch immer einander mit Achtung und Freundschaft in den Augen behalten und immer bereit sein, wenn ein bedenkliches Straucheln einen gefährlichen Fall droht, einander zu Hilfe zu eilen.


Wer seine Laster nur beständig beweint und sie niemals verlacht, von dessen Abscheu dagegen kann ich mir in der Tat keinen guten Begriff machen. Er beweint sie nur vielleicht aus Furcht, es möchte ihm übel dabei gehen, er möchte die Strafe nicht vermeiden können. Wer aber das Laster verlacht, der verachtet es zugleich und beweist, daß er lebendig überzeugt ist, Gott habe es nicht etwa aus einem despotischen Willen zu vermeiden befohlen, sondern daß uns unser eigenes Wohl, unsere eigene Ehre es zu fliehen gebiete.


Der Mensch ward zum Tun und nicht zum Vernünfteln erschaffen. Eben aber deswegen, weil er nicht dazu erschaffen ward, hängt er diesem mehr als jenem nach. Seine Bosheit unternimmt allezeit das, was er nicht soll, und seine Verwegenheit allezeit das, was er nicht kann. Er, der Mensch, sollte sich einschränken lassen? Glückselige Zeiten, als der Tugendhafteste der Gelehrteste war, als alle Weisheit in kurzen Lebensregeln bestand.


Der größte Bösewicht weiß sich vor sich selber zu entschuldigen, sucht sich selbst zu bereden, daß das Laster, welches er begeht, kein so großes Laster sei oder daß ihn die unvermeidliche Notwendigkeit es zu begehen zwinge. Es ist wider alle Natur, daß er sich des Lasters als Lasters rühme.


Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte; sie gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter.


Das Kind der Erziehung fängt mit langsamen, aber sicheren Schritten an; es holt manches glücklicher organisierte Kind der Natur spät ein und ist alsdann nie wieder von ihm einzuholen.


Der größte Fehler, den man bei der Erziehung zu begehen pflegt, ist dieser, daß man die Jugend nicht zum eigenen Nachdenken gewöhnt.


Gesunde Ordnung im Denken, lebhafter Witz, Kenntnis der Welt, ein empfindliches Herz, Leichtigkeit des Ausdrucks sind Dinge, die den Deutschen weniger fehlen würden, wenn man sie in Schulen lernen könnte. Die meisten Lehrer haben sie selbst nicht; was Wunder also, daß sie ihre Schüler anführen, sich mit methodischen Leitfäden, studierten Empfindungen, staubigen Realien und künstlichen Perioden zu behelfen.


Ich glaube, der Schöpfer mußte alles, was er erschuf, fähig machen, vollkommener zu werden, wenn es in der Vollkommenheit, in welcher er es erschuf, bleiben sollte. Der Wilde zum Exempel würde ohne die Perfektibilität nicht lange ein Wilder bleiben, sondern gar bald nichts Besseres als irgendein unvernünftiges Tier werden; er erhielt also die Perfektibilität nicht deswegen, um etwas Besseres als ein Wilder zu werden, sondern, um nichts Geringeres zu werden.


Vieles muß das Genie erst wirklich machen, wenn wir es für möglich erkennen sollen.


Wenn ein kühner Geist voller Vertrauen auf eigene Stärke in den Tempel des Geschmacks durch einen neuen Eingang dringt, so sind hundert nachahmende Geister hinter ihm her, die sich durch diese Öffnung mit einzustehlen hoffen. Doch umsonst; mit eben der Stärke, mit welcher er das Tor gesprengt, schlägt er es hinter sich zu. Sein erstauntes Gefolge sieht sich ausgeschlossen, und plötzlich verwandelt sich die Ewigkeit, die es sich träumte, in ein spöttisches Gelächter.


Mit Absicht handeln ist das, was den Menschen über geringere Geschöpfe erhebt; mit Absicht dichten, mit Absicht nachahmen ist das, was das Genie von den kleinen Künstlern unterscheidet, die nur dichten, um zu dichten, die nur nachahmen, um nachzuahmen, die sich mit dem geringen Vergnügen befriedigen, das mit dem Gebrauch ihrer Mittel verbunden ist, die diese Mittel zu ihrer ganzen Absicht machen und verlangen, daß auch wir uns mit ebenso geringem Vergnügen befriedigen sollen, welches aus dem Anschauen ihres kunstreichen, aber absichtslosen Gebrauches ihrer Mittel entspringt.


Wer nichts hat, der kann nichts geben. Ein junger Mensch, der erst selbst in die Welt tritt, kann unmöglich die Welt kennen und sie schildern. Das größte komische Genie zeigt sich in seinen jugendlichen Werken hohl und leer.


Wer richtig räsoniert, erfindet auch, und wer erfinden will, muß räsonieren können. Nur die glauben, daß sich das eine von dem andern trennen lasse, die zu keinem von beiden aufgelegt sind.


Man hintergeht oder ward selbst hintergangen, wenn man die Regeln sich als Gesetze denkt, die unumgänglich befolgt sein wollen, da sie weiter nichts als guter Rat sind, den man ja wohl anhören kann. Wer leugnet, daß auch ohne sie das Genie gut arbeitet? Aber ob es mit ihnen nicht besser gearbeitet hätte? Es schöpfe immer nur aus sich selbst, aber es wisse doch wenigstens, was es schöpft. Das Studium des menschlichen Gerippes macht freilich nicht den Maler, aber die Versäumung desselben wird sich an den Koloristen rächen.


Der Schwärmer tut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft, er aber kann diese Zukunft nur nicht erwarten. Er wünscht diese Zukunft beschleunigt und wünscht, daß sie durch ihn beschleunigt werde. Wozu sich die Zeit Jahrtausende nimmt, soll in dem Augenblick seines Daseins reifen. Denn, was hat er davon, wenn das, was er für das Bessere erkennt, nicht noch bei seinen Lebzeiten das Bessere wird? Kommt er wieder? Glaubt er wieder zu kommen? Sonderbar, daß diese Schwärmerei allein unter den Schwärmern nicht mehr Mode werden will.


 << zurück weiter >>