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Der Dichter.

Die Leute, die bei uns als Sachverständige in ästhetischen Dingen angesehen werden, sind häufig Personen, die sich eine gewisse Kenntnis der meistbewunderten Gemälde und Bildhauerwerke verschafft haben und eine Vorliebe für alles Elegante besitzen; wenn man aber nachforscht, ob ihr eigener Geist den Forderungen ästhetischer Schönheit gerecht wird, ob ihre Handlungen schönen Gemälden gleichen, dann zeigt sich, daß sie gewöhnliche sinnliche Egoisten sind. Ihre Bildung ist eine lokalisierte, gleichwie, wenn man ein Stück trockenen Holzes an einer Stelle reibt, um Feuer zu erzeugen, das ganze übrige Scheit kalt bleibt. Ihre ganze Kennerschaft in den schönen Künsten besteht in der Kenntnis einiger Regeln und fachlicher Details oder in einem gewissen, meist sehr beschränkten Urteil über Farbe und Form, das teils zur Unterhaltung, teils zum Prunke ausgeübt wird. Wie flach der Schönheitsbegriff ist, der im Geiste unserer Kunstliebhaber lebt, geht schon daraus hervor, daß den Menschen ganz die Erkenntnis verloren gegangen scheint, wie unmittelbar alle Form vom Geiste abhängig ist. In unserer Philosophie fehlt die Lehre von den Formen. Wir werden in unsere Leiber gethan wie Feuer in eine Pfanne, um darin umhergetragen zu werden; niemand ahnt, wie genau Geist und Organ einander entsprechen, noch weniger, daß das letztere stets nur eine Sprießung des ersteren ist. Die intelligenten Leute glauben auch nicht mehr an irgend eine wesentliche Abhängigkeit der materiellen Welt von Geist und Willen. Selbst Theologen halten es für ein hübsches Luftgebäude, wenn sie von der geistigen Bedeutung eines Schiffes, einer Wolke, einer Stadt oder eines Vertrages sprechen, auch sie ziehen es vor, auf den soliden Boden historischer Beweise zurückzukehren; und selbst unsere Poeten begnügen sich mit einer bürgerlichen, ausgeglichenen Lebensweise und schreiben ihre Poeme aus der Phantasie in sicherer Entfernung von ihrer eigenen Erfahrung nieder. Aber die höchsten Geister der Erde haben niemals aufgehört, die doppelte Bedeutung oder besser die vier-, ja hundert- und noch viel mehrfache Bedeutung jeder sinnfälligen Erscheinung zu prüfen: Orpheus, Empedocles, Heraklit, Plato, Plutarch, Dante, Swedenborg und alle Meister der Skulptur, der Malerei, der Poesie. Denn wir sind keine Pfannen und Becken für das Feuer, ja nicht einmal Leuchter und Fackelträger, sondern Kinder des Feuers, daraus geschaffen, ja nichts anderes als Metamorphosen dieser Gottheit, zwei, drei Phasen von ihr entfernt, wenn wir es am wenigsten ahnen. Und diese verborgene und verkannte Wahrheit, daß die Quellen, aus denen der ganze Strom der Zeit mit all seinen Geschöpfen flutet, ihrem innersten Wesen nach von idealer Natur und schön sind, führt uns dahin, die Natur und Aufgaben des Poeten oder Schönheitsmenschen zu untersuchen, die Mittel und das Material, die er gebraucht, und den Zustand, in welchem seine Kunst in der gegenwärtigen Zeit sich befindet.

Es ist das ein gewaltiges Problem, denn der Poet ist ein Repräsentant der Menschheit. Er steht unter all den unzähligen Teil-Menschen für den vollkommenen Menschen, er lehrt uns nicht seinen Reichtum, sondern den aller kennen. Der junge Mann verehrt geniale Menschen, weil, die Wahrheit zu sagen, sie mehr er selbst sind als er. Sie wie er empfangen vom Geiste, aber sie mehr. In den Augen liebender Menschen gewinnt die Natur an Schönheit, daß zugleich durch die Vorstellung mit ihnen der Dichter ihre Herrlichkeiten betrachtet. Er steht isoliert unter seinen Zeitgenossen durch die Wahrheit und durch seine Kunst, aber mit dem Troste, daß sein Streben alle Menschen früher oder später unwiderstehlich nach sich reißen wird. Denn alle Menschen leben von der Wahrheit und bedürfen des Ausdrucks. In Liebe und Kunst, in Habgier und Politik, in Spiel und Arbeit suchen wir unser schmerzliches Geheimnis zu offenbaren. Jeder Mensch ist nur halb er selbst, die andere Hälfte ist sein Ausdruck!

Aber trotz all diesem Ringen nach Offenbarung gelingt es uns fast nie, uns wirklich auszusprechen. Ich weiß nicht woher es kommt, daß wir stets eines Dolmetschers bedürfen; aber die große Mehrzahl der Menschen scheint aus Minorennen zu bestehen, die in den Besitz ihres eigenen Vermögens noch nicht gelangt sind, oder aus Stummen, die, was die Natur ihnen anvertraut, nicht wiedergeben können. Es giebt keinen Menschen, der nicht einen übersinnlichen Zweck der Sonne und Sterne, der Erde und des Wassers voraussetzen würde. Sie stehen da, sie warten darauf, ihm besondere Dienste zu leisten. Aber in unserem Bau muß irgend ein Hemmnis liegen oder ein Übermaß von Trägheit, sodaß sie nicht zur vollen Wirkung und Geltung kommen. Die Eindrücke der Natur treffen uns zu schwach, um Künstler aus uns zu machen. Bei jeder Berührung müßte es in uns hallen und beben. Jedermann sollte soweit ein Künstler sein, daß er wenigstens im Gespräch wiedergeben könnte, was mit ihm und in ihm vorgeht. Aber unserer Erfahrung gemäß haben die Strahlen oder Eindrücke wohl Kraft genug, um bis zu den Sinnen zu gelangen, aber nicht genug, das Motorische zu erreichen und ihre eigene Reproduktion in Worten zu erzwingen. Der Dichter nun ist der Mensch, in dem diese Kräfte im Gleichgewicht sind, der Mensch, in dessen Bau kein Hemmnis liegt, der klar sieht und beherrscht, wovon die andern nur träumen, der die ganze Skala der Erfahrungen durchmißt und so zum Repräsentanten der ganzen Menschheit wird, weil ihm die gewaltigste Fähigkeit, zu empfangen und mitzuteilen, eigen ist.

Denn das Weltall hat drei Kinder, die, zu einer Zeit geboren, unter verschiedenen Namen in jedem Denksystem auftreten, mag man sie nun Ursache, Wirkung und Folge nennen, oder poetischer: Jupiter, Pluto und Neptun, oder theologisch: den Vater, den Geist und den Sohn, die wir aber hier den Wisser, den Thuer und den Sager nennen wollen. Diese drei bedeuten bezüglich die Liebe zum Wahren, die Liebe zum Guten, die Liebe zum Schönen. Sie sind einander gleichwertig, und jeder ist das, was er ist, wesentlich, sodaß er weder übertroffen noch analysiert werden kann, und jeder der drei trägt die Fähigkeit der beiden anderen latent in sich, während seine eigene frei wirkt.

Der Poet ist der Sager, der Nenner, und repräsentiert die Schönheit. Er ist ein Souverän und steht im Centrum des All. Denn die Welt ist nicht etwa bemalt oder ausgeschmückt, sondern schon vom Anfang bis zum Ende, und Gott hat nicht eine Anzahl schöner Dinge (neben anderen häßlichen) geschaffen, sondern Schönheit ist die Schöpferin des All. Daher ist auch der Dichter kein Herrscher von fremden Gnaden, sondern König aus eigenem Recht. Unsere Kritik ist von einem materialistischen Geschwätze angesteckt, das da behauptet, manuelle Fertigkeit und Thätigkeit sei das erste Verdienst aller Menschen, und alle jene geringschätzt, welche sagen und nicht thun, wobei sie übersieht, daß einige Menschen, und zwar die Poeten von Natur aus, Sager sind, die in die Welt gesandt worden sind, um ihr Ausdruck zu geben, und nicht mit jenen verwechselt werden dürfen, deren eigentliches Gebiet die Aktion ist, das sie aber verlassen, um die Sager nachzuahmen. Aber Homers Worte sind für Homer nicht weniger köstlich und bewundernswert als Agamemnons Siege für Agamemnon. Der Dichter wartet nicht auf den Helden oder Weisen, sondern so wie für sie das Handeln oder Denken das Primäre ist, so für ihn das Schreiben, und somit schreibt er das, was ausgesprochen werden wird und muß, wobei er die anderen, obgleich sie an sich primär sind, mit Rücksicht auf sich als sekundäre Erscheinungen und Diener ansieht, gleichwie Modelle im Atelier eines Malers, oder Gehilfen, die einem Architekten das Material für sein Gebäude herbeischaffen.

