Marie von Ebner-Eschenbach
Der gute Mond
Marie von Ebner-Eschenbach

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Eine Seuche war bei uns unter dem Geflügel ausgebrochen und lockte Zigeuner herbei, die das gefallene Vieh ausgruben und aßen. Ich wollte den Unfug nicht dulden, paßte den Leuten auf, und wo ich einen auf frischer Tat erwischte, packte ich ihn zusammen und ließ ihn aus dem Dorfe jagen.

»Unglaublich«, meinte Franz, »daß du dich darum kümmerst, ob sich das Gesindel die Pest an den Hals frißt.«

Ich war just besonders bärbeißig und rief: »Es kümmert mich, und ich duld's einmal nicht!« und bemerkte, daß Franz und die Kleine einander so ansahen, wie zwei tun, die von einem Dritten denken: ja, so ist er, der Mensch! Und zum Unglück muß die Kleine sagen: »Laß die Zigeuner gewähren, sie sind bös und werden uns noch etwas antun.«

Immer hatte ich sie aufgefordert: Rede, sprich deine Meinung aus; nun tat sie's einmal – oh, hätte sie es lieber nicht getan! Alles würde anders gekommen sein, ich hätte der glücklichste Mensch werden können... Aber, daß sie ihm recht und mir unrecht gab, das reizte mich blinden Maulwurf, der ich war!... Und wie zum Trotz übte ich schärfer denn je meine polizeiliche Gewalt aus.

Einige Zeit darauf – wir hatten den siebzehnten Geburtstag der Kleinen gefeiert und saßen auf dem Balkon beim Abendessen –, da wirbelte uns gegenüber im Tal, so auf ein Halbtausend Schritte, eine Rauchsäule in die Höhe... Franz streckte den Arm aus und sagte: »Die Zigeuner lassen sich empfehlen!«

Hol mich der Teufel, die alte Scheuer brannte. Eine Baracke, um die mir nicht leid gewesen wäre, hätte sie nicht voll Heu gesteckt.

Wir laufen in den Meierhof. Dort spannen sie schon die Feuerspritze ein, und mein Wirtschafter steht dabei und ruft mir entgegen: »Brennt wie ein Span, die Scheuer! Ist nichts zu machen!«

Ja, so gescheit bin ich auch; aber um das Arbeiterhaus in der Nähe, um das ist mir's zu tun. – Mein Wirtschafter steckt den Finger in den Mund, zieht ihn naß heraus und hält ihn an die Luft: »Nichts zu machen. Der Wind bläst alles hinüber.«

Nun, ich ruf: »Vorwärts!« spring auf die Spritze, der Franz mir nach, und der Knecht jagt, was er kann, den Berg hinunter. – »Warum hast nicht die Schwarzbraun' genommen?« frag ich ihn noch. – »Daß wir früher drüben sind«, antwortet er. – »Was hilft's«, geb ich zurück, »wenn uns die Rappen vorm Feuer ausreißen?« Und zu gleicher Zeit fliegt mir der Gedanke durch den Kopf: Die Kleine wird sich's doch nicht einfallen lassen, uns nachzulaufen?

Wir sind an Ort und Stelle, die Rappen ruhiger, als ich erwartet hatte; ich kann mich dicht ans Haus aufstellen und die Pferde ausspannen lassen. Die Scheuer brennt lichterloh, jeder Windstoß treibt einen Funkenregen auf das Dach, das ich schützen möchte, so lange wenigstens, bis die Leute ihre Habseligkeiten geborgen haben... Alles ist voll Menschen; die meisten gaffen, einige erweisen sich hilfreich; rein wie besessen stürzt der Franz herum, rettet Sessel, Kissen, Pfannen mit einer Hingebung, als ob es lauter Kinder wären, die er aus den Flammen trägt... Ja, ja, leider schon Flammen... Wasser war in Fülle vorhanden, die Spritze tat ihre Schuldigkeit, reichte aber nicht aus, furchtbar qualmte der Rauch, die Sparren krachten, »Franz«, ruf ich, »laß es gut sein!« Und er: »Nichts mehr zu retten?«

