E.T.A. Hoffmann
Rat Krespel
E.T.A. Hoffmann

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Es kam alles anders, wie ich es mir gedacht hatte; denn kaum hatte ich den Rat zwei- bis dreimal gesehen und mit ihm eifrig über die beste Struktur der Geigen gesprochen, als er mich selbst einlud, ihn in seinem Hause zu besuchen. Ich tat es, und er zeigte mir den Reichtum seiner Violinen. Es hingen deren wohl dreißig in einem Kabinett, unter ihnen zeichnete sich eine durch alle Spuren der hohen Altertümlichkeit (geschnitzten Löwenkopf usw.) aus, und sie schien, höher gehängt und mit einer darüber angebrachten Blumenkrone, als Königin den andern zu gebieten. »Diese Violine«, sprach Krespel, nachdem ich ihn darum befragt, »diese Violine ist ein sehr merkwürdiges, wunderbares Stück eines unbekannten Meisters, wahrscheinlich aus Tartinis Zeiten. Ganz überzeugt bin ich, daß in der innern Struktur etwas Besonderes liegt und daß, wenn ich sie zerlegte, sich mir ein Geheimnis erschließen würde, dem ich längst nachspürte, aber – lachen Sie mich nur aus, wenn Sie wollen – dies tote Ding, dem ich selbst doch nur erst Leben und Laut gebe, spricht oft aus sich selbst zu mir auf wunderliche Weise, und es war mir, da ich zum ersten Male darauf spielte, als wär' ich nur der Magnetiseur, der die Somnambule zu erregen vermag, daß sie selbsttätig ihre innere Anschauung in Worten verkündet. – Glauben Sie ja nicht, daß ich geckhaft genug bin, von solchen Phantastereien auch nur das mindeste zu halten, aber eigen ist es doch, daß ich es nie über mich erhielt, jenes dumme tote Ding dort aufzuschneiden. Lieb ist es mir jetzt, daß ich es nicht getan, denn seitdem Antonie hier ist, spiele ich ihr zuweilen etwas auf dieser Geige vor. Antonie hört es gern – gar gern.« Die Worte sprach der Rat mit sichtlicher Rührung, das ermutigte mich zu den Worten: »O mein bester Herr Rat, wollten Sie das nicht in meiner Gegenwart tun?« Krespel schnitt aber sein süßsaures Gesicht und sprach mit gedehntem singenden Ton: »Nein, mein bester Herr Studiosus!« Damit war die Sache abgetan. Nun mußte ich noch mit ihm allerlei, zum Teil kindische Raritäten besehen; endlich griff er in ein Kistchen und holte ein zusammengelegtes Papier heraus, das er mir in die Hand drückte, sehr feierlich sprechend: »Sie sind ein Freund der Kunst, nehmen Sie dies Geschenk als ein teures Andenken, das Ihnen ewig über alles wert bleiben muß.« Dabei schob er mich bei beiden Schultern sehr sanft nach der Tür zu und umarmte mich an der Schwelle. Eigentlich wurde ich doch von ihm auf symbolische Weise zur Tür hinausgeworfen. Als ich das Papierchen aufmachte, fand ich ein ungefähr ein Achtelzoll langes Stückchen einer Quinte und dabei geschrieben: »Von der Quinte, womit der selige Stamitz seine Geige bezogen hatte, als er sein letztes Konzert spielte.« – Die schnöde Abfertigung, als ich Antoniens erwähnte, schien mir zu beweisen, daß ich sie wohl nie zu sehen bekommen würde; dem war aber nicht so, denn als ich den Rat zum zweiten Male besuchte, fand ich Antonien in seinem Zimmer, ihm helfend bei dem Zusammensetzen einer Geige. Antoniens Äußeres machte auf den ersten Anblick keinen starken Eindruck, aber bald konnte man nicht loskommen von dem blauen Auge und den holden Rosenlippen der ungemein zarten lieblichen Gestalt. Sie war sehr blaß, aber wurde etwas Geistreiches und Heiteres gesagt, so flog in süßem Lächeln ein feuriges Inkarnat über die Wangen hin, das jedoch bald im rötlichen Schimmer erblaßte. Ganz unbefangen sprach ich mit Antonien und bemerkte durchaus nichts von den Argusblicken Krespels, wie sie der Professor ihm angedichtet hatte, vielmehr blieb er ganz in gewöhnlichem Geleise, ja, er schien sogar meiner Unterhaltung mit Antonien Beifall zu geben. So geschah es, daß ich öfter