E.T.A. Hoffmann
Die Geheimnisse / Merkwürdige Korrespondenz des Autors mit verschiedenen Personen (1)
E.T.A. Hoffmann

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Erstes Blättlein

Auf diesem Blättlein stehen einige italienische Zeilen, die offenbar von derselben Hand geschrieben sind, die die erst erwähnten Verse aufgezeichnet hat, mithin der Besitzerin der Brieftasche angehören. Die Worte scheinen sich auf jenes wunderliche Ereignis in Schnüspelpolds Wohnung zu beziehen, das beim Schlusse des Fragments erzählt wurde, billig geht also dieses Blättlein voran dem Reihen der übrigen.

Die Zeilen lauten wie folgt:

 

»Hinweg mit allem Vertrauen, mit aller Hoffnung! – O Chariton, meine geliebte Chariton, welch ein schwarzer Abgrund dämonischer Tücke und Arglist stand heute plötzlich offen vor meinen Augen! – Mein Magus, er ist ein Verräter, ein Bösewicht, nicht der, dem die Prophezeiung der guten Mutter galt, nicht der, für den er sich geschickt auszugeben und uns alle zu täuschen wußte. Dank der weisen Alten, die ihn durchschaute, mich warnte, kurz ehe wir Patras verließen, mich selbst den Talisman kennen lehrte, dessen Besitz mir die Gunst höherer Mächte vergönnte und dessen wunderbare Kraft mir unbekannt geblieben. Was wäre aus mir geworden, wenn dieser Talisman mir nicht Gewalt gäbe über den Kleinen und oft zum Schilde diente, an dem alle seine heimtückisch geführten Streiche abprallen! – Ich hatte mit meiner Maria den gewöhnlichen Spaziergang gemacht. Ach! – ich hoffte ihn zu sehen, der meine Brust entzündet in glühender Sehnsucht! – Wie ist er dann verschwunden auf unbegreifliche Weise? Hat er denn mich nicht erkannt? Sprach mein Geist vergebens zu ihm? Hat er nicht die Worte gelesen, die ich mit magischem Messer einschnitt in den geheimnisvollen Baum? – Als ich zurückkehrte in mein Zimmer, vernahm ich ein leises Ächzen hinter den Vorhängen meines Bettes. Ich wußte, was geschehen, und mochte, gutmütig genug, den Kleinen nicht heraustreiben aus dem Bette, weil er morgens über Kolik geklagt. Nicht lange dauerte es, als ich, da ich in ein anderes Zimmer getreten, ein Geräusch und dann ein lautes Gespräch vernahm, in das der Magus mit einem Fremden geraten schien. Dazwischen lärmte und schrie Apokatastos so gewaltig, daß ich wohl ahnen konnte, es müßte Besonderes vorgehen, wiewohl mein Ring ruhig blieb. Ich öffnete die Türe – o Chariton! – Er selbst – Theodor stand mir vor Augen. – Mein Magus hüllte sich ein in die Bettdecke, ich wußte, daß in diesem Augenblick ihm alle Kraft gebrochen. Mir bebte das Herz vor Entzücken! – Seltsam hätte es vorkommen müssen, daß Theodor, im Begriff, mir entgegenzueilen, auf ungeschickte Weise hinstürzte und dann sich gar possierlich gebärdete. Es kamen mir Zweifel, aber indem ich den Jüngling betrachtete, war es mir, als sei er, wenn auch nicht Teodoros Capitanaki