Denn Poesie war längst geschrieben, bevor es eine Zeit gab, und wenn wir so feine Organe haben, daß wir in jene Regionen dringen können, wo die Luft Musik ist, dann vernehmen wir jene ursprünglichen Melodien und versuchen auch wohl, sie niederzuschreiben, aber hier und da entfällt uns ein Wort, ein Vers, und wir setzen etwas Eigenes dafür ein und so verderben wir das Gedicht. Menschen von feinerem Ohr schreiben diese Melodien treuer nieder, und ihre Transkripte, ob unvollkommen, werden die Lieder der Nationen. Denn die Natur ist so wahrhaft schön, wie sie gut und vernünftig ist, und muß ebensosehr geschaut werden, wie sie gethan und erkannt werden muß. Worte und Thaten sind ganz gleichwertige Erscheinungsformen der göttlichen Energie. Auch Worte sind Thaten und Thaten sind eine Art von Worten.

Das Kennzeichen und Kreditiv des Dichters ist, daß er verkündet, was niemand voraussagen konnte. Er ist der einzige wahre Lehrer, er weiß und kann erzählen, er ist der einzige, der uns wirklich Neues sagt, denn er war bei der Erscheinung gegenwärtig und eingeweiht, die er schildert. Er ist es, der die Ideen schaut, der das kausal Notwendige ausspricht. Ich spreche hier nicht von Leuten mit poetischem Talent, oder von solchen, die geschickt und eifrig Verse machen, sondern vom wahren Dichter. Ich nahm erst jüngst an einem Gespräch über einen neueren Lyriker teil, einen Mann von feinem Geist, dessen Haupt ein Tonspiel zarter Melodien und Rhythmen schien und dessen Gewandtheit und Herrschaft über die Sprache wir nicht genug preisen konnten. Als sich aber die Frage erhob, ob er nicht nur ein guter Lyriker, sondern ein Dichter sei, da mußten wir alle gestehen, daß wir in ihm lediglich einen Zeitgenossen, keinen Mann der Ewigkeit vor uns hatten. Denn er erhebt sich nicht aus unseren niedrigen Schranken wie ein Chimborasso über den Äquator, der von seiner heißen Basis aufwärts durch alle Klimate und Zonen der Erde läuft, der seine hohen bunten Flanken mit den Gewächsen aller Breiten gürtet; sondern unser Mann gleicht dem Landschaftsgarten eines modernen Hauses, der mit Brunnen und Statuetten zierlich geschmückt ist, während wohlerzogene Männer und Franen auf den Promenaden und Terrassen sitzen oder lustwandeln. Wir hören durch all die wechselnde Musik den Grundton unseres konventionellen Lebens hindurch. Unsere Dichter sind Leute von Talent, die singen, nicht die Söhne der Musik. Der Inhalt ist für sie das Sekundäre, der Schliff der Verse die Hauptsache.

Es ist aber nicht das Metrum, sondern ein Metrum schaffender Stoff, der ein Gedicht macht – ein Gedanke, so leidenschaftlich und lebendig, daß er wie der Geist einer Pflanze oder eines Tieres seine eigene Architektur besitzt und die Natur mit einem neuen Phänomen schmückt. Der Dichter hat einen neuen Gedanken: er hat eine ganze neue Erfahrung mitzuteilen, er sagt uns, was mit ihm geschah, und alle Welt wird durch sein Glück um so viel reicher werden. Die Erfahrung jeder neuen Generation verlangt auch ein neues Bekenntnis, und die Welt scheint immer auf einen Dichter zu warten. Ich erinnere mich aus meiner Jugend, wie heftig ich eines Morgens durch die Nachricht bewegt wurde, daß ein Jüngling, der in meiner Nähe am Tische saß, sich als Genie offenbart hatte. Er hatte seine Arbeit liegen lassen, war umhergewandert, niemand wußte, wohin, und hatte ein paar hundert Zeilen niedergeschrieben, vermochte aber nicht zu sagen, ob das, was er empfand, darin auch ausgesprochen war: er konnte nichts sagen, als daß alles ihm verändert schien: Menschen und Tiere, Erde, Himmel und Meer. Wie froh wir lauschten! Wie gläubig! Die alte Gesellschaft schien abgewirtschaftet zu haben. Wir saßen in der Morgenröte eines Sonnenaufgangs, der alle Sterne auszulöschen drohte. Boston schien uns zweimal so fern zu sein als den Abend zuvor, oder noch viel weiter entfernt. Rom – was war uns Rom? Plutarch und Shakespeare waren vergilbte Blätter, von Homer war nicht mehr die Rede. Ja, es ist viel, zu wissen, daß Poesie an diesem heutigen Tage, unter diesem selben Dache an unserer Seite geschrieben worden. Was?! Dieser wundervolle Geist ist noch nicht verloren gegangen! Diese Steinbilder funkeln und leben noch! Ich hatte mir eingebildet, die Orakel wären längst verstummt und das Feuer der Natur erloschen, und siehe, die ganze Nacht, durch alle Poren, ist diese herrliche Morgenröte wieder hereingeströmt! Jeder Mensch hat ein Interesse am Advent des Dichters, und keiner weiß, wie nahe es ihn angehen mag. Wir wissen wohl, daß das Geheimnis der Welt ein tiefes ist, aber wer der ist, der's uns erläutern wird, das wissen wir nicht. Eine Bergwanderung, eine neue Gesichtsform, ein neuer Mensch kann uns den Schlüssel in die Hand geben. Der Wert des Genius liegt natürlich in der Wahrhaftigkeit seiner Berichte. Das Talent mag scherzen und künsteln, das Genie schafft neue Realitäten. Die Menschheit ist nun im Verständnis ihrer selbst und ihrer Werke ernstlich so weit gekommen, und der vorderste Wächter auf der Höhe verkündet, was er schaut. Sein Wort ist das wahrste, das je ausgesprochen ward, sein Ausspruch die geeignetste, musikalischeste, unfehlbare Stimme der Welt für seine Zeit.

Alles was wir geheiligte Geschichte nennen, bezeugt, daß die Geburt eines Dichters das Hauptereignis aller Chronologie ist. So oft wir auch enttäuscht werden, immer wieder harrt der Mensch der Ankunft eines Bruders, der ihn fest an eine Wahrheit bannen kann, bis er sie in sich aufgenommen und zu seiner eigenen gemacht hat. Mit welch unsagbarer Freude beginn' ich ein Gedicht zu lesen, das ich für ein wahrhaft inspiriertes halte. Jetzt werden meine Ketten zerbrochen werden, jetzt werde ich über diese Wolken und die dunkeln Lüfte, in denen ich lebe – dunkel, wie durchsichtig sie auch scheinen mögen, – hoch emporgehoben werden und vom Himmel der Wahrheit aus werd' ich mein eigenes Wesen und seinen Zustand schauen und begreifen. Es wird die Natur verjüngen und mich mit dem Leben aussöhnen, wenn ich erkenne, wie alle Kleinigkeiten von einem Streben beseelt sind, wenn ich mein eigenes Thun nun erst begreifen werde. Das Leben wird hinfort kein öder Lärm mehr sein; nun werd' ich Männer und Frauen sehen und die Zeichen lernen, an welchen sie von Thoren und Teufeln unterschieden werden können. Dieser Tag wird mehr für mich bedeuten als der Tag meiner Geburt; damals kam ich zum Leben, heute soll ich zur reinen Erkenntnis gelangen. So ist meine Hoffnung, aber den Genuß muß ich verschieben. Weit öfter geschieht es, daß dieser geflügelte Mensch, der mich in den Himmel emporheben will, mich in die Wolken hinaufreißt und dann mit mir von Wolke zu Wolke hüpft und wirbelt und immer noch behauptet, daß sein Weg himmelwärts führe; und ich, der ich selber ein Neuling bin, bemerke spät und langsam, daß der Mann den Weg zum Himmel gar nicht kennt und daß er nichts weiter will, als daß ich die Geschicklichkeit bewundere, mit der er wie ein Huhn oder ein fliegender Fisch sich ein wenig über den Boden oder das Wasser erhebt; aber die alles durchdringende, alles ernährende, sichtbare Luft des Himmels wird der Mann nie bewohnen. Und ich taumle auch bald wieder in meine alten Winkel hinab und führe dasselbe übertriebene Leben weiter wie vorher und hab' meinen Glauben an die Möglichkeit eines Führers verloren, der mich dorthin geleiten kann, wo ich gern sein möchte.

