Euripides
Alkestis
Euripides

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

(Palast des Admetos zu Pherai. Apollon tritt heraus, einen Bogen und Pfeile in der Hand)

Apollon:
O Haus Admets, in welchem meine Göttlichkeit
Vorliebzunehmen sich bequemt am Löhnertisch!
Zeus war die Ursach, welcher meinen Sohn erschlug,
Asklepios, ihm die Flamme schleudernd in die Brust,
Worauf erzürnt des Himmelsstrahles Schmiede ich,
Die Kyklopen, totschoß und zur Buße dessen mich
Der Vater einem irdischen Mann zu fronen zwang.
Ich begab mich her in dieses Land und dient als Hirt
Dem Freund, sein Haus beschirmend bis zu dieser Stund.
Fromm seiend fand ich einen frommen Mann an ihm,
Dem Sohn des Pheres, den ich hab vom Tod erlöst,
Die Moiren täuschend. Ihre Macht gelobte mir,
Admetos soll dem Tod entrinnen vorderhand,
Wenn die da drunten eine andre Leich empfahn.
Und all die Seinen prüft' er nach der Reih umher,
Den Vater und die greise Mutter, die ihn trug;
Doch fand er niemand außer seiner Gattin, der
Sich opfern wollte, scheiden aus dem Sonnenlicht!
Und mit dem Tode ringt sie jetzt im Haus, gestützt
Von treuen Armen: denn am heutigen Tag ist ihr
Bestimmt zu sterben, wegzuscheiden aus der Welt!
Und ich verlasse dieser Hallen trautes Dach,
Daß mich der Hauch des Todes nicht entheilige.
Und hier erblick ich nahen schon den Todesgott,
Der Abgeschiednen Opfrer, der ins Höllenreich
Sie will geleiten! Auf die Stunde kommt er an;
Den Tag, an dem sie sterben muß, versäumt' er nicht!

(Der Tod tritt auf)

Tod:
    Hah! hah!
    Du hier? Am Palast? Was weilest du hier?
    Wie? Phoibos, du willst wohl wieder zum Leid
    Uns Untern die Ehre verkürzen, entziehn?
    Admets Hintritt zu verhindern war
    Dir nimmer genug und die Moiren mit List
    Zu berücken? Du hast jetzt wieder die Hand
    Für diese bewehrt, wachst mit dem Geschoß,
    Die, ihren Gemahl zu erlösen, sich selbst
    In den Tod gibt, Pelias Tochter?

Apollon:
Nur Recht und ehrlich Handeln biet ich, sei getrost!

Tod:
Was soll beim Weg des Rechtes dann die Waffe tun?

Apollon:
Ich trage sie beständig: meine Sitte ist das.

Tod:
Und diesem Hause widerrechtlich beizustehn!

Apollon:
Des teuren Mannes Leiden geht mir freilich nah.

Tod:
Und willst mir diese Leich entwenden abermals?

Apollon:
Ich nahm dir doch auch jenen selbst nicht mit Gewalt!

Tod:
Wie weilt er dann auf Erden, ruht im Grabe nicht?

Apollon:
Nun, durch den Tausch der Gattin, die du holen willst.

Tod:
Und führen werd ins unterirdische Reich hinab!

Apollon:
So nimm sie hin! Denn schwerlich wohl beweg ich dich –

Tod:
Zu töten, ja! Die's ziemet! dazu komm ich her!

Apollon:
Nein, die mit Tod zu treffen, welche zaudern hier.

Tod:
Wohl! Deine Meinung, dein Begehren kenn ich jetzt!

Apollon:
Und geht es, daß Alkestis hohe Jahr erreicht?

Tod:
Geht nicht! Bedenke, daß auch mich die Ehre freut.

Apollon:
Nicht mehr denn eine Seele empfängst du immer doch!

Tod:
Wenn blühndes Leben schwindet, ernt ich höhern Preis.

Apollon:
Die Greisin auch wird reich bestattet, wenn sie stirbt.

Tod:
Dem Geld zugunsten, Phoibos, gibst du dies Gesetz!

Apollon:
Wie meinst du? Bist du Denker auch? Wer glaubte das?

Tod:
Wer's könnte, ließ Betagte sterben für sein Geld.

Apollon:
Mir also diese Gunst zu geben liebt dir nicht?

Tod:
Mitnichten! Meine Art ist dir ja wohlbekannt.

Apollon:
Eine Göttern widerwärtge, Menschen feindlich Art!

Tod:
Verlange nur nicht alles, was dir nicht gehört.