selbst, so doch der aus griechischem fürstlichen Stamm Entsprossene, der bestimmt, mich zu befreien und dann Höheres zu beginnen. Die Stunde schien gekommen, ich forderte ihn auf, das Werk zu beginnen, da schien ihn ein Schauer anzuwandeln. Doch erholte er sich und erzählte von seiner Herkunft. O Wonne, o Freude! ich hatte mich nicht getäuscht, ich durfte kein Bedenken tragen, ihn zu fassen in meine Arme, ihm zu sagen, daß es an der Zeit, seine Bestimmung zu erfüllen, daß kein Opfer gescheut werden müsse. Da – o all ihr Heiligen! da wurden des Jünglings Wangen immer blässer und blässer, seine Nase spitzer und spitzer, seine Augen starrer und starrer! – Sein Leib, schon dünn genug, schrumpfte immer mehr zusammen! – Mir war's, als würfe er keinen Schatten mehr! Gräßliches Trugbild! Vernichten wollte ich die dämonische Täuschung, ich zog mein Messer, aber mit Blitzschnelle war der Wechselbalg verschwunden! – Apokatastos schnatterte, pfiff und lachte hämisch, der Magus sprang aus dem Bette, wollte fort durch die Türe, indem er unaufhörlich schrie: ›Braut – Braut!‹ aber ich faßte ihn, schlang das Band um seinen Hals. Er stürzte nieder und bat in den kläglichsten Jammertönen um Schonung. ›Gregoros Seleskeh‹, rief Apokatastos, ›du bist verlesen, du verdienst kein Erbarmen!‹ ›Ach Gott!‹ schrie der Magus, ›was Seleskeh, ich bin ja nur der Kanzleiassistent Schnüspelpold aus Brandenburg!‹ – Bei diesen furchtbaren Zaubernamen – Kanzleiassistent – Schnüspelpold – Brandenburg ergriff mich tiefes Entsetzen, ich fühlte, daß ich noch in den Ketten des dämonischen Alten! – Ich wankte fort aus dem Zimmer. – Weine, klage mit mir, o meine geliebte Chariton! – Nur zu klar ist es mir, daß das Trugbild, was der Magus mir unterschieben wollte, sich schon früher als schwarzer Hasenfuß im Tiergarten zeigte, daß ihm der Magus die himmelblaue Brieftasche in die Hände spielte, daß – Ihr ewigen Mächte, soll ich Raum geben meinem furchtbaren Argwohn? – bringe ich mir die ganze Gestalt des jungen Menschen im letzten Augenblick vor Augen – es lag etwas, wie aus Kork Geformtes darin. – Mein Magus ist erfahren in aller kabbalistischer Wissenschaft des Orients, nichts als ein von ihm aus Kork geschnitzter Teraphim ist vielleicht dieser angebliche Teodoros, der nur periodisch zu leben vermag. Daher kam es, daß, als mein Magus mich verlockt hatte hieher, unter dem Versprechen, mich meinem Teodoros in die Arme zu führen, der Zauber deshalb mißlang, weil der Teraphim, den ich zur Nachtzeit höchst erbärmlich auf dem Sofa liegend im Wirtshause fand, gerade aller ihm künstlich hineinoperierten Sinne beraubt war. Mein Talisman wirkte, ich erkannte augenblicklich den schwarzen Hasenfuß und zwang ihn, mir selbst, wie es die Konstellation nun einmal wollte, die himmelblaue Brieftasche in die Hände zurückzugeben. – Bald muß sich alles aufklären.«

