Max Eyth
Mönch und Landsknecht
Max Eyth

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VIII.

Am Abend des folgenden Tags war das Heer der Bauern wirklich abgezogen. Es hatte ihre Anführer keine kleine Mühe gekostet, diese unbändigen Haufen alle in Bewegung zu bringen, und nur die augenscheinliche Überzeugung, daß die Fässer im Klosterkeller so hohl tönten wie eine Trommel, hatte sie fortzubringen vermocht.

Es war wieder still im Kloster wie früher; denn nur noch einige wenige, die in irgendeinem Winkel der Abtei den Abzug ihrer Kameraden verschlafen hatten, taumelten erschrocken durch die öden, leeren Gänge und suchten in den Zellen. Durch die eingeschlagenen Fensterscheiben sauste der Wind über die umgeworfenen, zertrümmerten Geräte und spielte mit den herumgestreuten Pergamentblättern, aber keine menschliche Stimme antwortete ihrem wiederholten, lauten Ruf. – Sie suchten auch in der Kirche; die Orgel war zerschlagen, der Altar umgestürzt, die Kanzel zerschmettert; nur das hohe, majestätische Gewölbe bog sich noch trotzig über dem Schutt und der Zerstörung; aber auch hier war alles still. – Sie suchten im Keller und fanden nur ausgetrunkene, umgelegte Fässer, halbverbrannte Fackeln und Scherben oder Waffen, die zufällig liegen geblieben waren. – Endlich, müde dieses vergeblichen Herumsuchens, schritten sie mißmutig zum Tore hinaus und bald erfuhren sie, welchen Weg sie zu verfolgen hatten, um vor Weinsberg ihre Kameraden wiederzufinden, wo die rohe Bauernbarbarei in ihrer ganzen Größe zutage treten sollte.

Kaum hatten die letzten Nachzügler das verwüstete Kloster verlassen, so stellten sich bereits auch wieder einige Mönche ein, die in den nächsten Wäldern sehnlich auf diesen Augenblick gewartet hatten. Ängstlich besorgt, ob nicht doch noch einzelne Bauern zurückgeblieben seien und sie jetzt unvermutet überfallen könnten, – zugleich kläglich jammernd über all den großen Verlust, den sie erlitten hatten, durchliefen sie die verwüsteten Zellen und bemühten sich, aus den trostlosen Trümmern und Überbleibseln ihre Habe so gut als möglich wiederherzustellen.

So verging die Nacht und der folgende Tag. Jetzt waren fast alle Mönche wieder beisammen. Selbst der Abt und der Prior, die in Heilbronn Schutz gesucht, waren gegen Abend wiedergekommen. Zum erstenmal läuteten wieder die Glocken, welche von den Bauern verschont geblieben, und die Konventualen versammelten sich in einem eilig hergerichteten Saal, da die Kirche noch nicht gebraucht werden konnte.

Abt Eberhard befand sich noch in einem seiner Zimmer. Er hatte soeben einige Speise zu sich genommen, als der Prior eintrat und ihm mitteilte, daß bereits alle Fratres beisammen seien, um den Dankgottesdienst zu beginnen. Der Abt erhob sich und ging zu einem Schranke, dessen Türflügel er öffnete, nachdem er die Spuren gewaltsamer Erbrechung unmutig betrachtet hatte.

»Der Schrank ist leer!« sagte er zum Prior; »aber nun will ich sehen, ob sie auch ebenso listig sind als roh! – Nein, alles haben die Spürhunde doch nicht entdeckt! Sieh, dieses verborgene Lädchen ist noch unverletzt!« Er öffnete es mit einem leichten Druck auf eine eiserne Feder und zog die Insignien seines Amtes hervor, während Gregor seufzte: »Ach, bei mir sind sie so grob gewesen wie täppische Waldbären, und so listig wie die Füchse; auch nicht das verborgenste Türchen ist unaufgesprengt geblieben!«

Der Abt kleidete sich an und Gregor stand ihm dienstfertig bei, indem er sich in weitläufige Lamentationen über die Bauernempörung ergoß.

»Sind alle unsere Brüder jetzt angekommen?« fragte endlich Eberhard, ungeduldig den Redestrom des Priors unterbrechend.

»Gottlob, vor einer Viertelstunde kamen die letzten!« antwortete Gregor und blickte dabei zum Himmel empor; »der Herr hat alle wunderbarlich beschützt, also daß auch nicht einer das Leben verlor in dem blutigen Kriegsgetümmel der Bauern, die Gott verdammen möge!«

»Also ist auch Bruder Robert zurück?« fragte der Abt weiter.

