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2.

Die Eltern Feodors, der Justizrat Merck und seine Frau Karoline, gaben zur Feier der zwanzigsten Wiederkehr ihres Vermählungstages ein kleines Familienfest. Außer den nächsten Verwandten hatte man auch ein paar gute Freunde geladen; vor allem Professor Lotichius und den Rittmeister Scholl, der unbedingt für den glänzendsten Offizier der Glaustädter Garnison galt. Feodor, der mit seiner noch jugendlichen Mama auf einem fast kameradschaftlichen Fuße stand, hatte sich die Vergünstigung ausgewirkt, bei der Tafelordnung ein Wort mitzureden. Die Folge war natürlich ein Arrangement, das den Professor Lotichius zum Tischherrn der blonden Marie Sanders machte. Die andere Seite des liebenswürdigen jungen Mädchens mußte man allerdings zum Leidwesen Feodors dem Rittmeister Scholl gönnen. Feodor hatte ursprünglich die Absicht gehabt, diesen schneidigen Kavalier möglichst am entgegengesetzten Ende der Tafel kalt zu stellen. Aber er fügte sich, da ihn die Mutter belehrte, es sei geradezu unartig, wenn man die offenkundigen Sympathien der Gäste so wenig berücksichtige. Bei nochmaliger Überlegung fand er die Anordnung auch gar nicht so zweckwidrig. Wenn der Professor sah, wie eifrig der Rittmeister bei feinen Huldigungen ins Zeug ging, so übte das doch vielleicht einen günstigen Einfluß auf seine Zaghaftigkeit aus. Die Eifersucht war ja ein mächtiger Hebel.

Das kleine Diner verlief zur allgemeinsten Befriedigung. Küche und Keller boten Vorzügliches. Ein jovialer Onkel des Hausherrn brachte den Toast auf das glückliche Paar aus, rühmte das traute Familienleben, dessen die Mercks nun seit zwanzig Jahren sich ohne Trübung erfreuten, warf ein Paar liebenswürdige Streiflichter auf die zwei hoffnungsvollen Kinder des Hauses, Feodor und die fünfzehnjährige Frieda, und wob zuletzt auch die reizende junge Schwester der Hausfrau mit vielerlei blumigen Schmeicheleien in das Gespinst seiner Rede. Allem Liebenswürdigen, was dieser Tante galt, pflichtete Feodor, der ihr schräg gegenüber saß, durch lebhaftes Kopfnicken bei, nicht ohne im stillen den guten Professor Lotichius mit hoffender Aufmerksamkeit zu beobachten. Der junge Gelehrte aber hielt seinen Blick starr auf den Teller gerichtet, preßte die Lippen fest aufeinander und spielte mit unsicherem Finger am Stengel seines Champagnerglases.

Stürmische Hochrufe unterbrachen diese Versunkenheit. Flüchtig errötend, stieß Professor Lotichius mit seiner blonden Nachbarin an. Er brachte kein Wort über die Lippen, sondern wandte sich gleich zu den übrigen, vorab zu dem Jubelpaar. Der Rittmeister dagegen drehte sich mit einem vielsagenden Lächeln seinen mächtigen Schnurrbart und flüsterte seiner lieblichen Nachbarin schmeichlerisch zu:

»Mir ganz aus der Seele gesprochen – besonders was er da über Sie bemerkt hat! Famoser Herr, dieser Onkel! Ich gestatte mir, gnädiges Fräulein ...« Er leerte das Glas bis auf den letzten Tropfen, und seine tiefschwarzen Augen schleuderten einen flammenden Blitz in die ihrigen.

