Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünf Minuten vor zwölf Uhr betrat Professor Earthcliffe das oberste Stockwerk der Michigansternwarte. Wie bei den meisten Häusern Newyorks war das Dach des Wohngebäudes ganz flach gehalten und diente als Landungsplatz für die zahlreichen Flugzeuge, die den Automobilverkehr immer stärker verdrängten.

Oben erwartete ihn schon Doktor Nagel. Der kleine Professor zog nervös die Uhr.

»Ihr deutsches Genie scheint es sich anders überlegt zu haben, mein Lieber!«

Der Jüngere wehrte kurz ab.

»Walter Werndt kommt. In längstens vier Minuten ist er hier bei uns.«

Wie zur Bestätigung summte es leicht in den Lüften. Wie ein Raunen, ein leiser Flügelschlag, ein fernes Rauschen strich es über die Köpfe. Auf das im Sonnenschein spiegelnde Dach fiel ein flüchtiger Schatten.

Earthcliffe bog überrascht den Kopf nach hinten, doch die Sonne blendete ihn, und das Summen verstummte.

Die Minuten verstrichen. Nagel trommelte nervös mit den Fingern. Der Ältere sah es und lächelte spöttisch.

»Noch eine Minute.«

Beide gingen unwillkürlich ganz dicht ans Geländer. Am blauen Mittagshimmel kreuzten unzählige Flugzeuge, aber keines machte Miene, auf der Michiganwarte zu landen. Die silberne Turmuhr holte laut hallend zum ersten Schlag aus. Earthcliffe steckte triumphierend die Uhr in die Tasche.

»Nun, junger Freund? Wer hat recht behalten? Wo ist Ihr Halbgott?«

»Guten Morgen!« unterbrach sie eine volltönende Stimme.

Überrascht fuhren beide herum. Vor ihnen stand eine schlanke Gestalt in kleidsamer Flugtracht, das schmale Gesicht unverhüllt, mit offenem Blondhaar, die wundervoll feine, gebogene Nase schnittscharf zwischen leuchtenden, stahlharten Augen.

»Walter Werndt!« lachte Nagel und lief ihm entgegen.

Der Fremde gab ihm beide Hände zum Gruße.

»Hier bin ich, mein Lieber. Guten Tag, Herr Professor!«

Earthcliffe starrte noch immer den Gast an. Seine Blicke irrten immer wieder von den stahlharten Augen des Mannes zu seinem winzigen Flugzeug, das hinter ihm glänzte.

»Wie kamen Sie auf unser Dach, ohne daß wir es sahen?«

Über der Frage vergaß er Begrüßung und Sitte.

Werndt lächelte gütig.

»Ach, mein neuer ›Falke‹ stellt Ihnen ein Rätsel. Netter Kerl, was? Meine letzte Erfindung.«

Zärtlich strich er dem Flugzeug über die schimmernden Flügel.

»Ich kreiste schon vor einigen Minuten über dem Dache, um das Wohnhaus zu suchen. Die Herren waren aber so beschäftigt mit Ausschauen, daß sie mich nicht bemerkten.«

»Aber wir hätten Sie doch sehen und hören müssen!« widersprach der Direktor.

»Gehört haben Sie doch wohl auch, denn Sie bogen den Kopf weit nach hinten. Mein abgestellter Motor summt so leicht wie ein Brummer. Und daß Sie mich nicht sahen, ist nicht weiter verwunderlich. Wenn die Herren sich einmal diese Tragflächen ansehen wollen? Sie sind durchsichtig wie die Flügel einer Libelle und dadurch kaum zu erkennen. Nur mein Motor und der Sitzraum haben massivere Wände. Aber sie sind mit einem von mir erfundenen Firnis lackiert, der wie ein Mattspiegel wirkt und dadurch die jeweilige Färbung des Tages, das Blau des Himmels und das Grau der Wolken in sich aufsaugt. Der Apparat machte übrigens heute seinen ersten größeren Flug. An Geschwindigkeit übertrifft er die bisher bekannten Systeme um ein Vielfaches. Er legte die Strecke Berlin–Newyork in genau fünf Stunden fünfzehn Minuten zurück.«

Durch die kleine Gestalt des Direktors ging es wie ein Ruck. Seine Brauen kniffen sich borstig zusammen. Dann ging er auf seinen Gast zu und bot ihm die Rechte.