»Auch er. Und er sagte, daß er dich selbst besuchen wolle und dir seine Schicksale berichten!« versetzte Gregor und warf die Stola über die Schultern des Priesters.

»Daran wird er wohltun!« sagte Eberhard, indem er das Barett aufsetzte.

In diesem Augenblick trat Robert selbst ein und näherte sich mit ehrerbietiger Begrüßung dem Abte. Ein Wink bedeutete dem Prior, sich in den Betsaal vorauszubegeben, und derselbe entfernte sich eilig.

Lang und streng blickte jetzt Eberhard den Mönch an; dann sagte er ernst, nachdem er den Gruß kaum erwidert hatte: »Ich habe dich während der ganzen Zeit der Not und Gefahr kein einziges Mal bei mir gesehen; wo warst du? Wahrlich, du hattest wenig Anlaß, mich vor Elias zu warnen, der in dieser ganzen schweren Trübsal keine Stunde lang von mir wich und alle Gefahren mit mir zu teilen bereit war.«

»Zürne den Umständen, mein Vater«, versetzte Robert mit kecker Zuversicht, »und nicht mir. In jener Nacht, da wir fliehen mußten, hab' ich überall nach dir gesucht, um dich vor den rasenden Haufen zu schützen mit meinen geringen Kräften, die ich ebenso willig für dich opfern wollte wie mein Bruder Elias. Hab' ich ihn verkannt, so ist daran nur meine Sorge um dich, ehrwürdiger Vater, schuldig und ich bereue es von Herzen. Ja, ich habe dich lange Zeit gesucht und konnte dich nimmer finden; du hattest das Kloster schon verlassen. Verzweifelnd wollt' ich mich nun selber retten, aber die Bauern ergriffen mich, um an mir ihre ganze Wut auszulassen. Ich vermag nicht, Euch die Leiden alle zu schildern, die ihre höhnische Grausamkeit mir bereitet hat. Nur diese Schwiele seht, die rings um meinen Hals läuft! Sie hatten mich hier mit einem Strick gebunden und zogen mit spöttischem Gelächter mich auf dem Boden umher, daß ich dem Ersticken nahe war. Erst vor zwei Tagen gelang es mir, als meine Wächter, vom Wein berauscht, schliefen, durch eine Kraft, die wohl von oben kommen mußte, meine Bande zu zerreißen und meinen Quälern zu entrinnen. In den nächsten Wäldern fand ich solange Schutz, um ihrem Spähen zu entgehen. Sie suchten mich und viele gingen an dem Busch vorüber, darin ich verborgen lag. Aber der Herr muß sie mit Blindheit geschlagen haben; denn sie fanden mich nicht. Heute abend kehrte ich in unser Kloster zurück, gewiß ohne Hoffnung und ohne das geringste Verlangen nach einem Lohn für meine Leiden, die ich allein anstatt aller tragen mußte; aber – und wer kann mir dies verargen? – ich hoffte wenigstens nicht, von meinem Vater im geheimen verkannt oder öffentlich gescholten zu werden. Dies tut mir wehe!«

»Wenn du die Wahrheit berichtest, mein Sohn!« sagte der Abt, plötzlich milder gestimmt, »so hab' ich dir abermals unrecht getan. Es ist meine Pflicht, es wieder gutzumachen. Und gewiß, du sollst sehen, daß meine Liebe und Freundschaft dir eine treue Stütze sein wird. Ich habe nicht das Recht, an deinen Worten zu zweifeln; sei daher versichert, ich werde die meinigen halten. – Doch komm«, fügte Eberhard hinzu, »unsere Brüder warten schon geraume Zeit auf uns. Wir sind unserem Gotte wohl ein Dankgebet schuldig, daß er uns durch diese Not, wenigstens bis jetzt, so gnädig geführt hat, daß wir kein Menschenleben zu beweinen haben!«

Eberhard schritt mit feierlich langsamen Schritten voran, Robert folgte. Aus des letzteren Augen leuchtete eine kaum unterdrückte Freude; er hatte nicht gehofft, so leichten Kaufs wieder ein Günstling des Abts zu werden.