Apollon:
Fürwahr, du wirst abstehen, fühllos wie du bist!
Ein solcher Held kehrt bald im Haus des Pheres ein,
Gesendet nach dem Roßgespanne von Eurysth
Hin nach der winterrauhen Gegend Thrakiens,
Der, gastlich aufgenommen hier im Haus Admets,
Dir mit Gewalt dies Frauensbild entreißen wird.
So geht der Dank dir meinerseits verloren, und
Du tust es trotzdem und behältst dir meinen Haß.

Tod:
Und magst du reden noch soviel, es frommt dir nicht!
Denn kurz: das Weib geht mit hinab ins Höllenreich!
Ich geh zu ihr, sie einzuweihen mit dem Schwert:
Den unterirdischen Mächten ist der Mensch geweiht,
Des Hauptes Locken dieses Schwert geopfert hat.

(Der Tod und Apollon ab. Der Chor zieht ein)

Erster Halbchor:
    So ruhig und leer ist's vor dem Palast?
    So still und so stumm in den Hallen Admets?

Zweiter Halbchor:
    Und auch kein Freund in der Nähe,
    Der meldete, ob man die Königin hat
    Zu betrauern wie tot, ob Pelias' Kind
    Noch atmet und lebt und das Licht schaut,
    Alkestis, die Frau, die allen und mir
    Als edelstes Weib
    Sich bewährt hat gegen den Gatten!

Erste Strophe

Erster Halbchor:
    Hört einer wohl ein Schluchzen oder Weinen oder Händeschlag
    Drinnen im Haus, als wär's vorbei?

Zweiter Halbchor:
    Nein! auch aus dem Gesinde erscheint
    Kein Mensch, an die Pforten gestellt.
    Ach, trätest du zwischen die Wogen
    Des Unheils, o Paian!

Erster Halbchor:
    Verschied sie, so wär es so still nicht!
    Denn fort als Leiche vom Haus kann
    Sie noch nicht sein!

Zweiter Halbchor:
    Was macht dich so keck? Ich juble noch nicht.

Erster Halbchor:
    Wie sollte Admet sein treffliches Weib
    Still, ohne Geleit
    Leidtragender Freunde bestatten?!

Erste Gegenstrophe

Zweiter Halbchor:
    Und an der Pfort erblick ich nicht Quellwassersprenge, wie es vor
    Türen Entschlafener bräuchlich ist;

Erster Halbchor:
    Und kein Haar in der Nische, so wie
    Im Leid um Verschiedene man's
    Hinopfert: es schallet an Häuptern
    Kein Leidschlag von Fraunhand.

Zweiter Halbchor:
    Und doch der entscheidende Tag ist's,
    An welchem von hinnen sie ziehn muß!

Erster Halbchor:
    Oh, was sprichst du?
    Das bewegt mir die Seele, ergreift mir das Herz!

Zweiter Halbchor:
    Wenn ein trefflicher Mensch zerknickt wird, dann
    Muß jegliches Herz,
    Das gut ist von Grund aus, trauern.

Zweite Strophe

Chor:
    Und wollt man auch über See irgendhin zu Schiffe
    Segeln, sei es ins Land
    Lykien oder zu Ammons durstigem Wohnsitz,
    Kann doch keiner befrein mehr
    Ihr armes Leben: denn der Tod naht jählings. Keinen Götterherd
    Weiß ich, zu dem ich noch pilgern mit Opfern könnte.

Zweite Gegenstrophe

    Nur einer, wenn dieses Licht seinem Auge noch strahlte,
    Phoibos' Sohn! Sie erschien'
    Kehrend vom düsteren Reich und Pforten der Hölle!
    Denn Entschlafene weckt' er,
    Bevor der himmelsjache Keil des Wetterstrahls ihn tödlich traf.
    Hoffnung des Lebens, wo soll ich sie jetzt noch schöpfen?

Epode

    Denn alles bereits ist getan und versucht
    Von unserem Herrn,
    An sämtlicher Götter Altären
    Bluttriefende Schlachtopfer die Fülle!
    Und nirgends Hilf in dem Leiden!

Chorführer:
Hier aber tritt der Zofen eine aus dem Haus
In Tränen. Welch Begebnis werd ich hören wohl?
(Die Dienerin tritt auf)
Dein Trauern ist natürlich, wenn ein Ungemach
Zustieß der Herrschaft; aber laß uns wissen, ob
Die Frau noch atmet oder schon verschieden ist.

Dienerin:
Du kannst sie lebend, kannst gestorben nennen auch.

Chor:
Wie mag man tot und lebend sein zu gleicher Zeit?

Dienerin:
Sie neigt das Haupt und ringt bereits den Todeskampf.

Chor:
O Armer! Welch ein Weib entgeht dir, edler Mann!

