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Drittes Kapitel

Es steht schlimm um den Knaben,« sagte der Architekt, während das Fuhrwerk über die Steinfliesen der Königsstraße hinrasselte, und schüttelte bedenklich den Kopf.

»Und da drüben,« fügte Dion hinzu, »sieht es gleichfalls anders aus als erfreulich. Philostratus bringt die Leute um den Verstand. Aber der gekaufte Unheilstifter soll gleich wünschen, die Goldstücke der Iras weniger willig eingestrichen zu haben.«

»Und zu denken,« rief der Baumeister, »daß Barine das Weib, die Hausfrau dieses Elenden war! Wie das geschehen konnte ...«

»Sie war ein Kind, als man sie vermählte,« unterbrach ihn Dion. »Wer fragt hier die fünfzehnjährige Jungfrau, wenn man ihr den Mann wählt? Und Philostratus – auf Rhodus war er mein Studiengenosse – versprach damals das Beste. Seinem Bruder Alexas, dem bevorzugten Günstling des Antonius, wäre es ein Leichtes gewesen, ihn vorwärts zu bringen. Barines Vater war tot, die Mutter, gewöhnt, auf den Rat des Großvaters der Tochter zu hören, und dem alten Didymus hatte der gewandte Syrer Sand in die Augen gestreut. So überlang und schmal er auch ist, sieht er doch heute noch so übel nicht aus. Wie er als Rhetor auftrat, gefiel er. Das stieg ihm zu Kopf, und es steckt in ihm das Blut des Verschwenders. Um die schöne junge Braut in ein stattliches Haus zu führen, übernahm er die schlechte Sache des räuberischen Steuereinnehmers Pyrrhus und redete ihn frei.«

»Er hatte ein Dutzend falscher Zeugen gekauft.«

»Es waren sogar deren sechzehn. Später kamen so viele dazu, wie ihm dort drüben weit geöffnete Mäuler zuschreien. Es ist Zeit, sie zum Schweigen zu bringen. Begib Du Dich ins Haus und beruhige den Alten, und wenn Barine bei ihm ist, auch sie. Findest Du schon Boten des Regenten, so erhebe Widerspruch gegen den unerhörten Beschluß. Du kennst ja die Stellen des Gesetzes, die dem Alten zu gute kommen.«

»Seit dem zweiten Euergetes ist der registrirte Grundbesitz unantastbar, und der seine wurde verzeichnet.«

»Um so besser. Sage den Beamten auch vertraulich, Du wüßtest, daß den Regenten vielleicht neu aufgetauchte Bedenken umstimmen würden.«

»Und allem voran, bestehe ich auf meinem Rechte, den Platz für die Statue zu bestimmen. Die Königin selbst schrieb den anderen vor, meine Meinung zu hören.«

»Das wiegt am schwersten. Aus Wiedersehen nachher! Von der Barine bleibst Du heute abend lieber fern. Siehst Du sie, so sage ihr, der wackere Archibius habe fallen lassen, er werde sie besuchen; wozu – das erklär' ich Dir später. Ich gehe wohl nachher zu der Iras, um auch sie zur Vernunft zu bringen. Der Wunsch des Cäsarion bleibt besser unerwähnt.«

»Ganz gewiß, und daß Du dem da drüben nichts schenkst!«

»Im Gegenteil. Mir ist sehr freigebig zu Mute. Wenn Peitho mir beisteht, bekommt der Nimmersatt mehr von mir aufgeladen, als ihm lieb sein möchte.«

Damit reichte Dion dem Baumeister die Hand und brach sich Bahn durch die Menge, die das auf Schlittenkufen ruhende hohe Gestell umstand, auf dem man die tief verhüllte Statue hieher gerollt hatte.

Das Thor des Gelehrtenhauses stand offen; denn ein Beamter des Regenten hatte es in der That vor kurzem betreten, doch hielt die scythische Wache, die der Exeget Demetrius, das Stadthaupt, ein Freund Barines, hieher gesandt hatte, die vordringenden Neugierigen zurück.

Der Baumeister war ihrem Führer bekannt, und bald stand er in dem Impluvium des Gelehrtenhauses, einem länglichen Raume mit offener Decke, in dessen Mitte ein kleiner Springbrunnen das runde Blumenbeet, das ihn umgab, mit zerstiebendem Wasser betaute. Der alte Haussklave hatte eben einige dreiarmige Lampen an hohen Ständern entzündet.

Die Beamten, die der Regent hieher geschickt hatte, waren vor kurzem gekommen, um dem Didymus mitzuteilen, sein Garten solle in einen öffentlichen Platz umgewandelt werden.

Als der Baumeister in das Haus trat, hatten die Beamten, ihre Schreiber und die sie begleitenden Zeugen, eine Schar von zwanzig Männern, an deren Spitze Apollonius, ein angesehener Intendant des königlichen Schatzes, stand, sich schon hineinbegeben.

Der Sklave, der den Gorgias führte, teilte es ihm mit.

Im Atrium wurde er von einer Jungfrau, die zur Familie des alten Gelehrten gehören mochte, aufgehalten. Er irrte sich nicht, wenn er in ihr Helena, die jüngere Enkelin des Didymus, vermutete, von der ihm Barine gesprochen. Freilich glich sie der Schwester weder an Gestalt noch am Angesicht; denn während das Haar der jungen Frau blond und wellig war, schlang sich um das Haupt des Mädchens ein voller, glatter, tiefschwarzer Zopf. Besonders fremd mutete der tiefe, ernste Ton ihrer Stimme ihn an, aus dem ihm starke innere Bewegung entgegenklang, als sie ihm mit der kurzen Frage, in der sich ein leiser Vorwurf verbarg, entgegentrat: »Noch eine Forderung?«

Da vergewisserte er sich erst, ob er in der That mit Helena, der Schwester seiner Freundin, redete und eröffnete ihr dann schnell, wer er sei und daß er im Gegenteil komme, um ihren Großvater vor schwerem Unglück zu beschützen.

Als sein erster Blick sie in dem spärlich beleuchteten Raume getroffen, war der Eindruck, den sie in ihm hervorrief, kein günstiger. Von der reinen weißen Stirn, die ihm für ein Frauenantlitz zu hoch erschienen war, hatte ihm eine leichte Falte unwillig entgegen geschaut, und war ihr Mund auch schön geschnitten, so verzog ihn doch mehrmals ein leidenschaftliches Zucken, wodurch ihr tadellos gebildetes Antlitz etwas Herbes, ja Bitteres gewann. Kaum aber hatte sie gehört, was ihn hieher führte, als sie die Hand auf die volle Brust drückte, tief ausatmete und ihm dann zurief:

»O, thue, was Du kannst, um das Schreckliche zu verhindern! Es weiß ja keiner, wie der alte Mann an diesem Hause hängt. Und die Großmutter! Nimmt man es ihnen, sie gehen daran zu Grunde!«

Dabei hatten ihre großen Augen warm und mit rührender Bitte in die seinen geschaut, und aus der abweisend strengen Stimme war ihm zärtliche Liebe für die Ihren entgegengeklungen.

Er mußte hier helfen, und wie gern wollte er's thun. Das gab er ihr auch zu hören, und sie, der er als ein tüchtiger Mann dargestellt worden war, sah in ihm einen Helfer in der Not und bat ihn mit rührender Innigkeit, wenn sie den Großvater zu den Beamten führe, diesem zu zeigen, daß noch nicht alles verloren.

Da frug der Baumeister erstaunt, ob Didymus denn noch nicht wisse, was ihm bevorstehe, und sie antwortete schnell:

»Er ist drüben im Gartenhaus am Meere bei der Arbeit. Der Intendant Apollonius ist ein wohlgesinnter Mann und will warten, bis ich den Großvater vorbereitet habe. Ich muß mich darum beeilen. Wohl ein dutzendmal schickte er schon den Philotas, seinen Schüler, der ihm die Bücher heraussucht und ausrollt, um sich zu erkundigen, was der Lärm draußen bedeute; doch ich ließ ihm sagen, die Menge ströme wegen der Königin an den Hafen. Es gibt ja oft einen Auflauf mit lautem Geschrei; Großvater aber läßt sich durch nichts stören, wenn eine Arbeit ihn fesselt, und der Schüler – ein junger Student aus Amphissa – liebt ihn und thut gern, was ich ihn heiße. Die Großmutter weiß auch noch nichts. Sie ist taub, und die Sklavinnen dürfen ihr nichts sagen. Ein plötzlicher Schreck, sagt der Arzt, würde ihr schaden, seit der Schwindel sie neulich befiel. Wenn ich die rechten Worte nur finde, daß es den Großvater nicht allzu schmerzlich trifft!«

»Soll ich Dich begleiten?« frug Gorgias freundlich.

»Nein,« versetzte sie rasch. »Es bedarf bei ihm der Zeit, bis er Fremden vertraut. Nur wenn der Intendant ihm das Furchtbare eröffnet und der Schmerz ihn übermannen will, so tröste Du ihn und zeige ihm, daß wir noch Freunde haben, die bereit sind, uns vor solcher Unbill zu schützen.«

Damit winkte sie ihm dankbar zu und eilte durch ein Seitenpförtchen in den Garten.