Auf dem Altar, der in dem Betsaal errichtet war, brannten schon lange die Wachskerzen, als der Abt in flimmerndem Meßgewand endlich eintrat. Der Altar stand der nur angelegten Türe gegenüber, die allein in den Saal führte; zu beiden Seiten hatten sich die Mönche aufgestellt und beteten, ehe Eberhard begann, leise den Rosenkranz. Hie und da zwischen den Vaterunsern, grüßte einer ganz in aller Stille oder erzählte dem Nachbar die wunderbaren Abenteuer seiner Flucht. Selbst der Prior war in einer nicht ganz andächtigen Stimmung und bemühte sich lange, durch tiefe Seufzer den neben ihm stehenden Bursarius Elias zu einer mitleidigen Frage zu bewegen, um alsdann seinem Grimm gegen die Bauern wieder ein wenig Luft machen zu können. Aber Elias war nicht zu bewegen. Nachdenklich und ernst, ja traurig sah er vor sich hin; sein Gesicht war um vieles bleicher geworden. Vielleicht hatten ihn die Anstrengungen der Flucht so sehr angegriffen; aber woher dann die Traurigkeit?

Jetzt breitete der Priester segnend die Hände nach beiden Seiten aus. Die Mönche bekreuzten sich und fielen, als der Abt die heilige Monstranz erhob, andächtig auf ihre Knie nieder. Dreimal hatte das helle Glöcklein geklungen; die Betenden standen wieder auf und falteten die Hände. Eberhard hatte ein schweres, mit Gold und Edelsteinen verziertes Buch aufgeschlagen und fing an, auf der Seite stehend, doch mit dem Rücken gegen den Altar gewendet, in lateinischer Sprache noch einen ganz besonderen Dankpsalm zu lesen.

Er war fast bis zur Hälfte gekommen, – da öffnete sich leise die Flügeltüre. Die weiße Gestalt eines Mönchs trat ein und bewegte sich einige Schritte vorwärts. Der Abt stockte plötzlich; er zitterte am ganzen Leib; das schwere Buch fiel ihm aus der Hand und mit dem Schrei: »Bernhard!« sank er ohnmächtig am Altar nieder.

Ein Wirbelwind, der unter das dürre Blätterlaub fährt, welches im Herbst unter der kahlen Eiche liegt, kann keine verwirrtere Bewegung hervorbringen als das unerwartete Erscheinen des fremden Mönchs, den im Augenblick sonst niemand erkannte, und die Ohnmacht des Abts unter den eben noch so ruhig dastehenden übrigen Mönchen. Die Nächsten an der Türe stürzten erschrocken vorwärts und mit dem Ruf: »Ein Gespenst!« sofort wieder zurück; die beim Altar eilten, dem Ohnmächtigen beizuspringen, und die in der Mitte wußten nicht, ob sie zum Altar oder zur Türe eilen sollten; sie wirbelten durcheinander und vergaßen vor Schreck und Angst, wo ihnen der Kopf stand.

Da durchbrach plötzlich Elias mit lautem Jubel den verwirrten Knäuel. »Bernhard! Mein Bernhard! Bist du lebendig?« rief er und sank an die Brust des Jünglings, der ihn mit inniger Herzlichkeit umarmte. Voll scheuer Neugier umdrängten ihn jetzt auch die andern. Sie fragten ihn nichts; sie konnten immer noch nicht glauben, daß er lebe, und befühlten heimlich seine Kleider, um sich zu überzeugen. In der Tat, er war und blieb lebendig, aber rasch war er wieder aus ihrer Mitte verschwunden.

Der Abt war aus dem Saale getragen worden, erholte sich jedoch allmählich auf seinem Bette. Neben ihm stand der Prior, immer noch bleich vom ersten Schrecken, und einige andere Mönche.

»Habt Ihr's nicht gesehen?« waren Eberhards erste Worte, als er wieder ein wenig zu sich kam.

»Was meinst du, mein lieber Bruder?« fragte der Prior.

»Das Gespenst! Das Gespenst!« schrie Eberhard zitternd und die ganze Geisteskraft des eisernen Mannes schien mit einemmal gebrochen. »O Gott, er ist tot! Er ist tot! Und ich, ich habe ihn leichtsinnig gemordet! – – Er war unschuldig, – er wird mich verfolgen und quälen bis zu meiner letzten Stunde, und dann, dann wird er dem ewigen, gerechten Richter sagen, was ich getan! – Gregor, hilf mir!«

»Dir ist schon geholfen!« rief Elias, der soeben eingetreten war. »Er lebt!«

»Er lebt!« wiederholte der Abt erschüttert; – »er war unschuldig; jetzt weiß ich's gewiß; sonst hätte ihn der Herr nicht aus dem Rachen des Todes gerissen, in den ich ihn geschleudert habe! – Bring ihn her, daß ich ihn um Vergebung anflehe! Bring ihn, Elias; er muß unschuldig sein; er ist ja dein Freund, mein Schutzengel!«