Dienerin:
Noch fühlt's der Herr nicht völlig, bis er's leiden wird.

Chor:
Ist denn der Lebensrettung keine Hoffnung mehr?

Dienerin:
Es zwingt ja unabwendbar ihr verhängter Tag!

Chor:
Hat man für sie das Angemeßne vorgesehn?

Dienerin:
Der Schmuck ist fertig, der der Leiche folgen soll.

Chor:
Sie stirbt mit Ruhme: dessen sei sie sich bewußt,
Gewiß, soweit die Sonne scheint, das beste Weib!

Dienerin:
Wie wär sie nicht die Beste? Wer bestreitet dies?
Was müßt ein Weib tun, das sie übertreffen wollt?
Wie mag sie ihr Hingeben an den Gatten mehr
Beweisen, als indem sie für ihn sterben will?
Und dieses nun weiß alle Welt, die ganze Stadt:
Nun höre mit Bewundrung, was sie drinnen tat!
Sowie sie merkte, ihre Entscheidungsstunde sei
Ihr nahe, wusch sie ihren weißen Leib im Bad
Von Quellenwasser, holte aus dem Zedernschrein
Schmuck und Gewänder, tat sich fein und reinlich an,
Trat vor den Herd der Hestia hin und betete:
"O Herrin, weil ich scheiden muß zur Erd hinab,
So fleh ich niedersinkend hier zum letztenmal:
Behüte meine Waisen, trau ein holdes Weib
Dem Sohne an, der Tochter einen edlen Mann!
Und laß sie nicht, wie ihre Mutter enden muß,
So vor der Zeit hinsterben, sondern frohbeglückt
Sich ihres Daseins in der Heimat lang erfreun!"
Und jeden Altar, der im Haus Admetens ist,
Besuchte und anbetet' und bekränzte sie,
Die Büschel pflückend grüner Myrthenschößlinge,
Ohn eine Trän, ein Seufzen, ohne daß das Rot
Dem schönen Antlitz bei dem drohnden Tode schwand.
Dann in die Kammer stürzend und aufs Bette hin,
Ja, da vergoß sie Tränen, und da sprach sie so:
"O Lager, wo des Mädchens reine Blüte sich
Dem Mann, für den ich sterbe hier, ergeben hat,
Leb wohl! Ich zürn dir nicht, und doch bist du allein
Mein Tod; denn untreu dir und ihm zu werden, scheu
Ich mich und sterbe: dich gewinnt ein andres Weib,
Wohl keine tugendhaftere, doch wohl glückliche!"
Dann sank sie nieder, küßt' es, daß den ganzen Pfühl
Der Augen überfließend Naß befeuchtete.
Nachdem sie sich in vielen Tränen satt geweint,
So stürzt sie abgewandten Blicks vom Bette fort
Und kehrt sich, aus der Kammer scheidend, oft noch um
Und wirft sich immer wieder auf das Lager hin.
Die Kinder aber weinten, an der Mutter Kleid
Sich hängend; und sie nahm sie zärtlich auf den Arm,
Eins um das andre herzend, als Verscheidende.
Die Ehehalten all im Hause weinten mit,
Um ihre Herrin jammernd, welche jeglichem
Die Hand noch reichte; keiner war zu schlecht ihr, daß
Sie nicht ihn ansprach und sein Wort entgegennahm.
Von solcher Art ist drinnen Admets Jammer, den
Der Tod vernichtet hätte, der entronnen dann
Solch einen Gram trägt, den er nie vergessen wird!

Chor:
Es seufzet wohl in diesem Jammer sehr Admet,
Klagt, daß er sein so trefflich Weib einbüßen soll?

Dienerin:
Er seufzt und hält in Armen sein geliebtes Weib
Und fleht: "Oh, laß mich nicht allein!" Unmögliches
Begehrend! Denn sie welket, schwindet und verlischt,
So schlaff, so eine traurige Bürd in seinem Arm!
Und doch, so schwach sich auch ihr Atem immer regt,
Begehrt sie noch zu blicken nach dem Sonnenschein.
Allein, ich geh zu melden deine Gegenwart.
Nicht alle meinen's mit den Fürsten also treu,
In ihrem Leid teilnehmend ihnen beizustehn:
Du aber bist dem Herrscherhaus ein alter Freund!
(Ab in das Haus)

Strophe

Erster Halbchor:
    Io Zeus! Wo soll, wann des Leidens Ziel,
    Erlösung kommen dieser Not, die das Königshaus bedrängt?

Zweiter Halbchor:
    Wird jemand erscheinen? Muß ich schon
    Trauernd das Haar abscheren und
    Schwarzes Gewand anlegen?