den Rat besuchte und wechselseitiges Aneinandergewöhnen dem kleinen Kreise von uns dreien eine wunderbare Wohlbehaglichkeit gab, die uns bis ins Innerste hinein erfreute. Der Rat blieb mit seinen höchst seltsamen Skurrilitäten mir höchst ergötzlich; aber doch war es wohl nur Antonie, die mit unwiderstehlichem Zauber mich hinzog und mich manches ertragen ließ, dem ich sonst, ungeduldig, wie ich damals war, entronnen. In das Eigentümliche, Seltsame des Rates mischte sich nämlich gar zu oft Abgeschmacktes und Langweiliges, vorzüglich zuwider war es mir aber, daß er, sobald ich das Gespräch auf Musik, inbesondere auf Gesang lenkte, mit seinem diabolisch lächelnden Gesicht und seinem widrig singenden Tone einfiel, etwas Heterogenes, mehrenteils Gemeines, auf die Bahn bringend. An der tiefen Betrübnis, die dann aus Antoniens Blicken sprach, merkte ich wohl, daß es nur geschah, um irgendeine Aufforderung zum Gesange mir abzuschneiden. Ich ließ nicht nach. Mit den Hindernissen, die mir der Rat entgegenstellte, wuchs mein Mut, sie zu übersteigen, ich mußte Antoniens Gesang hören, um nicht in Träumen und Ahnungen dieses Gesanges zu verschwimmen. Eines Abends war Krespel bei besonders guter Laune; er hatte eine alte Cremoneser Geige zerlegt und gefunden, daß der Stimmstock um eine halbe Linie schräger als sonst gestellt war. Wichtige, die Praxis bereichernde Erfahrung! – Es gelang mir, ihn über die wahre Art des Violinenspielens in Feuer zu setzen. Der großen wahrhaftigen Sängern abgehorchte Vortrag der alten Meister, von dem Krespel sprach, führte von selbst die Bemerkung herbei, daß jetzt gerade umgekehrt der Gesang sich nach den erkünstelten Sprüngen und Läufen der Instrumentalisten verbilde. »Was ist unsinniger«, rief ich, vom Stuhle aufspringend, hin zum Pianoforte laufend und es schnell öffnend, »was ist unsinniger als solche vertrackte Manieren, welche, statt Musik zu sein, dem Tone über den Boden hingeschütteter Erbsen gleichen.« Ich sang manche der modernen Fermaten, die hin und her laufen und schnurren wie ein tüchtig losgeschnürter Kreisel, einzelne schlechte Akkorde dazu anschlagend. Übermäßig lachte Krespel und schrie: »Haha! mich dünkt, ich höre unsere deutschen Italiener oder unsere italienischen Deutschen, wie sie sich in einer Arie von Pucitta oder Portogallo oder sonst einem Maestro di Capella oder vielmehr Schiavo d'un primo uomo übernehmen.« – »Nun«, dachte ich, »ist der Zeitpunkt da.« »Nicht wahr«, wandte ich mich zu Antonien, »nicht wahr, von dieser Singerei weiß Antonie nichts?« und zugleich intonierte ich ein herrliches seelenvolles Lied vom alten Leonardo Leo. Da glühten Antoniens Wangen, Himmelsglanz blitzte aus den neubeseelten Augen, sie sprang an das Pianoforte – sie öffnete die Lippen – Aber in demselben Augenblick drängte sie Krespel fort, ergriff mich bei den Schultern und schrie im kreischenden Tenor – »Söhnchen – Söhnchen – Söhnchen.« – Und gleich fuhr er fort, sehr leise singend und in höflich gebeugter Stellung meine Hand ergreifend: »In der Tat, mein höchst verehrungswürdiger Herr Studiosus, in der Tat, gegen alle Lebensart, gegen alle guten Sitten würde es anstoßen, wenn ich laut und lebhaft den Wunsch äußerte, daß Ihnen hier auf der Stelle gleich der höllische Satan mit glühenden Krallenfäusten sanft das Genick abstieße und Sie auf die Weise gewissermaßen kurz expedierte; aber davon abgesehen, müssen Sie eingestehen, Liebwertester, daß es bedeutend dunkelt, und da heute keine Laterne brennt, könnten Sie, würfe ich Sie auch gerade nicht die Treppe herab, doch Schaden leiden an Ihren lieben Gebeinen. Gehen Sie fein zu Hause und erinnern Sie sich freundschaftlichst Ihres wahren Freundes, wenn Sie ihn etwa nie mehr – verstehen Sie wohl? – nie mehr zu Hause antreffen sollten!