»Jetzt nicht, lieber Vater!« bat der Bursarius gerührt; »draußen steht ein Bote von dem Bauernhauptmann Florian Geyer; den müßt Ihr vor allem anhören, wenn Ihr nimmer zu schwach seid. Er will mit Euch ganz allein reden und ich könnte das nie dulden, wenn's nicht der alte Schäfer von Kessach wäre; dem darf ich Euch wohl anvertrauen.«

»So geht, Brüder!« sagte der Abt und sein Befehl war fast wie eine Bitte, so milde und herzlich; »schicket ihn her; ich bin schon stark genug, ihn anzuhören. – Doch nachher muß ich ihn sehen, Elias!«

»Er wird sich nicht weigern, zu kommen«, versicherte der Greis und verließ mit den andern das Zimmer, auf dessen Schwelle ihnen bereits der Bote Geyers, der alte Klosterschäfer, begegnete. – –

Der nächste Gang, den Elias machte, war in das düstere Hintergebäude des Klosters gerichtet, um die von Bernhard ihm bezeichnete Zelle aufzufinden. Er traf seinen jungen Freund am Bette des Verwundeten sitzend und demselben den Erfolg seines ersten Erscheinens erzählend, das freilich, wie er meinte, bis jetzt keine oder vielmehr nur düstere Aussichten für ihn eröffnet habe. Rudolf suchte seinen niedergeschlagenen Bruder zu trösten, als eben Elias eintrat und erstaunt bald Bernhard, bald den Verwundeten ansah. Doch der junge Mönch ließ ihn nicht lange so stehen bleiben. Freudig ergriff er seine Hand und führte ihn zum Bette: »Hier ist mein Bruder, Elias, mein leiblicher Bruder«, rief er; »den mir Gottes Liebe in diesem Sturme zugeführt. Sprich, darf ich murren, wenn dies der Lohn meiner Leiden geworden ist?«

Elias blieb sprachlos vor Erstaunen stehen; doch gar bald löste sich die Zunge des Greisen. Rasch erfuhr er den ganzen wunderbaren Zusammenhang der Sache. Bernhard, den die Umstände seines Eids entbunden hatten, konnte jetzt frei seine Unschuld beteuern und sein Mißgeschick erzählen. Die reinste Freude leuchtete auf Elias' Gesicht, als er Bernhard so glänzend gerechtfertigt sah. Nur wenn manchmal von der Bibel die Rede war, die eine so große Rolle dabei gespielt hatte, trübte ein trauriger, obwohl schnell wieder verschwindender Ernst seine Stirne. Niemand störte ihr trauliches Gespräch; denn der Bann, der noch immer auf dem jungen Mönche ruhte, hielt selbst die Neugierigsten von der Zelle fern, worin er sich befand. Elias schien dies fast ganz vergessen zu haben. Wenn ihm zuweilen hierüber ein Gedanke durch den Sinn fahren wollte und das Mönchsgewissen einen Augenblick ihm zu schlagen anfing, sagte er nur zu sich selbst: »Wer so wunderbar gerettet wird, auf dem kann Gottes Zorn nicht liegen!« Und dann konnte er ja wieder um so inniger die Hand des Jünglings drücken.

Es war schon tiefe Nacht und noch immer dachte der Greis nicht an den Aufbruch. Da klopfte es an der Türe und ein Kopf streckt sich durch die schmale Spalte herein.

»Bruder Elias und Bernhard möchten zum Abt kommen!« rief's in die Zelle herein und der Kopf war ebenso schnell wieder verschwunden.

Beide wünschten dem Kranken eine ruhige Nacht, drückten ihm die Hand und entfernten sich schweigend. Auf dem ganzen Wege wechselten sie kein Wort; sie waren zu sehr mit sich selbst und mit dem Kommenden beschäftigt, um reden zu können.

Leis, fast schüchtern traten sie ein. Drei Kerzen erhellten das kleine Gemach. Auf dem verwühlten Lager ruhte der Abt und hatte sich, als sie sich näherten, auf seinen linken Ellenbogen gestützt, ein wenig aufgerichtet. Er streckte Bernhard die bebende Rechte entgegen und flüsterte mit einer kaum hörbaren Stimme: »Vergib mir, Bernhard!«

Bernhard hatte sich am wenigsten auf einen solchen Empfang gefaßt gemacht und schwieg verwirrt.

»Willst du mir nicht vergeben?« sprach Eberhard noch leiser, aber auch noch viel dringlicher, heftiger.

»Was ich Euch zu vergeben habe, ehrwürdiger Vater, das ist längst vergeben und vergessen! Ihr seid ja unschuldig«, sagte Bernhard tiefbewegt, einen Mann in solcher Stimmung zu sehen, dessen Herz er für unerschütterlich gehalten hatte.