Erster Halbchor:
    Klar und deutlich ist's, Beste, dennoch laßt
    Uns flehn zum Himmel, dessen Macht groß ist, und ihm vertrauen!

Ganzer Chor:
    O Fürst Paian,
    Erfind ein Mittel gegen Admets Ungemach!
    Gewähr, gewähr es! Hast du doch schon einmal
    Abwehr gefunden!
    Oh, werde Erlöser der Todesnot,
    Und vertreibe den Mörder Hades!

Gegenstrophe

Erster Halbchor:
    O Gott! weh! o Gott! weh! io, io!
    O Pheres-Sohn, was fängst du an, wenn du dein Gemahl verlierst?!

Zweiter Halbchor:
    Ja, wert der Erdolchung ist das Leid!
    Schrecklich genug, den Hals zum luft-
    Schwebenden Strick zu strecken!

Erster Halbchor:
    Deinen lieben, nein, einzig liebsten Schatz,
    Die Gattin sollst du heute noch sehen im Tod erbleichen!

Ganzer Chor:
    O sieh, o sieh!
    Hier wankt sie samt dem Gatten aus dem Haus hervor!
    O schreie laut, o schluchze laut, pheraiisch
    Land, weil zum Hades
    Die edelste Frau, in das finstre Grab
    In verzehrender Krankheit schwindet!
    Daß der ehliche Stand mehr Freude denn Leid
    Bringt, glaube ich nie;
    Aus frührer Erfahrung schließ ich es klar
    Und sehe ja hier des Gebieters Geschick,
    Der nach dem Verlust seines trefflichen Weibs
    In der übrigen Zeit
    Ein zerstöretes Dasein fristet!

(Alkestis, von Dienerinnen gestützt, samt Admetos und den Kindern tritt auf)

Erste Strophe

Alkestis:
    Leuchtende Sonne und Tagesglanz!
    Eilende Wolken, die hoch in den Lüften kreisen!

Admetos:
    Sie sehn uns beide, zwei unglücklich Leidende,
    Die nichts verschuldet, welches deinen Tod verdient!

Erste Gegenstrophe

Alkestis:
    Erde und trauter Behausung Dach!
    Bräutliche Kammer auf iolkischem Heimatboden!

Admetos:
    Erhebe dich, unglücklich Kind, verlaß mich nicht,
    Und fleh die mächtgen Götter um Erbarmen an!

Zweite Strophe

Alkestis:
    Ich seh das doppelberudert Boot. Der Entschlafnen Fährmann,
    Die Hand gelegt ans Steuer, Charon, ruft mir schon: "Was säumst du?
    Mach vorwärts! Denn die Zeit drängt, und du säumst uns!
    Fertig ist alles! Eile!"

Admetos:
O weh! Wie schmerzlich ist die Schiffahrt, die du hier
Beschreibst! O Unglückselge, welch ein Leidensstand!

Zweite Gegenstrophe

Alkestis:
    Es führt mich einer – oh, siehst du's nicht? – in die Totenhalle!
    Aus schwarzen Brauen blickt er vor, beschwingt! Der düstre Hades!
    O laß! Welch einen Weg wandel ich Unglück-
    Selige?! Ha! Was willst du?!

Admetos:
Ein Jammerpfad den Deinen, und vor allen mir
Und deinen Kindern, welche mit mir trauern hier.

Epode

Alkestis:
    Lasset, o laßt mich los!
    Setzt mich! Denn mir wanken die Füße, der Tod naht!
    Und die finstre Nacht legt sich auf die Augen!
    O Kinder, dahin, eure Mutter ist nicht mehr!
    Lebt wohl! Genießt dies Licht vergnügt, o Kinder!

Admetos:
    Weh mir! Ich vernehm ein trauriges Wort,
    Ein schlimmeres Wort als jeglicher Tod!
    Bei den Göttern, o nein! o verlaß mich nicht!
    Bei den Kindern, die dein Scheiden verwaist!
    Auf! und ermanne dich!
    Denn scheidest du hin, so vernichtest du mich.
    In dir nur leb ich und sterbe mit dir!
    Dich einzig lieb und verehr ich!