»Mister Werndt, Ihr Kommen ist mir die größte Ehrung meines Lebens. Kommen Sie! Helfen Sie uns!«

Den Herren vorausgehend, stieg er die breite Marmortreppe hinunter und wandte sich vom Westportal des Rechnungsgebäudes der Sternwarte nordwärts, wo ein bequemer Gartenweg durch die prachtvollen Anlagen ringsum zu dem etwa 150 Schritt nördlich gelegenen Sonnenturm führte. Die gewaltige Kuppel dieses Turmes nebst dem anstoßenden Flügel mit Klappdächern barg alle die mannigfachen Instrumente, die vornehmlich den Studien der Sonne dienten.

Die Herren traten durch die kleine Türe ein und befanden sich gleich darauf, durch einen automatischen Fahrstuhl gehoben, im obersten Kuppelsaale.

Das wissenschaftliche Personal der Sternwarte war in voller Arbeit. Zwei jüngere Assistenten der Sternwarte saßen vor dem Okularende des heliophotographischen Doppelfernrohres und drehten, ohne ein Wort zu sagen, an zahlreichen Hebeln und Schrauben, drückten ab und zu auf einen elektrischen Taster oder knacksten einen Schalter auf und zu. Alles schweigsam, ohne den geringsten Laut, in den Gesichtern den Ausdruck konzentriertester Nervenanspannung.

Werndt überflog die glitzernden Instrumente mit einem stahlklaren Blick, der an das Auge eines Adlerjägers gemahnte. Sein scharfes Profil hob sich gegen das Licht ab. Vor dem Doppelfernrohr blieb er stehen.

Der Direktor las die Frage aus seinen Zügen und nickte bejahend.

»Mit diesem Fernrohr wurde die erste kinematographische Aufnahme des Punktes vor der Sonne gemacht. Die Motore, deren Summen man hört, bewegen die gewaltige Kuppel und das Riesenfernrohr dem Laufe der Sonne nach. Der Vorgang der kinematographischen Aufnahmen entspricht im allgemeinen den üblichen. Nur hat dieses Filmbild hier nicht das winzige Format von zwei mal drei Zentimeter, sondern die Größe sechzehn mal sechzehn. Auf diese Fläche wirft das Objektiv des sechzehn Meter langen Fernrohres ein rund fünfzehn Zentimeter großes Bild der Sonnenscheibe. Der ganze Apparat mußte also schon aus diesem Grunde ein vom gewöhnlichen abweichendes Aussehen haben.«

Der deutsche Gast nickte nur prüfend.

»Wieviel Bilder liefert der Apparat pro Sekunde?«

»Oft über hundert. Jedes mit einer Expositionszeit von 1/10 000 Sekunde. Der Film schießt zwischen den Zahnradtrommeln also mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges dahin, die hundertmal in der Sekunde unterbrochen und dann wieder mit einem einzigen Ruck erreicht werden muß. Die Gefahr des Zerreißens des Films ist dadurch vervielfacht. Außerdem muß bei so wichtigen Untersuchungen die Tourenzahl des Apparates genau gleich erhalten werden. Die Kontrolle besorgen diese mitphotographierten Elektrochronometerfunken. Die Bedienung des Apparates erfordert größte Gewandtheit.«

»Wer nahm damals auf?«

»Mister Wepp mit einer Gehilfin.«

»Derselbe Wepp, der –?«

Earthcliffe nickte verärgert.

Werndt machte sich kurze Notizen.

»Ich habe genug gesehen, meine Herren. Haben Sie einen Raum, in dem wir allein sind?«

Statt einer Antwort schritt der Direktor zur Türe und führte seinen Gast durch den Park in das Wohnhaus. Er stieß die Türe zum Arbeitszimmer auf, daß der Tierpark der Möbel sie kunterbunt ansprang.

Selbst Werndt stockte einen Augenblick auf der Schwelle. Er sah den beobachtend fragenden Blick Doktor Nagels und lächelte flüchtig. Dann nahm er ein Rechteck und setzte sich langsam. Seine Blicke durchliefen das ganze Zimmer und blieben voll Interesse an der Schreibtafel hängen, die in riesigem Ausmaß die Saalwand bedeckte.