 

Diesen Zeilen ist aus den Notizen des Barons Achatius von F. noch manches hinzuzufügen.

»Wo bleibt«, fragte Frau von G., die elegante Wirtin eines noch eleganteren Tees, »wo bleibt unser lieber Baron? Es ist ein herrlicher Jüngling, voller Verstand, hinreißender Bildung und dabei von einer Phantasie und einem seltnen Geschmack im Anzuge, daß ich ihn schmerzlich vermisse in meinem Zirkel.«

In dem Augenblick trat der Baron Theodor von S., der eben gemeint, hinein in den Saal, und ein leises »Ah!« flüsterte durch die Reihe der Damen.

Man bemerkte indessen bald eine gänzliche Änderung in des Barons ganzem Wesen. Fürs erste fiel allgemein die Nachlässigkeit im Anzuge auf, die beinahe die Grenzen des Anstandes überschritt. Der Baron hatte nämlich den Frack, ein Intervall der Knöpfe überspringend, schief zugeknöpft, die Brustnadel saß um zwei Finger breit zu tief auf dem Jabot, so wie die Lorgnette wenigstens anderthalb Zoll zu hoch hing; was aber durchaus unverzeihlich schien, der Lockenwurf des Haars war durchaus nicht dem ästhetischen Prinzip gemäß, vielmehr nach der Richtung, wie es auf dem Haupte gewachsen, aufgekämmt. Die Damen schauten den Baron ganz verwundert an, die Elegants würdigten ihn aber keines Wortes, keines Blickes. Das erbarmte endlich den Grafen von E. Er führte geschwinde den Baron in ein anderes entlegenes Zimmer, machte ihn auf die groben Verstöße in der Kleidung, die ihn um allen guten Ruf hätten bringen können, aufmerksam und half alles besser ordnen, indem er selbst mittelst eines Taschenkamms sinnreich und geschickt den Dienst des Haarkräuslers versah.

Als der Baron wieder in den Saal trat, lächelten ihn die Damen wohlgefällig an, die Elegants drückten ihm die Hände, die ganze Gesellschaft war erheitert.

Zuerst wußte der Graf von E. gar nicht, was er aus dem Baron machen sollte. So schonend als möglich hatte er ihn die begangenen Verstöße merken lassen, damit ihn Schreck und Verzweiflung nicht zerschmettern solle, aber ganz gleichgültig, stumm und starr war er geblieben. Nun wußte aber bald die ganze Gesellschaft nicht, wie sie mit dem Baron beraten, denn ebenso gleichgültig, stumm und starr setzte er sich hin und gab auf alle Fragen der tee- und wortreichen Wirtin verkehrte lakonische Antworten. Man schüttelte unmutig den Kopf, nur sechs Fräuleins sahen verschämt errötend vor sich nieder, weil jede glaubte, der Baron sei in sie verliebt und deshalb so zerstreut und unordentlich im Anzuge. Hatten selbige Fräuleins wohl den Shakespeare, und zwar: »Wie es euch gefällt«, gelesen? (Dritter Aufzug, Zweite Szene.)

Eben war, nachdem man die Vortrefflichkeiten und Herrlichkeiten eines neuen aberwitzigen Balletts gehörig entwickelt und gerühmt, eine Stille entstanden, als der Baron, wie plötzlich aus einem tiefen Traum erwachend, laut rief. »Pulver – Pulver in die Ohren gestreut und dann angezündet – es ist fürchterlich – schrecklich – barbarisch!«

Man kann denken, wie alle ganz betroffen den Baron anschauten. »O sagen Sie«, sprach die Wirtin, »o sagen Sie, bester Baron! gewiß hat irgend etwas Ihre tiefste Phantasie aufgeregt, Ihre Brust ist zerrissen, Ihr ganzes Innres verstört? – Was ist es, sprechen Sie! Oh, es wird gewiß etwas höchst Interessantes sein?« – Der Baron war hinlänglich wach geworden, um zu fühlen, daß er wirklich selbst in diesem Augenblick höchst interessant sich gebärden könne. Er hob daher die Augen gen Himmel, legte die Hand auf die Brust und sprach mit bewegter Stimme: »O Gnädige! Lassen Sie mich das fürchterliche Geheimnis tief in meiner Brust bewahren, das keine Worte kennet, sondern nur den todbringenden Schmerz!« – Alle mußten erbeben vor diesen sublimen Worten, nur der Professor L. lächelte sarkastisch und – Doch sei es dem Autor erlaubt, bei Gelegenheit des Professors einige Worte einzuschalten über die sinnreiche Organisation unserer Tees, wie sie wenigstens in der Regel stattfindet. Der bunte Flor schön geputzter artiger Fräuleins und schwalbgeschweifter schwarzer oder blauer Jünglinge ist gewöhnlich durchschossen mit zwei oder drei Dichtern und Gelehrten, und so mag die physische Mischung des Zirkels verglichen werden mit der physischen Mischung des Tees.