Alkestis:
Admet, den Zustand meiner Sache siehst du hier.
Vernimm denn, eh ich sterbe, meinen Willen jetzt.
Für dich mich opfernd, meine Seel um deine Seel
Einsetzend, um dein Weilen hier im Sonnenlicht,
Verscheid ich; und ich braucht um dich zu sterben nicht,
Konnt aus Thessalien wen ich wollte ehlichen
Und thronen hier im reichen stolzen Fürstenhaus.
Allein von dir geschieden leben wollt ich nicht
Mit Waisenkindern, schonte meiner Jugend nicht
Und hatte zum Genießen manches Hübsche doch!
Dich gab die eigne Mutter doch, der Vater preis,
Sie, denen's wohlstand, wegzuscheiden aus der Welt,
Wohlstand, den Sohn zu retten durch ruhmwürdgen Tod.
Ihr einzig Kind ja bist du, Aussicht, andere
Nach deinem Tod zu zeugen, gibt es keine mehr.
Du weintest dann als gattinloser Witwer nicht
Mit mutterlosen Kindern. Doch das hat ein Gott
So eingerichtet und gefügt: es soll so sein!
Sei's denn! Doch du gedenke mir's, vergilt es nun!
Ich verlange niemals eine Gabe gleichen Werts –
Dem Leben kommt ja ohnehin nichts gleich im Wert –,
Nur Billiges, wie du selbst gestehn wirst! Sieh, du liebst
So gut wie ich die Kinder, wenn du richtig fühlst:
So duld und laß sie Herren sein in meinem Haus,
Heirate zur Stiefmutter diesen Kindern nicht
Ein andres Weib, das, minder gut als ich, aus Neid
An mein und deine Kinder frech die Hände legt.
Nur dieses, dieses tu mir nicht, drum bitt ich dich.
Stiefmütter zweiter Ehe sind den Kindern gram
Der ersten Frau wie Schlangen, Nattern voller Gift.
Nun hat der Sohn am Vater zwar 'ne feste Burg;
Doch du, mein Kind, wie führst du hübsch dein Mädchentum,
Wenn deines Vaters Ehehälfte es böse meint?
Oh, daß sie nur nicht deinen Ruf beflecke, nicht
Dein Glück in deiner schönsten Blüte untergräbt!
Nicht deine Mutter wird dich je vermählen, Kind,
In Kindesnöten dir zur Seite stehen, dir
Mut geben, wo die Mutterlieb am holdsten ist.
Ich muß ja sterben; dieses Schicksal stellt sich auch
Nicht etwa morgen oder übermorgen ein:
Die nächste Stunde stellt mich zu den Entschwundenen.
So lebt denn wohl! Seid glücklich! Dir, mein Gatte, bleibt
Der Ruhm, das beste Weib gehabt zu haben, und
Euch, Kindern, herzustammen von der besten Frau.

Chor:
Getrost! Ich sag es ohne Scheu an seiner Statt!
Er wird's erfüllen, wenn er nicht von Sinnen ist.

Admetos:
Es soll, es soll geschehen. Bange nicht! Denn du
Sollst einzig meine Gattin, wie im Leben, so
Im Tode heißen. Kein Thessaliermädchen soll
Je diesen Mann den ihren nennen so wie du;
So hochgeboren edlen Stamms ist keine, noch
So ausgezeichnet an Gestalt und reizend schön!
Und Kinder hab ich. Mögen sie zur Freude mir
Gedeihn, so bet ich, deiner werd ich nimmer froh!
Und nicht ein Jahr nur trag ich Leid um dich. O nein!
Solang mein Dasein währet, trauer ich, teures Weib,
Den Vater hassend, sie verachtend, welche mich
Gebar. Sie liebten mit dem Mund, nicht mit der Tat!
Du aber gabst dein Liebstes um mein Leben hin,
Um mich zu retten. Hab ich nicht zum Weinen Grund,
Solch einer Ehgenossin mich beraubt zu sehn?
Und Lustgelag und Zechgesellschaft werd ich fliehn,
Gesäng und Kränze, die mein Haus erfüllten sonst.
Ich werde keine Harfe mehr anrühren je
Noch auch zum Schall der Libyerflöte je mein Herz
Erheben: alle Lebensfreude stirbt mit dir!
Von eines Künstlers Meisterhand geformet, soll
Dein Bild auf meinem Lager ausgebreitet sein.
An dessen Brust gesunken, dies umarmend, dich
Beim Namen rufend, werd ich mir, mein teures Weib
Im Arm zu halten, dünken, ist's auch eitler Wahn!
Wohl freilich frostige Labung nur; doch wird sie mir
Des Herzens Last erleichtern! Auch in Träumen wirst
Du mir zum Trost erscheinen. Süß ist auch im Schlaf
Geliebter Wiedersehen, wenn sie immer nahn!
Besäß ich Orpheus' Stimm und Sprach und Lieder, um,
Demeters Tochter oder ihren Gatten durch
Gesang bezaubernd, dich zu holen aus der Höll,
Ich stieg hinunter! Weder Plutons Köter noch
Am Steuer der Seelenführer Charon hemmten mich,
Bevor ich wiederbrächte dich zum Lebenslicht!
Nun harre meiner dorten, wenn ich einst verscheid,
Und mache Wohnung, um vereint mit mir zu sein.
In einem Zedernsarge sollen diese mich
Mit dir bestatten, Seit an Seite ausgestreckt:
So will ich ruhen, auch im Tode nimmermehr
Von dir getrennt sein, die mir einzig treu verblieb!