Aber lassen wir diese Opfer ihrer Eitelkeit und beachten wir mit neugeschöpfter Hoffnung, wie die Natur in würdigeren Trieben sich der Treue des Dichters für sein Amt der Verkündigung durch die Schönheit dieser Welt versichert, die zu einer neuen und höheren Schönheit wird, wenn sie ausgesprochen wird. Die Natur bietet ihm all ihre Geschöpfe als Bildersprache an. Wenn er als Sinnbild verwendet wird, dann offenbart sich in jedem Gegenstand ein zweiter wundervoller Wert, der weit besser ist als sein erster ursprünglicher, gerade so wie des Zimmermanns gespannte Leine, wenn wir das Ohr ganz nahe an sie halten, musikalisch im Winde ertönt. »Dinge, herrlicher als jedes Bild, werden durch Bilder ausgesprochen,« sagt Jamblichus. Die Dinge lassen sich als Symbole verwenden, weil die Natur selbst ein Symbol ist, als Ganzes betrachtet, wie in jedem ihrer Teile. Jede Linie, die wir im Sande ziehen, hat ihre Bedeutung, es giebt keinen Körper ohne seinen Geist oder Genius. Alle Form ist eine Affektion des Charakters, jeder Zustand eine Affektion der Lebensqualität, alle Harmonie eine der Gesundheit (und darum sollte jede Wahrnehmung der Schönheit sympathetisch und nur den Guten eigentümlich sein). Das Schöne beruht immer in der Notwendigkeit. Der Geist schafft sich den Körper, wie der weise Spencer uns lehrt:

»So jeder Geist, je reiner er im Wesen,
Je mehr vom Himmelslicht er in sich birgt,
So schönern Körper auch er sich erwirkt,
Darin zu wohnen, herrlicher geschmückt,
Mit froher Anmut, die das Aug' entzückt,
Denn Form erscheint der Geist in Körperhaft,
Und Geist ist Form, die sich den Körper schafft.«

Hier befinden wir uns plötzlich nicht mehr auf den vergnüglichen Wegen kritischer Spekulation, sondern auf heiligem Boden, auf dem wir still und ehrfurchtsvoll gehen sollten. Wir stehen vor dem Geheimnis der Welt – da, wo das Sein in Erscheinung und Einheit in Mannigfaltigkeit übergeht.

Das Universum ist die Externisation des Geistes. Wo immer Leben ist, bricht es in Erscheinung aus. All unsere Wissenschaft ist eine sinnliche und daher auch eine oberflächliche. Die Erde und die Himmelskörper, die physikalischen und chemischen Erscheinungen betrachten wir sinnlich, als ob ihnen eine eigene Existenz zukäme, während sie doch nur das Gefolge unseres Seins bilden. »Der mächtige Himmel,« sagt Proclus, »zeigt in seinen Transfigurationen deutliche Bilder des Glanzes intellektueller Erkenntnisse, indem sich alle in genauer Verbindung mit verborgenen Perioden im Leben geistiger Naturen bewegen.« Darum erhebt sich die Wissenschaft stets nur so hoch als der Mensch selbst und hält mit Religion und Metaphysik gleichen Schritt; oder anders ausgedrückt: der Stand der Wissenschaft ist ein Index unserer Selbsterkenntnis. Da alles und jedes in der Natur einer geistigen Kraft entspricht, so kann eine Erscheinung nur so lange und deshalb unfaßlich und dunkel bleiben, als die entsprechende Fähigkeit im Beobachter noch nicht aktiv geworden ist.

Kein Wunder denn, wenn diese Wasser so tief sind, daß wir mit einer religiösen Scheu über ihnen verweilen. Die Schönheit der Fabel beweist dem Dichter und allen anderen die Bedeutsamkeit ihres Sinnes; oder, wenn man will, jeder Mensch ist so weit Dichter, daß er für diese Zauberkräfte der Natur empfänglich ist: denn alle Menschen sind der Ideen teilhaft, deren feierliche Verkündigung das Weltall ist. Ich finde, der ganze Zauber liegt in dem Symbol: Wer liebt die Natur? Wer liebt sie nicht? Sind es denn nur die Poeten und gebildete Menschen in den Mußestunden, die sie mit ihr verleben? Nein, auch die Jäger, Bauern, Reitknechte und Fleischhauer; nur bringen sie ihre Liebe nicht in der Wahl ihrer Worte, sondern in der Wahl ihres Berufes zum Ausdruck. Der Gelehrte wundert sich, was der Kutscher oder Jäger am Reiten, an Hunden und Pferden so schätzen mag. Es sind nicht ihre oberflächlichen Eigenschaften. Wenn man mit ihm redet, verrät er, daß er diese so gering schätzt wie ein anderer. Seine Liebe zu ihnen liegt in einer geheimen Sympathie, er hat keinen Ausdruck dafür, aber die lebendige Kraft, deren Gegenwart in der Natur er dunkel fühlt, weist ihm seine Stellung an. Keine Nachahmung, kein Spielen mit jenen Dingen würde ihn befriedigen; er will Sturm und Regen, Wald, Fels und Eisen im Ernste um sich haben. Eine Schönheit, die wir nicht erklären können, ist uns teurer, als eine, die wir begreifen. Es ist die Natur als Symbol, die Natur, die das Übernatürliche zur Gewißheit macht, der Leib, der von Leben überfließt, den er nach einem rohen aber tiefempfundenen Ritus anbetet.

Die Innigkeit, das Geheimnisvolle dieser tiefen Anhänglichkeit treibt Menschen jeden Standes zum Gebrauch von Zeichen und Emblemen. Poeten- und Philosophenschulen sind nicht berauschter von ihren Symbolen als der Pöbel von den seinigen. Man muß nur einmal die Macht der Abzeichen und Embleme in unserem politischen Leben ins Auge fassen. Zum Beispiel den großen Ball, den sie von Baltimore nach Bunkerhill rollen! Die politischen Aufzüge, bei denen Lowell mit einem Lappen, Lynn mit einem Schuh, Salem mit einem Schiff einherzieht! Man denke an das Weinfaß, das Blockhaus, den Walnußzweig, die Zwergpalme und all die unzähligen anderen Parteikennzeichen. Man denke gar an die Gewalt nationaler Embleme! Ein paar Sterne, Lilien oder Leoparden, ein Halbmond, ein Löwe, ein Adler, oder andere Bilder, die Gott weiß wie zu solchem Ansehen gelangt sind, abgebildet auf einem alten Fetzen von Flaggentuch, der auf einem Fort in irgend einem Winkel der Erde vom Winde hin und her gerissen wird, kann das Blut der rohesten wie der abgeschliffensten Leute kochen machen. Die Leute bilden sich ein, sie mögen die Poesie nicht leiden, und sind lauter Dichter und Mystiker!

Abgesehen von dieser Allgemeinheit der symbolischen Sprache, erkennen wir die Göttlichkeit dieses höheren Gebrauches der Dinge (durch den die Welt zu einem Tempel wird, dessen Mauern mit Abzeichen, Bildern und Geboten der Gottheit bedeckt sind) auch daran, daß es kein Ereignis in der Natur giebt, das nicht den ganzen Geist der Natur in sich tragen würde; denn all die Unterscheidungen, die wir in den Ereignissen und Angelegenheiten machen, wie hoch oder niedrig, ehrenhaft oder gemein, verschwinden alsbald, wenn die Natur symbolisch aufgefaßt wird. Die durchdringende Idee macht alles zum Gebrauche geeignet; und der Wortschatz eines allwissenden Menschen würde Worte und Bilder umfassen, die aus der Salonsprache ausgeschlossen sind. Was niedrig, ja selbst obscön für den Obscönen wäre, wird vornehm, wenn es in neuer Gedankenverbindung ausgesprochen wird. Die Frommheit der hebräischen Propheten reint die Derbheit ihres Ausdrucks. Die Beschneidung ist ein Beispiel für die Macht der Poesie, selbst das Niedrige und Anstößige zu adeln. Kleine unbedeutende Dinge leisten so gute Dienste wie große Symbole. Ja, je unbedeutender das Sinnbild, durch welches ein Gebot zum Ausdruck gebracht wird, desto eindringlicher wirkt es, desto dauernder bleibt es im Gedächtnis der Menschen, so wie wir die kleinste Büchse oder Kassette aussuchen, um ein unentbehrliches Instrument darin mit uns zu führen. Bloße Wörterverzeichnisse bringen einem phantasievollen und aufgeregten Geist neue Ideen, wie von Lord Chatham berichtet wird, daß er in Baileys Wörterbuch zu lesen pflegte, so oft er die Absicht hatte, im Parlament zu sprechen. Die ärmste Erfahrung ist reich genug, um allen Gedanken Ausdruck zu geben. Wozu dieses beständige Sehnen nach der Kenntnis neuer Details? Tag und Nacht, Garten und Haus, einige wenige Bücher, einige wenige Thaten leisten uns denselben Dienst, den alle Gewerbe und alle Sehenswürdigkeiten uns leisten würden. Wir sind noch weit davon entfernt, die Bedeutung der wenigen Symbole, die wir gebrauchen, erschöpft zu haben. Wir können noch dahin kommen, sie mit schrecklicher Einfachheit zu verwenden. Ein Gedicht muß nicht lang sein. Es gab eine Zeit, da jedes Wort ein Gedicht war. Jede neue Beziehung schafft ein neues Wort. Und wir gebrauchen selbst Fehler und Verunstaltungen zu heiligen Zwecken und drücken hierdurch unsere Überzeugung aus, daß die Übel der Welt nur einem übeln Auge als solche erscheinen. In der alten Mythologie werden göttlichen Naturen Defekte zugeschrieben, wie Lahmheit dem Vulkan, dem Cupido Blindheit und andere mehr, um eine Fülle, ein Übermaß nach einer anderen Seite auszudrücken.