« – Damit umarmte er mich und drehte sich, mich festhaltend, langsam mit mir zur Türe heraus, so daß ich Antonien mit keinem Blick mehr anschauen konnte. – Ihr gesteht, daß es in meiner Lage nicht möglich war, den Rat zu prügeln, welches doch eigentlich hätte geschehen müssen. Der Professor lachte mich sehr aus und versicherte, daß ich es nun mit dem Rat auf immer verdorben hätte. Den schmachtenden, ans Fenster heraufblickenden Amoroso, den verliebten Abenteurer zu machen, dazu war Antonie mir zu wert, ich möchte sagen, zu heilig. Im Innersten zerrissen, verließ ich H–, aber wie es zu gehen pflegt, die grellen Farben des Phantasiegebildes verblaßten, und Antonie – ja selbst Antoniens Gesang, den ich nie gehört, leuchtete oft in mein tiefstes Gemüt hinein, wie ein sanfter, tröstender Rosenschimmer.

Nach zwei Jahren war ich schon in B** angestellt, als ich eine Reise nach dem südlichen Deutschland unternahm. Im duftigen Abendrot erhoben sich die Türme von H–; sowie ich näher und näher kam, ergriff mich in unbeschreibliches Gefühl der peinlichsten Angst; wie eine schwere Last hatte es sich über meine Brust gelegt, ich konnte nicht atmen; ich mußte heraus aus dem Wagen ins Freie. Aber bis zum physischen Schmerz steigerte sich meine Beklemmung. Mir war es bald, als hörte ich die Akkorde eines feierlichen Chorals durch die Lüfte schweben – die Töne wurden deutlicher, ich unterschied Männerstimmen, die einen geistlichen Choral absangen. – »Was ist das? – was ist das?« rief ich, indem es wie ein glühender Dolch durch meine Brust fuhr! – »Sehen Sie denn nicht«, erwiderte der neben mir fahrende Postillon, »sehen Sie es denn nicht? da drüben auf dem Kirchhof begraben sie einen!« In der Tat befanden wir uns in der Nähe des Kirchhofs, und ich sah einen Kreis schwarzgekleideter Menschen um ein Grab stehen, das man zuzuschütten im Begriff stand. Die Tränen stürzten mir aus den Augen, es war, als begrübe man dort alle Lust, alle Freude des Lebens. Rasch vorwärts von dem Hügel herabgeschritten, konnte ich nicht mehr in den Kirchhof hineinsehen, der Choral schwieg, und ich bemerkte unfern des Tores schwarzgekleidete Menschen, die von dem Begräbnis zurückkamen. Der Professor mit seiner Nichte am Arm, beide in tiefer Trauer, schritten dicht bei mir vorüber, ohne mich zu bemerken. Die Nichte hatte das Tuch vor die Augen gedrückt und schluchzte heftig. Es war mir unmöglich, in die Stadt hineinzugehen, ich schickte meinen Bedienten mit dem Wagen nach dem gewohnten Gasthofe und lief in die mir wohlbekannte Gegend heraus, um so eine Stimmung loszuwerden, die vielleicht nur physische Ursachen, Erhitzung auf der Reise usw. haben konnte. Als ich in die Allee kam, welche nach einem Lustorte führt, ging vor mir das sonderbarste Schauspiel auf. Rat Krespel wurde von zwei Trauermännern geführt, denen er durch allerlei seltsame Sprünge entrinnen zu wollen schien. Er war, wie gewöhnlich, in seinen wunderlichen grauen, selbst zugeschnittenen Rock gekleidet, nur hing von dem kleinen dreieckigen Hütchen, das er martialisch auf ein Ohr gedrückt, ein sehr langer schmaler Trauerflor herab, der in der Luft hin und her flatterte. Um den Leib hatte er ein schwarzes Degengehenk geschnallt, doch statt des Degens einen langen Violinbogen hineingesteckt. Eiskalt fuhr es mir durch die Glieder; »der ist wahnsinning«, dacht' ich, indem ich langsam folgte. Die Männer führten den Rat bis an sein Haus, da umarmte er sie mit lautem Lachen. Sie verließen ihn, und nun fiel sein Blick auf mich, der dicht neben ihm stand. Er sah mich lange starr an, dann rief er dumpf: »Willkommen, Herr Studiosus! – Sie verstehen es ja auch« – damit packte er mich beim Arm und riß mich fort in das Haus – die Treppe herauf in das Zimmer hinein, wo die Violinen hingen. Alle waren mit schwarzem Flor