»Es ist mir eine aufrichtige Freude, den größten Astronomen und Mathematiker unserer Zeit in seinem eigensten Wirkungsbereich kennenlernen zu dürfen,« sagte er herzlich. »Darf ich Sie bitten, nachdem unser lieber Nagel mich schon kurz informierte, mir alles Wissenswerte und Ihre bisherigen Ergebnisse knapp zu berichten.«

Der kleine Direktor lief nervös durch das Zimmer. In abgerissenen Sätzen gab er nochmals ein Bild von der ersten Entdeckung und all ihren Folgen. Werndt hörte aufmerksam zu. Bei einzelnen Stellen des Berichtes machte er sich kurze Notizen. Als Earthcliffe auf seine Mißerfolge und auf Wepps Verrat zu sprechen kam und seine Sätze mit mathematischen Flüchen bespickte, lief ein flüchtiges Lächeln über die gepreßten Züge des Deutschen.

Earthcliffe brach wütend ab.

»Und soweit sind wir noch heute. Wie die Ochsen stehen wir vor dem neuen Scheunentor und wissen keine Erklärung! Das Meteor ist verschwunden. Es ist ein Verhängnis! Es ist wie ein Wunder!«

Werndt klappte sein Notizbuch zusammen.

»Ein Wunder scheint mir hier nur, daß ein Kopf, wie Sie, und ein Duselpeter, wie mein alter Nagel, die Lösung nicht fanden.«

Mit einem Ruck sprangen die beiden aus ihren Sesseln.

»Sie wissen die Lösung?«

Wie aus einem Munde schoß diese Frage. Werndt verzog keine Miene.

»Bitte, setzen Sie sich, meine Herren. Es ist so, wie ich dachte.«

Er wartete, bis die anderen sich gesetzt hatten, bevor er fortfuhr.

»Ist Ihnen bei der Jupiterbeobachtung nie etwas aufgefallen?«

Earthcliffe sah auf die Tafel. Nagel zog seine Brauen.

»Aufgefallen?« wiederholte er fragend.

In die straffen Züge des Deutschen kam plötzliches Leben. Er beugte sich vorwärts.

»Sie haben das Meteor vor der Sonne zuerst als schwarzen Punkt gesehen. Darin ist nichts zu finden. Nun erschien der Körper vor dem Jupiter aber ebenfalls schwarz, während er dort doch im reflektierten Sonnenlichte gleich dem Monde und den Planeten hell hätte erstrahlen müssen.«

Der Sessel des kleinen Direktors flog krachend zurück und schnellte ins Lager. Earthcliffe rannte wie ein Besessener quer durch die Möbel und schlug sich die Hand vor die faltige Stirne.

»Esel! Esel waren wir alle! Das nicht zu erkennen!«

Nagel sah mit strahlenden Augen zu seinem bewunderten Lehrer hinüber.

»Das Ei des Kolumbus.«

»Und einfach, wie dieses. Da der Körper auch im Sonnenlichte, vor dem Jupiter ziehend, als Dunkelmann wirkte, ergibt sich ohne weiteres, daß er aus einem recht dunkeln Materiale bestehen muß, das nur wenige Prozente des auftreffenden Sonnenlichtes zurückwarf. Diese auffallend geringe Lichtstärke führte dann zu dem andauernden Mißerfolg der Beobachtung. Sie machte das Meteor im freien Weltenraum unsichtbar für das Fernrohr. Daraus folgt ...«

Earthcliffe blieb wütend stehen.

»Erstens, daß ich ein Hornochse war, und zweitens, daß jede weitere Beobachtung des Körpers unmöglich geworden ist. Ein Vorübergang des Meteors vor einem anderen Sterne, nämlich dem Monde, wäre erst in 120 Jahren wieder zu erwarten, sofern die Bahn des Körpers überhaupt gleichmäßig bliebe, was ich bezweifle. Und im freien Weltenraum kann dieses Sternvieh kein Menschenauge sehen!«

»Aber meine photographische Platte.«

Der kleine Direktor erstarrte zur Säule. Dann warf er vor Freude ein Buch an die Decke.

»Hipp-hipp! Potz durch x!« rief er frohlockend aus. »Die photographische Platte und meine Berechnung!«

Werndt winkte verneinend.

