Ferdinand Emmerich
Im Gran Chaco von Paraguay
Ferdinand Emmerich

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Auf dem argentinischen Dampfer ›Belgrano‹, der mich den Paranâfluß hinauf nach Asuncion brachte, gesellte sich ein Mann zu mir, der nach mehr als einer Richtung hin mein Interesse erregte. Er war nach Art der Herbateros gekleidet. Sein ganzes Auftreten aber stand mit seiner äußeren Erscheinung im Widerspruch. Ich fand bald heraus, daß seine Ausstaffierung als Teesucher den Hauptzweck verfolgte, so wenig als möglich aufzufallen und die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen von sich abzulenken. Aus seiner Schweigsamkeit zog ich den Schluß, daß der Mann viel in der Einsamkeit lebte. Von da zu meiner Frage an ihn: »Sind Sie Naturforscher?« war nur ein Schritt.

Aus den grauen Augen schoß ein Blitz ängstlichen Mißtrauens, der mir ein Lächeln abnötigte. Ich kannte ihn, den Blick. Er sagt dem Fragenden:

»Nimm dich in acht, daß ich dir nicht ins Gehege komme!«

So schaut nur der Sammler, der fürchtet, von einem Kollegen um die Ausbeute einer reichen Fanggegend betrogen zu werden.

Als der Mann stumm blieb, klopfte ich ihm auf die Achsel, und mich nun der deutschen Sprache bedienend, rief ich aus:

»Keine Angst, Herr Kollege. Ich bin Forscher. Sammelobjekte kann ich auf der von mir geplanten Reise nicht mitnehmen. Also haben sie keine Konkurrenz zu fürchten.«

»Woher wissen Sie, daß ich Deutscher bin. Ich sehe, ebensowenig wie Sie selbst, unsern Landsleuten doch nicht ähnlich?«

»Nein. Aber wer sich so dem Winde und Wetter aussetzt – und davon zeugt unsere gegerbte Haut – der kann nur ein Deutscher oder ein Fremder der arbeitenden Klasse sein. Und gegen das letztere spricht vieles an Ihnen. Was, kann man nicht sagen.«

»Nun ja. Ich bin Orchideensucher. Mein Weg führt mich durch den Gran Chaco. Einmal dort, folge ich meinem Stern.«

»Ein wenig Chaco möchte ich auch kennen lernen. Das Innere der Waldwildnis reizt mich indessen wenig. Ich beabsichtige den Paranâfluß aufwärts zu wandern und, wenn möglich, durch den Rio Xindu in den Maranhon zu gelangen.«

»Donnerwetter, das ist ein Wagnis, Herr Kollege! Sie wissen zweifelsohne, daß die Botokuden auf Weiße nicht gut zu sprechen sind. – Ich habe mich bisher immer geweigert, ihr Gebiet zu bereisen, obwohl mir dort Schätze winken.«

»Mich können solche Erwägungen nicht abhalten. Zu oft schon wurde ich vor wilden Stämmen gewarnt. Kam ich dann in ihr Gebiet, so zeigte es sich, daß wohl der Weiße selbst die Schuld trug, wenn er nicht die Aufnahme fand, die er erwartete. Auch die Botokuden werden mit sich reden lassen.«

»Ja, wenn Sie die Sprache verstehen, dann mag es Ihnen gelingen, unbehelligt durch das Gebiet zu kommen.«

»Ich verstehe kein Wort ihrer Sprache. Dennoch hoffe ich den Wilden begreiflich zu machen, daß ich als Freund zu ihnen komme. – Wenn Sie also sonst nichts abhält, so sind Sie mir als Reisebegleiter willkommen.«

»Darüber können wir ja noch reden, wenn wir nach Asuncion kommen – oder haben Sie ein anderes Ziel?«

»Ich hoffe, in Asuncion Briefe zu finden. Wenn diese keine gegenteiligen Nachrichten enthalten, dann mache ich zunächst einen Abstecher an den Pilcomayo. Und was gedenken Sie zu tun?«

»Hm, der Abstecher wäre mir vielleicht von großem Nutzen. Ich fuhr bereits einmal den Fluß hinauf, hielt mich jedoch auf der argentinischen Seite, da man mir von dem Besuche des linken Ufers abriet. Wirklich sahen wir auch ein paar Indianerlager. Die Soldaten schossen darauf.«

»Das ist doch kein Grund, einen einmal gefaßten Entschluß fallen zu lassen. Irgendwo müssen die Indianer doch lagern. Daß man ihnen aber anscheinend auch die Nachtruhe mißgönnt, ist eben die Ursache der Feindseligkeiten, mit denen die Indianer, also die rechtmäßigen Herren des Landes, jedem Weißen entgegentreten. Und dann wundert man sich nachher, und entrüstet sich, wenn der rote Mann von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Fragen sie doch einen der weißen Hazienderos, die da vorn mit ihren Goldmünzen prahlen, ob sie es sich gutwillig gefallen ließen, wenn man sie plötzlich von ihrem Besitztum vertriebe.«

»Das ist Politik, Herr Kollege, und darüber rede ich lieber nicht.«

»Aber ich rede darüber und sage jedem, der es hören will, was ich darüber denke. – Nützen werde ich damit allerdings keinem ...

Ein Indianer trat an uns heran. Wir hatten deutsch gesprochen und ich hatte keineswegs die Stimme gedämpft, als ich meine Ansichten entwickelte. Immerhin überraschte es mich, als der Mann mir in gebrochenem Deutsch seinen Dank aussprach, daß ich die Sache seines Volkes verteidigte.

»Wie? Du verstehst deutsch?« fragte ich, erstaunt den roten Sohn der Wälder ins Auge fassend, »Wo hast du denn das gelernt?«

»Ich war Zögling bei den Jesuiten in Asuncion. später arbeitete ich auf einer deutschen Farm. Dort lernte ich die fremde Sprache ...«

Er stockte. Die Worte waren mühsam zusammengesucht worden und ich glaubte, ihm zur Fortsetzung seiner Erzählung helfen zu müssen. Darum forderte ich ihn auf, sich der spanischen Sprache zu bedienen, wo der deutsche Wortschatz nicht ausreichte.

Ein Lächeln überflog seine Züge.

»Die Worte fehlen mir nicht. Ich würde sie auch nicht aussprechen, wenn ich nicht wüßte, daß ich dem Herrn vertrauen kann. – So aber muß ich es wohl tun, weil ich hoffe, daß mich die Herren mitnehmen, wenn sie an den Pilcomayo reisen.«

»Schlau bist du, das muß ich sagen!« rief ich aus. »Aber bevor ich nicht weiß, mit wem ich zu tun habe, kann ich deine Hoffnungen nicht in die Tat umsetzen. – Also fahre fort. Wir verlieren ja keine Zeit, wenn wir dich anhören. – Wen hast du umgebracht?«

Mein Kollege lachte laut auf bei dieser Frage. Nicht so der Indianer. Er streifte mich mit einem scheuen Blick und ließ seine dunklen Augen über die geschäftig über das Deck laufenden Matrosen gleiten, gleichsam als fürchtete er, daß jemand die Frage gehört habe.

»Woher weiß der Herr ...?« stammelte er.

»Von dir selbst weiß ich es,« erwiderte ich. »Dein ganzes Benehmen und deine Gegenfrage beweisen es. Uebrigens hast du von uns nichts zu fürchten. Wenn du glaubst, dein Geheimnis für dich behalten zu sollen, dann unterlasse es zu antworten.«

»Es ist kein Geheimnis, Herr. Ich habe drüben, jenseits der Grenze, bei Belen einen Weißen im Kampfe erstochen. Er mißhandelte seine jungen Diener und Dienerinnen mit dem Lasso, so daß sie blutend und halb tot auf dem Hofe liegen blieben. Dann hetzte er noch seinen bissigen Hund darauf. Ich kam zufällig vorüber und tötete den Hund mit der Bola. Der Weiße schoß auf mich, ohne zu treffen. Da sprang ich auf ihn zu und rang mit ihm. Jeder zog das Messer. Ich war schneller als er. – Dann packten mich seine Leute und schleppten mich vor den Richter. Es war ein Farbiger. Er warf mich in ein Gefängnis. Am dritten Abend vergaß der Wächter die Türe zu schließen. Draußen stieß ich auf zwei Indianer, die Pferde hielten. Sie zeigten mir den Weg und gaben mir Geld ... Hier bin ich, Herr! Ich will nach Asuncion und mich den Patres entdecken. Sie werden mir helfen, in meine Heimat zu kommen ...«

»Wo liegt deine Heimat?« fragte ich, angenehm berührt durch das offene Bekenntnis des Mannes.

»Weit oben am Rio Apa. Da, wo der Fluß aus dem Gebirge in die Ebene tritt, liegt unser Dorf. Es sind arme Indianer, Herr, die von den Weißen aus ihrem Lande am Rio Fogones vertrieben wurden, als ich noch ein kleiner Knabe war.«

»Hm – kennst du den Gran Chaco?«

»Welchen, Herr? Meinst du die Wälder zwischen dem Rio Pilcomayo und dem Paraguayflusse? Den kenne ich genau. Es wohnen noch viele Indianer in den Flußtälern. Sie gehören auch zu meinem Stamme.«

»Wie heißt dein Stamm?«

»Wir nennen uns Karapahy. Der Stamm ist sehr stark und hat viele Häuptlinge. Unser Dorf gehört zu den Karapahy Pidma.«

»Würdest du uns in den Chaco begleiten?«

»Aber Herr Kollege!« entschlüpfte es dem Orchideensucher.

Der Indianer blickte verwundert auf. Obwohl er den Sinn des Ausrufes nicht erfaßte, erriet er den Widerspruch von seiten meines Begleiters. Er antwortete ausweichend:

»Der Herr kennt die Gefahren des Chaco nicht. Ein Weißer wird die Wälder nicht wieder verlassen. Auch wenn er gut über die armen Indianer denkt ...«

»Das habe ich schon in Corrientes gehört. Ich fragte dich, ob du mit uns in den Chaco reisen möchtest. Wir wollen dort eine Woche verbringen, um Blumen und Tiere zu suchen.«

»Aber, Herr, das kann doch nicht Euer Ernst sein. Wenn Euch die Indianer finden, seid Ihr ein toter Mann. Oder geht der Herr mit vielen Nerbateros?«

»Wir gehen allein. Ohne jede Begleitung. Wenn du uns führen willst, oder uns einen zuverlässigen Mann empfehlen kannst, dann nehmen wir den mit. – Glaubst du wirklich, daß dein Stamm einen oder zwei weiße Männer, die ihre Gastfreundschaft nachsuchen, ermorden werden?«

»Woher soll mein Stamm wissen, daß ihr Freunde seid?«

»Ich breche den grünen Busch und bringe ihm Tabak. Dann werden sie mich hören und – frei ziehen lassen.«

»Sie sind von einer Zuversicht, Herr Kollege, die ich nicht teile, warf mein Gefährte ein. »Wenn Sie mir nicht gesagt hätten, daß Sie schon mit wilden Eingeborenen in Berührung gekommen sind, müßte ich annehmen, Sie seien noch unerfahren im Verkehr mit Wilden.«

»Beruhigen Sie sich darüber, lieber Herr. Ich habe Erfahrung, sogar sehr große Erfahrung in dieser Richtung. Ich bin überzeugt, daß mich auch die Karapahy freundlich, oder wenigstens nicht feindlich aufnehmen werden, wenn ich als einzelner Mann in ihr Lager komme und um Gastfreundschaft bitte.«

»Vielleicht hat der Herr recht,« sagte jetzt der Indianer. »Wenn ihr aber mich oder einen andern unseres Stammes bei Euch habt, der die Sprache versteht, so wird man Euch sicher in Ruhe lassen, denn wir werden Euch als Freunde ausrufen.«

»Demnach willigst du ein, in unsere Dienste zu treten?«

»Wird der Herr sich in Asuncion aufhalten?«

»Nur so lange der Dampfer dort liegen bleibt. Ich fahre noch ein Stück flußaufwärts.«

»Dieser Dampfer fährt nicht weiter. Morgen früh fährt ein kleinerer bis nach Concepcion. Vor dessen Abfahrt weiß der Herr meine Antwort.«

Als wir abends in Asuncion an Land gingen, war der Mann verschwunden. Mein Gefährte, der sich inzwischen als Ernst Neumann vorgestellt hatte, nahm mich mit in einen Gasthof niederer Ordnung, der das Absteigequartier der Teesucher zu sein schien, wir trafen dort eine lärmende Gesellschaft von Nerbateros, die eben aus dem Chaco kamen und das verdiente Geld so rasch wie möglich an den Mann zu bringen suchten. Bei unserm Eintritt verstummte das Gespräch und aller Augen richteten sich auf uns. Neumann, der seiner Kleidung nach zu dem Gewerbe gezählt wurde, erregte die Neugier der Anwesenden. Rufe wurden laut:

»Olé, compañero, woher des Wegs?«

»Zu welcher Kompanie gehörst du, amigo? Oder bist du selber ein Capataz?«

Der Wirt war inzwischen zu uns getreten. Er begrüßte Neumann als Bekannten und rief den immer dringender Fragenden an den Tischen ein paar beruhigende Worte zu. Wir ließen uns zuerst unsere Nachtlagerstätte zeigen und kehrten dann in den Schankraum zurück, wo wir uns, der Sitte gemäß, mit an den Tisch der Teesucher setzten.

Nun kam das unangenehmste für uns. Dutzende von Gläsern mit dem Yerbatee wurden uns zugeschoben und von jedem mußten wir einen Zug nehmen. Und dazu durften wir uns nicht einmal der eigenen Röhrchen bedienen, sondern mußten aus der Bombilla saugen, die eben der wohl nie gewaschene Mulatte aus dem Munde genommen hatte. – (Ich setze als bekannt voraus, daß man den Mate oder Yerbatee mit Röhrchen aus den Gläsern oder Schalen saugt.)

Als auch dieser Kelch vorübergegangen war, und ich mich durch eine Runde Aguardiente unter den rauhen Gesellen eingeführt hatte, begann das übliche Frage- und Antwortspiel.

»In den Chaco wollt Ihr? Und allein? Hombre, Ihr seht nicht aus wie ein Grüner und drum nehme ich Euere Worte als einen Witz auf ...«

»Warum sollte ich nicht allein unter die Indianer gehen? Ich bin kein Neuling und weiß mit den Menschen umzugehen. Sie werden mir nichts zuleide tun!«

»Bewahre! Man schneidet Euch, wenn Ihr es wollt, erst die Kehle durch, bevor man Euch verbrennt!« warf einer ein.

»Vorige Woche haben sie einem Soldaten die Augen ausgestochen und ihn dann mit dem Kopf nach unten an einen Baum gebunden,« wußte ein anderer zu erzählen.

»Ja, der arme Teufel wurde bei lebendigem Leibe von den Ameisen gefressen,« ergänzte ein dritter.

»Und dem roten Pedro, wie machten sie es dem?« rief einer vom andern Ende des Tisches. »In kleine Stücke haben sie ihn geschnitten und mit dem Fleische Nararés (Krokodile) gefangen.« –

»Wundert es Euch, wenn die Indianer die Weißen hassen?« fragte ich den Sprecher. »Wir sind doch eigentlich die Schuldigen, die die Indianer zuerst angegriffen haben, denn ...«

Ein ungeheuerer Lärm unterbrach mich.

»Oho! wer sagt das? wer hat die Rotfelle angegriffen, he?«

Ein untersetzter Argentinier, dessen ohnehin häßliche Züge von Pockennarben entstellt waren, pflanzte sich vor mir auf. Drohend fuchtelte er mir mit der Faust vor dem Gesichte.

»Haben die Weißen nicht die Indianer von ihrem Grund und Boden verjagt? Würdet Ihr Euch das gefallen lassen, wenn man Euch aus Eurem Hause vertriebe?« fragte ich mit ruhiger Stimme.

»Die Rothäute haben kein Recht zu leben!« schrie es nun von allen Seilen, »sie müssen ausgerottet werden! Wenn ich hier zu sagen hätte, ich schickte Militär aus, um die ganze Brut zu vernichten!«

Ich wollte erwidern, aber der Wirt und Neumann baten mich, den Streit nicht weiter zu treiben. Um die Bande auf andere Gedanken zu bringen, bestellte ich noch eine Runde Schnaps und trat mit meinem Glase auf den stärksten Schreier zu.

»Auf dein Wohl, compañero!« sagte ich. »Vergiß die Roten und sei froh, daß du noch deine gesunden Knochen hast ...«

»Du bist wohl ein Schwarzrock, ein Missionar?« fragte der Pockennarbige etwas ruhiger. »Dann begreife ich deine Sprache, denn du mußt anders reden, als dir der Schnabel gewachsen ist. Unsere Regierung käme dir sonst auf den Schädel, nicht so?«

»Laß die Missionare in Ruhe, compañero. Die Männer haben ein härteres Brot zu essen, als du und ich. Sie müssen zu den Indianern und dürfen nicht einmal fragen, ob es ihnen paßt oder nicht. Alle Achtung vor den Missionaren!«

Meine Worte fanden wenig Widerspruch unter der Menge. Ein höhnischer Zuruf wurde durch die derbe Zurechtweisung eines Yerbateros rasch unterdrückt. Nach und nach schwand das Interesse an uns und das Gespräch drehte sich bald wieder um die persönlichen Angelegenheiten der Teesucher.

Ich bezahlte meine Zeche und verließ die Kneipe. Draußen dämmerte es bereits und ich mußte meine Schritte beschleunigen, um noch vor Postschluß meine Briefe in Empfang nehmen zu können.

Während des Lesens kam Neumann in den Raum. Lachend rief er:

»Wenn sie gehört hätten, was die Burschen noch über Sie sagten!«

»Und was war das?«

»Sie sind Missionar und wollen die Kayapas bekehren. Der ganze Schwarm will Ihnen das Geleit geben und die Indianer warnen, sich an Ihnen zu vergreifen.«

»Unter andern Umständen wäre ein solcher Schutz vielleicht sehr wirksam. Leider paßt er aber nicht in meine Pläne. Ich bin mehr wie je entschlossen, allein oder doch nur mit Ihnen und dem braunen Burschen vom Dampfer in das Chaco zu gehen. Sie begleiten mich doch?«

»Hm – ich weiß doch nicht, wenn ich über das nachdenke, was die Burschen erzählten – und sie sind durchaus keine Aufschneider – dann möchte ich doch lieber warten, bis eine größere Kolonne Teesucher abgeht. In deren Gesellschaft haben wir nichts zu befürchten ...«

»Wie Sie wollen! Ich gehe jedenfalls ohne den lärmenden Anhang, der mir keinesfalls Schutz gewähren kann. Im Gegenteil. – Und dann verfolge ich ja noch andere Pläne. Der Chaco reizt mich nicht so sehr wie das mittlere Brasilien. Dorthin muß ich ja doch allein gehen, also verzichte ich von vornherein auf die Gesellschaft.«

Wir waren unterdessen wieder in die Nähe des Flusses gelangt und auf den Liegeplatz des Dampfers zugeschritten. Eben legte ein vom Westen kommendes Boot an, das mit paraguaianischen Soldaten vollgestopft war. Es war ein Kommando, das vom Fort Intermedio am oberen Pilcomayo kam und ziemlich heruntergekommen aussah. Auf dem Kai machte der kommandierende Offizier den Versuch, seine Leute in Reih und Glied aufzustellen. Dabei gewahrte ich, daß ein größerer Teil mit frischen Wunden bedeckt war, deren Verband noch frisches Blut durchsickern ließ. Die armen Kerle boten einen bemitleidenswerten Anblick und von Mitleid getrieben, fragte ich den Offizier, ob ich seinen Soldaten eine Erfrischung anbieten dürfte. Es standen genug Verkäufer von Getränken herum.

Mit müdem Lächeln erwiderte er:

»Sie täten ein gutes Werk, wenn Sie Ihre lobenswerte Absicht in die Tat umsetzten. Aber hier darf ich es nicht gestatten. Wenn Sie sich in die Kaserne bemühen wollen. Wir marschieren sofort ab.«

»Dann darf ich Sie wohl zu einem Glase Wein in das Hotel bitten?« fragte ich.

»Dort wohne ich ohnehin – Kapitän Llovera!« erwiderte der Offizier mit leichter Verbeugung.

Langsam, mit müden, abgehetzten Bewegungen setzte sich der kleine Trupp in Marsch. Wir folgten von Ferne und nahmen gleich einen der Schnapsverkäufer mit, dessen Vorrat genügend schien, um jedem der Soldaten ein paar Gläschen Guarapo zu sichern. Ich kaufte dem Cholo den ganzen Krug voll ab und schärfte ihm dringend ein, die Soldaten nicht zu hintergehen. – Ueberrascht von so viel Teilnahme für die bewaffnete Macht, gab mir der Mann sofort den höchsten Rang:

»Verlassen Sie sich auf mich, Herr General!« beteuerte er.

Unser Gastgeber machte ein verblüfftes Gesicht, als sich seine beiden neuen Gäste auf einmal in der Tracht der Caballeros aus der Hintertüre davonschlichen. Was er sich über unsere Metamorphose dachte, weiß ich nicht, jedenfalls flüsterte er mir geheimnisvoll ins Ohr:

»Ich habe nichts gesehen, mi padre. Die Tür ist offen, wenn ihr zurückkehrt. Ihr habt nur das Zeichen zu geben.«

Neumann lachte spitzbübisch.

»Schon wieder ein neuer Titel!« sagte er. »Erst General, jetzt ein Missionspater ... Bin neugierig, was für Rangstufen sie heute abend noch durchlaufen.«

Im Hotel wurden wir bereits erwartet. Mit leisem Vorwurf sagte uns der französische Wirt:

»Bitte nur hier Platz zu nehmen. Der Kapitän kommt gerade. Warum belegten Sie keine Zimmer bei Ihrer Ankunft? Jetzt ist leider jeder Raum besetzt ...«

Ich beruhigte den Mann und fragte nach dem Kapitän Llovera.

In der Tat erschien der Offizier jetzt im Rahmen der Türe. Er hatte die goldstrotzende Uniform angelegt, die den Herren von der bewaffneten Macht über alles geht. Er verfehlte auch den gewollten Eindruck nicht, denn aller Augen hingen an der guten Figur des Mannes, auf dessen Zügen unverkennbare Spuren überstandener Leiden eingegraben waren.

Nach den unabwendbaren Komplimenten über die gegenseitigen Gastfreundschaftspflichten und nach dem sich daran knüpfenden wortreichen Streit, in dem ich Sieger blieb, konnte ich endlich das Mahl zusammenstellen und den Wein wählen. Beim schwarzen Kaffee und der Zigarre brachte ich dann das Gespräch auf das letzte Kommando des Kapitäns und dessen Verlauf.

»Wir haben schwere Verluste gehabt,« begann er. »Anfangs stellten sich die am Pilcomayo wohnenden Indianer freundlich mit uns. Sie kamen und gingen im Fort ein und aus und trieben lebhaften Tauschhandel mit uns. Auch unsere Soldaten besuchten die Hütten der Indianer, berauschten sich auch wohl an dem scharfen Getränk, das die Yacubas aus wilden Früchten herzustellen wissen.

Eines Tages kam ein argentinisches Boot den Fluß hinunter und dessen Besatzung kehrte bei uns ein. Wir unterhielten uns mit kameradschaftlichen Spielen und ließen unsern Leuten ziemlich viel Freiheit. In der Nacht meldete der Wachtposten, daß am jenseitigen argentinischen Ufer eine größere Anzahl von Einbäumen den Fluß hinuntertrieb. Der helle Mondschein verriet sie dem scharfen Auge des Wächters ...«

»Ist es den Indianern denn verboten, den Strom zu befahren?« fragte ich dazwischen.

»Bei Nacht: ja! Wir müssen jede Bewegung dieser unruhigen Stämme kennen, damit wir uns vor Ueberraschungen schützen. – Also in jener Nacht – es sind heute genau acht Tage seitdem verflossen – durchbrachen die Eingeborenen den Befehl. Ich legte dem Vorfall keine Bedeutung bei. Mein argentinischer Kamerad aber alarmierte sofort seine Leute, um den Indianern nachzusetzen. Sein Appell brachte aber nur sechs Mann zur Stelle. Die übrigen vierzehn Soldaten befanden sich bei einer indianischen Festlichkeit in den Dörfern. Grund genug, um Vorsicht zu üben. Davon wollte aber mein Kamerad nichts wissen. Er rief einen Leutnant herbei und befahl:

»Reiten sie, so schnell Sie können, in das indianische Lager und alarmieren Sie unsere Leute. Sie müssen ohne Verzug im Laufschritt hierher zurückkehren.«

Auch der Leutnant, ein im Grenzdienst groß gewordener Soldat, wagte Vorstellungen. Ich unterstützte ihn, indem ich vorgab, unsere Pferde seien draußen im Corral ...«

»Dann sollen die verräterischen Hunde da drüben wenigstens einen Denkzettel bekommen,« rief der Argentinier. Er lief bis zu dem Punkte, an dem der Fluß nach größerer Biegung wieder in die Nähe unseres Forts fließt, um hier die Eingeborenen anzugreifen. Er kam dort an, als eben der letzte Einbaum wieder dem andern Ufer zustrebte. Ohne den Mann auch nur anzurufen, feuerte er hinter den Indianern her ...

Der Erfolg dieser Unbesonnenheit war furchtbar. Noch war der Schall der Schüsse nicht verhallt, da gellte vom Flusse her ein vielstimmiger Wutschrei. So entsetzlich, so markerschütternd, wie ihn nur Indianer ausstoßen können. Wie ein Flugfeuer pflanzte sich der Schrei im Walde fort ...

Ich ließ sofort meine Leute alarmieren und die Tore der Festung schließen. Jeder Mann erhielt seinen Posten mit genauen Instruktionen, von meinen Leuten fehlten noch sechs Mann ...

Nach dem fürchterlichen Geheul legte sich geisterhafte Ruhe über Wald und Fluß. Kein Laut drang von außen zu uns. Der argentinische Leutnant trat zu mir und sagte mit bebender Stimme:

»Gott sei ihrer Seele gnädig! Die Folterqualen werden ihnen erspart geblieben sein!«

Ich starrte den Mann an, als ob er im Irrsinn spräche.

»Sie wollen doch nicht sagen, daß unsern Kameraden im Dorfe Gefahr droht?«

»Jetzt nicht mehr, sie haben es bereits überstanden. Nur für den Oberst fürchte ich ...«

»Um Gottes willen, Kamerad, malen sie den Teufel nicht an die Wand, wenn der Oberst nicht in zehn Minuten hier ist, dann suche ich ihn mit meinen Leuten. Ich kann und werde ihn nicht im Stiche lassen!«

Die Antwort des Offiziers ging in einem fürchterlichen Schmerzensgeheul unter, das jetzt aus allen Teilen des Waldes in unsere Ohren gellte. An vielen Stellen flammten helle Feuer auf, und bei dem lodernden Lichtscheine bot sich unsern Augen ein entsetzlicher Anblick. An den von den Feuerzungen beleckten Stämmen hingen, mit dem Kopfe nach unten, die sich in wahnsinnigem Schmerze krümmenden Körper unserer Soldaten. Umtanzt von den jubelnden Wilden, dienten sie deren Pfeilen als Zielscheibe ...

Vom Rachedurst übermannt, schrie ich meinen Leuten zu, auf die Unmenschen zu zielen, um sie von ihrem höllischen Vorhaben abzubringen. Aber der Argentinier fiel mir in den Arm.

»Tötet zuerst unsere armen Kameraden und ersparen sie ihnen die Qualen eines langsamen Feuertodes,« sagte er und nahm einen Karabiner, um den Anfang zu machen.

»Nein, nein, wir wollen die Leute retten, befreien. Wir machen einen Ausfall ...«

»Was wollen wir gegen die Hunderte von Wilden ausrichten, die uns bereits umzingelt haben und uns beim Oeffnen der Tore niedermetzeln? Nehmt die Karabiner, Leute, und erzeigt euren Kameraden den letzten Liebesdienst!«

Das Schmerzensgeschrei erfüllte den Wald bis in seine innersten Winkel. »Tötet mich! Um der heiligen Jungfrau willen tötet mich!« gellte es zu uns herüber.

»Dem konnte keiner von uns widerstehen. Der Offizier gab den ersten Schuß ab und befreite damit einen lieben Freund von seiner Höllenpein. Zwanzigmal warf das Echo den Schall unserer Schüsse zurück – dann brach ich in die Knie und bat weinend den Allerhöchsten Richter um Verzeihung für meine Tat ...«

Eine Pause entstand, während der unser Tischgenosse, bleich wie ein Toter, den starren Blick in die Weite richtete. Ich drückte ihm wortlos die Hand ...

»Ich bin noch nicht zu Ende,« begann er aufs neue. »Das Furchtbarste kommt noch! – Unsere Schüsse hatten die Indianer doch wieder zur Besinnung gebracht. Daß jeder Schuß traf, mochte ihnen wohl zu denken geben, und da keiner von den ihrigen durch unsere Kugeln verletzt worden war, hegte ich die Hoffnung, daß sie uns nicht weiter belästigen würden. Der argentinische Offizier kannte sie besser, die Wilden.«

»Eher läßt Sie das Krokodil wieder aus seinem Rachen, als daß der Indianer seine sichere Beute freigibt,« sagte er auf meine Bemerkung. »Telegraphieren sie an den nächsten Posten um Hilfe und rasch, bevor die Wilden den Draht zerschneiden.«

Wie gut der Rat war, zeigte die nächste Viertelstunde. Eben hatte der Posten im Fort Guachalla seine Hilfe zugesagt, als mitten im Gespräch der Draht riß. Auch Asuncion vernahm noch meinen Hilferuf, konnte aber nicht mehr antworten. Damit war der Beweis geliefert, daß man einen Sturm auf unser Fort plante. Ich prüfte die Verteidigungsmittel. Sie waren in gutem Zustande. Die drei Geschütze bestrichen den Fluß nach den drei Richtungen, aus denen ein Angriff erfolgen konnte. Nach der Landseite hin waren sie nicht zu gebrauchen, weil der Wald bis dicht an das Fort heranreichte. Ursprünglich hatte man ihn wohl gefällt, um auch freies Schußfeld nach Norden zu haben. Im Laufe der Zeit war es aber vernachlässigt worden. Jeder Postenkommandant war froh, wenn seine Zeit vorbei war, und in seinen Rapporten, die wohl kaum jemals durchgelesen wurden, fand sich nichts über das wieder bewachsene Glacis. Es kam auch niemals zu ernsten Zusammenstößen in Intermedio, und so ließ man den Dingen ihren Lauf.

Mir blieb es vorbehalten, die Folgen der Unterlassungssünde zu tragen. Meine Besatzung bestand mit den Argentiniern aus vierunddreißig Mann, von denen aber kaum ein Dutzend »Pulver gerochen« hatten. Die übrigen waren junge Leute, die eben aus der Kaserne kamen.

Bei der Beratung über einen Verteidigungsplan machte der argentinische Offizier den Vorschlag, einen Boten an den etwa achtzig Kilometer vom rechten Flußufer entfernten argentinischen Posten Dragonos zu senden. Es fand sich auch ein Läufer, der den Weg in zwei Tagen zurückzulegen versprach. Kaum zeigte sich aber der Kahn auf dem Strom, als ein Hagel von Speeren aus den Büschen auf ihn herabregnete. Ernstlich verwundet, erreichte er mit knapper Not das schützende Tor. Der Kahn wurde Beute der Indianer.

Wir verbrachten die Nacht in steter Erwartung eines Angriffes. Keiner schloß ein Auge. Erst als das helle Tageslicht eine gute Fernsicht gestattete, legten sich die meisten der Leute zur Ruhe. – Sie war ihnen aber nicht gegönnt. Aus dem Walde gellte plötzlich der Kriegsschrei der Indianer. Sie sprangen in Deckung der Bäume bis dicht unter die Mauern des Forts und versuchten Feuer an das massive Eingangstor zu legen. Der Versuch kostete sie vier Tote und eine Anzahl Verwundeter. Das machte sie vorsichtiger. Der nächste Angriff erfolgte von den Wipfeln der Bäume aus. Unbemerkt von uns hatten sie sich in den Kronen festgesetzt, und auf ein Signal flog ein Hagel von Speeren und Pfeilen mitten in meine Leute, die eben zum Appell angetreten waren, wir hatten sieben Verwundete zu beklagen. Aber auch der Feind mußte seine Tollkühnheit schwer büßen. Mancher Körper wälzte sich in dem hohen Grase und, was für die Indianer das Empfindlichste war, wir verhinderten sie, ihre Toten zu bergen. In der folgenden Nacht erfolgte eine Demonstration von der Wasserseite her. Mein argentinischer Kamerad ließ sich jedoch nicht täuschen. Während er wenige Soldaten auf den Lärm mit Schnellfeuer antworten ließ, bezog er selbst mit den kampferprobten Argentiniern den Posten auf den Mauern des Forts nach der Waldseite hin. Dort glitten denn auch Schwärme von Wilden durch das hohe Gras. Alle drängten nach dem Tore, das in einem Anlauf genommen werden sollte.

Da plötzlich gellte vom Wasser her ein vielstimmiges Geheul, das, durch das Echo des Waldes verstärkt, eine große Aktion vortäuschen sollte. In demselben Augenblick wurde das Gras vor dem Tore lebendig, wie in einem Ameisenhaufen wimmelte es da unten von dunklen Leibern ...

Jetzt kam das Signal zur Abwehr. Ein Pfiff des Offiziers, und nun hielt der Tod reiche Ernte unter den Indianern. Wohl versuchten sie mit seltener Hartnäckigkeit, in den Fugen des Holzwerkes Halt zu finden. Aber jeder Feind, der sich um Handbreite über das Gras erhob, stürzte lautlos oder mit stöhnendem Todesschrei zurück.

Längst hatten die auf der Flußseite Nachricht von der bedrängten Lage ihrer Stammesgenossen bekommen. Sie wollten ihnen Hilfe bringen und faßten den tollkühnen Entschluß, in ihren Einbäumen dicht hinter dem Fort zu landen. Dadurch gerieten sie aber in den Bereich des Geschützes. Und nun hörten sie, wohl zum ersten Male in ihrem Leben, den Donner der Kanone, der sich krachend im Walde brach. In das Angstgeheul der Wilden mischte sich das Wimmern der von den streuenden kleinen Kugeln getroffenen Eingeborenen, und bis zu uns herüber hörte man das Aufschlagen der Krokodile auf dem Wasserspiegel, die sich um die unverhoffte Beute stritten.

Nun hatten wir Ruhe, das heißt, der Angriff erneuerte sich während des folgenden Tages nicht. Wohl aber setzten die Indianer ihre Taktik ständiger Beunruhigung fort, so daß wir kein Auge schließen konnten. Wir waren indessen derart ermüdet, daß wir sogar während des Feuerns einschliefen und dort niedersanken, wo wir standen.

»Wir müssen uns Luft schaffen,« sagte ich beim nächsten Kriegsrat zu meinen Offizieren. »Der Wind weht von Süden her. Laßt uns das Gras anzünden und den Wald abbrennen. Während der Zeit wagt sich kein Indianer heran und wir können wenigstens einmal ausschlafen.«

Der Argentinier ließ sofort ein Bündel dürren Holzes zusammenraffen. Er tränkte es mit Petroleum, und als die Flamme prasselnd emporschoß, warf er es über das Tor in das hohe Gras. Sofort fing dieses Feuer und bald stand der Wald ringsum in Flammen. Schon glaubten wir uns der so nötigen Ruhe hingeben zu dürfen, da gaben uns die Indianer einen Beweis, daß ihnen doch noch andere Wege offenstanden. Als ich in mein Zimmer trat, grinste mir dort ein grausiges Bild entgegen – der Kopf des Obersten, grauenhaft verstümmelt.

Wie und auf welchem Wege er dorthin gelangt, konnten wir nicht erfahren, wir durften uns aber der so heiß ersehnten Ruhe nicht hingeben, denn wenn es einen Weg ins Fort gab, der einen Mann hereinlassen konnte, so war er auch für den ganzen Stamm offen. Mit peinlichster Sorgfalt suchten wir jeden Winkel unserer Festung ab. Keine noch so winzige Oeffnung entging unsern Blicken – umsonst! Das Rätsel blieb einstweilen ungelöst!

Die Entdeckung oder wohl richtiger gesagt, der Mißerfolg rief unter meinen Leuten große Entmutigung hervor. Der so dringend notwendige Schlaf war wiederum in Frage gestellt, schon erhoben die argentinischen Soldaten die Stimme und drangen in ihren Leutnant, durch ein Ausfallsgefecht den Feind nachdrücklichst zu vertreiben – da machte ich beim Appell den unseligen Vorschlag, zwölf Mann zu einem sechsstündigen Schlaf in die Kasematten zu schicken. Mit Sonnenuntergang sollte die gleiche Anzahl Kameraden der Gunst teilhaftig werden. – Das Los entschied. Zwölf Argentinier stürzten mit einem Jubelruf davon. Als ich nach zehn Minuten hinüberging, um nach dem Rechten zu sehen, lagen sie alle im tiefsten Schlafe ... Es gab kein Erwachen mehr für sie.

Um 7 Uhr, nach dem Abendappell, wurde der Dienst für die Nacht verteilt. Hierauf fand die Auslosung der Soldaten statt, denen die Wohltat des Schlafes zufallen sollte. Ein Sergeant wurde abgesandt, um die Argentinier zu wecken. – Er blieb lange aus. Endlich sah ich ihn auf der oberen Stufe der Kasemattentreppe stehen. Ein Lachen des Irrsinns lagerte auf dem braunen Gesichte. Er hielt sich mit der Rechten am Geländer und winkte mit der Linken einen Gruß, schneidend klangen die rauhen Worte, die seine Geste begleiteten:

»Alle im Himmel! Alle schlafen! Gute Nacht, Kapitän!« Ein gellender Schrei schloß den Ausruf. Dann brach der Aermste, wie von einer Kugel gefällt, in sich zusammen!

Natürlich stürzten wir alle hinüber, um ihm Hilfe zu bringen. Ein paar Mann rannten die wenigen Stufen hinab, um die Kameraden zu holen. Aber auch sie kamen zitternd, mit blutleeren Lippen und stierem Blick zurück. Einer stammelte die Worte:

»Das Unglück, Kapitän! Alle tot, alle ermordet!«

Ich traute meinen Ohren nicht. Mit drei Sprüngen stand ich in dem halbdunklen Raume. Vom grellen Tageslicht geblendet, tastete ich mich an die Lagerstätten heran. Ich fühlte einen Körper, eine Hand – kalt und starr! Nun unterschied ich auch die fürchterliche Wirklichkeit. Dem Körper fehlte der Kopf! Ein Schauder durchrieselte meine Glieder. Hastig riß ich mein Feuerzeug hervor. Und da bot sich mir ein Schauspiel, so entsetzlich, so grausig, daß ich es wohl nie vergessen werde. Alle zwölf Soldaten waren auf ihren Lagerstätten ermordet worden. Die Köpfe hatte man vom Rumpfe getrennt und aufrecht neben die Leichen gestellt! Und dieser zwölffache Mord konnte verübt werden, während wir oben unserem Dienste nachgingen und jede Bewegung im Gesichtskreise genau verfolgten!

Die Wirkung dieser Schandtat auf die Gemüter unserer Soldaten war niederschmetternd. Keiner wagte mehr die Kasematte zu betreten, wenn nicht ein Kamerad mit geladener Waffe neben ihm ging. An Schlafen in dem Raume dachte keiner mehr. Einige besonders abgespannte Leute suchten ein paar Stunden Schlummer neben den Schildwachen, andere verkrochen sich im Munitionslager und ließen hier einen Kameraden strenge Wache halten. Ich selbst aber und der argentinische Leutnant, wir betrachteten es als eine Ehrenpflicht, den oder die Täter abzufangen und sie auf dem Grabe unserer ermordeten Kameraden hinzurichten.

Unter den Lagerstätten, in entgegengesetzten Ecken des Raumes, legten wir uns auf die Lauer. Jeder trug die Waffe schußbereit. Wir konnten den ganzen weiten Raum bestreichen, ohne uns selbst der Gefahr einer Schußverletzung auszusetzen. Für den Einzelkampf besaßen wir den kurzen Dolch. – So verbrachten wir regungslos die langen Stunden der Nacht. Es mochte um die vierte Morgenstunde sein, da hörte ich ein leises Geräusch. Irgendwo schien eine Ratte an einem Brett zu nagen. Natürlich strengte ich alle Sinne an, um zu sehen, wo der Nager die sehr starke Steinmauer durchbrochen hatte, sonst wäre es dem Tiere nicht möglich gewesen, an den Bohlenbelag zu gelangen, der als Fußboden und Wandverkleidung diente. – Das Geräusch nahm an Stärke zu. Immerhin konnte es nur der vernehmen, der sich darauf eingestellt hatte. Die gleichmäßige Arbeit aber, und die Beharrlichkeit, mit der sie fortgesetzt wurde, ließ mich indessen daran zweifeln, daß eine Ratte als Urheber in Frage kam. Meine Zweifel wurden zur Gewißheit, als in der mir gerade entgegengesetzten Ecke ein feiner, heller Strahl über den Boden zitterte. Er verschwand sofort wieder, aber ich wußte jetzt genug. Wie der Panther, der auf seine Beute lauert, kauerte ich mich auf den Estrich, in Erwartung des Augenblicks, wo sich der Wilde in ganzer Figur zeigte.

Er schien seiner Sache sicher zu sein, denn er arbeitete unentwegt weiter, von Zeit zu Zeit flatterte wieder der bleiche Strahl für den Bruchteil einer Sekunde auf. Wahrscheinlich lauschte der Indianer auf irgendwelche Geräusche oder sein Auge suchte in das Innere zu dringen.

Mit einem Schlage erweiterte sich die Oeffnung. Ein breiter Lichtstrahl flammte auf und erlosch sofort wieder. Ein Körper blendete das Außenlicht ab. Ich fühlte, daß wir nicht mehr allein in dem Raum waren, doch sah ich weder die Umrisse eines Menschen, noch vernahm ich dessen Atemzüge. Und doch leitete mich ein Umstand, den der nächtliche Besucher nicht in Berechnung gezogen hatte – die Ausdünstung der Wilden. Näher und näher kam mir der Wilde. Meine Hand krampfte sich um den Griff der Waffe. In der nächsten Sekunde würde er unter meinem Dolche fallen ...

Da zischte ein Fluch durch die Luft. Ein Röcheln – ein Fall! »Hierher, Kapitän, ich habe ihn!« rief leise der Argentinier. Ich zündete ein Streichholz an und sah nun in das von Mordlust entstellte Gesicht eines Häuptlings, der wochenlang in unserm Fort aus- und eingegangen war.

»Haben wir dich endlich, du Schurke!« entfuhr es mir ziemlich laut, indem ich den Lasso vom Bett nahm, um den Wilden zu binden.

»Nicht so laut, Kapitän,« raunte mir der Offizier zu. »Es sind noch ein paar in der Nähe. Laßt mich diesen herausschaffen, dann fangen wir auch die andern.«

Leider kam es nicht dazu, denn der Wilde fand Zeit, einen eigentümlichen Laut auszustoßen, der seine Begleiter warnte. So angestrengt ich auch auf das kleinste Zeichen wartete, so mußte ich mich doch schließlich mit der Tatsache abfinden, daß wir auf keinen weiteren Besuch zu rechnen hatten.

Der Zornesausbruch, mit dem meine Soldaten den Gefangenen begrüßten, mochte diesem wohl einen Vorgeschmack von der Strafe geben, die man für ihn ausgedacht hatte. Er machte die verzweifeltsten Anstrengungen, um sich seiner Fesseln zu entledigen, und als er die Unmöglichkeit dazu einsah, stieß er seinen weithin vernehmbaren Kriegsruf aus, der von allen Seiten ein gellendes Echo fand. – Jetzt erkannten wir den Zweck des nächtlichen Besuches. Der Häuptling wollte es übernehmen, seinen Kriegern Eingang in das Fort zu verschaffen. In groß angelegtem Angriff sollten wir niedergemetzelt werden. Es kam anders. Während die erbitterten Soldaten die drei Geschütze auf die von der Flußseite herbeiströmenden Wilden richteten, wütete ein Schnellfeuer unter den, der Deckung des Grases beraubten Indianern, die das Fort vom Lande her stürmen wollten. Dort hatten wir einen schweren Stand. Obwohl unsere Kugeln große Lücken in die Reihen der Wilden rissen, spie der Wald immer neue Massen von Indianern auf den Platz. Einigen gelang es sogar, das große Tor zu erklettern, und wenn es auch nur einem einzigen geglückt wäre, die inneren Riegel zurückzuschieben, so war unser Schicksal besiegelt. Aber der Mann, der dort wachte, verlor seine Kaltblütigkeit nicht. Jeder Kopf, der sich auf der Innenseite des Tores gegen den Himmel abhob, wurde die Beute der sicheren Büchse ...

Der Tag neigte sich seinem Ende zu, und immer noch wütete der Kampf. Die Gewehrläufe waren so heiß, daß man sie kaum noch berühren konnte, trotz steten Wechsels der Waffe. Mit wachsender Besorgnis sah ich der Nacht entgegen ...

Da, in höchster Not, sandte der Herr die Rettung, vom Flusse her knatterten Gewehrsalven. Die Kameraden vom Fort Guachallo kamen uns mit fünfzig Mann zu Hilfe. Der kommandierende Oberst ließ seine Truppen landen. Und nun öffneten auch wir unser Tor zum Ausfallsgefecht ...

Das Gemetzel war kurz, aber blutig. Ehe die Sonne hinter den Bergen verschwand, waren wir wieder Herren des Forts, viele Leichen bedeckten den Platz, Indianer sämtlicher Stämme des Chaco, selbst die Chuquisaca von Bolivien sahen wir unter den Toten. Aber auch auf unserer Seite waren die Verluste stark. Die wenigen Leute, die sie heute sahen, sind die einzigen Ueberlebenden meiner Truppe, von den Argentiniern, die mit mir die Schreckenstage im Fort teilten, lebt keiner mehr ... Vorgestern abend traf auch der Dampfer von Asuncion ein. Die Besatzung war Zeuge der Hinrichtung des Häuptlings. Dann übergab ich mein Kommando meinem Nachfolger ...«

Die Erzählung hatte mich stärker angegriffen, als ich es vor meinem Begleiter Neumann eingestehen wollte. Daß nach dem Vorgefallenen von einem Besuche des Chaco keine Rede mehr sein konnte, war selbstverständlich. Ich wagte es gar nicht, dem Kapitän eine diesbezügliche Frage vorzulegen, die übrigens schon ihre Beantwortung fand durch die Schlußfolgerung, die der Erzähler an seinen Bericht knüpfte. Er ließ die Worte fallen:

»Morgen muß ich meine vorgesetzten Behörden auf die große Gefahr aufmerksam machen, in der jetzt die Indianermission in Mangyalwa schwebt. Auch die fremden Kolonisten am Rio Fogones müssen geschützt werden, denn nach dieser verlorenen Schlacht werden die Weißen unter der Rache der Wilden leiden müssen.«

Als wir zu später Stunde unsere Herberge aufsuchten, tauchte eine dunkle Gestalt vor uns auf, die uns in deutscher Sprache anredete. Es war der Indianer vom Dampfer.

»Wenn der Herr mich noch haben will, dann nehme ich die Stelle als Diener an. Aber der Herr müßte einen Tag warten, weil ich meinen Bruder sehen muß, der verwundet in der Kaserne liegt. Er war in einen Kampf mit Indianern des Chaco verwickelt ...«

»Ich kenne die Geschichte bereits, muchacho,« erwiderte ich. »Es eilt mir nicht mehr so mit der Weiterreise, aber ich will dich dennoch in meine Dienste nehmen. Frage morgen abend noch einmal hier an.«

»Wollen sie sich wirklich dem Menschen anvertrauen?« fragte Neumann, als das nächtliche Dunkel den Peon aufgesogen hatte.

»Ja, warum nicht? Gefällt Ihnen dieser Mann nicht?«

»Er hat doch einen umgebracht!«

»Lieber Kollege!« rief ich lachend, »wenn sie das abhält, einen Peon zu mieten, dann werden sie hierzulande nicht viele Diener finden. Dieser sagt es wenigstens offen heraus, und das gefällt mir an ihm. Wie viele aber suchen hinter einer ehrlichen Miene den Mordgesellen zu verstecken?!«

»Immerhin denke ich es mir unheimlich, wenn ich neben einem solchen Menschen im Walde schlafen soll!«

»Aber in dieser Spelunke fühlen Sie sich sicher? Und glauben Sie wirklich, daß keiner der rauhen Gesellen, die da mit uns unter einem Dache, fast in einem Raume, schlafen, das Leben eines Mitmenschen auf dem Gewissen hat? – So zartfühlend dürfen sie nicht sein, wenn sie die Welt und ihre Wildnis durchwandern wollen. Jedes Land und jede Menschenrasse hat da andere Begriffe und Anschauungen, die sehr oft unsern deutschen diametral gegenüberstehen. Dennoch gibt es unter solchen und besonders unter den sogenannten »Wilden« Menschen, die manchen Kulturjünger weit in den Schatten stellen.«

»Diese Ansichten wurden mir schon einmal von einem, der es wissen muß, auseinandergesetzt, und wenn ich es recht bedenke, dann stimmen damit auch die Erfahrungen überein, die ich drüben an der Westküste machte – aber immerhin ...«

»Sie stehen noch unter dem Eindruck der Indianergeschichte, die uns der Kapitän erzählte, lieber Kollege. Morgen, bei hellem Sonnenlichte, denken sie anders darüber.«

»Das glaube ich kaum, wenn ich an die bestialische Grausamkeit der Indianer denke, dann möchte ich doch denen zustimmen, die das Aussterben der Rasse wünschen.«

»Auch da würde ich widersprechen. Was würden Sie tun, wenn ein fremder Eindringling Sie mit Waffengewalt aus Ihrem Besitztum verjagt? Würden Sie ihm darob zürnen? Und wenn er Ihre Angehörigen ermordet und schändet, würden Sie ihm dafür noch die Hand küssen? Oder würden sie ihm beistimmen, wenn er sagt, Ihre Familie, Ihre Rasse müßte ausgerottet werden? – In dem Falle befinden sich die Indianer. Ich für meinen Teil kann es ihnen nachfühlen, wenn sie sich mit allen Mitteln gegen die Eindringlinge wehren.«

Am folgenden Morgen waren die beiden Zeitungen der Hauptstadt voll von abenteuerlichen Berichten über die Kämpfe am Fort Intermedio. Noch eifriger wurden die Vorfälle in unserm Gasthofe besprochen, denn gerade das Gebiet brachte große Mengen des Yerba Maté hervor und unsere Tischgenossen standen im Begriff, dahin abzureisen. Das Gespräch vom gestrigen Abend, in dem ich die Partei der Indianer genommen hatte, wurde durch mein Erscheinen in dem Schankraume den Yerbateros wieder ins Gedächtnis gerufen. Höhnische Rufe empfingen mich:

»Was sagt denn der kluge Deutsche zu den neuesten Ueberfällen seiner Freunde, der Rotfelle?«

»Geht man auch jetzt noch allein in den Chaco?«

Ich setzte mich achselzuckend an den nächsten Tisch und bestellte, da die Burschen noch ohne Getränke dasaßen, eine Runde Maté für jeden. Dadurch wurde ich einer Erwiderung überhoben. Interessant und von Nutzen für meine Reisepläne war dagegen die Unterhaltung, welche die Teesucher unter sich führten. Fast alle kannten den Chaco von einem Ende zum andern. Mancher hatte indianische Gastfreundschaft genossen und gerade diese Männer suchte ich unauffällig auszufragen.

»Glasperlen können die Roten nicht brauchen. Den Schmuck, den sich die Weiber anhängen, finden sie im Wald. Aber Tabak ist sehr begehrt. Wenn Ihr wirklich einmal mit den Wilden vom Chaco zusammentrefft, dann gebt ihnen ein Stück Tabak. Dafür tun sie alles, was Ihr von ihnen verlangt.«

»Den Karapahy Barbosas müßt Ihr etwas vorknallen, dann lassen sie Euch in Ruhe,« warf ein anderer ein.

»Natürlich muß das Fell dabei ein paar Löcher bekommen,« fügte der größte Schreier hinzu.

»Die Dummheiten laßt lieber bleiben, Fremder,« sagte nun ein alter Yerbatero. »Ich sehe, Ihr seid kein Hitzkopf, versucht es im Guten mit den Rotfellen, wenn sie gerade nichts Unverdauliches von den Truppen bekommen haben – wie letzter Tage – läßt es sich schon mit ihnen leben.«

Ein lärmender Trupp Soldaten trat in die Schenke, sie hatten die letzten Worte gehört und griffen sie auf.