Nur die Loslösung, die Entfernung vom Leben Gottes läßt die Dinge häßlich erscheinen, und der Poet, der alle Dinge wieder mit der Natur und dem Ganzen in Verbindung bringt – der selbst künstliche Dinge, ja Vergewaltigungen der Natur, durch eine tiefere Einsicht wieder auf die Natur zurückführt, – wird sehr leicht mit den unangenehmsten Dingen fertig. Poetisch gebildete Leser sehen Fabriken und Eisenbahnen und bilden sich ein, daß die Poesie der Landschaft durch solche gestört werde – weil diese Gegenstände in ihrer Lektüre noch nicht zu Gegenständen der Kunst geweiht worden sind; aber der Dichter sieht leicht, daß sie sich der großen Ordnung nicht weniger als ein Bienenstock oder als der Spinne geometrisches Netz einreihen. Die Natur nimmt sie sehr bald in ihre lebendigen Kreise auf und liebt den dahin gleitenden Wagenzug wie ihre eigenen Schöpfungen. Übrigens macht es auf einen klaren, gefestigten Geist wenig Eindruck, wenn ihr ihm die mechanischen Erfindungen vorhaltet. Und wenn ihr eine Million neuer Erfindungen der erstaunlichsten Art hinzufügen würdet, das Wesen der Mechanik selbst hat hierdurch nicht um ein Gran an Gewicht gewonnen. Die geistige Bedeutung bleibt unveränderlich, ob viel oder wenig Einzelerscheinungen hinzutreten mögen; so wie kein Berg eine genügende Höhe hat, um die Kurve der Erdkugel zu brechen. Ein geriebener Landbursche kommt zum erstenmal in die Stadt, und der selbstgefällige Städter ist mit seinem geringen Staunen nicht zufrieden. Nicht etwa, daß er all die schönen Häuser nicht sehen, oder nicht wissen würde, daß er dergleichen noch nie gesehen hat, aber er wird mit ihnen ebenso leicht fertig, wie der Dichter Raum für die Eisenbahn findet. Der Hauptwert der neuen Sache liegt darin, daß sie die große und konstante Masse des Lebens erhöht, gegen die alle und jede Einzelerscheinung zwerghaft ist, und für welche der Wampumgürtel des Indianers und der ganze Handel Amerikas gleiche Bedeutung haben.

So stellt sich die Welt dem Geiste als Verbum und Nomen zur Verfügung, aber nur der Dichter ist es, der in dieser Sprache auch sprechen kann. Denn, obgleich das Leben groß ist, obgleich es alles bezaubert und absorbiert, und obgleich alle Menschen die Symbole verstehen, welche ihr die Namen geben, können sie sie doch nicht selbständig gebrauchen. Wir sind Symbole und bewohnen Symbole; Arbeiter, Arbeit und Werkzeuge, Worte und Dinge, Geburt und Tod sind alles nur Sinnbilder; aber wir fühlen zu sehr für diese Symbole, und bethört von der gewöhnlichen wirtschaftlichen Bedeutung der Dinge, vergessen wir, daß sie Ideen sind. Der Dichter, der eine tiefere Einsicht in das Wesen der Dinge besitzt, verleiht ihnen eine Kraft, die ihre alte Bedeutung vergessen läßt, giebt allen stummen und unbelebten Gegenständen Augen und Zunge. Er erkennt die Unabhängigkeit der Idee vom Symbole, die Stabilität der Idee, die Zufälligkeit und Flüchtigkeit des Symbols. So wie die Augen Lynkeus' durch die Erde schauen konnten, so verwandelt der Dichter die Welt in Glas und zeigt uns alle Dinge erst in der richtigen Ordnung und Folge. Denn kraft seiner besseren Einsicht steht er den Dingen um einen Schritt näher und sieht ihr Strömen und ihre Metamorphosen; sieht, daß jede Idee vielförmig ist, daß in der Form jeder Kreatur eine Kraft wohnt, die sie antreibt, zu einer höheren Form emporzusteigen, und indem so seine Augen das innerste Leben verfolgen, gebraucht er dieselben Formen, in welchen dieses Leben zum Ausdruck gelangt, und so strömen seine Worte mit dem Strome der Natur dahin. Alle Ereignisse des animalischen Reiches, Geschlecht, Ernährung, Schwangerschaft, Geburt und Wachstum sind Symbole des Überganges der Welt in den Geist des Menschen, um in demselben umgewandelt zu werden und in einer neuen und höheren Bedeutung wieder zu erscheinen. Er gebraucht die Formen ihrem inneren Leben nicht der bloßen Form entsprechend. Das ist wahre Wissenschaft. Der Poet allein versteht Astronomie, Chemie, Vegetation und animalisches Leben – denn er hält nicht bei den Erscheinungen inne, sondern gebraucht dieselben als Sinnbilder. Er weiß, warum das Feld des Raumes mit diesen Blumen bestreut ward, die wir Sonne, Mond und Sterne nennen; warum die weite Tiefe mit Menschen, Tieren und Göttern geschmückt ward, denn mit jedem Worte, das er spricht, reitet er auf ihnen als den Rossen des Gedankens.

Kraft dieser Wissenschaft ist der Poet der Namengeber, der Sprachenschöpfer, der die Dinge bald nach ihrer Erscheinung und bald nach ihrem Wesen benennt, der jedem Dinge seinen eigenen Namen giebt und so dem Geist jenes Entzücken gewährt, das wir bei richtiger Trennung und Begrenzung empfinden. Die Dichter haben alle Worte geschaffen, und darum ist die Sprache das Archiv der Geschichte und gleichsam eine Grabhalle der Musen. Denn obgleich der Ursprung der meisten unserer Worte heute vergessen ist, war einst jedes Wort ein Geistesblitz, ein Funke des Genies, und es blieb im Umlauf, weil es im Augenblick die Welt für den ersten Sprecher und Hörer symbolisierte Etymologen finden, daß die totesten Worte einst leuchtende Bilder waren. Sprache ist fossile Poesie. So wie der Kalkstein des Festlandes aus unendlichen Massen versteinerter Schaltierchen besteht, so ist die Sprache aus Bildern und Tropen zusammengesetzt, die heute in ihrer sekundären Verwendung längst aufgehört haben, uns an ihren poetischen Ursprung zu erinnern. Aber der Dichter giebt dem Dinge seinen Namen, weil er es sieht, weil er ihm einen Schritt näher kommt, als irgend ein anderer. Dieser Ausdruck, diese Benennung ist nicht Kunst, sondern eine zweite Natur, die aus der ersten hervorsprießt wie das Blatt aus dem Baume. Was wir Natur nennen, ist eine gewisse sich selbst regulierende Bewegung und Wechsel; und die Natur thut alles mit eigener Hand, läßt sich nicht von anderen taufen, sondern tauft sich selbst, und dies wieder durch die Metamorphosen. Ich entsinne mich, daß ein Dichter mir dies folgendermaßen beschrieben:

Genius ist die Aktivität, die dem Verfall der Dinge vorbeugt, ob derselbe nun ganz oder teilweise von materieller und endlicher Art erscheine. Die Natur versichert sich in all ihren Reichen selbst. Niemand sorgt für das Anpflanzen des armen Pilzes: daher schüttelt sie aus den Falten des Blätterschwammes zahllose Sporen nieder, deren jede, erhalten, morgen oder übermorgen neue Billionen von Sporen aussenden kann. Der neue Pilz, der so entstanden, mag eine Chance haben, die der alte nicht hatte. Dieses Atom seiner Saat ist auf einen neuen Platz gefallen, der dem Zufall nicht mehr ausgesetzt ist, welcher seinen Erzeuger zwei Fußbreit von hier zerstört hat. Sie schafft einen Menschen; und wenn sie ihn bis zum Alter der Reife gebracht, will sie nicht länger Gefahr laufen, dieses Wunder mit einem Schlage zu verlieren, und sie löst von ihm ein neues Selbst ab, damit die Gattung vor den Unfällen bewahrt bleibe, denen das Individuum ausgesetzt ist. So auch, wenn die Seele des Dichters zur Reife der Gedanken gekommen, löst sie von ihm Dichtungen und Gesänge ab – eine furchtlose, schlaflose, unsterbliche Nachkommenschaft, die den Zufällen des Reiches der Zeit nicht ausgesetzt ist, eine furchtlose, lebenskräftige Schar von geflügelten Sprößlingen (so groß war die Kraft der Seele, die sie erzeugte), deren Schwingen sie rasch und ferne dahintragen und sie unwiderruflich in den Herzen der Menschen festsetzen. Je reicher und schöner die Seele des Dichters, desto mächtiger sind diese Schwingen. So fliegen die Gesänge unsterblich von ihrem sterblichen Erzeuger fort, verfolgt von lärmenden Zügen schmähender Kritiken, die in weit größerer Menge umherschwärmen und sie zu verschlingen drohen; aber ihnen fehlen die Flügel. Nach einem ganz kurzen Satze fallen sie plump herab und faulen, da sie von den Seelen, aus denen sie kamen, keine Schönheitsschwingen empfangen haben. Aber die Melodien des Dichters steigen mächtig empor und dringen in die Tiefen der unendlichen Zeit.

Soweit belehrte mich der Sänger in seiner freieren Sprache. Aber die Natur verfolgt ein höheres Ziel bei der Erzeugung neuer Individuen als die bloße Sicherheit – nämlich Veredlung oder den Übergang des Geistes in höhere Gestalt. Ich kannte in jüngeren Jahren den Bildhauer, der die Jünglingsstatue geschaffen, die in unserem Parke steht. Er konnte, wie ich mich wohl erinnere, nicht sagen, was ihn glücklich oder unglücklich machte, nur auf wunderbaren Umwegen gelang es ihm. Er erhob sich eines Tages, seiner Gewohnheit nach, vor der Dämmerung und sah den Morgen anbrechen, groß wie die Ewigkeit, aus der er kam, und Tage um Tage mühte er sich, diese große Ruhe zum Ausdruck zu bringen, und siehe! sein Meißel hatte aus dem Marmor die Gestalt eines herrlichen Jünglings geformt, – Phosphorus, den Lichtbringer, deren Anblick, wie man sagt, alle Leute, die sie anschauen, in Schweigen versinken macht. Und so überläßt auch der Dichter sich seiner Stimmung, und der Geist, der ihn bewegte, kommt zum Ausdruck, aber als ein alter idem in völlig neuer Weise. Der Ausdruck ist organisch, ist nichts als der neue Typus, den die Dinge annehmen, wenn sie befreit werden. So wie die Gegenstände im Sonnenlicht ihr Bild auf die Netzhaut des Auges zeichnen, so streben sie, die am Streben des All teilnehmen, eine weit zartere Kopie ihres Wesens im Geiste des Dichters zu zeichnen. An Stelle der Metamorphose der Dinge in höhere organische Formen tritt gleichbedeutend ihre Umwandlung in Melodien. Über jedem Dinge schwebt sein Dämon oder Geist, und so wie die Umrisse des Dinges sich im Auge spiegeln, so spiegelt sich sein Geist in einer Melodie. Die See, der Bergesgrat, der Niagara und jedes Blumenbeet haben eine frühere oder höhere Existenz in »Vorgesängen,« die wie Gerüche durch die Lüfte fluten, und wenn ein Mensch, dessen Ohr fein genug ist, vorübergeht, dann erlauscht er sie und versucht die Klänge niederzuschreiben, ohne sie aufzulösen oder zu verfälschen. »Und darin liegt auch die Berechtigung der Kritik, in der Überzeugung unseres Geistes, daß alle Gedichte nur corrupte Wiedergaben eines Textes der Natur sind, mit dem sie übereinstimmen sollten. Der Reim eines Sonetts sollte nicht weniger wohlgefällig sein als die Windungen der Muschel, oder die bunte Wiederkehr der gleichen und doch wechselnden Form in einem Blumenstrauße. Das Paaren der Vögel ist ein Idyll, aber nicht langweilig wie unsere Idyllen sind; der Sturm eine wilde Ode ohne falsches Pathos und ohne jeden Schwulst; der Sommer mit seiner Saat und Ernte ein episches Lied, mit vielen wunderbar ausgeführten Teilgesängen. Warum sollten die Harmonie und Wahrheit, die diese durchklingen, nicht in unseren Geist überströmen, warum sollten wir nicht an der Erfindungskraft der Natur teilhaben?

Dieser Einblick, der in dem, was wir Einbildungskraft nennen, seinen Ausdruck findet, ist eine gar hohe Art des Schauens, die niemand lernen kann, sondern deren nur der Geist fähig ist, der dort, wo und das, was er schaut, selbst ist, der den Weg und Kreislauf der Dinge durch die Formen mitmacht und sie so den anderen durchleuchtet erscheinen läßt. Der Weg der Dinge aber geht in tiefem Schweigen. Dulden sie denn, daß ein Sprecher mit ihnen gehe? – Einen Spion dulden sie nicht; aber ein Liebender, ein Dichter ist die Transcendenz, die Erfüllung ihrer eigenen Natur, – ihn dulden sie. Die Bedingung wahrhaften Ausdrucks ist auf der Seite des Dichters, daß er sich ganz und gar der göttlichen aura überlasse, die durch die Formen haucht, und nur ihr folge.

Es ist ein Geheimnis, daß jeder mit Verständnis begabte Mensch rasch lernt, daß er außer der Kraft seines bewußten und beherrschten Geistes einer neuen Kraft (eines gleichsam in sich selbst verdoppelten Geistes) fähig wird, wenn er sich ganz der Natur der Dinge überläßt; daß es außer seinem speciellen Kraftanteil als Individuum eine große allgemeine Kraft giebt, an welcher er teilnehmen kann, indem er, auf jede Gefahr hin, seine Thüren öffnet und die ätherischen Wogen durch seinen Geist strömen und cirkulieren läßt: dann ergreift ihn das Leben des All, dann wird seine Rede Donner, sein Gedanke Gesetz und seine Worte allgemeinverständlich, wie es Pflanzen und Tiere sind. Der Dichter weiß, daß er nur dann sich vollkommen ausspricht, wenn er etwas wild spricht, mit »der Blume des Geistes,« wenn er seinen Geist nicht als Werkzeug gebraucht, sondern ihn allen Dienstes entläßt und ihn seine Richtung ganz und gar von seinem eigenen himmlischen Leben empfangen läßt, oder wie die Alten sich ausdrückten, nicht mit seinem Geiste allein, sondern mit dem von Nektar trunkenen Geiste spricht. Wie der Reisende, der seinen Weg verloren hat, dem Pferde die Zügel läßt und es dem Instinkt des Tieres überläßt, seinen Weg zu finden, so müssen auch wir mit dem göttlichen Tier verfahren, das uns durch die Welt trägt. Denn sobald wir diesen Instinkt irgendwie anregen können, öffnen sich uns neue Wege ins Innere der Natur, der Geist strömt in und durch die schwersten und höchsten Dinge, und die Metamorphose wird möglich.