Chor:
Und deine Trauer will ich, wie ein Freund dem Freund,
Um sie dir tragen helfen; denn sie ist es wert.

Alkestis:
Ihr, meine Kinder, habt es selbst vernommen hier,
Das Wort des Vaters, daß er nie ein andres Weib
Nach mir noch freien, meiner nie vergessen will!

Admetos:
Und abermals gelob ich dies und halt es auch!

Alkestis:
Darauf empfang die Kinder hier aus meiner Hand.

Admetos:
Ein teures Pfand empfang ich aus der teuren Hand!

Alkestis:
Sei du nun ihre Mutter, sei's an meiner Statt!

Admetos:
Das muß ich, da sie dich verlieren, werd ich tun!

Alkestis:
O Kinder, nun ich leben sollte, muß ich fort!

Admetos:
Weh mir, von dir verlassen, ach! was fang ich an?

Alkestis:
Die Zeit hat Balsam: ein Verstorbner ist ein Nichts.

Admetos:
O nimm mich mit dir! bei den Göttern! nimm mich mit!

Alkestis:
Es ist genug an meinem Opfertod für dich.

Admetos:
Grausames Schicksal! Welche Gattin raubst du mir!

Alkestis:
Auch dunkelt schon mein Augenlicht, es bricht bereits!

Admetos:
So wär ich denn verloren, wenn du scheidest, Kind!

Alkestis:
Ich bin dahin, verschwunden! Nenne mich ein Nichts!

Admetos:
Erheb dein Antlitz! Geh von deinen Kindern nicht!

Alkestis:
Wie gerne blieb ich! Liebe Kinder, lebt denn wohl!

Admetos:
Nur einen Blick noch, einen schenk uns!

Alkestis:                                                     Hin! Dahin!

Admetos:
Du gehst? Verläßt uns?

Alkestis:                           Lebe wohl!

Admetos:                                             Verlorner Mann!
(Sie sinkt nieder)

Chor:
Verschieden, hingeschwunden ist Admets Gemahl!

Strophe

Eumelos:
    Ach weh, meine Not! Fort, hinab ist nun
    Mama, sie weilt, o Vater, nicht unter der Sonne mehr!
    Hat mich verlassen grausam und mein Dasein verwaist!
    Sieh den gebrochnen Blick und die erstarrte Hand!
    Oh, erhöre mich, Mutter, hör, Mutter, ach, ich flehe!
    Ich bin's, Mutter, der dich ruft, ich, dein Kind,
    An dein Angesicht geschmiegt hier, dein Jünglein!

Admetos:
Sie hört dich nicht mehr, sieht dich nicht mehr: ich und ihr
Sind hart geschlagen durch ein schweres Mißgeschick!

Gegenstrophe

Eumelos:
    So jung und allein stehend, Vater, läßt
    Mich hier die traute Mutter. Oh! mein Zustand ist arg!
    Schrecklich ist mein Zustand, und, o Schwesterchen, deiner auch,
    Und du trägst mit uns, Vater, denselben Schmerz!
    Du verlierest der Ehe Glück, wandelst nicht an ihrer
    Seit' an des Alters Ziel. Denn sie verschied zu früh!
    Dein Hinscheiden macht das Haus stürzen, Mutter!

Chor:
Dies Los, Admet, zu tragen ist Notwendigkeit.
Du bist der erste nicht und nicht der letzte, der
Ein braves Weib verloren hat. Bedenke denn,
Daß uns zu sterben allzumal beschieden ist.

Admetos:
Ich weiß es, und nicht plötzlich hat mich dieses Leid
Befallen; lange wußt ich's schon und härmte mich.
So ordn ich denn der teuren Leiche Grabesgang.
Bleibt zum Geleit und laßt ein Lied zum Gruße dann
Erschallen drunten jenem unfriedfertigen Gott.
All meinen Untertanen in Thessalien
Gebiet ich allgemeine Trauer um diese Frau
Durch kahle Haarschur und durch schwarze Kleidertracht.
Wer Viergespanne schirret, Einzelrosse zäumt,
Der soll der Renner Mähnen stutzen mit dem Stahl!
Kein Schall von Flöten oder Lauten töne mehr
Im Land, bis zwölfmal sich des Mondes Scheibe füllt.
Denn keinen lieberen Toten, keinen, der mich mehr
Geliebt, bestatt ich fürder. Wert der Ehren ist
Sie, die den Tod für mich allein erlitten hat!