»Gott sei Lob und Dank!« seufzte der Abt tief auf und sank alsdann erschöpft in das Kissen zurück. Nach einer langen, peinlichen Pause, in welcher man nur sein hohles Atmen vernahm, fuhr er fort: »Ja, ich bin verführt, ich bin schändlich betrogen worden! Alles ist mir jetzt klar; alles hat mir der alte Schäfer aufgedeckt. Er hat den Mörder deines Bruders von mir gefordert zur Bestrafung und ich fordere den Mörder Bernhards. Zerrissen soll er werden von seinen eigenen Freveln, – gevierteilt von –«

»Bleibt ruhig, Herr Abt!« bat Elias, wie dieser sich heftig aufraffte, als wolle er in seiner Fieberhitze aus dem Bette springen.

»Vergebt ihm wie ich auch!« sprach Bernhard und sah mitleidig auf den armen kranken Mann.

»Wie, du vergibst ihm?« fuhr Eberhard voll Verwunderung fort. »Um dieses Wort vergeb' ich auch dir, daß du ein Ketzer bist. Fahr hin im Frieden, wenn dein Bruder wieder gesund ist; denn das weiß ich: über kurz oder lang wird dich Gott doch zurückführen in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche; was soll ich dich weiter quälen? – – Aber – 's ist doch leichter, einem zu vergeben, der mich morden wollte, als dem, der mich wollte zum Mörder machen! – Ich kann's, ich kann's nicht! – Zerknirschen will ich ihn – –«

Rasch öffnete sich in diesem Augenblick die Türe; ein Mönch stürzte herein und rief hastig: »Vergebt, Herr Abt! – Robert ist nirgends zu finden! Kein Mensch weiß, wohin er ist! Er ist wie in der Luft verschwunden!«

Von fieberhaftem Wahnsinn ergriffen fuhr der Abt empor. »Narren!« schrie er. »Hinaus! Hinaus nach allen vier Winden! Er muß gefangen werden! Schnell! Schnell! – Doch nein!« unterbrach er sich selbst wieder mit bitterem Lachen; »laßt ihn nur! Teufel kann nur Gott bestrafen!«

Abermals sank er todesmatt zurück; eine lange, lange Pause entstand; er schien zu schlafen. Plötzlich griff er suchend nach der Hand Bernhards. Er faßte sie mit seinen beiden Händen und drückte sie heftig gegen die krampfhaft atmende Brust.

»Kann der Sohn auch die Sünde am Vater vergeben?« Kaum konnten sich diese Worte aus der tiefsten Tiefe des Herzens emporringen. Doch Bernhard verstand sie. Erschüttert neigte er sich nieder, drückte einen Kuß auf die kalte, feuchte Stirne Eberhards, den nicht nur die eigene Schuld, sondern auch die seines harten, grausamen Vorfahren so schwer niederbeugte, und sprach mit feierlicher Begeisterung: »Der Sohn Gottes macht uns rein von allen Sünden!«

Wieder fühlte er, wie heftig der Abt die Hände zwischen die seinigen drückte. Allmählich ließ der Druck nach, aber noch immer umschlangen ihn die kalten Finger fest. Eine lange, bange Stille herrschte ringsum, bis endlich Bernhard mit gepreßter Stimme sagte: »Elias, – er ist tot!« – –


Etwa zwei Wochen nach jenem Abend, an einem herrlichen Frühlingsmorgen, schritten zwei Wanderer das schöne Jagsttal hinab. Sie waren sich beide ungemein ähnlich; nur schien der eine, der sich so oft umwandte und nach dem Kloster zurückblickte, ernster, vielleicht auch etwas älter zu sein. Rings um sie her sproßte eine neue Welt empor; der Wiesengrund war wundervoll grün; in den nahen Wäldern rechts und links trieben tausend zarte Blättchen aus den Buchen- und Eichenzweigen; Lerchen jubelten hoch im Blau; Tautropfen blitzten im Gras; still und friedlich glitt das dunkelgrüne Wasser des Flusses durch das lachende Tal und küßte die Weiden am Ufer, die sich traulich zu ihm hinabsenkten.

Dort biegt sich der Fluß rasch um eine Ecke; von dort aus ist auch das Kloster plötzlich nicht mehr sichtbar. Lange blieben die beiden Wanderer an diesem Punkte stehen; was mochten sie wohl solange noch an dem alten Kloster zu sehen haben? Endlich rissen sie sich los. Der eine mußte wohl an einem Busch gestreift haben; denn vorn auf der Brust seines Kollers funkelten zwei lichte Tautropfen im Sonnenstrahl.

Das war Bernhard gewesen und Rudolf, sein Bruder.


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