Dies ist der Grund, weshalb die Sänger Wein und Met, narkotische Mittel aller Art, Kaffee, Thee, Opium, den Rauch des Sandelholzes und Tabaks lieben, und welche Mittel animalischer Aufheiterung es sonst noch geben mag. Alle Menschen bedienen sich der Mittel, deren sie habhaft werden können, um jene außerordentliche Kraft zu ihren normalen Kräften hinzuzufügen; darum schätzen sie die Konversation, Musik, Gemälde und Skulpturen, Tänze, Theater, Reisen, Krieg, Pöbelhaufen und Feuersbrünste, Spiel, Politik und Liebe, oder Wissenschaft oder animalischen Rausch, welche alle nur gröbere oder feinere quasi-mechanische Surrogate des wahren Nektars sind, der in jener Verzückung des Geistes besteht, die eintritt, sobald er Einblick in das Wesen der Dinge gewinnt. Es sind lauter Hilfsmittel für das centrifugale Streben des Menschen, der stets ins Freie und Weite gelangen will, sie helfen ihm, aus der Haft des Leibes zu entkommen, in den er gesperrt ist, aus dem Gefängnishofe individueller Beziehungen, der ihn einschließt. Daher kommt es, daß eine große Zahl derjenigen, die professionelle Darsteller der Schönheit waren, wie Maler, Dichter, Musiker und Schauspieler, mehr als andere ein Leben des Vergnügens und der Zügellosigkeit zu führen pflegten; ja alle mit Ausnahme der wenigen, die den wahren Nektar empfangen haben; und da dies stets eine gefälschte Art, die Freiheit zu erlangen war, da es eine Emancipation war, die nicht in die Himmel führte, sondern zur Freiheit niedrigerer Regionen, darum mußten sie für den Vorteil, den sie gewannen, durch Verlotterung und Verderbnis büßen. Die Natur läßt sich niemals durch List einen Vorteil abgewinnen. Der Geist der Welt, die große ruhevolle Gegenwart des Schöpfers läßt sich nicht durch die Zauberkünste des Opiums oder Weines beschwören. Die erhabene Vision wird der reinen und einfältigen Seele in einem reinen und keuschen Leibe zu teil. Was wir narkotischen Mitteln verdanken, ist keine Inspiration, sondern nur eine Pseudo-Erregung und Raserei. Milton sagt, der lyrische Dichter möge Wein trinken und ein üppiges Leben führen, aber der epische Dichter, er, der von den Göttern singen soll und wie sie zu den Menschen niederstiegen, müsse Wasser aus einem Holzgefäß trinken. Denn Poesie ist nicht »des Teufels Wein,« sondern Gottes Wein. Es geht damit wie mit Kinderspielzeug. Wir füllen die Hände und Stuben unserer Kinder mit allen Arten von Puppen, Trommeln und hölzernen Pferden, und lenken damit ihre Augen von dem einfachen Antlitz der Natur und ihnen genügenden Gegenständen, der Sonne, dem Mond, den Tieren, dem Wasser und den Steinen ab, welche ihr Spielzeug sein sollten. So sollte auch die Lebensweise des Dichters auf einen so niederen und einfachen Schlüssel gestimmt sein, daß die gewöhnlichsten Einflüsse ihn entzücken müßten. Seine Fröhlichkeit sollte die Gabe des Sonnenlichts sein, die Luft müßte genügen, um ihn zu begeistern, Wasser müßte ihn berauscht machen. Der Geist, der ruhigen Herzen genügt, der zu solchen aus jedem Hügel trockenen Grases spricht, aus jedem Fichtenstumpf, aus jedem halb vergrabenen Stein, welchen die matte Märzsonne bestrahlt, der erscheint den Armen und Hungrigen und denen, die einfachen Geschmackes sind. Wenn du aber dein Hirn mit dem Getriebe von Boston und New-York, mit Mode und Lüsternheit anfüllst, wenn du deine abgehetzten Sinne mit Wein und schwarzem Kaffee antreibst, dann wirst du freilich in der einsamen Wüste der Tannenwälder kein Ausstrahlen der göttlichen Weisheit bemerken können.

Wenn die Phantasie den Dichter berauscht, so ist sie auch in anderen Menschen nicht unthätig. Die Metamorphose ruft auch im Beschauer eine freudige Erregung hervor. Der Gebrauch von Symbolen hat über alle Menschen eine gewisse befreiende und aufheiternde Macht. Es ist, als wären wir von einem Zauberstabe berührt, der uns wie glückliche Kinder tanzen und umherspringen macht. Wir gleichen Leuten, die aus einer Höhle oder einem Keller in die freie Luft hinaus gekommen sind. Das ist die Wirkung, die Tropen, Fabeln, Orakelsprüche und alle poetischen Formen auf uns haben. So werden die Poeten zu befreienden Göttern. Den Menschen ist nun wirklich ein neuer Sinn entstanden, sie haben in ihrer Welt eine neue Welt, ja ein ganzes Nest von Welten entdeckt, denn das erraten wir, wenn wir die Metamorphose einmal erkannt haben, daß sie bei dem einen Phänomen nicht stehen (Zeile fehlt im Buch) hohem (Zeile fehlt im Buch) Ich will jetzt nicht in Betrachtung ziehen, in wie bbt'ker (unverständlich) Grade dies den Reiz der Algebra und aller mathematischen Wissenschaften ausmacht, die gleichfalls ihre Tropen haben; aber wir fühlen diesen Zauber in jeder Definition. So, wenn Aristoteles den Raum als ein unbewegliches Gefäß definiert, in welchem alle Dinge enthalten sind, oder wenn Plato die Linie als einen strömenden Punkt, oder Gestalt als die Umgrenzung eines Festen definiert, und dergleichen mehr. Welch ein fröhliches Freiheitsgefühl empfinden wir, wenn Vitruvius die alte Überzeugung der Künstler ausspricht, daß kein Architekt ein Haus richtig bauen kann, der keine anatomischen Kenntnisse besitzt. Wenn Sokrates uns im Charmides sagt, daß die Seele von ihren Krankheiten durch gewisse Zaubersprüche geheilt wird, und daß diese Zaubersprüche nichts anderes als herrliche Vernunftgründe sind, durch welche Mäßigung und Besonnenheit in den Seelen hervorgerufen wird; wenn Plato die Welt ein Tier nennt; Wenn Timaeus behauptet, daß auch die Pflanzen Tiere sind, oder behauptet, daß der Mensch ein himmlischer Baum sei, der mit der Wurzel, nämlich dem emporgewendeten Haupt wachse, wie George Chapman ihn nachahmend schreibt:

»So in dem Menschenbaum, des nerv'ge Wurzel
Zu Häupten ihm entspringt;«

wenn Orpheus von den weißen Haaren als von »jener weißen Blüte, die das höchste Alter bezeichnet,« spricht; wenn Chaucer in seinem Loblied auf die »Gentilesse« edles Blut in niedriger Lage mit Feuer vergleicht, daß, wenn es auch ins dunkelste Haus, das sich zwischen unseren Bergen und dem Kaukasus findet, gebracht wird, dennoch seiner Natur folgt und so hell leuchtet, als wenn zwanzigtausend Menschen es sehen würden; wenn Johannes in der Apokalypse den Untergang der Welt durch das Böse und die Sterne vom Himmel fallen sah, wie der Feigenbaum seine unzeitigen Früchte abwirft; wenn Äsop uns die ganze Reihe unserer täglichen Erlebnisse und Beziehungen in dem Maskenzug von Vögeln und Vierfüßlern vorführt; – da vernehmen wir den fröhlichen Wink, der uns die Unsterblichkeit unseres Wesens in all seinen tausend Verwandlungen und Entfliehungen verkündet, und fühlen, daß von uns gilt, was die Zigeuner von sich sagen: »Es sei umsonst, sie zu hängen, denn sie können nicht sterben.«

So sind die Poeten in Wahrheit befreiende Götter. Die alten britischen Barden führten als Titel ihres Standes: »Jene, die frei sind durch die ganze Welt.« Sie sind frei und machen frei. Ein phantasievolles Buch leistet uns zuerst, wenn es uns durch seine Bilder entzündet, weit mehr Dienste als nachher, wenn wir den genauen Sinn des Autors verstanden haben. Ich halte nichts in einem Buche für wirklich wertvoll, als das Transcendentale und Außerordentliche darin. Wenn ein Mensch von seinem Gedanken so entflammt und fortgerissen wird, daß er Autoren und Publikum vergißt und einzig und allein seines Traumes achtet, der ihn wie Wahnsinn gefesselt hält, dann laßt mich seine Schriften lesen, und ihr mögt dafür alle Logik und Geschichte und Kritik haben. Aller Wert, den Pythagoras, Paracelsus, Cornelius Agrippa, Cardanus, Kepler, Swedenborg, Schelling, Oken und alle anderen haben, die fragwürdige Dinge wie Engel und Teufel, Magie, Astrologie, Chiromantik, Mesmerismus und dergleichen in ihre Kosmogonie eingeführt haben, liegt in der Gewißheit, daß hier einmal die Routine verlassen worden und ein neuer Zeuge aufgetreten ist. Das auch macht den besten Erfolg im Gespräch, die Magie der Freiheit, die die Welt wie einen Spielball in unsere Hände giebt. Und selbst die Freiheit erscheint billig, ja wertlos, wenn eine hohe Erregung dem Geiste die Kraft mitteilt, unter die Natur selbst den Hebel zu schieben und sie emporzuschwingen; dann erst wird der Ausblick riesengroß! Naturen, Zeiten und Systeme treten auf und verschwinden wie die Fäden eines bunten, figurenreichen Teppichs; Traum folgt auf Traum, und so lange die Trunkenheit währt, würden wir unser Bett, unsere Philosophie, unsere Religion in unserem neuen Reichtum schwelgend verkaufen.