»Mit wem läßt sich's leben? Mit den Rotfellen, sagst du? – Das haben sie vor ein paar Tagen da oben bewiesen, mi viejo! Das hättest du mit erleben sollen. Sämtliche Indianer vom ganzen Chaco waren vor unserm Fort versammelt, sogar ein paar Barbosas und Botokuden haben wir gefangen.«

»Hm – warst du dabei, muchacho? Hast du die Barbosas und die Botokuden gesehen? Wie sahen sie denn aus?«

»Du fragst viel auf einmal, compañero. Werde ich doch die Roten kennen. War lange genug in der Chapada alta

»Ich denke, die Karapahy aus jener Gegend sind Christen geworden.«

»Ja, das sind sie,« wieherte der Soldat. »Aber nur Sonntags. An Wochentagen wüten sie schlimmer als die Heiden.«

Ich hatte genug gehört und verließ die Kneipe. Unschlüssig wandte ich meine Schritte zum Kai. Was ich von dem zu halten hatte, was die Soldaten sagten, wußte ich. Hätte mir nicht der Kapitän seine Geschichte erzählt, so wäre ich auch wohl über die Zeitungsberichte mit kurzem Lachen hinweggegangen. So aber war es doch einer gründlichen Ueberlegung wert, ob ich den Marsch wagen sollte.

Aus der Menge schälte sich Neumann heraus.

»Hierher, Kollege!« rief er. »Ich habe einen Landsmann gefunden, der am Rio Fogones angesiedelt ist. Er will uns auf seine Farm mitnehmen.«

Ich begrüßte den jungen Deutschen mit kräftigem Handschlag.

»Sie werden mir gewiß keine Schauermären von Indianern erzählen,« sagte ich nach den üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin. »Heute ist die Stadt voll von Indianergeschichten. Man spricht sogar von militärischem Schutze für die Kolonisten am Fogones.«

»Davor bewahre uns Gott! Lieber zehn Indianer, als ein solcher paraguayanischer Krieger. Die Rothaut fragt doch wenigstens, bevor sie uns ein Stück Vieh davontreibt. Der Soldat aber nimmt das beste Pferd aus dem Stalle und verschwindet damit, um es auf dem nächsten Markte zu verkaufen. – Uebrigens sind wir Deutschen Freunde der Indianer, sie wissen uns genau von den übrigen Weißen zu unterscheiden. Nach unsern häufigsten Worten geben sie uns den ominösen Namen: y–a, y–a! Versuchen sie es einmal im Busche mit der Selbstbezichtigung und sie werden erstaunt sein über die Wirkung. Allerdings wird man dann auch verlangende Blicke nach Ihrer Tasche werfen, denn sie sind gewohnt, von den Angehörigen des Stammes y–a, y–a Tabak zu erhalten.«

»Nun, das klingt schon anders,« sagte ich, als der junge Bauer seinen launigen Bericht beendet hatte. »Ich wollte schon Paraguay beiseite lassen und mit dem Boot direkt nach der brasilianischen Grenze hinauffahren. Jetzt aber führe ich doch meinen ursprünglichen Plan aus.«

Nachdem ich diesen ausführlicher dargelegt hatte, meinte der Farmer:

»Als Naturforscher sollten sie sich unsere Berge und Wälder nicht entgehen lassen, sie sind von großartiger Schönheit und ich bin überzeugt, daß sie es mir danken, wenn sie auf meine Farm zurückkehren. Besonders Pflanzen und Blumen in seltener Pracht finden sie am oberen Fogones.«

»Letzteres betrifft meinen Kollegen Neumann,« erwiderte ich, auf diesen deutend. »Ich selbst gedenke meine Reise fortzusetzen.«

»Hm, ja! Das ist allerdings von verführerischem Reiz, was sie mir da sagen, aber ... ich weiß doch nicht ... die Reise ins Innere ...«

»Geld können Sie dort gar nicht ausgeben,« unterbrach ihn der Farmer, das Zaudern mißdeutend.

Neumann lachte.

»Nein, nein, Geld habe ich zur Genüge, nur ...«

»Die Indianer!« warf ich ein, indem ich dem Landsmann zublinzelte.

»Was? Sie wollen wegen der Rothäute nicht an den Fogones? Lieber Herr, dort oben sind sie sicherer bei Nacht, als am Tage in Asuncion. Meine Hüterbuben durchstreifen die Berge und Wälder nach allen Richtungen, treffen auch sehr oft mit Indianern zusammen, aber niemals ist ihnen das geringste zugestoßen. Nein, wenn sie weiter nichts einzuwenden haben, dann besuchen sie uns auf unserer Farm, wir sind dankbar für jeden Besuch aus der Heimat. – Morgen früh um acht Uhr geht das Boot stromauf. Darf ich sie dort erwarten?«

»Ich nehme für mich die Einladung dankend an,« erwiderte ich. »Allerdings habe ich einen Diener engagiert, der mich begleiten wird ...«

»Einen Diener?« unterbrach mich der Farmer. »Doch hoffentlich keinen Mulatten oder einen Mann ähnlicher Herkunft?«

»Er ist ein Indianer, ein Karapahy Pidma, dessen Stamm jetzt am Rio Apa angesiedelt ist, nachdem man ihn vom Fogones verjagt hat. Er scheint ein guter Kerl zu sein.«

»Na, ich weiß doch nicht ...,« warf Neumann ein.

»Nun, daß er einen Weißen im Streit erstochen hat, rechnet man doch hier nicht zu den Schandtaten?«

»Nein, darin haben sie recht,« entgegnete der Farmer. »Es fragt sich nur, aus welchen Beweggründen die Tat geschah, wenn nicht niedrige Motive die Triebfeder waren, lassen sogar die Gerichte den Täter frei.«

»Er hat mir offen gesagt, was ihn dazu trieb, und ich kann wohl sagen, daß ich in seinem Falle auch nicht anders gehandelt hätte. Im übrigen werden sie ihn ja kennen lernen.«

Fest entschlossen, am nächsten Morgen abzureisen, verabredete ich mit dem Pflanzer, der den Namen Bauer führte, einen Treffpunkt und begab mich in Begleitung Neumanns in die Stadt. Mein Kollege war ziemlich wortkarg. Die Entscheidung lastete schwer auf ihm. Nicht gewohnt, sich weit von der Zivilisation zu entfernen, schien ihm der Schritt in die Wildnis ein Wagstück von größter Tragweite. Ich hütete mich wohl, ihn zu beeinflussen, damit mich später, wenn wir in größere Schwierigkeiten gerieten, keine Vorwürfe treffen konnten.

Vor einem Waffenladen blieb ich stehen und sagte:

»Ich will mir noch ein Säckchen mit Pulver kaufen, damit ich mir nötigenfalls meine Jagdpatronen ersetzen kann, vielleicht finde ich auch noch anderes, das ich brauchen könnte. Treten Sie mit ein?«

»Ich brauche Kugeln zu meinem Winchester,« erwiderte Neumann. »Ob ich die wohl hier bekomme? Wieviele muß ich wohl mitnehmen?«

»Wohin? Reisen sie mit uns?«

»Allerdings. Wenn ich das finde, was mir der Farmer am Fogones verspricht, dann schließe ich mich bis zur brasilianischen Grenze an. Das Gebirge, die Chapada alta, soll ja fast menschenleer sein?«

»Darüber bin ich nicht unterrichtet. Im allgemeinen zerbreche ich mir nicht den Kopf um solche Dinge. Da ich mich vollständig auf mich selbst verlasse, ist es mir ziemlich gleichgültig.«

»Aber sie brauchen doch hin und wieder Ihre Mitmenschen. Sie können doch unmöglich die ganzen Bedürfnisse einer so langen Reise mit sich führen?«

»Warum nicht? Lebensmittel liefert mir der Wald. Wo keine Menschen sind, brauche ich auch keine Rücksichten auf die Bekleidung meiner äußeren Erscheinung zu nehmen. Ein paar Reservestücke sind im Rucksack. Auch Seife und Salz finde ich im Walde. Das einzige, um das ich mich sorge, ist die Munition. Und davon habe ich ein schönes Gewicht bei mir.

»Sie können doch Ihre Speisen nicht roh essen? Wer wäscht Ihnen Ihre Wäsche? Wo geben sie Ihre Briefe auf?«

»Auch das ist leicht zu beantworten. Wie sie bereits gesehen haben, führe ich einen Topf mit mir. In dem koche ich meinen Kaffee, meine Suppe, meinen Fisch und was ich sonst brauche. Wenn ich mein Wild nicht am Spieß braten kann, hilft der Topf aus. Während die von mir gewaschenen Kleider in der Sonne trocknen, mache ich einen Spaziergang in der Tracht der Wilden. Briefe schreibe ich während eines so langen Marsches nicht. Die, die Interesse an mir haben, wissen nicht einmal, wo ich mich gerade aufhalte. Daß ich zwischen dem La Plata und dem Maranhon herumstreife, weiß man allerdings und das muß genügen, denn etwas anderes kann ich selbst nicht vorher wissen, da ich meine Entschlüsse von Ort zu Ort fasse.«

»Soweit bin ich allerdings noch nicht vorgeschritten – oder soll ich es einen Rückschritt nennen? – mein längster Aufenthalt in unzivilisierten Gebieten belief sich auf fünf Tage – und die genügen mir schon.«

»Dann werden sie sich allerdings auf manche Ueberraschung gefaßt machen müssen, lieber Neumann, denn so eilig habe ich es nicht, wieder in die Grenzen der Kultur zurückzukehren. Ich atme immer auf, wenn ich sie weit hinter mir weiß. Auch diesmal brenne ich darauf, wieder den menschenleeren Wald um mich zu sehen. Das Bewußtsein, auf hundert Kilometer in der Runde keinen kultivierten Menschen zu haben, wirkt befreiend auf mich.«

»Und die Indianer?«

»Gehören zu dem Bilde, wie der Jaguar, der Puma und die harmlosen Tiere der Tropenzone. Sie stören mich nicht, und da ich nie Händel suche, und mich bei dem roten Manne immer als Gast fühle, komme ich nicht mit ihm in Streit. Ich tauche bei den Indianern auf und verschwinde wieder, wie das Meteor im Aethermeere.«

»Wenn das alles so einfach wäre, dann möchte ich wohl einige Wochen mit Ihnen reisen. Von Natur bin ich schweigsam und vermisse die Ansprache anderer Menschen nicht. Also stört mich die Ruhe des Waldes nicht. Nur bin ich von meiner Ausbeute abhängig. Die gesammelten Orchideen müssen rasch verpackt und versandt werden. Alle zwei bis drei Wochen muß ich eine Poststation erreichen können, wenn das auf Ihrer Route möglich ist, und Sie mich haben wollen, dann sage ich ja.«

»Schön, dann werde ich meinen Diener mit der Suche nach einem Peon für Sie beauftragen. Ist Ihnen das recht?«

»Wenn Sie keine Gefahr darin sehen, daß wir statt einem, dann zwei Halbwilde bei uns haben, ja!«

»Nein, lieber Kollege, wir haben von den Eingeborenen nichts zu fürchten. Eher das Gegenteil. Nach den ersten Stunden im Walde werden Sie einsehen, daß es nicht weise ist, mit uns anzubinden. Sie würden auch ohne uns nicht wieder aus dem Walde herauskommen. – Also bleibt es bei der Verabredung.«

Beim Postamte ist eine Art Schreibzimmer eingerichtet. Dort war ich gerade mitten in der Erledigung notwendiger Briefe, als der neue Diener neben mir auftauchte.

»Ich melde mich zum Dienste, Herr,« sagte er schlicht, »wo soll ich auf den Herrn warten?«

»Wie heißt du eigentlich, muchacho?«

»Mein spanischer Name ist Gil. Bei den Jesuiten heiße ich Geronimo.«

»Dann ist mir Gil schon lieber! Also merke auf: Ich nehme dich in meine Dienste bis zum Rio Apa. Du mußt mir die Arbeiten leisten, die ich von dir verlange. Wir durchstreifen nur solche Gebiete, die möglichst wenig oder nie von Weißen betreten werden, schlafen unter einem Dache, wenn ein solches gerade zur Hand ist, oder unter einem einfachen Rancho. Deine Verpflegung ist dieselbe, wie ich sie habe. Wie lange die Reise dauert, weiß ich nicht. Für den Tag erhältst du einen halben Peso Papiergeld und wenn ich am Ende der Reise mit dir zufrieden bin, so bekommst du fünf Goldpesos extra. Außerdem kaufe ich dir eine vollständig neue Bekleidung. Sage dem Deutschen in dem Laden am Hafen, er solle etwas heraussuchen. In einer halben Stunde komme ich selbst. – Und dann noch eins! Der andere deutsche Herr begleitet mich. Kannst du ihm einen zuverlässigen Diener verschaffen?«

»Ja, gewiß, Herr,« antwortete er eifrig. »Mein Bruder geht mit.«

»Ich denke, der ist Soldat und verwundet?«

»Allerdings, Herr. Die Wunde ist nicht so schlimm.«

»Aber er kann doch seinen Dienst nicht ohne weiteres verlassen.«

Ein pfiffiges Lächeln glitt über die Züge des Indianers.

»Er wird zur Stelle sein, wenn der Herr ihn mietet.«

»Meinetwegen also. Das ist seine Sache, wie er sich mit seinem Obersten auseinandersetzt.«

In unserm Absteigequartier erregte unsere Reise in das Gebiet der Indianer großes Aufsehen. Der Brotneid regte sich. Ein paar der Burschen glaubten Yerbasucher in uns sehen zu sollen, die einen Pakt mit den Indianern gemacht hatten.

»Vielleicht habt Ihr den ganzen Aufstand angezettelt, um freie Hand für Euere Geschäfte zu haben!« rief einer mir zu.

»Oho! Das wäre noch schöner, wenn uns die Fremden auch den Verdienst noch nähmen!« scholl es zurück. »Laßt uns die beiden verfolgen! wir finden dann schon, was wir suchen!«

Anfangs überhörte ich die Reden. Als sich aber einer der Teesucher drohend vor mir aufstellte, stand auch ich auf und sprach mit energischem Tonfall in der Stimme:

»Hört mich an, Yerbateros. Ich reise an die brasilianische Grenze. In die Chapada Alta. Ich nehme als Begleiter diesen deutschen Naturalista mit mir und zwei Diener. Ich treffe auch unterwegs mit keinem Menschen zusammen, der Euch Schaden zufügen könnte. Ich kenne keinen Capataz und, außer Euch, keine Teesucher. Also laßt mich zufrieden. Sollte Euch aber meine Rede noch nicht überzeugt haben und wollt Ihr mich aus reiner Bosheit gewaltsam in meinem Treiben hindern, dann muß ich mir leider mit Gewalt meine Ruhe verschaffen, und ich versichere Euch, ich kann gut schießen!«

Damit drehte ich der Gesellschaft den Rücken und schritt dem Verschlage zu, in dem Neumann hastig sein Gepäck ordnete.

»Sie brauchen sich nicht zu beeilen, Kollega,« sagte ich mit erhobener Stimme in spanischer Sprache. »Die Yerbateros sind jetzt unterrichtet und werden uns nicht weiter stören.«

Diese Worte standen allerdings im Widerspruch mit dem wüsten Lärm, den meine Ansprache im Schankraum hervorgerufen hatte. Stimmen der Entrüstung über meine offene Drohung vermischten sich mit rohen spanischen Flüchen und Verwünschungen. Ein paar besonders vorlaute Burschen kamen in unsere Türe und ergingen sich in den ausfallendsten Redensarten. Ich ließ sie eine Weile unbeachtet, bis sie, von den Kumpanen aufgestachelt, in dem Raum traten. Nun zog ich den Revolver und sagte mit der äußerlich größten Ruhe:

»Ihr wißt, muchachos, daß Ihr fremde Räume nicht unaufgefordert betreten dürft. Ihr wißt auch, daß ich nach dem Gesetze das Recht habe, Euch niederzuschießen. Wenn ich das nicht tue, so nehme ich Rücksicht auf Euere Arbeitslosigkeit, die Ihr selbst ja nicht verschuldet habt. – Nun aber hört endlich auf mit der Belästigung. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn unser Boot geht morgen früh stromauf. – Wenn Ihr noch einen Maté auf unsere Gesundheit trinken wollt, so will ich es dem Wirt sagen. Aber wir müssen Freunde bleiben! Verstanden?«

Die Schlußwendung verblüffte die rauhen Gesellen offensichtlich. Schon bei den ersten Worten waren sie auf die Schwelle zurückgewichen. Nun aber machte der finstere Ausdruck einem Gelächter Platz, das anfangs gezwungen, später aber, als meine Antwort den übrigen übermittelt wurde, recht ausgelassen klang. Besonders als der Wirt dem Tee noch einen kleinen Aguardiente beimengte, schlug der Fremdenhaß ins gerade Gegenteil um und nur mit Mühe konnten wir uns einer lärmenden Dankeskundgebung entziehen. – So dicht nebeneinander wohnen in den Seelen der rauhen Buscharbeiter Rachedurst und Vergebung!

Der junge Farmer war schon zur Stelle, als wir eine halbe Stunde vor Abfahrt das Deck des Dampfers betraten. Nach dem üblichen Gruße faßte er unsere Peone scharf ins Auge.

»Den einen kenne ich,« raunte er mir zu. »Der war mit Padre Lorenzo öfter in der neuen Ansiedlung. Der jüngere hat eine große Aehnlichkeit mit einem Indianer, der uns Ansiedlern vor Jahren viel zu schaffen machte. Es sollte mich nicht wundern, wenn das der Sohn des blutgierigen Wilden ist.«

»Es sind Brüder. Der Aeltere heißt Gil, bei den Padres nennen sie ihn Geronimo. Der andere machte als Soldat den Indianerüberfall mit. Er ist anscheinend desertiert, denn gestern sah ich ihn noch in Uniform.«

»Das kommt bei uns oft vor. Ich bin nur neugierig, wie sich unsere alten Indianer, die ich auf der Farm ansiedelte, zu den beiden stellen. Hoffentlich können Sie etwaige Streitigkeiten verhüten?«

»Sicher werde ich das können, sobald wir abgefahren sind, nehme ich mir die beiden auf die Seite und sage ihnen, wie sie sich zu verhalten haben. – Wer nicht gehorcht, muß fort. Das ist ein Grundsatz, von dem ich nicht abgehe.«

Am Morgen des dritten Tages erreichten wir die Mündung des Rio Fogones in den Rio Paraguay. Ein freundliches Bild bot sich unsern Blicken, als die ersten Sonnenstrahlen über die fernen Berge herüberlugten. Inmitten eines ausgedehnten grünen Parkes erhoben sich die Dächer einer Ansiedlung. Jedes einzelne Haus schien von einem kunstsinnigen Baumeister der Landschaft angepaßt zu sein. Eben stand ich im Begriff, meinen Begleitern meine Verwunderung über eine so ungewöhnliche Dorfanlage auszudrücken, als der Dampfer stoppte und seine Haltetaue ein paar kraftstrotzenden Weißen zuwarf, die ihn mittels derselben vor einem Abtreiben mit der Strömung sichern sollten. Der eine der Burschen mochte seine Aufmerksamkeit aber wohl etwas Interessanterem zuwenden, denn das Tau glitt ihm rasch durch die Hände und wäre in den Fluß gefallen, wenn nicht ein müßiger Gaffer es im letzten Augenblick erfaßt hätte.

»Ja, schläfst du denn immer noch, du Dösbartel!« tönte jetzt die unwillige Stimme seines Kameraden herüber. Und nun wußte ich, daß wir uns vor der deutschen Ansiedlung Nueva Germania befanden. Ich hatte sie weiter flußaufwärts vermutet, und hätte mir eigentlich selbst sagen können, daß eine derartig sauber gehaltene Dorfgemeinschaft nur unsern Landsleuten gehören konnte.

Unsere Ueberraschung stieg aber aufs höchste, als nun der Postbeamte auf Deck kam und trotz seiner paraguayanischen Abzeichen mit unserm Begleiter Bauer reines Deutsch sprach. Ich konnte es nicht unterlassen, mich mit dem Manne bekannt zu machen und ihm meine Freude darüber auszusprechen, daß er seine Muttersprache noch ohne spanische Mischwörter beibehalten hatte. Er nickte zufrieden und sagte:

»Darauf halten wir streng bei uns. Die Kolonie hat ihren Namen nicht umsonst. Wir wollen uns und unsern Kindern eine deutsche Heimat bewahren, und jeder, der das militärpflichtige Alter erreicht hat, wird auf Kosten der Gemeinde nach drüben geschickt, um dort zu dienen. Jene beiden Männer am Kai müssen in einigen Monaten fort.«

»Das ist brav gesprochen, Landsmann. Ihre Gemeinde hebt sich durch diese Grundsätze hoch über alle deutschen Ansiedlungen im Auslande empor. Ich kenne hunderte derartiger Kolonien in allen Teilen der Welt. Keine ist unverfälscht geblieben. Bei vielen sprechen bereits die Kinder nicht mehr deutsch und selbst die Eltern scheinen sich ihres Vaterlandes zu schämen.«

»Ich weiß,« nickte er, und deutete über die Achsel nach Osten. »Da drüben haben wir solche Landsleute. Die meisten haben indianische Frauen und die farbigen Kinder verstehen schon kein deutsches Wort mehr. Darum verkehren wir auch nicht mit ihnen.«

»Ja, diese Ehen mit Eingeborenen ...«

»Nein, nein! Die sind nicht schuld daran,« unterbrach er mich. »Auch bei uns haben zwei Söhne eingeborene Frauen geheiratet. Aber sie mußten sich verpflichten, bei Strafe des Ausschlusses aus der Kolonie, mit ihren Kindern nur deutsch zu reden, und auch die Frauen mußten unsere Sprache lernen. Es geht sehr gut. Es fehlt aber in den meisten Fällen am guten Willen und an mangelndem Nationalstolz. Es ist ja unser Erbfehler, daß wir alles ausländische dem heimischen vorziehen, selbst wenn ersteres viel, viel minderwertiger ist.«

Unsere Unterhaltung wurde unterbrochen, wir mußten hier den Dampfer verlassen. Ein großes Fahrzeug hatte bereits unser Gepäck eingeladen, und wartete nur noch auf uns, um uns den Rio Fogones aufwärts zu Bauers Farm zu bringen. Ich drückte mein Bedauern über den kurzen Besuch aus, aber Bauer erwiderte lachend:

»Wenn Sie die eigentliche Kolonie besuchen wollen, brauchen Sie ein paar Tage. Die liegt noch weiter im Lande drin. Dies hier ist ein Dörfchen, das den Handel vermittelt, Waren empfängt und verschifft, kurz die Geschäfte der Kolonie macht. Der Postmeister ist die Vertrauensperson.«

Ich verschob den Besuch auf spätere Zeiten und – wie das bei solchem Aufschub meistens geht – ich kam nie mehr dazu. Auf Bauers Farm verloren wir mehrere Tage, weil auch zu deren Bewohnern Gerüchte von aufständischen Indianern und dergleichen gedrungen waren. Um mir Gewißheit zu verschaffen, sandte ich Gil und dessen Bruder in das Gebiet der Karapahy, um zu erkunden, was an den Nachrichten Wahres sei. Sie blieben drei Tage aus. In der Zwischenzeit machte uns ein alter Indianer darauf aufmerksam, daß die beiden Brüder die Söhne eines in hohem Ansehen stehenden Pidma-Häuptlings seien, der als ein sehr grausamer Mann und ausgesprochener Feind aller Weißen bekannt wäre. Wir sollten jedenfalls auf unserer Hut sein. Als Führer durch das Indianergebiet seien die beiden allerdings von allergrößtem Werte, wenn sie nichts Böses gegen uns beabsichtigten.

Als wir abends mit Bauer und dessen Familie auf der Veranda saßen, brachte Neumann die Rede auf diese Warnung. Er wollte des Farmers Ansicht darüber hören und ließ dabei durchblicken, daß ihn das Verschwinden der beiden Peone etwas beunruhigte.

»Lieber Landsmann,« sagte Bauer und klopfte Neumann auf die Achsel, »wenn Sie alle Eigentümlichkeiten der Indianer mit mißtrauischen Augen ansehen, dann werden Sie kaum eine ruhige Stunde haben. In den roten Söhnen dieser Wälder sitzt nun einmal ein Wandertrieb, dem sie gehorchen müssen. Daran sollten Sie sich beizeiten gewöhnen. Wenn Ihnen die beiden Indianer ihr Wort gegeben zu haben, für ihre Sicherheit zu sorgen, dann halten sie es auch. Besser ist es noch mit ihnen zu rauchen und dem Akt einen feierlichen Anstrich zu geben. Das sehen sie gern. Es erinnert sie an die Gebräuche ihrer Stämme und sie betrachten diese Höflichkeit als besondere Auszeichnung. Das ändert an dem Verhältnis zwischen Ihnen und Ihren Dienern nicht das geringste. Sie leben ja doch in Gemeinsamkeit und in der Wildnis läßt sich das Dienstverhältnis ohnehin nicht aufrecht erhalten. Uebrigens halte ich Ihre Leute für ehrlich.«

Die Worte waren kaum verklungen, da erschien Gil unten an der Treppe der Veranda. Bauer gab ihm die Erlaubnis heraufzukommen und fragte ihn nach seinem verbleib.

»Ich war bei den Indianern,« erwiderte er ruhig. »Sie sind in großer Aufregung, weil man sie am Pilcomayo auf verräterische Weise in eine Falle gelockt hat. Sie verloren viele Krieger. Aber sie nahmen auch blutige Rache an den Feinden. Jetzt rüsten sie zu einem Ueberfall auf ...«

Gil unterbrach sich und zog die Stirn kraus. Er bereute offenbar seine Mitteilungen. Aber Bauer gab sich nicht mit halben Worten zufrieden und drängte auf Vollendung des Satzes.

»Nun ja! sie überfallen das Grenzfort Guachalla. Kundschafter haben gemeldet, daß die Besatzung mit beim Fort Intermedio gekämpft hat und dafür soll sie bestraft werden.«

»Hm – wann findet der Ueberfall statt?«

»Wird der weiße Herr es verraten?«

»Ganz gewiß nicht!« rief Bauer aus. »Was gehen mich die Kriege der Regierung an. Sie mag die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt hat. Ich frage nur, weil eine meiner Verwandten von der Mission Mangyalwa hierherreisen will. Ich möchte sie nicht unterwegs wissen, wenn der Tanz losgeht.«

»Wann geht die weiße Frau von der Mission fort?«

»Sie wollte am Sonntag mit den Patres abreisen ...?«

»Dann muß ich sie warnen. Gebt mir ein Pferd, Herr! Ich bringe die Frau ungefährdet hierher.«

»Steht es wirklich so schlimm?« fragte der Farmer, den nun sein Optimismus verließ. »Ich glaubte die Karapahy seien Freunde der Weißen.«

»Mein Stamm wird auf mein Wort hören, Herr, aber eilt Euch, denn die Zeit ist nur kurz und der Weg ist weit.«

»Wo ist dein Bruder? Wird er dich begleiten?«

»Mein Bruder erwartet mich oben bei den Wasserfällen. Ich wollte meine weißen Herren mit mir führen, weil jetzt der Chaco frei ist. Aber die Rettung der Frau geht vor. – Wo ist das Pferd?«

Die Hast, mit der die Worte hervorgestoßen wurden, veranlaßte Bauer zu der Frage, ob denn der Mission auch Gefahr drohe.

» Quien sabe!« erwiderte Gil und sprang die Stufen hinab, augenscheinlich bemüht, weiteren ihm unbequemen Fragen aus dem Wege zu gehen. Bauer beruhigte sich auch dabei. Ich sprang dem Indianer aber nach und erreichte ihn, als er eben auf den Rücken des Pony sprang.

»Halten sie mich nicht auf, Don Fernando. Eile ist not!«

»Erst sage mir, ob den Insassen des Klosters Gefahr droht.«

»Wenn Soldaten dort sind, so werden diese getötet. Den Patres und den Frauen droht keine Gefahr.«

Mit diesen Worten hieb er so heftig auf das Pferd ein, daß ich zurücktaumelte und in die Arme des alten Indios fiel.

»Viel Blut wird fließen!« murmelte er vor sich hin. »Alle Indianer strömen zusammen, um den Verrat zu rächen. Mein weißer Herr wird nicht in den Chaco reisen können.«

»Weißt du Näheres über den Angriff der Indianer?«

Der Alte schüttelte den Kopf und erwiderte mit tiefer Trauer in der stimme:

»Malibo ist ein alter Mann. Sein Arm ist kraftlos. Er hat den Kriegsruf der Karapahy gehört, aber er kann ihm nicht folgen. Aber Malibo kann seinen Brüdern auf andere Weise helfen, auch wenn er hier bleibt.«

»Du wirst doch deine weißen Herren nicht ins Unglück stürzen wollen?« fragte ich, als der Alte schwieg.

»Meine weißen Freunde sind auch Freunde meines Stammes. Sie werden nicht gegen die Karapahy kämpfen, wenn diese Rache an ihren Feinden nehmen. Aber es ist auch nicht gut, wenn die weißen Männer jetzt in den Chaco reisen. Es sind viele fremde Stämme herbeigezogen, die den Weißen feindlich gesinnt sind. Sie wissen nicht, wer Freund und wer Feind ist.«

»Dann glaubst du nicht, daß uns Gil ungefährdet durch die Wälder führen kann?«

»Weder Gil noch sein Bruder Cirino. Dieser letztere ist auch den Indianern verdächtig.«

»Warum? Hat er seinen Stamm verraten?«

»Man weiß es nicht! vor zwei Tagen kamen Indianer den Fluß hinunter, die ihn suchten. Man will ihn zwischen den Soldaten gesehen haben. – Es ist nicht gut für ihn, sich unter den Indianern zu zeigen, wenn er sich nicht von dem Verdachte befreien kann.«

Die Nachricht trug nicht dazu bei, meine Reisepläne zu fördern. Im Gegenteil. Die Vernunft sagte mir, angesichts der gereizten Rothäute lieber auf eine Durchforschung der Wälder zu verzichten. Andererseits aber vertraute ich meinem Führer Gil. Er hätte es nicht unternommen, nach der Mission zu reiten, wenn er von den Indianern irgend etwas zu fürchten hatte – –

Mit solchen Gedanken betrat ich die Veranda. Ich fand den Farmer in lebhaftem Gespräch mit Neumann. Letzterer hatte gerade die neuesten Meldungen aus Concepcion mit Bauer durchgesprochen und er empfing mich mit dem Rufe:

»Umkehren, Don Fernando! Die Partie ist verloren!«

Ich setzte mich neben ihn an den Tisch und bat um nähere Aufschlüsse.

»Eben kommt die Post herauf. In Concepcion herrscht große Aufregung. Die Indianer drohen die Stadt zu stürmen und alle Weißen zu ermorden ...«

»Donnerwetter! Der Mann geht aufs Ganze!« rief ich aus. »Gibt es in der Stadt Leute, die den Unsinn glauben?«

»Das ist kein Unsinn,« warf Bauer ein. »Den Indianern ist alles zuzutrauen. Sie sind vollgesogen mit Rachegedanken gegen die Regierung, die sie von ihren Dörfern verjagt und sie immer weiter in die unwirtlichen Wälder zurückdrängt, in denen sie ihre Lebensbedingungen nicht mehr finden. Da ist es doch kein Wunder, wenn die Rothäute gemeinsame Sache machen, den eigenen Hader vergessen und einen Rachezug gegen die weiße Rasse unternehmen. Nach allem, was ich von meinen Leuten höre, sind die uns am nächsten wohnenden Stämme im Begriff, ihre Hütten zu verlassen und sich im Innern des Chaco in Sicherheit zu bringen.«

»Das wäre allerdings ein Beweis für die Richtigkeit der Alarmnachrichten,« erwiderte ich. »Aber die Stadt werden die Indianer nie und nimmer angreifen. Daß sie dabei einfach alles verlieren, dürfte auch dem verblendetsten unter ihnen einleuchten.«

»Nun, ja, wörtlich ist das wohl nicht aufzufassen. Aber wir Ansiedler sollten doch wohl daran denken, uns beizeiten in der Stadt in Sicherheit zu bringen. Wir leben hier ziemlich entfernt von jeder Hilfe und unsere Farmen werden natürlich als erste einem Angriff zum Opfer fallen. Ich warte nur noch Nachrichten von der Mission ab. Danach treffe ich meine Vorkehrungen.«

»Der alte Malibo ließ schon ein paar ähnliche Warnungen fallen. Er sprach aber nur von unserer Reise in den Chaco. von einer Gefahr für Ihre Hazienda schien er nichts zu wissen.«

»Der Alte ist mir gut gesinnt. Er ist anhänglich. Wie weit dabei meine Familie in Betracht kommt, weiß ich allerdings nicht, seine Treue gilt jenen alten Bäumen, in denen nach dem Glauben der heidnischen Rothäute die Seelen seiner Vorfahren wohnen sollen. Hier auf meinem Grund und Boden stand vor vielen Jahren ein Dorf der Pidma, in dem der alte Malibo und noch einige in der Nähe lebende Indianer das Licht der Welt erblickten. An der Quelle, neben den riesigen Ulmen, ruhen die Gebeine der Häuptlinge. Man hat es mir sehr hoch angerechnet, daß ich den Platz achtete und ihn den Indianern gewissermaßen als Eigentum überließ. Dadurch erwarb ich mir ihre Freundschaft. Inwieweit ich mich aber darauf verlassen kann, bedarf noch der Prüfung. Mein Nachbar, der zwanzig Meilen stromauf wohnende Argentinier war nicht so rücksichtsvoll. Er fand innerhalb seiner Grenzen einen indianischen Begräbnisplatz, den er öffnete und die Gebeine an ein Museum verkaufte. Die Indianer baten ihn, die Ueberreste ihrem Stamme zu überlassen. Sie boten ihm Gold dafür. Um den Fundort des edlen Metalls kennen zu lernen, ging er scheinbar auf den Handel ein. Er verlangte aber das Gold an seinem Ursprungsorte selbst zu holen. Auch darein willigten die Rothäute. Während er mit ihnen aufbrach, holten die Käufer die Gebeine heimlich ab. Aber weder der Argentinier noch die Sendboten der Käufer kehrten jemals in ihre Heimat zurück. Die Farm ging in Flammen auf. Die Frau und zwei weiße Mägde wurden anscheinend als Sklaven verschleppt. Was an Männern anwesend war, fand man einige Tage später erschlagen im Walde ... Seitdem habe ich stromaufwärts keinen Nachbarn mehr. Wenn von dort her ein Angriff droht, trifft er mich zuerst.«

Die Unterhaltung drehte sich noch bis in die sinkende Nacht hinein um diesen Punkt. Frau Bauer zeigte keinerlei Unruhe. Sie vertraute auf Gottes Schutz und auf die Dankbarkeit der Indianer, denen sie stets Gutes getan hatte. Sie war ihnen Beraterin in all' den kleinen Sorgen geworden, die über die Kinder des Waldes hereinbrechen, wenn sie der Zivilisation zugeführt werden. War ein Kind erkrankt, dann scheute die wackere Frau selbst lange Ritte nicht, um an das Lager des hilflosen Wesens zu eilen ...

»Nein, so undankbar sind die roten Menschen nicht, daß sie meine Hilfe so vergelten!« schloß Frau Bauer ihre Erzählung.

Sie ahnte nicht, wie bald ihre Zuversicht auf die Probe gestellt werden würde.

Der nächste Morgen brach an, ohne zunächst eine Aenderung in dem friedlichen Bilde landwirtschaftlichen Fleißes hervorzubringen. Bauer ritt wie gewöhnlich auf seine Felder hinaus. Die Indianer gingen ihrer Arbeit nach. Ein aufmerksamer Beobachter allerdings hätte in dem unsteten Gebaren des alten Malibo etwas Auffälliges bemerkt. Er ging nicht wie sonst durch Haus und Stall, sondern hielt sich in der Nähe der Häuptlingsgräber und hob oft lauschend oder spähend den Ropf. Neumann und ich saßen auf der Veranda und reinigten unsere Waffen. Nicht aus Besorgnis, sondern das Gespräch kam auf den Mechanismus der neuen Büchsen und ich wollte dem Gefährten zeigen, wie er die einzelnen Teile im Bedarfsfalle reinigen und wieder zusammensetzen mußte.

Da wurde der große Hund laut. Er sprang in weiten Sätzen über den freien Platz zur Quelle und gab dort wütend Standlaut. Der alte Malibo lief, so schnell ihn seine Beine trugen, dem Rüden nach und suchte ihn zu beruhigen. Das gelang ihm aber erst, als er selbst unter den mächtigen Ulmen verschwand. Inzwischen trat Frau Bauer aus dem Hause. Der ungewöhnliche Lärm des Hundes deutete auf die Anwesenheit fremder Indianer, und wenn diese ihren Hof betraten, so bedurften sie fast immer ihres Rates, während sie, die Augen mit den Händen beschattend, vom freien Platze aus nach der Quelle blickte, stürmte der Hund heran, sprang an ihr herauf und eilte bellend wieder zurück. Fast unmittelbar nachher kam er wieder. Neben ihm schritt in Begleitung des Alten ein Indianer in vollem Kriegsschmuck. Es war eine prächtige hohe Gestalt, die mit einer Würde daherkam, die ein König nicht besser ausdrücken konnte.

Der Wilde, denn als solchen mußte man ihn ansprechen, weil er, abgesehen von seinem kriegerischen Schmucke völlig unbekleidet war, blieb fünf Schritte vor Frau Bauer stehen, und fragte in schlechtem Spanisch, aber mit gebieterischem Klang in der Stimme:

»Warum kommt der weiße Mann nicht zu mir?«

»Willst du mir nicht erst sagen, was dich hierherführt?« gab Frau Bauer stolz und mit eiserner Ruhe zurück.

Der Wilde blickte betroffen auf.

»Kennt mich die weiße Frau nicht?« fragte er, indem er sich in die Brust warf.

»Die roten Krieger, die ich kenne – und es sind deren recht viele – betreten mein Haus nicht, ohne die Waffen niederzulegen. Und dann bitten sie erst um die Erlaubnis mit mir zu reden.«

»Mein Stamm ist auf dem Kriegspfad. Meine Krieger lagern im Walde. Auf einen Ruf von mir können sie hier sein ...«

»Demnach bist du ein Häuptling?« fragte Frau Bauer und ihre Stimme drückte Verwunderung aus. »Das hätte ich nie geglaubt.«

»Warum zweifelt die Frau an meinen Worten?« Eine tiefe Furche grub sich über der Nasenwurzel in die Stirn. Aber auf die mutige Frau machte die zornige Miene nicht den geringsten Eindruck. Sie antwortete wegwerfend:

»Weil ein Häuptling der Karapahy sich schämen würde, vor einer wehrlosen Frau mit seinen Waffen zu erscheinen. Die Pidma sind große Krieger, sie sind unsere Freunde und essen und schlafen bei uns im Hause.«

»Die weiße Frau spricht nicht die Wahrheit, wenn sie sich der Freundschaft der Pidma rühmt,« antwortete der Wilde. »Alle Weißen sind unsere Feinde.«

»Das mag für dich so sein. Die Pidma aber gehören zu uns. Sie würden dich und deinen ganzen Stamm ausrotten, wenn sie wüßten, daß du hier solche drohenden Reden mit ihrer Freundin führst.«

Der Häuptling wurde jetzt ungeduldig. Zornig stieß er die schwere Keule auf den Boden und rief mit erhobener Stimme: »Wirst du mir endlich sagen, wo dein Mann sich verborgen hält? Oder soll ich dich gefangen fortführen?«

Frau Bauer maß den Wilden mit einem geringschätzenden Blick von oben bis unten und sagte dann:

»Du bist kein Häuptling! Du drohst einer wehrlosen Frau. Wenn ich das den Pidma erzähle, werden sie dich verachten!«

Wer weiß, ob wir, die wir im Anschlag auf der Veranda lagen, nicht noch mit der Waffe in den Zwist eingegriffen hätten, wenn nicht in diesem Augenblick der Hund mit einem Freudengeheul in den Wald gesprungen wäre. Gleich darauf erschien er wieder an der Seite eines Indianers, der auf dampfendem Pferde auf den Hof ritt. Hart vor dem Wilden zügelte er sein Tier, sprang zu Boden und reichte, ohne den Häuptling eines Blickes zu würdigen, Frau Bauer die Hand:

»Braucht meine Freundin meine Hilfe?« fragte er atemlos.

»Du kommst zur rechten Zeit, Kaapa. Hier steht ein Mann, der sich Häuptling nennt und eine wehrlose Frau mit Waffen bedroht.«

Der Indianer drehte sich jetzt zu dem Wilden und sprach:

»Ich bin Kaapa, ein Häuptling der Karapahy Pidma. Wer bist du und wie kommt es, daß du mit bewaffneten Kriegern in mein Gebiet einfällst? Bist du ein Freund der Pidma, dann lege deine Waffen ab, sonst ...«

Es war interessant zu sehen, wie sich die beiden Könige ihrer Stämme jetzt mit den Blicken maßen. Der Wilde befand sich sichtlich im Unrecht. Zu stolz aber, um vor den Weißen seine Niederlage zuzugeben, erhob er die Stimme und antwortete in der uns unverständlichen Indianersprache. Seine Rede trug den Stempel zorniger Entgegnung. Die Rechte faßte die Keule fester. Fast schien es, als wollte er die Waffe gegen den anderen erheben.

Kaapa jedoch stand wie eine Bildsäule vor dem Eindringling. Kein Muskel in seinen energischem Zügen deutete auf eine innere Erregung. Ab und zu unterbrach er den Wilden mit einem oder einigen Worten, die den andern nur noch mehr reizten. Endlich schien auch Kaapa die Geduld zu verlieren. Er winkte Malibo zu sich heran, gab ihm einen kurzen Befehl und gleich darauf gellte ein eigentümlicher, lauter Ruf durch den Wald.

Zwei Minuten später wimmelte der Hof von Indianern, die alle in Kriegstracht waren, zum Teil mit greulicher Bemalung im Gesicht. Viele grüßten Frau Bauer mit der Hand, bevor sie sich in den Ring einreihten, der sich rasch um den wilden Häuptling schloß. Jetzt erreichte das Stimmengewirr seinen Höhepunkt. Der Wilde überschrie die andern mit seiner gewaltigen Stimme. Er mußte aber schließlich doch wohl den Beweisen der Pidma gegenüber nachgeben, denn wir sahen, wie er in Begleitung einiger Krieger in der Richtung auf die Häuptlingsgräber verschwand.

Nun erst kehrte Kaapa zu Frau Bauer zurück. Auf ihre besorgte Frage:

»Hast du meinen Mann nicht gesehen, Häuptling?« antwortete dieser, nicht ohne Unruhe:

»Ist er nicht im Hause, mein weißer Freund?«

»Aber Häuptling! Würde er mich allein gelassen haben?«

»Du hast recht. Ich muß ihn suchen. Wohin ist er gegangen?«

»Er ritt auf das Maisfeld am roten Hügel. Dort wird er sein. Wirst du ihn benachrichtigen, Kaapa?«

»Ich werde selbst nach ihm sehen! – Malibo, mein Pferd!«

Die Hast, mit der sich der Häuptling entfernte, ließ uns nichts Gutes ahnen.

»Machen Sie sich fertig, Neumann. Wir werden Freund Bauer entgegenreiten,« sagte ich, und schnallte die Sporen an.

Als wir die Pferde aus dem Stalle zogen, vertrat uns ein rot bemalter Indianer den Weg.

»Du darfst jetzt nicht fort, Weißer,« sagte er mit Nachdruck.

»Wer will mich daran hindern?« fragte ich zurück.

»Es sind fremde Stämme in der Nähe, die den Weißen feindlich sind. Sie würden euch töten.«

»Das würde den Indianern viele Leute kosten,« erwiderte ich, auf meine Büchse schlagend. »Du kennst doch diese Waffen?«

»Dennoch wirst du nicht reiten. Mein Häuptling will es nicht.«

»Hm – wird er den Herrn dieser Besitzung hierherbringen?«

»Er hat es gesagt. Kaapa hält sein Wort. Ihr aber müßt hier bleiben, um die Frauen zu beschützen.«

»Ich denke, euer Häuptling hat euch als Schutzwache zurückgelassen. Genügt das nicht?«

»Wir dürfen unsere Freunde nicht mit Waffen angreifen, wenn sie kommen sollten. Wir dürfen nur reden.«

»Und wenn das nicht hilft?«

»Dann müßt ihr die Verteidigung übernehmen. Ich hoffe aber, daß es nicht nötig sein wird.«

»Das hoffe ich auch, wenn auch aus einem anderen Grunde.«

Frau Bauer kam in diesem Augenblick aus dem Hause und wollte durch den Vorgarten an den Fluß hinuntergehen. Auf meinen Anruf blieb sie stehen und winkte lebhaft.

»Wohin, Frau Bauer?« fragte ich. »Der Indianer warnt uns, den Hof zu verlassen. Wenn Sie draußen zu tun haben, begleiten wir Sie.«

»Mein Mann kommt! Hörten Sie nicht den Ruf?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie weiter und wurde gleich darauf durch das Gebüsch unseren Blicken entzogen.

Der Indianer, der die deutschen Worte nicht verstand, sah mich fragend an. Als ich ihm die Mitteilung übersetzte, fuhr er auf und rief:

»Das ist nicht möglich. Haltet die Frau auf! – Nein, bleibt hier, ich gehe selbst!«

In weiten Sätzen eilte er davon, während wir unschlüssig zum Hause zurückkehrten. Dort trat uns eine braune Dienerin mit der Frage entgegen, ob es wirklich der Herr gewesen sei, der gerufen hätte.

»Warum zweifelst du daran?« fragte ich.

»Draußen sind so viele Indianer, die ich nicht kenne. Der Herr würde die Frau nicht rufen, weil er sie immer von den roten Männern fernhielt ...«

»So glaubst du, daß ihr Gefahr droht?«

»Ich fürchte es. Man wird den Ruf nachgeahmt haben.«

»Los, Neumann!« rief ich. »Die ganze Geschichte gefällt mir hier nicht. Wir wollen der Frau nachlaufen und uns überzeugen, daß ihr keine Gefahr droht. Mag es nun dem Kaapa recht sein oder nicht.«

»Wollen die weißen Herren meine Frau befreien?« fragte die Dienerin, die den Sinn unserer Worte aus unseren Mienen las. »Dann zeige ich Ihnen einen Weg, den die Indianer nicht kennen. – Folgen Sie mir.«

Neumann zögerte. »Wenn wir auch fortgehen, ist niemand mehr auf dem Hofe, der nach dem Rechten sieht ...«

»Frau Bauers Leben ist wertvoller als der ganze Hof,« erwiderte ich. »Ich muß wissen, was aus ihr geworden ist. Kommen Sie! Jeder Augenblick kann verhängnisvoll werden.«

Die Indianerin führte uns in die Scheune. Dort erstieg sie eine hohe Leiter und ging um große Haufen von entschältem Mais herum bis zur Rückwand. Hier befand sich eine Oeffnung in der Mauer, die mit Brettern verschalt war.

»Wenn die Herren diese Tür aufbrechen, werden sie ungesehen bis an den Fluß gehen können.«

Es bedurfte nur geringer Kraftanstrengung, um die Verschalung zu beseitigen. Vor uns lag nackter Fels, an den die Scheune angebaut war. Die Oeffnung bildete den Ausgang in eine Felsenrinne, die vielleicht in grauer Vorzeit einem schäumenden Gebirgswasser als Bett gedient haben mochte. Bauer hatte ihren Wert als »Notausgang« erkannt, und sie soweit gesäubert, daß man sie ohne Anstrengung bis zum Fluß begehen konnte. – Wir zögerten natürlich keine Minute diesen Weg zu benutzen. Er lag im Gefälle und war so tief ausgewaschen, daß wir aufrecht gehen konnten, ohne die seitlichen Wände mit dem Kopfe zu überragen. – Nach etwa fünfzig Schritten senkte sich die Spalte schroff nach unten und nun mußten wir künstlich ausgehauene Stufen hinuntergehen, um auf einen Vorsprung zu gelangen, der von dichtem Buschwerk umgeben war. Von hier aus konnten wir aus der grünen Deckung heraus das Flußufer ziemlich weit stromauf und -ab übersehen.

Reges Leben herrschte dort, wo sonst höchst selten eines Menschen Fuß seine Spur dem Boden einprägte. – Indianer aller Schattierungen waren hier versammelt. Alle trugen Kriegsschmuck und Waffen. Drüben unter den Ulmen standen in lebhafter Unterhaltung fünf Männer. Sie trugen das Zeichen der Häuptlinge und berieten sichtlich über das Schicksal der Farm. Der alte Malibo stand etwas abseits der Gruppe und warf von Zeit zu Zeit ein Wort in die Debatte, das den Männern indessen nicht zu gefallen schien, denn aus den Gesten, mit denen die Antwort begleitet wurde, schloß ich, daß man anderer Meinung war, als der alte Mann.

Plötzlich ging eine Bewegung durch die Schar der Rothäute. Den Fluß hinunter kam ein kleines Boot, in dem neben zwei Ruderern ein alter weißhaariger Indianer saß, der von den älteren Rothäuten durch Zurufe freudig begrüßt wurde. Auch die fünf Männer bei den Ulmen wandten den Kopf, machten aber keine Miene, den Ankömmling zu begrüßen. Malibo dagegen stürzte mit einem Freudengeheul auf den Alten zu. Was er ihm zurief, verstanden wir nicht, aber auch ohne Worte wußten wir, daß der Weißhaarige ein Häuptling der Pidma war, zu dessen Stamm Malibo gehörte.

Der Neuangekommene sprang mit jugendlicher Lebhaftigkeit ans Ufer und ließ es sich gefallen, daß ihn der alte Malibo stürmisch in seine Arme schloß. Dann aber erlosch der freundliche Ausdruck in den Zügen des Häuptlings. Er deutete auf die Gruppe bei den Ulmen, und seine Linke faßte fester den Griff der Keule. – Nach kurzer Unterhaltung lief Malibo zu den fünf Männern hinüber, während der Alte gespannt flußaufwärts blickte, gleichsam, als ob er von dort jemand erwartete.

Malibo mußte jedoch den Häuptlingen keine angenehme Mitteilung überbracht haben, denn diese schrien nunmehr auf den alten Krieger ein und hoben drohend die Waffen. – Dieses Zeichen der Feindschaft verstand aber auch der Häuptling. Er winkte einen seiner Ruderer zu sich heran und sprach wenige Worte mit diesem. Gleich darauf gellte ein seltsam modulierter Ruf durch den Wald, der im Handumdrehen einige Dutzend Krieger an die Seite des Alten brachte. Sie bildeten einen Kreis um ihn und lauschten andächtig seinen Worten. Die Rede war nur kurz. Der Ring öffnete sich und drei der Männer begaben sich gemessenen Schrittes zu der Gruppe bei den Ulmen. Dort angekommen, trat einer vor und hielt den Häuptlingen eine Ansprache, die mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde, denn drei von den fünf traten zu den Abgesandten über, während die beiden anderen sich in der Richtung der Gräber entfernten.

Das schien Krieg zu bedeuten. Denn als die drei Häuptlinge in Begleitung der Abgesandten zu dem Alten zurückkehrten, entstand eine lebhafte Bewegung unter den am Ufer Versammelten. Es bildeten sich Gruppen. Hie und da verloren sich kleine Trupps im Walde. Auch ein Signal, mit einem Kuhhorn gegeben, ertönte aus der Ferne.

»Jetzt schneiden sie sich gegenseitig die Hälse ab,« sagte Neumann, auf eine kleine Gruppe deutend, die sich mit blanken Messern gegenüberstand. »Wenn Bauer und seine Gattin sich jetzt noch außerhalb der Farm aufhalten, gebe ich sie verloren.«

»Hm, große Hoffnung auf ihre Rettung habe ich selbst nicht mehr. Wenn ich wüßte, wo sie sich aufhalten, würde ich immerhin den Versuch wagen, aber gegen diese Menge von Rothäuten kann selbst das Militär nichts ausrichten. – Ob man nicht zu dem alten Malibo gelangen kann? Der wäre vielleicht froh, wenn er uns als Verstärkung hinter sich wüßte.«

»Gegen seinen eigenen Häuptling tritt er nicht auf,« sagte Neumann. »Wenn der eben Angekommene der gefürchtete frühere Besitzer dieses Landstriches ist, dann dürfen auch wir uns nicht zeigen. Er soll ja ein erbitterter Feind unserer Rasse sein.«

»Bauer schien nichts von ihm zu fürchten. Er erklärte ihn sogar für seinen Freund. Demnach wären die beiden Ehegatten, wenn sie noch leben, jetzt außer aller Gefahr. Immerhin müssen wir versuchen, etwas über das Schicksal der beiden zu erfahren. Ich kehre zur Farm zurück. Bleiben Sie unterdessen hier und beobachten Sie, was vorgeht. Ich hoffe bald zurück zu sein.«

»Soll ich nicht lieber mitgehen? Wenn man Sie angriffe, könnte ich Ihnen beistehen ...«

»Das fürchte ich nicht. Immerhin können Sie mir folgen, wenn sie vom Hause her Schüsse hören. Dann allerdings wäre Ihre Hilfe von Nutzen ... Aber ich höre Geräusch über uns ... Es kommt jemand ... Bücken Sie sich und nehmen Sie das Gewehr hoch. Wenn es ein Feind ist, müssen wir ihn unschädlich machen.«

Wirklich löste sich über unsern Köpfen ein Steinchen. Es sprang in großen Sätzen den Hang hinunter und verlor sich im Walde unten. Bald darauf wiederholte sich das. Diesmal sprang der faustgroße Stein dicht über uns ins Leere, und aus den Rufen, die jetzt von unten her an unser Ohr drangen, schloß ich, daß er mitten in einen Haufen Indianer gefallen war.