Der Baumeister schaute ihr nach, und er that es tief atmend und mit leuchtenden Augen. Wie gut mußte dies Mädchen sein, wie umsichtig sorgte es für die Ihren! Wie thatkräftig handelte dies junge Geschöpf! Er hatte die neue Bekannte nur in dürftiger Beleuchtung gesehen, aber schön mußte sie doch sein. Die Augen, der Mund, das Haar waren es gewiß. Wie ihm aber das Herz dabei schneller schlug, und er sich frug, ob diese Jungfrau, die mit allen Gaben geschmückt war, die den wahren Wert des Weibes bedingen, nicht doch ihrer Schwester Barine, deren Wesen freilich bestechlicher wirkte, vorzuziehen sei, da flog es ihm durch den Sinn, daß er dem Barte dankbar zu sein habe, der ihm Kinn und Wangen bedeckte; denn er fühlte, daß er, der ernste, reife Mann, errötet sein müsse. Er wußte auch warum. Noch vor einer halben Stunde hatte er gedacht und dem Dion bekannt, daß er Barine für das begehrenswerteste der Weiber halte, und nun warf das Bild einer andern einen tiefen Schatten auf das ihre und erfüllte ihm das Herz mit neuen, vielleicht stärkeren Gefühlen.

Es war ihm nur zu oft ähnlich ergangen, und die Freunde, und Dion an ihrer Spitze, hatten seine Schwäche bemerkt und ihm mit neckendem Spott manche gute Stunde verdorben. Die Reihe der großen und kleinen, blonden und braunen Schönen, für die er erglüht war, hatte freilich eine stattliche Länge, und jede, der er die schnell erwachte Neigung geschenkt hatte, war ihm als diejenige erschienen, die er zu der Seinen machen müsse, um ein glücklicher Mann zu werden. Doch bevor er zum Werben gekommen war, hatte sich schon die Frage in ihm erhoben, ob er nicht nach einer andern heißer begehre. Er hatte darum sich einzureden begonnen, daß sein Herz nach keiner einzelnen verlange, sondern für das ganze Geschlecht, so weit es jung war und schön, Liebe empfinde, und daß er darum kaum gut thun werde, sich mit einer fest zu verbinden. Zwar wußte er, daß er fähig sei, Treue zu halten; denn mit unwandelbarer Festigkeit hing er, zu jedem Opfer bereit, an den Freunden; den Frauen gegenüber verhielt es sich indes anders. Sollte es auch dem Bilde Helenas, das ihm jetzt als so liebenswert vorschwebte, beschieden sein, schnell zu verblassen? Das Gegenteil wäre wunderbar gewesen, und doch glaubte er fest und sicher, daß es Eros diesmal ernst mit ihm meinte. Die lachenden Eroten, die ihre Rosengewinde um ihn und ihre Vorgängerinnen gewunden, hatten mit dieser ernsten Jungfrau nichts zu schaffen.

Das alles kreuzte ihm blitzschnell das Hirn und bewegte ihm das Herz, während man ihn in das Impluvium führte, wo die Beamten ungeduldig auf den Besitzer des Hauses warteten. Mit der ihm eigenen schwunghaften Wärme legte er ihnen dar, warum er hoffe, daß ihre Sendung vergebens sein werde, und der Intendant versicherte, niemand könne es mehr freuen als ihn, wenn der Regent ihn morgen ermächtige, seinen Auftrag zu widerrufen. Er warte hier gern noch eine Weile, wenn es der Enkelin des alten Gelehrten gelinge, diesem schonend beizubringen, was über ihn verhängt sei.

Indes wurde die Geduld des wohlwollenden Mannes nicht zu lang auf die Probe gestellt; denn als Helena das Gartenhaus betreten hatte, war der Großvater schon von dem Mißgeschick unterrichtet gewesen, das ihn und das Seine bedrohte. Der Philosoph Euphranor, ein betagtes Mitglied des Museums, war durch die Gartenpforte zu ihm gedrungen und hatte ihm, trotz der abwinkenden Geberden seines Schülers Philotas, mitgeteilt, was im Werke sei. Aber Didymus kannte den andern, der, ebenso weltfremd wie er selbst, die ihm noch bleibende Zeit und Kraft der Wissenschaft weihte. Er hatte darum nur ungläubig den Kopf geschüttelt, nach der Strähne seines stark gelichteten grauen Haares gegriffen, die ihm über der Wange herabhing, und, während er die kahlste Stelle des Schädels damit bedeckte, in verweisendem Ton, doch als handle es sich um eine Angelegenheit von geringer Bedeutung, gerufen: »Was Du wieder gehört haben willst! Wir werden ja sehen!«

Damit hatte er sich erhoben, und, doch zu jäh von der Ungeheuerlichkeit dieser Nachricht überrascht, um an die Sandalen auf der Matte und das Obergewand zu denken, das auf einer Bücherkiste im Hintergrunde des Zimmers lag, wollte er es schon verlassen, als der Freund, der ihn sprachlos hatte gewähren lassen, ihn zurückhielt und Helena das Gartenhaus betrat.

Der greise Philosoph wandte sich an sie und ersuchte sie, verdrossen über den Zweifel des Freundes, dem Großvater zu beweisen, daß auch solche Dinge von Gewicht sein könnten, die unserer Neigung widersprechen. Sie that es schonend und gedachte dabei auch des Baumeisters und seiner Hoffnung.

Da schüttelte Didymus, indem er schweigend zu Boden schaute, wieder und wieder das ergraute Haupt. Dann richtete er sich plötzlich höher auf und schoß, ohne des Obergewandes zu achten, das Helena schon in der Hand hielt, auf die Thüre zu und öffnete sie mit dem Rufe: »Und es wird und muß sich dennoch anders verhalten.«

Euphranor und die Enkelin folgten ihm; er aber kreuzte schnell und rüstig, wenn auch in gebeugter Haltung, das Gärtchen und begab sich geradeswegs und ohne der Fragen und Mahnungen der Begleiter zu achten, in das Impluvium. Das hellere Licht blendete ihm die geschwächten Augen, und bei seiner Gewohnheit, gerade vor sich hin oder auf den Boden zu blicken, mußte er eine Zeit lang von einer Seite zur andern schauen, bis er sich unter den Anwesenden zurecht fand. Doch der Intendant war ihm entgegengetreten, begrüßte ihn achtungsvoll und versicherte höflich, er bedaure lebhaft, ihn in der Arbeit gestört zu haben, auf die die ganze Welt warte; doch sei er in einer wichtigen Angelegenheit gekommen.

»Ich weiß, ich weiß schon,« unterbrach ihn der alte Gelehrte mit einem überlegenen Lächeln. »Was sind das nur wieder für Dinge?«

Damit schaute er sich unter den Anwesenden um. Er kannte keinen, außer dem Intendanten, der mit dem Rechnungswesen des Museums zu thun hatte, und dem Baumeister, für den er die Inschrift auf dem von ihm erbauten neuen Odeum verfaßt hatte. Als aber sein Blick nur Befremdung in den Zügen der anderen begegnete, begann die Zuversicht, die er bis dahin bewahrt hatte, zu wanken. Doch immer noch überzeugt, eine Forderung wie die, von der der Philosoph geredet, könne unmöglich an ihn gestellt werden, fuhr er fort: »Es wird also behauptet, die Absicht liege vor, meinen Garten in einen öffentlichen Platz zu verwandeln. Und aus welchem Grunde? Um eine Bildsäule darauf hinzustellen, heißt es. Doch von dergleichen kann im Ernste die Rede nicht sein; denn mein Besitz steht im Grundbuche verzeichnet, und das Gesetz ...«

»Verzeih,« fiel der Intendant ihm hier in die Rede, »wenn ich Dich unterbreche. Wir kennen die Verordnung, auf die Du hinweist, doch würde es sich hier um einen Ausnahmsfall handeln. Der Regent will Dir nichts nehmen. Er bietet Dir vielmehr im Namen der Königin eine Entschädigung, deren Höhe Du selbst bestimmen sollst für das Stück Erde, das durch die Statue der Höchsten in diesem Lande – sie stellt Kleopatra selbst Hand in Hand mit dem Antonius dar – geehrt werden soll. Sie wurde schon hieher gebracht. Als ein Werk des trefflichen, zu jung verstorbenen Lysander wird sie Deinem Hause sicher nicht zur Unzier gereichen. Das kleine Haus am Meere muß freilich morgen schon fallen; denn Du weißt, daß die gnädige Königin jeden Tag – als Siegerin, wenn die Unsterblichen gerecht sind – heimkehren kann. Diese Statue, die ihr Freude zu bereiten und sie zu ehren bestimmt ist, soll sie schon bei der Ankunft begrüßen, und darum sandte mich der Regent noch heute, damit ich Dir seinen Wunsch eröffne, der, da er zugleich der der Königin ist ...«

»Indes,« unterbrach ihn der Baumeister, der die Enkelin des Greises soeben noch einmal seines Beistandes mit warmen Worten versichert hatte, »indes werden Deine Freunde dennoch versuchen, den Regenten zu bestimmen, einen andern Platz für die Bildsäule zu finden.«

»Das steht ihnen frei,« bemerkte der Intendant. »Was später geschehen soll, fällt der Zukunft anheim. Mein Amt gebietet mir nur, den würdigen Besitzer dieses Hauses und Gartens schon heute zu bestimmen, sich dem Befehle der Königin zu unterwerfen, den der Regent und das eigene Herz mir in die Form eines Wunsches zu kleiden befehlen.«

Der Greis war während dieses Gesprächs zuerst der Rede des Beamten schweigend gefolgt und hatte ihm gespannt ins Antlitz geschaut. Es war also richtig. Das Ansinnen, sich seines Gartens und sogar des Häuschens – seit einem halben Jahrhundert die Werkstätte seines Schaffens und Denkens – zu Gunsten einer Bildsäule zu entäußern, wurde wirklich an ihn gestellt. Seit ihm dies zur Gewißheit geworden, hatte er wie abwesend zu Boden geschaut. Ein großer Schmerz mußte ihm die Zunge lähmen, und Helena, die dies empfand, denn das ohnehin nach vorn geneigte alte Haupt schien ihm wie eine schwere Last den Hals zu beugen, war an seine Seite getreten.