Die Sache kommt so zu stehen:

1. Tee, die hübschen artigen Frauen und Fräuleins als Grundbasis und begeisterndes Aroma des Ganzen.
2. Laues Wasser (es kocht selten recht), die schwalbgeschweiften Jünglinge.
3. Zucker, die Dichter wie sie nämlich sich gestalten müssen, um für den Tee brauchbar zu erscheinen.
4. Rum, die Gelehrten

Für Zwieback, Pumpernickelschnitte, kurz, für alles, was nur von wenigen gelegentlich zugebissen wird, können die Leute gelten, die von den letzten Avisen sprechen, von dem Kinde, das nachmittags in der und der Straße zum Fenster hinausgestürzt, von dem letzten Feuer, und wie die Schlauchspritzen gute Dienste getan, die ihre Rede gewöhnlich mit: »Wissen Sie schon?« anfangen und sich bald entfernen, um im sechsten Zimmer heimlich einen Zigarro zu rauchen.

Also der Professor L. lächelte sarkastisch und meinte, daß der Baron heute vorzüglich frisch aussähe trotz des todbringenden Schmerzes im Innern.

Der Baron, ohne auf das zu merken, was der Professor gesprochen, versicherte, daß ihm heute nichts Angenehmeres geschehen könne, als auf einen mit historischer Kenntnis so reich ausgestatteten Mann zu treffen, als der Herr Professor es sei.

Dann fragte er sehr begierig, ob es denn wahr, daß die Türken im Kriege ihre Gefangenen auf die grausamste Weise ums Leben brächten, und ob dies nicht gegen das Völkerrecht merklich anstoße. Der Professor meinte, daß es so gen Asien zu mit dem Völkerrecht immer mißlicher werde und daß es sogar schon in Konstantinopel versteckte Leute gebe, die kein Naturrecht statuieren wollten. Was nun das Umbringen der Gefangenen betreffe, so wäre das, wie der Krieg überhaupt, schwer unter ein Rechtsprinzip zu bringen und dies daher dem alten Hugo Grotius in seinem Taschenbüchelchen: »De jure belli et pacis« betitelt, blutsauer geworden. Man könne daher in dieser Hinsicht nicht sowohl von dem, was recht, als von dem sprechen, was schön und nützlich. Schön sei jenes Abtun der wehrlosen Gefangenen nicht, aber oft nützlich. Selbst von diesem Nutzen hätten aber die Türken in neuester Zeit nicht profitieren wollen, mit verschwenderischer Bonhomie Pardon gegeben und sich großmütig mit Ohrabschneiden begnügt. Fälle gebe es aber allerdings, in denen nicht allein alle Gefangenen gegenseitig umgebracht, sondern auch alle unmenschliche viehische Grausamkeiten ausgeübt werden würden, die jemals die sinnreichste Barbarei erfunden. Zum Beispiel würde dies ganz gewiß, ja ganz vorzüglich stattfinden, wenn es jemals den Griechen einfallen solle, mit Gewalt das Joch abzuschütteln, unter dem sie schmachten. Der Professor begann nun, mit dem Reichtum seiner historischen Kenntnisse im kleinsten Detail prahlend, von den Martern zu sprechen, die im Orient üblich. Er begann mit dem geringen Ohr- und Nasabschneiden, berührte flüchtig das Augenausreißen oder -ausbrennen, ließ sich näher aus über die verschiedenen Arten des Spießens, gedachte rühmlichst des humanen Dschingiskhan, der die Leute zwischen zwei Bretter binden und durchsägen ließ, und wollte eben zum langsamen Braten und In-Öl-Sieden übergehen, als plötzlich zu seiner Verwunderung der Baron Theodor von S. mit zwei Sprüngen hinaus war durch die Türe.

Unter den von dem Baron Achatius von F. übersendeten Papieren befindet sich ein kleiner Zettel, worauf von des Barons Theodor von S. Hand die Worte stehen:

»O himmlisches süßes holdes Wesen! welche Qualen hat der Tod, hat die Hölle, die ich siegender Held nicht um dich ertragen sollte! Nein, du mußt mein werden, und drohte mir auch der martervollste Untergang! – O Natur, süße grausame Natur, warum hast du nicht allein meinen Geist, sondern auch meinen Leib so zart, so empfindlich geschaffen, daß mich jeder Flohstich schmerzt! Warum, ach, warum kann ich, ohne ohnmächtig zu werden, kein Blut sehen, am wenigsten das meinige!«


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