»Das Kind vom Schlosser ist vergessen, o Jesus, das Kind in der Wiege!« kreischt eine Tagelöhnerin. – Ich hätte sie totschlagen mögen, und ihn auch – besonders ihn. Weil er keinen angehört, der ihm sagt: Das Kind ist da, ist längst geborgen. Er will nichts, er hat nichts im Kopf, als daß die Leute sein Lob singen sollen vor der Kleinen, daß sie ihr sagen sollen: Oh, welch ein Anblick, wie er aus den rauchenden Trümmern sprang, ein Kindlein in seinen Armen!... Das hat er gewollt, ich kenne ihn den Schwärmer, der nichts umsonst tut, den Unberechenbaren, der immer rechnet. Ich verlier kein Wort, als er zurückrennt, zum allgemeinen Entsetzen, in das brennende Haus. Hinter ihm poltert der ganze Krempel zusammen, aus den Fenstern, aus der Tür bricht die Lohe – lebendig kommt er da nicht heraus... Die Leute in lauter Verzweiflung klagen: »Der gnädige Herr! Gott im Himmel, er ist verloren!«... Weiber werfen sich auf die Knie und beten; Kinder weinen. Ich rufe in den Lärm hinein: »Herum ums Haus mit der Spritze! Nehmt Äxte – wir schlagen die Lehmwand durch!«

Drüben hoff ich noch des Feuers Meister zu werden, bis man ein Loch gebrochen hat, durch das er schlüpfen kann, der Narr. Ein halbes Dutzend Männer springt vor, taucht an. »Mehr rechts!« befehl ich, »sonst geht's in den Graben...« Da war's schon geschehen, und wir stecken... Ich mein aus der Haut zu fahren: »Die Rappen her! die Rappen!«

Es ist ein Gedränge, ein Wechsel von Licht und Dunkelheit; jetzt glüht weithin der grelle Feuerschein, eine Minute später umhüllt mich ein Qualm, daß ich den Schlauch nicht sehe in meiner Hand. Ich höre nur, daß sie die Pferde bringen... Mit Müh und Not, denn jetzt scheuen sich die Luder und schlagen aus... Plötzlich ertönt ein Schrei: »Franz!...« ein unsagbar jammervoller Schrei – das war sie!... Kinder, ich steh im Feuer wie ein Salamander, und vom Wirbel bis zur Sohle wird mir eiskalt... und die Leute sind starr vor Schrecken, und ich spring zur Erde... Da liegt eine weiße Gestalt, da liegt mein Liebstes. – »Tot«, sagt jemand neben mir, »daß Roß hat sie geschlagen – ich hab's gesehen.«... Einbildung! – nicht tot, nur besinnungslos, denk ich, entdecke auch kein Zeichen von Verletzung an ihr, außer einem einzigen großen Blutstropfen, welcher aus ihrem Munde gequollen ist... Und vergesse alles andere – oder vielmehr mit allem anderen ist's aus – und beuge mich und hebe sie sanft vom Boden auf und bitte die Leute: »Macht Platz, daß ich sie nach Hause tragen kann!« Alle weichen zurück – ein einziger wagt sich heran, ein rauchgeschwärzter, verstörter Mensch (es ist ein Wunder, daß er da ist, aber in dem Moment wundere ich mich über nichts); der Mensch, dem sie nachfliegen wollte ins Feuer wie ein kleiner Schmetterling ins Licht, und ich wettere ihn an: »Aus dem Weg! Du bleibst und machst dich weiter nützlich!«

Und der Franz spricht kein Wort und gehorcht.

Beim Nachhausegehen ist es mir manchmal vorgekommen, als ob sie atme, die Kleine... Als ich sie in ihrem Zimmer auf ihr Bett legte, blieb sie lange Zeit ganz starr, und wir verzweifelten schon, ihre Dienerinnen und ich. Bis nach Besztercze mußte gefahren werden um einen Arzt, und der konnte im besten Fall am Abend des nächsten Tages bei uns sein. Es war mir recht, als ich hörte, daß der Franz sich's nicht hatte nehmen lassen, das Abholen des Doktors selbst zu besorgen.