(Die Leiche wird in das Haus getragen, Admet samt den Kindern folgen ihr)

Erste Strophe

Chor:
    Pelias' Tochter, so fahr wohl!
    Auch im Reiche des Hades lebe
    Noch vergnügt, in dem sonnenlosen Hause!
    Wisse es Hades, der dunkellockige Gott, und der Alte,
    Welcher das Ruder am Griff hält, der Seelenfährmann,
    Daß das trefflichste, weit das beste Weib durch
    Den Acheron-See zur Ruhe sein pflügendes Ruder hinführt!

Erste Gegenstrophe

    Dichter und Sänger mit sieben-
    Saitiger ländlicher Laute preisen
    Dich hinfort und in ungesungnen Hymnen,
    Zu Sparta, sooft im Karneen-Monat die jährliche Festzeit
    Kehrt und am Himmel der Vollmond die Nacht durch leuchtet,
    Und im herrlichen selgen Volk Athenens.
    So trefflichen Stoff dem Dichtersang hast du zurückgelassen!

Zweite Strophe

    Stünd es in meiner Macht, und
    Könnt ich wieder ans Licht dich
    Vom Gewölbe des Hades holen,
    Über des Stroms Höllenfluten schiffend!
    Denn du einzige, teure Frau
    Warst so mutig, den Gatten
    Vom Tod zu erlösen, einzusetzen
    Dein Leben um seins! Sanft mög auf dir
    Ruhen die Erde, du Treffliche! Sollte der
    Gatt' eine andere Braut sich erkiesen, so würd er mir sehr
    Verhaßt sein und deinen Kindern.

Zweite Gegenstrophe

    Als sich die Mutter weigert',
    Für ihr Kind sich zu legen
    In das Grab, und der greise Vater,
    Den sie gezeugt, nicht erretten mochten,
    Die Unselgen in grauem Haar,
    So bist du in der Blüte
    Der Jugend den Opfertod gestorben!
    Ja! Solch ein Ehweib wünscht ich mir!
    Liebende Lebensgefährtin! Sie ist eine
    Seltne Erscheinung im Leben! Es sollte an meiner Seit ihr
    Dasein ungetrübt verfließen!

(Herakles tritt auf)

Herakles:
Ihr Freunde, Gaugenossen im Pheraierland,
Sagt, treff ich wohl Admeten hier in seinem Haus?

Chor(führer):
Der Sohn des Pheres weilt im Hause, Herakles.
Doch welcher Zweck wohl führt dich zur Thessalierstadt
Und treibt dich, aufzusuchen dies pheraiisch Land?

Herakles:
Tirynths Eurystheus sendet mich auf Abenteur.

Chor:
Und welcher Kampf ist auferlegt? Wo ziehst du hin?

Herakles:
Nach Diomeds, des Thrakerfürsten, Viergespann.

Chor:
Wie kannst du's leisten? Kennst du wohl den Fremden nicht?

Herakles:
Mitnichten! Nie noch kam ich ins Bistonenland.

Chor:
Du wirst der Rosse Meister nur durch schweren Kampf.

Herakles:
Nun, Kämpfen auszuweichen ist nicht meine Art.

Chor:
Du mußt ihn töten oder sterben auf dem Platz.

Herakles:
Das wäre nicht mein erster Wettkampf dieser Art!

Chor:
Und was gewinnst du, wenn der Herrscher unterliegt?

Herakles:
Die Ross' als Beute für den König von Tirynth.

Chor:
Den Zaum zu legen ins Gebiß ist nicht so leicht.

Herakles:
Nun, wenn sie nur nicht aus den Nüstern Feuer sprühn!

Chor:
Doch Menschen malmt ihr Kiefer mit geschwindem Biß.

Herakles:
Das ist ja wilder Tiere Fraß, nicht Pferdeart!

Chor:
Du kannst mit Blut besudelt ihre Krippen sehn.

Herakles:
Als welchen Vaters Sprößling rühmt sich, der sie hält?

Chor:
Des Ares, Fürst des goldbeschlagnen Thrakerschilds.

Herakles:
In meinem Schicksal lag auch dieses Abenteur,
Das rauh auf jedem Schritte führt die steilste Bahn!
So muß ich mich mit Söhnen, vom Kriegsgott gezeugt,
Im Kampfe messen, mit Lykaons Kraft zuerst,
Mit Kyknos zweitens. Dieses ist der dritte Strauß,
In den ich zieh, um anzugreifen Ross' und Herrn.
Allein den Sohn Alkmenens soll man nimmermehr
Vor irgendeinem Feindesarme zittern sehn!