Feodor sah zu seiner tiefsten Betrübnis, daß die Angelegenheit seines lieben Professors nicht den geringsten Fortgang nahm. Und wenn er die beiden Herren da rechts und links von Tante Marie vorurteilslos miteinander verglich, so gab es für ihn doch gar keinen Zweifel, wem von den zweien der Kranz gebühre. Professor Lotichius war nicht nur ein genialisch veranlagter Mensch, sondern auch eine stattliche Männererscheinung, wohl gewachsen und von gewinnenden Zügen. Nur der Mangel an Selbstvertrauen, die trübe Scheu einer weltfremden Natur und dann auch eine gewisse Traumhaftigkeit und Zerstreutheit lieh ihm etwas vom Sonderling. Der Rittmeister dagegen war nur ein flotter, vielerfahrener Courmacher, ein liebenswürdiger Schwadroneur, aber im Grund seines Wesens hohl und ohne andere Interessen als die seines Dienstes und seines Amüsements. Wenn dem Professor erst einmal diese holde Marie als Lebensgefährtin zur Seite stand, würde sich alles, was ihn jetzt vielleicht in den Augen gewisser Leute beeinträchtigte, völlig verlieren; der wahre Kern seines Wesens würde siegreich zum Durchbruch gelangen. Der Rittmeister dagegen war und blieb ein gefälliger Durchschnittsmensch, der zu einem so tiefen, wundervollen Geschöpf wie Marie durchaus nicht paßte.

Feodor wunderte sich, daß er jetzt überhaupt solche Betrachtungen anstellte. Marie war ja doch ganz seiner Ansicht. Sie hatte ihm ja ihre Neigung zu dem Professor eingeräumt. Und, streng genommen, lieferte auch die Art, wie sie mit beiden Herren verkehrte, den Beweis für diese Neigung. Wenn sie mit dem Professor sprach, schien sie ganz eigentümlich befangen, während sie mit dem Rittmeister ohne Rückhalt scherzte und lachte und seine unbedeutendsten Späße mit augenscheinlicher Dankbarkeit aufnahm.

Freilich konnte ja diese Dankbarkeit von Professor Lotichius mißdeutet werden ... Die Möglichkeit eines derartigen Irrtums ärgerte den frühreifen Menschenkenner über die Maßen. Und der Professor ward immer schweigsamer. Feodor Merck beschloß daher, in diesen Herzensroman seines Freundes Lotichius fordernd einzugreifen, sobald sich irgendwie die Gelegenheit böte.

Man war beim Dessert. Als er sich eine Handvoll Knackmandeln aus der silbernen Schale nahm, verfiel er sofort auf den Gedanken, Fräulein Marie Sanders müsse mit dem Professor ein Vielliebchen essen. Wenn Professor Lotichius in die Lage versetzt wurde, dem Gegenstand seiner Liebe etwas zu schenken, so begründete das doch immerhin einen Zusammenhang, der bei kluger Berechnung ausgenutzt werden konnte. Noch besser war es, wenn der Professor gewann. Marie mußte ihm dann etwas arbeiten, etwas recht Sinniges, Hübsches, Bedeutungsvolles, und Feodor wollte dann schon dafür Sorge tragen, daß diese Gabe möglichst erkennbar die Gesinnungen der Geberin aussprach. Da lag ja der Punkt, auf den's hier vor allem ankam. Er mußte unzweideutig erfahren, was in der Seele Mariens vorging. ...

Feodor schmunzelte stillvergnügt vor sich hin. Beim Aufknacken der dritten Mandel fand er schon, was er suchte. Er legte die beiden Kerne auf einen Teller und reichte sie über den Tisch mit den Worten: »Für dich, Tantchen, und den Herrn Professor als deinen Tischherrn! Willst du?«

»Ah, ein Vielliebchen!« lachte der Rittmeister selbstbewußt und zwirbelte seine Schnurrbartspitzen. »Die alte, fromme Sitte ist noch nicht ausgestorben!«

»Wenn es dem Herrn Professor recht ist ...,« sagte Marie, etwas verlegen. Sie glaubte, es würde auffallen, wenn sie nicht harmlos auf die Idee Feodors einginge.

»Selbstverständlich,« meinte Lotichius errötend. »Ich muß nur zu meiner Schande gestehen, daß ich auf diesem Gebiet wenig Erfahrung habe.«

»Sehr einfach.« Marie setzte ihm nun die üblichen Bedingungen kurz auseinander. Er nickte. Und dann vollzog man die Zeremonie mit einer gewissen ans Komische grenzenden Feierlichkeit. »Absichtliches Verlieren ist ausgeschlossen,« fügte Feodor in seiner Rolle als Unparteiischer eifrig hinzu. »Nicht wahr, Tante?«

»Natürlich. Sonst wäre ja gar kein Witz bei der Sache.«

»Also aufgepaßt, Herr Professor!« mahnte der Rittmeister.