Von draußen her drang das Schreien und Johlen der Menge durch die offene Decke des Impluviums; der Greis aber schien es nicht zu hören und bemerkte die Enkelin auch nicht; kaum aber fühlte er ihre Berührung, als er sich ihr hastig entzog, das gesenkte Haupt zurückwarf und sich im Kreise der Eindringlinge umschaute.

In dem eben noch matten, suchenden Auge des alten Kommentators und Vielschreibers brannte jetzt das heiße Feuer jugendlicher Leidenschaft, und wie ein Ringer, der nach dem rechten Griffe sucht, maß er tief atmend den Intendanten und seine Begleiter mit unwilligen Blicken. Aus dem gebrechlichen, weltfremden Greise schien ein kampfbereiter Streiter geworden zu sein. Dabei zuckten ihm die Lippen und die Flügel der fein geschnittenen Griechennase, und als der Intendant noch einmal die Stimme erhob, um zu bemerken, er werde gut thun, den Inhalt des Gartenhauses heute noch anderwärts unterzubringen, da es morgen früh abgetragen werden solle, erhob Didymus den Arm und rief ihm entgegen: »Das wird man unterlassen! Keine Rolle wird aus dem Gartenhause entfernt. Man findet mich morgen früh wie immer bei der Arbeit, und bleibt es bei eurem Vorsatze, mich meines Eigentums zu berauben, so werdet ihr Gewalt anwenden müssen, um ans Ziel zu gelangen.«

»Beruhige Dich, würdiger Mann,« unterbrach ihn der Intendant. »Jeder unter dem Monde hat sich einem höheren Willen zu beugen: die Götter zwingt der des Schicksals, uns Sterbliche der der Könige. Du bist ein Weiser, ich stehe nur, bedacht der Pflicht gerecht zu werden, meinem Amte vor. Doch ich kenne das Leben, und wenn ich Dir raten darf, so läßt Du geschehen, was nicht abzuändern ist, und zehn gegen eins möcht' ich wetten, daß Du gut dabei fährst, daß die Königin Dir Mittel in die Hand gibt ...«

»Die ausreichen werden,« fiel Didymus ihm bitter ins Wort, »einen Palast an Stelle des Häuschens zu errichten, das man mir fortnahm.« Dann brauste er von neuem auf: »Doch, was frage ich nach eurem Gelde! Mein Recht will ich, mein gutes, verbrieftes Recht. Darauf besteh' ich, und wer mir den Grund antastet, der mir von Vater und Großvater als mein Erbe zukam ...«

Hier stockte er; denn draußen war das Volk in einen lärmenden Jubelruf ausgebrochen, und als er sich mäßigte und der Greis fortzufahren begann, trotzig auf seinem guten Rechte zu bestehen, wurde er von einer hellen Frauenstimme unterbrochen, die ihm den Griechengruß »Freue Dich!« entgegenrief, – und der klang so wohllautend und heiter, daß es war, als kläre er die dumpfe Stimmung, die wie grauer Nebel auf allen Anwesenden lastete.

Während dieser auf das erregte Volk lauschte und jener auf den alten Mann blickte, dessen starrer Widerstand schwerlich mit Güte besiegt werden konnte, schauten die Jüngeren auf die schöne Frau, die sich zu ihnen gesellt. Die Eile hatte ihr die Wangen gerötet, und aus dem türkisblauen Tuche, das ihr den blonden Kopf verhüllte, winkte ein liebreizendes Antlitz froh und vertraulich der Schwester, dem Großvater, dem Baumeister entgegen.

Dem Intendanten und manchem seiner Begleiter war es, als habe das Glück in eigener Person dies gefährdete Haus betreten, und mancher Blick erhellte sich, als der aufgebrachte Alte der Enkelin mit verändertem Ton: »Du hier, Barine?« zurief, und sie ihm, ohne der anderen zu achten, mit warmer Herzlichkeit die Wangen küßte.

Helena, der Baumeister und der alte Philosoph Euphranor waren ihr näher getreten, und als dieser sie vorwurfsvoll und doch liebreich frug: »Aber, Unselige, wie bist Du durch die heulende Menge gekommen?« versetzte sie munter: »Das eine gelehrte Museumsmitglied fragt mich zum Empfange, ob ich hier sei, obgleich mich doch vor dem Uebersehenwerden von Kindheit an ein freundliches oder – was meinst Du, Großvater? – ein feindliches Schicksal bewahrte, und der andere verlangt mit so grimmigem Vorwurfe zu wissen, wie ich durch das schreiende Volk kam, als sei es ein Unrecht, durch das Wasser zu waten, um den Liebsten die Hand zu reichen, denen es bis an das Kinn geht. Aber dies Geheul ist zu widrig.«

Damit legte sie die kleinen Hände auf die Stelle des Kopftuches, unter der sich die Ohren verbargen, und sprach erst wieder, als der Lärm sich legte, obgleich sie versicherte, Eile zu haben und nur gekommen zu sein, um nachzuschauen, wie es hier stehe. Dabei schien es, als sei es ihr, an der alles frisch und doch anmutig maßvoll war, unmöglich, auch nur einen Augenblick unbenutzt zu lassen, und sei es auch nur, um einen Blick des Wohlgefallens entgegen zu nehmen oder zu erwidern.

Der Baumeister und ihre Schwester mußten rasche Antworten auf hastige Fragen erteilen, und sobald sie vernommen, was die fremden Männer hieher geführt hätte, dankte sie dem Intendanten und versicherte, alte Freunde würden das Ihre thun, dem Großvater solchen Schmerz zu ersparen.

Aus die wiederholten Fragen der beiden Greise, wie sie hieher gekommen, antwortete sie: »Es wird mir zwar keiner glauben, weil ich in dieser Eile den Mund noch nicht still hielt; aber ich handelte doch wie ein stummer Fisch und kam zu Wasser.«

Dann nahm sie den Großvater beiseite und flüsterte ihm zu, als sie am Hafen auf das Boot zugeschritten sei, habe Archibius sie auf seinem Wagen bemerkt und ihn anhalten lassen, um ihr auf diesen Abend seinen Besuch anzumelden. In einer wichtigen Angelegenheit wolle er kommen. Da gebe es zu sorgen, daß sie allein mit dem würdigen Manne bleibe, dem sie gut sei, und darum könne sie nicht bleiben. – Hierauf wandte sie sich wieder an die anderen und frug immer mit dem Kopftuch und zum Ausbruche bereit, was das Volk denn mit dem Schreien bezwecke.

Der Baumeister antwortete, daß Philostratus bemüht sei, der Menge begreiflich zu machen, die Statue, von der sie gehört habe, könne nur im Garten ihres Großvaters Aufstellung finden, und er glaube auch zu wissen, in wessen Auftrag er handle.

»Gewiß nicht in dem des Regenten,« versicherte der Intendant im Tone redlicher Ueberzeugung; Barine aber, der, als Gorgias den Namen des Volksredners ausgesprochen hatte, ein Schatten über das sonnige Antlitz geflogen war, pflichtete dem Beamten mit einem leichten Kopfnicken bei und flüsterte ihm dann eilig, doch dringend zu, sie bürge dafür, daß der Greis mit sich reden lassen werde, gönne man ihm nur einige Zeit, sich zu sammeln.

Morgen, wenn der Markt sich fülle, möge der Beamte die Verhandlungen neu beginnen, falls es bei der Verordnung des Regenten bleibe. Sie werde inzwischen das Ihre thun, um den Großvater nachgiebiger zu stimmen, obgleich er nicht eben zu den leicht Lenkbaren gehöre. Er, der Intendant, möge den Regenten erinnern, daß es geraten sei, in dieser Zeit ein öffentliches Aergernis zu vermeiden und das Alter und gute Recht des Didymus im Gedächtnisse zu behalten.

Während Apollonius sich darauf mit den Begleitern unterredete, winkte sie dem Baumeister und nahm schnell von den Ihren Abschied. Sie versicherte, daß ihr keinerlei Gefahr drohe, da sie sich zwar wiederum als Fisch entferne, diesmal aber die Sprache erst recht zu gebrauchen und damit denjenigen für die gute Sache des Didymus zu gewinnen hoffe, der das alles jetzt schon aus der Welt geschafft hätte, wenn die Königin nur hier wäre.

Bis jetzt waren Auge und Ohr der Anwesenden auf sie gerichtet gewesen. Jeder hatte sich nichts Besseres gewünscht, als sie zu sehen und zu hören.