»Den Kerl müssen wir unschädlich machen,« raunte ich meinem Gefährten zu. »Der ist imstande und lockt die Rotfelle herauf, und dann gebe ich keinen Maiskolben mehr für unser Leben. – Sehen Sie ihn nicht?«

»Ein Schatten liegt auf den breiten Kämmen dort über uns. Was das aber ist, kann ich nicht erkennen. Vielleicht haben die Indianer die Notröhre entdeckt!«

»Kommt der Schatten näher?«

»Nein. Er bewegt sich aber. Anscheinend ist es ein Mensch, der sich verstecken will.«

»Dann brauchen wir ihn nicht zu fürchten. Lassen Sie mich einmal auf Erkundung gehen. Halten Sie sich aber bereit, auf meinen ersten Hilferuf hin nachzukommen.«

»Wenn wir aber dann von den Wilden dort unten gesehen werden? Wollen wir nicht lieber warten, bis der da oben zu uns heruntersteigt?«

»Wenn er die Absicht hätte, wäre er schon hier. Ich werde mich mit ihm verständigen und wenn er, wie ich fast glauben möchte, zu Bauers Farm gehört, so kann er uns ein wertvoller Bundesgenosse werden. – Also auf Wiedersehen!«

Ich kroch auf allen Vieren zu der Rinne zurück. Bei den Stufen angekommen, hob ich den Kopf. Die Treppe war frei. Der Mensch mußte also oberhalb der Stufen auf den Felsen liegen. Sonst wäre sein Schatten nicht sichtbar gewesen. – Mit der denkbar größten Vorsicht erkletterte ich Stufe um Stufe. Auf jedem Absatz machte ich Halt und lauschte. Aber erst vor Ersteigung der vorletzten Staffel vernahm ich das rasche Atmen eines Menschen. – Nun zauderte ich doch, denn die nächste Minute konnte über Leben oder Tod entscheiden. Ich sprach ein kurzes Gebet. Langsam hob ich das Knie und schwang mich auf den nächsten Absatz. Da erblickte ich auch schon die auf die Felsen geschmiegte Gestalt. Es war ein Indianer, dessen langes, straffes Haar durch ein schwarzes Band um die Stirn festgehalten wurde. Der Mann hatte mich noch nicht bemerkt. Er schaute angestrengt nach einer Richtung und mußte dort etwas ungemein Interessantes sehen, denn seine lang vor sich hingestreckten Hände machten krampfhafte Bewegungen, etwa so, als ob er im Geiste jemand erwürgte.

Sekundenlang verharrte ich regungslos in meiner Stellung, unschlüssig, was ich tun sollte.

»Ueberfalle und fessele ihn!« riet mir eine innere Stimme. Und mit dem Gedanken warf ich mich auch schon auf den Mann, umklammerte seinen Hals mit beiden Händen und zischte ihm ins Ohr:

»Rühre dich nicht, sonst rennt dir mein Kamerad das Messer zwischen die Rippen!«

In der natürlichen Abwehrbewegung warf sich der Indianer herum und zeigte mir sein Gesicht.

» Caramba, du bist's, Cirino!« rief ich, ihn loslassend. »Da hätte ich beinahe einen dummen Streich gemacht!«

»Der uns beiden hätte das Leben kosten können,« erwiderte er, sich den Hals reibend. »Donnerwetter, Don Fernando, in Eure Hände möchte ich nicht nochmal geraten. Ihr brecht einem ja das Genick!«

»Verzeihe, Cirino, aber wer konnte auch ahnen, daß ein Freund des Hauses hier noch untätig liegt, während Bauer und seine Frau gefangen sind. Ich hielt dich für einen Feind.«

»Bauers sind beide in Sicherheit. Mein Vater hat sie eben befreit, und ich bin abgeschickt worden, um von hier aus zu beobachten, ob die Mekuben-Indianer, die sie gefangen nahmen, auch abziehen.«

»Dein Vater ist hier? Ist das der alte Häuptling, der vor einer Stunde mit einem Kanoe den Fluß hinunterkam?«

»Derselbe! Ich steuerte das Boot, das ich früher einmal bei der unteren Farm – gefunden und oben am Wasserfall versteckt hatte, sonst wäre der Vater noch nicht hier. Er kam auch zur rechten Zeit, denn die Mekuben wollten eben die Farm in Brand stecken.«

»Donnerwetter, das hätte ihnen viele Leute gekostet, denn das hätte ich nicht ruhig mit angesehen. Mein Freund und ich lagen etwas weiter unten auf einem Vorsprung. Von da aus konnten wir alles abschießen, was sich nur auf dem Hofe blicken ließ. – Aber warum bist du noch hier? Sind Bauers noch nicht wieder im Hause?«

»Blickt dort hinüber. Dort stehen sie bei meinem Vater. – Er soll die Gastfreundschaft der Farmer genießen, aber er will es nicht annehmen ...«

»Ist er denn nicht Bauers Freund?«

»Das wohl. Aber auf seinem früheren Grund und Boden will er nicht der Gast sein. Er möchte den Farmer als seinen Eingeladenen betrachten, und nun will keiner nachgeben.«

»Na, für so hartnäckig halte ich Bauer nicht. Wo will ihn dein Vater denn unterbringen. Er hat ja keine Hütte hier.«

»Eben bauen seine Krieger einen Rancho unter den Ulmen und andere schlachten ein Rind. Seht Ihr – da lodert schon ein Feuer ... In einer Stunde ist es dunkel. Dann wird sich mein Vater wieder als Herr auf seinem Besitz fühlen – armer Vater!«

Cirino seufzte tief auf. Er empfand den Schmerz seiner verjagten Eltern mit, obwohl er sich der Zeit nicht mehr zu erinnern wußte, wo seine Vorfahren als Gebieter über das Land um den Fogones herrschten. – Er blieb eine Weile in Gedanken versunken liegen. Dann sprang er plötzlich auf und rief:

»Holt Euern Gefährten, Don Fernando, und kehret zur Farm zurück. Vielleicht gibt es in der Nacht Arbeit für Eure Büchsen, und da seid Ihr dann recht willkommen.«

»Fürchtest du einen Ueberfall?«

»Man weiß nicht, wie Kaapa, der Häuptling, mit seinem Widersacher auseinandergekommen ist. Der Gorka ist ein ehrsüchtiger Mensch, der eine Demütigung nicht so leicht hinnimmt, und man erzählt unter unseren Leuten, daß er von Kaapa gezwungen wurde, die Farm, die er schon als gute Beute betrachtete, wieder zu verlassen.«

»Das stimmt. Wir waren Zeuge, wie Kaapa den wilden Kerl zum Rückzug zwang.«

»Ihr waret Zeuge? Dann hütet Euch vor dem Häuptling. Er wird nicht ruhen, bis er Euch getötet hat. Denn gerade vor den Weißen will er als tapferster Häuptling angesehen werden.«

»Nun, so schlimm wird es nicht sein! Ich wüßte auch nicht, wie ich mich vor ihm schützen sollte. Wenn er mit Mordgedanken gegen uns umgeht, so bleibt uns nur der eine Weg, sein Gebiet zu meiden.«

»Oder Ihr kommt ihm zuvor, indem Ihr ihn tötet. Wenn Ihr es wünscht, übernehme ich es an Eurer Stelle.«

»Nein, Cirino, keinen Mord. Greift er mich an, dann wehre ich mich, sonst aber mag er seiner Wege gehen. – Aber ich stehe hier und vergesse, daß Neumann dort unten auf mich wartet. Bleibst du hier, bis wir zurückkehren?«

»Ich muß hier bleiben, bis mich der Häuptling zu sich ruft.«

»Dann bist du wieder in deinen Stamm eingetreten?«

»Solange wir Krieg führen, könnt Ihr doch nicht in den Chaco. Während der Zeit versehe ich Kundschafterdienste.«

»Wissen die Indianer, daß du Soldat warst?«

»Bei der Madonna, Herr, redet nicht so laut! Wenn das meine Brüder erführen, wäre ich ein toter Mann.«

»Ich glaube, man verdächtigt dich bereits; wenigstens habe ich so etwas gehört.«

»Wer sagt das?« fuhr Cirino auf. »Den Hund muß ich stumm machen. – Sprecht, Don Fernando, wer sagte das?«

»Lieber Freund, woher soll ich die Namen all der Indianer wissen, die in diesen Tagen auf der Farm waren. Einer von diesen ließ eine ähnliche Aeußerung fallen.«

»Also Indianer waren es – keine Weißen?«

»Nein, Indianer!«

»Dann ist es gut. Mit denen werde ich schon fertig. – Habt Ihr übrigens meinen Bruder gesehen?«

»Gil ist zur Mission geritten, um eine weiße Frau abzuholen. Er hatte große Eile. Ich denke, er wird bald zurück sein.«

»Eine weiße Frau? Die bringt er sicher nicht lebend hierher,« erwiderte Cirino wehmütig. »Die meisten der fremden Stämme hassen die Weißen, und Gil wird seinen Einfluß umsonst geltend machen. Er wird mit der Frau sterben.«

»Aber, Cirino, wer wird so schwarz sehen? Gil ist klug. Er wird die Aufgabe durchführen, die er übernommen hat. – Doch da kommt ja mein Gefährte ... Entschuldigen Sie, lieber Neumann, daß ich Sie ohne Nachricht ließ!«

»Vom Flusse her kommen Indianer,« sagte er. »Da hielt ich es für geraten, Sie aufzusuchen ... Ach, das ist ja Cirino, mein Diener. Beinahe hätte ich dich nicht erkannt. Das ist brav von dir, daß du uns aufgesucht hast. Aber deine Kleider solltest du doch wieder anlegen.«

»Cirino ist einstweilen wieder indianischer Krieger geworden,« erwiderte ich lachend; »sobald er zur Reserve entlassen wird, tritt er wieder in Ihre Dienste ... Doch nun kommen Sie, Neumann, sonst überrascht uns die Nacht hier oben.«

»Wohin führen Sie mich denn?«

»Zu Bauers Farm natürlich! Cirino sagt mir eben, daß er wieder freigelassen wurde.«

»Und wir finden ihn in der Farm?«

»Hoffentlich! – Aber was erzählten Sie eben von Indianern, die vom Flusse her kommen?«

»Es schien mir, als wollten sie diesen Weg benutzen, um zur Farm zu gelangen.«

»Was? Wer will hier herauf? Indianer?«

Cirino wurde erst jetzt auf die Worte Neumanns aufmerksam, und sofort war er wieder ganz Indianer. Kaum hörte er auf die etwas umständliche Erklärung meines Gefährten, als er auch schon schlangengleich die Stufen hinunterglitt und gleich darauf in den Felsen verschwand. Verwundert blickte ihm mein Begleiter nach und fragte:

»Was fällt denn dem plötzlich ein? Was hat er mit den Rothäuten zu schaffen?«

Ich gab ihm die Aufklärung und drückte gleichzeitig meine Zweifel aus, ob es geraten sei, jetzt schon in das Farmerhaus zurückzukehren. Der ganze Hofraum war voll von Rothäuten, und wenn diese in feindlicher Absicht dort eingedrungen waren, dann konnten wir uns eines recht warmen Empfanges erfreuen.

»Wir warten lieber auf den Karapahy,« sagte ich endlich, nachdem wir hin und her beraten hatten. »Cirino kann uns als Legitimation dienen, wenn man uns die Berechtigung, das Haus zu betreten, etwa streitig machen sollte.«

»Dann schlage ich vor, uns hier gleich häuslich niederzulassen. Wir können ein größeres Feld überblicken, ohne selbst gesehen zu werden. Cirino muß auch hier vorüberkommen, wenn er zur Farm will.«

In dem Felsenloche, das uns zum Unterstand diente, waren wir vor dem über die Hügel pfeifenden Nachtwinde ziemlich geschützt. Immerhin fror uns gewaltig und zu dem Kältegefühl gesellte sich noch der Hunger. Seit dem frühen Morgen hatten wir nichts ordentliches gegessen und die Zigarren konnten den knurrenden Magen schon längst nicht mehr beruhigen.

So mochten wir etwa eine Stunde vor uns hinbrütend in dem Loche gekauert haben, als sich der Wind drehte und den bis dahin bedeckten Himmel reinfegte. Der prächtige südliche Sternenhimmel wölbte sich in seiner hehren Schönheit über unsern Häupten und in der klaren Luft gewann das um uns ausgebreitete herrliche Panorama einen ganz eigenartigen Reiz. Alles um uns her atmete Frieden und Ruhe. Kein Laut drang zu uns herauf. Selbst die gespenstisch durch die Felsenzacken streichenden Nachtvögel schienen den Schlag ihrer Flügel zu dämpfen, um den tiefen, weihevollen Frieden nicht zu stören.

Im Banne dieser Stimmung trat ich aus der Höhlung heraus und lehnte mich in den Schatten des Gesteins.

Meine Blicke wanderten von den funkelnden Sternbildern hinüber zu der silbernen, kaum wahrnehmbaren Sichel des werdenden Mondes. Sie senkten sich auf die Wipfel der riesigen Waldbäume und verweilten träumend auf den mächtigen Flammen, die aus dem Dunkel der Ulmen zum Himmel loderten. Wie eine Kohlezeichnung auf grauem Hintergrunde drängten sich zu meiner Linken die Umrisse des Farmhauses hervor, und über die runden Kuppen der uns schützenden Höhen bewegten sich dunkle Schatten ...

Ein rauher, unterdrückter Schrei riß mich aus meinen Träumen und rief mich jäh in die Wirklichkeit zurück. Von jener Kuppe löste sich ein dunkler Körper und verschwand mit dumpfem Aufschlag in der Finsternis des Abgrundes. Ein zweiter Schatten lag ausgestreckt auf dem Gestein. Keine Bewegung verriet, ob Leben in dem Phantom war ...

Ich griff zur Büchse und richtete den Lauf auf das schattenhafte Gebilde über mir. Zum Glück überwand ich die Regung und ließ die Waffe wieder sinken. An die Stelle meines Zornes über den Mord trat die kalte Ueberlegung. Ich fand mich ja inmitten blutgieriger, grausamer Heiden und mußte damit rechnen, daß auch wir in die Lage kommen konnten, gegen den hinterlistigen Feind zu kämpfen. Vielleicht war es Gottes Fügung, daß uns eine fremde Hand vor einem Feinde rettete, der bereits die todbringende Waffe gegen uns erhoben hatte ...

Die bebende Stimme meines Gefährten raunte mir zu: »Haben Sie es gehört? Ganz in der Nähe war es ... Wir sind umzingelt, denn ich höre auch von rechts scharrende Geräusche.«

Ich lauschte angestrengt nach der angedeuteten Richtung hin. Vage Laute schlichen auf den Flügeln der Brise über die Felsen. Bald klangen sie wie Seufzer aus gequälter Brust, bald glichen sie dem Röcheln eines Sterbenden. Dazwischen zischte das Pfeifen von Menschen, die sich gegenseitig verständigen wollten.

»Was halten Sie davon?« fragte Neumann wieder und packte meinen Arm.

»Noch weiß ich es nicht,« hauchte ich zurück. »Halten Sie für alle Fälle die Waffen schußbereit ...«

Wieder durchschnitt der pfeifende Zischlaut die Stille der Nacht. Mit stockendem Atem suchte ich die Richtung zu ergründen, aus der ich den Feind zu erwarten hatte. Längst war ich in den gähnenden Schlund des Felsenloches zurückgetreten, und die Umrisse unserer Gestalten verschmolzen derart mit dem dunklen Hintergrunde, daß uns selbst das scharfe Auge eines Wilden nicht erkannt hätte. Wir selbst konnten ein ziemlich großes Gesichtsfeld überblicken, und wenn ein Mensch sich von dort unserm Versteck nähern würde, so mußte er sich so plastisch gegen den Nachthimmel abheben, daß wir ihn unschädlich machen konnten, bevor er unsere Gegenwart ahnte.

Diese Beobachtung gab mir die Kaltblütigkeit zurück. Man konnte uns zwar von rückwärts her anschleichen, aber auch in dem Falle mußte sich der Feind zeigen, bevor er uns erblickte. Meinem Gefährten teilte ich diese Feststellung mit, und es gelang mir dadurch, auch ihn zuversichtlicher zu stimmen, insbesondere ihm das Gefühl der Angst vor einem plötzlichen Ueberfall zu nehmen. Er trat an meine Seite und teilte sich mit mir in die Beobachtung unserer Umgebung.

Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Wir wagten nicht, uns länger zu unterhalten, weil wir uns von Wilden umschwärmt wähnten. Nur einzelne Worte, die sich meist um das Verschwinden Cirinos drehten, flüsterten wir uns zu. Und auch dies mehr, um uns wach zu halten, als aus Sorge um das Schicksal des Mannes. Er war hier oben mit ganz bestimmten Befehlen seines Häuptlings und mußte diese befolgen. Wir konnten nicht verlangen, daß er seine Pflicht verletzte, um uns aus unserer gefährlichen Lage zu befreien.

»Wir müssen diese Nacht hier ausharren,« flüsterte ich meinem Begleiter zu, als er die Möglichkeit einer Flucht aus unserm Felsloche erwähnte. »Sobald es hell wird, ziehen sich die Wilden zurück, denn vom Hause her können sie gesehen und abgeschossen werden. Also Geduld, Freund. Vielleicht gelingt es Ihnen, eine Stunde zu schlafen. Ich wecke Sie schon, wenn's nötig wird.«

»Ich soll schlafen? Nie! Ich kann kein Auge schließen!«

»Nun, um so besser!« erwiderte ich.

Wir drückten uns jeder in eine Ecke und lauschten auf die seltsamen Geräusche, die uns der Wind von ferne her zutrug. Ich beschäftigte mich in Gedanken mit meiner Reise und ließ alle Möglichkeiten des Gelingens zum hundertsten Male vor meinem inneren Auge vorüberziehen. Die Aufregung unter den paraguayanischen Indianern machte mir keine Sorge. Den Gran Chaco Oriental hatte ich ohnehin nicht in meinem Reiseplan, und wenn ich ihn beiseite ließ, so brachte mich das Dampfboot ungefährdet durch die Reihen der Indianer an die brasilianische Grenze. Dort stieß ich zunächst mit Botokuden zusammen, und mit denen hoffte ich ebenso freundschaftlich auseinander zu kommen, wie mit allen »Wilden«, denen ich auf meinen langen Reisen begegnet war.

Mitten in meine Reflexionen mischte sich ein seltsamer Ton. Er klang wie das Scharren eines Tieres, das sich seine Nahrung aus dem Boden gräbt. Da es mir bekannt war, daß wilde Stämme derartige Erkennungszeichen benutzen, so verharrte ich regungslos an die Wand geschmiegt und hob nur behutsam das Gewehr, um sofort feuern zu können, falls es nötig werden sollte. Gern hätte ich meinem Gefährten ein Zeichen meiner Wachsamkeit gegeben, aber das Geräusch war uns so nahe, daß der geringste Laut zu den Ohren des Unbekannten dringen mußte. Außerdem war es mehr an Neumanns Seite, und so konnte es auch ihm nicht verborgen bleiben.

Minuten vergingen. Das Geräusch wiederholte sich in ganz regelmäßigen Zwischenräumen. Bald stärker, bald schwächer. Je nachdem der Wind, der jetzt gerade in unsere Höhle hineinblies, den Ton verwehrte. Diese Regelmäßigkeit machte mich nervös. Ich begann unruhig zu werden und überlegte, wie ich dem Unbekannten zu Leibe gehen konnte, ohne uns zu sehr zu gefährden.

Da fiel drunten im Tale ein Schuß. Der Wind trug mir das Echo zu und nach der Stärke des Schalles nahm ich an, daß man an den Ulmen geschossen hatte. Dort sollte sich, nach den Angaben Cirinos, Bauer befinden, und zwar in der Gewalt der Wilden. Wenn er Hilfe brauchte? – Der Gedanke quälte mich so, daß ich zu dem Entschlusse kam, das Versteck zu verlassen und mich nach dem Hause durchzuschlagen. Dort würde ich weiter sehen. – Zu dem Zwecke mußte zunächst der Mensch unschädlich gemacht werden, der sein Scharren mit anerkennenswerter Ausdauer hinter den Steinen fortsetzte. Neumann mußte mir helfen, ihn zu knebeln.

Ich ließ mich auf die Knie nieder und kroch auf allen Vieren, unter Vermeidung jeglichen Geräusches, in die andere Ecke hinüber. Hier unten am Boden war das Geräusch noch deutlicher vernehmbar. Es klang auch ganz anders, und je mehr ich mich dem Ziele näherte, desto mehr nahmen die Töne eine natürlichere Klangfarbe an. Endlich stieß ich an einen weichen Körper, der bei der Berührung einen dröhnenden Laut von sich gab und aufsprang.

»Sind Sie es, Don Fernando?« tönte es mir schlaftrunken entgegen. »Ich glaube wahrhaftig, ich bin ein wenig eingenickt!«

»Na, ich danke. Seit zwei Stunden zerbreche ich mir den Kopf wegen des Geräusches, das da aus der Ecke herauftönt, und nun sind Sie es. Sie haben geschnarcht, daß mir fast angst und bange geworden wäre.«

»Ich soll geschnarcht haben? Das ist nicht möglich. Ich bin ja kaum eingenickt ...«

»Nun, lassen wir es gut sein. Hoffentlich sind Sie etwas gestärkt. Jetzt aber vorwärts. Dort unten wurde geschossen. Wir müssen zur Farm zurück und Bauer beistehen. Vielleicht ist er in Gefahr.«

»Aber wir beide können ihm doch nicht helfen, wenn die ganze Bande ihn umzingelt hat.«

»Einerlei! Ich verlasse keinen Landsmann in Not und Bauer erst recht nicht. Wer weiß, ob der Schuß nicht ein für uns bestimmter Hilferuf war. – Bleiben Sie noch einen Augenblick hier; ich will sehen, ob die Luft rein ist.«

Mit diesen Worten trat ich ins Freie, prallte aber sofort wieder zurück, denn kaum hundert Schritt vor mir bewegte sich eine dunkle Masse auf uns zu, an deren Seite ein Indianer schritt.

»Zurück, Neumann! An die Wand und die Büchse fertig!« rief ich hastig dem Gefährten zu. »Dort kommt ein Trupp Wilder!«

Wir verbrachten einige unangenehme Minuten, die mir zur Ewigkeit wurden. Die Gruppe kam langsam näher, und ich vernahm deutlich, wie sich die Leute miteinander unterhielten. Sie dämpften nicht einmal die Stimme, sondern schienen sich so sicher zu fühlen, als lebten sie im tiefsten Frieden mit den Bewohnern der Farm.

Plötzlich verdunkelte sich der Eingang zu unserer Höhle. Ein Mensch blieb davor stehen. Sein Profil zeigte den nackten Wilden. Er hatte sich zurückgewandt und sprach einige indianische Worte mit seinen Begleitern. Gleich darauf drang ein befreiendes Aechzen an mein Ohr, so, als ob jemand eine Last zu Boden setzte. Dann vernahm ich einige spanische Worte, die der Befriedigung Ausdruck gaben, daß das Ziel endlich erreicht sei. Damit konnte nur die Farm gemeint sein, und nun glaubte ich Freunde des Hauses vor mir zu haben. Ich rief, ohne vorsichtshalber mein Versteck zu verlassen, ein lautes: »Hallo, hier sind Freunde!« und trat, als der Ruf spanisch erwidert wurde, ins Freie. Dort sah ich mich vier Personen gegenüber, die mir ein herzliches Willkommen boten. Es waren Gil mit seinem Bruder Cirino und zwei Unbekannte. Ersterer hatte die Rettung der Frau glücklich durchgeführt und stellte sie mir jetzt vor. Sie trug Männerkleidung und war von dem sie begleitenden Peon, der übrigens ein Jesuitenpater war, äußerlich nicht zu unterscheiden. Gil hatte sie hier heraufgebracht, weil er unten am Flusse eine große Anzahl fremder Indianer bemerkt hatte und es nicht für ratsam hielt, sich mit diesen einzulassen.

»Bist du denn sicher, daß keine Indianer auf der Farm sind?« fragte ich Gil.

»Gewiß sind Indianer dort, aber befreundete Stämme,« antwortete an seiner statt Cirino. »Unser Vater ist bei den Ulmen und würde es nicht dulden, daß fremde Männer die Farm betreten.«

»Was bedeutete denn der Schuß, der bei den Ulmen fiel?« fragte ich den Kundschafter.

Erstaunt blickte mich Cirino an.

»Bei den Ulmen wurde geschossen?« fragte er rasch. »Wann war das?«

»Vor einer Viertelstunde etwa. Hast du das nicht gehört?«

Er verneinte.

»Ich half meinem Bruder beim Erklettern der Rinne, in die dieser Weg mündet. Das Rauschen des Wassers muß den Schall übertönt haben ... Nur Bauer kann geschossen haben, denn keiner außer ihm besitzt ein Gewehr.«

»Eben wollte ich zur Farm, um ihm beizustehen, denn er wird nicht schießen, wenn man ihn nicht bedrängt.«

»Bleibt lieber hier, Herr, und laßt mich nach der Ursache forschen,« erwiderte Cirino. »Ich kenne hier jeden Schleichweg und kann Euch ungesehen zum Hause führen, wenn das nötig sein sollte.«

»Nun gut. Aber eile dich, damit wir nicht zu spät eintreffen. Wenn du jemand von der Familie siehst, sage ihm, daß wir hier zu ihrem Beistande bereit stehen.«

Die letzten Worte hörte er kaum noch, so hastig verschlang ihn die Dunkelheit. Gil trat jetzt hervor und fragte mich, ob wir irgend etwas Eßbares bei uns führten, sie hätten seit dreißig Stunden keinen Bissen mehr über die Lippen gebracht.«

»Uns geht es nicht besser,« erwiderte ich. »Wir irren hier oben fast ebenso lange umher und wagen nicht, ein Stück Wild zu schießen, aus Furcht, uns zu verraten.«

Ich erzählte mit kurzen Worten die Vorgänge, die sich hier seit dem Tage vorher abgespielt hatten und erwähnte auch den Mord, der in dieser Nacht unweit von hier verübt worden war. –

»Hat dein Bruder dir nichts davon erzählt?« fragte ich zum Schluß. »Er befand sich hier oben auf Kundschaft und muß mit Indianern zusammengetroffen sein, die vom Flusse her hier herauf wollten. Da sie nicht an unserm Versteck vorüberkamen, müssen sie Cirino in die Hände gefallen sein.«

Gil schüttelte den Kopf.

»Die Rinne, die in diesen Weg mündet, kennen nur sehr wenige, und diese sind alle mit uns befreundet. Es ist nicht denkbar, daß Fremde den Einstieg gefunden haben sollen. – Habt Ihr die Männer gesehen?«

»Ich hörte ihre Stimme, als ich auf dem Vorsprung stand,« sagte Neumann. »Es waren mindestens zwei, die indianische Worte miteinander wechselten.«

»Und sie sind hier nicht vorübergekommen?«

»Nein. Einen oder vielmehr zwei sah ich dort oben auf der Kuppe. Der zuerst Erschienene wurde von dem andern in den Abgrund gestoßen. Wer das war, weiß ich nicht. Ich vermutete in dem zweiten Manne deinen Bruder.«

»Es ist gräßlich, wie sich die Menschen untereinander bekämpfen,« warf der Pater ein. »Und keiner weiß, warum er den andern ausrotten will. Gewiß ist es unrecht von der Regierung, daß sie den Indianern das Land mit Gewalt nimmt, um es an die Ansiedler zu verkaufen. Aber unsere fortschreitende Kultur verlangt das nun einmal so, und das wollen die braunen Kinder des Waldes nicht begreifen.«

»Das begreifen auch andere Menschen nicht, Hochwürden,« entgegnete ich. »Zum Beispiel ich stelle mich in dieser Frage ganz auf die Seite der Indianer, denen ich volle Gleichberechtigung mit unserer weißen Rasse einräume ... Ich sehe an Ihrem Kopfschütteln, daß wir da verschiedener Meinung sind, und es ist daher besser, das Thema auf sich beruhen zu lassen. – Gibt es hier in der Nähe keine Vogelnester, Gil?«

»Vogelnester?« fragte er erstaunt. Der Uebergang von dem eben behandelten Gegenstand war ihm zu unerwartet gekommen.

»Ja, Vogelnester, Gil! Diese liefern uns die dringend nötige Nahrung, sowohl Eier als auch Fleisch. Mit einiger Vorsicht kann man die Tiere auf ihren Nestern fangen, und wenn wir Glück haben, finden sich auch unbebrütete Eier darin.«

»Ah, jetzt verstehe ich! Unten am Flusse nisten viele Wasservögel, aber es ist nicht ratsam, jetzt dort hinunterzugehen. Hier oben gibt es nur große Raubvögel, die man nicht essen kann.«

»Dann mußt du dich zur Farm hinüberbegeben und Lebensmittel von dort holen. Vielleicht findest du Hühner oben im Heu.«

»Hm, ich möchte doch lieber meinen Bruder hier erwarten. Wenn wirklich fremde Indianer unten sind, dann kann es uns das Leben kosten, und ich habe den tollen Ritt von der Mission her nicht gewagt, um schließlich noch am Ziele ermordet zu werden.«

»Hältst du die Lage wirklich für so gefährlich?«

»Für die Weißen: ja. Wir Indianer verständigen uns leicht, aber der Haß gegen Eure Rasse sitzt zu tief bei den Farbigen, als daß er jemals verschwinden könnte. Er wird wohl unterdrückt und dem einzelnen Manne gegenüber nicht immer zum Ausdruck gebracht – aber im tiefsten Innern glüht er stetig weiter.«

»Ich kenne aber Indianer, die mir versicherten, daß sie mir treu ergeben seien,« sagte ich anzüglich. »Wie reimt sich das zusammen.«

»O, das ist möglich. Die Indianer sind sehr empfänglich für bewiesenes Wohlwollen und hegen ein unbegrenztes Dankbarkeitsgefühl. Das überwiegt den Haß, und wer sich die Dankbarkeit eines roten Mannes zu erwerben gewußt hat, der kann diesem voll vertrauen. Er würde freudig sein Leben opfern für seinen Wohltäter.«

»Das ist eine anerkennenswerte Eigenschaft der Indianer,« erwiderte ich. »Ich wollte, ich könnte von der weißen Rasse dasselbe sagen. – Aber mit diesen schönen Reden stillen wir niemals unsern Hunger. Wie beschaffen wir Nahrungsmittel?«

»Cirino wird bald zurückkehren. Wenn in der Farm alles ruhig ist, können wir dorthin gehen ...«

»Im andern Falle schieße ich eine von den Ziegen, die hier in den Bergen herumlaufen. Mag man den Schuß hören. Ich bin so matt, daß ich es ohne Nahrung nicht mehr aushalte, und mein Gefährte kann kaum noch auf den Füßen stehen.«

»Tut das nicht, Herr. Wir spielen um unser Leben.«

»Gut, dann gehe ich allein zur Farm. Ich will euch nicht in Gefahr bringen. Gehen sie mit, Neumann?«

Die Frage traf das Ohr eines Schlafenden. Ermattet war er zu Boden gesunken und sofort eingeschlafen. Ich empfahl ihn der Fürsorge der Zurückbleibenden und schulterte das Gewehr.

»Wollen Sie wirklich fort?« fragte der Pater, dem der Verlust eines Weißen unangenehm war. »Vielleicht bringt uns Cirino Lebensmittel.«

»Daran zweifle ich nicht, Hochwürden. Ich muß jedoch bald Nahrung haben, sonst gehorcht mir mein Körper nicht mehr, und das kann recht schwere Folgen haben. – Auf Wiedersehen!«

Ohne mich noch einmal umzublicken, schritt ich in die Nacht hinaus. Gar bald lag der Hohlweg hinter mir und ich war nun eine Weile deckungslos den Blicken etwaiger Verfolger preisgegeben. Im Osten zeigte sich bereits der helle Streifen, der die Morgendämmerung einleitet und meine Silhouette mußte sich recht klar gegen den Himmel abheben. Ich warf mich zu Boden und kroch auf Händen und Füßen rasch über die freiliegende Kuppe. Als ich deren höchsten Punkt erreicht hatte, drang Hundegebell an mein Ohr. Es war nicht der mir bekannte Laut von Bauers Hund, sondern eher das Kläffen eines kleineren Tieres, das sich hier in den Bergen aufhalten mußte. Ich schob mich rasch vorwärts, um den nächsten Spalt zu erreichen, der mir Deckung gegen einen Angriff bieten konnte. Dabei geriet ich an eine glatte Stelle. Ich kam ins Rutschen und fuhr mit ziemlicher Geschwindigkeit mit den Beinen voran in den Spalt.

Ein Schreckensruf empfing mich. Meine Füße traten auf eine weiche Masse, und ich fühlte, wie sich ein Paar Arme wie ein Schraubstock um meine Knie preßten.

Ein kerndeutscher Kraftausdruck leitete meine Verteidigung ein. Ich hatte die Arme frei und warf mich blitzschnell auf die dunkle Gestalt unter mir. Ich versuchte ihr die Kehle zuzuschnüren, als ich die Wahrnehmung machte, daß es ein Weib war. Sofort warf ich mich wieder in die Höhe und fragte nach der Ursache ihres Versteckspiels. In einem Gemisch von deutsch und spanisch antwortete sie:

»Ich bin die Dienerin von Frau Bauer. Der Herr kennt mich doch? Ich zeigte ihm diesen Weg ...«

»Ja, jetzt kenne ich dich. Aber warum bist du nicht im Hause? Ist Frau Bauer noch nicht zurück?«

»Im Hause sind Indianer. Krieger von Kaapa. Sie wohnen dort und essen und trinken. Als sie ankamen, bin ich hierher geflohen ... Hat der Herr etwas zu essen für mich?«

Ich mußte lächeln.

»Nein, Kind. Der Hunger hat mich hierher getrieben. Ich will in die Farm, um Lebensmittel zu holen. Wenn ich sie habe, kannst auch du mitessen, obgleich weiter oben schon vier Menschen darauf warten. – Glaubst du, daß ich ohne Gefahr ins Haus gehen kann?«

»Es sind gute und böse Indianer da. Wenn der Häuptling in der Nähe ist, sind seine Krieger gute Menschen, sonst aber – nun, es sind wilde Indianer, die es nicht besser wissen.«

»Wo finde ich aber die Lebensmittel? Kann ich nicht ungesehen zu der Speisekammer gelangen?«

»Zur Speisekammer?« Sie mußte lächeln. »Dort findet der Herr nichts mehr. Auch im Stalle wird kein Huhn mehr sein ... Aber wenn der Herr die Speisen essen kann, die unser Herr in den weißen Büchsen aufbewahrt ...«

»Aber gewiß, Kind. Wo finde ich sie? Sprich schnell, damit ich noch vor Tagesanbruch zurück sein kann.«

»Der Herr muß den Tag abwarten, bevor er ins Haus geht. Mit der Sonne gehen alle Indianer in den Hof hinunter und braten sich dort ihr Rind. Dann ist niemand im Hause.«

»Wirst du mir den Weg zeigen?«

» Madre de Dios, nein!« rief die Magd entsetzt aus. »Wenn man mich fände ... Nein, nein, nur das nicht.«

»Dann beschreibe mir den Raum genau. Ich werde versuchen, mich hineinzuschleichen und hoffe, dir bald Nahrung bringen zu können.«

»Und ein Kleidungsstück, Herr, denn seht, wie ich fliehen mußte.«

In der Tat fehlte ihr alles, und das arme Wesen war fast erstarrt vor Kälte. Ich entledigte mich kurz entschlossen meines Rockes und warf ihn ihr auf die Schulter.

»Wenn ich zurückkehre, tausche ich ihn wieder ein,« rief ich ihr zu. »Andernfalls brauche ich ihn nicht mehr. – Also die Kammer liegt im oberen Stockwerke?«

Nochmals bekam ich eine genaue Beschreibung der Vorratsräume und dann eilte ich raschen Schrittes davon. Ich wollte vor Sonnenaufgang wenigstens dicht am Hause sein.

Ein in voller Blüte stehender Granatstrauch verbarg mich vor den Blicken der Menschen. Er preßte seine Zweige dicht an die Rückwand des Hauses und bot mir eine willkommene Zuflucht, falls es einem der Rothäute einfallen sollte, seine Schritte hierher zu lenken.

Wie das Mädchen gesagt hatte, verließen die Indianer mit dem ersten Sonnenstrahl ihr Lager. Lärmend und lachend polterten sie die ungewohnten Treppen hinunter, wobei es an mutwilligen Streichen nicht fehlte. Mancher dumpfe Ton verriet, daß einer der braunen Söhne einen unfreiwilligen Abstieg machen mußte, dem dann zornige Rede und heitere Gegenrede folgte.

Mit klopfendem Herzen erwartete ich den Augenblick, wo vollkommene Ruhe im Innern mir ein Eindringen auf den Fruchtspeicher ratsam erscheinen ließ, von meinem Versteck aus konnte ich die Verschalung leicht erreichen. Das Mädchen hatte sie beim fluchtartigen Verlassen des Hauses nur in den Rahmen geschoben, ohne sie zu verschließen. Das kam meinem Vorhaben jetzt zugute.

Als der Lärm auf dem Hofe verstummte und der Geruch halbverbrannten Fleisches bis zu mir herüberdrang, wußte ich, daß der geeignete Moment gekommen war. Ich ließ die Büchse in meinem Versteck zurück, entsicherte beide Revolver in der Hosentasche und prüfte das Messer in der Scheide. Ein kurzes Gebet murmelnd, ging ich ans Werk. In drei Sprüngen stand ich vor der Verschalung und zog sie aus der Oeffnung. Wirklich schien das Brett noch unberührt, wie es das Mädchen verlassen hatte. Nur an einer Ecke fand ich leichten Widerstand, den ich durch einen kräftigen Ruck zu beseitigen hoffte. Als ich dann mit beiden Händen zugriff, bemerkte ich, daß eine fremde Hand im Spiele sein mußte, denn das Holz folgte nicht sofort dem Drucke, sondern es löste sich erst von einem Hindernis, das nur auf einen Menschen zurückzuführen sein konnte. Daß dieser Mensch keinen Lärm schlug, gab mir die Gewißheit, daß er ebenso wenig als ich mit den Indianern zu tun haben wollte. – Mit einem Sprung war ich innerhalb des Hauses. Von dem plötzlichen Uebergang vom Hellen ins Dunkle geblendet, unterschied ich zunächst nichts. Ich beeilte mich, das Brett wieder an seine Stelle zu setzen und blieb nun lauschend an der Wand stehen, um mich vor allen Dingen nach dem Fremden umzusehen, der vor einer Minute noch an der Luke gestanden sein mußte.

Meine Nachforschungen waren vergeblich. Nichts regte sich auf dem Speicher. Allerdings lag noch ein graues Halbdunkel auf den mächtigen Haufen goldgelben Maises und über den in einer Ecke auf Horden gelagerten Aepfeln und Trauben; aber ich hätte ein menschliches Wesen sehen müssen, wenn es noch dort gewesen wäre.

Ich umging auf den Zehen das Maislager und drückte eine Tür auf, die mich auf einen Gang und in die Vorratskammer führen mußte. Im Vorbeigehen griff ich gierig nach den Trauben und steckte sie in den Mund. Mit vollen Backen kauend, betrat ich den Gang und eilte nun sprungweise auf die Türe zu, hinter der die ersehnten Konservenbüchsen zu finden sein mußten. – Aber mitten im Sprunge fühlte ich mich von ein Paar kräftigen Armen umschlungen. Ich wurde in die Höhe gehoben und dann mit Gewalt der Länge nach zu Boden geworfen. Das alles war das Werk einer Sekunde. In dem Gange war es noch so finster, daß ich meinen Feind nicht erkennen konnte. Ich spürte aber am Griff, daß er mir an Körperkraft nicht gewachsen war. In der Tat konnte ich mich mit ein paar energischen Bewegungen befreien, und nun lag mein Gegner im Handumdrehen unter mir. Mit eisernem Griff umspannte ich seinen Hals, und wer weiß, was die nächste Sekunde gebracht hätte, wenn nicht in eben diesem Augenblick ein feiner Sonnenfaden über das Gesicht meines Widersachers gefahren wäre. – Ueberrascht sprang ich auf.

»Cirino – du?« rief ich mit gedämpfter Stimme. »Mann, was fällt denn dir ein! Zum zweiten Male stehen wir uns unbewußt als Feinde gegenüber. Diesmal hing dein Leben an einem Fädchen! – Weshalb überfielst du mich?«

»O, Don Fernando, mein Hals!« röchelte er statt aller Antwort. »Ihr habt mir etwas zerbrochen ... helft mir, um der Madonna willen ...«

»Bist du verletzt? Kannst du schlucken? Versuche es und eile dich, daß wir in ein Versteck kommen. Es wird im Hause lebendig. Oder weiß man, daß du hier bist?«

Ein verneinendes Kopfschütteln ersetzte die Antwort. Cirino drängte mich an das Ende des Ganges, wo ein breiter, gemauerter Räucherkamin dem Dach zustrebte. Zwischen diesem und dem Dachstuhl war ein Raum, der uns beiden ein bequemes Versteck bot. Cirino schob mich zuerst hinauf. Dann reichte er mir einen aus Binsen geflochtenen Sack und kletterte mir nach. – Zwei Minuten später öffnete sich die Gangtüre und ein wilder Indianer trat auf den Korridor. Er trug eine kaum verheilte, breite Narbe quer über das ganze Gesicht und bot mit den breiten Knochenstücken in der weit herabhängenden Unterlippe einen geradezu fürchterlichen Anblick. Er bog lauschend den Kopf, blickte suchend umher und zog sich dann langsam wieder zurück. Auch dieser Mensch schien sich vor den Indianern, die augenblicklich das Haus bewohnten, verborgen halten zu wollen, denn er entfernte sich so lautlos, daß ich sein Verschwinden nur an dem abnehmenden Geruch feststellen konnte. Dieser Wilde erfreute sich einer besonders penetranten Ausdünstung.

Wir saßen noch einige Minuten regungslos, dann brach Cirino das Schweigen.

»Das ist ein Botokude, der mit am Fort Intermedio war. Dort erhielt er den Hieb. Er ist hier, um zu stehlen. Jetzt sucht er seinen Bruder ...«

»Und wo ist der Bruder?«

» Quien sabe!« antwortete Cirino, aber mit einer so eigentümlichen Betonung, daß ich ihm forschend ins Auge blickte.

»Ah, ich verstehe! Das war wohl der Mann, dem du zu dem Sprung in den Abgrund verholfen hast? Ist es nicht so?«

»Don Fernando wird hungrig sein,« sagte er statt jeder Erwiderung auf meine Frage. »In dem Sack steckt gebratenes Fleisch und Maisbrot. Nehmt, so viel Ihr essen mögt!«

Die Erwähnung der Nahrungsmittel ließ mich alles andere vergessen. Ich riß den Sack auf und schob ein Stück Fleisch in den Mund. Aber es dauerte eine Weile, bis ich den ersten Bissen hinunterbrachte. Ich war zu ausgehungert, um essen zu können. Als ich dann endlich ein kleines Maisbrot verzehrt hatte, gedachte ich der vielen Hungernden, die in den Felsen auf meine Rückkehr warteten. Ich sagte es auch meinem Nachbarn und fragte gleichzeitig, ob wir den Weg dahin wagen könnten.

»Wir müssen jeden, der uns feindlich gegenübertritt, beseitigen,« erwiderte er kaltblütig. »Aber nicht mit der Schußwaffe, sonst kommen wir nicht weit. Uebrigens soll die Familie Bauer heute zurückkehren.«

»Wer sagt das?«

»Ich sprach mit meinem Vater. Er hat den wilden Gorka zum Abzug gezwungen. Sobald dieser das Gebiet meines Vaters verlassen hat, ist Bauer frei.«

»Hier treiben aber Kaapas Leute ihr Unwesen, wie ich höre.«

»Kaapa ist ein Freund meines Vaters. Seine Leute werden die Gorka verfolgen und besiegen, wenn die Soldaten vom Fort Guachalla verjagt sind.«

»Kann dir dein Vater denn deine Sicherheit nicht verschaffen? Warum versteckst du dich vor den Indianern im Hause?«

» Quien sabe! Aber hört Ihr den Lärm? Da geht etwas außergewöhnliches vor!«

Ein wüstes Geschrei drang vom Hofe her in unser Versteck. Man vernahm heftig ausgestoßene Worte, sowie dumpfe Töne. Der Lärm zog sich nach und nach in das Innere des Hauses, und nun verstand Cirino die Rufe.

»Da kämpfen zwei Stämme miteinander,« sagte er aufgeregt, »sie rufen sich Schimpfworte zu und feuern sich gegenseitig zum Angriff an. Gebt mir Euer Gewehr, Don Fernando. Ich schaffe uns dann freien Abzug.«

»Meine Büchse ließ ich draußen,« erwiderte ich, die Revolver verschweigend. »Hier will ich nur das Messer gebrauchen, wenn ich mich verteidigen muß. Aber die Streitenden entfernen sich wieder ... Sollen wir es wagen?«

»Ohne Gewehr ist es für Euch gefährlich. Ich kann mich eher verbergen, da man mich nicht so sehr beachtet. Aber ich will einmal nachsehen, wer jetzt die Farm besetzt hält – macht mir Platz!«

Er drängte sich an mir vorüber und kletterte an den Dachbalken empor, bis er die Stelle erreichte, wo der Kamin das Dach verläßt. Durch die schmale Oeffnung zwängte er den Kopf und einen Arm, mit dem er sich in der Schwebe hielt. Nach wenigen Minuten schon kehrte er zurück.

»Im Hofe ist Kaapa selbst mit wenigen Kriegern. Auch von meinem Stamme sah ich einige, die nach den Ulmen liefen. Wenn Ihr es wagen wollt ...«

»Glaubst du, daß ich durchkomme?«

»Wenn Ihr das Gewehr habt: ja!«

»Dann fülle mir deinen Sack mit Lebensmitteln und decke mir den Rücken. Ich brauche nur wenige Minuten Vorsprung.«

»O, Herr, ich gehe mit Euch. Den Sack trage ich. Ihr geht zuerst hinaus und dann folge ich, wenn ich Euch laufen sehe.«

»Gut – aber bringe Eßwaren mit, so viel du tragen kannst.«

Im Begriff, unser Versteck zu verlassen, hörten wir wieder Geräusch in dem Gange. Wieder erschien der Botokude, der sich jetzt noch scheuer bewegte als vorher. Er war bewaffnet. An seinem Handgelenk hing die schwere Keule, und das lange Messer hatte er quer in den Mund geklemmt. Lautlos bewegte er sich vorwärts. An der Türe des Vorratsraumes hemmte er den Schritt. Er nahm das Messer aus dem Munde und hielt es stoßbereit vor sich hin. Dann erst öffnete er mit der Linken die Türe. Sie knarrte in den Angeln, und der kreischende Laut hallte wie ein Jammergeschrei durch das Haus. Einen Moment lang stand der Einbrecher wie gelähmt. Die nächste Sekunde jedoch gab ihm die Verwegenheit wieder. Mit einem Sprung warf er sich vorwärts in den Raum. Doch mußte er an ein Hindernis geraten sein, denn drinnen polterte es, als ob Blechgefäße übereinanderstürzten ...

Cirino hatte den ganzen Vorgang mit glänzenden Augen verfolgt. Als der Wilde in den Raum eindrang, sprang er mit einem Satze zu Boden. In der nächsten Sekunde hatte er die Türe zugeschlagen und den Schlüssel umgedreht. Frohlockend raunte er mir zu:

»Nehmt den Sack und flieht. Ich komme bald nach. Der hier bürgt für Eure Sicherheit ... Rasch, bevor man aufmerksam wird!«

»Aber keinen Mord, Cirino, hörst du?«

»Lauft, Don Fernando, denn jetzt achtet man nicht auf Euch,« rief er, und ich sah nun selbst ein, daß Eile not tat. Als ich den Maisboden durchschritt, lösten sich eine Anzahl Körner aus dem Haufen und fielen auf die Treppe, wo sie nach kurzem Geklapper liegen blieben. Dieses an sich gewöhnliche Geräusch mußte aber wohl die Aufmerksamkeit eines unten Beschäftigten erregt haben, denn ich hörte einen kurzen Anruf, der natürlich dazu beitrug, meine Schritte zu beflügeln. In meiner Hast gelang es mir auch nicht, die Verschalung ohne größeres Geräusch aus der Oeffnung zu heben, und bei dem Versuche, sie wieder an ihre Stelle zu setzen, entglitt sie meiner Hand und fiel polternd nach innen.

Mit drei Sprüngen war ich in dem Granatstrauch, wo ich meine Büchse wiederfand. Ich wollte nun die Flucht fortsetzen, aber als ich noch einen Blick zurückwarf, bemerkte ich, wie ein brauner Kopf sich vorsichtig aus der Luke schob und das Auge suchend auf den Granatstrauch heftete. Ob er mich bemerkte, weiß ich nicht, aber als er sich dann hastig zurückzog, verließ ich mein Versteck und lief, so rasch mich meine Füße trugen, über die ungeschützte Kuppe dem Hohlweg zu.

Das Mädchen lag platt auf dem Boden in der Sonne.

Es hatte meine Flucht mit angesehen und empfing mich mit einem Freudenruf.

»Hast du ein Kleid, Herr?« war ihre erste Frage. Leider mußte ich sie verneinen, denn ich hatte gerade diese Bitte rein vergessen. Dahingegen konnte ich ihr ein größeres Stück Maisbrot geben. Ihre weiteren Wünsche aber wies ich zurück, indem ich sie aufforderte, mit mir zu gehen.

»Das, was ich mitgebracht habe, muß gleichmäßig verteilt werden, liebes Kind. Dort oben warten noch vier Leute. Du hast ohnehin schon ein Brot mehr bekommen.«

Das Mädchen zögerte. Es machte Schwierigkeiten wegen ihrer mangelhaften Bekleidung, und es entspann sich eine längere Debatte über diesen Punkt, die sie aber selbst mit einem leisen Aufschrei beendete. Auf das Haus deutend, rief sie, meinen Arm pressend:

»Hilf mir, Herr, die roten Männer kommen!«

Wirklich erschienen jetzt vor der Luke am Hause ein paar Indianer, die sich an dem Granatstrauch zu schaffen machten. Ich ahnte Unheil, packte das Mädchen am Handgelenk und riß es in den Spalt zurück.

»Laufe, muchacha! Bleibe immer in diesem Spalt, dann findest du Freunde. Ich komme bald nach.«

Mit der Hartnäckigkeit, die die Angst verleiht, sträubte sie sich jedoch, allein weiterzugehen, und es blieb mir nichts anderes übrig, als sie zu begleiten, obwohl ich das weitere Gebaren der roten Männer gern beobachtet hätte.

Wir legten im Geschwindschritt mehrere hundert Meter zurück, wobei wir uns immer in der Deckung der Felsen befanden. Dann war wieder eine offene Stelle zu überschreiten. Bevor ich aus dem Schutze der Wände heraustrat, hieß ich das Mädchen warten, schob mich auf dem Bauche aus der Gasse und spähte rückwärts. Was ich da sah, gab mir einen Stich ins Herz.

In schnellem Laufe näherten sich uns zwei Indianer, die in kurzer Entfernung voneinander in dem Moment in den Hohlweg eintauchten, als ich dorthin zurückblickte. Sofort war ich mich der Gefahr bewußt. Ich mußte die Wilden aufhalten, um die Freunde zu retten, die mich in der Höhle erwarteten. Ich rief dem Mädchen in barschem Tone zu:

»Nun ist es die höchste Zeit! Laufe so schnell du kannst voraus und warne die Leute, die du in der Höhle findest. Der Alemano soll sofort hierherkommen. Wir werden von den Indianern verfolgt.«

Ein Aufschrei sagte mir, daß sie begriffen hatte. Ich drückte ihr den Binsensack in den Arm und führte sie mit einem unsanften Puff über die Kuppe in den Hohlweg.