»Nicht jede Platte, sonst wäre gewiß schon eine zufällige kinematographische Aufnahme gelungen. Ich fürchte –«

»Was gibt's da zu fürchten?!«

»Ich habe Grund zu der Annahme, daß dies Meteor aus einem chemischen Material besteht, das wir noch nicht kennen. Ich fürchte, daß die Strahlung, die in den Wellenlängenbereich des ›Lichtes‹ unseres Himmelsvaganten fällt, so schwach ist, daß unsere normalen photographischen Platten hierfür nicht genügen.«

»Also doch keine Aussicht!«

Kampfbereit, mit geballten Fäusten stand der Astronom vor dem Deutschen. Werndt nahm voll Ruhe ein Glas aus der Tasche.

»Doch! Ich sagte vorhin, daß meine Platte erlaube –«

»Was heißt: Ihre Platte?!«

Der greise Gelehrte war ganz außer Fassung über diese neue Schwierigkeit. Werndt überhörte seinen Einwurf.

»Mein kleines Flugzeug, das Sie draußen sahen, vor allem die Erfindung des durchsichtigen Tragflächenstoffes, führten mich in letzter Zeit zu einer Reihe interessanter Beobachtungen der Lichtmöglichkeiten. Dann beschäftige ich mich seit etwa einem Jahre mit Spektralaufnahmen von Fixsternen.«

Earthcliffe zuckte zusammen.

»Jagt denn heute die ganze Gesellschaft nach Sternen?! Seit wann sind denn Sie Astronom geworden?!«

»Meine Versuche haben in letzter Hinsicht nicht astronomische, sondern chemische Zwecke. Ich machte Photogramme im Lichte einzelner, verschiedener Wellenlängen, wobei das übrige Strahlungsgebiet durch absorbierende Küvetten ausgeschlossen wurde.«

»Und was bezweckten Sie damit?«

»Ich hoffte dadurch nichts Geringeres als durch die Erforschung der chemischen Bestandteile der Fixsterne das Geheimnis des Urstoffs zu lösen.«

Earthcliffe sagte kein Wort, aber seine Blauaugen strahlten.

»Hatten Sie Erfolge?«

»Mehr als ich zu hoffen wagte. Aber darüber später. Meine Versuche zeitigten u. a. hier diese Erfindung: Meine ultrachromatische Platte, mit der ich auch Ihren Ausreißer zu fangen hoffe. Wie Ihnen bekannt ist, vermag das menschliche Auge nur einen ganz geringen Teil des Spektrums wahrzunehmen. Schon die ultravioletten Strahlen sind uns nur durch das Mittel der photographischen Platte erkennbar. Dann kommt ein breites Gebiet, in dem auch die Platten versagen. Bis wir auf das Gebiet der Röntgenstrahlen stoßen, für die wir wieder Aufnahmemittel besitzen, die Röntgenplatten. Was zwischen ultravioletten und Röntgenstrahlen liegt, ist unerforscht, ist Geheimnis. Bisher nahm man an, daß bei diesen Strahlen Absorption durch die Erdatmosphäre der Grund sei. Meine Untersuchungen haben mir gezeigt, daß diese Annahme nicht unbedingt zutrifft. Zum mindesten nicht für einen Teil dieses Streifens. Es gelang mir, dies Gebiet bisher unbekannter Strahlen durch meine neue Platte erkennbar zu machen. Und wenn mein Gefühl mich nicht täuscht, bin ich hierdurch auch den sonderbaren Strahlungserscheinungen Ihres Meteors auf der Spur, so daß meine Platte sein Licht in sich aufnimmt. In meinem Flugzeug ist ein genügender Vorrat.«

Earthcliffe ließ ihn nicht ausreden. Überwältigt von seinen Gefühlen, warf er die mageren Arme dem Gast um die Schultern und zog ihn wild an sich.

* * *

... Walter Werndt hatte nicht zu viel gesprochen. Nach einem ersten enttäuschenden Mißerfolge gelang es den Bemühungen der beiden Gelehrten schon am zweiten Tage, auf Grund der von Earthcliffe berechneten Bahn eine Aufnahme des rätselhaften Meteors zu gewinnen. Das Objekt mußte sich mit einer Geschwindigkeit von einem Grad des Himmels in sechzehn Minuten bewegt haben. Es mußte also ein schweifender Körper sein, kein Fixstern. Andererseits kam auch kein kleiner Planet in Frage, wie solche zwischen der Bahn des Jupiter und des Mars kreisen. Hierfür war die Geschwindigkeit eine viel zu große. Die Meteormondtheorie Earthcliffes erhielt also neue Bestätigung.