Und wir haben guten Grund, diese Befreiung zu schätzen. Das Schicksal des armen Schäfers, der im Schneesturm verirrt und von den Flocken geblendet, wenige Schritt von der Thür seiner Hütte entfernt, im Gestöber zu Grunde geht, ist ein Sinnbild für den Zustand des Menschen. Am Rande der Wasser des Lebens und der Wahrheit sterben wir elend dahin. Es ist zum Staunen, wie unerreichbar jeder Gedanke ist, mit Ausnahme dessen, der uns gerade erfüllt. Da hilft kein Nahekommen; wenn wir ihm am nächsten sind, sind wir genau so ferne von ihm, wie da wir am weitesten waren. Auch jeder Gedanke ist ein Gefängnis; ja jeder Himmel ist ein Gefängnis. Darum lieben wir den Dichter, den Erfinder, der in irgendwelcher Form, sei's durch ein Lied oder durch eine That, durch seine Blicke oder sein Betragen uns einen neuen Gedanken gebracht hat. Er schließt unsere Ketten auf und öffnet unseren Blicken einen neuen Schauplatz.

Diese Befreiung ist allen Menschen teuer, und die Kraft sie mitzuteilen ist, da sie aus einer größeren Tiefe und weiterem Spielraum der Gedanken entspringt, ein Maßstab der Begabung. Darum leben alle Bücher fort, die die Einbildungskraft geschaffen hat, das heißt alle jene, die sich zu solcher Höhe der Wahrheit erheben, daß der Autor die Natur unter sich sieht und sie gleichsam als Exponenten seines eigenen Geistes behandelt. Jeder Vers, jede Sentenz, die diese Kraft hat, sorgt selbst für ihre Unsterblichkeit. Die Religionen der Welt sind nichts als die Stoßgebete einiger weniger phantasiereicher Menschen.

Aber die Phantasie hat die Eigenschaft, zu strömen, nicht zu gefrieren. Der Dichter begnügte sich nicht mit Farbe und Form, sondern er las ihre Bedeutung, aber auch die Bedeutung darf ihm nicht genug sein, vielmehr muß er dieselben Gegenstände zu Exponenten seines neuen Gedankens machen. Hier liegt der Unterschied zwischen dem Dichter und dem Mystiker; der letztere nagelt ein Symbol an einen Sinn, der zwar für den Augenblick der richtige Sinn war, aber in der nächsten Stunde veraltet und falsch wird. Denn alle Symbole sind flüssiger Art; alle Sprache ist rollend und in beständigem Uebergang, und wie Sänften und Rosse gut zum Fortkommen, nicht zum Niederlassen wie Häuser und Landgüter. Mysticismus besteht in der Verwechslung eines zufälligen und individuellen Symbols mit einem allgemeinen. Die Morgenröte ist in den Augen Jakob Behmens zufällig die Lieblingserscheinung unter allen Meteoren, darum ist sie für ihn gleichbedeutend mit Wahrheit und Glauben; und er glaubt, daß sie für alle Leser dieselben Realitäten bedeuten werde. Aber der nächste Leser zieht ebenso natürlich das Symbol einer Mutter mit ihrem Kinde, oder eines Gärtners mit seiner Zwiebel, eines Juweliers, der einen Edelstein glättet, vor. Jedes dieser Symbole und eine Myriade anderer sind genau so gut für die Person, in deren Augen sie die betreffende Bedeutung haben. Nur darf man sie nicht überschätzen und muß sie willig in die gleichbedeutenden Ausdrücke übersetzen, die alle anderen gebrauchen. Und dem Mystiker muß man immer wieder sagen: Alles, was du sprichst, ist genau so wahr ohne deine ermüdenden Symbole, wie mit ihnen. Gieb uns lieber ein wenig Algebra anstatt dieser abgedroschenen Rhetorik – allgemein verständliche Zeichen anstatt dieser auf ein Dorf beschränkten, – und wir werden beide besser fahren. Die Geschichte der Hierarchien scheint zu lehren, daß der Fehler aller Religionen darin lag, daß das Symbol zu starr und fest wurde, sodaß es zuletzt nichts mehr als ein verknöcherter Auswuchs der Sprache ward.

Unter allen Menschen der neueren Zeiten hat keiner wie Swedenborg die Natur in Gedanken umgesetzt. Ich kenne keinen Menschen in der Geschichte, dem die Gegenstände so durchwegs Gedanken bedeuteten. Vor ihm treibt die Metamorphose unausgesetzt ihr Spiel. Alles, worauf sein Auge fällt, gehorcht geistigen und sittlichen Trieben. Die Feigen werden zu Trauben, während er sie ißt. Wenn einer seiner Engel eine Wahrheit ausspricht, beginnen die Lorbeerzweige in seinen Händen zu blühen. Das Geräusch, das aus der Ferne wie Knarren und Hämmern ertönte, fand sich beim Näherkommen als die Stimme streitender Menschen. In einer seiner Visionen erschienen die Menschen, in überirdischer Beleuchtung gesehen, als Drachen in tiefer Dunkelheit, aber sie selbst hielten sich untereinander für Menschen, und als das Himmelslicht in ihre Hütte fiel, beklagten sie sich über die plötzliche Dunkelheit und mußten die Fenster schließen, um sehen zu können.

Er besaß jene Wahrnehmungsgabe, die den Dichter oder Seher zu einem Gegenstand der Scheu und des Schreckens macht, die Wahrnehmung, daß derselbe Mensch, dieselbe Schar von Menschen in ihren eigenen Augen und denen ihrer Gefährten ein Ansehen haben können, und ein ganz anderes für höhere Geister, die auf sie schauen. Gewisse Geistliche, die er schildert, wie sie höchst gelehrt untereinander reden, erschienen den Kindern in einiger Entfernung als Kadaver von Pferden und viele solcher Mißgestalten mehr. Und sogleich drängt sich dem Geiste die Frage auf, ob denn jene Fische unter der Brücke, jene Ochsen auf der Weide, die Hunde da im Hofe, unabänderlich Fische, Ochsen und Hunde sind, oder am Ende uns nur so erscheinen? Ob sie nicht vielleicht in ihren eigenen Augen aufrechte Menschen sind? Und endlich, ob ich selbst allen Augen als Mensch erscheine? Die Brahmanen und Pythagoras warfen dieselbe Frage auf, und wenn ein Dichter solche Umbildung wahrgenommen hat, dann hat er sie sicherlich mit vielen anderen Erfahrungen übereinstimmend gefunden. Wir haben ja alle nicht geringere Veränderungen am Weizenkorn und an Raupen gesehen. Es ist der Dichter, der durch das »lebendige Kleid« die ewig feste Natur sieht, der es aussprechen kann und uns in Liebe und Schrecken nach sich zieht.