Chor:
Sieh, hier erscheint der Herrscher dieses Landes selbst,
Admetos, aus dem Hause schreitend eben jetzt.

Admetos:
Heil dir, o Zeussohn, der von Perseus' Blute stammt!

Herakles:
Und Heil auch dir, Admetos, Fürst Thessaliens!

Admetos:
Das wünscht ich! Doch an deiner Liebe zweifl ich nicht.

Herakles:
Warum erblickt man diese Trauerschur an dir?

Admetos:
Bestatten will ich eine Leiche eben heut.

Herakles:
Bewahre Gott die Kinder dir vor Ungemach!

Admetos:
Die Kinder, meiner Ehe Segen, leben noch.

Herakles:
Dein Vater freilich, wenn er schied, war reif zum Grab.

Admetos:
Auch er noch samt der Mutter lebt, mein Herakles.

Herakles:
Ist etwa gar Alkestis, deine Gattin, tot?

Admetos:
Von ihrem Zustand läßt sich sagen zweierlei.

Herakles:
Zustand der Toten meinst du oder Lebenden?

Admetos:
Sie ist und ist nicht. Gram empfind ich über sie!

Herakles:
Nun weiß ich's um nichts besser, weil du Rätsel sprichst.

Admetos:
Du weißt ja, welche Schickung ihrer wartet längst.

Herakles:
Ich weiß: dem Tod statt deiner unterzieht sie sich.

Admetos:
Und folglich, wenn sie das gelobt, ist's aus mit ihr!

Herakles:
Nur nicht im voraus weinen! Laß es kommen erst!

Admetos:
Wer starb, ist nicht mehr, und wer sterben muß, ist tot.

Herakles:
Doch Sein und Nichtsein gilt ja nicht als einerlei.

Admetos:
Du siehst es so, ich anders an, mein Herakles.

Herakles:
So sprich, was weinst du? Welcher Angehörige starb?

Admetos:
Ein Weib! Vom Weibe tat ich Meldung eben auch!

Herakles:
Ein fremdes? oder anverwandtes deinem Haus?

Admetos:
Ein fremdes, doch dem Hause eng verbundenes.

Herakles:
Wie kam es, daß sie hier in deinem Haus verschied?

Admetos:
Sie blieb nach ihres Vaters Tod als Waise hier.

Herakles:
O weh!
Ich wollt, Admet, ich träf dich nicht in Trauer an.

Admetos:
Wohin, o Freund, zielt dieses Wort? Was willst du tun?

Herakles:
Zu eines andren Freundes Herd hin will ich ziehn.

Admetos:
Mimichten, Fürst! Vor solchem Leid bewahre mich!

Herakles:
Ein Gast ist lästig bei der Trauer, wenn er kommt.

Admetos:
Der Tote bleibt tot: also tritt nur immer ein!

Herakles:
Bei Freunden, welche trauern, schmausen schickt sich nicht.

Admetos:
Gaststuben, die gesondert liegen, geb ich dir.

Herakles:
Entlaß mich, und ich weiß dir tausendfachen Dank!

Admetos:
Du darfst bei keinem andren Herd einkehren je!
(Zu einem Diener)
Du führ den Gast hier, schließ die außenliegenden
Gaststuben auf, heiß denen, deren Dienst es ist,
Für Speisenfülle sorgen, und dann schließet ab
Die Mitteltür des Ganges. Gäste dürfen nicht
Beim Schmaus das Weinen hören, nicht gestöret sein!

(Herakles geht mit dem Diener ab)

Chor:
Was tust du? Während solch ein Unfall dich betrübt,
Admet, empfängst du Gäste? Töricht bist du doch?!

Admetos:
Und hätt ich abgewiesen ihn von Haus und Stadt,
Den müden Gastfreund, fändst du dies wohl löblicher?
O nein, mein Unfall würde dadurch keineswegs
Gemindert sein, ich aber hieß ungastlicher
Und fügte so zum Übel noch ein Übel, daß
Unhold den Fremden hieße mein sonst gastlich Haus.
Zudem ist dieser Mann mir stets der beste Wirt,
Wenn je mein Fuß das dürre Argosland betritt.

Chor:
Wozu denn aber dein Geschick verheimlichen,
Wenn dieser Mann dein Freund ist, wie du selber sagst?

Admetos:
Er wäre schwerlich eingetreten in mein Haus,
Sofern ihm etwas ahnte nur von meinem Leid.
Und manchem mag mein Handeln töricht scheinen wohl,
Und nicht zu loben; aber meines Hauses Art
Ist's nicht, verschmähend abzuweisen einen Gast.
(Ab in das Haus)


 << zurück weiter >>