umhüllt; die Violine des alten Meisters fehlte, an ihrem Platze hing ein Zypressenkranz. – Ich wußte, was geschehen – »Antonie! ach Antonie« schrie ich auf in trostlosem Jammer. Der Rat stand wie erstarrt mit übereinandergeschlagenen Armen neben mir. Ich zeigte nach dem Zypressenkranz. »Als sie starb«, sprach der Rat sehr dumpf und feierlich, »als sie starb, zerbrach mit dröhnendem Krachen der Stimmstock in jener Geige, und der Resonanzboden riß sich auseinander. Die Getreue konnte nur mit ihr, in ihr leben; sie liegt bei ihr im Sarge, sie ist mit ihr begraben worden.« – Tief erschüttert sank ich in einen Stuhl, aber der Rat fing an, mit rauhem Ton ein lustig Lied zu singen, und es war recht graulich anzusehen, wie er auf einem Fuße dazu herumsprang, und der Flor (er hatte den Hut auf dem Kopfe) im Zimmer und an den aufgehängten Violinen herumstrich; ja, ich konnte mich eines überlauten Schreies nicht erwehren, als der Flor bei einer raschen Wendung des Rates über mich herfuhr; es war mir, als wollte er mich verhüllt herabziehen in den schwarzen entsetzlichen Abgrund des Wahnsinns. Da stand der Rat plötzlich stille und sprach in seinem singenden Ton: »Söhnchen? – Söhnchen? – warum schreist du so? hast du den Totenengel geschaut? – das geht allemal der Zeremonie vorher!« – Nun trat er in die Mitte des Zimmers, riß den Violinbogen aus dem Gehenke, hielt ihn mit beiden Händen über den Kopf und zerbrach ihn, daß der in viele Stücke zersplitterte. Laut lachend rief Krespel: »Nun ist der Stab über mich gebrochen, meinst du, Söhnchen? nicht wahr? Mitnichten, mitnichten, nun bin ich frei – frei – frei – Heisa frei! – Nun bau ich keine Geigen mehr – keine Geigen mehr – heisa keine Geigen mehr.« Das sang der Rat nach einer schauerlich lustigen Melodie, indem er wieder auf einem Fuße herumsprang. Voll Grauen wollte ich schnell zur Türe heraus, aber der Rat hielt mich fest, indem er sehr gelassen sprach: »Bleiben Sie, Herr Studiosus, halten Sie diese Ausbrüche des Schmerzes, der mich mit Todesmartern zerreißt, nicht für Wahnsinn, aber es geschieht nur alles deshalb, weil ich mir vor einiger Zeit einen Schlafrock anfertigte, in dem ich aussehen wollte wie das Schicksal oder wie Gott!« – Der Rat schwatzte tolles grauliches Zeug durcheinander, bis er ganz erschöpft zusammensank; auf mein Rufen kam die alte Haushälterin herbei, und ich war froh, als ich mich nur wieder im Freien befand. – Nicht einen Augenblick zweifelte ich daran, daß Krespel wahnsinnig geworden, der Professor behauptete jedoch das Gegenteil. »Es gibt Menschen«, sprach er, »denen die Natur oder ein besonderes Verhängnis die Decke wegzog, unter der wir andern unser tolles Wesen unbemerkter treiben. Sie gleichen dünngehäuteten Insekten, die im regen, sichtbaren Muskelspiel mißgestaltet erscheinen, ungeachtet sich alles bald wieder in die gehörige Form fügt. Was bei uns Gedanke bleibt, wird dem Krespel alles zur Tat. – Den bittern Hohn, wie der in das irdische Tun und Treiben eingeschachtete Geist ihn wohl oft bei der Hand hat, führt Krespel aus in tollen Gebärden und geschickten Hasensprüngen. Das ist aber sein Blitzableiter. Was aus der Erde steigt, gibt er wieder der Erde, aber das Göttliche weiß er zu bewahren; und so steht es mit seinem innern Bewußtsein recht gut, glaub ich, unerachtet der scheinbaren, nach außen heraus springenden Tollheit. Antoniens plötzlicher Tod mag freilich schwer auf ihn lasten, aber ich wette, daß der Rat schon morgenden Tages seinen Eselstritt im gewöhnlichen Geleise weiter forttrabt.« – Beinahe geschah es so, wie der Professor es vorausgesagt. Der Rat schien andern Tages ganz der vorige, nur erklärte er, daß er niemals mehr Violinen bauen und auch auf keiner jemals mehr spielen wolle. Das hat er, wie ich später erfuhr, gehalten.