»Nun marsch! Und wehe dir, wenn du nicht so rasch läufst, als es dir möglich ist. Sende mir sofort den Deutschen hierher!«

Wirklich lief das Mädchen in weiten Sprüngen davon. Ich legte mich mit der Büchse hinter die ersten Felsen des Hohlweges in Deckung und erwartete das Erscheinen der Rothäute auf der Kuppe. Sie waren dort ohne jede Deckung, und wenn es nur die beiden waren, die ich gesehen, so konnten sie mir nicht gefährlich werden.

Ich brauchte nicht lange zu warten. Kaum hatte ich mich vergewissert, daß die Kugeln ordnungsmäßig im Laufe saßen, als auch schon das Schnauben des Ersten hörbar wurde. Gleich darauf erschien auch der Wilde. Fast hätte ich einen Ruf der Ueberraschung ausgestoßen, denn mein Verfolger war jener Botokude, den Cirino in die Kammer eingesperrt hatte. Er trug noch Keule und Messer.

»Halt!« donnerte ich ihm entgegen und hob das Gewehr. Der Anruf kam dem Manne so unerwartet, daß er einen Luftsprung machte und seitlich auszubrechen suchte. Ein einziger Blick sagte ihm aber, daß das unmöglich war. Er wandte sich halb um, als ob er den Beistand seines Gefährten erwarten wollte, warf aber dann Messer und Keule zu Boden und kam mit erhobenen Händen auf mich zu, indem er mir ein paar mir unverständliche Worte zurief.

Einen Unbewaffneten fürchtete ich natürlich nicht. Ich senkte den Lauf und winkte den Mann heran. In demselben Augenblick aber erschien auch der zweite Indianer auf der Kuppe. – Es war Cirino, der einen Revolver in der Hand trug und zornbebend schrie:

»Macht Platz, Don Fernando! Der Hund ist mein!«

»Halt, Cirino!« rief ich und hob das Gewehr an die Wange. »Der Mann hat bei mir Schutz gesucht, und ich dulde nicht, daß ihm ein Leid geschieht!«

»Aber Ihr kennt ihn nicht, Don Fernando. Er ist ein Mörder!«

»Das sind andere auch. Deshalb hast du noch kein Recht, ihn zu töten. Denke an seinen Bruder und an dich! Lege den Revolver nieder und dann erzähle mir, wessen du den Mann anklagst.«

Der Botokude hatte begriffen, daß ihm vorderhand keine Gefahr mehr drohte. Er trat jetzt an meine Seite und sprudelte eine längere Rede hervor, von der ich leider kein Wort verstand. Cirino hingegen schäumte vor Wut und schien nicht übel Lust zu haben, sich auf den andern zu stürzen, der aber jetzt, wo er die gefürchtete Feuerwaffe nicht mehr auf sich gerichtet sah, einem Kampfe nicht mehr ausweichen wollte. Ich beschränkte mich darauf, Cirino zu beruhigen, indem ich ihm versprach, seine Anklagen zu prüfen, wenn ein Dolmetscher mir die Worte des Botokuden übersetzen würde.

»Das kann ich gerade so gut wie ein anderer!« rief er wütend.

»Das glaube ich dir aufs wort, aber das genügt mir nicht. Du weißt, daß uns dein Bruder und seine Schützlinge erwarten. Der Pater wird die Sprache des Botokuden verstehen.«

»Ich brauche keinen Pater. Der Mann gehört mir, und ich ruhe nicht, bis er nicht tot auf dem Boden liegt.«

»Willst du mit ihm kämpfen? Mir scheint es, als ob er große Lust dazu hätte. Natürlich ohne Waffen!«

»Nein, so dumm bin ich nicht. Der Hund ist viel stärker als ich, sonst wäre er mir nicht aus der Kammer entkommen.«

»Gut, dann bleibt es bei dem, was ich sagte. – Uebrigens kommen schon die Freunde ... Nein, es ist Don Roberto – allein!«

Von weitem schon rief Neumann mir zu:

»Aushalten – ich komme!«

»Das sehe ich, lieber Freund. Besten Dank für den guten Willen. Meine Verfolger haben aber bereits die Waffen gestreckt.«

»Ah, da ist ja Cirino. Weißt du, daß man dich sucht?«

»Mich sucht man? Mich? Wer denn?«

»Wenn ich das wüßte! Ich kenne die Indianer noch nicht auseinander. Ich glaube aber, ich sah ihn schon auf der Farm. Dein Bruder sprach mit ihm.«

»Wißt Ihr nicht, was der Mann wollte?« fragte Cirino, durch die Mitteilung sichtlich beunruhigt, »Wie kam der Indianer überhaupt hier herauf? Den Weg kennen doch nur wenige Eingeweihte.«

»Das alles kann dir dein Bruder sagen. Er ist noch in der Höhle. Es wäre mir lieb, wenn du ihm Nachrichten über Don Fernando brächtest – oder ist hier keine Verfolgung mehr zu fürchten?«

»In der Höhle, sagt Ihr? Die ist ja nicht weit von hier. Ich laufe hinüber und bin bald wieder zurück!«

Ohne meine Zustimmung abzuwarten, lief er von dannen.

»Der muß ein schlechtes Gewissen haben!« sagte ich lachend. »Ich glaube, er hält sich nicht lange in der Höhle auf.«

»Wie kommen sie denn an den Ausbund von Schönheit?« fragte Neumann, mit den Augen auf den Botokuden deutend.

»Der hat sich unter deutschen Schutz gestellt. Cirino verfolgte ihn mit mörderischen Absichten. Als er mir dann vor den Lauf kam, muß ich ihm wohl mehr Vertrauen eingeflößt haben, als sein Verfolger. Er warf seine Waffen fort und lief mir in die geöffneten Arme. Da liegt seine Keule und das Messer ... Siehe da, auch Cirino hat seinen Revolver vergessen. – Ja, ja, das böse Gewissen.«

»Sie sagten das schon einmal, wissen sie etwas von Cirino? Er soll mich ja als Diener begleiten, und man möchte doch gern genau wissen, mit wem man zu tun hat.«

»Wenn ich nicht irre, hat er gestern einen Mord begangen. Sie erinnern, daß ein Indianer einen andern in den Abgrund stieß. Der Mörder war nach meiner Ueberzeugung Cirino und sein Opfer der Bruder dieses Apollo. – Wenn ich den Kerl nur verstünde! Ob der Pater botokudisch spricht?«

»Wahrscheinlich, denn er erzählte von brasilianischen Indianern, die große Holzscheiben in Ohren und Nase tragen. Dieser hier hat ja auch derartige Zierate.«

»Dann lassen sie uns den Pater aufsuchen, damit ich mich mit ruhigem Gewissen dieses Menschen entledigen kann. – Ich glaube, von der Farm her haben wir keine Verfolgung mehr zu fürchten.«

Ich griff die Waffen des Wilden auf und deutete ihm an, daß er mit uns gehen sollte. Er blickte mir einen Augenblick fest in die Augen, dann bewegte er die Lippen und sein häßliches Gesicht verzog sich zu einer demütigen Bitte.

Ich verstand ihn. Er wollte seine Waffen zurückhaben. Einen Augenblick überlegte ich, indem ich prüfend in sein Antlitz blickte. Dann reichte ich ihm beides, Keule und Messer. Ein Freudenblitz schoß aus seinen Augen. Dankend legte er die Hand an Stirn und Brust und trat dann an meine Seite. Während wir so dahinschritten, die Büchsen geschultert, fragte Neumann:

»Ist es nicht leichtsinnig, dem Wilden die Waffen wiederzugeben? Er bleibt oft zurück. Wie leicht könnte es ihm einfallen, mir den Schädel einzuschlagen und Ihnen das Messer zwischen die Rippen stoßen.«

»Das tut der Mann nicht. Jetzt nicht mehr. Vor einer Stunde noch hätte ich ihm nicht getraut. Nun aber sieht er in mir seinen Retter, und der ist sicher vor ihm.«

»Na, ich weiß doch nicht recht ... Wenn Sie Ihr Vertrauen nur nicht bereuen!«

»Mit Cirino darf er natürlich nicht zusammentreffen.«

»Der ist aber doch in der Höhle.«

»Glauben Sie? Ich bin anderer Ansicht. Der ist längst auf und davon. Vielleicht sucht er Schutz bei seinem Vater, der auch nicht besser zu sein scheint, als sein Sohn. – Doch da sind wir! ... Halloh, Hochwürden, bitte, bemühen Sie sich hierher. Ich brauche einen Dolmetscher!«

Ich hatte den Botokuden mit der Hand zurückgehalten, als sich der Pater näherte. Jetzt legte er die Waffen auf den Boden und hob seine Hände in Brusthöhe mit den Flächen nach außen, um zu zeigen, daß er als Freund gekommen war. Der Pater hob ebenfalls die Hände, und da ihm die Zierate keinen Zweifel über die Rasse des Wilden ließen, redete er diesen gleich in seiner Sprache an.

Der Botokude brachte vor Erstaunen den Mund nicht wieder zu, als er so unerwartet die heimatlichen Laute aus dem Munde eines weißen Mannes hörte. Die Worte sprudelten über seine Lippen und die Antworten des Paters setzten ihn in höchstes Entzücken.

Während dieser Unterhaltung wandte ich mich an die Frau und erfuhr von ihr, daß Gil mit seinem Bruder an den Fluß hinuntergestiegen sei. Er hatte hinterlassen, daß man ihn hier in der Höhle erwarten solle, er brächte Nachrichten von der Farm mit. Das Mädchen ergänzte diese Mitteilung. Es hatte ein paar Worte aus der Unterredung der beiden Brüder aufgefangen und glaubte sie dahin deuten zu sollen, daß weder der eine noch der andere hierher zurückkehre, sie wollten mit ihrem Vater in dessen Heimat fliehen.

»Das ist doch nicht möglich, daß Gil uns hier, so dicht am Ziele verläßt, nachdem er sein Leben daran gewagt hat, uns aus der Mission zu retten,« sagte die Frau. »Er wird bestimmt wieder kommen. Das Mädchen muß sich verhört haben.«

»Cirino wird triftige Gründe haben, sich auf einige Zeit von hier zu entfernen,« gab ich zur Antwort, »Wie weit die Bruderliebe Gils dabei in Anspruch genommen wird, vermag ich nicht zu beurteilen. – Wir können übrigens auch ohne ihn fertig werden, denn es hat den Anschein, als ob die Indianer die Farm räumten. Jedenfalls kehre ich dorthin zurück, um unsere Ausrüstung zu holen, falls sie noch da ist. Dann setze ich meine Reise fort.«

»Sie wollen fort?« fragte Neumann erstaunt, »Wir können doch jetzt nicht in den Chaco, wo alle Indianer im Aufruhr sind.«

»Der Chaco reizt mich auch nicht. Ich gehe stromaufwärts an die brasilianische Grenze und setze meine Reise fort. Bauers können wir keine wirksame Hilfe bringen, also ist unsere Anwesenheit hier zwecklos. In Concepcion melde ich den Ueberfall und suche militärischen Schutz für die Farm zu erlangen.«

»Wir sollten aber doch versuchen, etwas über Bauers Verbleib zu erfahren,« sagte Neumann.

»Das will ich ja auch. Zu dem Zwecke kehre ich auf die Farm zurück. Das Mädchen wird mich begleiten und als Dolmetscher dienen.«

»Nein, nein, ich gehe nicht auf die Farm,« rief das Mädchen, dem der Sinn meiner Worte nicht entgangen war. »Dort sind böse Indianer ...«

»Die dich nicht anrühren werden, solange ich noch ein Gewehr halten kann. Habe keine Angst. Du sollst zu Frau Bauer gehen, die deine Hilfe braucht.«

Der Pater trat zu uns.

»Der Botokude erzählt mir da böse Geschichten von Ihrem Cirino. Wenn das wahr ist – und ich habe keinen Grund daran zu zweifeln – dann muß das ein Verbrecher schlimmster Sorte sein. – Er hat unter anderm auch den Bruder dieses Mannes ermordet, indem er ihn hinterrücks in den Abgrund warf.«

»Das habe ich sogar mit angesehen,« erwiderte ich. »Allerdings wußte ich nicht, daß Cirino der Täter war. Ich sah nur die Umrisse der beiden Menschen. Uebrigens scheint der Botokude auch kein Ehrenmann in unserm Sinne zu sein. Ich traf ihn auf Schleichwegen im Farmerhause, wo er wahrscheinlich stehlen wollte.«

»Hm, diese wilden Menschen haben sonderbare Eigentumsbegriffe. Es wäre nicht so unmöglich, daß sie recht haben ...«

»Fragen sie ihn, was er auf dem Speicher des Hauses zu suchen hatte.«

Der Botokude war durchaus nicht über unsere Kenntnis seiner Taten überrascht. Er gab sofort Antwort auf die Fragen des Paters. Danach war er der Fährte Cirinos gefolgt, hatte sie aber wieder verloren, als er im Gange plötzlich zwei verschiedene Fußabdrücke fand. Er war dann später in die Kammer eingedrungen, weil er dort den Mörder vermutete. Cirino war ihm dorthin gefolgt. Er warf mit dem Messer nach ihm, verfehlte aber das Ziel und nun kam es zum Kampfe, Mann gegen Mann, in dem der Botokude Sieger blieb. Er stand im Begriff Cirino zu töten, als ein Dritter auf dem Gange erschien, der dem Mörder etwas in einer fremden Sprache zurief. Der fremde Mann trug einen Revolver in der Hand. Als der Botokude die gefährliche Waffe erkannte, ließ er von Cirino ab und floh an dem Fremden vorüber aus dem Hause. In dem Augenblick, wo er aus der Luke sprang, hörte er noch einen gellenden Schrei und gleich darauf sah er Cirino mit der Waffe in der Hand auf seiner Fährte ...«

Die letzten Worte versetzten mich in Unruhe. Der Fremde, der im Besitze eines Revolvers war, konnte doch nut ein Weißer sein, und außer Bauer befand sich kein weißer Mann auf der Farm. Aus dem Botokuden war aber nichts anderes herauszubringen, als was er schon gesagt hatte. In seiner Aufregung hatte er den Fremden nicht weiter angesehen. Nur erinnerte er sich, daß er einen Hut trug.

»Wenn Cirino sich an Bauer vergriffen hätte?« Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Hastig raffte ich mein Gewehr auf und rief Neumann und dem Pater zu, mich hier zu erwarten. Dann eilte ich in raschem Laufe dem Farmhause zu. von der letzten Kuppe aus konnte ich in den Hofraum sehen. Dort stand der alte Malibo mit noch zwei Indianern im Gespräch. Ihr Aeußeres verriet keinerlei Aufregung. Unbemerkt von ihnen glitt ich in den letzten Spalt und schob mich hier so weit vor, daß ich das Haus übersehen konnte. Die Luke an der Rückwand stand offen, die Verschalung an die Wand gelehnt. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen im oberen Teile der Farm. Dennoch wartete ich längere Zeit, bevor ich mich aus der Deckung herauswagte. Mit wenigen Sätzen erreichte ich dann den Granatstrauch. Um diesen herum war der Boden zertreten. An der Wand klebte der Abdruck einer blutigen Hand. Er konnte noch nicht sehr alt sein, denn das Blut war noch nicht fest eingetrocknet.

Diese Wahrnehmung zwang mich zu äußerster Vorsicht. Ich suchte vor allen Dingen Deckung hinter dem Busch. Hierauf lauschte ich auf etwaige Geräusche im Innern des Hauses. Dort regte sich aber nichts, und nun befaßte ich mich eingehender mit dem Abdruck der Hand. Ich suchte festzustellen, welcher Rasse sie angehören könnte. Ob sie einem jungen oder alten Manne angehörte. Aber da ich auf diesem Gebiete noch zu wenig Schulung besaß, blieb mein Versuch fruchtlos.

Die Sonne hatte sich bereits hinter den Bäumen des Chaco versteckt und immer noch saß ich wartend in meinem Busche. Ich konnte den Mut nicht aufbringen, in die Oeffnung zu treten, und einen Blick über den Maisboden zu werfen. Ein unbekanntes Gefühl hielt mich zurück. Furcht war es nicht, aber eine Ahnung von drohendem Unheil ließ mich jedesmal, wenn ich aus meiner Deckung heraustreten wollte, zaudern. Als aber die nächtlichen Schatten sich über das ferne Tal zu breiten begannen, faßte ich mir ein Herz. Ich prüfte meine Revolver und lockerte das Messer, das ich ganz vorn in den Gürtel steckte. Dann blickte ich noch einmal um mich ...

Narrte mich ein Spuk oder war es Wirklichkeit. In der Luke des Hauses zeigte sich jetzt ein Kopf. – Ein Mann in gebückter Stellung lugte scheu ins Freie. Sein Blick streifte mein Versteck, ohne mich zu bemerken ... Mit einem Ruck erhob er sich, beugte den Körper zurück und flog dann, wie der Pfeil von der Sehne, mit einem Sprung an mir vorüber der Kuppe zu.

Aber er sollte sein Ziel nicht erreichen. Kaum zeigte sich die Gestalt in vollem Lichte, da zuckte ein Blitz aus den Steinen über mir. Donnernd brach sich der Schall des Schusses in den Wänden. Der Fliehende warf die Hand in die Höhe, taumelte und fiel, ohne einen Laut auszustoßen, hart aufs Gesicht.

Ich stand wie gelähmt und lehnte mich gegen die Wand. Das Herz schlug mir zum Zerspringen ... Daß dort ein Mensch jäh ausgelöscht wurde, griff mich nicht so sehr an, als die Gewißheit, daß ich jetzt an der stelle des Toten läge, wenn mich nicht die schützende Hand Gottes in meinem Versteck zurückgehalten hätte. Und wer sagte mir, daß ich mich jetzt außer Gefahr vor dem Mörder befand? Galt der Schuß einer bestimmten Person oder jedem, der das Haus auf diesem Wege verließ? Lange sollte mir die Antwort auf diese Frage vorbehalten bleiben. Endlich regte es sich in den felsigen Mauern. Kleine Steine bröckelten ab und fielen vor mir in den Granatstrauch. Dann hörte ich ein gedämpftes Scharren und sah, wie ein Schatten zu Boden glitt, der in großen Sätzen über die Lichtung eilte und sich über den Toten beugte. Er konnte aber nur einen Blick in dessen Züge geworfen haben, so schnell hastete er wieder zurück. An der Wand angekommen, rief er mit unterdrückter Stimme in spanischer Sprache:

»Der ist es nicht, aber er gehört Zu dem gleichen Stamme.«

Ein derber Fluch tönte als Antwort herunter und bald stand ein zweiter Mann auf wenige Meter von mir entfernt. Er sagte seinem Gefährten ein paar tadelnde Worte über sein voreiliges Schießen und schloß mit der Frage:

»Was machen wir nun? Bei Nacht getraue ich mich nicht ins Haus. Die Wilden haben Augen wie die Eulen und rennen uns die Messer in den Leib, bevor wir sie nur zu Gesicht bekommen.«

»Hier können wir auch nicht bleiben, wer weiß, ob nicht in jenen Felsen ein Rudel Schwarzer versteckt liegt. Der Schuß hat unsern stand verraten und ich wette, daß wir in weniger als einer Viertelstunde die Meute auf dem Halse haben.«

»Das wäre eine böse Geschichte,« erwiderte der andere. »Ich habe nur noch drei Kugeln. Dann ists aus!«

»Und ich nur noch zwei,« tönte es zurück.

»Da kann ich aushelfen,« rief ich, die Büsche teilend. »Guten Abend, meine Herren, wenn ich nicht irre, sind Sie auch zum Schutze Bauers hier?«

Trotz des Ernstes meiner Lage mußte ich lächeln, als ich die entsetzten Gesichter der beiden Männer sah. Der Eine taumelte tatsächlich mit zur Abwehr vorgestreckten Händen gegen den Felsen, so daß ich mich nicht enthalten konnte, hinzuzufügen:

»Ich bin kein Gespenst, sondern ein Freund Bauers, der hier nach dem Rechten sehen will. Und mit wem habe ich die Ehre?«

Nun erst wich die Beklemmung und der eine sagte:

»Wir sind Farmer. Ein Indianer meldete uns den Ueberfall und wir sind mit zehn Mann hierher geeilt, um dem Deutschen beizustehen. Leider wurde einer von uns ermordet. Der Täter, ein Indianer, ist mit der Waffe unseres Freundes entkommen, wenn er nicht noch im Hause versteckt ist.«

»Wo ist Bauer und seine Frau, wissen Sie das?«

»Augenblicklich sind sie unter dem Schutze Kaapas in einer verlassenen Farm, zwei Meilen stromaufwärts. Bauer ist verwundet, sonst wäre er schon hier.«

»Verwundet? Doch nicht schwer?«

»Ein Speerstich. Ein fremder Häuptling wollte sich an Bauers Frau vergreifen. Bei der Gelegenheit bekam er den Stich. Es scheint nicht schlimm geworden zu sein.«

»Und die Frau?«

»Ah, die Frau! Die hat dem Wilden mit seiner eigenen Keule derart auf den Schädel geklopft, daß ihn seine Leute eiligst davontrugen. Jetzt scheinen Krieger seines Stammes hier rauben und stehlen zu wollen.«

»Der alte Malibo ist aber im Hause. Ich sah ihn mit zwei Indianern auf dem Hofe stehen.«

»Ach, was kann denn der Alte machen? Selbst wenn er wollte, hindert der niemand am Plündern.«

»Dann wollen wir zu ihm gehen. Er kennt mich und wird sich vielleicht freuen, wenn ihm Hilfe gegen das Gesindel gebracht wird.«

»Hm – im Hause sind Rothäute versteckt, wenn wir mit denen zusammentreffen ...«

»Dann kann es ihnen schlecht ergehen, falls sie nicht brav sind,« erwiderte ich. »Kommen Sie, ich gehe voran.«

»Halt!« rief da der Farmer. »Ich höre Stimmen hinter uns. Da sind Indianer versteckt!«

»Donnerwetter, ja. Die habe ich vergessen. Ich werde sie rufen, sie können uns eine wertvolle Hilfe sein.«

»Wer, die Indianer?«

»Nun ja. Indianer sind es gerade nicht. Mein Gefährte, ein Deutscher, und ein Jesuitenvater erwarten mit zwei Frauen meine Nachrichten. Ein Botokude ist auch dabei. Der Hunger wird sie hierher treiben ... Halloh, Neumann!« rief ich so laut, daß das Echo den Namen rollend zurückgab.

Der Farmer preßte meinen Arm mit ganzer Kraft.

»Mann, sind Sie toll? Oder hetzen sie uns die Indianer absichtlich auf den Hals?« rief er zornig, während sein Gefährte sich nach Deckung umsah.

»Seien Sie vernünftig, Mann!« erwiderte ich. »Wir drei und die drei Männer, die dort kommen, sind doch wahrhaftig imstande, die paar Wilden zu verjagen – wenn sie überhaupt noch auf der Farm sein sollten.«

Es kamen aber nur zwei Männer mit den Frauen. Der Botokude hatte sich empfohlen, nicht ohne mir nochmals durch den Pater seinen Dank für das Vertrauen auszusprechen, das ich ihm durch Rückgabe der Waffen bewiesen hatte. Der Pater fügte noch hinzu, daß der Wilde ihm versprochen habe, Cirino nicht zu töten, sondern, wenn er ihn fände, seinem Häuptling zur Bestrafung zu übergeben.

Ich drängte jetzt Zum Aufbruch. Der Mond mußte bald hinter den Bergen auftauchen und dann war unser Aufenthalt auf dem kahlen Gebirgsrücken nicht sehr angenehm. Der Pater wollte sich jedoch nicht anschließen.

»Ich darf mich nicht in Situationen begeben, die sich mit meinem geistlichen Berufe nicht vertragen, wenn, wie ich aus Ihren Worten entnehme, Indianer im Farmerhause sind, die uns gewaltsam am Betreten der Besitzung hindern, so wird es sehr wahrscheinlich zum Kampfe kommen ...«

»Das ist mehr als wahrscheinlich!« unterbrach ich.

»Nun ja. Dabei darf ich nicht mittun. Ich müßte sie im Gegenteil davon abhalten, Menschenleben zu vernichten ...«

»Na, erlauben sie, Hochwürden, sollen wir uns denn ohne jede Gegenwehr abschlachten lassen?«

»Sie sollten sich nicht in solche Lage begeben. Darum eben schließe ich mich für meinen Teil – und ich darf auch wohl im Namen meiner Begleiterin reden – davon aus. Nehmen Sie mir das nicht übel.«

»Wo wollen Sie denn aber die Nacht zubringen? Hier können Sie nicht bleiben, denn die Indianer kennen jetzt den Hohlweg. Zurück können sie auch nicht und ich darf Sie in solcher Zwangslage auch nicht allein hier lassen ...«

»Das Mädchen sprach von einem bewohnten Hause, das man von hier aus in einer Stunde erreichen könnte. Es soll einem fremden Farmer gehören. Den möchte ich aufsuchen.«

»Davon weiß ich allerdings nichts. Auch Herr Bauer hat mir nicht gesagt, daß er europäische Nachbarn in der Nähe hätte, was für ein Fremder könnte das sein?« Die Frage war an das Mädchen gerichtet.

»Ein brauner Mann wohnt dort unten in der Schlucht,« antwortete die Magd. »Er kommt zuweilen zu meinem Herrn und kauft Felle und Knochen von den geschlachteten Tieren. Dort ist der Pater vor den Indianern sicher, weil diese den Mann für einen bösen Zauberer halten.«

»Weißt du den weg dorthin?«

»Bis dorthin, wo der Weg abwärts geht, ja. Nachher kann ihn der hochwürdige Herr nicht mehr verfehlen, denn es geht nur ein Pfad zu dem Hause hinunter.«

»Dann begleite Hochwürden bis zu dem Punkte. Du selbst kommst doch wieder? Ich bedarf deiner im Hause, da ich nicht alle Räume kenne.«

»Gewiß, Herr, wenn Ihr hier warten wollt!«

Als die drei aus unserm Gesichtskreise Verschwunden waren, klärte ich Neumann über die Farmer und deren brutales Vorgehen auf und riet ihm vorsichtig zu sein, denn die Umstände, unter denen ich ihre Bekanntschaft gemacht hatte, sprachen nicht zu deren Gunsten.

Mit kurzen Worten machte ich dann beide Gruppen mit einander bekannt und forderte sie auf, mit zum Farmerhause vorzudringen. Wenn wir in geschlossenem Trupp aufträten, würden sich die Indianer gewiß sofort zurückziehen.

Die Farmer machten Einwendungen, wir hätten kein Licht und ohne das ...

«Ich finde den Weg im Dunkeln,« rief plötzlich die junge Magd, die atemlos neben uns auftauchte – »Kommt mit, Don Fernando, wir schicken den Männern ein Licht heraus.«

Das Beispiel half. Im Gänsefchritt betraten wir den Maisboden. Dort reichte mir das Mädchen die Hand und führte mich bis zur Treppe, den andern empfehlend, sich an dem Vordermann festzuhalten. So kamen wir bis auf den zu ebener Erde gelegenen Flur, ohne einem Menschen zu begegnen. Das Mädchen drückte eine Tür auf, die in die große Wohnstube führte. Hier zog sie die Petroleumlampe herunter und machte Licht. – Gott im Himmel, wie sah es dort aus! Kästen und Schränke waren geöffnet und ihr Inhalt auf den Boden geworfen, was die Plünderer brauchen konnten, hatten sie wohl mitgenommen – allzuviel konnte es nicht sein! – Auf den Tischen, die mit schönen Decken belegt waren, hatte man Hühner geschlachtet. Auf dem weißgescheuerten Fußboden bewiesen verkohlte Aeste, daß man hier auch abgekocht hatte. Daß dabei das Haus nicht in Flammen aufging, war ein großes Glück. Unberührt war merkwürdigerweise die wertvolle Standuhr, deren Mechanismus den Rothäuten wohl abergläubischen Schrecken eingeflößt hatte.

Nach diesem Räume zeigte uns das Mädchen die Schlafzimmer, die unberührt geblieben waren. Böse sah es dagegen in dem »guten« Zimmer aus. Dort waren alle Polstermöbel zerschnitten und die Stoffbezüge gestohlen worden. Auch den großen Spiegel hatte man zerschlagen, die Scherben aber mitgenommen. Hier hatten die Rothäute gehaust – wie die Wilden! Das Wort paßte!

In der Küche fanden wir die ersten Lebewesen. Zwei Indianer. Sie lagen sinnlos betrunken mit dem Kopfe auf den für den Kamin bestimmten Holzklötzen.

»Die müssen wir vor allen Dingen solide binden,« sagte ich mit gedämpfter Stimme. »Wenn sie erwachen, rechne ich in Bauers Namen mit ihnen ab. – Mädchen, hole uns feste Stricke – rasch! Wir andern sorgen dafür, daß die Kerle nicht durchbrennen!«

Nach wenigen Minuten schon brachte uns das Mädchen ein paar neue Lassos.

»So, Neumann, nun heben Sie den Kerl auf. Ich mache ein gut verschnürtes Paket aus ihm, das selbst sein Häuptling Mühe haben wird zu lösen.«

Mit Unterstützung der Farmer waren die beiden Wilden in wenigen Minuten vom Kopf bis zu den Füßen mit den Lederriemen umschnürt, so daß ihnen jede Bewegung der Glieder unmöglich wurde.

»Wohin bringen wir sie jetzt? Habt ihr einen Keller?«

Die Magd führte uns wieder auf den Flur, hob dort in einer Ecke eine Falltüre auf und wies auf eine Treppe.

»Das ist der Keller. Da bewahrt unser Herr Flaschen und so lange, weiche Aeste auf, die man essen kann. Aber ich mag sie nicht,« fügte sie hinzu.

»Lange, weiche Aeste? Donnerwetter, Neumann, das ist etwas für uns. – Das werden Würste sein!«

Bei der Erwähnung des Wortes lief uns schon das Wasser im Munde zusammen. Man kann sich leicht vorstellen, wie rasch wir jetzt die beiden Gefangenen herbeischleppten. Bei dem schwachen Lichtschimmer, den die Laterne der Magd in dem finsteren Räume verbreitete, konnte es auch nicht Wunder nehmen, daß die beiden widerstandslosen Körper recht unsanft unten landeten, Wir verstauten sie unter der Treppe und befestigten sie zur größeren Sicherheit noch an dem Pfosten. Dann unterzogen wir die »Aeste« einer näheren Prüfung. Es waren tatsächlich geräucherte Würste. Mit einem Jubelschrei verkündeten wir diese Entdeckung den oben harrenden Begleitern, die nun plötzlich ihre Vorliebe für diese deutsche »Götterspeise« entdeckten. Wir waren aber bescheiden. Da wir noch einen Laib Käse entdeckten, begnügten wir uns jeder mit einem (oder waren es mehrere?) Pfund Wurst, zu der wir statt des Brotes den Käse verzehrten. Der Wein entpuppte sich als Apfelmost, der nur geringen Beifall fand.

Ueber eine Stunde dauerte das frugale Mahl. Da sich immer noch kein Mensch auf der Farm gezeigt hatte, berieten wir die Bewachung für die Nacht. Jeder von uns war todmüde. Immerhin waren wir unserer vier und so konnte jeder, wenn nichts vorfiel, nach zwei Stunden Wache unter die Decke kriechen. Die Farmer wünschten jedoch Neumann oder mich während ihrer Wache bei sich zu haben, und da einer allein sich nicht getraute, die Verantwortung zu übernehmen, mußten wir uns schließlich fügen. Bei der Gelegenheit stellte es sich heraus, daß Mut nicht zu ihren hervorragenden Eigenschaften gehörte.

Ich hatte Neumann und den einen Farmer – er nannte sich Don Manuel – eben abgelöst und mit Romero, dem zweiten Landwirt den Platz auf der Veranda eingenommen, als mir seltsame Laute ans Ohr drangen. Ich fragte meinen Begleiter nach der mutmaßlichen Ursache, aber auch er wußte die Heultöne nicht zu deuten, wie wir uns noch in Mutmaßungen darüber ergingen, stürzte plötzlich Don Manuel zu uns heraus und bat uns, mit Entsetzen in den Zügen, doch einmal auf den Maisboden zu gehen. Dort liege irgendein Raubtier, das bei jeder Annäherung greuliche Töne ausstieß.

»Warum sehen denn Sie nicht selbst nach?« fragte ich mit leisem Spott. »Oder rufen Sie doch meinen Kollegen.«

»Señor Neumann will nicht mitgehen. Er sagt, er sei zu müde. Morgen früh würden wir das Tier schon finden.«

»Das ist fehr vernünftig gesprochen,« erwiderte ich. »warum legen Sie sich nicht auch nieder?«

»Ach, das können Sie mir nicht zumuten. Wir sind doch hierhergekommen, um Bauers Farm vor Unheil zu bewahren. Wenn nun irgendein Raubtier, ein Jaguar, eingedrungen ist, so ist es unsere Pflicht, das Tier zu erlegen.«

»Nun, meinetwegen! Don Romero mag sie begleiten. Ich werde solange allein die Wache übernehmen. Es scheint übrigens alles ruhig zu sein! ... Warum gehen sie nicht, Don Romero?« fragte ich, als der Argentinier keine Miene machte, seine dunkle Ecke zu verlassen.

»Ich habe noch nie einen Jaguar gesehen und weiß nicht, wie ich mich zu benehmen habe,« gab er zurück. »Don Manuel wird ihn wohl allein töten können.«

Das heulende Lärmen wurde jetzt stärker. Der Ton schien über unsern Köpfen aus den Lüften zu kommen, so klar hallte er durch die Stille der Nacht.

»Hm – an den Jaguar glaube ich nicht,« sagte ich, nachdem ich den Tönen eine Weile gelauscht hatte. »Das muß ein menschliches Wesen sein, das dort oben hinter dem Hause in den Felsen sitzt! – Donnerwetter, da fällt mir ein ... Don Romero, haben sie nicht den armen Indianer erschossen? vielleicht lebt er noch und wälzt sich in seinen Schmerzen ... sie sollten doch einmal nachsehen – es ist Christenpflicht!«

»Don Manuel hat geschossen,« erwiderte der Argentinier rasch. »Er mag nachsehen. Mich geht das nichts an, ich riet ihm ab zu schießen.«

»Er bedrohte uns doch! Da war es nur der Trieb der Selbsterhaltung, der mich zu dem Schuß veranlaßte ...«

»Das ist ein Irrtum, Don Manuel,« sagte ich. »Der Mann war im Begriff zu fliehen, bedrohte sie aber nicht. – Aber wie dem auch sei, sie müssen nach ihm sehen! Hören sie doch, wie der Aermste schreit. Der Ton muß Ihnen ja bis an Ihr Lebensende wie eine Anklage ins Ohr gellen, wenn Sie dem Menschen nicht in seiner letzten Stunde beistehen, schließlich fiel er doch durch Ihre Hand.«

«Ich kann nicht, Don Fernando, kann es wirklich nicht, wenn mein Leben davon abhinge, ich könnte dem Manne nicht ins Auge sehen ...«

»Und Don Romero will auch nicht seiner Pflicht als Mensch genügen?«

»Ich sagte schon, daß es mich nichts angeht ...«

»Gut, dann gehe ich hinaus, Sie, Don Manuel, werden mir wenigstens leuchten, damit ich nachher die Luke gleich finde, falls es da droben unruhig würde.«

»Kann das nicht Señor Neumann tun?«

»Na, erlauben sie, lieber Freund. Erst töten sie einen Menschen aus sicherem Hinterhalt, und dann wollen sie einem andern die Nachtruhe rauben, nur weil sie zu feige sind, die Folgen Ihres Leichtsinns zu tragen? Ich ersuche sie jetzt sofort die Laterne zu nehmen und mir zu leuchten. Ich könnte sonst zu dem Entschlüsse gelangen, dem verwundeten zu sagen, wem er die Kugel verdankt. Das könnte Ihnen und Ihrer Farm schlecht bekommen!«

Ich hatte mich so in den Zorn hineingeredet, daß Don Manuel ohne weiteres den Ernst meiner Worte begriff, wortlos nahm er die Laterne und ging bis zur Treppe voran. Dann ließ er mir den Vortritt. Durch nichts war er zu bewegen, als Erster den Maisboden zu betreten. Dort oben war es aber auch recht unheimlich. Es rumorte irgendwo in den Nebengelassen und undefinierbare Geräusche lagen in der Luft. Bald war es ein Scharren, bald ein Schleifen, dann wieder traf ein dumpfer Schlag irgendwo die Wand. Ich lauschte eine Weile dahin, wo ich die Ursache vermutete. Aber als sich nichts auf dem Speicher regte, ging ich weiter. Die kalte Nachtluft zeigte mir den Weg zu der Oeffnung, die gähnend, wie ein gewaltiger Rachen uns entgegen starrte.

»Bleiben sie hier stehen, Don Manuel, setzen sie die Laterne hier vor der Luke auf den Boden und achten sie genau auf das, was ich Ihnen etwa zurufe. Es ist möglich, daß ich Ihren Beistand brauche.«

Der Argentinier brummte etwas in den Bart, was ich für seine Zustimmung nahm, dann stieg ich hinaus ins Freie. Mit einem Sprung erreichte ich den Granatbusch, der mir schon einigemale als Deckung gedient hatte, und von da aus spähte ich über das vor mir liegende freie Gelände. Kein Laut unterbrach die stille der Nacht. Hin und wieder strich eine große Fledermaus mit unhörbarem Flügelschlage über meinen Kopf. Ein Leuchtkäfer schwärmte aus zum Hochzeitsfluge, sonst nichts. Kein Seufzer, kein noch so leises Geräusch.

»Er wird ausgelitten haben! Gott sei seiner armen Seele gnädig,« betete ich vor mich hin. Dann legte ich mich auf das Knie und suchte noch einmal nach einer Bewegung, die sich gegen den helleren Horizont abheben konnte. – Nichts!

Der schwerste Gang stand mir jetzt bevor. Ich mußte die Leiche aufsuchen, um sie vor wilden Tieren in Sicherheit zu bringen. Die zwanzig Meter zum Hause würde ich sie tragen oder doch schleifen können. – Ich blickte mich noch einmal nach meinem Gefährten um. – Die Laterne stand noch da.

Ich sprang auf und lief in der Richtung fort, die heute abend der Indianer eingeschlagen hatte. Zufällig war mir die Form des Zackens im Gedächtnis geblieben, in dessen Nähe er niederstürzte. Dieser hob sich jetzt wie ein drohender Finger gegen den nächtlichen Himmel ab. Im Zenith funkelte das Sternbild des Kreuzes.

Ich hemmte den Schritt. – Hier mußte es sein! – Aber soviel ich mich auch anstrengte, ein Leichnam lag hier nicht. Ich umging den Zacken, suchte in weitem Umkreise – nichts! Ein Mensch, tot oder lebendig, war hier nicht. Endlich kehrte ich zum Hause zurück, innerlich froh, daß der Mann schon abgeholt worden war. vielleicht war er überhaupt nicht getroffen worden. – Mit solchen Gedanken beschäftigt, kehrte ich zu der Luke zurück. '

»So, das wäre erledigt. Hier nehmen Sie die Laterne, Don Manuel!«

Aber nichts rührte sich. Keine Hand streckte sich mir entgegen. Ich rief den Farmer laut bei Namen. Ein matter Ruf drang von irgendwoher an mein Ohr. – Der Feigling war geflohen!

Es waren keine Segenswünsche, die ich den beiden Helden entgegenschleuderte, als sie endlich den Kopf zur Verandatür hereinsteckten. Ich wetterte auf gut deutsch und so nachhaltig, daß Neumann, der es sich im Schlafzimmer bequem gemacht hatte, herausrief, ob ich seiner bedürfe.

«Ja, fluchen Sie weiter, aber bleiben sie im Bett!« rief ich ihm zu. »Mit den Feiglingen werde ich allein fertig!«

Um meinem Zorn Luft zu machen, unterhielt ich mich noch eine Viertelstunde mit den beiden Helden und beschloß dann, meinen Grimm neben Neumann zu verschlafen. Ich wollte eben den Fuß ins Schlafzimmer setzen, als das Geheul von neuem losging. Jetzt, war ich gerade in der richtigen Stimmung, um dem Störenfried energisch zuleibe zu gehen. Ich riß eine schwere Reitpeitsche von der Wand, empfahl Don Romero die Sorge für mein Gewehr und schritt mit der Laterne die Treppe hinauf. Ich gab mir gar nicht die Mühe, meine Schritte zu dämpfen. Merkwürdigerweise hatte das den Erfolg, daß der Lärm plötzlich verstummte.

»Hilft dir alles nichts!« rief ich ins Dunkle hinauf. Jetzt gehts dir an den Kragen!«

Vor dem Maishaufen blieb ich stehen. Die flackernde Kerze in der Laterne warf bizarre Schatten an die Wände. Der Haufen gewann Leben und je länger ich ihn betrachtete, desto mehr bewegten sich die einzelnen Körner. Nach einigen Minuten schienen sie wie Ameisen über und durcheinander zu kriechen, immer schneller sich überstürzend.

Ein kalter Hauch strich über meinen Nacken. Er zwang mich, den Blick nach der Luke zu richten. Ein glühendes Auge stand mitten in der gähnenden Leere und schien sich auf mich stürzen zu wollen. – Ich wandte das Auge wieder dem Haufen zu. Er lag bewegungslos.

Da, mit einem Male begann wieder das geheimnisvolle Scharren. Es drang von der Türe her, die auf den Gang führte. Ich umging den Mais. Als ich an der Luke vorüberkam, gesellte sich zu dem einen Stern ein zweiter und nun sahen sie zwei Gigantenaugen täuschend ähnlich.

Die Gangtüre war nur angelehnt. Ich stieß sie auf, leuchtete den schmalen Raum ab und warf mich in zwei Sprüngen auf die Türe zur Vorratskammer, die ich rasch verschloß. Vor der Türe, mitten im Gang fiel mir eine dunkle, breite Färbung auf. Ich leuchtete mit der Laterne dorthin – es war Blut! Das Blut des Farmers, der hier von Mörderhand gefallen war. – Cirino! Ich rief es unwillkürlich laut und irgendwo wiederholte ein Echo den Namen.

Unter dem Banne der Erinnerung jagte mir das plötzlich wieder hervorbrechende fürchterliche Geheul einen solchen Schrecken ein, daß ich die Laterne fallen ließ. Klirrend zerbrach das Glas. Zum Glück konnte ich die brennende Kerze retten. Als ich sie aufhob, klebte Blut an meinen Fingern.

Ich faßte mich schnell. Einen Angriff hatte ich nicht zu befürchten. Er wäre längst erfolgt. Ich näherte mich der Stelle, von wo ich den Ton vernommen. Es war der Kamin. Hinter diesem gab es ein Versteck, wie ich recht wohl wußte. Ich zog jetzt den Revolver, befestigte die Kerze an der Türe des Vorratsraumes, damit man sie mir nicht ausblasen konnte, und stellte mich so, daß der Schatten meinen Revolver auf die schräge Dachwand zeichnete, wer sich dort versteckt haben mochte, sah, daß ihm eine Kugel gewiß war. Dann rief ich:

»Komm heraus da! Es geschieht dir nichts, wenn du dich unbewaffnet zeigst!«

Nichts rührte sich. Aber nach kaum einer Minute hörte ich wieder die heulenden Laute. Nun glaubte ich sie außerhalb des Hauses suchen zu müssen. Ich näherte mich dem Kamin und leuchtete das Versteck ab. Es war leer. Aber ich entdeckte nun auch den Ursprung der rätselhaften Töne, denn in dem Augenblick, als ich den Kopf dicht an das Mauerwerk des Kamins lehnte, um nach oben blicken zu können, krochen die schauerlichen Laute an meinem Ohr vorbei und fanden einen Ausweg aus der Klappe, die auf das Speicherdach mündete und die unverschlossen war.

Nun war das Rätsel gelöst! Die Gefangenen im Keller waren erwacht und stießen die Wutschreie aus, die dann durch den Kamin ihren Weg ins Freie nahmen! So klärte sich ein Spuk auf, der den Argentiniern stundenlang den Angstschweiß aus den Poren getrieben hatte.

Ueberzeugt, daß den Indianern eine Befreiung unmöglich war, kehrte ich in die unteren Räume zurück, empfahl den beiden Helden strenge Wache und kroch befriedigt in das weiche Bett, in dem mich erst der helle Tag wiederfand.

Pferdegetrappel auf dem Hofe trieb mich heraus. Eben ritt Bauer mit seiner Frau und den beiden weißen Dienstleuten in den Hof. In seinem Gefolge befanden sich Malibo Und Gil. Mit aufrichtiget Freude begrüßte ich die Farmerfamilie und hieß sie auf ihrer eigenen Vesitzung willkommen. Dann erkundigte ich mich nach der Verwundung des Herrn.

»Nichts von Bedeutung, Don Fernando!« rief er, aus dem Sattel springend und mir die Hand schüttelnd, »Wie ist es Ihnen denn ergangen? Gil sagte mir, daß sie einige aufgeregte Stunden durchmachen mußten. Seien sie überzeugt, daß ich das von Herzen bedauere!«

»Aber ich bitte sie, lieber Freund. Das war doch gar nichts im Vergleich mit dem, was Ihre Gattin und sie durchmachen mußten. Wir standen mehrmals auf dem Sprunge, uns zu Ihnen zu begeben und sie aus den Händen der Wilden zu befreien.«

»Seien sie froh, daß sie das nicht durchführten. Sie wären kaum lebend zurückgekommen. Es war da ein stamm, die Gorka, der sich ein besonderes Vergnügen daraus macht, Weiße zu ermorden. – Dem verdanke ich auch den Riß da. – Zum Glück kam Raapa gerade zur rechten Zeit. Er spaltete dem Häuptling den Schädel ... Wie sieht es denn hier aus? Malibo erzählte mir, daß noch ein paar Gorka hier Zurückgeblieben wären, die ihren Häuptling an mir rächen wollten. Sie sind wohl fort?«

»Nein, doch nicht! Gott, daß ich das vergessen konnte! Ich habe die Wilden, die noch hier auf der Farm weilten, gebunden in den Keller eingesperrt. Da werden sie jetzt noch sein, wären sie nicht gekommen, dann hätte ich selbst Justiz geübt, indem ich ihnen das Fell gegerbt hätte. So aber übergebe ich sie Ihnen,«

»Das haben sie gut gemacht,« lachte Bauer. »Aber die Züchtigung müssen Sie bleiben lassen. Die Gorka würden sich an ihre Fersen heften und Sie bei erster Gelegenheit ermorden. Diese Banditen müssen Sie töten oder laufen lassen ...«

»Hm, gezüchtigt sind sie dadurch, daß ich sie, solide gebunden, unten an den Treppenpfosten schnallte.«

»Wenn Sie sich jetzt sehen lassen, dann hängt Ihr Leben an einem Faden. Da ist guter Rat teuer.«

»Ja, das ist allerdings fatal. – Wo ist denn Ihr Freund Neumann? wenn wir den mit Gil nach Concepcion senden würden? Die Behörden mögen die Kerle abholen.«

»Ich sah Neumann noch nicht. Er wird mit den beiden Argentiniern fortgegangen sein.«

»Was für Argentinier?«

»Zwei Farmer, die zum Schutze Ihrer Hazienda hierhergekommen sind. Ein dritter soll im Kampfe gefallen sein.«

»Argentinische Farmer?« fragte Bauer erstaunt. »Ich kenne keine solchen, wie heißen sie denn?«

»Ich kenne nur die Vornamen. Don Manuel und Don Romero nannten sie sich. Sie gaben sich als Nachbarn aus.«

»Hm – da bin ich doch neugierig, was das für Herren sind. Meine nächsten Nachbarn sind Italiener oder Deutsche. – Argentinier pflegen sich doch sonst nicht für uns aufzuopfern.«

»Helden sind es auch nicht gerade,« rief ich lachend. »Sie haben große Proben vom Gegenteil abgelegt. – Uebrigens müßten sie doch in der Nähe sein, denn ohne Abschied werden sie nicht heimkehren.«

Inzwischen hatten wir uns dem Hause genähert. Frau Bauer war mit den Dienstboten in die unteren Räume gegangen, wo sie entsetzt vor der dort stattgefundenen Verwüstung stand.

»Sieh doch, Mann, wie die Indianer hier gehaust haben. Der Spiegel zerschlagen, die Polster zerschnitten ... und alles Wertvolle ist fort. Die schöne Uhr, die silbernen Leuchter ...«

»Halt!« rief ich, sie unterbrechend. »Die Uhr und die Leuchter müssen da sein. Ich sah sie gestern Abend noch, nachdem die Indianer gebunden waren. – Und jetzt sind sie fort? Das ist merkwürdig! Ob das Mädchen sie versteckt hat?«

»Was für ein Mädchen?« fragte Frau Bauer.

»Nun, Ihre Dienerin. Die kleine Indianerin, die etwas deutsch spricht – übrigens ein tapferes Kind.«

»Ach, sie sprechen von der Dolly. Ist denn die hiergeblieben?«

»Nein, aber ich fand sie oben im Hohlweg, sie führte uns hierher zurück und zeigte mir die Räume ... Wo mag sie stecken? – Das ist mir rätselhaft,« rief ich nun aus. »Neumann ist fort, das Mädel ist nicht da, die Farmer sind verschwunden. Es fehlte nur noch, daß sich die Indianer befreit haben ... Donnerwetter! wenn das wäre, dann hätte es ein Unglück gegeben! Ach, bitte Frau Bauer, lassen sie doch im Keller nachsehen, ob dort die beiden Indianer noch liegen. Ich band sie an den Treppenpfosten.

Auf den Ruf der Frau eilte Bauer mit Malibo und Gil zu uns in die Stube. In der Tür rief der Farmer schon:

»Hast du die Zerstörung gesehen, liebe Frau? Die Menschen haben entsetzlich gehaust!«

»Eben wollte ich dir unsere guten Sachen zeigen. Don Fernando behauptet, gestern Abend seien Uhr und Leuchter noch hier gewesen, und jetzt ...«

»Bitte, Herr Bauer, lassen sie alle verfügbaren Leute hierherkommen,« rief ich jetzt. »Mir scheint es, als ob da etwas den Indianern in die Schuhe geschoben werden soll, was auf das Konto anderer gehört. Lassen sie uns das Haus gründlich durchsuchen, vielleicht finden wir noch die Urheber all dieser Unordnung hier verborgen. – Befreien sie zunächst die beiden Gefangenen im Keller. – Gil wird das am besten übernehmen können.«

»Aber die Gorka sind Feinde unseres Stammes,« warf Gil ein.

»Um so besser! Du erwirbst dir dadurch ein Verdienst bei ihnen. Wer weiß, wie dir das noch einmal gedankt wird.«

»In Gottes Namen denn, Herr ...«

»Sage ihnen aber nicht, wer sie gefesselt hat. Wir alle sind heute erst auf die Farm zurückgekehrt ...«

»Selbstredend setze ich keinen von uns einer Gefahr aus. Gehen sie alle in die Zimmer, damit die Gefangenen freie Bahn haben, wenn sie etwa fliehen wollen.«

Nur ungern befolgte ich den Rat. Ich hätte gern von den Indianern Aufklärung über die Vorgänge auf der Farm gehabt, denn ihnen konnte doch die Anwesenheit der fremden Farmer nicht unbekannt geblieben sein, obwohl letztere das so hinstellen wollten. Ich hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da gellte draußen ein lauter Ruf durch den Gang. Es war Gil, der um Hilfe schrie. Mit der Waffe in der Hand stürzten wir hinaus.

»Hierher, Herr, seht, was hier liegt!« rief er hastig, »Schaut nur in den Keller!«

»Ich kam mit Bauer gleichzeitig an die Falltüre, vom Licht noch geblendet, unterschied ich zunächst vier Körper, die wie große Bündel auf dem Boden des Kellers lagen.

»Hier sind die Indianer, Herr,« rief Gil, »und dort liegt Ihr Freund und die Magd – alle tot!«

»Um Gotteswillen, Mann, das ist nicht möglich! Bringt schnell Licht! Kommen Sie, Bauer.«

In zwei Sprüngen waren wir bei den Opfern des räuberischen Ueberfalles. Bauer zog ein paar Mal sein Messer über die Riemen und bemühte sich Neumann dadurch zu befreien. Ich beugte mich über die Indianer, deren Körper noch warm waren. Im Begriff, in ihre Augen zu blicken, bemerkte ich, daß ein Knebel zwischen ihren Zähnen steckte. Ich rief dem Farmer die Wahrnehmung zu und sofort erfüllten tiefe Seufzer der Erleichterung den Raum. Die Gefangenen sogen begierig die Luft ein.

»Gil, die Messer! schneide die Riemen durch. Lösen kann man sie nicht so schnell. Und hilf den beiden auf die Beine.«

Dann warf ich mich auf den Körper der Magd und befreite auch diese von Knebel und Fesseln. Sie gab aber kein Lebenszeichen mehr von sich. – war sie getötet worden oder erstickt?

Oben an der Falltüre harrten Frau Bauer und die Dienstboten angstvoll auf unsere Berichte. Ihnen rief ich zu, sich des leblosen Wesens anzunehmen. Ich nahm das Mädchen auf die Arme und trug es hinauf.