Erst nachdem sie mit dem Baumeister gegangen war, kamen die Beamten zu einem Entschlusse, und bald darauf entfernte sich der Intendant mit seinen Begleitern, um noch einmal mit dem Regenten in dieser mißlichen Angelegenheit Rücksprache zu nehmen.

Gorgias war der jungen Frau diesmal mit gemischten Empfindungen gefällig. Noch vor einer Stunde hätte es ihn beglückt, Barine begleiten und beschützen zu dürfen, jetzt wäre er gern bei ihrer Schwester geblieben, die seinen Abschiedsgruß so dankbar und doch so jungfräulich bescheiden erwidert hatte. Aber eine Neigung läßt sich auch von dem Wankelmütigsten nicht an Stelle der anderen setzen, wie ein weißer Brettspielstein an die des schwarzen, und er fand es noch immer reizvoll, Barine so nahe sein zu dürfen. Nur der Gedanke, Helena könne meinen, er stehe zu der Schwester in vertrauter Beziehung, war ihm störend durch den Sinn geflogen, als sie ihn aufgefordert hatte, sie zu begleiten.

Im Garten bat Barine, bevor sie sich zu der Landungsstelle des Bootes begäben, ihr zu helfen, die schmale Stiege zu erklimmen, die auf das flache Dach des Thorhüterhäuschens führte.

Von ihm aus war es gestattet, dem Treiben auf dem Platze zu folgen, und zwar ungesehen; denn es war rings mit dichten Lorbeersträuchern umrahmt. Vor den beiden Tempeln zur Seite des Musenwinkels schlugen aus Pechpfannen helle Flammen aus, und ihr Licht wurde durch die Fackeln in der Hand der Scythen wirksam verstärkt. Dennoch ließ sich in der Mitte des Platzes kein Kopf von dem andern unterscheiden. Wohl schimmerten die Marmorwände der Tempel, die Statuen am Thore des Didymus und die Hermen zur Seite der Königsstraße, die an dem gefährdeten Hause vorbeizog, und den Norden des Musenwinkels mit dem Meeresufer verband, vom Widerschein des Feuers bestrahlt, aus dem Dunkel hervor, doch der Qualm der Fackeln verfinsterte den Himmel und verhüllte das Licht der Sterne.

Deutlich sichtbar war nur Dion, der sich auf das hohe Gerüst des Schlittens gestellt hatte, auf dem die verhüllte Bildsäule hieher gezogen worden war, und der Sachwalter Philostratus, der das Postament eines der Delphine inne hatte, die den Brunnen zwischen dem Isistempel und der Straße umgaben. Der ein Dutzend Schritte breite Raum, der sie trennte, gestattete den Streitenden, einander zu verstehen, und auf sie war die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet. Solcher Redeschlacht mit zuzuhören, gehörte zu den besten Vergnügen der Alexandriner, und sie begleiteten jede gelungene Redewendung mit Beifallsrufen, jedes ihnen mißfällige Wort mit Geschrei, Zischen und Pfeifen.

Barine konnte sehen und hören, was unter ihr vorging. Sie hatte das Laub der Lorbeersträucher, das sie verbarg, zurückgebogen und lauschte mit der Hand am Ohre auf die Reden der streitenden Männer. Als der Elende, den sie ihren Gatten genannt und den sie jetzt zu tief verachtete, um ihn zu hassen, die Ihren, die sich von Geschlecht zu Geschlecht aus dem Futterkorbe des Museums gemästet hätten, höhnisch angriff, biß sie sich in die Lippe. Bald aber verzog sie den Mund, als widere sie an, was sie höre; denn der Sachwalter hatte sich nun gegen den Dion gewandt und beschuldigte ihn, er wolle den wohlgesinnten Regenten verhindern, den Ruhm der großen Königin zu erhöhen und ihrem edlen Herzen eine Freude zu bereiten.

»Meine Zunge,« rief er, »ist das Handwerkszeug, das mich nährt. Warum rede ich sie hier müde und lahm? Kleopatra, unserer erhabenen Königin, und ihrem großmütigen Freunde zu Ehren, denen jeder von euch eine Wohlthat verdankt. Wer sie und den göttlichen Antonius, den neuen Herakles und Dionysus, liebt, – bald werden beide als Triumphatoren mit dem Siegeskranze bei uns einziehen – der lege mit dem Regenten und jedem Wohlgesinnten die Hand auf das elende Stück Land da drüben, das schnöder Geiz so engherzig festhält und dazu eine Gesinnung – eine Gesinnung – hört ihr? ... die ich nur nicht näher bezeichne, weil das Häßliche mir widerstrebt und weil ich hier nicht als Ankläger stehe. Wer es mit dem Silbenstecher hält, der Bücher von sich gibt wie der Delphin da neben mir das Wasser, der mag es thun, ich will's ihm nicht neiden. Aber erst sehe er sich den Bundesgenossen und Lobredner des Didymus an. Da steht er mir gegenüber. Es wäre besser um ihn bestellt, wäre er von Stein und der Delphin ihm zu Füßen ein lebendes Wesen. Man hätte ihn dann in dem Dunkel lassen können, in das er gehört. So aber muß ich ihn wohl oder übel daraus hervorziehen, und ich will euch den Dion zeigen, Mitbürger, obgleich ich euch lieber Dinge zu sehen gäbe, die die Galle weniger erregen. Das trübe Licht verbietet euch, die Farbe seines Gewandes zu unterscheiden; ich aber kenne sie, denn ich sah sie bei Tage. Hyacinthpurpur ist es! Ihr wißt, was solcher Umwurf kostet. Zehn Jahre lang nährt ein wackerer Mann aus eurer Mitte Weib und Kinder damit. ›Wie schwer muß der Beutel dessen sein, der solch einen Schatz der Sonne und dem Regen aussetzt!‹, denkt jeder, der ihn darin einher stolziren sieht wie einen Pfau. Und sein Beutel wiegt auch viele Talente. Nur schade, daß die meisten von euch Tag für Tag den Kindern ein Brot weniger reichen und sich selbst manchen Schluck Wein entziehen mußten, um ihn so stattlich zu spicken. Sein Vater Eumenes war Steuereinnehmer, und was euch und euren Kindern der Blutsauger abpreßte, das gebraucht jetzt der Sohn, um damit in Hyacinthpurpur auf dem Wagen mit vier Pferden zu prunken, der manchem von euch den Straßenkot ins Gesicht spritzte, wenn er an ihm vorbeifuhr. Beim Hunde! Der Herr wiegt nicht schwer, und doch braucht er das Viergespann, um sich vorwärts zu bringen. Und, Mitbürger, wißt ihr auch warum? Ich will es euch sagen. Er fürchtet sich, stecken zu bleiben, stecken zu bleiben überall, auch beim Reden.«

Hier ließ Philostratus die Stimme sinken; denn die Wendung mit dem »Steckenbleiben« hatte einige Hörer zum Lachen veranlaßt. Dion aber, dessen Vater allerdings in der hohen Stellung eines Steuerempfängers das Familiengut stattlich vermehrte, blieb ihm die Antwort nicht schuldig.

»Ja, ja,« versetzte er höhnisch, »der syrische Schwätzer da drüben traf diesmal das Rechte. Er steht mir gegenüber, und wer bliebe nicht leicht stecken, dem Sumpf und Schlamm so nahe sind? Was den Mantel von Hyacinthpurpur angeht, so trage ich ihn, weil er mir gefällt. Seinen krokusgelben finde ich weniger schön. Im Sonnenschein sieht er freilich recht stattlich darin aus. Er glänzt wie die Butterblume im Grase. Ihr kennt sie ja, diese Pflanze. Wenn sie verblüht, – und ich frage euch, ob Philostratus einer Knospe noch gleichsieht – wenn sie verblüht, wird sie zu einer hohlen, windigen Kugel, die der Odem eines Kindes zerbläst. Wie wär' es, wenn wir in Zukunft die runden Butterblumenhäupter ›Philostratusköpfe‹ nennten? Mein Vorschlag gefällt euch? Das freut mich, Mitbürger, und ich danke euch dafür. Es zeugt für euren guten Geschmack. Bleiben wir denn bei dem Gleichnis. In jeden Kopf gehört eine Zunge, und Philostratus sagt, die seine sei das Handwerkszeug, das ihn ernähre.«

»Hört den Geldsack, den Volksverächter!« unterbrach ihn der andere wütend. »Die redliche Arbeit, durch die er das Dasein fristet, schändet in seinen Augen den Bürger.«

»Von redlich, guter Freund,« nahm Dion wieder das Wort, »ist hier doch wohl kaum die Rede. Ich habe ja nur von Deiner Zunge gesprochen. Ihr versteht mich, Mitbürger. Oder sollte einer von euch diesem würdigen Manne noch nicht begegnet sein, so will ich ihm zeigen, wer er ist; denn ich kenne ihn gut. Er ist ja mein Gegner, ich kann ihn aber doch manchem von euch aus voller Ueberzeugung empfehlen. Wer eine recht schlechte, schändlich faule Sache vor Gericht durchzubringen hat, dem rate ich dringend, sich an den Butterblumenmann dort auf dem Brunnen zu wenden. Er wird es mir danken. Schon weil dieser Anwalt sie so eifrig ansieht – glaubt es mir – ist die Sache des Didymus vortrefflich. Bereits vorhin gab ich euch zu hören, um was es sich handelt. Wer von euch, der einen Garten besitzt, kann in Zukunft noch sagen: Er ist mein, wenn es gestattet sein soll, ihn in Abwesenheit der Königin einfach fortzunehmen und zu irgend einem andern Zweck zu bestimmen? Dem des Didymus aber steht dies Schicksal bevor. Wird das hier die Regel, so hüte sich jeder, einen Rettich zu säen oder gar einen Strauch oder Baum zu pflanzen; denn bevor jener reift und diese Schatten spenden, kann er ihm schon fortgenommen worden sein, wenn es dem Weibe eines Großen lüstet, die Wäsche darin zu trocknen.«