Des Professors Andeutungen bestärkten meine innere Überzeugung, daß das nähere, so sorgfältig verschwiegene Verhältnis Antoniens zum Rat, ja daß selbst ihr Tod eine schwer auf ihn lastende, nicht abzubüßende Schuld sein könne. Nicht wollte ich H– verlassen, ohne ihm das Verbrechen, welches ich ahnte, vorzuhalten; ich wollte ihn bis ins Innerste hinein erschüttern und so das offene Geständnis der gräßlichen Tat erzwingen. Je mehr ich der Sache nachdachte, desto klarer wurde es mir, daß Krespel ein Bösewicht sein müsse, und desto feuriger, eindringlicher wurde die Rede, die sich wie von selbst zu einem wahren rhetorischen Meisterstück formte. So gerüstet und ganz erhitzt, lief ich zu dem Rat. Ich fand ihn, wie er mit sehr ruhiger lächelnder Miene Spielsachen drechselte. »Wie kann nur«, fuhr ich auf ihn los, »wie kann nur auf einen Augenblick Frieden in Ihre Seele kommen, da der Gedanke an die gräßliche Tat Sie mit Schlangenbissen peinigen muß?« – Der Rat sah mich verwundert an, den Meißel beiseite legend. »Wieso, mein Bester?« fragte er – »setzen Sie sich doch gefälligst auf jenen Stuhl!« – Aber eifrig fuhr ich fort, indem ich, mich selbst immer mehr erhitzend, ihn geradezu anklage, Antonien ermordet zu haben, und ihm mit der Rache der ewigen Macht drohte. Ja als nicht längst eingeweihte Justizperson, erfüllt von meinem Beruf, ging ich so weit, ihn zu versichern, daß ich alles anwenden würde, der Sache auf die Spur zu kommen und so ihn dem weltlichen Richter schon hienieden in die Hände zu liefern. – Ich wurde in der Tat etwas verlegen, da nach dem Schlusse meiner gewaltigen pomphaften Rede der Rat, ohne ein Wort zu erwidern, mich sehr ruhig anblickte, als erwarte er, ich müsse noch weiter fortfahren. Das versuchte ich auch in der Tat, aber es kam nun alles so schief, ja, so albern heraus, daß ich gleich wieder schwieg. Krespel weidete sich an meiner Verlegenheit, ein boshaftes ironisches Lächeln flog über sein Gesicht. Dann wurde er aber sehr ernst, und sprach mit feierlichem Tone: »Junger Mensch! du magst mich für närrisch, für wahnsinnig halten, das verzeihe ich dir, da wir beide in dem selben Irrenhause eingesperrt sind und du mich darüber, daß ich Gott der Vater zu sein wähne, nur deshalb schiltst, weil du dich für Gott den Sohn hältst; wie magst du dich aber unterfangen, in ein Leben eindringen zu wollen, seine geheimsten Fäden erfassend, das dir fremd blieb und bleiben mußte? – Sie ist dahin und das Geheimnis gelöst!« – Krespel hielt inne, stand auf und schritt der Stube einig Male auf und ab. Ich wagte die Bitte um Aufklärung; er sah mich starr an, faßte mich bei der Hand und führte mich an das Fenster, beide Flügel öffnend. Mit aufgestützten Armen legte er sich hinaus, und so in den Garten herabblickend, erzählte er mir die Geschichte seines Lebens. – Als er geendet, verließ ich ihn gerührt und beschämt.


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