»Hier, Frau Bauer. Tun Sie Ihr Bestes, um das brave Kind zu retten. Sie wissen doch was geschehen muß?«

»Gewiß, Don Fernando. Und wo ist Ihr Freund?«

Ich blieb die Antwort schuldig, denn es trieb mich in den Keller zurück, wo noch drei Menschen mit dem Tode rangen. Bauer war es gelungen, Neumann wieder zur Besinnung zurückzurufen. Dagegen mühte sich Gil vergeblich ab, auch die beiden Rothäute zum Leben zu erwecken. Ich ordnete daher deren Transport nach oben an. Malibo mußte ebenfalls helfen. Aber unsere Rufe nach ihm blieben unbeantwortet.

»Angefaßt, Gil. Wir müssen es allein schaffen!« rief ich, indem ich den Indianer an den Schultern aufhob. »Fasse die Beine und gib acht, daß du ihn nicht fallen läßt!«

Wir betteten den leblosen Körper auf einige Felle, die von den Dienern rasch zusammengetragen waren und liefen in den Keller zurück, um den andern zu holen. In diesem waren die Lebensgeister noch nicht erloschen. Er schlug während des Transportes die Augen auf, gab aber kein Zeichen von Bewußtsein. Auch ihn betteten wir in das Gastzimmer, wo sich die Männer sofort um die Kranken bemühten.

»Nun bringe mir auch Neumann noch herauf, Gil! Dann wollen wir mit Wiederbelebungsversuchen beginnen.«

Der Weg wurde uns erspart. Bauer kam uns bereits mit dem kranken Freunde entgegen. Ich bat Neumann vorerst noch kein Wort zu sprechen, später könne er uns alles im Zusammenhang erzählen. Hierauf begab ich mich mit Gil zu den beiden Indianern, bei denen ich sofort mit den erforderlichen Maßnahmen zur Wiederbelebung begann. Der eine atmete schon nach den ersten Armbewegungen und konnte den Männern überlassen werden. Bei dem andern jedoch bedurfte es sehr langer und andauernder Arbeit, bis der erste Atemzug fühlbar wurde. Damit war er allerdings noch nicht außer Gefahr, denn er litt auch noch an den Folgen des zu reichlich genossenen Alkohols, und diese waren schwerer zu beseitigen, weil der Kranke uns mit dem Mißtrauen des Feindes gegenübertrat. Besonders die Anwesenheit Gils brachten die Gorka anfangs mit dem ihnen zugestoßenen Mißgeschick in Verbindung, bis es uns gelang, sie davon zu überzeugen, daß sie gerade uns die Rettung ihres Lebens verdankten. – Als die beiden soweit waren, ließ ich auch Neumann, in dem die Indianer sofort ihren Leidensgenossen erkannten, in den Raum tragen. – Mit den ersten lichten Augenblicken begannen sie auch zu sprechen. Da ich ihnen das aber nicht erlauben konnte, drohte ich, sie in getrennten Räumen unterzubringen, wenn sie sich nicht ruhig verhielten. Sie befolgten das Verbot aber nur solange, als ich im Zimmer anwesend war. Dann begannen sie erst mit gedämpfter Stimme, bald aber in der ihnen eigenen lauten Weise über die Ereignisse zu sprechen.

Gil, der im Raume anwesend, und um Neumann beschäftigt war, verstand natürlich die in indianischer Sprache geführte Unterhaltung. Er kam zu uns heraus und sagte:

»Wenn das wahr ist, was sich die Gorka erzählen, Herr, dann sind die argentinischen Farmer weiter nichts als Straßenräuber, die aus dem Gefängnis in Concepcion entsprungen sind. Sie haben hier im Hause einen Menschen ermordet und die Leiche in den Fluß geworfen.«

»Also die waren es!« rief ich. »Wenn ich das geahnt hätte! Ich habe sie auf frischer Tat ertappt, als sie eben einen Indianer niederschossen! Aber ich glaubte ihren Aussagen – wann und in welcher Richtung sind sie geflohen?«

»Das wird Neumann wissen. Die andern haben ja keinen Zeitbegriff,« sagte Bauer.

»Fragen wir ihn! Uebrigens, wie geht es der Magd?«

»Sie lebt noch, scheint aber zu schlafen, den Atemzügen nach zu urteilen. Wenn sie reden kann, muß meine Frau sie über die Ereignisse ausfragen.«

Neumann gab an, daß die beiden Banditen ihn in den Keller gelockt und dort überfallen und gebunden hätten. Sie bedrohten ihn mit dem Tode, wenn er einen Ton von sich gäbe. Nach etwa zehn Minuten hätten sie das Mädchen in den Raum gezerrt. Es habe um sich geschlagen und den, der ihr den Mund zuhielt, in die Finger gebissen. Auch die beiden Indianer begannen zu lärmen. Nun habe man alle kurzer Hand geknebelt – das sei ungefähr eine Stunde nach Tagesanbruch gewesen.

»Wann sie das Haus verließen, wissen Sie wohl nicht?«

»Ich hörte sie noch lange oben gehen, dann aber wurde ich wohl ohnmächtig, denn mir fehlt jede Erinnerung!«

»Dann müssen sie mindestens zwei Stunden Vorsprung haben,« sagte ich. »Eine Verfolgung ist wohl zwecklos, noch dazu, wo wir nicht einmal die Richtung kennen, die sie einschlugen.«

»Wahrscheinlich sind sie aus der Luke geflüchtet, die in den Hohlweg und an den Fluß führt. Dort lagert aber Kaapa mit seinen Kriegern. Ob sie es wagen, sich vor diesem sehen zu lassen?«

»Du kannst recht haben, Gil. Dort oben sah ich sie zuerst, sie saßen in den Felszacken, die man vom Dache aus erreichen kann. Wenn man sich dort anschleichen könnte?«

»Das ist so schwierig nicht,« meinte Bauer. »Wenn man beim Kamin ein paar Schindeln abdeckt, kann man den ganzen Bergrücken übersehen. Allerdings dürfen uns die Banditen nicht entdecken, sonst schießen sie uns ab.«

Aus der Krankenstube drang Lärm. Als wir eintraten, stand der eine Gorka vor Neumanns Lager und bemühte sich, ihm etwas in schlechtem Spanisch auseinanderzusetzen. Je weniger mein Kamerad davon begriff, um so lauter schrie der andere. Das war es, was uns veranlaßte einzutreten.

»Gottlob, daß Sie kommen,« rief Neumann. »Ich kann den Menschen mit dem besten Willen nicht verstehen, und das scheint er mir übelzunehmen. Versuchen Sie Ihr Heil!«

»Gil kann es uns übersetzen, was der Mann will. – Frage ihn doch, Gil!«

Die Rothaut zeigte aber keine besondere Lust, sich mit dem vermeintlichen Feind zu unterhalten. Der Wilde fuhr fort spanisch zu radebrechen, obwohl er damit recht große Anforderungen an unsere Kombinationsgabe stellte. Endlich aber brachten wir drei Deutschen den Sinn heraus. Die Wilden wollten wissen, wer sie gebunden hätte.

Das war eine kitzlige Frage, deren Beantwortung ich Bauer überließ. Er hätte sie gefesselt vorgefunden, antwortete er. Sofort sei man zu ihrer Befreiung geschritten.

Das letztere erkannten sie dankend an. Aber sie hätten schon gefesselt im Keller gelegen, bevor der weiße Mann mit dem roten Barte (Neumann) und das Mädchen eingebracht wurden. Wo die beiden sich aufgehalten hätten?

»Sie sind kurz vor ihrer Gefangennahme ins Haus gekommen,« gab man zur Antwort.

»Woher kamen sie aber? Unsere Leute halten doch rings herum das Haus besetzt,« lautete die nächste Frage.

»Da, wo das Haus mit dem Rücken an die Berge stößt, kann man durch ein Fenster aus- und eingehen. Von dort her sind wir gekommen,« ließ Neumann sagen.

»Und der Gorkakrieger, der dort oben stand, hat den Weißen durchgelassen?« fragte der Indianer unruhig.

»Wir sahen keinen roten Mann dort oben. Nur die zwei Farmer standen dort. Sie hatten geschossen!«

»Oh!« stieß der Krieger hervor. »Nun weiß ich!« Dann sprach er heftig auf seinen Stammesgenossen ein, ohne zu bedenken, daß Gil seine Worte verstand. Letzterer machte mir ein Zeichen und verließ das Zimmer. Draußen sagte er:

»Die Rothäute wollen einen Weißen als Geisel für ihren Krieger mitnehmen, sie werden vorschlagen, den Felsenrücken abzusuchen. Hüten sie sich, Herr. Gehen sie nicht mit.«

»Setze die Gorka doch auf die Fährte der beiden Argentinier. Dann werden sie die wahren Mörder haben. Ich sah, wie sie den armen Indianer erschossen.«

»Das dürfen wir den Gorka aber nicht sagen, sie sind mißtrauisch und glauben immer noch an den Ueberfall durch Weiße. – Es wäre ja denkbar, daß einer trotz seines Rausches den Mann erkannt hat.«

»Wie dem auch sei. Sie müssen auf die Spur der Farmer gehetzt werden. Diese Waldbewohner haben größere Uebung darin als wir.«

»Und wenn die Farmer nachher den Täter des Ueberfalles in der Küche verraten?«

»Lieber Gil, dann ist immer noch Zeit, eine Ausrede zu finden,« erwiderte ich. »Bringe die beiden aus dem Hause und dann wird Gott weiter helfen!«

Mit großer Mühe gelang es Gil endlich, die beiden Gorka zu einer Streife auf die Argentinier zu bewegen. Man brachte sie bis zu der Stelle, wo ihr Kamerad den Schuß erhalten hatte. Dort fanden sie eine kleine Blutlache, die der nächtliche Tau noch feucht erhalten hatte. Klar ausgeprägte Fußspuren fanden sie indessen nicht. Der nackte Fels behielt keine Eindrücke. Nachdem ihnen noch der Eingang in den Hohlweg gezeigt worden war, machten sich die Indianer mit der ihnen eigenen Sorgfalt an das Aufspüren der falschen Farmer. Wir kehrten zum Hause zurück.

Nun erst konnten wir uns über die ereignisreichen beiden letzten Tage aussprechen. Bauer war von Gil des Lodes voll.

»Ihm verdanke ich eigentlich mein und meiner Frau Leben. Er überredete seinen Vater, uns unter seinen Schutz zu nehmen. Dann suchte er Kaapa auf, um diesen auf unsere gefährliche Lage aufmerksam zu machen. – Und das alles, nachdem er schon einen langen und gefährlichen Ritt hinter sich hatte. – Aber wo haben sich denn der Pater und meine Tante aufgehalten, während Sie sich um das Haus bekümmerten?«

»Dolly schickte sie zu einem Knochen- und Fellhändler. Der Pater weigerte sich mit uns hierher zu gehen. Er fürchtete den Kampf mit den Indianern.«

»Ach, beim alten Cipriano sind sie!« rief Bauer, indem ein Lächeln über seine Züge glitt. »Da werden sie kaum lange bleiben, denn in der Schlucht lagern immer zahlreiche Felle und Knochen, die einen furchtbaren Geruch verbreiten. Es ist wohl besser, ich sende einen Boten hinunter, der ihnen unsere Rückkehr auf die Farm meldet.«

»Müssen sie durch den Hohlweg zurückkehren?« fragte ich. »Ich will das nur wissen, weil ich dort die Gorka vermute.«

»Hm – daran dachte ich nicht. Ich werde wohl Kaapa nochmal um seinen Beistand bitten müssen! – Gil!«

»Herr Bauer wünscht?«

»Daß du sofort zu Kaapa gehst und ihn bittest, den Pater und meine Tante bei Cipriano abzuholen und sie sicher hierher zu geleiten, sage ihm auch, daß zwei Gorka oben im Hohlweg sind.«

Gil schien von dem Auftrage nicht sehr erbaut zu sein, denn er zauderte etwas und blickte unschlüssig um sich.

»Wenn du nicht gern zu dem Häuptling gehst, dann muß ich einen anderen Boten senden,« sagte Bauer, der das bemerkte.

»Spricht Kaapa spanisch?« fragte ich schnell.

»Ziemlich gut – warum fragen Sie?«

»Weil dann ich die Botschaft ausrichten werde. Ich will doch meine Reise fortsetzen und da führt mich mein Weg wohl am Lager Kaapas vorüber?«

»Sie wollen fort?« fragte Bauer erstaunt. »Und Neumann auch?«

»Was mich betrifft, muß ich bejahend beantworten. Mit Neumann sprach ich nur ganz oberflächlich von der Abreise. Da er in den Chaco will, gehen unsere Wege hier ohnehin auseinander.«

»Und sie wollen nicht in den Chaco?« fragte Bauer. »Uebrigens ist das eine überflüssige Frage, denn solange sich die Indianer nicht beruhigt haben, darf sich kein Weißer in ihrem Gebiete zeigen. – Wohin reisen Sie von hier aus?«

»An die brasilianische Grenze im Norden. Zunächst gehe ich nach Concepcion. von da aus mit dem Schiff, soweit das möglich ist.«

»Und heute wollen sie fort? Jetzt gleich?«

»So rasch als möglich. Sie haben genug zu tun, um Ihr Haus wieder in Ordnung zu bringen und da stehe ich Ihnen nur im Wege. Auch meine Hilfe ist nicht mehr erforderlich, wenn Kaapa sie unter seinen Schutz nimmt. – Also setze ich meinen Wanderstab weiter. Was ich hier erlebte, war mir sehr interessant und für mich als Forscher äußerst wichtig. Man ist gewohnt, die Indianer als harmlos hinzustellen, aber so ganz trifft das doch noch nicht zu, wie ich gesehen habe.«

»Ein solcher Aufruhr, wie wir ihn jetzt erleben, ist wirklich eine große Seltenheit. Lange Jahre hindurch hat man nichts mehr von Indianeraufständen gehört. Durch das Zusammentreffen von Reibereien an allen Grenzen sind nun viele Stämme in ihrem Stolze gekränkt Worden. Sie vergessen den alten gegenseitigen Hader und einigen sich gegen den Weißen. Wenn es der Regierung nicht gelingt, Frieden mit den Beleidigten zu schließen, dann werden nicht nur wir am Fogones, sondern alle Ansiedelungen in den ehemaligen Indianergebieten schwere Zeiten durchmachen. Mir ist es, Gott sei Dank, gelungen, mich mit meinen roten Nachbarn auf guten Fuß zu stellen, so daß ich nicht viel zu fürchten habe. Allerdings kostet eine rote Schutzwache, auch wenn sie nicht auf der Farm selbst liegt, immerhin ein schönes Stück Geld. Die biederen Krieger möchten alles haben was sie sehen, darum liegt auch das meiste hinter Schloß und Riegel.«

Gil näherte sich mir mit demütiger Miene.

»Nimmt mich der Herr nicht mit?«

»Hast du dich denn Herrn Bauer nicht verpflichtet?« fragte ich überrascht. »Du hast dich so wenig um mich bekümmert, daß ich annehmen mußte, es sei dir leid geworden, mit mir zu reisen.«

»Aber nein, Herr, Señor Bauer brauchte meine Hilfe sehr notwendig. Da sie sein Freund sind, glaubte ich, daß Sie mit meinem Tun einverstanden wären. Tat ich unrecht?«

»Wenn das der Grund war, dann hast du brav gehandelt. – Ich wünschte, dein Bruder hätte sich auch so ehrenhaft benommen.«

»Cirino meinen Sie?«

»Ja, hast du noch andere Brüder?«

»Noch drei, sie sind aber Indianer geblieben. Cirino ist auch Krieger geworden. Wenn die Weißen Frieden machen, wird er wiederkommen.«

»Das glaube ich nicht, denn er hat allen Grund, sich vor meinen Augen nicht mehr sehen zu lassen.«

»Wie? Hat er etwas Böses getan, Herr?«

»Solltest du das nicht wissen?«

»Kein Wort, Herr. Ich sah Cirino gestern zuletzt, als er bei meinem Vater eintraf. Er sagte mir, Sie seien in Sicherheit. Sonst sprachen wir nicht miteinander.«

»Dann weißt du nicht, daß dein Bruder einen Mord beging?«

»Mein Bruder? Cirino soll ein Mörder sein? Herr, das kann ich nicht glauben!«

»Auch nicht, wenn ich dir sage, daß ich Zeuge war? – Aber er ist ja fort. Also hat es keinen Zweck weiter darüber zu reden. – Wenn du mit mir reisen willst, dann halte dich bereit. In einer halben Stunde verlassen wir die Farm.«

»Hat der Herr Pferde?«

»Nein, die sind doch alle gestohlen worden. Wir benutzen Bauers Kahn.«

»Dann müssen wir durch Kaapas Lager.«

»Nun, sind die Indianer nicht deine Freunde.«

»Nicht alle. Es sind auch Feinde der Weißen dort.«

»Dann gehen wir über die Berge bis an den großen Fluß. In sechs Stunden können wir in Concepcion sein.«

Neumann, der von Bauer über meinen Reiseplan unterrichtet worden war, hatte keine Lust, mich zu begleiten. Er glaubte, an der brasilianischen Grenze sei auch kein ruhiges Arbeiten möglich, da sich die Aufruhrbewegung nicht an die Grenzen der Staaten binden würde. Da ich ihm das nicht widerlegen konnte, so mußte ich mich darauf beschränken, ihm mein Bedauern über den Verlust seiner Gesellschaft auszudrücken. Seinen Vorschlag, die Abreise um einige Wochen hinauszuschieben, mußte ich ablehnen.

Als ich mit vollem Gepäck die Stufen zu der oberen Luke hinaufstieg und die Segenswünsche der Familie Bauer mit einem letzten Händedruck entgegennahm, erschien plötzlich Malibo vor dem Hohlweg. Er schüttelte mißbilligend das graue Haupt und hob warnend die Hand:

»Wohin, Fremder?« fragte er, mich mit sanftem Druck zurückdrängend.

»Nach der großen Stadt, Malibo. Es freut mich, daß ich dich noch sehe. – Bewache nur gut das Haus. Bauers sind deine Freunde.«

»Gehe nicht fort, Fremder. Du erreichst dein Ziel nicht.«

»Warum denn nicht, Malibo. Wer wird mich hindern?«

»Soldaten lagern unten am Flusse. Sie werden mit dem neuen Tage den Indianern entgegenziehen, aber viele werden den jungen Tag nicht mehr erleben. Viele Häuptlinge liegen mit ihren Kriegern in den Wäldern und auf den Bergen. Sie werden dich sehen und gefangen nehmen ...«

»Gil wird mich begleiten!« warf ich ein.

»Es wäre besser, wenn Gil in die Reihen der Krieger seines Vaters träte. Fände man ihn heute in deiner Begleitung, so wäre das nicht gut für ihn und für dich.«

»Würdest du mich an den großen Fluß begleiten, Malibo?«

Der Alte sah mich überrascht an.

»Welche Hilfe versprichst du dir von einem Greise?«

»Ich erwarte keine Hilfe, Malibo, denn ich will keinen Streit mit den roten Söhnen des Chaco. Ich will einen Begleiter, der den Weg über die Berge an den Fluß kennt. Wir müssen aber am Hause Ciprianos vorüber, weil dort Freunde Bauers sind. Ein Pater und eine Frau. Sie sollen hierher gebracht werden.«

Malibo schaute mich mit einem Blicke ungläubigen Staunens an. Dann rief er lebhaft:

»Ein weißer Pater und eine weiße Frau sind bei dem Zauberer? Jetzt? Dann muß Gil sofort hinunter und sie holen. Bald werden die Gorka dort eintreffen und dann ...?«

Wir hatten den Worten des Alten bis dahin keine Bedeutung beigelegt. Nun aber wurde Frau Bauer unruhig und rief:

»Sprichst du die Wahrheit, Malibo, oder träumst du?«

»Malibo ist gekommen, um Euer Haus zu schützen. Kaapa wird mit der sterbenden Sonne noch zehn Krieger zu Euerm Schutze senden. Malibo weiß, was er spricht!«

»Dann muß Gil sofort hinunter und meine Verwandten hierher holen. Wirst du ihn begleiten, Malibo?«

»Meine Füße sind alt. Gil mag rasch voraus laufen. Malibo folgt ihm in seinen Fährten. Er wird über Gil und seinen Gefährten wachen. Fliege Gil! Vor der sterbenden Sonne mußt du hier sein.«

Unschlüssig blickte Gil zu mir auf. Der Wunsch, ich möge ihn zurückhalten, stand deutlich auf seinem Gesichte. Aber angesichts der drohenden Gefahr half kein Widerstreben. Ich reichte ihm meinen Revolver und wiederholte die Worte des Alten:

»Laufe, so schnell dich deine Füße tragen, Gil, und rette die armen Menschen. Ein guter Lohn ist dir sicher. Wenn du angegriffen wirft, wehre dich. Sechs Kugeln stecken in der Trommel.«

Frau Bauer bekräftigte mein Versprechen auf klingenden Lohn und nun flog der junge Mann förmlich über die Kuppe, während Malibo gemächlichen Schrittes die gleiche Richtung einschlug.

»Nun legen Sie Ihr Gepäck wieder ab, Don Fernando,« sagte Bauer, mir auf die Achsel klopfend, »Das Schicksal will, daß Sie uns noch länger Gesellschaft leisten.«

»Ein paar Stunden werde ich allerdings noch Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Wenn Gil aber keine allzu beunruhigenden Nachrichten mitbringt, dann führe ich meinen Entschluß aus. Die paar Stunden werde ich ungefährdet zurücklegen können.«

»Warten Sie wenigstens die Nacht noch ab. Wenn es wirklich zu einem Zusammenstoß zwischen Indianern und Regierungstruppen kommen sollte, dann wäre Ihre Büchse von größtem Werte für mich.«

»Sie haben ja zehn Indianer, die sie vor den Rothäuten schützen,« warf ich ein.

»Die Rotfelle fürchte ich nicht im geringsten. Die schlimmsten Feinde sind die Regierungstruppen. Wo die einfallen, da wüten sie wie ein Schwarm Heuschrecken, wenn man ihnen nicht energisch entgegentritt. In solchem Falle richtet ein Weißer oft viel aus.«

»Dann hissen sie doch die deutsche Flagge, vor der haben sie großen Respekt, sie werden sich hüten, ein Haus, auf dem unser deutsches Hoheitszeichen weht, anzugreifen.«

»Wenn ich nur eine hätte. Vor zwei Jahren lieh ich sie nach Nueva Germania aus und bekam sie nicht wieder.«

»Zum Glück kann ich aushelfen. Hier im Rucksack führe ich stets eine Flagge mit. Ich will Sie Ihnen ausnahmsweise leihen, da ich ebenfalls unter ihrem Schutz weile. Aber lassen Sie sich bei dieser Gelegenheit einen guten Rat geben, lieber Bauer, den Sie jedem unserer Landsleute einschärfen sollten: Betrachten Sie unsere deutschen Farben stets als ein Hoheitszeichen, dem man dieselbe Achtung entgegenbringen muß, wie dem Kaiser selbst. Ja, es muß dem Deutschen sogar noch höher stehen als sein Monarch. Es muß die Flagge schwarz-weiß-rot, die den offenen und geheimen Feinden unseres Vaterlandes ein Dorn im Auge ist, für jeden echten Deutschen ein Heiligtum sein, das man mit entblößtem Haupte grüßen und verehren soll. Erst dann wird auch der Fremde, in dessen Gebiet wir uns aufhalten, den erforderlichen Respekt vor uns Deutschen und besonders vor unserer Flagge haben. – Leider betrachten viele unserer Landsleute das mit andern Augen und daher kommt es, daß man oft mit einem geringschätzigen Lächeln auf uns herabsieht.«

»Ja, ja, Sie haben recht, Don Fernando. Wenn man sieht, wie andere Völker, besonders Italiener und Franzosen, zu ihren Farben emporblicken, dann regt sich so etwas wie Scham in unserm Innern. Ich erlebte das in Asuncion. Da trug an einem Nationalfeste ein Italiener seine Flagge in einem mit Seide ausgeschlagenen Etui auf den Balkon seines Hauses. Bevor er den Behälter öffnete, nahm er und seine Freunde die Kopfbedeckung ab. Andächtig blickten sie zu dem Mast empor, an dem sich die Farben im Wind entfalteten und als sie auswehte, schallte ihnen ein aus dem Herzen kommendes: Ti saluto! – Ich grüße dich, entgegen. Dann erst bedecken sie ihr Haupt wieder.«

»Leider ist bei uns Deutschen der Nationalstolz noch nicht genügend entwickelt. Es gibt sogar Menschen drüben im Vaterlande, die zum Nachteile des eigenen Landes, das Ausländische vorziehen und leider geht da unsere höchste Stelle mit ihrem Beispiel voran. Augenblicklich soll bei uns England Trumpf sein ... aber lassen wir das! Die Bilder, die wir da aufrollen müßten, sind so unendlich traurig, daß ich am liebsten gar nicht darüber reden mag. – Außerdem haben wir genug mit der Gegenwart zu tun. – Hören Sie das dumpfe Geräusch drunten am Flusse?«

»Das wird Kaapa mit seinen Leuten sein! Uebrigens dürfen Sie den Wilden das Flaggentuch nicht zeigen. Sie schwärmen für rote Stoffe und würden sofort darüber herfallen.«

»Daran zweifle ich nicht. Sagen Sie mir nur, wo ich die Flagge hissen soll, wenn die Soldaten kommen.«

»Auf dem Dache natürlich! ... Ja, so! Der Flaggenmast wurde im Frühjahr vom Blitz getroffen. Aber Sie finden hinter dem Hause, bei den Ställen, ein paar geschälte Stangen. Die mögen für den Notfall genügen. Wenn ich die Rothäute untergebracht habe, helfe ich Ihnen.«

Bauer begab sich zum Flusse hinunter und ich machte mich dadurch nützlich, daß ich aus den jungen Bäumen im Hofe einen mir geeignet erscheinenden herausholte und ihn mit Dollys Hilfe auf den Speicher schleppte. Oben mußte ich ein paar Schindeln aus ihrer Lage rücken, um den neuen Mast in der richtigen Weise anzubringen. Ich benutzte die Gelegenheit, um mir von dem luftigen Punkte aus die Rundsicht anzuschauen. Ich konnte nach allen Himmelsrichtungen bis in weite Fernen blicken. Nur nach Nordosten verdeckte ein finster dreinschauender Kegel die Fernsicht. Der Berg zog wegen seiner Form meine Aufmerksamkeit auf sich. Er glich, wie er so an den Horizont geklebt war, aufs Haar einem menschlichen Kopfe. Die Strahlen der untergehenden Sonne warfen gleißende Lichter auf ein paar dunkle Punkte, die dadurch das Feuer von lodernden Augen zurückwarfen. Ein mitten dazwischen sich aufdringlich vorschiebender Zacken nahm die Gestalt einer in Rotglut schimmernden Nase an, während dunkles Buschwerk auf einem gratförmigen Gebilde den Mund markierte. Oben auf diesem Gigantenhaupte erhob sich ein Wald riesiger Palmen, deren gefiederte Wedel im Abendwinde sich neigten und die rotgoldenen Reflexe des Sonnenballes hin- und herwarfen.

Im Norden, greifbar nahe, schob sich ein zerrissener Bergrücken bis dicht hinter das Haus und, von diesem wieder zurückweichend, nach Westen, wo er im Urwalde unterging. In jenen Zacken hielten sich die feigen Meuchelmörder auf, als sie den Indianer ermordeten. – Während ich mir die Szene nochmals vor Augen zauberte, lief mein Blick über die höhlenartigen Vertiefungen, die sich in den einzelnen Zähnen des sägeartigen Berges befanden, viele dieser Zacken leuchteten wie lauteres Gold, andere wieder, weniger reich an mineralischen Einsprengungen, begnügten sich mit einem rosigen Duftmäntelchen. Der wuchtigste Zacken aber – mein Gedanke ließ ihn zum Backzahn in der Reihe werden – blieb in finsteres Grau gehüllt. Nur seine unteren Teile warfen hin und wieder blitzende Reflexe, die sich unverkennbar bewegten. Bald höher, bald niedriger – jetzt nach der rechten, dann nach der andern Seite wandernd ...

Was konnte das sein? Ich beugte mich hernieder und rief:

»Dolly – bist du da?«

»Ja, Herr, was willst du von mir?«

»Laufe schnell zum Herrn, oder zur Frau, oder zu Señor Neumann – wen du zuerst triffst – und sage, sie sollen dir ein Fernrohr geben – aber rasch! Lauf Kind!«

Drei Minuten später stand Neumann unter mir. Er reichte mir das Glas und fragte:

»Was ist denn los? Das Mädel macht eine Eile hinter ihrem Auftrage her, als ob unser Heil von dessen Ausführung abhinge. Ist da etwas besonderes?«

»Vielleicht – noch weiß ich es nicht!«

Die wenigen Minuten hatten das Bild verändert. Die Sonne war um einen Strich weiter gesunken und der funkelnde Schein hatte sich verloren. Nur auf der Höhlung des stärksten Zackens zuckten noch matte Schimmer. Dorthin richtete ich das Glas. Und was ich dort entdeckte, elektrisierte mich förmlich. Ich traute zuerst meinen Augen nicht. Aber je länger ich das Bild betrachtete, desto klarer trat es aus seinem Zwielicht heraus.

Neumann wurde ungeduldig.

»Sehen Sie etwas besonderes?« fragte er ein paar Mal.

»Kommen Sie doch herauf!« antwortete ich. »Ich möchte hören, ob auch Sie das sehen, was ich feststellte.«

»Was ist's denn? Mensch, Sie foltern mich ja!«

»Hier, nehmen Sie das Glas,« sagte ich, als er sich neben mich zwängte. »Betrachten Sie den breiten, stumpfen Zacken. In seiner untern Höhlung...«

»Ich sehe es! Mensch, da sind zwei Männer. Einer hat ein Gewehr in der Hand... Um Gotteswillen!... Nein, das ist nicht möglich. Ich täusche mich...«

»Was sehen Sie?« fragte ich. »Reden sie, es wird rasch dunkel und ich möchte es nochmal beobachten!«

»Das sind die beiden Argentinier, so wahr ich hier stehe!«

»Also täusche ich mich nicht? Oh, wie es mir in den Fingern zuckt...«

»Dolly – mein Gewehr!« schrie Neumann plötzlich, »wartet, ihr Hunde, jetzt zahle ich euch alles zurück. Die kann man gar nicht fehlen!«

»Nein, Neumann, das wäre Mord, wir müssen die Banditen lebendig fangen!«

»Aber wie? Es wird dunkel! ...«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich das Gelände nicht kenne. Aber Freund Bauer wird es wissen!«

»Was soll ich wissen?« klang es herauf. Bauer stand unter uns. Er war gekommen, uns zum Essen zu rufen.

»Wenn Sie sich eilen, sehen Sie es selbst. Aber sehr rasch müssen sie hinaufklettern!« rief ich, indem ich mich aus der Oeffnung gleiten ließ.

Neumann bebte vor Aufregung. Er drückte Bauer das Glas in die Hand und zeigte ihm, wo er zu suchen hatte.

»Sehen Sie etwas?« fragte er nervös.

»Hm – ich glaube, da sind zwei Männer mit Gewehren ... es wird zu dunkel, um sie zu erkennen. Aber was gehen die uns an?«

»Was die uns angehen?« fragte Neumann und sprang mit einem Satze auf den Speicher zurück. »Das sind die Banditen, die uns knebelten und in den Keller warfen. Die müssen wir unschädlich machen, koste es, was es wolle.«

»Das ist doch nicht möglich!« rief Bauer ungläubig. »So verwegen sind doch die Kerle nicht, daß sie sich uns hier vor den Lauf hinsetzen. Man kann sie ja bequem von hier aus abschießen.«

»Das wollte ich ja auch. Aber hier der Mensch kam mit seiner Moralpredigt dazwischen ...«

»Ruhig Blut, Neumann!« sagte ich lachend. »In Ihrem jetzigen Zustand hätten sie nur Fehlschüsse getan und dadurch alles verdorben, wir müssen die Banditen ausheben ...«

»Jawohl, damit sie uns abschießen, wie die Schakale. Sie wissen doch, daß es ihnen nicht an Kugeln fehlt, und treffen können sie auch, wie Sie gesehen haben!«

»Wenn sie hier keine Munition gefunden haben, dann besitzen sie zusammen nur vier oder fünf Kugeln ...«

»Gerade genug für uns drei! Morgen bei Sonnenaufgang bin ich droben auf dem Dache und wehe ihnen, wenn sie sich noch blicken lassen. Mord oder nicht. Ich erschieße alle beide!«

»Am besten wird es sein, wenn ich Kaapa auf die Banditen aufmerksam mache. Der kennt sich aus in den Bergen, in denen er groß wurde. Er wird uns die Herren Nachbarn bringen.«

»Dann empfehle ich Ihnen aber größte Eile. Der Pater ist mit Ihrer Frau Tante unterwegs ...«

»Donnerwetter, ja!« rief Bauer aufspringend. »Da ist jede Minute kostbar!«

In wenigen Sätzen war er am Ufer und bald sahen wir, wie sich seine Gestalt neben der des riesigen Indianers gegen den flackernden Schein der indianischen Lagerfeuer abhob. Sie kamen langsam näher, und da wir nicht wußten, ob unser Anblick dem Wilden nicht besser verborgen blieb, zogen wir uns auf den Speicher zurück.

Die beiden Männer folgten uns. Wir vernahmen den lauten Tritt Bauers und vermuteten, daß er in Begleitung des Häuptlings kam, weil sich die Ausdünstung des farbigen Körpers immer stärker bemerkbar machte. Wir räusperten uns, um Bauer über unsere Anwesenheit zu unterrichten. Er rief uns auch an, aber Kaapa würdigte uns keines Blickes. Es begann auch hier oben bereits zu dunkeln, als die beiden Männer ihren halben Leib aus der Dachöffnung schoben. Bauer bot dem Indianer das Fernglas. Aber dieser stieß nur ein kurzes Lachen aus und sagte:

»Kaapa sieht auch bei Nacht, was er sehen will!«

Hierauf blickte er angestrengt nach der bezeichneten Stelle und ließ sich dann auf den Boden gleiten. Hier sagte er:

»Kaapa kennt die Höhle. Sie hat zwei Ausgänge. Einen unten im Berge und einen oben. Ehe der junge Tag meinen weißen Bruder umarmt, wird Kaapa die weißen Männer haben.«

»Wirst du sie töten?« fragte Bauer.

»Will mein Bruder sie lebendig haben?«

»Nur sehen möchte ich sie, damit ich weiß, wie die Banditen ausschauen, die meine Farm überfielen!«

»Gut. Mein Bruder wird sie sehen. Hat mein Bruder Platz für meine Krieger gemacht, die hier Wache halten sollen?«

»Alles in Ordnung, Kaapa. Aber willst du mir nicht die Freundlichkeit erzeigen und meiner Freunde Begrüßung entgegennehmen? Das sind die weißen Männer, die über das große Wasser kamen, um in den Chaco zu gehen und dort Tiere und Pflanzen zu suchen.«

Wir waren inzwischen auf dem Hofe angekommen. Auf einen Wink Bauers waren wir ihm gefolgt. Er trat bei den letzten Worten zur Seite, so daß ich Auge in Auge dem gefürchteten Häuptling gegenüberstand.

»Willst du meine Begrüßung annehmen, großer Häuptling?« fragte ich jetzt. »Ich bin ein Bewunderer tapferer Krieger und mein Auge ruhte mit Wohlgefallen auf deiner Gestalt, als du vor drei Sonnen dem wilden Gorkahäuptling so mutig entgegentratest. Du bist ein wirklicher Held.«

Das unerwartete Lob verwirrte den Indianer anscheinend. Er fand nicht sogleich Worte zu einer Entgegnung und so fuhr ich denn fort:

»In meinem Lande ist es Sitte, daß man große Männer durch Geschenke ehrt, wenn du mir es nicht übel deutest, so möchte ich dir etwas schenken, was dir Freude macht, würdest du diese Waffe von mir annehmen? Sie birgt sechsfachen Tod und wenn die kleinen Kugeln abgeschossen sind, sendest du einen vertrauten Diener zu den Weißen und läßt dir neue geben ...«

Die Augen des Wilden funkelten in dem Widerschein des fernen Feuers. Er ging noch mit sich zu Rate, ob er den Weißen durch Annahme des Geschenkes ehren sollte. Er konnte es ja auch auf eine seiner würdigere Art haben ... Die Rechte drückte den Griff der Keule fester, sein durchdringender, grausamer Blick streifte mich. Furchtlos blickte ich ihn an. Er ahnte nicht, daß es nur eines Fingerdruckes bedurfte, um den noch immer gegen seine Herzgegend gerichteten Revolver abzufeuern. Ehe er die Keule erhoben hätte, war er ein toter Mann. – Da war es leicht, dem Wilden fest ins Auge zu blicken.

Mit tönendem Schlag traf die Keule den harten Stein. Die Hand streckte sich nach mir aus:

»Habe Dank, Fremder, für dein Geschenk. Kaapa ist dein Freund. Er wird dich mit dem neuen Tage aufsuchen, um dich seinen Kriegern vorzustellen ...«

Ohne Neumann eines Blickes zu würdigen, verschwand er im Dunkel der hereingebrochenen Nacht.

»Na, Bauer, meinen Kollegen hätten sie doch auch vorstellen können. Er braucht die Freundschaft der Wilden im Chaco mehr noch als ich. Denn mein Weg liegt in anderer Richtung.«

»Es war auch meine Absicht, aber sie sahen doch selbst, wie er es eilig hatte.«

»Nun, morgen werde ich das selbst besorgen! Halten sie nur ein schönes Geschenk bereit. Ihre silberbeschlagene Pfeife wäre des Häuptlings würdig.«

»Jawohl – ich werde mich hüten, mich von meinem Tröster in der Einsamkeit, meiner Pfeife, zu trennen!«

»Immer besser von der, als von Ihrem Kopfe. Erstere läßt sich ersetzen, ohne Kopf sind sie zeitlebens ein Krüppel.«

»Machen sie keine faulen Witze, Don Fernando! Uebrigens war es unvorsichtig von Ihnen, dem Häuptling den Revolver zu schenken. Er wird jetzt noch mehr Unheil stiften, als er das bisher tat.«

»Wenn er die beiden Banditen damit erschießt, tut er höchstens ein gutes Werk, denn sonst wird er sie martern. Und wenn er die sechs Kugeln verschossen hat, wird er lange suchen müssen, bis er passende wiederfindet. Das ist ein Kaliber, nach dem ich, seit ich ihn in Neuseeland kaufte, lange gesucht habe. Im andern Falle hätte er ihn auch nicht bekommen.«

Von den Bergen her hörten wir jetzt Schüsse fallen. Eiligst liefen wir ins Haus und stürmten die Speichertreppe hinauf. Dort kam uns Bauers Verwandte atemlos entgegen.

»Draußen sind ein paar weiße Männer, die uns mit Gewehrschüssen verfolgen, sie haben keinen von uns getroffen ... Gil brachte mich hierher ... Jetzt ist er noch draußen ...«

Während dieses, in abgerissenen Sätzen hervorgestoßenen Berichtes erhob sich vor dem Ausgang ein wüster Lärm. Wir blickten durch einen Spalt der Verschalung und bemerkten in dem fahlen Dunkel der Nacht eine ganze Anzahl von Indianern, die alle nach einer Richtung, dem zackigen Felsen, liefen. Im ersten Augenblick wollte ich mich ihnen anschließen, aber Bauer fand noch rechtzeitig die Warnung:

»Bleiben Sie um Himmels willen hier, Don Fernando, wie leicht können Sie von den Indianern mit den Argentiniern verwechselt werden!«

Hastige Schläge donnerten gegen die Lukenbretter.

»Wer ist draußen?« rief Bauer.

»Padre Odilo – öffnet rasch!«

In der nächsten Minute stand er neben uns.

»Oh, diese Barbaren!« rief er aus und seine Stimme bebte, »Wie sie über einander herfallen. Blut, und wieder Blut!«

»Was ist denn vorgefallen?« fragten drei Stimmen zugleich.

Bei Cipriano waren ein paar Soldaten, die, als sie hörten, daß Gil uns zu Bauer's Farm bringen sollte, sofort bereit waren, mit uns zu gehen. Der Weg war ihnen unbekannt und so konnten sie bei der Gelegenheit die Indianer auskundschaften. Gil gab sich Mühe, den Soldaten den Gedanken auszureden. Er sagte sogar, es seien keine Indianer hier in den Bergen. Er würde doch sonst keine Dame dorthin führen. Aber der Führer der Patrouille war mißtrauisch. Gil log auch gar zu ungeschickt. Genug, er brach mit uns auf. Seine Leute, ich glaube es waren fünf, mußten den Wald zu beiden Seiten absuchen ...

Auf einmal machten sie Lärm. Sie brachten einen Indianer mit, den sie im Walde angetroffen hatten. Gil kannte ihn. Er nannte ihn Malibo, seinen Freund, der uns von Ihnen entgegengesandt worden sei. Da wir ihn aber nicht kannten, glaubte der Führer Gil's Worten nicht. Er ließ nun beide unter Bewachung stellen.

So kamen wir in den Hohlweg. Die Sonne ging unter und die langen Schatten der hohen Felsenzacken warfen den Weg in dunkle Nacht. Der Führer ging voran. Dann kam ich und die Dame war dicht hinter mir. Gil und Malibo waren zwischen den Soldaten am Schlusse des Zuges.

Auf einmal rief Gil die Dame an und sagte in deutscher Sprache:

»Wir sind auf dem falschen Wege. Weigert Euch weiterzugehen. Ich hole Euch hier wieder ab. Vertraut mir.«

Natürlich wollte der Führer wissen, was die Worte bedeuteten. Ich gab ihm keine Antwort, sondern erwiderte nur, daß ich nicht weitergehen könne. Gleichzeitig lehnte ich mich gegen die Steine. Ich war wirklich erschöpft. Der Zug mußte stehen bleiben. Die Soldaten verlangten nun von Gil eine Erklärung seiner Worte. Er rief so laut, daß alle es hören konnten:

»Ihr seid auf dem falschen Wege. Noch zehn Schritte und Ihr liegt zerschmettert im Abgrund.«

Alle lachten. Der Führer antwortete:

»Zehn Schritte? Das kann ich leicht feststellen.«

Er ging dann fort. In demselben Augenblick hörten wir Lärm am Schlusse. Einer schrie laut und dann wurde geschossen. Die Soldaten liefen zurück und auch den Führer sahen wir nicht wieder.

So saßen wir wohl zehn Minuten allein in dem Spalt. Da rief uns plötzlich Gil an. Er holte uns aus unserm Versteck und brachte uns hierher. Dicht vor dem Hause wurde auf uns geschossen. Anscheinend von Weißen. Wir wurden durch einen Schwarm von Indianern getrennt... Gott Lob, daß wir hier sind. Hoffentlich sind wir hier in Sicherheit!«

Der Bericht des Paters hatte uns in leicht begreifliche Unruhe geworfen. Wenn die Soldaten so nahe waren, dann konnte unsere Farm leicht in den Verdacht geraten, die Wilden gegen die Regierungstruppen zu unterstützen. Fand man hier die Leichen der Soldaten und sah man die Indianer freundschaftlich bei uns verkehren, dann war Bauer verloren. Es galt einen Ausweg zu finden. Kaapa mußte zum Abzug bewogen werden.

Lange berieten wir, wie das zu machen sei. Gegen Mitternacht erschien plötzlich Gil im Hofe. Er war mit Blut befleckt. Ohne ihn nach dessen Ursprung zu fragen, machte ich ihn mit unseren Sorgen bekannt und bat ihn um seine Hilfe.

»Kaapa hat die beiden Banditen unten im Lager. Von den Soldaten ist nichts mehr zu fürchten. Sie sind stumm. Ihre Leichen sind begraben. Die Gorka sind den Soldaten entgegengezogen und werden zu dieser Stunde schon vor der Schlucht sein, in der Cipriano wohnt.«

»Dann ist der Händler in Gefahr. Müssen wir ihm helfen?« fragte Bauer.

»Kein Indianer wagt sich in die Nähe seines Hauses,« erwiderte Gil lächelnd. »Er ist als Zauberer gefürchtet. Das Krokodil beschützt ihn.«

»Gibt es denn Krokodile da unten? Da ist doch kein See?«

»Nein, Don Fernando. Aber Cipriano hat sich ein solches ausstopfen lassen und an die Front seiner Hütte genagelt. Abends brennt hinter dem Kopfe ein kleines Licht und so hat der sich dem Hause Nähernde den Eindruck als leuchteten Rachen und Augen des Tieres. Davor haben die Indianer eine heilige Scheu. Sogar Malibo fürchtet sich, das Haus zu betreten.«

»Immerhin müssen wir die Indianer von der Farm entfernen,« sagte Bauer. »Ich kann Kaapa nicht dazu auffordern, aber du wärest vielleicht imstande, ihn hinter den Gorka her zu schicken. Wenn er einen Kampf wittert, dann geht er gleich los.«

»Dann sende ich ihn durch den Hohlweg. Da kann er sicher sein, auf Truppen zu stoßen. Die Patrouille war dem Regiment nicht weit voraus.«

»Ihr habt alle gut reden!« rief ich dazwischen. »Wie komme ich aber von hier fort, wenn ringsum feindlich gesinnte Indianer lagern. Ich möchte endlich meine Reise fortsetzen.«

»Gehen Sie mit Kaapa, Herr,« schlug Gil vor. In Ciprianos Haus sind sie vor den Gorka sicher und die Soldaten legen Ihnen keine Hindernisse in den Weg!«

»Das ist noch lange nicht so gewiß. Aber du sagtest mir doch, daß du unter deinen Stammesgenossen großes Ansehen genießt. Wäre es dir nicht möglich, mich durch deren Lager zu bringen?«

»Sie wollen ja nicht in den Chaco, Herr!«

»Ich will an die brasilianische Grenze. Zunächst an den Rio Apa. Ob der Weg dorthin nun durch den Chaco oder am Rio Paraguay vorbei führt, ist mir einerlei.«

»Dann können Sie morgen schon abreisen. Ich sage meinem Bruder Cirino ein Wort. Der macht Ihnen den Weg frei.«

»Cirino? Lebt denn der noch?« fragte ich erstaunt.

»Warum nicht? Er ist bei meinem Vater. Sie lagern oben an den Quellen des Fogones.«

»Sage mir die Wahrheit, Gil. Hat dein Bruder den Botokuden vor drei Tagen hier ermordet?«

»Davon weiß ich nichts. Ich war nicht hier. – Aber, sagen Sie mir, ob ich meinem Bruder von Ihrem Kommen Nachricht geben soll?«

»Du gehst doch mit mir?«

»Durch den Chaco nicht, Herr! Sonst auf jedem Wege.«

»Ihr scheint mir ja nette Brüder zu sein! Also suche einen Weg, den du auch gehen kannst und dann sage es mir. Ich muß noch ein paar Stunden schlafen. Jetzt sorge dafür, daß Kaapa abzieht!«

Das war indessen nicht so einfach. Kaapa hatte versprochen, Bauer das Gesicht der Banditen zu zeigen und er hielt sein Wort. Kaum hatte die Sonne ihre ersten Strahlen über die Berge gesandt, da erschien ein Bote des Häuptlings, der den Farmer in sein Lager rief. Er fand dort zwei Argentinier, die gebunden am Fuße einer Palme lagen. Beide waren mit Blut bedeckt und schienen dem Tode nahe. Bauer erkannte keinen der beiden. Da er aber deren Schicksal ahnte, und nicht Zeuge indianischer Justiz sein wollte, entfernte er sich eilends wieder, ohne auf Kaapa's Rufe zu achten. Er hatte noch keine zehn Schritte zurückgelegt, da krachten Revolverschüsse hinter ihm, denen ein schwacher Schrei folgte. Kaapa probierte den Revolver.

Der Morgen verlief ohne Störung. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, knatterten Gewehrsalven im Westen von uns.

»Was ist das?« fragte Bauer erschrocken. »Wie kommt denn Militär dorthin? Sie können unsere Berge doch nicht umgangen haben?«

Die Antwort brachte – Cirino!

»Rettet mich, Don Fernando!« rief er, auf mich, als den ihm zunächst Stehenden zueilend. »Gebt mir etwas Kleidung. Meine früheren Kameraden sind dort unten!«

»Deine Kameraden? Woher kommen denn die plötzlich?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht von der Mission. Rettet mich – gebt mir Kleider!«

Der arme Teufel bettelte so herzzerreißend, daß ich mich überreden ließ. Aus Bauers, Neumanns und meinen Beständen versahen wir ihn mit Hemd, Hose, Rock und Hut und nun bewegte sich Cirino so gemütlich auf dem Hofe, als sei er nie als nackter Indianer in den Wäldern gewesen.

Die Gewehrsalven hatten auch Leben unter die am Flusse lagernden Indianer gebracht. Ein wildes Durcheinander herrschte dort. Man sah die braunhäutigen Krieger nach allen Seiten davonlaufen, anscheinend ohne jede Ordnung. In Wirklichkeit folgten sie den Weisungen ihres Häuptlings, der eine Umgehung der Truppen einleitete. Zum Glück kamen sie dabei nicht auf das diesseitige Ufer und auf die Farm.

»Wo ist denn dein Vater jetzt?« fragte Bauer den müßig umherstehenden Cirino. »Du solltest ihm doch beistehen.«

»Mein Vater ging gestern schon hinauf in die Chapada Alta. Er will Krieger holen.«

»Dann kann ihm Gott Lob nichts geschehen. Es hätte mir leid getan um den braven Mann. Schade, daß seine Söhne ihm so wenig gleichen.«

Zu mir gewendet, fuhr er fort:

»Jetzt werden Sie abreisen können. Wenn die Truppen sich mit denen vereinigen, die flußaufwärts kommen, werden die armen Indianer bald weichen müssen. Armer Kaapa! Er ist trotz allem ein prächtiger Mensch, der unter der Zivilisation Großes leisten würde.«

Die Gewehrsalven kamen näher. Sie zogen anscheinend in einem Bogen um die Farm herum. Eine Kugel flog pfeifend über unsere Köpfe.

»Jetzt ists Zeit, daß wir uns in Sicherheit bringen,« rief Bauer. »Alles in die Keller. Dort sind wir sicher.«

»Zuerst aber muß die Flagge hinauf, Bauer! Das besorge ich. Her damit!«

Während ich auf dem Speicher mit dem Hissen unserer deutschen Farben beschäftigt war, klapperte es auf den Schindeln. Das Gefecht kam näher. Die Kugeln bestrichen den Hof. Nach etwa zehn Minuten banger Erwartung hörten wir draußen Stimmen. In spanischer Sprache rief man:

»Aufgemacht! Im Namen der Republik, öffnet!«

»Ueberlassen Sie mir das weitere, Bauer,« sagte ich, indem ich zur Türe trat und den Riegel zurückzog. Vor mir stand ein Offizier.

»Ich muß das Haus durchsuchen! Alle Bewohner stellen sich auf dem Hofe auf.«

Ruhig antwortete ich:

»Sie scheinen nicht beachtet zu haben, daß hier die deutsche Flagge weht. Wir stehen unter dem Schutze des Deutschen Reiches!«

»Das geht mich nichts an! Ich muß das Haus untersuchen. Sie werden mir den Eintritt freigeben, oder...«

»Was, oder? Sie drohen doch nicht etwa?«

Zwei Soldaten, die hinter dem Offizier standen, raunten diesem etwas zu, das ich nicht verstand.

»Einerlei! Hier habe ich zu befehlen! Werdet Ihr den Eingang freigeben?«

»Auf Euere Verantwortung, Leutnant!«

Ich öffnete weit die Tür, rief aber meinen Freunden gleichzeitig in deutscher Sprache zu:

»Die werden gefangen und gebunden!«

So geschah es. Als der letzte der drei eingetreten war, verriegelte ich die Tür und trat vor den Offizier.

»Sie sind Gefangener, Leutnant, gebt Euere Waffen ab! Ihr habt unsere Flagge bedroht. Das lassen wir Deutsche uns nicht bieten. Ihr Präsident mag entscheiden, welche Strafe Sie dafür zu gewärtigen haben.«

Mit einem Wutschrei wollte der Offizier sich auf mich werfen, aber die drohenden Läufe von vier Revolvern kühlten seinen Mut. Die Soldaten befolgten sofort meinen Befehl. Sie waren froh, aus dem Kampfe ausscheiden zu dürfen. Allerdings wehrten sie sich eben so energisch gegen die Fesselung wie ihr Leutnant. – Aber das wollte ich ihnen nicht ersparen. Wir brachten die Gefangenen im Stalle unter, wo sie auf dem Maisstroh ein weiches Lager fanden.

