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Achtes Kapitel

Durch die regengepeitschte Nacht fuhr in ihrem Auto die Schauspielerin Fredegonde Perlenblick. Sie hörte außerdem auf den Namen Mah bei jüngeren Liebhabern, Lou, wenn sie dämonisch war, und Bea, wenn sie eine Familie zu ersetzen suchte. Sie fuhr mit zwei erschrecklich blendenden Scheinwerfern, die im glitschrigen Asphalt, in dessen Regenwasser die Schatten der letzten Trotteurs gaukelten, weiße Lichtgruben aufrissen. Ihre Autohuppe hatte entschieden dramatische Kraft. Der Chauffeur hielt einen tragischen Recitationsstil inne, die Huppe hatte das dramatische R. Auf dem Dache des Coupes war ein Kintop angebracht, der den verschlafenen Bürgern zeigte, wie die Schauspielerin Fredegonde Perlenblick sich auszog, badete und zu Bett ging. Ehe es dunkel wurde, erschien über dem Bett kalligraphisch »Endlich allein?« Unter der Bilderreihe des rasenden Kinema stand zum Beispiel »Ich trage den Strumpfhalter ›Ideal‹« oder sonst irgend eine wertvolle Empfehlung. Die Schauspielerin ließ vor der Bar halten. Sie stieg aus, es war noch niemand da. Ihr erster zündender Blick, der das Lokal durchkreiste, blieb unerwidert.

Sie setzte sich hin und war schön für sich selbst.

Bebuquin stieg über die Schwelle.

»Gnädigste, Sie sitzen auf einer Hypothese.«

»Ja, ich bin wie ein verkleideter Knabe.«

Die Dame zog den Blick Nummer fünf. Sie merkte, diesmal müßte sie auf höherem Niveau einsetzen.

»Gnädigste wissen Sie, Sie beweisen mir durchaus die Nichtexistenz des Materiellen.«

»O, wir werden ja auch beim Theater, soweit angängig, Stilisten. Ich habe schon ein Reformkleid versucht, aber das ist so schwer zu tragen. Entweder man sieht wie permanente Jungfrau aus, oder schlechthin verheiratet. Ein Mittelstück gibt's da garnicht.«

Sie markierte erregten Busen.

Man war still.

Der schalkige Böhm befunkelte aus seiner Cognacbütte den Hals Fredegondes. Sie reagierte. Bescheiden sprach er:

»Gnädigste, wollen Sie einen Edelstein aus meinem Kopf?«

»Ich habe den Büchmann und eine lyrische Anthologie. Das genügt«, sagte sie entrüstet.

»Ich meine ja ganz richtige.«

»Vorher mußte ich auf einer Hypothese sitzen, und jetzt wollen Sie mir immaterielle Juwelen verzapfen. Mein Herr, achten Sie den Intellekt eines Weibes.«

»Kindchen, hast Du schon von einem verkehrten Kaffee gehört? Sieh, gönn uns den bescheidenen Sport der Verrücktheit.«

»Aber man muß natürlich sein. Ich bin immer so natürlich.« Jetzt lächelte sie bereits.

Böhm schnalzte ihr flink einen Edelstein auf den Hals und redete mit furchtbarer Stimme.

»Jetzt bist Du in die Träume gezogen.

Schmerzkakadu los!«

Der Giebel des Büffets färbte sich bunt. Vogelaugen starrten, die Wände der Bar überzogen sich mit Vogelfedern, und man hörte ein Gerattel von Flügeln, man spürte, es wird geflogen, höher, wilder in den Wahnsinn.

Die Schauspielerin schrie:

»Drehbühne! Shakespeare bei Reinhardt«, und hielt krampfhaft ihre Handtasche.

Die Flügel des Kakadus wurden mit Menschen angefüllt.

Euphemia saß über allen, Emil den phosphoreszierenden Embryo auf dem Schoß, und rief:

»Herrschaften, heute wird schwarz weiß.

Wir werden so wütend, daß wir hintennach kein Wort mehr reden werden.

Oh ich bin ja nur die Wachspuppe aus der billigen Erstarrnis.«

Jetzt sahen sie von sich ausgehend eine Reihe; es tanzten um sie die vergangenen Jahre, die rauften.

»Wir müssen auf die Sinne«, rief Böhm.

»Kinder, im Himmel gibt's nur verzückte Augen. Wir müssen so genau sehen, daß darin alles Wissen steckt.«

Aufgeregt starrte das Volk auf der Straße nach dem großen Tier, das in der Luft torkelte und schrie:

»Es kommt der Lebendige.«

Der Vogel schrie in Graurot:

»Ich bin ein Beweis, es kann auch anders zugehen.«

Die Menschen klapperten vor Angst, ob sie es ertragen konnten.

Meistens bleibt man ja im dilettantischen Schrecken stecken.

Und endet mit einem Schlaganfall auf dem Plüschsofa.

Davor ein weißer Mops aus Porzellan.

Er hat eine rote Schleife.


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