»Keine Sorge! Ich werde schon achtgeben!«

Und wirklich schien Professor Lotichius von diesem Moment ab all seine Gedanken auf den Sieg in dieser scherzhaften Fehde zu richten. Er ward noch schweigsamer als zuvor; nur die Worte »Ich denke dran« klangen etlichemal von seinen seltsam gekräuselten Lippen.

Kurz vor dem Aufstehen wollte der Zufall, daß Mariens Serviette von ihrem Schoße herab unter den Tisch glitt. Lotichius, voll arger List, bückte sich, hob sie auf und überreichte sie der nichtsahnenden Nachbarin mit einer artigen Handbewegung. Marie war von dieser Aufmerksamkeit des sonst nicht übermäßig galanten Professors derart verblüfft, daß sie die Anwendung des Schutzwortes vergaß und erst durch das triumphierende »Guten Morgen, Vielliebchen!«, das Lotichius ihr zurief, an die Lage der Dinge erinnert ward.

»Bravo!« rief der übermütige Sohn des Hauses. Marie Sanders aber ward purpurrot, denn sie befürchtete, daß man trotz ihres vorhin so deutlich ausgesprochenen Grundsatzes dies rasche Verlieren für Absicht halten möchte. Sie stammelte ein paar Worte, die ihren Mangel an Aufmerksamkeit entschuldigen sollten, brach aber dann rasch ab. Den Rest des Tages über war der Professor merkwürdig aufgeräumt. Besonders liebenswürdig und lebhaft unterhielt er sich mit seinem jungen Freunde Feodor, dem er von seiner griechischen Reise erzählte und auch sonst manche vertrauliche Mitteilung machte. In seiner Anspruchslosigkeit freute er sich seines Vielliebchensieges wie eines großen Erfolges. Der Gedanke, Marie Sanders je zu besitzen, lag ihm dabei ferner als je, zumal er fest davon überzeugt war, dieser glänzende Rittmeister Scholl habe die ernsthaftesten Absichten. Mit einem solchen Rivalen aber es aufnehmen zu wollen, wäre ja doch der barste Wahnsinn gewesen. Im Grund seines Herzens hatte Lotichius dauernd entsagt. Für ihn war es Glück genug, wenn er ein kleines Andenken von ihr mit hinüber nach Bonn rettete. Er stand nämlich mit der dortigen Hochschule in Unterhandlung. Bis jetzt hatte er noch gezögert. Nun aber war es beschlossen: er würde den Ruf annehmen. Dieser Entschluß war es, der ihm eine gewisse Klarheit und Festigkeit lieh und ihn fast heiter erscheinen ließ.

Nach dem Kaffee begab sich die ganze Gesellschaft in den Hausgarten. Es war kurz vor Sonnenuntergang. Über den Bäumen, Sträuchern und Blumenbeeten lag die wehmütige Poesie des scheidenden Sommers. Feodor wußte es einzurichten, daß der Professor sich plötzlich mit Fräulein Marie allein in der Laube sah. Es entspann sich ein kurzes Gespräch. Lotichius teilte ihr mit, daß er wohl spätestens Anfang November abreisen werde. Er gehe nach Bonn, wo sich ein größerer Wirkungskreis ihm erschließe als hier in Glaustädt. Als sie nicht antwortete, fügte er halblaut hinzu:

»Ja, Fräulein Sanders! Ich verbessere mich ganz augenscheinlich. Auch hoffe ich dort gewisse Aufregungen und törichte Träumereien leichter vergessen zu können als hier. Nicht jedem ist es auf Erden vergönnt, seine goldnen Phantasmen in Wirklichkeit umzusetzen, – – wie etwa bevorzugte Persönlichkeiten nach Art des Rittmeisters Scholl...«

Er schwieg, selber erstaunt über die tollkühne Anspielung, die er sich niemals im Leben zugetraut hätte. Mariens Herz pochte. Aber noch ehe sie etwas erwidern konnte, trat der so befremdlich erwähnte Rittmeister Scholl dazwischen und überreichte ihr mit blendender Ritterlichkeit »die letzte Rose« – »the last rose of summer?« –, die er soeben im großen La-France-Beet für sie gepflückt hatte.


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