Die Aufnahmen selbst gestalteten sich sehr schwierig und erforderten die ganze Sorgfalt und Zähigkeit der beiden Gelehrten, die in Nagel eine wertvolle Hilfe fanden. Mit den neuen Platten mußte vollständig im Dunkeln gearbeitet werden. Da dem Menschen der Sinn dafür fehlt, ultrachromatische Strahlen wahrzunehmen, konnte man auch bei rotem Lichte nie wissen, ob ultrarote Strahlen nicht doch schädlich auf die Platte eingewirkt hatten.

Nach der ersten erfolgreichen Aufnahme des schweifenden Körpers folgten aufregende Tage. Trotz genauer Beobachtung der berechneten Bahnlinie gelang es volle sieben Tage nicht mehr, den kosmischen Ausreißer von neuem zu fassen. Der für so unerwartet großen Bedarf nicht ausreichende Plattenvorrat des Flugzeugs ging rapid zu Ende, so daß Werndt neue Lieferungen seines Laboratoriums anfordern mußte.

Schon wollte Earthcliffe sich von neuem seiner Verzweiflung hingeben. Er sah in dem Meteor immer mehr ein Verhängnis, das lediglich die Aufgabe hatte, ihn um den Verstand zu bringen und seiner Kunst zu spotten. Da gelang es, fast unerwartet, zwei neue Aufnahmen des Wandelsternes zu machen, die wegen ihrer seltsamen Ergebnisse von höchster Wichtigkeit waren. Das Plattenpaar, das infolge einer Fehleinstellung Nagels eine von Earthcliffes Bahnberechnung etwas abweichende Himmelsgegend aufgenommen hatte, zeigte einen kurzen, aber deutlichen Teil der Bahn des Meteors, der gerade in das Bildfeld jener Platte einzutreten begann.

Irgendwelche fremde Einflüsse mußten den Körper also aus seiner geregelten und voraus berechneten Bahn abgelenkt haben.

Auffallender war noch, daß der Spurstrich auf beiden Platten, die bisher ein Ergebnis erzielt hatten, so hell war, daß man hätte glauben können, die Spur eines Fixsternes dritter Größe vor sich zu haben. Trotzdem hatte Nagel beim ganzen Pointieren nichts gesehen, obwohl die Sternspur beim Leitstern, den er im Fadenkreuz gehalten hatte, ganz nahe vorbeizog, und obwohl er tausendmal lichtschwachere Fixsterne als solche dritter Größe leicht sah.

Mit freudiger Genugtuung über die Bestätigung seines verblüffenden Dusels erstattete Nagel den beiden Gelehrten seinen Bericht. Er fand ernste, fast bestürzte Gesichter. Mit einem kurzen Blick erkannte Werndt, daß Earthcliffe die gleichen Gedanken verfolgte wie er selbst. Nachdenklich hielt er die letzte Aufnahme gegen das Licht ...

»Ihr Erstaunen, lieber Nagel, über den sonderbaren Widerspruch der Helligkeit unseres Meteors für die Platte und für das menschliche Auge ist ganz berechtigt. Trotzdem ist die Lösung des Rätsels recht einfach. Die Strahlung, die in den Wellenbereich des ›Lichtes‹ fiel, war zwar ungemein schwach, dafür waren aber die außerhalb der chromatischen Wellengebiete fallenden Energien über jeden Vergleich mit anderen Sternen bedeutend. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß wir in diesem Meteor ein chemisches Material von ganz unbekannter und wahrscheinlich in seiner Fremdheit für uns furchtbarer und gefahrdrohender Eigenart vor uns haben. Erst hier, in der Beschaffenheit dieses Körpers, liegt das ganze Geheimnis verborgen, dessen Lösung noch aussteht. Käme es wirklich zum Absturz des Körpers, so wäre die Erforschung seines Materials wahrscheinlich für die Überlebenden eine der köstlichsten und unerhörtesten Aufgaben, die einem Chemiker der Erde gestellt werden kann.«

Seine Stahlaugen leuchteten in seherhaftem Glanze.

Earthcliffe hatte nur teilweise zugehört. Unruhig, wie geängstigt, trippelte er durch das Zimmer. Hastig wandte er sich nach der Tafel. Ihn interessierte in erster Linie die überraschende Abweichung in der Bahn des Meteors. Mit einem Satz war er in dem silbernen Sessel und schoß wie ein Pfeil an die Decke des Saales. Wie ein weißer Vogel sauste er über die Reihen und prüfte die Zahlen. Plötzlich kam es wie ein Schrei. Mit einem leisen Pfeifen sauste das Webschiff nach unten und warf seinen Herrn auf den hüpfenden Teppich.