Nach Mitternacht sank die Kleine allmählich aus ihrer Ohnmacht in einen tiefen Schlaf, ich fühlte unter meinen Fingern das leise Klopfen ihres Pulses, und als ich ihr Händchen betrachtete, das in meiner rauhen Hand lag, tat mir der Kontrast weh. Da saß ich an ihrem Bett, und derjenige, an dem ihr armes törichtes Herz hing, kutschierte draußen auf der Landstraße. Wenn sie erwacht und sieht nur mich, es wird ihr sehr traurig sein. Sie war so hilf- und harmlos und – daran zweifelte ich nicht – so schwer krank... Ein grenzenloses Erbarmen kam über mich; eine größere Liebe, als ich je für sie gehabt hatte, erfüllte meine Seele, und ich tat ein Gelübde: Wenn sie gesund wird, will ich jeden Anspruch auf sie entsagen. Unsere Ehe ist leicht gelöst. Mag sie mit dem leben, mit dem sie sterben wollte. Auf ihn achtgeben und dafür sorgen, daß er keine Dummheiten macht, das soll meine Sache sein, dazu bin ich der Stärkere.

Mit diesem Vorsatz steh ich auf von meinem Platz am Fußende ihres Bettes, und wie ich mich über sie beuge – was seh ich? Sie hat die Augen offen und richtet einen unsicheren, fragenden Blick auf mich: »Franz?« sagt sie, und ich antworte: »Er kommt, mein Kind, kommt bald...«

»Wer kommt?... O Lieber!« und auf einmal hebt sie die Arme und schlingt sie um meinen Hals. »Bist du's? fehlt dir nichts? bist da?«

»Jawohl, ich bin da.«

»Dann ist alles gut«, flüsterte sie, »alles gut, du Bester!«

Was hat das zu bedeuten? Ich habe es nicht gleich begriffen und gefragt: »Träumt mein Kind?«

»Nein, ich bin wach.«

»Wach – und nennst mich Bester?«

»Weil du's bist«, antwortet sie und lächelt mich so zutraulich an wie noch nie.

Ich ringe mit der Wonne, die, begleitet von tausend Schmerzen, einziehen möchte in meine Brust. »Jetzt weiß ich, daß du träumst, du Kind. Ich bin ja immer so barsch mit dir gewesen.«

»Du? Ach geh!«

Ewige Güte! Ach geh, sagte sie – und ich habe mich nicht mehr beherrschen können, ich bin auf meine Knie gesunken und habe ihre Augen geküßt und meinen Kopf neben den ihren auf das Kissen gelegt und mit zitternder Seligkeit gefragt: »Besinne dich, warum wolltest du in das brennende Haus?«

»Nicht ins Haus – nur zu dir, nur dir nach, nur dich abhalten... Aber« – unterbrach sie sich plötzlich – »warum weinst du?«

Ihre Augenlider waren schwer geworden, sie lehnte ihr Gesicht an das meine und schlief wieder ein.

Der Arzt kam zur Zeit, um welche ich ihn erwartet hatte. Er sprach von einer inneren Verletzung, er gab keine Hoffnung. Einige Wochen haben wir ihr teueres Leben aber doch gefristet. Sie hat wenig gelitten und bis zum letzten Augenblick die feste Zuversicht auf ihre baldige Genesung bewahrt. An ihrem Sterbebett ist keine Träne geweint worden; ich habe jeden, der seine Rührung nicht zu unterdrücken vermocht hätte, ferngehalten – und auch die letzten Tröstungen der Religion. Die Kleine brauchte keine Tröstungen, denn sie hatte keinen Gram, und den meinen verbarg ich ihr.

Daß es mir gelang, das war meines Herrn und Gottes wundersames Geschenk. Wer außer ihm hätte mir diese Kraft geben können? Und so hab ich denn alles allein mit ihm abgemacht und mich nicht erschüttern lassen in meinem Glauben, daß ich keinen Frevel beging, indem ich sie unvorbereitet scheiden ließ, die Seele, die zurückgekehrt ist zu ihrem Schöpfer, so rein, als er sie dereinst ins Leben entließ.

In meinen Armen, an meiner Brust ist sie oft eingeschlafen, einmal denn auch, um nicht wieder zu erwachen – die Meine und nicht Meine!

 

Unser verehrter Freund pflegte seine Erzählung mit diesen Worten zu beschließen. Es bedurfte auch für uns keiner Fortsetzung, da wir aus anderweitigen Berichten wußten, daß er auf seinem Gute noch so manches Jahr still und ruhig verblieb. Erst nach dem Tode seines Herrn Vetters Franz von Bauer hörte der Aufenthalt in dortiger Gegend auf ihm angenehm zu sein, und er vertauschte ihn mit demjenigen in unserem Städtchen.


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