Lauter Beifall folgte diesem Satze; der Sachwalter aber rief mit weithin schallender Stimme: »Hört mich, Mitbürger, und laßt euch nicht täuschen! Niemand soll hier beraubt werden. Gegen hohe Entschädigung gilt es, den Platz zu erwerben, dessen die Stadt bedarf, um sich selbst zu schmücken und die Königin zu ehren und zu erfreuen. Sollen der Regent und die Bürgerschaft sich diese Gelegenheit entgehen lassen, langjähriger Dankbarkeit und der Freude über den größten der Siege, von dem wir bald vernehmen werden, Ausdruck zu geben, weil es einem Uebelgesinnten, einem – nun muß es gesagt sein – einem Vaterlandsfeinde anders gefällt?«

»Jetzt kommt der Sumpf mir zu nahe,« fiel ihm hier der andere lebhaft ins Wort, »und das Steckenbleiben, wovor ich gewarnt wurde, zur Wahrheit könnte es werden; denn wem die Zunge nicht stockt, wenn die schamloseste Verleumdung ihr Gift vor ihm verspritzt, dem neide ich nicht die schnelle Gegenwart des Geistes. Ihr wißt ja alle, Mitbürger, seit wie vielen Geschlechtern die Sippe des Didymus dieser Stadt zur Ehre in dem Hause da drüben lebt und rühmliche Werke schafft, ihr wißt, daß der wackere Alte da drüben zu den Lehrern der Königskinder gehörte.«

»Und doch,« rief der Sachwalter, »ging er noch vorgestern mit dem Arius, dem Freunde und Hofmeister des Octavian, der unser und der Königin verhaßter Todfeind, Arm in Arm im Paneumgarten spazieren. Vor mir selbst, und ich weiß nicht, vor wie vielen, bezeichnete Didymus eben diesen Arius als den liebsten seiner Schüler.«

»Dich so zu nennen,« versetzte der andere, »würde freilich der letzte Schulmeister sich unwillig schämen, auch wenn Du ihm an Klugheit und Wissen über den Kopf gewachsen wärest. Ja, hätte man Dich statt zu den Rhetoren zu Heringshändlern in die Lehre gegeben, jedem Redlichen von ihnen würde es widerstreben, es einzugestehen; denn sie verkaufen nur gute Ware für gutes Geld, bei Dir aber ist für blankes Gold auch das Schlechteste zu haben. Diesmal trittst Du dafür den reinen Namen eines Ehrenmannes mit Füßen. Ich aber will das nicht dulden, und ihr hört es, Mitbürger: ich fordere den Syrer dort jetzt auf, zu beweisen, daß Didymus das Vaterland verriet, oder sich gefallen zu lassen, daß ich ihn vor euch wackeren Leuten einen bösen Verleumder und ruchlosen, käuflichen Ehrabschneider schelte.«

»Ein Schimpf aus solchem Munde ist leicht zu ertragen,« erwiderte der Sachwalter im Tone verächtlicher Ueberlegenheit, doch bedurfte es einiger Zeit, bevor er sich wieder an die Zuhörer wandte und mit aller Wärme, die seiner Stimme zu Gebote stand, fortfuhr: »Was will ich denn, Mitbürger? Was ist der einzige Zweck meiner Rede? Um für die Königin einzutreten, stehe ich hier, mit reiner Hand, nur weil das Herz mich dazu antreibt. Damit dem, was der Kleopatra zur Ehre und zum Ruhme gereichen soll, die einzige rechte Stelle nicht vorenthalten bleibe, gehe ich ins Gericht mit ihrem Feinde, setze ich mich dem Schimpf aus, mit dem ihr dem prahlerischen Uebermute den Mut an mir zu kühlen gestattet. Aber es reut mich nicht, obgleich ich gegen das Gebot der Natur handle, indem ich es thue; denn der ruchlose Mann, gegen den ich die Stimme erhebe, er ist auch mein Lehrer gewesen, und bevor ihn, ich will hier verschweigen, wer und was von der Bahn des Rechten und der Tugend abwandte, hat er auch mich vor vielen Zeugen zu den besten seiner Schüler gezählt. Einer der dankbarsten war ich gewiß. Seine Enkelin – es muß gesagt sein – erkor ich zur Gattin. Durch ihren Besitz ...«

»Besitz!?« unterbrach ihn Dion erregt und laut. »So darf der von der See ausgestoßene Leichnam sich rühmen, das Meer zu besitzen!«

Der trübe Schein der Fackeln genügte, um den Umstehenden das Erblassen des Sachwalters zu zeigen. Einen Augenblick schien der Nieverlegene die Fassung zu verlieren, doch schnell genug rief er wieder: »Mitbürger, teure Freunde! Ich wollte euch zu Zeugen des Elends machen, das ein noch ruchloseres als schönes Weib über einen Unerfahrenen brachte ...«

Aber er kam nicht weiter; denn die Anwesenden, von denen viele den glänzenden, freigebigen Dion und Barine, die schöne Sängerin vom letzten Adonisfeste, kannten, gaben dem Sachwalter um so schonungsloser ihren Unwillen zu erkennen, je mehr es die Menge freut, den Fachmann von einem, der seinem Berufe fern steht, überwunden zu sehen.

Aber die Redeschlacht wäre sicherlich doch nicht so schnell zu Ende gekommen, hätte sich nicht eben jetzt Unruhe und Schrecken des Volkes bemächtigt. Der Ruf: »Zurück, auseinander!« pflanzte sich unter der Menge fort. Gleich daraus ließ sich Pferdegetrappel und der Kommandoruf des Führers einer Abteilung libyscher Reiter vernehmen. Der Anlaß war nicht bedeutend genug, als daß das zum Widerstand auch gegen die bewaffnete Macht geneigte Volk um seinetwillen sich einer ernsten Gefahr hätte aussetzen mögen. Dazu hatte das ungestüme Wortgefecht ein heiteres Ende genommen, und in die Angst- und Warnungsrufe mischte sich lautes Gelächter; denn die Wogen des Volksgedränges hatten sich unerwartet schnell auf den Brunnen zu gewälzt und den Sachwalter in das volle Becken gestürzt. Ob dies infolge des Mutwillens eines Gegners oder von ungefähr geschehen war, ließ sich nicht unterscheiden, die vergeblichen Bemühungen des Verunglückten, sich aus dem Wasser an dem glatten Marmor des Beckens auf seinen Rand hinaufzuarbeiten, nahmen sich aber so komisch aus und sein Gebaren, nachdem er unter dem Beistand hilfreicher Hände triefend auf das Pflaster des Platzes zurückgelangt war, weckte die Heiterkeit so unwiderstehlich, daß sich ringsum mehr lachende als unwillige Stimmen vernehmen ließen, zumal es hier rief: »Beim Anschwärzen des Didymus sind ihm die Hände schwarz geworden; so mag ihm die Wäsche denn gut thun!« Und ein anderer: »Ein kluger Arzt warf ihn in den Brunnen. Er brauchte nach den Hieben, die ihm Dion versetzte, den kalten Umschlag.«

Dem Regenten, der die Reiterschar hieher gesandt hatte, um die Menge von dem Hause des Didymus zu entfernen, konnte es lieb sein, daß diese Gewaltmaßregel auf so geringen Widerstand stieß.

Das Volk zerstreute sich schnell, und schon beim Theater des Dionysus wurde es durch etwas Neues angezogen; denn von seinen Stufen aus hatte der Zitherspieler Anaxenor vorhin verkündet, Kleopatra und Antonius hätten den schönsten der Siege erfochten, und darauf zum Klang seiner Laute einen Hymnus gesungen, von dem die Herzen tief ergriffen worden waren. Er hatte ihn schon lange vorbereitet, und die erste Gelegenheit – das Gerücht, das ihm beim Frühstück in Kanopus zu Ohren gekommen war – ergriffen, um seine Wirkung zu erproben.

Sobald der Platz sich zu leeren begann, verließ auch Barine den Zuschauerposten.

So hoch hatte ihr das Herz lange nicht geschlagen. Von den vielen, die sich um ihre Gunst bemühten, war ihr schon lange keiner so wert wie Dion; jetzt aber fühlte sie, daß sie ihn liebe. Was er da unten für sie und den Großvater gethan, das war wert jedes Dankes, das bewies, daß er sich nicht nur wie die meisten zu ihren Gästen geselle, um sich in müßigen Abendstunden die Zeit zu vertreiben!