Earthcliffe war bleich. Seine Stimme versagte.

Gewaltsam riß er sich zusammen.

»Gefahr?« fragte Werndt.

Der andere nickte.

»Es ist, wie ich dachte. Die Bahn schrumpft zusammen, – schrumpft unheimlich näher ...«

»Kein Zweifel mehr möglich?«

»Es ist die Gewißheit. Wenn jetzt nicht ein Wunder –«

Der weitere Satz blieb unausgesprochen. Ein drückendes Schweigen lag lastend im Saale.

* * *

Das prunkvolle Auto der Newyork Assurance Compagnie stand noch nicht vor dem mächtigen Parktor, als Mister Blackfriend schon aus dem Wagen heraussprang und dem Palast seines Freundes Wepp zueilte. Prustend vor Atemnot und mit ununterbrochenem Wippen seiner aufgeschwemmten Fettwülste arbeitete er sich den Einfahrtsweg zum Schlosse empor. Keinen Blick warf er auf die zauberhaft reichen Anlagen des Parkes, die ihn von allen Seiten umdrängten. Ungeduldig, wie gehetzt, eilte er an den langgestreckten Treibhäusern vorbei, aus deren glitzernden Scheiben ihm riesenhafte Orchideen aus grauen Köpfen rotleuchtende Zungen entgegenbleckten und phantastische Kakteen den Lichtschein durchstachen.

Im Anblick des Schlosses blieb er luftholend stehen. Immer wieder überwältigte ihn das Bild dieser unerhörten Pracht, die erdrückende Wucht dieses rotleuchtenden Marmors, der mächtige Quader und Säulen zum Dache trieb. Der jetzige Palast Wepps war die Schöpfung eines phantastisch veranlagten Amerikaners, des ehemaligen Ölkönigs Randsley. Kurz nach der ersten Alarmnachricht Wepps standen die beiden Ölfelder des Mannes in Flammen. Wie der Brand ausgebrochen war, wußte kein Mensch zu sagen. Die Verluste waren unschätzbar. Randsley trug sie anscheinend mit Gleichmut. Trotzdem fand man ihn eines Morgens tot vor seinem Schreibtisch. Herzschlag sagten die Ärzte. Manche wollten es besser wissen. Gerüchte tauchten auf und verschwanden. Niemand regte sich darüber auf in den Tagen der Panik. Was galt jetzt ein Menschenleben, und sei es auch das des reichsten Mannes der Staaten! Zwei Tage darauf hatte Wepp den Palast schon gekauft. Mit seiner ganzen Einrichtung und seinem enormen Besitztum. Kein anderer Käufer kam überhaupt auf, bei dem Weppschen Gebot. Randsley-Wepp. Die Namen wechselten. Das Schloß und sein Ruhm blieb erhalten. Was ging es die Welt an?

Blackfriend wischte sich den Schweiß von der Stirne und stieg in den Aufzug. Lautlos glitt die Zelle nach oben. Schweigend, wie erstarrte Statuen erwarteten ihn sieben goldrote Diener.

»Mister Wepp!« sagte er hastig.

Man riß eine Tür auf. Die Diener verschwanden.

»Theater!« keuchte der dicke Direktor und nahm einen Sessel. Das Zimmer war ganz in Gold gehalten. Rote und grüne Schlangen züngelten über die Wände. Ein gespenstisches Deckengemälde gab das Bild der entfesselten Hölle. Teufel mit grinsenden Fratzen umtanzten laut kreischende Weiber und rissen die Nackten wild in ihre Arme. Scheußliche Vetteln auf stachlichen Besen durchsausten die Lüfte, zottige Faune zerfleischten sich blutend um lachende Hexen in feurigen Haaren. Wie eine rotgoldene Lohe schlugen die Farben der Wände zur Decke.

Ein leises Zischen kam aus der Mitte des Zimmers. Aus dem kunstvoll gebildeten Boden drangen hellgelbe Nebel und rötliche Flammen. Dann schob sich das Mosaik von selbst auseinander, lautlos, unheimlich. In einer magisch beleuchteten Wolke fremdwilder Gerüche stieg langsam die hagere Gestalt Doktor Wepps aus dem Boden.