Ich schaue umsonst nach dem Dichter aus, den ich schildere. Wir wenden uns nicht mit hinreichender Einfachheit und Tiefe an das Leben, noch wagen wir unsere eigenen Zeiten und socialen Verhältnisse zu singen. Wenn wir den Tag mit tapferem Thun ausfüllen würden, hätten wir keine Bedenken, ihn zu feiern. Zeit und Natur haben uns manche Gabe gewährt; aber den Mann unserer Zeit noch nicht, die neue Religion, den Versöhner, den alles erwartet. Dantes Ruhm ist, daß er es wagte, seine Autobiographie in kolossalen Chiffern gleichsam ins Weltall zu schreiben. Wir haben bisher in Amerika noch kein Genie gehabt, das mit tyrannischem Auge den Wert unseres unvergleichlichen Materials erkannt hätte und in der Barbarei und dem Materialismus der Zeit einen anderen Karneval derselben Götter sehen würde, deren Bild er im Homer so sehr bewundert, der im Mittelalter und im Kalvinismus wiederkehrt. Banken und Tarife, Zeitungen und Klubsitzungen, Methodismus und Unitariertum, erscheinen nur flachem Volke öd und flach, aber sie ruhen auf demselben Wunderboden, auf dem die Stadt Troja oder der Tempel von Delphi stand, und schwinden ebenso rasch dahin wie diese. Unser politischer Parteienschacher, unsere Baumstumpf-Politik, unsere Fischereien, unsere Neger und Indianer, unsere Boote, der Zorn der Spitzbuben und die Kleinmütigkeit der ehrlichen Leute, der Handel des Nordens, die Pflanzungen des Südens und die Rodungen des Westens, Oregon und Texas sind noch unbesungen. Und doch ist Amerika in unseren Augen ein Gedicht, seine mächtige Geographie blendet die Phantasie, und es wird auf seine Metra nicht mehr lange warten müssen. Aber so wie ich jene wunderbare Verbindung von Gaben, die ich suche, unter meinen Landsleuten nicht finden kann, ebenso wenig habe ich die Idee des Poeten verwirklicht finden können, wenn ich in Chalmers Sammlung der letzten fünf Jahrhunderte englischer Dichter blätterte. Es sind mehr geistreiche Leute als Dichter, obgleich auch Dichter unter ihnen gewesen sind. Aber wenn wir am Ideal des Dichters festhalten, dann haben wir selbst mit Homer und Milton unsere Schwierigkeiten. Milton ist zu gelehrt und Homer zu buchstäblich und zu historisch.

Aber ich fühle mich der Aufgabe einer nationalen Kritik nicht gewachsen und muß noch eine kurze Weile bei der alten Fülle des Begriffs bleiben, um von der Muse an den Dichter meine Botschaft über seine Kunst bis zu Ende zu bestellen.

Kunst ist der Weg des Schöpfers zu seinem Werke. Diese Wege oder Methoden sind ideal und ewig, obgleich wenige Leute sie kennen, – oft auch der Künstler nicht, durch Jahre, ja sein ganzes Leben lang nicht, bis die Bedingungen erfüllt sind. Der Maler, der Bildhauer, der Komponist, der epische Rhapsode, der Redner; alle haben sie einen Wunsch, nämlich den, sich auszusprechen und zwar symmetrisch und ganz, nicht zwerghaft und fragmentarisch. Sie fanden oder brachten sich unter den Einfluß gewisser Bedingungen, wie der Maler und der Bildhauer vor wirkungsvolle menschliche Gestalten, der Redner in die Volksversammlung und so jeder in solche Scenen, die er anregend für seinen Geist gefunden hat; und nun fühlt jeder den Wunsch neu und rege. Er hört eine Stimme, er sieht einen Wink. Und nun merkt er mit Staunen, welche Scharen von Dämonen ihn umschwärmen. Er findet keine Ruhe mehr, er sagt wie der alte Maler: »Bei Gott, es ist in mir und muß aus mir heraus kommen!« Er jagt einer Schönheit nach, die er halb geschaut, und die vor ihm flieht. Der Dichter spricht, sobald er in der Einsamkeit ist, Verse vor sich hin. Vieles von dem, was er sagt, ist zweifellos alltägliches Zeug. Aber hie und da spricht er etwas Ursprüngliches und Schönes. Das entzückt ihn; er möchte nur mehr solches sagen können. In unseren gewöhnlichen Reden sagen wir: »Dies sagst du, und das sag' ich;« aber der Dichter weiß wohl, daß nicht er spricht, daß es ihm gerade so fremd und herrlich erscheint wie euch; und auch er möchte gern die gleiche Beredsamkeit weitersprechen hören. Sowie er einmal von diesem unsterblichen Ichor gekostet, kann er davon nicht genug haben, und da in solchen Erkenntnissen eine wunderbare schöpferische Kraft liegt, so ist es von höchster Wichtigkeit, daß jene Dinge ausgesprochen werden. Wie wenig von all dem, was wir wissen, ist noch gesagt: Welche Tropfen haben wir aus dem Meere unseres Wissens geschöpft! Und wie zufällig sind diese ans Licht gelangt, während so viele Geheimnisse in der Natur noch schlafen. Daher kommt dieses heftigste Bedürfnis nach Rede und Gesang, daher das Zittern und Herzklopfen des Redners an der Thüre der Versammlung – der sehnsüchtige Trieb, den Gedanken als Logos oder Wort zu offenbaren.

Zweifle nicht, o Dichter, und harre aus! Sprich: »Es ist in mir und soll heraus!« Stehe da, enttäuscht und stumm, stotternd und stammelnd, ausgepfiffen und verhöhnt, steh' und kämpfe, bis zuletzt die Wut jene Traum-Kraft in dir aufweckt, die jede Nacht dir als dein Eigentum zeigt – eine Kraft, die alle Grenzen und Schranken überschreitet und durch welche ein Mensch zum Leiter des ganzen Stromes der Elektricität gemacht wird. Was da geht oder kriecht, was da wird und was ist, muß eins nach dem andern vor ihm erscheinen und vor ihm einherschreiten als Modell und Exponent seines Geistes. Kommt er zu dieser Kraft, so ist sein Genius nicht mehr erschöpflich. Alle Geschöpfe strömen zu Paaren und Stämmen in seinen Geist wie in eine Arche Noahs, um als Bewohner einer neuen Welt wieder daraus hervorzutreten. Wie als Luftvorrat für unser Atmen oder für das Feuer in unserem Herde nicht ein bestimmtes Maß von Gallonen, sondern die ganze Atmosphäre zur Verfügung steht, wenn wir sie brauchten, so dem Dichter die ganze Welt. Und darum giebt es für die Werke der reichen Dichter, wie Homer, Chaucer, Shakespeare und Raphael, augenscheinlich keine Schranken außer den Schranken ihrer Lebenszeit, sie gleichen einem Spiegel, den man durch die Straßen trägt, der das Bild jedes geschaffenen Dinges zurückzustrahlen bereit ist.

O Dichter! ein neuer Adel wird auf Wiesen und in Hainen verliehen, nicht mehr in Schlössern mit dem Schwerte. Die Bedingungen sind hart aber gerecht. Du mußt der Welt entsagen und nur noch die Muse kennen. Du darfst Zeiten und Sitten, Gnaden, Politik und Meinungen der Menschen nicht länger kennen; du mußt alles von der Muse empfangen. Denn die Zeit der Städte wird der Welt von Grabglocken verkündet; aber draußen in der Natur werden die Stunden des All gezählt durch aufeinanderfolgende Stämme von Pflanzen und Tieren, durch Freude, die über Freuden entsteht. Gottes Wille ist auch, daß du ein vielfaches, ein doppeltes Leben aufgiebst und dich damit begnügest, daß andere für dich handeln. Andere werden deine Gentlemen sein und alle Eleganz, alles weltliche Leben für dich darstellen; andere wieder werden die großen, tönenden Thaten für dich verrichten. Du aber wirst in enger Verborgenheit mit der Natur bleiben, du kannst nicht auch zugleich für Kapitol und Börse leben. Die Welt ist voll von Entsagungen und hat ihre Lehrjahre für alle; und dies sind die deinen: Du mußt durch eine lange Zeit für einen Narren, und für einen schwerfälligen Narren gelten. Dies ist die Blütendecke und Scheide, in der Pan seine geliebteste Blume schützt; und nur die dein eigen sind, werden dich erkennen und dich mit der zärtlichsten Liebe trösten. Und du wirst nicht einmal die Namen deiner Freunde in deinem Liede nennen können, weil eine alte Scham vor dem heiligen Ideal dich zurückhalten wird. Und dies ist dein Lohn: Daß das Ideale für dich real sein wird und wie Sommerregen, reich, aber gelind, auf dein unverletzliches Wesen niederströmen wird. Das ganze Land wird dein Schloß und Park sein, das Meer dein Bad und der Teich für dein Schiff, ohne Zoll und ohne Neid; Wälder und Ströme werden dein eigen sein, und du wirst Herr und Eigentümer sein, wo die anderen nur Pächter und Miether sind. Du wahrer Herr des Landes! des Meeres! der Luft! Wo immer Schnee fällt, oder Wasser fließt, oder Vögel fliegen, wo immer Tag und Nacht im Zwielicht sich begegnen, wo der blaue Himmel mit Wolken behangen oder mit Sternen besäet ist, wo es Gestalten mit durchsichtigen Umrissen, wo es Öffnungen in dem Himmelsraum giebt, wo immer Gefahr ist und Ehrfurcht und Liebe, da ist auch Schönheit, üppig wie Regen, für dich ausgegossen, und solltest du die ganze Welt durchwandern, nie und nirgends wirst du etwas Unbrauchbares, nie etwas Gemeines finden!


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