Es war nichts Kleines für den vornehmen jungen Mann gewesen, sich vor allem Volke in einen Kampf mit dem ruchlosen Gesellen einzulassen, dem sie einmal angehört hatte, und wie wohl war es ihm gelungen, den gefürchteten Stegreifredner zum Schweigen zu bringen. Dazu hatte er gegen den eigenen, mächtigen Oheim Partei für sie genommen und durch sein Vorgehen vielleicht die Feindschaft des Alexas, des Bruders seines Gegners, der unter den Günstlingen des Antonius den ersten Platz einnahm, auf sich gezogen. Das hob Barine vor sich selbst, das, durfte sie sich sagen, hätte er, der hinter keinem makedonischen Edlen der Stadt zurückstand, für keine andere gethan.

Wie erlöst fühlte sie sich durch diese That.

Nachdem sie die heitere Anmut des Geistes aus einem unglücklichen Eheleben und manchem finsteren Tage herausgerettet und ihr Haus zu einem der Mittelpunkte des geistigen Lebens der Stadt hatte werden sehen, war sie bemüht gewesen, jedem ihrer Gäste das gleiche Entgegenkommen zu schenken. Sie hatte eingesehen, daß sie sich nicht gestatten dürfe, einem einzelnen die Macht über sich einzuräumen, die dem Manne, der sich wieder geliebt sieht, von selbst zufällt. Auch dem Dion hatte sie wenig mehr gewährt als den anderen, jetzt aber fühlte sie deutlich, daß sie das Wohlgefühl, eine gefeierte Frau zu sein, deren bescheidenes Haus auch die hervorragenden Männer der Stadt anzog, willig preisgeben würde für das höhere Glück, von ihm geliebt zu sein und ihm anzugehören. Mit ihm und von seiner Liebe gehoben, meinte sie in der Einsamkeit ein höheres Glück finden zu können, als im lebensvollen Lauf ihres jetzigen Daseins.

Sie wußte nun, was sie zu thun habe, wenn er ihrer begehrte, und der Baumeister fand in ihr zum erstenmal eine wortkarge Gefährtin. Er hatte sie gern in das Haus des Großvaters zurückbegleitet; war er doch dort ihrer Schwester Helena noch einmal begegnet, während sie es enttäuscht verlassen hatte, weil ihr mutiger Verteidiger nicht dahin zurückgekehrt war.

Nach der unerwarteten Unterbrechung des Redekampfes hatte Dion sich wohlig gedehnt. Die frohe Empfindung, für eine gute Sache eingetreten zu sein, und das herzerhebende Gefühl des Erfolges waren ihm nichts Neues, doch so wie diesmal hatten sie ihm selten das Haupt erhoben. Aufs allerwärmste hatte er die nächste Begegnung mit ihr herangesehnt und sich vergegenwärtigt, wie er ihr das Geschehene schildern und den Dank für seinen guten Dienst in Anspruch nehmen werde.

Wie das vor sich gehen werde, war ihm deutlich vor das innere Auge getreten, doch kaum hatte das lachende Zukunftsbild sich zurückgezogen, als auch der übermütig heitere Ausdruck seines mannhaften Gesichtes von einem besorglich ernsten verdrängt war.

Wohl hatte ihn nächtiges, nur noch von dem Feuer der Pechpfannen gelichtetes Dunkel umfangen, und doch war es ihm gewesen, als stehe er im vollen Lichte des Mittags in dem blühenden Garten seines Palastes und als habe Barine, nachdem er den Lohn für sein rüstiges Eintreten von ihr gefordert, sich ihm tief bewegt an die Brust geschmiegt, und als habe er ihr in leidenschaftlicher Wallung die thränenfeuchten Augen geküßt.

Das Gesicht war schnell verschwunden, doch so deutlich gewesen wie das lebhafteste Traumbild.

Sollte Barine ihm doch mehr sein, als er glaubte? Hatte ihn in den letzten Monden nicht nur Wohlgefallen an ihrem biegsamen Geist und ihrer heiteren Schönheit so oft zu ihr hingezogen? War eine ernste, starke Leidenschaft in ihm erwacht? Stand er vor der Gefahr, den Willen, der ihm gebot, die Freiheit zu wahren, unterliegen zu sehen? Mußte er sich fürchten, eines Tages, von einer geheimnisvollen, unwiderstehlichen Uebermacht bezwungen, dem Widerspruche der erwägenden Vernunft zum Trotz, den Bund vielleicht für das Leben mit ihr zu schließen, mit ihr, der Barine, der Frau, die einst einem Philostratus angehört hatte und die jedem etwas gab, der Einlaß in ihr Haus fand und den es dort nach einer Augenweide, einem Ohrenschmaus, einer angenehmen Unterhaltung verlangte?

Wenn ihre Ehre auch rein war wie die Brust eines Schwans, – und er hatte keinen Anlaß, daran zu zweifeln – so wurde sie doch mit der Aspasia und mancher andern zusammen genannt, bei der die Gäste mehr als Gesang und ein anregendes Gespräch suchten. Die Gaben, womit die Götter sie so reich gesegnet, hatten schon zu viele mitgenossen, als daß er, der letzte Sproß eines edlen makedonischen Hauses, hätte daran denken mögen, sie als Herrin in den Palast zu führen, dessen Bau er mit Hilfe des Gorgias so sorgfältig und glücklich zu Ende geführt hatte.

Allerdings fehlte darin nichts als das freundliche Walten der Hausfrau.

Und wenn sie nun einwilligte, ohne den Segen des Hymen die Seine zu werden?

Nein!

Die Enkelin des Didymus, des Mannes, der schon der verehrte Lehrer seines Vaters gewesen, die Frau, an der es ihn stets besonders gefreut, daß er sie hochschätzen durfte, trotz der heiteren Freiheit, mit der sie mit so vielen verkehrte, zu seiner Geliebten durfte er sie nicht machen! Er wollte es nicht thun, wenn auch die Freunde für solche Bedenken nichts als ein überlegenes Lächeln gehabt hätten. Was galt auch noch die Heiligkeit der Ehe in einer Stadt, wo die Königin zum zweitenmal in freier Liebe mit dem Gatten einer andern lebte? Er selbst hatte schon manches kurze Bündnis geschlossen, doch gerade darum widerstand es ihm, eine Barine auf die gleiche Stufe mit denen zu stellen, deren Liebe er damals vielleicht nur dank seinem Golde genossen.

An Mut und besonnener Festigkeit hatte es ihm nie gefehlt; doch fühlte er, daß er diesmal einer Macht zu widerstehen haben werde, mit der er sich noch nicht gemessen.

Das verwünschte Gesicht! Es zeigte sich ihm wieder und wieder, und es lachte und winkte so wonnig, daß der Tag erscheinen mußte, an dem der Drang, es zu verwirklichen, jeden Widerstand besiegte. Blieb er ihr nah, so that er gewiß, was ihn später reute, und er hätte darum der Peitho ein Opfer bringen mögen, damit sie die Überredungskunst des Archibius beflügele und Barine zu dem Entschlusse führe, Alexandria zu verlassen.

Es würde ihm ja schwer fallen, sie zu missen, doch war schon viel gewonnen, wenn sie aufs Land ging. Zwischen der Gegenwart und der fernen Zeit des Wiedersehens lag der Aufschub der Gefahr und vielleicht die Möglichkeit eines Sieges.

Er erkannte sich selbst nicht wieder.

Haltlos wie ein schwankendes Rohr kam er sich vor, weil er den Wunsch, bei dem alten Didymus einzutreten und ihm zuzusprechen, zurückgedrängt hatte und an seinem Hause vorbeigegangen war. Aber er hätte Barine gerade jetzt doch wohl bei dem Großvater gefunden, und er wollte ihr nicht begegnen, obgleich alles, was in ihm war, sich nach ihrem Antlitz, ihrer Stimme und einem dankenden Worte aus ihrem lieben Munde sehnte. An Stelle der Freudigkeit hatte sich seiner das Mißgefühl bemächtigt, das den Mann am Kreuzwege ergreift, der mit drei Zielen vor Augen voraussieht, an keinem volle Befriedigung zu finden.

Die Königsstraße, auf der er sich von der bewegten Menge mit fortdrängen ließ, folgte dem Meere und führte an dem Theater des Dionysos dahin, und bei seinem Anblick erinnerte er sich, daß sein Freund, der Baumeister, die unselige Statue des königlichen Liebespaares vor diesem stattlichen Bauwerke ausgestellt zu sehen wünschte. Die Prüfung der Stelle, die jener ins Auge gefaßt hatte, sollte ihn auf andere Gedanken bringen.

Als er sich dem Theater näherte, hatte der Zitherspieler eben den Hymnus beendet, und die Menge begab sich auseinander. Alles war voll von der frohen Siegesbotschaft, und einer rief dem andern zu, was Anaxenor, der Günstling des großen Antonius, der es wissen müsse, in rauschenden Versen berichtet. Da erscholl denn manches frohe Io und laute Evoë auf Kleopatra, die neue Isis, und Antonius, den neuen Dionysus, und bärtige und glatte, feine griechische und übervolle ägyptische Lippen vereinten sich zu dem Rufe: »Nach dem Sebasteum!«

Das war der königliche Palast, dem gegenüber sich das Regierungsgebäude mit der Wohnung des Regenten erhob. Man wollte die köstliche Botschaft bestätigt sehen und durch eine Kundgebung der dankbaren Freude Ausdruck verleihen, die die Herzen erfüllte.