Blackfriend war entsetzt an die Tür gewichen. Jetzt kam er schnell näher. Er erkannte den mechanischen Vorgang, die Theaterversenkung.

»Was ist das nun wieder für eine neue Komödie?« schimpfte er, immer noch unsicher und etwas ängstlich.

Wepp rührte sich nicht, bis die Nebel verschwanden. Eine besondere Vorrichtung schien sie hinabzusaugen in das Mosaik, ihm zu Füßen.

»Erdenwurm!« sagte er grollend, in geisterhafter Starre. »Erdenwurm! Komödie wagst du es zu nennen, wenn dein Meister so vor dir erscheint, wie es ihm zukommt? Weißt du Kreatur meiner Laune noch nicht, wer Wepp ist? Ich weiß es. Und du wirst es erkennen, wenn meine Stunde gekommen!«

Mit kurzen Schritten ging er auf den anderen zu und beugte sich geheimnisvoll flüsternd zu dessen Ohr.

»Meine Stunde ist nahe!«

Blackfriend wich zweifelnd zurück. Ein seltsamer, flackernder Glanz in den Augen des Freundes trieb ihm eine Kälte durch Adern und Nerven.

Wepp richtete sich langsam auf. Der fiebrige Schein seiner Blicke verlöschte. Wie aus einem Traume erwachend, schaute er seinen Gast an und hieß ihn sich setzen. Blackfriend sah die Verwandlung und atmete leichter.

»Du bist doch der größte Schauspieler!«

»Bitte! Du weißt, die Kritik meines Wesens bleibt mir vorbehalten. Was willst du, was gibt es?«

Der Direktor besann sich auf den Zweck seines Kommens.

»Erklärung will ich,« sagte er hastig. »Ich weiß in den letzten Tagen nicht mehr, was ich denken und halten soll von deinem Handeln. Erst treibst du die Menschen in Angst und Entsetzen und steigerst die Panik der Börse zum Wahnsinn. Und plötzlich wird alles durch dich umgekrempelt. Deine Zeitungen schreiben jetzt Spalten auf Spalten, daß das Meteor ohne jede Gefahr sei, daß alles nur Bluff eines Earthcliffe gewesen, daß seine Berechnungen kindische Ausgeburt eines verkalkten Gelehrtenhirns seien. Deine Zeitungen schreiben –«

» Meine Zeitungen ...?«

Um die schmalen Lippen Wepps lag höhnisches Grinsen.

» Meine Zeitungen? Ich habe keine Zeitungen mehr. Ich habe alles vor fünf vollen Tagen an Conson verkauft.«

Blackfriend fuhr in die Höhe.

»Verkauft? Und das auf die Gefahr, daß der Schuft nun das Gegenteil ausschreit, wie du vor acht Tagen?! Du hast dich nicht einmal gesichert, daß – –?«

In den Augen des Doktors stand grausames Höhnen.

»Gefahr? Gesichert? Wer sagt dir Strohkopf denn, daß diese Wandlung für mich die Gefahr ist? Daß ich sie nicht wünsche?«

»Bist du denn von allen Geistern verlassen?«

Es klang wie ein Röcheln.

»Du duldest, daß er alle Panik beseitigt?«

»Dulden? Ich bezahle ihn sogar dafür. Wenn du übrigens etwas mehr Vertrauen in die Weisheit deines Meisters gehabt und bis heute abend gewartet hättest, mein Sohn, so würdest du erfahren haben, daß Conson nicht Wepp ist. Heute abend wird alle Welt wissen, daß Conson den armen Wepp maßlos betrogen, und ihm seine Zeitungen nur abgelistet, um sich auf die Seite der Gegner zu schlagen.«

»Heute abend! Heute abend! Was nützt uns das alles! Die Börse war wahnsinnig in diesen Tagen. Und du nicht zu sehen! Die Stahl- und Betonaktien sind wie erschlagen. Die Versicherungsaktien fallen tagtäglich um tausend Prozente. Die Newyork Assurance-Compagnie ist bankerott, wenn die Panik nicht aufhört. In unbekanntem Auftrag wurden in diesen zwei Tagen Milliarden von Aktien zum Kauf angeboten. Die Börse verschlang sie noch einmal mechanisch. Als man aufhorchte, war es zu spät. Der Kurs überschlug sich auf tausend Gerüchte. Wir alle mit unseren Papiermillionen sind tot, ruiniert –! Wir beide als Hauptaktionäre der Staaten –«

Ein grelles, schneidendes Auflachen Wepps unterbrach ihn.