Der Kampf zog sich immer weiter flußabwärts. Die Soldaten schienen Sieger zu bleiben. Hin und wieder zeigten sich ein paar Indianer auf dem Hofe, wurden aber sofort wieder von nachdrängenden Truppen verjagt.

Bei den Ulmen schienen sich Indianer festgesetzt zu haben, die sich tapfer wehrten. Immer wieder zogen sich die das Häuptlingsgrab stürmenden Soldaten zurück. Viele waren durch Speerwurf verwundet. Auch ein paar Tote trug man zurück.

»Wer mag sich dort verschanzt haben?« fragten wir uns. Die Wilden, die wir hin und wieder vordringen sahen, gehörten keinem der uns bekannten Stämme an. Es konnten nur Fremde sein, deren Rache auch uns gefährlich werden konnte, wenn sie sich in unser Haus zurückziehen würden.

»Nun wäre ich doch froh, wenn wir die Soldaten hier hätten,« sagte Bauer. »Ob wir die Gefangenen wieder freilassen?«

Die Antwort wurde durch heftiges Klopfen an der Tür unterbrochen:

»Machen Sie auf, Alemanos, Sie sind in Gefahr!« rief eine befehlende Stimme. Ehe ich noch einen Entschluß fassen konnte, hatte Bauer die Riegel zurückgeschoben. Ein Kapitän stand draußen und wiederholte die Worte:

»Sie sind in Gefahr. Die Indianer werden gleich hierher flüchten. Gestatten sie mir, Ihnen Hilfe zu bringen!«

»Kapitän Llovera!« rief ich erstaunt. »Das nenne ich ein glückliches Zusammentreffen. Ihnen vertrauen wir uns an. Wir haben bereits den Besuch eines Leutnants gehabt, der mit Drohungen gegen uns vorging. Er wollte unsere Flagge nicht respektieren.«

Auch der Kapitän freute sich über das Wiedersehen und gab dieser Freude mit kurzen Worten Ausdruck. Dann erkundigte er sich nach dem Namen oder der Regimentsnummer des Offiziers.

»Er ist noch hier. Wir nahmen ihn gefangen, um unserer Flagge Genugtuung zu verschaffen. Wollen Sie ihn sehen?«

»Später, jetzt zeigen Sie mir die Stelle, von der aus wir die Indios am besten unter Feuer nehmen können. Die Kerle scheinen ja sehr gut verschanzt zu sein.«

»Sie meinen jene unter den Ulmen?«

»Ja, dort hinter den großen Bäumen müssen hunderte versteckt liegen. Denen muß doch noch von einer andern Seite beizukommen sein.«

»Da liegt ein alter Steinbau. Wir nennen ihn das Häuptlingsgrab. Sein Inneres ist allerdings sehr geräumig und es können leicht ein paar hundert Indianer dort versteckt sein. Von hier aus gibt es nur einen Zugang, auf dem Ihre Leute ja den Sturm unternahmen. Vom Flusse aus führt eine Felsenrinne dorthin. Rückwärts stößt die Ruine ans Gebirge. Wenn Sie dort Leute hinaufsenden könnten – aber das ist ein langer, beschwerlicher Weg...«

»Viel Zeit habe ich nicht. Wir stehen zahlreichen Banden gegenüber und ich muß versuchen, deren Vereinigung zu verhindern ... Wieviel Mann können Sie hier unterbringen? ... Oh, nur auf einen Tag, mit Verpflegung allerdings.«

»Ich habe noch einen Ochsen, Kapitän, den stelle ich zur Verfügung.«

» Bueno, bueno, hasta la vista!« rief er und eilte wieder davon. Seine fünf Begleiter blieben zurück.

»Komischer Herr, Ihr Freund!« sagte Neumann lachend. »Macht's genau so wie der Leutnant. Nur ist er höflicher. Bin neugierig, wie viel Mann er uns herschickt.«

Zwanzig Mann begleiteten als Deckung ein kleines Feldgeschütz, das Llovera auf den Hof fahren ließ. Er folgte den Soldaten auf dem Fuße, gab dem Artillerieoffizier einige Befehle und kam wieder zu uns:

»Tut mir leid um die armen Rothäute,« sagte er bedauernd. »Ich möchte sie gern warnen, bevor ich sie niederkartätsche. Hier ist wohl niemand, der sie zum Abzuge bewegen könnte?«

Ich sah mich nach Cirino um, aber der war seit der Ankunft der Soldaten begreiflicherweise verschwunden. – Dolly? Ich warf Frau Bauer einen fragenden Blick zu.

»Wenn ich wüßte, daß die Karapahy dort wären, könnte mein Mädchen den Indianern den Rat geben,« sagte Frau Bauer. »Sie müßten aber die Sicherheit des Mädchens garantieren.«

»Vor meinen Leuten ja, sonst natürlich...«

Dolly wurde gerufen. Bei dem heiklen Auftrag verzog sie das Gesicht ein wenig, ging aber sofort auf unsere Wünsche ein. Nur fürchtete sie sich vor den vielen Soldaten.

»Es darf nicht geschossen werden, Kapitän, solange das Mädchen noch draußen weilt,« sagte Frau Bauer, »dann geht sie hinüber. Was soll sie sagen?«

»Hm, eigentlich nimmt man eine kapitulierende Besatzung gefangen. Damit erzeigte ich den Indianern den größten Dienst, weil sie uns dann ja die Hälse abschneiden könnten. Lassen wir sie laufen, so haben wir sie morgen vor uns...«

»Wie wäre es mit Geiseln?« warf ich ein.

»Das wäre ein Ausweg! Also höre Dolly: Du sagst den Indianern, daß die Soldaten die Farm erobert hätten. Sie würden nun mit den großen Kanonen in die Ruine schießen und alle roten Leute töten. Der Anführer würde sie aber frei in ihre Wälder ziehen lassen, wenn sie vor Sonnenuntergang die Häuptlingsgräber verließen. Einer ihrer Häuptlinge müsse aber ohne Waffen zu den Soldaten herauskommen und dafür bürgen, daß auch alle Stämme das Abkommen befolgten. Nach drei Tagen würde der Häuptling wieder freigelassen. – Hast du alles verstanden?«

Dolly wiederholte die Worte, gab aber ihrem Zweifel Ausdruck, daß der Häuptling kommen würde.

»Das sehen wir dann ja. Wenn deine Sache gelingt, Mädel, schenke ich dir eine Unze.«

Llovera begleitete Dolly hinaus und gab den Soldaten die nötigen Befehle. Sein Auge hing bewundernd an dem jungen Geschöpf, das sich furchtlos in die größte Gefahr begab. – Bis an den äußersten Grenzstein des Hofes lief sie in tanzenden Schritten dahin. Dort aber blieb sie stehen und schrie ihren Stammesruf zu den Ulmen hinüber. Nach dem dritten Schrei erschienen einige Indianer zwischen den Bäumen und nun begann die Unterhaltung, die sich sehr in die Länge zog. Mehrere Male lief Dolly ungeduldig zurück, doch jedesmal holte sie ein Ruf von drüben wieder herbei. – Endlich, nach einer Stunde, schien sie ein Resultat zu haben. Sie flog förmlich auf uns zu und rief:

»Der Häuptling will annehmen, aber der Anführer der Soldaten soll es ihm selbst sagen. Er soll seine Leute vom Hofe wegführen. Dann soll er ohne Waffen allein bis zu dem Papayobaum gehen. Dorthin kommt auch der Häuptling, allein und unbewaffnet. Willst du?«

Der Kapitän willigte nach kurzem Besinnen ein. Dolly klatschte vor Freude in die Hände und lief zu den Ulmen zurück, während der Kapitän den Hof räumen ließ. Er gab strengen Befehl, daß kein Schuß fallen dürfe und sandte diesen Befehl durch Ordonnanzen an seine Offiziere, die am Fluß standen.

Llovera ging zuerst an den bezeichneten Ort. Unmittelbar nachher kam ein eisgrauer Häuptling an der Seite Dollys langsam auf den feindlichen Offizier zugeschritten. Drei Schritte vor ihm blieb er stehen und berührte zum Zeichen des Grußes Brust und Stirn. Der Kapitän grüßte militärisch. – Dann begann der Häuptling zu sprechen. Wo ihm die spanischen Worte fehlten, mußte Dolly helfend einspringen. Die Unterredung dauerte kaum fünf Minuten. Dann kehrte der Alte zu den Ulmen zurück und Llovera ließ allen erreichbaren Truppen melden, daß zwischen den Truppen und den Karapahy der Kriegszustand aufgehoben sei.

Die Sonne lagerte noch auf den Wipfeln des Urwaldes, als der alte Häuptling selbst sich als Geisel stellte. Llovera führte ihn in das für ihn eingeräumte Zimmer auf der Farm und bat ihn um sein Wort als Häuptling, daß er die Bedingung einhalten und sich nicht von der Farm entfernen würde. Stolz gab der Alte zur Antwort:

»Der Häuptling der Mekuben hat nur ein Wort!«

Die größte Freude über die gelungene Unterwerfung der Rothäute bezeugte Dolly, die nicht nur vom Kapitän, sondern auch von uns noch ein paar Goldstücke empfing und außerdem als Bedienung dem Alten beigegeben wurde.

Abends ließ sich Llovera die gefangenen Soldaten holen. Er hielt dem Leutnant eine tüchtige Strafpredigt und schärfte ihm ganz besonders die Achtung vor der deutschen Flagge ein. Dann schickte er ihn mit einem Kommando an den Fluß zurück.

Die ganze Nacht hindurch kamen und gingen Ordonnanzen. Die Rothäute waren aus den Ulmen abgezogen und hatten zehn Tote und eine größere Anzahl Verwundeter mitgenommen. Späher hatten sie bis an die Quellen des Fogones verfolgt und gesehen, daß sie dort oben ein vorübergehendes Lager bezogen.

Weniger angenehme Nachrichten liefen vom untern Fogones ein. Dort waren die Fuegu und Guazu-Stämme, die an den Ufern der nach ihnen benannten Flüsse wohnten, und die man für friedlich hielt, mit den Gorkas zusammen über die Regierungstruppen hergefallen und hatten diesen eine empfindliche Schlappe beigebracht. Boten waren unterwegs nach Belen und Nueva Germania, um telegraphisch Hilfe von Concepcion und Asuncion zu erbitten.

Llovera verließ uns in den ersten Morgenstunden. Er ließ einen Offizier zurück, der die indianische Sprache verstand und verabschiedete sich von dem alten Häuptling, wie von einem König. Auch wir drückten uns zum letzten Male die Hand. Wußten wir doch, daß es ein Abschied für immer war.

Nun verlebten wir nach den vielen aufregenden Tagen einige Tage der Ruhe, die auch ausgiebig mit Schlafen ausgefüllt wurden. Ich hatte meine Abreise verschoben, da ich hoffte mit dem alten Häuptling in den Chaco und zu dessen Stamme reisen zu können. Er setzte zwar allen meinen Annäherungsversuchen hartnäckigen Widerstand entgegen, aber ich ließ dennoch die Hoffnung nicht sinken. Dolly sollte auch in meinem Interesse ihr Glück versuchen.

Leider blieb ihr Bemühen erfolglos, wenn auch nicht durch ihre Schuld. Am Tage des Ablaufes der Frist durchzogen bereits vom frühen Morgen an größere Trupps von Indianern fluchtartig das Tal des Fogones. Dadurch kam der Offizier in höchste Lebensgefahr und mehr als einmal mußte der alte Häuptling energisch für ihn eintreten. Gegen Abend legte er seine Uniform ab und blieb nun unbelästigt. Das aber gefiel wieder dem Häuptling nicht, der darin eine Feigheit sah. Schließlich fand Dolly wieder den richtigen Ausweg. Sie brachte dem Alten bei, daß der Mann nur so lange Uniform tragen dürfe, als er im Dienste des Häuptlings stehe, und da der Häuptling nun frei fei, müsse er andere Kleider anlegen.

Der Alte machte von seiner Freiheit noch keinen Gebrauch. Er stand fast den ganzen Tag am Flußufer und rief den von Zeit zu Zeit auf der andern Seite sichtbar werdenden Indianern rauhe Worte zu. Einmal kam er mit einem Krieger seines Stammes auf den Hof. Der Mann mußte seine Waffen an einen Baum hängen und durfte dann erst das Zimmer des Alten betreten, wo dieser ihn mit Speise und Trank versah. Von nun an mußte dieser junge Mann den Posten am Ufer einnehmen. Er brachte aber keinen Stammesgenossen mehr mit.

Endlich hörte auch das Zurückfluten der Indianer auf. Die Regierungstruppen erschienen wieder und nun mußte der Offizier den Häuptling wieder unter seinen Schutz nehmen. Das schien diesem aber nicht zu behagen. Ganz unvermittelt ließ er Dolly rufen, verabschiedete sich durch ihrem Mund von allen Hausgenossen und verschwand dann hinter dem Grabe im Walde. – Wieder saß ich auf der Farm und wußte nicht wohin.

Der Offizier schlug mir vor, in seiner Begleitung nach Concepcion zu marschieren und von da aus meine Reise fortzusetzen. – Ich willigte diesmal ein und wir verbrachten einen recht fröhlichen Abend bei der Abschiedsfeier. Als es aber am nächsten Morgen wirklich Ernst wurde, fiel es mir doch recht schwer, die Menschen auf immer zu verlassen, mit denen ich so ereignisreiche Tage verbracht hatte. Beinahe wäre ich auch in meinem Entschlusse wankend geworden, weil Neumann mich mit nassen Augen scheiden sah. Aber Dolly half mir auch hier wieder über meine Bedenken hinweg. Sie brachte mir noch einen von den »weichen Aesten« und gab dabei das Versprechen ab, für meinen Freund Neumann wie für mich selbst zu sorgen. Mit dem üblichen gegenseitigen Schwur, recht oft zu schreiben, trennten wir uns. Ich sah und hörte nie wieder etwas von den Leuten. Als ich zehn Jahre später wieder an den Fogones kam, war ein Fremder auf Bauers Farm. Dieser selbst hatte verkauft und war über den Parana nach Südbrasilien gewandert. Neumann ist verschollen. Seinen Namen hörte ich später einmal in Siam als Orchideenjäger, aber das war auch alles.

Der Indianeraufstand wurde gründlich niedergeschlagen, teils durch Waffengewalt, teils durch friedliche Unterhandlungen, bei denen Llovera sich einen Namen gemacht hat. Seit jener Zeit hört man nur selten noch etwas über Indianerübergriffe. Die Herren des Landes sind zu Untertanen herabgedrückt.

Ich hielt mich in Concepcion nur so lange auf, als ich zur Ergänzung meiner Kleidung und der sonstigen kleinen Bedürfnisse brauchte. Dann dampfte ich mit einem entsetzlich langsamen Boot den Fluß hinauf. Auf dem Dampfer, wie auch in der Stadt, war der Aufstand der Indianer in aller Munde. Die üblichen Schauergeschichten durchliefen die Presse und als ich mich einem kriegerisch aussehenden Manne als Augenzeuge der Vorgänge am Fogones zu erkennen gab, sollte ich absolut am nächsten Anlaufhafen San Salvador Reden gegen die Eingeborenen halten. Als ich mich weigerte, hetzte er die Faulenzer am Hafen gegen mich auf.

Unmittelbar hinter dem genannten Hafen werden die Ufer des Flusses pittoresk. Ein ansehnlicher Gebirgszug engt dessen Bett ein und nur schwer können die Maschinen des kleinen Dampfers die Gewalt der Strömung meistern. An manchen Stellen schien es fast, als ob das Boot den Kampf aufgeben wollte. Aber immer wieder gelang es ihm aus dem starken Gegendruck herauszukommen. Mich interessierte dieses Ringen mit den schäumenden Wogen ungemein. Vom Deck aus konnte ich die arbeitenden Zylinder der Maschine und das Manometer sehen, das immer auf der Grenze des höchsten zulässigen Dampfdruckes stand. Hin und wieder überschritt es diese auch und dann sah ich mich nach einem Gegenstande um, auf dem ich mich, im Falle einer Explosion des Kessels, retten konnte. Ein Farmer, die mich beobachteten, traten an mich heran und sagten lächelnd, sich der Landessprache bedienend:

»Haben Sie keine Angst! Die Maschine ist in Deutschland gebaut. Die hält es aus.«

Da nur Deutsche mit solchem Stolze von den Erzeugnissen ihrer heimischen Industrie reden können, gab ich mich zu erkennen und fand in den Landsleuten prächtige Menschen. Alle drei besaßen gute Farmen und waren mit ihren Erfolgen zufrieden. Einer der Männer, ein Schwabe aus dem Schwarzwald, hatte neben seiner Getreidefarm auch noch eine Sägemühle tief im Innern des Gebirges, die sein Sohn leitete. Als das Gespräch auf die Indianer überging, sagte er ruhig:

»Mir tun die Rothäute nichts. Auch mein Sohn kommt gut mit ihnen aus. Und gerade in unserer Nähe leben die bösartigsten unter den Grenzstämmen, denen die Soldaten gar zu gern zuleibe gehen möchten. Aber das dulde ich nicht. Sobald ich Wind davon bekomme, daß man in Salvador wieder einmal mit Kanonen gegen die Eingeborenen losgehen will, benachrichtige ich die beiden Häuptlinge und der Kriegszug verläuft resultatlos. So machen wir Deutschen es überall in der Chapada Alta. Zum Dank dafür genießen wir vollen Schutz der Indianer.«

»Warum schreitet denn das Militär mit Waffengewalt gegen die armen Kerle ein?«

»Wenn das faule Volk der halbzivilisierten Paraguaianer irgendwo eine Farm ausraubt oder einen Maultiertransport überfällt, dann wird die Schandtat sofort den Rothäuten in die Schuhe geschoben. Und doch hat man noch nie bei diesen einen einzigen der geraubten Gegenstände oder Tiere gefunden. Von der Hauptstadt kommt der Befehl, die in der und der Gegend wohnenden Indianer zu züchtigen, mit andern Worten, zu töten, und schon naht die Truppenmacht. Zum Glück erfahren wir das früh genug, und da die Dampfer nicht so rasch vorwärtskommen, wie die Läufer, so finden die Soldaten meist ein leeres Nest.«

»Am Fogones waren aber die Indianer tatsächlich die Angreifer. Allerdings nur ein Stamm, der dann auch durch einen andern Häuptling von einem Ueberfall zurückgehalten wurde.«

»Natürlich reißt auch ihnen einmal die Geduld und dann find sie natürlich nicht wählerisch. Ich weiß genau, daß auch aus unserer Nachbarschaft eine größere Anzahl Krieger am Fogones kämpft, hüte mich aber darüber zu reden.«

»Glauben sie, daß ich auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoße, wenn ich den Rio Apa hinauf in die Berge gehe?«

»In Confluencia, wo die drei Flüsse in den Paraguay fließen, wohnt mein Bruder. suchen Sie den auf und lassen sie sich von ihm einen Lamlam geben. Das ist eine Art Talisman, dessen Besitz den Inhaber bei allen Indianern der Wälder als Freund legitimiert. – Ich muß hier aussteigen – Leben sie wohl!«

Wir legten an einer Ansiedelung an, der man den Namen Kolonie Apa gegeben hatte. Nur wenige Farmen standen dort, die zum großen Teil Eingewanderten gehörten. Meine neuen Freunde wohnten einige Meilen weiter im Gebirge.

Der Dampfer blieb die Nacht über hier liegen und ich gewann dadurch Zeit, mich ein wenig an Land umzusehen. Ein Wirtshaus, in dem »deutsch« Bier angekündigt wurde, zog mich an. Aber weder Wirt noch Gäste verstanden unsere Sprache, und das Bier war fürchterlich. Es wurde von einem Elsäßer gebraut, der Deutsch hieß, sonst aber Franzose war. Seine Brauerei befand sich irgendwo im Innern – sonst hätte ich ihm meine Meinung gesagt. In der Kneipe saßen vielleicht dreißig Nerbateros, die von den Indianern von ihren Arbeitsstätten verjagt worden waren. Auch hier konnte ich die fürchterlichsten »Indianergeschichten« hören, nur mit dem Unterschiede, daß die Teesucher noch hinter der Wahrheit zurückblieben. Wie ich am nächsten Tage erfuhr, waren die Erstürmer des Forts Guachalla, die Nakubas, nachdem sie die Besatzung niedergemetzelt hatten, in Eilmärschen östlich abgezogen. Sie stießen auf ihrem Marsche auf mehrere Partien Teesucher, die unklug genug waren, ihrem Haß gegen die Rothäute allzu lauten Ausdruck zu geben. Die Folge davon war, daß die gereizten Eingeborenen nachts über die Yerbateros herfielen. Was nicht im Kampfe fiel, wurde gefesselt in die zu heller Flamme angefachten großen Lagerfeuer geworfen und unter dem Jubel der Roten lebendig verbrannt. Natürlich sahen die Indianer nun in jedem, der ihnen im Chaco begegnete – und es sollen etwa hundert Teesucher dort gewesen sein – einen Feind, der auf ihre Vernichtung sann. Also mußte man ihm zuvorkommen. Auch unter den Gästen der Wirtschaft befanden sich fünf Männer, die vor der Wut der Rothäute geflüchtet waren. Sie konnten von Glück sagen, daß sie nur ihre Habe verloren. Von dem Verbleib der Kameraden wußten sie nichts. Auf ihrer Flucht rissen sie dann die auf ihrem Wege angetroffenen Yerbateros mit sich.

Auch ich sollte mit in das Gespräch gezogen werden. Ich zog es jedoch vor, nachdem ich eingesehen, daß ich hier nichts über meinen Reiseweg erfahren konnte, das Haus zu verlassen und noch einen Spaziergang zu machen.

Ich wandte mich dem Flußufer zu. Am Landungssteg lagen, neben einer Reihe stromabwärts bestimmter Frachtkähne, auch zwei eigenartig gebaute Fahrzeuge, die meine Aufmerksamkeit erregten. Es waren aus einem gewaltigen Baumstamm gefertigte Kanu's, sogenannte Einbäume, die durch dünne Palmstämme miteinander verbunden waren. Da ich mich als früherer Seemann für alles, was Fahrzeug heißt, lebhaft interessiere, so unterzog ich auch diese Boote einer gründlichen Besichtigung. Da es bereits stark dämmerte, war ich gezwungen, die Uferböschung hinunterzugehen. Im Begriff, den Fuß auf die Bordwand zu setzen, fühlte ich einen leisen Schlag auf der Achsel und neben mir erschien, wie aus dem Boden gewachsen, ein Indianer, der noch nicht Zeit oder Gelegenheit gefunden hatte, seine kriegerische Bemalung zu verwischen. Zwischen den Augen führte er das Zeichen der Karapahy-Indianer.

»Was sucht der weiße Mann hier?« fragte er und streifte mich mit einem Blicke grenzenlosen Hasses. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, mich hier zu ermorden. Daß er es nicht tat, bewies mir, daß er ein Anliegen hatte.

»Ich besehe mir das Doppelkanoe,« sagte ich ruhig. »Ich sah nie ein solches und wollte die Verbindung der beiden Bäume genauer betrachten. Uebrigens, Freund Karapahy, du tätest gut, die Kriegszeichen, die noch an deinen Ohren sichtbar sind, ganz zu beseitigen. Da drüben sind Nerbateros, die sie vielleicht kennen...«

»Uah, der Weiße sagt Freund zu mir. Woher weiß er, daß ich ein Karapahy bin?« rief der Indianer sichtlich überrascht.

»Die Karapahy und Pidma sind meine Freunde, daher kenne ich ihr Zeichen. Ich war vor einigen Sonnen mit ihnen am Rio Fogones. Der Häuptling Kaapa nennt mich Freund.«

Das Erstaunen des Indianers wuchs. Während ich ihm beim Entfernen der roten Halbkreise am Ohr behilflich war, blickte er scheu zu mir auf. Ungläubig ruhte sein Auge auf mir. Um ihn noch mehr zu überzeugen, fuhr ich fort:

»Ich schenkte dem Häuptling ein kurzes Gewehr mit sechs Kugeln...«

«Ich sah es!« unterbrach er mich.

Nun war die Reihe des Erstaunens an mir.

»Du sahst es? Warst du denn am Fogones?«

»Alle Pidma-Rrieger waren dort in den Häuptlingsgräbern.«

»Dann warst du auch mit unter den Kriegern, die das junge Mädchen befreien halfen?«

»Herr, du warst auf der Farm. Jetzt weiß ich es. Jetzt weiß ich auch, daß du mein Freund bist. – Vergib mir, Herr...«

»Was soll ich dir vergeben? Du tatest mir kein Unrecht!«

»Aber ich wollte dich töten!«

»Nun, da du es nicht tatest, ist das kein so großes Unrecht. – Aber sage mir, wozu dient dieses eigenartige Fahrzeug?«

»Es ist ein Kriegskanoe meines Stammes. Wir verloren es am Rio Galban. Ich muß es zurückbringen.«

»Gegen die Strömung? Das wird dir kaum gelingen!«

Bestätigend, aber traurig, gab er das zu.

»Wako verliert seinen Kopf, wenn er ohne das Kanoe zu seinem Häuptling zurückkehrt.«

Der arme Kerl sagte das in einem so trostlosen Ton, daß ich mit ihm alle Möglichkeiten beriet, wie er seinen Vorsatz ausführen könnte. Schließlich fiel mir ein Ausweg ein:

»Ich fahre mit dem Dampfschiff nach Confluencia. Wenn ich das Kanoe mitnehme, kannst du es dort abholen. Du darfst wohl nicht mitfahren?«

Ein freudiger Schimmer zeigte sich in seinen Augen, der aber sofort wieder erlosch. Kopfschüttelnd erwiderte er:

»Wako darf das Dampfboot nicht betreten und Confluencia ist weit.«

»Kennst du niemand in der Stadt, dem ich das Doppelboot bis zu deiner Ankunft übergeben könnte?«

»Wir haben dort viele Freunde, aber jetzt wird jeder Karapahy festgenommen, der in die Stadt kommt.«

Der arme Teufel dauerte mich. Vergeblich zerbrach ich mir den Kopf, wie ihm zu helfen wäre. Von der Wirtschaft schallte wilder Lärm herüber. Die rauhen Gesellen waren ins Freie getreten und es war zu befürchten, daß der eine oder andere hier an den Fluß kam. Ich riet dem Indianer sich zu verstecken. Er sollte mich, wenn alles ruhig würde, hier wieder erwarten.

Es dauerte auch kaum fünf Minuten, da kam ein langer Kerl die Böschung heruntergelaufen. Ich rief ihn an:

»Hoffentlich habt Ihr keine Selbstmordgedanken, Maat. Wenn Ihr so weiter rennt, seid Ihr in einer Sekunde bei den Krokodilen.«

»Pest!« schrie er auf. Dann als er meiner ansichtig wurde:

»Ihr habt eine merkwürdige Art, Euch bemerkbar zu machen,« fuhr er fort, »was sucht Ihr hier?«

»Wenn ich es Guch sage, glaubt Ihr es doch nicht,« antwortete ich lachend. »Ich suche ein paar Hände, die mir dies Kanoe nach Confluencia zurückbringen. Es ist mir durchgebrannt.«

Der Bursche warf einen suchenden Blick umher und als sein Auge auf dem Boote ruhen blieb, erwiderte er:

»Pest! Das habt Ihr wohl den Wilden gestohlen? Das Ding hat verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Kriegskanu der Karapahy.«

»Ist es auch. Aber gestohlen ist ein Wort, das man unter Freunden nicht gebraucht, compañero

»Hahaha!« lachte er und klopfte mir auf die Achsel. »Ich wollte sagen gekauft natürlich, obwohl das kein Braunfell glauben wird.«

»Was gehen mich die Braunfelle an? Mein Begleiter ist selbst ein Roter. Der kann es bezeugen, daß ich es ehrlich erwarb. Ich habe das Ding bis Concepcion hinunter gesucht und fand es hier. Also, wie ists, compañero? Bringt Ihr mir das Boot hinauf nach Concepcion?«

»Hm, allein kann ich es nicht...«

»Wenn wir es dem Dampfer ins Schlepp hängen, geht es dann?«

»Pest, Mann, das geht! Aber wer ist die zweite Hand? Wir brauchen zum Steuern zwei Mann... und einen vorn bei der Schlepptrosse!«

»Sagte ich nicht, daß ich einen Begleiter habe? Wir beiden, Ihr und ich, wir steuern. Mein Yago steht an der Trosse.«

»Und was laßt Ihr es Euch kosten?«

»Einen guten Tagesverdienst. Abends sind wir an Ort und Stelle... sagen wir fünf Pesos, da Ihr ja auch zurück müßt!«

»Es gilt!« sagte er nach kurzem Besinnen. »Fünf Pesos und freie Rückfahrt bis Asuncion. Hier meine Hand!«

»Schlau bist du schon!« rief ich anscheinend erzürnt. »Davon habe ich kein Wort gesagt! Ihr Yerbateros handelt doch sonst nicht um den Taglohn.«

»Man versucht es, Fremder. Und mit dem Yerbatero ists jetzt aus. In den nächsten Monaten geht Renzo nicht mehr in den Chaco.«

»Lorenzo heißt Ihr? Nennt mich Fernando und mein Freund – weiß der Böse, wo er stecken mag – nennt sich Yago. – Aber jetzt begießen wir den Vertrag noch. Seid Ihr drüben beim Wirt?«

»Ja, aber die Kameraden liegen wohl alle schon im Stroh. War ein heißer Tag heut!«

»Na, dann trinken wir allein. Nachher bringe ich die Geschichte mit dem Kapitän ins Reine wegen des Schlepps!«

In der Wirtschaft fanden wir nur noch ein paar Schiffsangestellte, die ich der Sitte gemäß mit zum Trinken einlud. Die armen Teufel löffelten so trübselig mit dem Saugröhrchen in ihrem Maté herum, daß ich ihnen auch einen Schnaps bezahlt hätte, wenn ich sie nicht für meine Zwecke hätte dienstbar machen wollen. – Auch Zigarren bot ich allen. Dann brachte mein neuer Freund das Gespräch auf die beabsichtigte Schleppfahrt.

»Wird eine harte Arbeit werden, Fremder,« sagte einer der Matrosen. »Die schlepptrosse muß recht lang sein und gut müßt Ihr aufpassen, sonst treibt Ihr ab. Besonders oben an der Einmündung vom Rio Galban ists gefährlich. Da fetzt unser Strom hart in die Mündung des andern. Wenn da nicht sehr scharf aufgepaßt wird, werdet Ihr unter Wasser gedrückt. Und daß es Yaccarés im Flusse gibt, wißt Ihr?«

»Hoffentlich haben sie meinen Freund nicht gefressen! Oder gibt es hier keine Krokodile?«

»Gerade genug! Wo ist denn Euer Freund?«

»Er wollte noch ein Bad nehmen... ich sehe doch lieber nach! Herr Wirt! Noch eine Runde!«

Am Flusse traf ich den Indianer.

»Alles geht gut. Ich besorge dir die Kleider eines Yerbatero. Darin kennt man dich nicht. Nachher gehst du mit mir zum Wirt.«

Ich setzte dem armen Wako genau auseinander, was ich von ihm erwartete und machte ihn mit seinem neuen Namen bekannt. Dann schloß ich mit den Worten:

»Und wenn wir am Galban ankommen, durchschneidest du das Schlepptau und wir steuern ans Ufer. Du mußt aber dafür sorgen, daß deine Leute weder den Yerbatero noch mich feindselig behandeln, versprichst du mir das?«

»Trinke mein Blut, dann bist du mein Bruder!«

Er stach sich in den Arm und hielt mir die kleine Wunde vor den Mund. Ich folgte seinem Beispiel, nachdem ich einen Tropfen seines Blutes getrunken hatte. – Damit war ich sichergestellt.

Ich kam atemlos und laut lachend in die Wirtschaft zurückgelaufen:

»Denkt Euch, Kameraden, was meinem Freund zustieß! Während er badete, hat ihm der Yaccaré seine gesamten Kleider gestohlen. Jetzt sitzt er unten und getraut sich nicht herauf. – Habt Ihr Kleider zu verkaufen, Wirt?«

»Ich habe eine Yerbaterogarnitur. Die kriegt er billig – fragt ihn, ob ihm acht Pesos zu viel sind?« rief der Teesucher.

»Zeigt sie her, compañero. Euch gebe ich gern den geforderten Preis.«

Lorenzo wickelte sein Bündel auseinander und legte einen Anzug auf den Tisch, der zwar nicht mehr neu, aber für unsere Zwecke äußerst praktisch schien. Ich erstand ihn sofort. Nun mußte ich noch einen Hut haben. Als ich dies äußerte, sagte der Wirt, der an den Tisch getreten war:

»Das mit dem Yaccaré glaube ich nicht, wird wohl so eine verdammte Rothaut gewesen sein, der die Kleider stahl. Ein Krokodil frißt kein Zeug und einen Hut nun gar nicht.«

»Mag sein, amigo, aber damit bekomme ich keinen Hut. Habt Ihr keinen? Ich zahle ihn, wie Ihr seht, gut.«

»Hm, hätte schon einen. So einen richtigen großen, wie er für den Strom paßt. Kostet aber ein Stück Geld...«

»Na, Mann, so schießt doch los. Wenn der Preis so ist, wie die Vorrede, dann wirds wohl nichts werden.«

»Dann nehmt meinen!« rief ein Matrose dazwischen, indem er seinen breitrandigen Strohhut auf den Tisch warf. »Was ist er Euch wert?«

Nun sah der Wirt, daß ihm ein Gewinn durch die Finger zu gehen drohte. Er rief hastig:

»Halt! Wir sind noch nicht fertig! Zwei Pesos für den Hut da, ist das zu viel?«

»Na, zu wenig ists auch nicht,« rief ich. »Aber weil es Nacht ist und wir mit Sonnenaufgang fort müssen, sei es drum. Hier nehmt! Und Ihr, Lorenzo, legt Euch jetzt nieder. In drei Stunden wecke ich Euch. Dann gehts an die Arbeit.«

»Hätte mir gern den Peso verdient, Fremder,« sagte murrend der Matrose. »Hab Geld nötig.«

» Bueno, dann helft uns das Kanoe hinter den Dampfer zu bringen. Einen Peso ist mir die Hilfe wert.«

» Caramba, wenn ich das gewußt hätte!« rief der andere.

»Auch Ihr könnt noch einen Peso verdienen, wenn Ihr dafür sorgt, daß die Schleppleine immer frei läuft. Jetzt aber hasta la vista! Mein Kamerad füttert schon lange genug die Moskitos.«

Der Indianer wußte seiner Dankbarkeit nicht genug Ausdruck zu geben, als ich ihm die Kleider brachte. Besonders der große Hut war ihm sehr willkommen. Er verdeckte das Stammeszeichen und kennzeichnete den Träger als Hafenarbeiter.

»So jetzt gehen wir zum Schiff!« rief ich ihm zu. »Zeige keine Furcht. Du bist mein Freund und ich sorge für deine glückliche Heimkehr mitsamt deinem Boot.«

Auf dem Dampfer herrschte reges Leben. Das Schiff hatte noch mit der Ladung zu tun und der Kapitän war noch wach. Da ich ihm während der Reise ein paar Whisky bezahlt hatte, durfte ich Anspruch auf seine Dankbarkeit erheben.

» Buena tarde, capitano!« redete ich ihn an. »Ich habe hier meine Leute gefunden, die mit einem Doppelkanu von der Grenze heruntergekommen sind. Ich möchte das Boot ins Schlepp nehmen lassen.«

»Hm – hat es viel Ladung?«

»Gar keine, nur drei Mann Besatzung.«

»Wäre besser, Ihr nähmet Ballast.«

»Haben wir schon genommen,« antwortete ich scherzend, indem ich auf meinen Bauch deutete.

»Das glaube ich Euch, Don Fernando, aufs Wort, wenn es mich auch schmerzlich berührt, daß Ihr mich dabei vergessen habt.«

»Keine Verleumdung, capitano. Sobald das Boot hinten fest ist, beweise ich Euch das Gegenteil.«

Nach ein paar weiteren Scherzreden gab der Kapitän den Befehl, die Schleppleinen hinten fertig zu machen und als ich sah, daß Alles soweit bereit war, ließ ich das Doppelkanu bis an den Dampfer heranbringen. Wako oder Yago, wie er hier genannt wurde, übernahm das bei der starken Strömung nicht ungefährliche Wagestück, das Fahrzeug mit der ihm von Bord zugeworfenen Leine zu befestigen. Wir hielten vom Ufer aus den Kahn an einem langen Tau, um dessen Abtreiben zu verhindern. – Der Indianer, fremd mit allem, was mit der Dampfschiffahrt zusammenhing, gab sich redliche Mühe, die ihm von Deck aus zugeworfene Trosse an den Zwischenbalken seines Kanus festzumachen. Aber immer, wenn er das Tau ergriffen hatte, und sich bückte, um es unter dem Balken durchzuziehen, entglitt es seinen Händen und die Arbeit mußte von vorn beginnen. Beim vierten vergeblichen Versuche verlor der Steuermann die Geduld. Er begann zu fluchen und zwar in so ausgiebigem Maße, wie nur ein Spanier, noch dazu wenn er Flußschiffer ist, fluchen kann. Dadurch wurde der Kapitän aufmerksam, der nun nach hinten kam. Beim Anblick des seltsamen Fahrzeuges rief er in höchstem Erstaunen:

» Caramba, Don Fernando, wo habt Ihr denn die Tröge ausgegraben? Damit seid Ihr doch nicht den Fluß hinabgekommen?«

»Diesmal nicht, sonst aber schon oft,« log ich. »Das Doppelkanu ist mir lieber als ein Leichter. Kostet aber auch viel Geld. Der alte Indianerkönig wollte es erst gar nicht hergeben...«

»Bis Ihr ihm ein wenig derbe auf den Schädel klopftet, nicht wahr, alter Freund?« lachte er. »Also indianische Arbeit? Dann wird sie gut sein. Aber die Dinger sind zu leicht. Legt ein paar schwere Steine in jedes, sonst erleben wir etwas, wenn uns ein Dampfer stromab begegnet. – Halloh, Matrosen, helft hier das Boot festmachen!«

Die uns bekannten Matrosen standen schon auf dem Sprung, um das verheißene Trinkgeld zu verdienen. Nach kurzen Bemühungen war das Fahrzeug derart hinter dem Dampfer befestigt, daß es von der Strömung weder losgerissen, noch unter Wasser gedrückt werden konnte.

»Jetzt laßt es ans Ufer treiben und nehmt Ballast!« rief der Kapitän, der bis dahin die Arbeit überwacht hatte.

»Kommt Ihr an Bord, Don Fernando?«

»Bin in zehn Minuten bei Euch, Kapitän. Der Steward soll eine Flasche in's Eis stellen. Nachher schlafen wir noch zwei Stunden.«

Die Matrosen halfen uns beim Einladen der Steine. Dann ließ ich noch zwei lange Ruder als Steuer anbringen und schärfte Yago ein, sich unter keiner Bedingung mit irgend jemand einzulassen. Der Sicherheit halber ließ er das Boot vom Ufer abtreiben und legte sich der Länge nach auf die harte Ladung. Die Haltetaue befestigte ich am Ufer unter Wasser. Dann ging ich an Bord. «Eine halbe Stunde später schlief ich in meiner Koje.

Mit der Dämmerung war ich wieder auf den Beinen. Mein erster Blick war nach dem Kanu. Es schaukelte langsam in der Strömung. Yago saß aufrecht, das Gesicht von Schiff und Ufer abgewendet und kaute an einem Stengel Zuckerrohr. Nach kurzem Gruß eilte ich ins Wirtshaus. Lorenzo saß schon hinter einem Topf Schokolade, von der ich auch eine Tasse trank. Hierauf kaufte ich Lebensmittel und Zigarren für uns drei.

»Du kannst doch steuern, Lorenzo?« fragte ich jetzt erst.

»Keine Ahnung. War nie auf einem Boot!«

Der Wirt verzog das Gesicht und sah mich spöttisch an.

»Nun, dann lernst du es heute!« erwiderte ich. Um keinen Preis wollte ich dem Wirt den Triumph gönnen. Dieser rief mir noch nach, als wir aufbrachen:

»Schwimmen kann er auch nicht!«

»Lernt er alles noch, compañero

Lorenzo blieb bei dieser Aeußerung stehen und fragte:

»Ist das Steuern so schwer? Muß man dabei schwimmen?«

»Unsinn, Mann. Laßt den alten Sünder schwätzen. Er ärgert sich, daß er uns den Anzug nicht verkaufte.«

Am Ufer war es schon recht lebendig. Eine Menge Gaffer sahen dem Einladen der Waren zu. Auch unser Doppelkanu erregte die Aufmerksamkeit, was mir sehr unangenehm war, denn eben erschien auf dem Anlegeplatz eine Soldatenpatrouille, die sich für die umherstehenden Indianer oder deren Abkömmlinge sehr zu interessieren schien. Ich eilte zu der versenkten Leine und zog die Boote zu mir heran.

»Springt, Lorenzo! Setzt Euch hinten ins Boot ... So ist es recht!« Dann sprang ich in das dem Lande nächste Kanu und zog die Leine ein. Sofort nahm uns die Strömung mit und wir trieben vor dem straffen Seil weit drinnen im Strome.

Nachdem ich Yago noch einige Verhaltungsmaßregeln gegeben hatte, erhob ich mich, um die Verbindungsstangen auf ihre Festigkeit hin zu untersuchen. Den Hut legte ich dabei ab und streifte auch die Aermel so hoch es ging. Neugierigen sollte kein Zweifel über meine Rasse bleiben. Wie gut das war, zeigte sich sofort, vom Ufer aus rief mich ein Soldat an.

»Halloh, Fremder, habt Ihr Farbige bei Euch?«

»Jawohl, einen Brasilianer, der bei mir im Dienste ist.«

»Ihr seid Europäer, nicht wahr?«

»Deutscher!«

» Bueno, bueno, feliz viaje

Als er gegangen war, atmete Lorenzo auf und sagte:

»Das habt Ihr fein gemacht. Wenn Ihr Euch nicht als Alemano ausgegeben hättet, wären die beiden näher herangekommen und ich ...«

»... hätte vielleicht in ihrer Gesellschaft stromab fahren müssen,« ergänzte ich lachend. »Das wolltet Ihr doch sagen?«

»So etwas ähnliches!« gab er schmunzelnd zu.

Aber noch einen andern, weniger wünschenswerten Besuch brachte mir meine weiße Haut ein. Am Ufer ging das Wort Alemano natürlich von Mund zu Mund. Mancher wunderte sich im Stillen, wie der Fremdling auf ein Kriegskanu der Wilden kam. Es gab genug Leute, die das Fahrzeug als solches erkannten.

Im Augenblick, wo der Dampfer das Zeichen zur Abfahrt gab und wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf unser Boot richten mußten, hörte ich am Ufer meinen Namen rufen. Da gerade die Schaufelräder ihre Umdrehungen begannen, konnte ich mich nicht darum kümmern. Ich bemerkte allerdings mit einem flüchtigen Blick, daß jemand in weißer Hose und Jacke winkte, achtete aber nicht darauf. Erst als die Maschine eine Minute stoppte, sah ich mich um. In demselben Moment erhob sich ein vielstimmiges Geschrei am Lande. Lorenzo stand von seinem Sitze auf und rief:

» Caramba, da kommt einer herangeschwommen.«

»Setzt Euch, Lorenzo. Aufstehen dürft Ihr nicht, das ist gefährlich!«

»Da ist er! Hier, neben Euch! Helft ihm doch!« schrie der Yerbatero aufgeregt.

Eine Hand legte sich auf den Rand des Kanus. Ein Kopf, das Haar wie ein dichter Schleier vor dem Gesicht, tauchte empor.

»Vorsicht, Mann!« schrie ich. »Das Kanu sinkt sonst!«

»Reine Angst, Don Fernando! Bin schon da!«

Bei der Stimme überlief es mich kalt. Ich hob schon den Arm, um den Eindringling zurückzustoßen. Da zog sich die Trosse wieder fester. Der Dampfer war in Fahrt.

»Cirino!« sagte ich, den Menschen finster anblickend. »Wagst du es noch, mir unter die Augen zu treten?«

»Was habe ich getan, Herr? Ich verteidigte mich! Doch, was sehe ich? Sie haben ja einen Stammesbruder von mir da vorn.«

»Verrate wenigstens den nicht auch noch, Cirino!« sagte ich. »Der Peon nebenan weiß nur soviel, daß der Mann mein Freund ist. Aber sei ruhig. Du siehst, daß dein Bruder dich nicht kennen will, tue du dasselbe.«

Der Zuwachs war mir, wenn es nicht gerade Cirino gewesen wäre, gar nicht so unangenehm. Die Schleppfahrt mit den plumpen Fahrzeugen war gar nicht so einfach, und wenn die beiden Einbäume nicht so fest miteinander verbunden gewesen wären, so hätte es schon bei der Abfahrt ein Unglück gegeben. Jedes der Boote zeigte die Neigung, sich an der Trosse wie ein Wirbel zu drehen und nur dank des Ballastes gelang es, die Kanus im Kurs zu halten. Aber es blieb eine tolle Fahrt.

Große Aufmerksamkeit erforderte das Steuern. Es gehörte die ganze Manneskraft dazu, um das Doppelboot gegen den vereinten Druck der Strömung und der von den Schaufelrädern uns entgegengeworfenen Wassermassen zu halten. Lorenzo erwies sich bald als unfähig dazu. Daher beorderte ich Cirino an dessen Stelle. Beim Wechsel der Plätze von einem Kanu in das andere, mußte Cirino den Sprung wagen. Er kam auch glücklich drüben an, aber Lorenzo machte eine ungeschickte Bewegung, wodurch die Ballaststeine aus ihrer Lage gerieten. Das Kanu legte sich schwer auf die Seite und wurde so durch das Wasser gezogen. Sofort erkannte ich die Gefahr. Ich schrie:

»Yago, hierher! Hilf Lorenzo, die Steine wieder ins Gleichgewicht bringen. Cirino, um Gotteswillen, das Steuer nicht loslassen!«

Durch das niederziehende Gewicht des Kanu drohte natürlich mein Einbaum ebenfalls zu kentern. Ich warf mich mit aller Kraft gegen die höhere Seite. Die Ballaststeine, die ich mit dem Fuße erreichen konnte, drängte ich ebenfalls dorthin, ohne eine wesentliche Gewichtsverschiebung damit zu erreichen. Ich sah den Augenblick voraus, wo wir sinken würden. Und dann ...? In dem reißenden Strome waren wir rettungslos verloren.

Vom Dampfer aus hatte man unsere kritische Lage gesehen. Ich bemerkte, wie die Menschen am Heck zusammenliefen. Aber die Maschine stoppte nicht. Es wäre uns auch damit nicht geholfen gewesen, da ja das Wasser uns zurückgetrieben hätte.

Plötzlich stieg ein Mann drüben auf die Reling. Er trug einen breiten Gürtel, an dem eine Lederschlinge hing. Diese schlang er um die Schlepptrosse und ließ sich an ihr hinabgleiten. In einer Sekunde stand er vorn auf dem Verbindungsbalken. Ein weiterer Sprung brachte ihn auf das Gestänge zwischen den Booten und nun begann er den drei Insassen sachgemäße Anleitung zur Wiederaufrichtung des Kanus zu geben. Nach zehn Minuten harter Arbeit konnte mit dem Ausschöpfen begonnen werden. Als auch das geschehen und das Fahrzeug wieder getrimmt war, schwang er sich in meinen Einbaum.

»Ihr wart dicht am Ersaufen, Fremder. Habe ich meine Sache gut gemacht?«

Jetzt erkannte ich in dem Retter jenen Matrosen, dem ich einen Peso dafür versprochen hatte, daß er für das Freilaufen der Schlepptrosse sorge. Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu und rief:

»Den versprochenen Peso habt Ihr Euch reichlich verdient. Haltet den Riemen ein wenig, damit ich Euch das Geld geben kann.«

»Wartet noch ein paar Stunden damit, Fremder. Ich kann jetzt nicht an Bord zurück und Ihr werdet noch öfter Gelegenheit haben, mich zu Hilfe zu rufen. Das geht dann in einer Summe ab.«

»Recht so, amigo! Ihr wißt, daß Ihr auf mich zählen könnt. Ihr werdet keine falsche Rechnung gemacht haben!«

Die Sonne näherte sich dem Zenith. Ihre glühenden Strahlen brannten wie Feuersglut auf unsere Körper. Auf dem rasch fließenden Wasser riefen sie funkelnde Reflexe hervor und die stäubenden Spritzer der Schaufelräder streuten einen Regen von Diamanten über die Wasserfläche. Die harte Arbeit am Steuerruder hatte meine physischen Kräfte zu sehr in Anspruch genommen. Die durchwachte Nacht machte sich fühlbar und mehr als einmal griff der Matrose hastig nach dem meinen Händen entgleitenden Ruder.

»Fremder, reicht mir den Steuerriemen,« sagte er endlich, als mir der Kopf wieder auf die Brust sank. »Schlaft ein halbes Stündchen. Bis Santa Rosalia mache ich es allein.«

»Legen wir in Santa Rosalia an? Es hieß doch, wir führen direkt nach Confluencia.«

»Bei der Abfahrt kam ein Telegramm. Wegen der Rothäute sollen wir dort Soldaten an Bord nehmen.«

»Dann bleiben wir eine Weile dort liegen? Bei Nacht kann doch der Dampfer nicht nach Confluencia weitergehen.«

»In einer halben Stunde muß alles erledigt sein. Unser Kapitän ist nicht gut auf die Blauen zu sprechen. Da sorgt er, daß er sie bald wieder los wird.«

»Sind denn wieder Indianer am Werk? Es hieß doch, hier sei alles ruhig.«

» Quien sabe! Ihr habt ja selbst gehört, was die Yerbateros gestern abend erzählten!«

»Was sagst du über die Yerbateros, Kamerad?« rief Lorenzo, der die letzten Worte gehört hatte, herüber.

»Nichts über dich. Wir sprachen von den Indios. Daß uns Soldaten an Bord geschickt werden, erzählte ich.«

»Soldaten, wo? In Confluencia?« Auch Cirino beugte sich vor, um besser zu hören. Ueber Yagos Gesicht huschte ein Blitz des Hasses.

»In Santa Rosalia, also in einer Stunde, kommen die Blauen an Bord!« rief der Matrose lachend. »Mann, Mann, das scheint dir nicht sehr angenehm zu sein. Du ziehst ja ein Gesicht ... hast du Zahnschmerzen?«

»Ich glaube, ja. Aber du sorgst doch dafür, daß uns die Soldaten hier in Ruhe lassen. Ich habe nämlich einen Abscheu gegen gelbe Knöpfe. Eine Krankheit, weißt du!«

»Verstehe compañero. Und du,« wandte er sich an Cirino, scheinst auch gerade keinen großen Wert darauf zu legen, daß man dich hier besucht. Oder irre ich mich, muchacho

Ich griff in die Unterhaltung ein, um meinen Yago nicht vor die Veantwortung unbequemer Fragen gestellt zu sehen. Von meinen drei Begleitern war er derjenige, der unter jeder Bedingung meinen Schutz genießen sollte. Ich sagte daher dem Matrosen:

»Wenn sich der Offizier der Blauen für meine Jungens interessieren sollte, dann sage ihm oder dem Kapitän, daß ich ein Alemano bin, der mit seinen Peonen über die Grenze geht. Das Kanu gehört mir. Wenn er es für nötig hält, setze ich auch die deutsche Flagge. Ich habe sie in meinem Gepäck auf Deck des Dampfers.«

Der Schiffer sah mich verschmitzt an und lachte. Indem er mir vertraulich auf die Schulter klopfte, sagte er:

» Caramba, amigo, Ihr habt Phantasie. Wenn der Leutnant auf die Pille beißt, habt Ihr Glück. Aber was geht es mich an? Ihr seid mein Freund und wenn mein Kapitän nicht anders beschließt, bleibe ich bei Euch. Es wird dem Offizier auch nicht leicht sein, Euch in Euerm Kanu zu besuchen ... Aber seht Euch jetzt vor! Da kommt ein Dampfer abwärts. Steuert nur recht vorsichtig und haltet die Augen offen, damit wir nicht in sein Kielwasser geraten! ... Achtung, Cirino! Ruder hart rechts! Noch mehr! ... Caramba! Der hat es auf uns abgesehen. Der Hund will auf uns ... Vorsicht!«

Der mit dem Strome abwärts kommende Dampfer verließ die linke Seite und steuerte offenbar auf uns zu. Wenn er den Kurs noch ein paar Minuten beibehielt, mußte er uns gefährlich werden. Ohne mich lange zu besinnen, raffte ich meine Büchse auf, warf die Jacke ab, damit man meine weiße Haut sah, und stellte mich mit der Büchse an der Wange ins Boot.