Auch den Dion drängte es, sich Gewißheit zu verschaffen, und er, dem es sonst zuwider war, unter dem Volke an solchen geräuschvollen Gemütsergüssen teilzunehmen, schickte sich schon an, den zum Sebasteum drängenden Scharen zu folgen, als ihm der Ruf der Vorläufer ans Ohr drang, die einer festverschlossenen Sänfte Bahn brachen.

Es war die der Iras, der vertrauten Kammerfrau der Königin. Wenn eine, so konnte sie sichere Auskunft erteilen; doch ging es kaum an, in diesem Gedränge ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Sie aber mußte anderer Meinung sein; denn sie hatte ihn bemerkt und rief ihn zu sich heran. In ihre sonst so helle und reine Stimme mischten sich heisere Laute. Man hörte ihr auch an, aus einer wie tief erregten Brust sie kam, als sie den Dion mit einer Reihe von Fragen bestürmte. Ohne ihm den gewöhnlichen Gruß zu gönnen, wünschte sie hastig zu wissen, was die Menge errege, wer es sei, der ihr die Siegesbotschaft verkündet, und wohin das Volk sich begebe.

Dion hatte es indes schwer, während er Antwort erteilte, sich nicht von der Sänfte abdrängen zu lassen. Sie nahm es wahr, und da sie eben an dem Mäander vorüberkamen, der Irrbahn, die nach Sonnenuntergang verschlossen wurde, ließ sie sich an den Eingang tragen, gab sich den Wächtern zu erkennen, ließ den Vorplatz öffnen, die Sänfte dort niedersetzen und befahl den Trägern und Vorläufern, draußen auf ihren Ruf, der bald erfolgen werde, zu warten.

Den jungen Mann erfüllte die ungewöhnliche Erregung und Hast des Mädchens mit gerechter Besorgnis. Seine Aufforderung, auszusteigen und mit ihm auf und nieder zu wandeln, wies sie mit der Versicherung zurück, das Leben biete so viele Irrgänge, daß man sie nicht erst aufzusuchen brauche. Auch er scheine Wege zu gehen, die kaum zu den geraden gehörten. »Warum,« schloß sie und streckte dabei das Haupt weit aus der Oeffnung der Sänfte hervor, »erschwerst Du dem Regenten und dem eigenen Oheim durchzusetzen, was sie verordnen, und machst Dich wie ein bezahlter Volksaufwiegler mit der Menge gemein?«

»Wie Philostratus, meinst Du, dem ich zu dem goldenen Lohne aus eurer Hand einige Rippenstöße versetzte?«

»Meinetwegen wie er. Wahrscheinlich warst Du es auch, der ihn ins Wasser werfen ließ, nachdem Du den Mut an ihm kühltest? Du sollst Deine Sache gut gemacht haben. Was man mit Liebe vornimmt, gerät ja gewöhnlich. Gleichviel, wenn nur sein Bruder Alexas den Antonius nicht gegen Dich ausbringt. Was mich betrifft, will ich nur wissen, warum und für wen das alles geschah?«

»Für wen anders als für den alten braven Mann, der schon der Lehrer meines Vaters war, und für sein gutes Recht,« versetzte Dion unbefangen. »Außerdem aber noch – denn es läßt sich gar kein ungünstigerer Platz für die Bildsäule finden als sein Garten – für den guten Geschmack.«

Da lachte Iras scharf und kurz auf, und ihr schmales, höchst regelmäßig geschnittenes Antlitz, das man hätte schön nennen können, wenn der Rücken der zarten, geraden Nase nicht zu lang gestreckt und das Kinn nicht zu klein gewesen wäre, verzog sich ein wenig, als sie ausrief: »Das ist wenigstens offen.«

»Daran solltest Du bei mir gewohnt sein,« entgegnete er gelassen. »In diesem Falle ist übrigens der sachverständige Baumeister Gorgias ganz meiner Ansicht.«

»Auch das kam mir zu Ohren. – Ihr beide seid die fleißigsten Besucher der – wie heißt das Weib? – der bezaubernden Barine.«

»Barine?« wiederholte Dion, als überrasche ihn die Erwähnung dieses Namens. »Du sorgst dafür, Freundin, daß unser Gespräch seinem Schauplatze, dem Irrgarten, Ehre macht. Ich rede von Werken der bildenden Kunst, und Du gibst Dir das Ansehen, es auf ein allerdings sehr wohlgelungenes lebendes Werk der schaffensfrohen Götterhände zu beziehen. Es lag mir himmelweit fern, bei dem allen an die Enkelin des alten Gelehrten zu denken, für den ich eintrat.«

»Wie,« fügte sie höhnisch hinzu, »junge Herren in Deiner Stellung und mit Deinen Lebensgewohnheiten immer eher an die würdigen Lehrer ihres Vaters, als an jene Weiber denken, die, seit Pandora die Büchse öffnete, alles Unheil in die Welt brachten. Aber,« und dabei strich sie die schwarzen Locken von der hohen Stirn, die sie halb verdeckten, »ich verstehe mich selbst nicht, wie ich es jetzt und bei der Felsmasse, die mir die Seele belastet, über mich bringe, an diese Nichtigkeiten auch nur ein Wort zu verschwenden ... Und doch! Der alte Gelehrte kümmert mich so wenig wie die Unzahl seiner Kommentare und Schriften, obgleich sie mir nicht ganz fremd sind ... Er könnte auch meinetwegen so viel Enkel haben, wie es böse Zungen hier in Alexandria gibt, wenn es jetzt, gerade jetzt nicht gälte, alles fortzuräumen, was einen Schatten auf den Weg der Königin wirft. Ich komme soeben von der Lochias, aus dem Palaste der königlichen Kinder, und was ich da erfuhr ... Aber das ... Ich will und kann noch nicht daran glauben ... Es schnürt mir den Hals zu.«

»Sind üble Nachrichten von der Flotte gekommen?« fiel ihr der andere aufrichtig besorgt in die Rede; sie aber blieb zwar die Antwort in Worten schuldig, doch neigte sie bejahend das Haupt und legte den Wedel von Straußenfedern, Verschwiegenheit fordernd, an die Lippen. Dabei schauerte sie so lebhaft zusammen, daß er es trotz des Halbdunkels wahrnahm. Man hörte ihr auch an, daß ihr das Reden sauer fiel, als sie mit verschleierter Stimme fortfuhr: »Es muß noch verschwiegen bleiben ... Rhodische Schiffer ... Ganz ungewiß ist es, den Göttern sei Dank! ... Es kann, es darf auch nicht wahr sein! ... Und doch ... Das Geschwätz des Zitherspielers, das die Menge mit Erwartung erfüllt, es ist schändlich ... Den Großen schaden diejenigen gewöhnlich am schwersten, die ihnen das meiste verdanken. Du kannst schweigen, Dion, ich weiß es. Schon als Knabe konntest Du es, wenn es etwas zu verbergen galt vor den Eltern. Ob Du noch, wie damals, für mich ins Wasser springen würdest? Wohl kaum! Aber vertrauen darf man Dir sicher, und selbst in diesem Irrgarten thu' ich's. Es drückt mir das Herz ab. Aber kein Wort von dem allen, an wen es auch sei! Ich brauche keinen Vertrauten und könnte auch Dir gegenüber schweigen, doch es liegt mir daran, daß Du mich verstehst, gerade Du, der Du vorhin so aufgetreten bist, wie Du's thatest. Bevor ich auf der Lochias in die Sänfte stieg, kam auch der Knabe nach Haus, und ich sprach ihn.«

»Der junge Cäsarion,« unterbrach sie Dion nunmehr mit würdigem Ernst, »liebt die Barine.«

»So blieb diese entsetzliche Thorheit nicht einmal verschwiegen?« frug sie erregt. »Eine Leidenschaft, so tief, wie ich sie dem Träumer nie zugetraut hätte, ergriff ihn. Und wenn die Königin nun heimkehrt, – weniger glücklich vielleicht, als wir wünschen – wenn sie die Häupter derer überschaut, von denen sie noch Freude, Gutes, Großes erwartet, und wenn sie erfährt, was mit dem Knaben vorging. – denn was erführe, was durchschaute sie nicht mit dem sonnenhellen Geiste? ... Er ist ihr lieb, – teurer, als ihr alle es ahnt. Wie wird das ihre Unruhe, vielleicht ihr Elend vermehren! Mit wie gutem Grunde wird sie denen zürnen, denen Pflicht und Liebe hätten gebieten sollen, über den Knaben zu wachen!«

»Und darum,« fügte Dion hinzu, »gilt es, den Stein des Anstoßes aus dem Wege zu räumen. Mit dem Angriff auf den Didymus regtest Du für diesen Zweck zum erstenmal die Hände.«

Er hatte richtig gesehen und erkannt, daß sie mit dem Vorgehen gegen den Gelehrten zunächst nur beabsichtigte, den Machthabern das Recht in die Hand zu spielen, gegen den alten Philosophen und die Seinen, zu denen Barine ja gehörte, einzuschreiten; denn das ägyptische Gesetz gestattete, die Angehörigen derer, die man eines Vergehens gegen den Herrscher oder die Regierung schuldig befand, mit in die Verbannung zu schicken. Dieser Angriff auf einen Unschuldigen war schändlich, und doch fühlte Dion aus jedem Worte der Iras heraus, lehrte ihn jeder Zug ihres Antlitzes, daß es nicht nur niedere Eifersucht, sondern etwas Edleres sei, was sie zu dem Angriff auf den unschuldigen Gelehrten veranlaßte: die Liebe zu ihrer Herrin, das ihr ganzes Wesen beherrschende Verlangen, sie vor Kummer und Sorge in schwerer Zeit zu behüten. Er kannte Iras, ihren eisernen Willen und die Rücksichtslosigkeit, mit der sie am Königshofe Ziel auf Ziel zu verfolgen gelernt hatte. Für ihn galt es jetzt zunächst, Barine vor der Gefahr zu schützen, die sie bedrohte; daneben aber trieb es ihn an, Iras, die Tochter des Krates, des Nachbarn seines väterlichen Hauses, mit der er als Knabe gespielt und für die er nicht aufgehört hatte, Teilnahme zu empfinden, wenigstens von der gerechten Sorge zu befreien, die sie heute bedrückte.