»Wir beide als Hauptaktionäre? Du bist köstlich, mein Lieber! Seit gestern besitze ich keinen Penny in Aktien mehr. Während ihr schlieft, warf ich mein Besitztum durch Strohmänner auf die Börse. In allen Städten der Welt, hübsch verteilt und allmählich. Und ihr wart so dämlich, selbst das nicht zu merken. 50 Milliarden ergab der Verkauf. Heh, verschlafener Fettwanst! Weißt du, was das ist, kleine 50 Milliarden?«

»50 Milliarden! Für dich. Und ich ruiniert!«

Vollkommen gebrochen sank der dicke Direktor in seinen Sessel und schlug die Hände vor seine tränenden Augen.

»Heule nicht!« fuhr ihn der andere an. »Du wirst genau so reich bleiben, wie du warst. In längstens acht Tagen steht der Kurs deiner Aktien wieder wie damals.«

Mit ungläubigem Staunen und verzweifeltem Hoffen starrte sein Werkzeug ihn an.

»Die Aktien steigen? Nach der Katastrophe? Was hast du im Sinn? Welche Teufelei? Sprich doch!«

Wieder trat das unheimliche Flackern in Wepps Augen, als brenne ein höllisches Feuer da drinnen.

»Was ich im Sinne habe, Spottgeburt dieser Menschheit? Meine Stunde ist nahe, drum sollst du es wissen. Die Herrschaft der Erde will ich an mich reißen! Aufkaufen will ich euch alle, samt euren Seelen. Mein erster Schlag war nur Anfang –. Jetzt kommt die Vollendung. 50 Milliarden erwarten Verwendung ... Mensch, hörst du? Wurm deiner Millionen! Nur 50 Milliarden! Durch mein Börsenmanöver fielen die Kurse zusammen wie Schatten. Allein deine famosen Versicherungsaktien purzelten heute auf ganze 500. Und standen 10 000. Zum zehntel und zwanzigstel Preis wirft man sie auf den Markt – ha –«

Er zog die Uhr und grinste befriedigt.

»In dieser Stunde kaufen meine Leute alles auf, was man abwirft. Alle Aktien der Erde. Für rund 50 Milliarden.«

Der dicke Direktor stand zitternd vom Stuhl auf. Er würgte vergeblich. Die Stimme versagte.

»Heute mittag, in einer Stunde wird Conson, mein Strohmann, ganz spurlos verschwinden. Mit seiner Milliarde, die ich ihm geboten. Ein Almosenposten in meinem Manöver –. Heute abend ist Wepp wieder Herr seiner Zeitung und und damit der Massen. – Ich werde in fünfzehn Versammlungen sprechen, vor zahllosen Menschen. Und morgen schon werden die Kurse sich jagen, verdreifachen, klettern. Die Angst vor dem Absturz wird wieder zur Panik, zum Wahnsinn, zur Tobsucht. Zum letztenmal vor dem Erwachen der Herde. Und wenn sie erwacht, ist die Welt mir verfallen! Aus meinen ärmlichen 50 Milliarden sind 500, 600, 1000 geworden. Die Erde mit allem, was steht, ist mir hörig! Und nicht noch einmal sollen die Sternwarten, die Astronomen mir Kopfschmerzen machen. Ihr Urteil, ihr Tod, ist schon heute beschlossen. Wegfegen werde ich diese Hohlköpfe alle. Tod dem, der mir trotzte!«

Durch die massige Gestalt des dicken Direktors lief plötzliches Zittern. Mit einem röchelnden Aufschrei fiel er auf die Knie und hob seine Arme zu Wepp in die Höhe.

»Herr! Meister! Mir schwindelt. Was sind wir vor dir doch erbärmliche Wichte!«

Wepp strich sich die rötlichen Borsten nach hinten und kreuzte die Arme voll Würde und Herrschsucht. Dunkle Flecken brannten auf seinen hageren Backen. Unheimliches Flackern sprang aus seinen Augen.

»Küsse deinem Meister in Demut die Füße!« befahl er, den Mann auf dem Teppich verächtlich betrachtend.

Mit einem erschütterten Stöhnen, widerstandslos, überwältigt vom stärkeren Willen, gehorchte ihm Blackfriend.

* * *


 << zurück weiter >>