»Abdrehen – sofort!« brüllten drei Kehlen über das Wasser. Wir sahen schon die drei Männer auf dem Kommandonest und immer noch rührten sie keine Hand, um die Richtung ihres Bootes zu ändern. Da ließ ich mich aufs Knie nieder und zielte. Mit dem Knall klirrte drüben der Glasschutz neben dem Stand des Kapitäns. Zwei Männer warfen sich zu Boden. Ein Glockensignal tönte uns in die Ohren. Noch ein paar Umdrehungen und die Maschine hatte gestoppt. Der Bug flog herum und mit Windeseile trieb das Dampfboot, an dessen Deck kein Mensch mehr zu sehen war, an uns vorüber. – Es war auch die höchste Zeit, denn eine Minute später wären wir überrannt worden.

Auf unserm Dampfer war der Zwischenfall bemerkt worden. Am Heck stand der Kapitän mit seinen Steuerleuten. Als sie uns außer Gefahr sahen, schwenkten sie die Hüte und riefen uns etwas zu. – Plötzlich schrie man aufgeregt und alles lief davon. Ich blickte zurück und sah wie auf dem davontreibenden Boot ein weißes Wölkchen aufstieg. Hundert Meter hinter uns spritzte das Wasser auf.

» Caramba, Don Fernando!« riefen jetzt, wo die Gefahr vorüber war, mein Begleiter. »Das war ein Entschluß zur rechten Zeit. Der Argentinier hatte wirklich die Absicht, über uns weg zu fahren. Er hielt uns für Indianer. Dem ist aber die Angst in die Knochen gefahren.«

»So, ein Argentinier war das? Dann wird er in Asuncion Anzeige machen ... Mir auch recht. Ich bin immer zu finden, wenn auch nicht gerade leicht.«

Vom Dampfer herüber hörten wir ein anhaltendes Glockenzeichen. Die hügligen Ufer waren zurückgetreten und aus einem flachen Landstreifen grüßten uns Lehmbauten, vor denen sich braune Rinder mit schwarzen Schweinen im Staube balgten. Dann tauchten weißgetünchte lange Steinbauten auf. Vor einem viereckigen, zweistöckigen Gebäude stand ein hoher Mast, an dem die Landesflagge schläfrig herabhing. Dort bemerkten wir eine größere Menschenansammlung. Das ganze Dorf bestaunte die hier selten gesehene Militärmacht, die, wie ich später sah, aus ein paar Leutnants und zwanzig Soldaten, lauter Farbige, bestand. – Unser Dampfer lief ein paar hundert Meter an dem Hoheitszeichen vorbei und ließ dann die Maschine so langsam arbeiten, daß die Räder den Druck der Strömung aufhoben und wir kaum merklich zurückliefen, während dieser Zeit wurden vom Deck her Verhandlungen mit den Soldaten gepflogen.

Unser Doppelkanu erregte hier, so nahe der Grenze, unter den Bewohnern größeres Aufsehen, als mir lieb war. Die von allen Seiten herbeiströmenden Einwohner mußten die Aufmerksamkeit der Offiziere wachrufen. Richtig kam auch ein Leutnant und erkundigte sich nach dem Woher und Wohin. Ich strengte meine Stimme nicht sonderlich an, als ich ihm zurief:

»Ich bin Deutscher. Reise mit Regierungspaß. Das sind meine Leute!«

Der Mann verzog das Gesicht, wechselte ein paar Worte mit einem hinzugetretenen Kameraden und rief zurück:

»Das kann jeder sagen. Vorerst bleibt Ihr zu meiner Verfügung.«

Ich erhob mich ruhig, nahm meine Büchse in die Hand und antwortete mit lauter Stimme:

»Soll das heißen, daß Ihr mich für einen Lügner haltet? Sagt das noch einmal, Leutnant! Ihr seht dann, wie ein Deutscher eine Beleidigung rächt!«

Ein verlegenes Lächeln umzog das gelbe Gesicht und während ihn sein Begleiter am Aermel zurückzog, erwiderte er:

»Das soll kein Zweifel in Euere Worte bedeuten, Señor. Ich tue nur meine Pflicht, wenn ich Einblick in Euere Papiere verlange. Das müßt Ihr selbst zugeben.«

»Tue ich auch. Bemüht Euch hierher, denn wie Ihr seht, können wir nicht zu Euch kommen, selbst wenn ich das wollte – was noch nicht sicher ist.«

»Wie soll ich zu Euch kommen? Ich habe kein Boot.«

»Dann laßt Euch vom Kapitän sagen, wie man am schnellsten zu uns gelangt. Wie ich sehe, geht gerade die Lancha ab, die Euere Soldaten an Bord bringt.«

»Wohin reist Ihr?« fragte er unvermittelt.

»Wenn uns kein Unglück zustößt, denke ich heute abend mit dem Boot in Confluencia zu sein.«

»Dann sehen wir uns dort. Hasta la vista

»Wills hoffen, Leutnant. Hasta luego

Mit Genugtuung hatten meine Begleiter, besonders der Matrose, meine Unterredung mit dem Offizier aufgenommen. Ersterer konnte seine Bewunderung nur in die überschwenglichsten Ausdrücke kleiden, die in dem Ausrufe: »Wenn Ihr wirklich ein Alemano seid, dann muß Eure Nation die mächtigste der Erde sein, denn so wagt kein anderer Mann mit unseren Offizieren zu reden« ihren Gipfelpunkt erreichten.

Mitten in die Lobrede klang ein Mißton. Man rief den Matrosen an Bord zurück. Bevor ich ihn entließ, gab ich ihm zehn Papierpesos und hielt ihm folgende kleine Rede:

»Sollte uns unterwegs etwas zustoßen, dann nimm meine beiden Gepäcksäcke, die du ja kennst, und bringe sie in Confluencia zu Señor Olbrich. Er soll sie für mich aufheben. Wenn du morgen noch da bist, erhältst du weitere zehn Pesos. Verstanden?«

»Vollkommen, Don Fernando. Also wenn Ihr zwischen hier und Confluencia verunglückt, seid Ihr morgen bei Don Emilio. Ich kenne ihn gut.«

»Morgen oder übermorgen.«

» Bueno, bueno, ich werde Euch erwarten.«

Nun wußten wir plötzlich, wie man aus unserm Fahrzeug ans Ufer gelangte. Ein paar Rufe hüben und drüben. Dann flog die Leine übers Wasser und zehn Hände zogen das Kanu so weit gegen das Land, daß der Matrose herausspringen konnte. Die wenigen Minuten, die uns noch bis zur Wiederaufnahme der Fahrt blieben, benutzte ich zu einem Zwiegespräch mit Yago, dem ich mein starkes Buschmesser in die Hand drückte.

Als ich meinen Sitz am Steuer wieder eingenommen hatte, bestürmten mich Cirino und Lorenzo mit Fragen über meine Absichten, wenn wir heute abend den Fuß in Confluencia an Land setzten.

»Könnt Ihr uns vor dem neugierigen Leutnant schützen?« wollte Lorenzo wissen.

»Werdet Ihr mich ausliefern?« fragte Cirino.

»Zerbrecht Euch nicht den Kopf über Dinge, die in der Zukunft liegen, muchachos,« erwiderte ich. »Wer weiß, ob wir heute noch in die Stadt kommen ...«

Cirino pfiff verständnisvoll durch die Zähne und sprang ans Steuer, da ein Pfiff das Arbeiten der Maschine anzeigte. Lorenzo, weniger rasch von Begriffen, wollte noch etwas fragen, aber seine Worte verloren sich im Rauschen des Wassers.

Der Rio Paraguay nahm an seiner linken Seite einen Fluß auf. Dadurch erweiterte sich sein Bett zu einem großen Teich, der zu beiden Seiten von Hügeln eingefaßt war. Die etwa hundertfünfzig Meter hohen Erhebungen der Chapada Alta lagen lichtumflossen gegen den östlichen Horizont ausgebreitet. Eine friedliche Stille ruhte auf dem Wasser. Eine Abendstimmung, wie man sie selten findet. Während ich unwillkürlich in den Bannkreis dieser wirkungsvollen Szenerie verfiel, beachtete ich nicht, daß aus dem Schilf am linken Ufer ein Kanu hervorschoß. Es war nur mit einem Mann besetzt, der sein gebrechliches Fahrzeug so schnell durch das Wasser jagte, daß es beim Radkasten des Dampfers unsern Kurs erreichte. Durch das Geschrei der Schiffsleute wurde ich aufmerksam. Man lief ans Heck, um zu sehen, ob der Einbaum verunglückt sei. Auch ich beugte mich vor und rief Yago zu, aufzupassen. Vielleicht gelang es uns den Mann zu retten.

Da tauchte das Kanu aus dem Gischt auf. Es war halb voll Wasser. Der Mann unversehrt. Mit ein paar Ruderschlägen trieb der Indianer sein Fahrzeug dicht an unsere Seite. Ein paar hastig gewechselte Worte, dann nahm es die Strömung mit sich. Sekundenlang sah ich das Gesicht des Wilden. Er trug das Zeichen der Pidma – und nun verstand ich alles. Yago warf mir einen frohen Blick zu, dann versteinerten sich seine Züge und er nahm seinen Sitz auf dem vorderen Verbindungsbalken wieder auf.

Der Wasserspiegel belebte sich. Scharen von Vögeln suchte an den Flußrändern ihre Nahrung. Hin und wieder strich ein Flug wilder Gänse über das Wasser. Der Wald trat in den Vordergrund und in das Schlagen der Schaufelräder mischte sich bereits der Schrei beutesuchender Raubtiere.

Die Dunkelheit nahm zu. Auf dem Dampfer wurden die Lampen angezündet. Ihr roter Schein brach sich in den kleinen Wellen des raschfließenden Stromes. Von einer menschlichen Ansiedelung war nichts zu sehen. Eine Laterne wurde am Stern des Dampfers befestigt.

»Gebt acht beim Steuern. Der Fluß macht eine Biegung. Haltet Euch um Gotteswillen frei vom Lande.«

Die Stimme klang in dem nächtlichen Dunkel hohl und schaurig. Auch das Echo des puffenden Geräusches der Räder nahm einen hohlen Klang an, der sich verstärkt, je mehr wir uns den dicht bewaldeten Ufern näherten.

Wieder rief man uns vom Dampfer aus an:

»Achtung! Von links kommt ein Fluß. Steuert hart rechts.«

Nach wenigen Minuten wurde es licht zu unserer Linken. Ein starker Druck ließ uns die Steuer fester fassen. Noch wenige Minuten und wieder nahm uns die finstere Nacht gefangen.

Da zischte ein Ruf durch die Stille. Ein warnendes cuidado! Ein Zittern durchlief unser Kanu und gleichzeitig machte ich die Wahrnehmung, daß wir rasch von der Strömung davoangetrieben wurden. Mit einem Satze war Yago neben mir.

»Könnt Ihr wenden, Herr? Wir müssen hier am linken Ufer landen. Da ist der Galbanfluß!«

Bevor ich noch antworten konnte, brach sich der Schrei eines Nachtvogels im Walde. Yago beantwortete ihn. Zehn Minuten später waren wir von zahlreichen Einbäumen umzingelt, die uns mit sanfter Gewalt in eine versteckte Bucht am Ufer brachten.

Beim Auftauchen der zum Teil mit dem Kriegsschmuck behangenen Wilden, schrie mir Lorenzo zu:

»Herr, wehrt Euch doch. Schießt in den Haufen, dann bekommen wir Luft und können fliehen.«

»Keine Dummheiten, Lorenzo! Wir sind unter Freunden. Dir geschieht nichts, wenn du dich ruhig verhältst. Bleibe nur neben mir. Wir müssen jetzt ans Land, denn dieses Doppelkanu gehört dem Häuptling.«

»Aber Ihr habt es doch gemietet?«

»Wie mans nimmt, Lorenzo. Der Häuptling weiß nichts davon!«

»Hört, Don Fernando, das begreife ich nicht ...«

»Ist auch nicht nötig, Lorenzo. Wo ist Cirino?«

»Cirino? Den habe ich nicht wieder gesehen, seit ... seit ...«

»Nun, das ist einerlei! Er wird schon wiederkommen. Dies ist ja sein Stamm. Auch Yago gehört zu den Pidma. Wo mag er nur stecken. Die Indianer trauen sich nicht uns anzusprechen. Das ist kein gutes Zeichen...«

»Glaubt Ihr, daß sie uns überfallen wollen?«

»Nein, Lorenzo. Yago hat mir Schutz zugesichert und der Mann hält sein Wort. – Er wird dem Häuptling Bericht erstatten.«

Mittlerweile hatten wir das Kriegskanoe verlassen und waren auf eine natürliche Moosbank zugeschritten, auf der ein Indianer, anscheinend in tiefes Sinnen verfallen, saß. In dem schwachen Sternenlichte konnten wir nicht sehen, ob er noch Gefährten bei sich hatte und so machte ich Miene, mich neben ihm niederzulassen.– Als er das bemerkte, sprang er auf und sagte in gutem Spanisch:

»Wenn der weiße Mann Hunger und Durst hat, möge er es sagen. Er wird auf den Steinen am Ufer Speise und Trank finden.«

Die Worte waren in ernstem, doch nicht unfreundlichem Tone gesprochen. Es war uns klar, daß wir hier zu gehorchen hatten. Auf meine Frage nach Wako zuckte er nur die Achseln. Eine Zigarette lehnte er ab.

»Wenn das die Freundschaft der Wilden ist, Don Fernando, dann pfeife ich darauf!« sagte Lorenzo, nachdem der Indianer in das nächtliche Dunkel untergetaucht war. »Ich fürchte, wir werden überfallen und langsam gemartert, wie sie das mit meinem Kameraden im Chaco machten, vielleicht sind dies dieselben Wilden, wenigstens trugen sie auch solche Halsketten.«

»Glaubt mir, Lorenzo, wir haben keine Feindseligkeiten zu fürchten, wenn man wirklich unfreundlich werden sollte, dann kenne ich ein Zauberwort, das uns sofort von jedem Verdacht befreit. – Aber still, dort kommt jemand.«

Eine junge Indianerin brachte auf geflochtenen Binsentellern zwei gebratene Hühner, einen Krug und einen großen Büschel Bananen. Während sie die guten Dinge schweigend neben uns in den Sand stellte, sah sie mir fest und forschend ins Gesicht. Die nächste Sekunde entzog sie sich unsern Blicken.

»So, Lorenzo, nun laßt es Euch schmecken!« sagte ich, dem Begleiter ein Huhn reichend. »Hoffentlich ist es nicht gar zu roh.«

Mit Heißhunger fielen wir über den Braten her, der wider Erwarten so gut zubereitet war, daß er auch aus einer Hotelküche stammen konnte. Eine Weile hörte man nichts als das Krachen der Knochen unter den Raubtierzähnen Lorenzos. – Dem Huhn folgten ein Dutzend Bananen und als er sich dann schmatzend den Mund mit dem Aermel wischte, sagte er:

»Wenn Ihr zuerst tränket, Don Fernando! ... Ich komme um vor Durst!«

»So greift doch zu, Lorenzo. Ich mag auf Früchte nicht trinken!«

»Glaubt Ihr nicht, daß es vergiftet ist?«

Ich konnte das Lachen nicht unterdrücken.

»Ihr seid ein empfehlenswerter Kamerad, Lorenzo. Weil Ihr fürchtet, der Trunk könnte vergiftet sein, soll ich zuerst trinken.«

»So war es nicht gemeint, Don Fernando!« Er setzte den Krug an die Lippen und trank gierig und lange. Mit einem »Ah« der Befriedigung setzte er ab.

In diesem Moment erhob sich neben mir ein Schatten. Er wuchs förmlich aus dem Boden. Es war Wako.

»Der weiße Mann möge mir zum Häuptling folgen!« sagte er freundlich.

»Und darf Lorenzo mich nicht begleiten?« fragte ich. »Er wird nicht wissen, warum er hier warten soll.«

»Du sagst es ihm. Aitoka, die Dienerin, wird neben ihm sein und seine Wünsche hören.«

Ich gab Lorenzo die erforderliche Aufklärung und schärfte ihm ganz besonders Vorsicht in der Behandlung des Mädchens ein. Dann folgte ich dem voranschreitenoen Freunde. Der Weg ging am Rande des Flusses durch den Wald. Es war unter den Bäumen so finster, daß ich den vor mir lautlos dahinschreitenden Indianer oft aus den Augen verlor. In der Tiefe des Waldes blitzte hin und wieder ein Feuerschein auf, der sich rasch wieder verlor.

»Pidma fangen Hühner,« sagte Wako erklärend, als ich ihn darauf aufmerksam machte.

»Wie machen sie denn das?« fragte ich neugierig.

»Sie halten dem Vogel das Licht hin und ein anderer greift und erwürgt ihn. Haben schon viele Vögel am Lagerfeuer.«

»Das freut mich. Ich hoffe, daß du mir einen gebratenen Vogel schenkst, denn der Weg zur Stadt ist noch weit und ich habe großen Hunger.«

»Mein weißer Bruder wird nicht zur Stadt gehen. Er soll Gast des Häuptlings sein, viele Sonnen lang.«

Diese Aussicht war nicht gerade verlockend. Ich hatte auch so etwas befürchtet und benutzte daher die Gelegenheit, um den neugewonnenen Bruder gleich meine Ablehnung mitzuteilen. Wie er sie dem Häuptling dann beibringen wollte, war seine Sache. Es ist nämlich viel leichter, als Gast bei Indianern aufgenommen zu werden, als wieder von ihnen fortzukommen. Das habe ich bei allen Stämmen beobachtet, mochten sie nun in der Südsee, in Neuseeland oder in Südamerika wohnen. Die Häuptlinge scheinen durch die Verweigerung der Abreise-Erlaubnis den Weißen zeigen zu wollen, daß sie doch mächtiger sind, als die weiße Rasse. Manchmal spielt wohl auch die Magenfrage mit. Ich habe es erlebt, daß ein Häuptling von seiner Lieblingsfrau gebeten wurde, ihr doch einmal ein Stück Fleisch von einem weißen Manne zu besorgen. Das war in dem Falle meine Person. Zum Glück erfuhr ich das früh genug und konnte mich ohne Abschied in Sicherheit bringen. Sonst hätte der braune König ohne weiteres den Wunsch seiner Gattin erfüllt.

Wako schien seine besonderen Befehle in Bezug auf mich und Lorenzo zu haben. Den einen ließ der Häuptling zu sich kommen, den andern mußte das Mädchen bewachen. Vielleicht ließ letzterer sich auch zu einer Unbesonnenheit hinreißen und dann lag sicher ein Krieger in der Nähe versteckt, der dem kühnen Yerbatero einfach die Hirnschale einschlug. Solchen hinterlistigen Absichten, wenn sie bestanden, konnte ich nicht früh genug vorbauen. Ich ließ das Gespräch über den Gegenstand auch nicht ruhen, so sehr sich Wako auch bemühte, von anderen Dingen zu sprechen. Meinen Hauptgrund für eine Abreise vor Tagesanbruch mußten die Soldaten abgeben. Sie schob ich vor. Ich sagte gelegentlich:

»Du hast gehört, daß der Führer der Soldaten das Kanu als das Eigentum deines Stammes erkannt hat. Wenn er mich nun in der Stadt nicht findet und das Kanu auch fort ist, dann wird er sich aufmachen, mich zu suchen ...«

»Die Pidma fürchten sich nicht!«

»Das weiß ich. Aber die Soldaten werden euer Lager finden und der Krieg beginnt von neuem. Viele euerer tapferen Krieger werden sterben, ohne daß dein Stamm Vorteil davon hat. Das alles wird vermieden, wenn mich der Führer mit dem neuen Tage in der Stadt findet.«

»Das Kanu wird dir der Häuptling nicht geben!«

»Das soll er auch nicht! Ich sage dem Führer, es sei untergegangen und Lorenzo wird das bestätigen. Du weißt auch, daß ich einen Freund unter den Schiffsleuten habe. Der erwartet mich ebenfalls mit dem neuen Tage und der weiß auch, daß wir beim Galbanflusse landeten.«

»Ha! Das weiß er?«

»Natürlich! Einer muß doch über das anhängende Kanu wachen. Der Kapitän des Dampfers stellte jenen Mann dazu auf. Wenn er keinem Lärm schlug, als du das Schlepptau durchschnittest, so glaubte er, ich würde ihm dafür gelbes Geld geben. Darauf wird er in der Stadt warten.«

»Wo wird er warten?«

»Bei einem meiner Freunde. Emilio Olbrich heißt er!«

»Du kennst Emilio?« fragte Wako rasch. »Den großen Alemano kennst du?«

»Ja, er ist mein Freund. Kennst du ihn etwa auch?«

»Er ist ein Freund unseres Stammes.«

»Dann sorge nur dafür, daß mich der Häuptling nicht zu lange aufhält. Ehe die Sonne aufgeht, muß ich in der Stadt sein.«

Meine Worte mußten dem Indianer schwer auf der Seele lasten. Er blieb stehen und hielt lange meine Hand gefaßt. Aus diesem Zaudern entnahm ich, daß man mich wahrscheinlich als Geisel oder als Zwangsmittel gegenüber dem feindlichen Militär bestimmt hatte. Der Gedanke an sofortige Flucht schoß mir blitzartig durch den Kopf. – Aber wohin sollte ich fliehen? Ringsum lagerten Indianer, die mir beim geringsten Alarm mit Wonne ihre Speere in den Leib gerannt haben würden. – Und dann Lorenzo! Ohne ihn durfte ich das Indianerlager nicht verlassen. Ich hatte ihm die Suppe eingebrockt und war für sein Leben verantwortlich.

Wako hatte mich schon ein paarmal durch einen leisen Druck zum Weitergehen veranlassen wollen. Ich blieb jedoch stehen und kämpfte mit einem Entschluß. Die Finsternis erlaubte mir nicht, ihm ins Auge zu sehen ... was sollte ich tun? Ich beschloß, den geraden Weg zu wählen und fragte meinen Begleiter:

»Wako, ich habe dir durch meine Hilfe das Leben gerettet. Du hast dich meinen Bruder genannt. Willst du mir nun offen sagen, was dein Häuptling von mir will? An meinem Besuche wird ihm doch nicht viel liegen.«

Der Indianer gab einen Laut von sich, der wohl einen Seufzer bedeutete. Er ergriff meinen Arm und zog mich weiter in den Wald hinein. Dabei sagte er:

»Der Häuptling will dich an seinem Lagerfeuer sehen. Ich sagte ihm, daß du am Fogones warst, während wir in den Häuptlingsgräbern kämpften ...«

Er schwieg. Ich versuchte den Satz zu ergänzen:

»Und nun will er sich an mir rächen, dafür, daß er seinen Zweck nicht erreichte. Das wolltest du doch sagen?«

»Man wird dir kein Leid zufügen. Aber du sollst einen Auftrag ausführen, den die roten Männer nicht selbst übernehmen können. Du bist ein Freund der Soldaten. Sie werden auf deine Worte hören.«

»Lieber Bruder, darin täuschest du dich. Du hast doch gesehen, daß die Soldaten mich in Santa Rosalia gefangen nehmen wollten, weil ich der Freund der roten Männer bin. – Nein, nein, ich kann deinem Häuptling nichts nützen.«

»Du kannst aber das sprechende Papier machen?«

»Das kann ich allerdings. Wenn aber dein Häuptling weiter nichts von mir will, dann mag er mich ruhig ziehen lassen. Das versteht Cirino auch und nach viel besser, weil er deine Sprache spricht.«

»Ha, Cirino!« rief Wako stehenbleibend. »Mein Bruder glaubt, daß Cirino das versteht?«

»Ich weiß es gewiß! Auch sein Bruder Gil kann es. Der Häuptling wird wissen, wo diese beiden zu finden sind.«

»Gil ist im Chaco von uns gegangen. Er sucht sein Dorf am Apa auf. Dort will er bleiben. Cirino ist im Lager ...«

»Nun, dann brauchst du mich doch nicht. Sage das deinem Häuptling ... und mich führe wieder zurück, damit ich Lorenzo mit mir in die Stadt nehme.«

Bei den letzten Worten war ich stehengeblieben. Wir mußten in nächster Nähe des Lagers sein, denn ein Geräusch von vielen Stimmen drang durch die Büsche. Auch Wako hemmte den Schritt. Da ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, konnte ich sein Gesicht erkennen. Schwere Sorge lag auf seinen Zügen. Ein innerer Kampf schien ihn zu beschäftigen. Der Befehl seines Häuptlings mußte hart auf ihm lasten. – Ich suchte ihn aufzuheitern und faßte seine Hand. Dabei sagte ich:

»Komm, Bruder, sei nicht traurig, daß ich nicht mit dir bis zu deinem Lager gehe. Dein Häuptling braucht meine Hilfe nicht. Sage ihm, er solle Cirino zu den Soldaten senden. Ich bin nicht ihr Freund ...«

»Du wolltest doch mit mir gehen,« sagte Wako zagend.

»Weil ich glaubte, dein Häuptling wolle sich nur bedanken, daß ich ihm das Kanu rettete. Ich muß aber beim jungen Tag in der Stadt sein. Auch mag ich nicht ohne ein Geschenk zu deinem Häuptling gehen und alles, was ich besitze, ist auf dem Dampfer geblieben.«

Wako wußte meinen Gründen kein überzeugendes Wort entgegenzustellen. Andererseits aber zwang ihn der Befehl des Häuptlings, mich ins Lager zu bringen. Aus diesem Zwiespalt sah der arglose Sinn des Indianers keinen Ausweg. Ich fragte ihn daher:

»Hast du Befehl, mich mit Gewalt vor den Häuptling zu bringen?«

»Mich sandte der Häuptling zu dir mit der Einladung, ihn zu besuchen.«

»Und was sollst du tun, wenn ich der Einladung nicht folge?«

»Ha!« stieß er heraus, als wollte er damit ausdrücken, daß ein solcher Fall außerhalb des Bereiches der Möglichkeit lag.

»Würdest du Gewalt gegen mich anwenden? Mich töten?«

»Nein, aber du bist doch mitgegangen!«

»Bis hierher, weil du mein Bruder bist und ich auf dich vertraue. Dem Häuptling traue ich nicht. Darum gehe ich nicht weiter. Wenn du nach drei Sonnen in die Stadt zu Don Emilio kommst, dann gebe ich dir Geschenke für dich und deinen Häuptling. – Und jetzt lasse mich zu Lorenzo zurückkehren.

In diesem Augenblick hörte ich ein Plätschern auf dem Flusse. Ein Fahrzeug näherte sich. Wako zog mich tiefer in den Wald und gebot mir, mich hinter einem Stamm zu verstecken. Dann lief er geräuschlos ans Ufer zurück. Wenige Minuten später vernahm ich seine Stimme. Er sprach absichtlich laut. Da mir aber seine Sprache unverständlich war, so konnte das nur einem Menschen gelten, der entfernt von ihm, etwa am andern Ufer stand. Zweimal hörte ich das Wort »Alemano«, das auch die Indianer anwenden. Ich war demnach Gegenstand der Debatte.

Bis zu diesem Augenblick hatte ich noch keine besondere Aufregung an dem nächtlichen Abenteuer verspürt. Zu oft schon war ich mit wilden Häuptlingen zusammengetroffen und noch jedesmal war es mir mit leichter Mühe gelungen, sie von meinen friedlichen Absichten zu überzeugen. Hier aber zweifelte ich an einem guten Ausgange meines Besuches. Diese Indianer waren durch jahrzehntelange Bedrückung durch die weiße Rasse, die sie systematisch auszurotten beabsichtigte, in einen Vergeltungskrieg gedrängt worden. Jeden Weißen sahen sie als ihren Feind an und daß sie an diesem Wiedervergeltung übten, wer konnte es ihnen verdenken? Wenn man mich auch vielleicht nicht ermordete, so war es doch sehr wahrscheinlich, daß man sich meiner Person versichern wollte, um mich gegen einen gefangenen Häuptling auszuwechseln. Das konnte aber eine langwierige Geschichte werden und es war noch nicht einmal sicher, ob die Regierung sich wegen eines Fremden überhaupt von der Hinrichtung des Häuptlings abhalten ließ.

Mitten in diesen Gedankengang platzte plötzlich der langgezogene Ton eines Ochsenhornes. Er wurde von mehreren Seiten beantwortet und dann wurde der Wald um mich her lebendig. Im Unterholz brach und krachte es. Fackelschein warf lange grelle Lichter durch die Baumgruppen. Wie Phantome tauchten hüpfende Schatten in die Helle und verschwanden. Auch in meiner nächsten Nähe knackten dürre Aeste unter dem Tritte hastender Gestalten. Ein Mann kam mir so nahe, daß ich schon fürchtete, er müßte meinen Körper streifen.

Der Lärm entfernte sich gegen den Rio Paraguay hin, »Armer Lorenzo!« schoß es mir durch den Kopf. »Hoffentlich konntest du dich retten! Oder war er die Ursache des Alarms?

Um mich her herrschte nun Grabesstille. Die durch den plötzlichen Aufbruch der Indianer aus dem Schlafe geschreckten Tiere des Waldes hatten sich wieder beruhigt. Vereinzelte Vogelrufe betonten nur die tiefe Ruhe.

Im Gefühle augenblicklicher Sicherheit nahm ich mein Gewehr von der Schulter und prüfte tastend den Verschluß. Dann untersuchte ich beide Revolver. Als ich die Trommel des zweiten wieder einschnappen ließ, gab es einen kurzen, metallischen Schlag, der ein Rascheln im dürren Laub der gegenüberliegenden Baumgmppe auslöste. Irgend ein Lebewesen war durch das ungewohnte Geräusch erschreckt worden. – Was war es?

Ich lauschte mit angehaltenem Atem. Nichts regte sich. Aber ein seltsames Gefühl beschlich mich. Ich hatte die Empfindung, daß ein Mensch in meiner Nähe war, der ebenso auf ein weiteres Zeichen meiner Anwesenheit wartete, wie ich selbst auf seine Bewegung lauschte. Er verriet sich zuerst. Unabsichtlich, denn ich vernahm deutlich das kollernde Glucksen, das ein nahrungsbedürftiger Magen hören läßt. – Das konnte kein Indianer sein, denn diese pflegen reichlich und ausgiebig zu essen, wenn sie irgendwo lagern.

Da auf dieses deutlich vernehmbare Geräusch kein Zeichen meiner Anwesenheit erfolgte, wurde der geheimnisvolle Nachbar sicher. Das Rascheln des Laubes verriet, daß er seinen Weg fortsetzte. Immerhin schlich er mit größter Vorsicht durch den Wald, denn ein weniger aufmerksamer Beobachter hätte das leise Geräusch kaum wahrgenommen, das sich in der Richtung nach dem Galbanflusse zu entfernte. Durch das angestrengte Beobachten des unsichtbaren Menschen und die mir dadurch aufgezwungene Bewegungslosigkeit war mein Blut in Wallung geraten. Ich wurde nervös und versuchte mein Versteck mit einem andern, mit freierem Gesichtsfeld zu vertauschen. Vorher streckte und dehnte ich meine Glieder und dann überlegte ich kurz, nach welcher Richtung ich mich wenden sollte.

Ein rauher, röchelnder Laut, ähnlich einem unterdrückten Schrei bannte mich wieder an die Stelle. Sofort fiel mir der Indianer ein. Wenn Wako mit dem Unbekannten zusammengetroffen wäre?

Mich seitlich an dem mächtigen Stamm vorbei schleichend, hörte ich deutlich ein Knacken von Zweigen, in das ein Schnauben oder Keuchen eingeflochten war. Man kämpfte dort! Mit dem Gedanken schritt ich auch schon zur Tat. Ich wollte den Unbekannten aus der Gewalt Wakos befreien. Das immer deutlicher wahrnehmbare Geräusch leitete mich. Bald sah ich auch den dunklen Knäuel am Boden.

»Wako, laß ab! Ich komme!« rief ich, mich hastig durch die Büsche drängend.

Ein gräßlicher spanischer Fluch antwortete. Ein Körper erhob sich auf die Knie. Wako war es nicht. In der gleichen Sekunde begriff ich. Der Ueberfallene war der Indianer. Wie der Blitz fuhr ich dem Angreifer in den Nacken. Mit meinem Gewicht drückte ich ihn zu Boden und hämmerte mit der Faust auf seinen Schädel. Dabei fiel mein Blick auf das Gesicht des Indianers. War er tot?

»Warte, Kanaille, wenn du meinen roten Freund ermordet hast, sollst du an den Marterpfahl!« knirschte ich dem Unbekannten ins Ohr.

»Ihr seid doch auch ein Weißer!« keuchte er. »Laßt mich doch los. Was ist an der Rothaut gelegen?«

»Mehr als an dir, du Mordgeselle!« schrie ich ihm ins Ohr.

Nun machte er verzweifelte Anstrengungen, um sich meiner Umklammerung zu entziehen. Als er bemerkte, daß ich ihm an Kraft überlegen war, versuchte er es mit den Zähnen. Er biß mich so heftig in den Oberarm, daß ich einen Atemzug lang die Arme löste. Dadurch gewann er Raum. Aufbäumend suchte er sich meiner zu entledigen. Wir kamen ins Handgemenge. Jeder suchte dem andern an die Kehle zu gelangen. Wiederum konnte ich die Oberhand gewinnen. Ich vermochte mich aufzurichten und dem Mörder ein Knie auf den Leib zu setzen ... Da plötzlich stieß er einen lauten Seufzer aus. Die Arme fielen schlapp herab. Leises Röcheln quoll aus seinem Munde ...

Neben mir erhob sich Wako.

»Mein weißer Bruder hat mir wieder das Leben gerettet,« sagte er mit einer Ruhe, als sei die eben vollbrachte Tat keiner weiteren Erwähnung wert. Seine Stimme jedoch klang matt und gepreßt.

»Wako, war es denn nötig, daß du den Mann tötetest?« fragte ich in vorwurfsvollem Tone. »Wir waren doch zwei gegen einen und der war nicht einmal bewaffnet.«

»Ich kenne den Weißen nicht«, erwiderte ruhiger der Indianer. »Auf dem Wege zu meinem Bruder überfiel er mich hinterlistig. Wir kämpften. Wako unterlag, weil ihm der Weiße die Kehle zusammenpreßte. Wako wurde bewußtlos, erwachte aber rechtzeitig, um seinen weißen Bruder zu befreien. – Nun hat der weiße Mann Ruhe. – Hätte er Wako nicht angegriffen!«

Ich beugte mich zu dem eben Verstorbenen nieder, um sein Gesicht zu betrachten. Die Züge waren mir unbekannt. Dem Aeußeren nach schien es ein Yerbatero zu sein.

Dem Indianer dauerte die Untersuchung zu lange. Er drängte zum Weitermarsche.

»Mein weißer Bruder möge den Mann liegen lassen. Er ist tot und du kannst ihm nicht mehr helfen. Aber Wako wird dir jetzt deinen Wunsch erfüllen und dir den Weg zur Stadt zeigen. Kann mein weißer Freund rasch laufen?«

»Wenn es sein muß, ja!«

»Es muß sein. Der Häuptling wird nicht lange ausbleiben. Er darf dich nicht mehr hier sehen. Folge mir!«

»Aber ich darf Lorenzo nicht verlassen. Er muß mit mir gehen. Wirst du mich zu ihm führen?«

»Wako wird Lorenzo zu dir bringen. Aber du darfst jetzt nicht mehr viel reden. – Folge mir!«

Gern hätte ich dem Unbekannten noch eine Grube gegraben, aber Wako stand wie auf glühenden Kohlen. Er drängte mich mit Gewalt in die Büsche. Einmal dort, hastete er so rasch vorwärts, daß ich ihm nur schwer zu folgen vermochte.

Es wurde lichter um uns her. Durch die Wipfel der vor uns liegenden Wälder zwängte sich ein Streifen silbernen Lichtes, der von dem rasch fließenden Galban zu lebhaften Spielen aufgenommen und zerpflückt wurde. Mitten auf der unruhigen Wasserfläche tanzte ein dunkler Punkt. – Wako stieß einen eigentümlichen Ruf aus und sofort bekam das Phantom Leben. Von unsichtbarer Hand getrieben näherte sich die Masse der Stelle, an der wir im hohen Grase verborgen waren.

Ich erkannte einen Einbaum. Als er sich im Schutze des Uferschilfes befand, erhob sich eine Indianerin vom Boden des Kanus und wechselte hastige Worte mit meinem Führer. Noch während dieser Unterredung drängte mich Wako in den Kahn. Er und das Weib sprangen nach und nun erst bemerkte ich, daß der Einbaum eine Art Fähre bildete, die von Lianen gehalten, die beiden Ufer verband.

Jetzt versuchte ich Näheres über die Absichten meines Führers und über manche andere, mir unerklärliche Vorgänge zu erhalten, aber kaum öffnete ich den Mund, da legte sich die Hand des Weibes darauf – und nun schwieg ich gern, um nur diese Hand loszuwerden. – Der ziemlich breite Fluß war von zahlreichen Krokodilen belebt, denn mehr als einmal sah ich einen der schuppigen Köpfe in meiner nächsten Nähe.

Die Ueberfahrt ging ohne Hindernis vonstatten. Wako ließ mich zuerst aussteigen. Ich mußte in einen sumpfigen Streifen treten und dort warten.

»Du mußt unsere Fährten essen,« sagte der Indianer, als er neben mir stand. »Deine Lederfüße müssen unsere Füße unsichtbar machen. Wirst du die Fährten sehen können?«

Ich bejahte, da der Mond hoch stand.

»So folge uns, so rasch du vermagst!«

Ich trat nun mit meinen Schuhen immer dergestalt in die zu einem einzigen Eindruck zusammengeflossenen Fußtapfen der beiden voranschreitenden Indianer, daß dem spähenden Auge etwa folgender Krieger nur die tief in das weiche Erdreich eingedrückte Sohle meiner Fußbekleidung zu sehen war. Ich machte das so gewissenhaft, daß ich bald hinter den beiden zurückblieb. – Als Wako sich zufällig nach mir umsah, schrak er heftig zusammen und seine Arme setzten sich in kreisende Bewegung, um mich dadurch zu größter Eile anzutreiben.

»Wie lange dauert denn dieser Spaziergang noch?« fragte ich, als ich ihn eingeholt hatte.

»Nicht lange, gleich kommt Gras, dann Wald und dann findet mein Bruder zwei Pferde! Aber nun muß mein Bruder nicht mehr sprechen. Der Wald hat Ohren.«

Wirklich erreichten wir nach kurzer Wanderung einen mit lichtem Walde bestandenen Hügel. Wir durchwateten einen Bach und befanden uns nun in sumpfigem Gelände, in dem keine Fährte mehr zurückblieb. Wako reichte mir die Hand und sagte mit bewegter Stimme:

»Aitoka, mein Weib, wird dich führen. Wenn du auf deinem Wege Soldaten siehst, dann nimm mein Weib mit dir zu Don Emilio. Daß du sie beschützen wirst, weiß ich ...«

»Darauf gebe ich dir mein Wort, Wako!«

»Und wenn Wako nach vier Sonnen nicht bei Don Emilio ist, dann soll er Aitoka bei sich behalten ...«

»Warum solltest du nicht kommen können?«

»Mein Stamm ist im Kriege mit den Soldaten und Wako darf nicht in den Reihen der Krieger fehlen ...«

»Haben die Soldaten deinen Stamm angegriffen?« fragte ich rasch und eine bange Ahnung wegen des Schicksals meines Gefährten beschlich mich.

Lächelnd hob der Indianer die Hand:

»Die Pidma haben die Soldaten überfallen. Ein großes Dampfkanoe brachte viele Bewaffnete nach Santa Rosalia. Dort sind jetzt die Pidma und kämpfen ...«

»Und wo ist Lorenzo?«

»Aitoka wird dich führen. Du findest deinen Freund in Fesseln. Er wollte nicht ruhig mitgehen, da mußten wir ihn binden. Löse seine Riemen. Er ist frei!«

Wako machte eine Bewegung des Abschieds. Ich vertrat ihm den Weg. Seine Hand umklammernd sagte ich:

»So darfst du deinen weißen Bruder nicht verlassen, Wako. Du mußt mir das Versprechen geben, mich bei Don Emilio zu besuchen. Ich warte dort vier, nein acht Sonnen auf dich. Versprichst du mir das?«

»Wenn ich lebe, werde ich kommen!«

Ohne seinem Weibe auch nur einen Blick oder ein Wort des Abschiedes zu gönnen, verschwand er im Walde. Ich war anfangs geneigt, ihm darüber Vorwürfe zu machen. Später aber sah ich, daß hinter dieser kalten und gleichgültigen Maske sich ein heißeres Gefühl für die Gattin verbirgt, als man es gemeinhin bei unsern Rasseangehörigen findet.

Im Osten färbte sich der Himmel, als ich, hinter Aitoka herschreitend, den Bach wieder erreichte und in dessen Bett einige hundert Meter aufwärts ging. Dann sprang das Weib einen Hang hinauf und mich an ihre Seite ziehend, deutete sie auf eine Niederung, in der ich unter wucherndem Grün die Ueberreste einer ehemaligen Farm unterschied. Das Haus war verfallen und anscheinend niedergebrannt. Inmitten eines verwilderten Obstgartens drängte sich der First eines Daches ins Freie.

»Lorenzo da!« sagte das Weib und als ich fragend zu ihr aufblickte, fügte sie hinzu:

»Aitoka hier!« Diese beiden, vermutlich ad hoc gelernten Phrasen waren die einzigen spanischen Worte, die sie kannte. Aus den darangeknüpften Gesten entnahm ich, daß Aitoka an eben dieser Stelle auf mich warten würde. – Ich eilte, um die Zeit nach Möglichkeit abzukürzen, den Hang hinab und trat in das alte Bauwerk, das sich als ein Pferdestall entpuppte, in dem zwei Pferde standen. Das war alles, was ich im ersten Augenblick in der hier noch herrschenden Dunkelheit erkennen konnte. Ich rief:

»Ohe, Lorenz»! Bist du hier?«

Ein aus tiefster Brust kommender Freudenruf antwortete mir.

»Der Madonna sei Dank, daß Ihr es seid, Don Fernando. Ich wagte nicht mich zu rühren, weil vor ein paar Stunden eine Rothaut hier war, die ihre beiden Pferde hier einstellte. Zum Glück sah sie mich nicht, sonst ... Aber schneidet mir doch die Riemen durch! Das rote Weib hat mich zusammengeschnürt und mit einem Knebel im Munde hierher gebracht. Wahrscheinlich soll ich gemartert werden ...«

Ich unterbrach die Redeflut.

»Du tust dem Indianer unrecht, Lorenzo,« sagte ich, während ich ihm die Fesseln aufknotete. »Die Pferde sind für uns bestimmt und das Weib wartet hier oben am Hügel, um uns auf Umwegen zur Stadt zu führen. Sie mußte dich binden, weil sie sich nicht mit dir verständigen konnte. Die Wilden sind auf dem Kriegszuge. Nun aber eile dich, denn wir müssen bei Sonnenaufgang weit von hier sein und drüben dämmert es schon stark.«

Ich befaßte mich nun mit den Pferden. Es waren ein paar Ackergäule, deren Stammbaum sicher irgendwo im alten Vaterlande zu suchen war. Jedenfalls hatte ich diese Rasse in Paraguay noch nicht gesehen. Ich zerbrach mir aber nicht lange den Kopf darüber, sondern zog sie vor allen Dingen aus dem Schuppen ins Freie und an das leise plätschernde Bächlein, das der Farm einmal Trinkwasser zugeführt hatte. – Hier entdeckte ich auch, daß den Tieren anstatt des Sattels eine Decke aus gegerbter Ochsenhaut aufgeschnallt war. Eine Trense ersetzte den Zügel.

» Caramba, Don Fernando, wo habt Ihr denn die Gäule gekauft? Eine solche Rasse sah ich noch nie und ich war doch lange genug als Gaucho in den Pampas!«

»Darüber können wir uns während des Reitens unterhalten, Lorenzo. Jetzt brennt uns der Boden unter den Füßen. Nimm den Braunen und folge mir.«

Aitoka konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie meines Begleiters ansichtig wurde und Lorenzo zog ein Gesicht, als hätte er Essig getrunken. Ich ließ den Beiden aber keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Mit einer Geste lud ich Aitoka zum Weitermarsch ein. Als ich Miene machte, mich auf den Rücken des Pferdes zu schwingen, wehrte sie es mir. Sie faßte den Gaul beim Kopfe und zog ihn den Hang hinunter in das hohe Gras, das uns so vollständig verschlang, daß man nicht einmal mehr die Köpfe der Vorderleute sah. Aitoka, einmal in dieser Deckung, stieß einen ermunternden Ruf aus und setzte sich in schnellere Gangart. Wir folgten natürlich ihrem Beispiele so gut es ging. Aber nicht vertraut mit der Wanderung durch solche Grasfelder, verlor ich bald ihre Spur und mußte nun durch Zuruf die Verbindung wieder herstellen. Das hätte beinahe zu unliebsamen Begegnungen geführt. Während Lorenzo und ich uns vergeblich bemühten, zwischen den langen Grasstengeln die Fährten des vorausgegangenen Pferdes wiederzufinden, stieß ich einen Ruf aus, der den Schrei der Ente nachahmen sollte und den ich bei Wako öfter gehört hatte. Er mußte aber nicht sehr gelungen sein, denn er fand keine Erwiderung. Wohl aber antwortete ein anderer Laut. Eine tiefe Männerstimme brüllte ein Ohe! und ein lautes Gepolter verriet uns, daß der Rufer den mit Geröll besäeten Abhang hinunter stieg.

»Halte dem Gaul die Nüstern zu!« flüsterte ich Lorenzo ins Ohr und stellte mich neben ihn, das Pferd als Deckung benutzend. Langsam brachte ich die Büchse in Anschlag.

Während wir so regungslos lauschten, kam das Geräusch immer näher. Deutlich hörten wir die spanischen Flüche, die mit indianischen Worten untermischt waren. Ob sich uns einer oder mehrere Männer näherten, konnte ich aber nicht unterscheiden. Auf einmal vernahmen wir einen lauten Schrei, dem ein überraschtes Caramba! folgte und dann ein Knacken und Knistern, das sich rasch entfernte. Schon wollten wir aufatmen, da fiel plötzlich ein Schuß und eine Kugel riß den Grasstengeln in unserer Nähe die Köpfe ab.

»Nieder, Lorenzo!« rief ich dem Gefährten zu, und warf mich neben ihn ins Gras, »Wenn er nochmal schießt, antworten wir ihm.«

Ein weiterer Schuß blieb jedoch aus. Dafür raschelte es jetzt vor uns. Die Halme gerieten in lebhafte Bewegung und während ich mich anschickte, dem Verfolger einen warmen Empfang zu bereiten, öffnete sich die grüne Wand neben uns und ein großer Puma erschien zwischen den Stengeln. Das Tier, das ebenso überrascht durch das unerwartete Zusammentreffen war, wie wir selbst, stieß einen rauhen Laut aus und kehrte mit einem gewaltigen Satze in das schützende Grün zurück.

»Wenn ich nur wüßte, wo Aitoka steckt,« flüsterte ich meinem Gefährten ins Ohr, als sich die Ruhe wieder eingestellt hatte. »Bleibe hier ruhig liegen. Ich versuche sie aufzufinden und damit du weißt, welche Richtung ich einschlage, schneide ich auf meinem Wege immer ein paar Grasstengel mit dem Messer dicht über dem Boden ab. So können wir uns nicht verlieren.«

Ich drückte ihm noch den Revolver in die Hand, empfahl ihm die äußerste Vorsicht und schob mich langsam weiter. Anfangs ging es sehr schwer, weil ich vermeiden wollte, daß ein Beobachter die Bewegung der Stengel als eine willkürliche feststellen konnte. Mit der zunehmenden Entfernung glaubte ich diese Vorsicht beiseite lassen zu können, umsomehr, als das Schneiden der sehr harten Halme nicht ohne Geräusch abging. Ich entschloß mich sogar aufrecht weiterzugehen und als ich dann in ein Dickicht geriet, das meine ganze Gestalt nicht mehr deckte, ging ich geradewegs auf die hohen Ufer des Baches zu, die sich durch regelmäßigen Baumwuchs erkennen ließen. Dort hielt ich Umschau nach der Indianerin sowohl, als nach dem unbekannten Besucher. – Ich fand aber weder die eine noch den andern. Dem Boden waren Hufe eingedrückt, die nach beiden Seiten verliefen, aber keine Spur rührte von dem großen Ackergaul her, den die Indianerin bei sich hatte.

Ich gewann bald die Ueberzeugung, daß ich mich allein an dieser Stelle befand und sah keinen Grund zu weiterer Fortsetzung des Versteckspiels. Dem Bache abwärts folgend, ging ich bis dahin, wo ich Lorenzo vermutete und rief ihn an. Er gab den Ruf aber erst zurück, als er seinen Namen hörte. Wenige Minuten später stand er neben mir.

»Habt Ihr die Indianerin gefunden?« war seine erste Frage.

»Keine Spur von ihr. Wir werden hier am Bache warten müssen, bis sie uns sucht.«

»Oder sie wartet irgendwo auf uns. Wenn Ihr das Pferd nähmet und ihr entgegenrittet. Der Gaul hier wittert vielleicht das andere Tier und bringt Euch dahin.«

Da das Pferd ein lebhaftes Tier war, konnte ich den Versuch machen. Ich schwang mich auf seinen Rücken und ritt bachaufwärts, indem ich das Gelände zu meiner Rechten aufmerksam mit den Blicken durchsuchte. Nach einer Weile kam ich an eine Stelle, wo der Bach aus seinen Ufern getreten war. Zahlreiche Eindrücke deuteten darauf hin, daß ich mich an einer Tränke befand, die seitens der vierfüßigen Waldbewohner regen Zuspruch hatte. Auch mein Pferd drängte ungestüm ins Wasser. Während es seinen Durst stillte, betrachtete ich mir die zahlreichen Tierfährten, die des frühen Morgens wegen so in einander übergingen, daß eine bestimmte Spur nicht zu entziffern war. – Ich war schon im Begriff, den Ort wieder zu verlassen, als mein Auge an einer abgebröckelten Uferstelle haften blieb. Dort glaubte ich den Eindruck eines breiten Hufes zu sehen. Ich ritt durch den Bach hindurch und betrachtete lange die Fährte und die Umgebung der Stelle. War es wirklich der Ackergaul, der hier gerastet hatte, dann war er im Bette des Baches geblieben und – wohin? Bachaufwärts oder abwärts gegangen?

Lange zerbrach ich mir den Kopf. Ich entschloß mich endlich dem Laufe des Baches abwärts zu folgen. Traf ich Aitoka nicht, so fand ich Lorenzo und nahm ihn dann mit mir. Der Bach war, wie ich bereits erwähnte, an beiden Ufern mit dem fast drei Meter hohen Gras bestanden. Wer sich dort versteckte, konnte nur von einem geübten Indianerauge entdeckt werden. Für einen Hinterhalt war das Gras wie geschaffen. Ich ritt dann auch, nachdem ich den hügeligen Teil hinter mir gelassen, mit der denkbar größten Vorsicht weiter. Den Zügel ließ ich auf den Hals des Tieres fallen, um beide Hände zur Verteidigung frei zu haben.

Plötzlich wurde mein Pferd aufmerksam. Seine Ohren begannen lebhaft zu spielen. Er schnaubte leise, hemmte den Schritt und ging dann zaghaft weiter. Ehe es einen Schritt machte, hob es erst das eine Bein, hielt es einen Augenblick in der Schwebe und setzte es dann zögernd ins Wasser. Natürlich hielt mich das seltsame Gebahren des Tieres in höchster Spannung. Ich wußte, daß ein Puma in der Nähe war. Wie weit der meinem Pferde gefährlich werden konnte, wußte ich nicht. Ich traf daher alle Maßnahmen, um den Räuber, falls er uns anspringen sollte, entsprechend zu empfangen.

Vor einer Gruppe überhängender Bäume wurde das Spiel der Ohren besonders lebhaft. Der Braune blies kräftig durch die Nüstern, ging aber vorwärts. Nun suchte ich aufmerksam die Zweige ab. Ein Raubtier hätte seine Beute gar nicht bequemer belauern können. Unter dem dichten Geäst des ersten Baumes blies der Gaul wieder. Vergebens suchte ich mit den Augen die Wipfel ab.