Sein Ausspruch überraschte sie. Sie sah sich von dem Manne, der ihr mehr galt als jeder andere, durchschaut, und ein liebendes Weib freut es, die Ueberlegenheit des Geliebten zu empfinden. Dazu gehörte sie von Kind auf – und sie war nur zwei Jahre jünger als Dion – Lebenskreisen an, denen nichts höher galt als die Bethätigung geistiger Biegsamkeit und Schärfe. Ihr schwarzes Auge, das zuerst forschend und mißtrauisch geblitzt und dann in leidenschaftlicher Betrübnis düster geglüht hatte, gewann jetzt einen neuen Ausdruck. Warm und bittend suchte ihr Blick den des Freundes, als sie, auf seine Vermutung eingehend, begann: »Ja, Dion, die Enkelin des Philosophen darf hier nicht bleiben. Oder siehst Du ein anderes Mittel, um den unseligen Knaben vor unabsehbarem Unheil zu behüten? Du kennst mich lange genug, um zu wissen, daß es mir wie Dir widerstrebt, das gute Recht eines andern zu kränken, daß ich, wo es nicht sein muß, nicht eben sonderlich hart bin. Ich halte Dich wert. Wahrhaftiger als Du ist keiner, und gestern versichertest Du noch, daß Eros mit Deinen Besuchen bei der vielbesprochenen jungen Frau nichts zu thun habe, daß Du Dich nur zu ihren Gästen geselltest, weil der Geist bei ihr oft erfreuliche Anregung finde. Ich verlernte, an vieles zu glauben, nicht an Dich und Dein Wort, und wenn ich, als ich erfuhr, wie Du für den Großvater eintratest, Dich trotzdem im Geiste nach dem Dank und Lohn der Enkelin trachten sah, so ... von euch Männern stammt ja der verruchte Satz, daß Zeus die Schwüre der Liebenden nicht höre, – so erhob der Argwohn doch wieder das Haupt. Jetzt scheinst Du meine Meinung zu teilen ...«

»Wie Du,« fiel er hier bestätigend ein, »glaube ich, daß Barine den Wünschen des Knaben, die Dir nicht ungenehmer sein können als ihr selbst, entzogen werden muß. Da Cäsarion nun Alexandria um so gewisser nicht verlassen kann und darf, je weniger günstig die Sachen dort drüben stehen, bleibt nichts übrig, als die junge Frau von hier zu entfernen; – doch natürlich in aller Güte.«

»Wenn Du willst, auf einem goldenen Wagen und mit Rosen bekränzt!« rief Iras eifrig.

»Auch das möchte Aufsehen erregen,« versetzte er lächelnd und erhob wie zur Mäßigung mahnend die Hand. »Nun ich die Beweggründe Deiner Handlungsweise kenne, gefällt sie mir zwar immer noch nicht, doch helfe ich Dir gern, was sie bezweckt, zu erreichen. Auch eure gewundenen Wege führen zum Ziele, und man stößt daraus weniger leicht mit dem Fuß an; – die geraden aber sagen mir mehr zu, und ich fand schon, denk' ich, den rechten. Ein Freund lädt die junge Frau auf sein Gut weit fort von hier, vielleicht in das Seeland.«

»Du?« fuhr Iras aus, und die dünnen Augenbrauen zogen sich ihr jäh zusammen.

»Glaubst Du, sie würde mir folgen?« frug er in leicht verweisendem Ton. »Nein. Wir haben zum Glück ältere Freunde, und an ihrer Spitze einen, der zufällig Dein Oheim und dazu auch Wachs in der Hand der Königin ist.«

»Archibius?« rief Iras. »Ja, wenn er sie dazu bewegte.«

»Er wird es versuchen. Auch er ist besorgt um den Knaben. Während wir hier reden, lädt er Barine ein, es sich auf seinem Gute gefallen zu lassen. Die Landlust dort wird ihr gut thun.«

»Möge sie da draußen wie ein Schäfermädchen erblühen!«

»Du thust gut, ihr das Beste zu wünschen; denn kehrt die Königin nicht als Siegerin heim, so verdoppelt sich die Reizbarkeit unserer Alexandriner. Als ihr Hand auf den Garten des Didymus legtet, beschäftigtet ihr euch schon so eifrig mit dem Bau der Triumphbögen, daß ihr darüber vergaßet ...«

»Wer hätte auch an dem glücklichen Ausgang dieses Krieges gezweifelt?« rief Iras. »Und sie werden, werden ja siegen! Die Flotte, sagte der Rhodier, sei zersprengt. An der akarnanischen Küste sei es geschehen. Wie das so bestimmt klang! Er hörte es indes nur von einem zweiten und dritten, Und was sind Gerüchte? Es stellt sich später schon heraus, wie die falsche Nachricht entstand. Und ging die Seeschlacht auch wirklich verloren, bleibt doch immer noch das gewaltige Landheer. Dem des Octavian ist es weit überlegen. Und welcher Feldherr des Feindes wäre wohl dem Antonius zu Lande gewachsen? Wie wird er streiten, wo es sich um alles handelt: Ruhm, Ehre, Herrschaft, Haß und Liebe. Diese Angst auf ein bloßes Gerücht hin! Nach Dyrrhachium gab man die Sache des Cäsar verloren, und wie bald machte ihn Pharsalus zum Beherrscher der Welt! Ist es eines verständigen Menschen würdig, sich durch Schiffergerede um den guten Mut betrügen zu lassen? Und dennoch – dennoch! Schon als ich erkrankte, begann es! Und dann die Schwalben an der Antonias, dem Admiralschiffe! Wir sprachen ja schon darüber. Mardion und Dein Oheim Zeno sahen es mit eigenen Augen, wie fremde Schwalben kamen und die, die am Steuer der Antonias nisteten, aus dem Neste vertrieben und ihnen die Jungen mit den grausamen Schnäbeln zu Tode hackten. Ein häßliches Omen! Ich kann's nicht vergessen. Und was mir, als ich fern von der Herrin im Fieber darnieder lag, träumte! Doch ich hielt mich schon zu lange hier auf. Aber nein, Dion, nein! Ich bin für den Aufenthalt dankbar; denn ich darf nun beruhigt sein wegen des Knaben. Stellt die Bildsäule auf, wo ihr wollt. Das Volk soll sehen und hören, daß wir seinen Widerspruch achten, daß wir gerecht sind und seine Freunde. Hilf mir auch das zum Besten der Königin wenden ... Und wenn es dem Archibius gelingt, Barine fortzuschaffen und sie auf dem Lande festzuhalten, dann ... Ja, hätte ich nur etwas, das Dir begehrenswert erschiene – Du solltest es haben! Aber was fragt der gefeierte Dion nach der verblühenden Gespielin?«

»Der verblühenden?« wiederholte er im Tone unwilligen Vorwurfs. »Sage der voll erblühten, die das Jungbleiben von der königlichen Freundin erlernte.«

Da streckte sie ihm mit einer schnellen dankbaren Regung das Antlitz und ihm voran die weiße, schlanke Hand, die nach der Kleopatras für die schönste am Hofe galt, durch das Halbdunkel zum Kusse entgegen; als er aber nur die Spitzen ihrer Finger leis und fern von zärtlicher Wärme mit den Lippen berührte, entzog sie sie ihm schnell und rief wie von plötzlicher Reue ergriffen: »In solcher Zeit, mit solcher Angst im Herzen dies müßige, hohle Getändel! Unwürdig ist es und schmählich. Wenn Barine dem Archibius folgt, wird die Zeit ihr schwerlich lang auf seinen Gütern. Ich meine einen zu kennen, der ihr bald nachzieht, um ihr Gesellschaft zu leisten. – Hieher, Pasis! Die Träger! Fort! Zu der Warte des Nilus vor dem Thore der Sonne!«

Dion schaute der verschwindenden Sänfte kurze Zeit nach, dann fuhr er mit der Hand durch das braune Lockenhaar, ging raschen Schrittes an den Strand und sprang dort, ohne lange zu wählen, in eines der Boote, die hier für Lustfahrten vermietet werden. Den Schiffern, die ihn begleiten wollten, gebot er, zurückzubleiben, spannte das Segel mit geübter Hand selbst aus und fuhr der Oeffnung des Hafens entgegen. Er brauchte eine starke Erregung und wollte selbst auf Kundschaft ausgehen.


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