Da fühlte ich einen Ruck. Das Pferd machte einen Sprung seitwärts. Ein paar Arme umklammerten mich, heißer Atem strich über Ohr und Wange. Instinktiv beugte ich mich weit vor, um die Last abzuschütteln. Dann schob sich eine Hand auf meinen Mund und wie einen Hauch hörte ich das eine Wort:

»Aitoka!« – Es war die Indianerin, die mich auf diese eigentümliche Weise von ihrer Anwesenheit benachrichtigte. Als ich behutsam den Kopf wandte, begriff ich auch ohne die bezeichnende Geste, daß irgend etwas in der Nähe für uns verderblich werden konnte. Ich fragte daher, den Ton nur hauchend:

»Soldaten?«

»Indianer – Botokudos!« lautete die kaum vernehmbare Antwort. Da eine weitere Unterhaltung ohnehin ausgeschlossen war, begnügte ich mich, ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen. Aus ihren Gebärden entnahm ich, daß ich den Rücken meines Pferdes mit dem Aste, auf dem sie selbst gesessen, vertauschen sollte. Sie wollte Lorenzo holen und so lange sollte ich warten. – Aitoka muß wohl in meinem Gesichte mein Mißvergnügen über diese Anordnung gelesen haben. Um mir meinen Entschluß zu erleichtern, streichelte sie mir die Hand und Wange, wie man es bei kleinen Kindern zu machen pflegt, und als ich darüber lächeln mußte, sah sie, daß sie gewonnenes Spiel hatte. Ich turnte nun auf den Ast, in dessen Gabel es sich übrigens ganz bequem sitzen ließ, und als ich den Blick wandte, um mir die Anerkennung der Wilden zu holen, war sie mit dem Pferde verschwunden.

Als ich auf meinem luftigen Sitze über die eigentümliche Lage nachdachte, in die ich durch meine Gutmütigkeit wieder einmal geraten war, machte sich das Schlafbedürfnis geltend. Mehrmals ertappte ich mich dabei, daß mir der Kopf schwer zur Seite fiel. Ich sagte mir zwar, daß ich nicht schlafen dürfe, untersuchte aber nichtsdestoweniger meinen Sitz auf seine Sicherheit hin. Wenn ich im Schlummer etwa aus meinem Gleichgewicht käme, mußte ich ziemlich hart ins hohe Gras fallen ... Meine Berechnung erwies sich allerdings als falsch.

Nachdem ich noch die Arme in eine Astgabelung gezwängt und die Büchse durch den Riemen versichert hatte, glaubte ich alles zur Sicherung meiner Position getan zu haben. Ich spann die Gedanken über meine Tage weiter und bereute die schöne Zeit, die ich hier so ganz zwecklos versäumte. Hatte ich doch am Fogones schon eine Woche zu lange geweilt.

Die äußere Ruhe wirkte wohltuend auf meine Nerven. Ich verließ das Gebiet der unfruchtbaren Rückblicke und beschäftigte mich mit der Gegenwart. Dabei machte sich mein Magen recht unangenehm bemerkbar. Seit sechzehn Stunden war keine nennenswerte Nahrung mehr über meine Lippen gekommen. Vielleicht brachte Lorenzo Bananen mit? In der verlassenen Farm gab es ja genug.

Ein paar Eidechsen sprangen in munterem Spiele von Ast zu Ast. Von den höchsten Gipfeln bis zum Wasserspiegel jagten sie unablässig durch die Zweige. Saß so ein unachtsames Insekt zufällig im Wege, so wurde ein Waffenstillstand verabredet, der aber in demselben Moment sein Ende fand, in dem der glückliche Finder den fetten Bissen hinuntergewürgt hatte. – An einem Aste, unweit von meinem Sitze, saß in der borkigen Rinde die Puppe einer Eule. Sie hielt eben ihre Zeit für gekommen, den Flug in die Welt anzutreten. Die schützende Hülle öffnete sich und ließ ein dickes Etwas sehen, das nur aus Kopf und einem weichen, von einem Wulste umgebenen Leibe bestand. Behutsam arbeitete sich das Tierchen heraus. Auf der knorrigen Rinde suchte es sich einen Ruhepunkt, der ihm die Entfaltung der Flügel gestattete. Unglücklicherweise wohnte aber eine dicke Spinne in der Nähe, die sich jetzt aus ihrem Schlupfwinkel hervorwagte und den werdenden Nachtfalter mit begehrlichen Blicken betrachtete. Kaum merklich schob sie sich ruckweise an das ahnungslose Insekt heran. Ein Sprung! In genau demselben Augenblick ließen sich aber auch die beiden Eidechsen von einem oberen Aste herabfallen. Die eine verschluckte im Vorüberhuschen den Falter, die andere trug die zappelnde Spinne im Maule davon.

Diese naturhistorische Mordszene lenkte mich soweit ab, daß ich erst durch ein Plätschern im Bache wieder in die Gegenwart zurückgerufen werden mußte. Ich blickte durch die Zweige hinunter und hätte mich nun durch eine unwillkürliche Bewegung fast verraten. Denn was ich da unten sah, riß mich mit einem Male aus meinen Träumereien. Drei Indianer, zwei Weiber und ein Mann, standen im Bache und füllten große Krüge mit Wasser. Bei der Gelegenheit nahmen sie auch ihr Morgenbad. Besonders die jüngere der braunen Damen schien das Wasser sehr zu lieben. Sie warf sich mit dem ganzen Körper in die Flut, drehte sich nach allen Seiten und blieb plötzlich auf dem Rücken liegen, die Augen in die Wipfel der Bäume gerichtet. Schon glaubte ich mich entdeckt, denn das Gesicht starrte unverwandt in die Zweige, in denen ich versteckt saß. In dieser Stellung verharrte sie minutenlang. Dann sprang sie auf und rief dem Manne ein paar Worte zu, die diesen mit einem Satze aufs Ufer und zu den Waffen trieb. Eine schwere Keule warf er um das rechte Handgelenk. Mit der Linken griff er eine alte Vorderladerflinte auf, die ich um keinen Preis der Welt abgefeuert haben würde. Ein großes Messer mit breiter Klinge vervollständigte die Bewaffnung. Die Kleidung schienen alle drei zu Hause vergessen zu haben, denn kein Faden bedeckte die Körper. Als einzigen Zierrat trugen alle drei ein breites rundes Holzstück in Ohren und Unterlippe. Bei dem Manne hatten diese Scheiben die Größe unserer Fünfmarkstücke. Bei den Weibern waren sie kleiner. An diesem Schmuck erkannte ich die Indianer als Botokuden, die wahrscheinlich mit am Fort Guachalla gekämpft hatten, und nun auf dem Heimwege in ihre Dörfer am Parana waren. Man sagte ihnen einen fanatischen Haß gegen die weiße Rasse nach.

Der Botokude lauschte mit horizontal von sich gestrecktem Gewehr auf irgend ein verdächtiges Geräusch. Die Weiber lagen platt auf der Erde und waren hier durch ihre Hautfarbe ziemlich geschützt, da sie genau die Farbe des Bodens hatten. – Mir war gar nicht wohl in meinem Versteck, wenn ich auch die drei Wilden nicht zu fürchten brauchte, denn ich konnte sie bequem abschießen, bevor der Mann auch nur die Flinte gehoben hätte, so mochte ich doch kein Blut vergießen. Außerdem hatte ich auch die Rache des Stammes zu fürchten.

So vergingen ein paar aufregende Minuten. Ich durfte nicht einmal den Kopf wenden, da mich die Bewegung dem außerordentlich scharfen Ohre der Wilden sofort verraten hätte. Ich mußte den Blick unverwandt auf einen Fleck richten und in der Blickrichtung lagen die Wilden, so daß ich bei jeder Bewegung unten die Augen schließen mußte, damit mich die Anziehungskraft, die dem menschlichen Auge innewohnt, den Botokuden nicht verriet.

Als ich wieder einmal die Augen öffnete, gewahrte ich eine Bewegung unten am Stamme. Der Zweig zitterte, als ob ihn eine Hand geschüttelt hätte. Auch den Botokuden mußte dies aufgefallen sein, denn das junge Weib hob den Kopf und schob sich dann hastig um mehrere Meter zurück, die Gefährtin mit sich ziehend. Der Mann hingegen streckte den Kopf vor und horchte nach einer anderen Richtung hin. – Nun sah ich die Gesichter der Botokuden nicht mehr und durfte den Kopf etwas freier bewegen. Mein Blick glitt an dem Stamm herab, wo die zitternden Zweige meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Zunächst bemerkte ich nichts, konnte auch das Auge nicht so angestrengt dorthin lenken, da ich natürlich wissen mußte, was aus den schwarzbraunen Nachbarn geworden war. Erst als ich die beiden ruhig am Boden liegen sah, wo sie sich die Zeit damit vertrieben, die Würmer aus der Erde zu kratzen und sie zu verzehren, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Baume zu. – Es dauerte auch nicht lange, bis ich die Ursache der zitternden Bewegung fand, und sofort brach mir der kalte Schweiß aus allen Poren.

Vom Boden her schob sich eine große, dunkelschwarze Schlange an meinem Baum hinauf. Ihre goldgelben Augen leuchteten tückisch aus dem Halbschatten des Laubes. Sie hatte es offenbar auf mich abgesehen, denn der leicht zurückgebogene Kopf war nach aufwärts gerichtet, die zweigespaltene Zunge schob sich nervös aus dem Maule. Ich hatte schon am Fogones von einer ähnlichen Schlange des Chaco gehört, vor der selbst die Indianer die Flucht ergreifen sollten. Man rühmte ihre furchtbare Körperkraft, hielt sie jedoch für nicht giftig. Da meine naturgeschichtlichen Aufzeichnungen kein derartiges Reptil kannten, hatte ich mir oft gewünscht, ein Exemplar davon zu Gesicht zu bekommen. Dieser Wunsch ging jetzt in Erfüllung und zwar unter den denkbar verzweifeltesten Umständen. Natürlich hielt ich diese Gefahr augenblicklich für die größte und ich begann schon zu überlegen, wie ich mich mit den Wilden auf guten Fuß stellen konnte, wenn mich das Reptil zum Verlassen meines Zufluchtsortes zwang. Und dann war noch eine weitere Frage, wie ich mich der Schlange erwehren konnte. Ein Schuß mußte unbedingt auch die Weiber treffen ...

Jetzt hatte ich für nichts anderes mehr Sinn, als für den Kampf mit dem Reptil. Ich konnte schon deutlich den Kopf erkennen. Er zeigte ein stark ausgeprägtes Dreieck – also war es eine Giftschlange. Die geringste Verletzung mit ihrem Giftzahne setzte meiner Forscherlaufbahn hier ein Ziel.

Ich war immer – und bin es auch noch – der festen Ueberzeugung, daß kein wildes Tier ungereizt den Menschen angreift, Löwen und Tiger vielleicht ausgenommen. So mußte ich auch hier versuchen, das Reptil auf meine Zugehörigkeit zur Gattung Homo sapiens aufmerksam zu machen, bevor es zur Verteidigung gezwungen wurde. Das ging aber nicht ohne Geräusch und das mußte ich vermeiden, um den lauernden Botokuden nicht zu einem vorzeitigen Abbrennen seiner Donnerbüchse zu veranlassen. Je nach der Ladung wäre ein Treffer immerhin möglich gewesen.

Als ich die Zwickmühle, in der ich mich befand, gründlich durchdacht hatte, kehrte auch die Kaltblütigkeit in mir zurück. Wenn die Schlange mich wirklich für einen genießbaren Brocken hielt, der Angriff also tatsächlich mir zugedacht war, dann mußte ich ein Mittel finden, ihr unauffällig meine Ueberlegenheit zu zeigen. Dabei verfiel ich auf alle möglichen Dinge, die ich jedoch immer wieder verwarf, weil sie nicht geräuschlos auszuführen waren. Solange die Botokuden sich auf ihrem Horchposten befanden, durfte ich mich nicht rühren. Bei der herrschenden Grabesstille mußte jeder noch so schwache Laut zu ihren Ohren dringen. Die Schlange saß noch immer am Stamme. Die Entfernung von mir betrug etwa vier Meter. Da sie aufwärts kriechend den Körper höchstens um einen halben Meter vorschnellen konnte, so bedurfte sie immerhin noch einer längeren Zeit, bis sie in Bißnähe kam. Ich beschloß, sie zunächst mit meiner Büchse bekannt zu machen, wenn sie an der Mündung der Läufe roch, wußte sie vielleicht, wen sie vor sich hatte. Mit der denkbar größten Vorsicht löste ich die Waffe aus der Gabelung. Da ich sie zur Ausführung meines Vorhabens senken mußte, galt es sie so an meinem Handgelenk zu befestigen, daß sie mir nicht entgleiten konnte. Als auch das glücklich ausgeführt war, betrug der Abstand von dem Reptil höchstens noch zwei Meter ...

Wieder wurde mir heiß und kalt. Die Sonne hatte auch einen Spalt gefunden, durch den sie mich beleuchten konnte, so daß ich einem suchenden Menschen nun nicht mehr verborgen bleiben würde. In dieser kritischen Minute erbarmte sich der Himmel meiner. Ein Wind begann die Gipfel der Bäume zu beugen. Im Rauschen der Blätter gingen leise Geräusche verloren. Jetzt konnte ich den Versuch mit der Büchse wagen. Zuvor warf ich aber noch einen forschenden Blick auf die Botokuden. Sie warren noch an dem gleichen Fleck und nichts deutete darauf hin, daß sie ihre Siesta bald beenden würden.

Ich berechnete, so gut es ging, die Angriffslänge der Schlange und kam zu der Ueberzeugung, daß sie meine Hand selbst beim Zugreifen nicht erreichen konnte. Dann schob ich langsam den Büchsenlauf gegen sie vor. Ganz behutsam, damit das Reptil nicht geängstigt wurde und die wilden Gäste unter mir nicht aufmerksam wurden. Zoll um Zoll näherte sich der Lauf dem Kopfe der Bestie. Jetzt wurde sie aufmerksam. Der Kopf zog sich langsam zurück, der Rachen öffnete sich zu einem Spalt. Näher und näher kam ihr der Lauf. Bald waren nur noch wenige Zentimeter Raum zwischen ihrem Rachen und der Waffe. – Da warf sie sich plötzlich zurück. Der Rachen öffnete sich weit – und nun fürchtete ich den Angriff. Aber sie verharrte in der Stellung und da ich keine weitere Bewegung mehr machte, untersuchte sie endlich das seltsame Ding. Der Kopf senkte sich. Die funkelnden Augen sprühten in goldgelbem Lichte. Weit hervor schoß die gegabelte Zunge und berührte den Stahl – einmal, noch einmal. Die Probe mußte wohl nicht nach ihrem Geschmack gewesen sein. Der Kopf senkte sich weiter und langsam begann das Reptil den oberen Ring zu lösen und auf dem starken Aste unter mir nach dem Bache hinüber zu kriechen. Das ging entsetzlich langsam, aber mir fiel trotzdem ein Stein vom Herzen, war ich doch von einer unmittelbaren Gefahr befreit. Was das Reptil weiter beginnen würde, blieb der Zukunft überlassen. Die Botokuden befanden sich immer noch am Ufer. Die Sonne stand jetzt im Zenit und brannte unbarmherzig auf die nackten Menschen hernieder. Den Frauen schien es auch zu heiß zu werden, denn sie sprangen noch einmal in den Bach, füllten die Krüge aufs neue und warfen sich dann wieder zu Boden. Den Krieger sah ich von meinem Sitze aus nicht mehr. Ich beobachtete daher die Schlange weiter in ihrem Gebaren. Das Baden der Weiber mußte ihr wohl Appetit gemacht haben. Sie streckte sich lang auf dem Aste aus, tastete eine Weile mit der Schwanzspitze nach einem Halt und als sie den nicht fand, schlang sie das Ende ihres Leibes um den Ast selbst, drehte es einige Male hin und her und löste dann langsam den Oberkörper, der wie ein Stock bis fast auf den Wasserspiegel herabfiel.

»Arme Weiber!« dachte ich. Aber diesen war die Bewegung nicht entgangen. Ein lauter, durchdringender Schrei gellte durch die Luft und lärmend hörte ich sie im Grase verschwinden.

»Gott sei Dank!« rief ich aus vollem Herzen, als auch diese Gefahr vorüber war. Nun konnte ich mich auch an die Vertreibung des Reptils machen, denn so, wie es da hing, bildete es eine Gefahr für Lorenzo und Aitoka ...

Mit dem Gedanken überfiel mich auch die Unruhe. Was konnte den beiden zugestoßen sein? Ich saß nun schon ein paar Stunden in meinem Versteck und Lorenzo war doch kaum zwanzig Minuten Weges von mir entfernt. Ich tröstete mich damit, daß sie die Wache unter meinem Baume rechtzeitig gesehen und nicht gewagt hatten, sich zu zeigen. In kürzester Zeit würde ich erlöst sein ...

Um mich durch Beschäftigung wach zu erhalten, suchte ich nach Wurfgeschossen, die geeignet waren, die Schlange zum Verlassen ihres Standortes zu bewegen. Außer einem Stück trockenen Holzes fand sich aber nichts in Reichweite und mit dem verfehlte ich das Ziel. Jetzt verfiel ich auf den Gedanken, mein Messer an den Büchsenschaft zu binden und aus sicherem Hinterhalte heraus, den Schwanzringen einen Hieb zu versetzen. Das schadete dem Tier nicht viel, konnte es aber zu schleunigster Flucht veranlassen. Schon hatte ich mich soweit abwärts begeben, daß ich den Streich ausführen konnte, als mir eine schaukelnde Bewegung anzeigte, daß die Schlange eine Beute witterte. Richtig kam auch aus dem Grase ein Wildschwein mit acht Jungen, die sich freudig grunzend, der Mutter nach, in den sumpfigen Uferschlamm warfen. Ahnungslos quietschte und grunzte die muntere Schar, während über ihren Köpfen das Reptil auf seine Nahrung lauerte. Naturgesetz – ein Tier dient immer einem anderen zur Nahrung! Aber ich mußte hier zu meinen Gunsten eingreifen. In demselben Augenblick, in dem die Schlange sich auf eines der kleinen Schweine warf, durchschnitt ich mit einem Hieb den letzten Schwanzring, was nun folgte, läßt sich nicht beschreiben. Das Reptil verlor durch den Verlust seines Stützpunktes den Halt und stürzte mit schwerem Falle mitten in die quietschend auseinanderstiebende Herde. Die Mutter griff die Schlange, die ihre Fänge fest in das Fleisch des jungen Tieres geschlagen hatte und es wohl nicht loslassen konnte, mit wütendem Grunzen an. Sie biß ihr zwei, dreimal ins Genick, als ob sie gewußt hätte, daß die Bestie außerstande war, ihre Ringe um sie zu schlagen. Da die Schlange aber ihre Beute nicht fahren ließ und mit dem gelenkigen Leibe hin- und herschlug, daß Schlamm und Wasser hochaufspritzten, griff sie das Mutterschwein nochmals an. Jetzt gab die Schlange den Kampf auf, – ob sie tödlich verwundet worden war, konnte ich nicht feststellen – genug, sie warf sich in den Bach und ließ sich von der Strömung forttreiben. Bald verließ auch die Schweinefamilie den Schauplatz und ich war wieder allein, mit knurrendem Magen und kaum zu bewältigender Schlafsucht.

Wieder schlich eine Stunde dahin. Ich gab die Gefährten bereits verloren und faßte den Entschluß, mit Einbruch der Nacht meinen Weg allein fortzusetzen. Ich schätzte die Entfernung bis zur Stadt auf höchstens vierzig bis fünfzig Kilometer und das war ja keine nennenswerte Entfernung. Mit dem Entschluß kam auch die innere Ruhe wieder. Ich setzte mich gemütlich in meinen natürlichen Armstuhl, befestigte die Büchse in Reichweite meiner Arme und holte eine Zigarre hervor. Ein Gewächs aus Apa, das mir der Indianer in Santa Rosalia zurückgegeben hatte, weil die Sorte ihm zu schlecht war. Zum Vertreiben der Mücken, die schon begannen, ihre Schlafplätze am Ufer zu verlassen, war sie aber immer noch zu gebrauchen. Als ich sie mit Hilfe der Lupe, die als Brennglas wirkt, ausgiebig in Brand gesetzt hatte, qualmte sie ganz nach Wunsch.

Während ich auf meinem luftigen Sitze den Abend oder die Gefährten erwartete, muß ich wohl eingeschlafen sein. Ein fürchterlicher Donner riß mich aus festem Schlummer. Um mich her war tiefe Nacht. Aber gleichzeitig mit dieser Feststellung fühlte ich auch, wie meine Füße ins Leere fielen. Meine Hände griffen instinktiv nach einem Halt. Ein Zweig glitt mir durch die Finger, ich fühlte einen heftigen Schmerz im Oberschenkel und dann schlug ich hart auf den Wasserspiegel auf. Ehe ich aber noch recht wußte, was geschehen war, hatten mich ein paar derbe Fäuste wieder emporgerissen. Die Stimme Lorenzos schlug an mein Ohr:

»Hat er Euch getroffen, Don Fernando? Seid Ihr verwundet?«

»Lorenzo, du! Gott sei Dank, daß du da bist,« ächzte ich mit dem Munde voll des verschluckten Wassers.

»Seid Ihr verwundet? So antwortet doch, Don Fernando?« fragte er nochmal in dringendem Tone.

»Ich weiß es nicht. Ich fühlte irgendwo einen Schmerz ...«

»Die Kanaille! Hätte ich ihn doch erschossen, als er so dicht vor mir stand!«

»Von wem redest du eigentlich? Was ist denn passiert?«

»Der Hund, der Botokude hat doch auf Euch geschossen, wißt Ihr denn das nicht?«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe geschlafen. Dann hörte ich den furchtbaren Donnerschlag ...«

»Das war die Flinte des Botokuden!«

»... und dann muß ich wohl in der Schlaftrunkenheit vom Baum gefallen sein.«

»Nein, nein! Der Kerl zielte auf Euch. Ich habe deutlich gesehen, wie er die Flinte hob.«

»Mag sein. Aber wo ist Aitoka? Das ist einstweilen das Wichtigste.«

»Hier oben im Bach bei den Pferden. Ich sollte Euch holen, mußte mich aber verstecken, weil der schwarze Heide dicht neben mir aus dem Grase auftauchte. Er trug ein mächtiges Schießeisen ...«

»Weiß schon! Der arme Kerl tut mir leid. Der Rückstoß muß ihn bös zugerichtet haben. Aber auf mich schoß er nicht. Der getraute sich nicht, die Donnerbüchse an die Backe zu bringen.«

»Könnt Ihr gehen, Don Fernando? So laßt uns eilen, denn nach dem Schuß wird sogar die Garnison in der Stadt alarmiert werden. Jesus, was muß der da hineingeladen haben!«

»Gehen kann ich, aber ich muß erst meine Büchse haben. Die ist oben im Baume festgebunden. Warte noch ein paar Minuten. Ich bin gleich wieder da!«

Beim Klettern spürte ich wieder den stechenden Schmerz im Oberschenkel. Auch der Hinterkopf schmerzte mich. Aber ich biß die Zähne zusammen und ruhte nicht, bis ich meine Büchse im Arme hatte. Dann glitt ich vorsichtiger hinunter, als vorher. Kaum betrat ich das Flußbett, als Lorenzo mich rasch fort zog, indem er ängstlich auf die Uferbank schaute.

»Rasch, Don Fernando, wir werden verfolgt. – Wenn sie nur die Indianerin nicht finden, bevor wir bei ihr sind.«

»Wer verfolgt uns denn?«

»Weiß der Henker! Erst glaubte ich, es sei Militär. Ich sah etwas Glänzendes. Beim nächsten Baum aber stand der Botokude mit dem Faßboden im Maule ... Hier oben ists auch nicht geheuer ...«

Nach längerem Hasten im Bachbett tauchten plötzlich dunkle Schatten vor uns auf. Der Ruf der aufgescheuchten Ente wies uns den Weg.

»Aitoka!« rief ich, froh, die brave Frau gesund vor mir zu sehen. »Nun aber fort! Ich muß dich in Sicherheit wissen, eher habe ich keine Ruhe.«

Ich hatte vergessen, daß die Indianerin meine Worte nicht verstand. Aber nichtsdestoweniger wußte sie, um was es sich handelte. Sie half uns die Pferde besteigen, dann faßte sie den ersten Gaul beim Kopfe und führte uns lange stromauf. An der Tränke, wo ich frühmorgens in das Wasser gestiegen war, verließ sie das Bachbett und deutete auf einen kaum erkennbaren Pfad, der in der Richtung auf den Rio Paraguay führte. Jetzt schwang sie sich hinter mich aufs Pferd, schnalzte auf eigentümliche Weise und fort ging es in einer Gangart, die ich den schweren Tieren gar nicht zugetraut hätte. – Nach etwa halbstündigem Ritt lenkte Aitoka die Pferde durch Zuruf links in einen Wald und bald tauchten die Umrisse eines durch Feuersbrunst zerstörten massiven Gebäudes auf. Hier sprangen wir von den Gäulen.

»Hier haben wir den Tag verbracht,« sagte Lorenzo, als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. »Nur kamen wir von der anderen Seite.«

»Warum habt Ihr mich denn nicht früher geholt?« fragte ich mit leisem Vorwurf.

»Die Indianerin wollte nicht. Der Grasbusch muß von feindlich gesinnten Menschen wimmeln. Ob es Rote oder Weiße sind, habe ich nicht erfahren können. – Aber jetzt eßt vor allen Dingen einmal. Die Frau hat den ganzen Tag gebraten. Fleisch und Fische. Weiß der Himmel, woher sie das nahm. – Geht nur hinein. Da drinnen scheint das Braten wieder zu beginnnen ...«

»Wenn man nur den Feuerschein nicht sieht!«

»Unmöglich. Die Roten haben hier eine Art Festung eingerichtet. Bei Tage sieht man den ganzen Rio, aber kein Mensch findet den Eingang zu diesem alten Gemäuer. Wenn wir hier die Nacht ungestört schlafen können, weiß ich einen, der morgen abend in Confluencia seinen Maté saugt.«

Aitoka winkte uns. Unter ihrer Führung betraten wir einen Raum, der sicher einmal als Kasematte angelegt worden war. Hier brannte ein helles Feuer, an dem ein Fleischstück schmorte. In einer Ecke lagen zahlreiche Holzklötze. Einen davon holte sie zum Feuer. Er vertrat die Stelle des Stuhles und wurde verbrannt, wenn Mangel an Brennholz herrschte. Auf einem Pisangblatte brachte mir Aitoka einen kalten gebratenen Fisch, der mir großartig mundete. Als der verzehrt war, mußte ich einen gebratenen Vogel, ebenfalls kalt, essen und nachdem auch dieser in unglaublich kurzer Zeit seiner Bestimmung zugeführt war, kam der am Feuer röstende Braten an die Reihe. Jetzt erst ließ die Indianerin auch Lorenzo zur Mahlzeit zu. Gleichzeitig bediente sie sich selbst. – Das Mahl zog sich in die Länge, weil die Frau fast alle fünf Minuten aufsprang und in der Dunkelheit verschwand. Ich wartete dann mit dem Weiteressen, bis sie wiederkam, was ihr sichtlich schmeichelte. – Das reichliche Essen wurde mit Flußwasser befeuchtet. Der Inhalt der Feldflasche war längst verbraucht.

Dann überfiel mich eine schwere Müdigkeit. Ich taumelte nach den aufgehäuften Fellen und warf mich dort sofort nieder. Ich war bereits halb eingeschlafen, als ich Lorenzo gute Wache empfahl, und ihm nahelegte, mich drei Stunden später wieder zu wecken. Ich wollte mich natürlich mit den beiden Kameraden in die Wache teilen. Aus den drei Stunden wurden aber mindestens sechs. Als ich Lorenzo darüber zur Rede stellte, behauptete er, sich vor drei Stunden alle Mühe gegeben zu haben, mich aus meinem todähnlichen Schlafe in die Wirklichkeit zurückzurufen. Ich hätte aber auf nichts reagiert und so hätte denn Aitoka auch meine Wache mit übernommen.

Die Indianerin braute in einem Kessel eine duftende Schokolade, die Lieblingsnahrung der Indianer der tropischen Zone. Wie sie in den Besitz derselben gekommen war, konnte ich nicht erfahren. Ich machte mir auch wirklich keine Gedanken darüber, sondern verzehrte das eigenartige Mahl, – es gab zur Schokolade kaltes Fleisch und Bananen, – mit gutem Appetit. Bevor noch die ersten Dämmerungsstreifen am Horizont erschienen, trieb uns Aitoka zum Aufbruch. Noch lag der Wald im tiefen Schlafe. Tautropfen hingen wie dicke Glasperlen an den Zweigen und vom Flusse her wehte ein sehr frischer Wind, der uns vor Kälte zittern machte. Solange wir uns im Schutze der Mauern befanden, konnten wir uns noch unterhalten. Hauptsächlich drehte sich unser Gespräch um den vor uns liegenden Weg und um das Verhalten bei einem Zusammentreffen mit Indianern. Die Soldaten, vor denen Lorenzo eine gewisse Scheu an den Tag legte, beunruhigten mich nicht im geringsten. Mit denen wollte ich schon fertig werden. Ich verstand es, mein Deutschtum in der Fremde zur Geltung zu bringen und es vor allen Dingen auch respektieren zu lassen.

»Wie verhalten wir uns aber, wenn Indianer uns in den Weg laufen?« erkundigte sich Lorenzo.

»Dann muß Aitoka uns raten. Sie kennt die Stämme und weiß, ob wir Freund oder Feind gegenüberstehen.«

»Freunde werden wir verdammt wenige unter den Rothäuten haben,« meinte Lorenzo. »Die beiden Individuen, die uns zu diesem genußreichen Ausflug verholfen haben, vielleicht ausgenommen. Selbst Euer Bekannter, der Cirino, hat sich entfernt, ohne auch nur Grüß Gott zu sagen. – Warum ächzt Ihr denn fortwährend, Don Fernando. Habt Ihr Schmerzen?«

»Ja, hier der Oberschenkel schmerzt empfindlich. Ich glaube sogar, er ist geschwollen. Ob ich gestern doch etwas aus der Donnerbüchse abbekommen habe?«

»Mann, das sagt Ihr erst jetzt? Das hätten wir doch schon gestern abend untersuchen müssen. Wenn nun eine Kugel oder ein Stück Eisen in der Wunde steckt?«

»Bevor es nicht hell wird, läßt sich da nichts machen, Lorenzo. Es war leichtsinnig von mir, die Wunde nicht zu beachten, aber ich hatte sie tatsächlich über der Müdigkeit vergessen. – Aber jetzt Ruhe! Seht, die Indianerin legt den Finger auf den Mund und deutet auf den Boden.«

Der harte Waldboden war inzwischen einer sumpfigen Landschaft gewichen. Hochstämmige Wasserpflanzen und langes Schilfrohr mahnten zur Vorsicht. Bevor Aitoka sich in dieses Gelände wagte, ließ sie uns bis an ihre Seite reiten. Sie nahm mein Pferd wieder am Kopfe, warf einen prüfenden Blick auf die sich im wachsenden Dämmerlicht rot färbenden Gipfel der majestätischen Baumriesen am Flusse, und schärfte auch Lorenzo durch Gebärden ein, gut auf den Boden zu achten.

Die Mahnung war nicht überflüssig. Selbst die Pferde tasteten lange mit den Vorderhufen, bevor sie sich entschlossen, den nur sehr schmalen Streifen festen Bodens zu betreten, der anscheinend die einzige Möglichkeit bot, sich in dem Sumpfe fortzubewegen. Und auch diese Rippe schaukelte unter unseren Tritten, die uns von Minute zu Minute braunes Sumpfwasser über die Glieder warfen. Bald waren wir von hohen Schilfstengeln umgeben und kein Beobachter hätte uns hier entdecken können. Aber je weiter wir in diesen Sumpf eindrangen, desto mehr setzten uns die Moskitos und Stechmücken zu. Dichte Wolken der gefürchteten Blutsauger fielen über uns her, als wir dann in einen Teil des Sumpfes gerieten, in dem uns der vom Boden aufsteigende Modergeruch fast den Atem raubte. Gerade an dieser Stelle hielt die Indianerin, die trotz ihrer mangelhaften Bekleidung nichts von den Stichen der Plagegeister zu spüren schien, die Pferde an. Sie deutete auf einen tiefschwarzen Wassertümpel, auf den der erste Sonnenstrahl einen blutigen Schimmer gelegt hatte, und sagte nur das eine Wort »Nacaré!«

»Das hat uns noch gefehlt!« rief ich aus. »Gerade hier muß es Krokodile geben, wo die Moskitos jedes ruhige Zielen zur Unmöglichkeit werden lassen! Was machen wir nun?«

Die Frage galt der Indianerin, um deren Lippen ein Lächeln spielte. Lorenzo antwortete an ihrer Statt:

»Durch müssen wir, Don Fernando. Treffen wir eine solche Bestie auf unserm Wege, dann gebt ihm eine Kugel ...«

»Und wenn ich sie fehle? Bei der Mückenplage ist das gar nicht so unmöglich!«

»Hm! Ihr dürft eben nicht fehlen ... Und schließlich ist es einerlei, ob uns diese verdammten Mücken fressen oder die Yacarés. Wenn wir noch ein paar Minuten hier stehen bleiben, begehe ich Selbstmord! ... Vorwärts, Aitoka!«

Der Ruf begleitete die bezeichnende Geste, aber das Weib verneinte nur:

»Yacaré ... Don Fernando ... buum!« sagte sie und zeigte auf einen dunklen Haufen, der etwa fünfzig Meter vor uns auf der braunen Rippe lag.

»Herr des Himmels! Da liegt ja ein halbes Dutzend der Reptile gemütlich vor uns!« rief ich, nachdem ich den Weg abgesucht hatte. »Nun heißt es Glück haben. Wenn ich nur einen tötlich treffe, hoffe ich, uns für ein paar Minuten freie Bahn zu schaffen!«

Ich hob die Büchse. Lorenzo aber fiel mir in den Arm. »Halt, Don Fernando! Wenn wir uns hier auch den Weg frei machen, wie wird es nachher? Wenn wir vor und hinter uns die Bestien haben, dann sind wir erst recht in der Falle.«

Ich konnte mich den Gründen nicht verschließen. Unter Zuhilfenahme der Zeichensprache richtete ich diese Frage an die Indianerin, die rasch begriff. Auf ihre verneinende Antwort hin glitt ich vom Pferde. Beinahe wäre ich bei der Gelegenheit in der braunen Brühe verunglückt, denn ich rutschte aus und fuhr mit dem rechten Bein bis ans Knie in den Morast. Zum Glück erwischte ich noch ein Hinterbein des Gaules und konnte mich so wieder auf den Grat hinauf schwingen. – Neben Aitoka stand ein blattloser, knorriger Weidenstamm. Auf dessen Ast legte ich die Büchse auf und zielte auf einen weißen Punkt, der sich mir als Ziel darbot. Traf ich gut, dann war ein Nacaré erledigt, denn zwischen Brust und Beinansatz kann die Kugel in den Körper eindringen. – Mehrmals mußte ich absetzen, um mir die Myriaden von Blutsaugern aus Nase und Augen zu wischen. Endlich glaubte ich es wagen zu können. Mit dem Schuß hob sich das Krokodil steil in die Höhe, schnappte mit dem furchtbaren Rachen und fiel klatschend in den Sumpf, die ganze strupige Gesellschaft mit sich reißend.

»Bravo, Don Fernando!« lobte Lorenzo und auch Aitoka betrachtete mich mit scheuer Bewunderung. »Ist der Weg jetzt frei?« fragte er die Frau, die verneinte und noch zwei Finger hob.

»Was? Noch, zwei soll ich schießen?« mimte ich.

Auf ihr bejahendes Zeichen suchte ich mir jetzt im Sumpfe ein Ziel. Aber nur ein einziger Kopf kam empor und dieser blieb nicht lange genug über Wasser, um ihn sicher zu treffen. Vorsichtig machte ich ein paar Schritte gegen den Tümpel, aber gleich war die Indianerin hinter mir und zog mich zurück. Sie ahmte nun den Schrei eines jungen Schweines nach. Sofort tauchten ein paar lange Köpfe empor und ruderten gegen den Grat. Ein alter Herr setzte sogar die Vorderbeine auf den Rand. Zu seinem Verderben! Auf die Entfernung konnte ich gar nicht fehlen. Unter denselben Erscheinungen wie sein Vorgänger sank auch dieses Reptil in das nasse Grab. Die Indianerin hob den Finger und schrie nochmals. Diesmal fand sie weniger Gegenliebe. Nur zwei Krokodile streckten die Köpfe aus dem Wasser. Sie ließen sich auch nicht zum Näherkommen bewegen, als die Frau das Geschrei fortsetzte. Ich zielte zum drittenmale. Ob ich das Tier zu Tode verwundet hatte, konnte ich nicht feststellen. Aus dem Tumult, der aber jetzt da unten entstand, schloß ich, daß auch dieses Nacaré einen Denkzettel erhalten hatte.

Aitoka streichelte mir vor Freude die Wange und lud mich ein, wieder aufzusitzen. Da mir das aber, eingedenk des Unfalles beim Absitzen, zu gewagt erschien, setzte ich mich an die Spitze des Zuges. – Davon aber wollte sie wiederum nichts wissen. Sie schob mich beiseite, drückte mir die Trense in die Hand und winkte uns zu folgen. Im halben Laufschritt ging es nun durch die gefährdete Sumpfpartie und da die Moskitos aus unsern Gesichtern schon ziemlich unförmige Klumpen geformt hatten, ließen sie uns fernerhin in Ruhe. Wir waren wohl ausgesogen.

Endlich fühlten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Hochstämmiger Wald nahm uns auf. Wir sahen in der Ferne die rasch fließenden Wasser des Rio Paraguay und vernahmen das Stoßen eines stromauf keuchenden Dampfbootes.

»Gott Lob, daß wir es überstanden haben!« rief Lorenzo aus vollster Brust. »Nun kann die Stadt doch nicht mehr fern sein!«

»Woraus schließest du das?«

»Hm – ja. Ich meine es ... so muß es doch sein!«

Aber wir mußten noch einmal im Freien abkochen, bevor wir in weiter Ferne den Kirchturm des Städtchens entdeckten. Und dann begannen neue Schwierigkeiten.

Kurz nach unserm Aufbruch machte der Wald einer Steppe Platz, die uns keinerlei Deckung bot. Die Indianerin versuchte auch im Schutze des Waldes an das schilfreiche Flußufer zu gehen. Dem widersetzte sich aber Lorenzo, der, wie gesagt, schon von einer Anhöhe den Kirchturm der Stadt gesehen hatte:

»Mit den Pferden sind wir in einer Stunde da,« rief er. »Warum machen wir den Umweg? Hier tut uns kein Mensch etwas zuleide.«

Aber die Indianerin will nicht auf dem direkten Wege zur Stadt gehen,« antwortete ich. »Wir müssen Rücksicht auf sie nehmen, um so mehr, als sie uns ihre vielleicht schwerwiegenden Bedenken nicht sagen kann.«

»Ach was. Das Weib mag nur nicht am hellen Tage in ihrer Tropenkleidung, oder wie sie das einzige Kleidungsstück, den Bastgürtel, sonst nennen will, in die Stadt gehen. Darauf brauchen wir doch keine Rücksicht zu nehmen.«

»Gewiß müssen wir das, Lorenzo. Ich habe noch gar nicht daran gedacht, daß Aitoka ja keine Kleider hat. In dem Zustande darf sie sich auch gar nicht in der Stadt sehen lassen. Sie würde sofort verhaftet werden. Komm, folgen wir der Frau.«

»Nein, Don Fernando, das hieße Gott versuchen. Er hat uns bis hierher geführt und nun soll ich mit der Stadt vor Augen nochmal in die Wildnis? Das könnt Ihr nicht verlangen.«

Ich sah ein, daß keine Ueberredung ihn zurückhalten würde. Darum gab ich es auf, weiter in ihn zu dringen. »So gehe mit Gott, Lorenzo. Wenn du zur Stadt kommst, kaufe bei dem nächsten Händler ein Indianerhemd und bringe oder sende es mit dem Pferde hierher. Wir erwarten dich hier oder doch in der Nähe. In höchstens drei Stunden, also lange vor Dunkelwerden, kannst du wieder zurück sein.«

Er sah mich verblüfft an, als ich so mit ihm sprach und antwortete: »Ihr kommt doch mit, Don Fernando? Die Indianerin kann ja nachkommen, wenn es dunkel ist ...«

»Schäme dich, Lorenzo. Dankst du dem Weibe so ihre Aufopferung? Was wäre aus dir geworden, wenn Wako und Aitoka dich nicht unter ihren Schutz genommen hätten?«

»Mag sein! Aber ich will ja auch wiederkommen, nur laßt mich jetzt in die Stadt. Ich muß heraus aus diesem wilden Busch, sonst werde ich verrückt!«

»So reite doch! Ich halte dich nicht. Wenn du aber noch einen Funken Dankbarkeitsgefühl hast, dann sende mir das Kleid für das arme Weib – und zwar je eher, je besser.«

Mit diesen Worten gab ich meinem Pferde einen leichten Schlag und galoppierte hinter Aitoka her, die eben den Schilfsaum des Ufers erreichte. – Sie empfing mich mit erstaunten Blicken. Als ich ihr begreiflich machte, daß Lorenzo uns verlassen hatte, geriet sie in Aufregung.

»Soldaten – Botokuden!« rief sie und stieß einen gellenden Ruf aus.

Aber Lorenzo hatte seine Ungeduld nicht mehr zügeln können. Er jagte quer durch die Steppe und schon nach wenigen Minuten war er in einer Geländefalte untergetaucht.

Als Aitoka sah, daß Lorenzo auf ihren Ruf nicht mehr hörte, ergoß sich ein Wortschwall über mein Haupt, aus dem ich nur entnehmen konnte, daß sich auf unserm Wege Botokuden oder Soldaten, vielleicht auch beide, aufhielten. Ich bemühte mich ihr begreiflich zu machen, daß Lorenzo nur zur Stadt geritten sei, um eines der behördlich vorgeschriebenen langen Hemden oder Kittel für sie zu holen. Die dabei angewandten Pantomimen und Gesten wirkten aber so drollig, daß wir am Ende alle beide zu lachen anfingen.

«Eine Stunde lang wanderten wir am Rande des Schilfbruches langsam nordwärts. Von Zeit zu Zeit trug uns der südliche Wind dumpfe Töne zu, aus denen ich schloß, daß man am Galban noch im Kampfe lag. Aber auch vom Flusse her störte uns ein Geräusch, über das wir uns beide nicht schlüssig werden konnten. Aitoka legte öfters die Finger auf den Mund, zog mich tiefer in das Schilf und verschwand dann auf einige Minuten. Sie mußte aber wohl keine Gefahr sehen, denn stets trug sie bei ihrer Rückkehr die gleich heitere Miene zur Schau.

Plötzlich schnaubte mein Pferd, spitzte die Ohren und versuchte die Steppe zu gewinnen. Wie ein Wiesel lief Aitoka an dem nächsten Stamm empor, schaute eine Weile rings um sich und kam dann wieder an meine Seite. Auf meinen fragenden Blick antwortete sie lakonisch:

»Lorenzo!« Der Finger deutete in die Steppe.

»Wie? Schon zurück?« rief ich, gestand mir aber in der nächsten Sekunde, daß das unmöglich war. So rasch konnte er noch nicht in der Stadt gewesen sein. Ein ganz besonderer Grund mußte ihn zur Rückkehr bewogen haben.

Ich blieb nicht lange im Unklaren, wir sahen ihn in gestrecktem Galopp über die Steppe daherjagen. Immer mehr trieb er das Pferd an ...

Da stieß die Indianerin wiederum den gellenden Ruf aus. Diesmal erreichte sie ihren Zweck. Aber nicht Lorenzo, sondern das Pferd hatte die bekannten Laute vernommen und ließ sich jetzt nicht mehr halten. Im rechten Winkel bog es, trotz des Protestes seines Reiters, ab und bald entdeckte auch Lorenzo unsern Standort. Halbtot vor Aufregung sprang er ins Gras und stieß die Worte hervor:

»Soldaten! Sie kommen hierher – fort!«

»Und deshalb reitest du das arme Tier zu Tode?« fragte ich den keuchend im Grase Liegenden. »Die Soldaten haben wir doch nicht zu fürchten.«

»Ich doch! Laßt uns fliehen. Eilt Euch ...«

Die Worte waren von so flehenden Blicken begleitet, daß ich ihm zustimmte. Erst sollte er sich aber ausruhen, denn in dem Zustande, in dem er sich befand, hätte er keinen noch so kurzen Ritt mehr ausgehalten. Er sah das auch selbst ein, bat mich aber, scharf über die Steppe zu spähen und beim ersten Auftauchen der Soldaten mit ihm in das hohe Gras zu fliehen.

Die Indianerin kam von einem ihrer Erkundungsgänge ins Schilf mit einer geheimnisvoll geflüsterten Meldung zurück, von der wir aber kein Wort verstanden. Nur schlossen wir aus der Art ihrer Mitteilung, daß wir jedes Geräusch vermeiden mußten. Wir hörten auch öfter ein Krachen und Knacken in dem Schilfbruch, das uns zu größter Vorsicht mahnte. Keines von uns rührte ein Glied, sogar der Atem wurde in solchen Momenten angehalten.

Leider unterließen wir eine dringend notwendige Maßregel. Wir vergaßen unsere Pferde. Sie wurden zum Verräter, denn der große Braune stieß geräuschvoll die Luft durch die Nüstern, und als Aitoka dies verhindern wollte, war es schon zu spät. Die Schilfrohre wurden auseinandergebogen und dem Laufe eines Gewehres folgte ein brauner Kopf, den ein Käppi krönte ...

»Ah, caramba!« stieß er überrascht hervor, als er meiner ansichtig wurde. Denn kaum hatte ich die Bewegungen des Schilfs richtig erkannt, da stand ich auch schon mit der Büchse im Anschlag neben dem Pferde. Ich rief ihn an.

» Adelante, muchacho! Komm nur heraus aus deinem Versteck. Hier sind weiße Männer, Fremde, die du nicht zu fürchten brauchst.«

Der Bursche traute jedoch der Einladung nicht. Er stieß einen eigentümlichen Ruf aus, der von verschiedenen Seiten beantwortet wurde und in wenigen Minuten bekam der Rohrbruch Leben. – Vor und neben uns sammelten sich sechs Regierungssoldaten, die von einem Erstaunen ins andere fielen, als ich sie freundlichst aufforderte, ihre Gewehre zusammenzustellen und mir auf einige Fragen Antwort zu geben. Bis auf zwei schienen sie auch meinen Wünschen nachkommen zu wollen, denn wo wäre der südamerikanische Krieger, der nicht jede Gelegenheit benutzt, um sich vom Dienst zu drücken. Die beiden aber, die dem Abzeichen nach einen höheren Grad besaßen, behielten das Gewehr schußbereit in der Hand. – Das wollte ich nicht dulden.

»Nun, wollt ihr meinem Befehle nicht folgen?« fragte ich sie und bemühte mich eine strenge Miene aufzusetzen. »Wißt ihr nicht, daß ich ein Deutscher bin, der unter dem Schutze eures Präsidenten reist? Legt die Gewehre beiseite!«

Die beiden Helden mochten nun doch wohl fürchten, eine Dummheit zu begehen, wenn sie dem energischen Weißen nicht gehorchten. Sie sahen sich fragend in die Augen. Erst auf eine wiederholte Mahnung stellten auch sie die Gewehre an einen Baum.

Ich begann sie auszufragen, wobei ich immer den »Herrn« herauskehrte:

»Hat euer Kommandant euch nicht gesagt, daß ich mit meinen Leuten auf dem Wege nach Confluencia auf militärische Bedeckung warte? Oder sollt ihr euch bei mir melden?«

Jetzt endlich taute der Chargierte auf. Er stellte sich militärisch stramm vor mich hin und erwiderte:

»Wir sind Kundschafter, General. Unser Kapitän Garros hat uns nichts davon gesagt, daß wir einen deutschen General abholen sollen.«

»Dann ist mein Bote direkt nach Confluencia gegangen. Dort kommandiert doch General Pereira?«

Ich hatte den Namen in Asuncion nennen hören und benutzte jetzt diese Kenntnis, um uns, besonders Lorenzo, aus der Schlinge zu ziehen. Der Unteroffizier antwortete:

»Nein, General. In der Stadt hat General Maturin den Oberbefehl übernommen. Er kam vor drei Tagen an.«

»Ah, daher die Verspätung! Jetzt hört Sergeant! Mein ganzes Gepäck ist unterwegs von Santa Rosalia ...«

»Dann wird es verloren sein,« unterbrach er mich eifrig. »Bei Santa Rosalia haben die Indianer eine Kompanie angegriffen. Dort wird noch gekämpft.«

»Das weiß ich. Wir mußten vor den Rothäuten fliehen. Wenn meine Dienerin Aitoka nicht gewesen wäre, hätte man uns auch längst ermordet ... Aber hört. Sendet einen Mann mit einem Zettel von mir zu Euerm Kapitän und verlangt von ihm einen Indianerkittel oder einen Anzug, damit ich mit meiner Dienerin noch heute in die Stadt reiten kann.«

Ich nahm aus meinem Taschenbuch ein Blatt und schrieb das Gewünschte auf. Dann fuhr ich fort:

»Hier ist der Zettel und hier sind zwei Fünfpesoscheine. Einer ist für den Boten und der andere für das Kleidungsstück. Wenn der Bote in einer halben Stunde wieder hier ist, gebe ich nochmals fünf Pesos. – Verstanden?«

»Sehr wohl, General. Ich werde selbst gehen,« sagte nun der Unteroffizier, während sich seine Soldaten mit gierigen Augen um ihn drängten und leise, aber desto eifriger auf ihn einsprachen. Der Unteroffizier griff sein Gewehr auf und sprang hastig davon. Ihm nach die ganze Gesellschaft.

Als sich das Schilf hinter den Soldaten geschlossen hatte, mußte ich herzhaft lachen. Lorenzo blickte scheu zu mir auf:

»Ihr seid General, Don Fernando?« fragte er ehrerbietig.

»So wenig wie du, Lorenzo,« gab ich lachend zurück.

»Aber Ihr habt es doch dem Kapitän aufgeschrieben!«

»Allerdings. Aber erstens zweifle ich, ob der Kapitän überhaupt lesen kann und zweitens wird er den Zettel nie erhalten. Schon wegen der fünf Pesos für das Kleid.«

Dann bekommt Aitoka keinen Indianerkittel?«

»Gewiß! Aber nicht durch den Kapitän. Das Geschäft macht der Unteroffizier für eigene Rechnung. Einen Drillichanzug wird er schon auftreiben und wenn er ihn stehlen müßte.«

Meine Prophezeiung traf ein. Der Unteroffizier kehrte allein zurück. Er brachte ein Beinkleid und einen Rock aus Leinen – beides für einen Mann bestimmt. Mit der geringschätzenden Gebärde, mit der der Soldat die Rothäute zu behandeln pflegt, warf er Aitoka die Kleidungsstücke in den Schoß und sagte ihr in ihrer Sprache, daß sie sich ankleiden solle, sonst dürfe sie nicht in die Stadt. Vor mich hintretend, sagte er darauf:

»Mein Kapitän kann leider nicht selbst kommen. Ich darf aber den Herrn General bis auf die Straße begleiten ...«

Da das aber nicht in meinem Interesse lag, dankte ich ihm, bat ihn aber, uns den nächsten Weg zu zeigen und legte bei der Gelegenheit einen weiteren Fünfpesoschein in seine Hand. Unter vielen Dankesbezeigungen führte er uns auch durch die Vorpostenkette hindurch und nahm dann militärisch Abschied.

»So, jetzt sind wir gerettet!« rief ich erleichtert aus, als ich mich auf den Rücken des Pferdes schwang. Nun komm, Aitoka, setze dich hinter mich und dann Galopp.«

Die Indianerin nahm sich in dem Anzuge gut aus. Die uns auf der Straße begegnenden Reiter nahmen kaum Notiz von ihr. Als die Sonne sich hinter den Bäumen des Chaco versteckte, ritten wir in die Stadt Confluencia ein. Bald war auch das Haus des Don Emilio gefunden, wo wir mit größtem Erstaunen, aber auch freundlich aufgenommen wurden. Der alte Mann konnte es gar nicht fassen, daß wir ungefährdet vom Galban heraufgekommen waren. Er sagte:

»Gestern war ein Matrose hier, der Ihr Gepäck abliefern sollte. Er glaubte, Sie seien von den aufständischen Indianern ermordet worden und verlangte zehn Pesos von mir, die ich ihm gab. Heute früh nun begehrte er auch Ihre Reisesäcke ... aber ich bin überzeugt, daß ihm meine Antwort alle Erbschaftsgelüste für alle Zeiten vertrieben hat.«

In Don Emilio fand ich einen Landsmann, der schon lange in Paraguay ansässig war und viel von den Reibereien zwischen Indianern und Weißen zu erzählen wußte. So heftig, wie gerade jetzt, seien aber die beiden Rassen noch nie aufeinandergeplatzt.

»Den armen Indianern reißt schließlich die Geduld, wenn sie fast alle Jahre von ihren kaum errichteten Dörfern wieder verjagt werden. Kann man ihnen das verdenken?«

Als ich fünf Tage später meine Reise fortsetzen wollte, kam Wako bei Nacht auf den Hof und wurde ebenso liebevoll aufgenommen, als ich. Von ihm erfuhr ich, daß Cirino am Rio Galban gefallen war. Am folgenden Abend überschritt ich die brasilianische Grenze.