August Gottlob Eberhard
Hannchen und die Küchlein
August Gottlob Eberhard

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59 Der Schreck.

              Weniger heiter zurück vom Gastmahl kehrte die Mutter.
Leiden und Freuden, so lange gewohnt, mit der Tochter zu teilen,
Hatte sie ungern Hannchen gemißt beim fröhlichen Feste;
Aber bemerkend, je länger, je mehr, wie Laura um Gotthold
Buhlte mit Blicken und Mienen, und planvoll schmeichelnden Worten,
War es ihr lieb, daß Hannchen erspart der verwundende Schmerz ward,
Selbst es zu sehen, wie er, der Getäuschte, mit Netzen umstellt sei.
Dunkler und dunkler erschien ihr die Zukunft! War es ein Wunder,
Daß sie mit ernsterem Blick saß zwischen des Scherzes Gelächter,
Und mit beklommener Brust aufseufzt' in das Gläsergeklingel?

Gotthold hat es bemerkt, und bald nach geendetem Mahle,
Freundlich und zwanglos, nahet' er sich, und reichte die Hand ihr,
Mit teilnehmendem Ton sie fragend, worüber sie traure
Mitten im frohen Gewühl, und warum sie gekommen allein sei?
Martha hört' es erfreut, und erwiderte heiteren Tones:
»Wär' ich betrübt: gleich müßten mich doch so herzliche Worte
Höchlich erfreun, und sogleich die faltige Stirn mir entwölken.
Trüber Gedanken erwehrt man mitten im Kreise der Freude
Sich nicht immer, ja oft thut weh dem Betrübten die Freude.«

So noch umging sie es erst absichtlich, zu reden von Hannchen;
Doch nach kurzem Gespräch, als Gotthold wiederum fragte,
60 Gab sie die Antwort ihm, ihr Hannchen besorge die Küchlein.
»Sind sie gekommen?« entgegnete Gotthold plötzlich erheitert,
»Also war es erbauet, das Nest, zur glücklichen Stunde?«

Martha vernahm die Worte mit fragend verwundertem Blicke.
Gotthold lächelt', und setzte hinzu, von Antonien sei die
Kund' ihm gekommen hievon. Doch schien er vertraulicher gleich noch
Ernstere Rede beginnen zu wollen: da flatterte Laura
Leicht und lustig herbei, und bestürmt' ihn, bittend und schmeichelnd,
Ihr ein erbetenes Lied zu begleiten am Fortepiano.
Ungern ging er von Martha hinweg, doch konnt' er nicht bleiben,
Weil, auf Lauras Betrieb, ihn mehrere Gäste bestürmten.

Bald, zum begonnenen Spiel, ließ Laura Gesang nun ertönen,
Der kunstmäßig und dreist, wie herab vom Theater, das Ohr traf,
Doch, vom Herzen nicht kommend, auch nicht zum Herzen den Weg fand.
Künstlerin wollte sie heißen, erzwingen bewundernde Worte!
Mochte den Hörern allmählich die Lust auch schwinden zum Hören:
Schwand doch der Sängerin nicht die Begier, sich hören zu lassen.
Still ging Martha daher, gleich anderen, endlich von dannen,
Und sie erholte sich erst beim leichten Gepiepe der Küchlein
Von dem Genuß der erkünstelten Kunst der Gesang-Virtuosin.

Hannchen vermied es zu fragen, nicht weh thun mochte die Mutter;
Weder von Gotthold, weder von Laura erwähnte sie etwas;
61 Das nur erzählte sie freudig, es sei in den Armen des Sohnes,
Liebend gepflegt von der künftigen Tochter, die Mutter des Grafen,
Wie durch Wunder, genesen, und täglich erwartet im Schlosse
Werde das Brautpaar nun, in Begleitung der Mütter von beiden.
Hannchen erfreute sich des, Teil nehmend am Glücke der Freundin,
Wie fürs eigene Herz jetzt hoffend bedürftige Tröstung.–

Nun zwei Tage nur noch; und Antonie flog in die Arm ihr!
Lang erst wollten sie dann nicht enden das Kosen und Jauchzen.
Martha erbat sich dazwischen die Krankengeschichte der Gräfin:
Zehnmal ward sie begonnen, und zehnmal ward sie zerrissen:
Bis zur Genesung indes war's gar nicht möglich zu kommen,
Denn es erklang ins Mädchengeschwätz jetzt Piepen der Küchlein,
Und es begann jetzt, doppelt vergnügt, ganz neues Gekose.
Laut frohlockte Hannchen, indem sie die Schreier herbeitrug:
»Schönere Küchlein sahest du schwerlich in Rom und Neapel,
Sind gleich klügere Schreier die kapitolinischen Gänse!
Bald wird jeglichen Hof in Europa der unsere verdunkeln,
Laufen die Küchlein erst leichtfüßig und lustig im Freien!
Nirgends findest du auch in Europa, zu Land' und zu Wasser
Eine geschicktere Hand zum Bauen des Nestes, als meine!
Sechzehn Eier geschichtet ins Nest, und eben so viele
Muntere Küchlein nun! das nenn' ich wahrlich ein Kunststück!
Doch du brachtest mir Glück! dein Zusehn segnete alles:
Drum, wem anders, als dir, nun dank' ich den seltenen Reichtum?«
Lächelnd vernahm es die Freundin, und sprach: »Ich bedanke mich schönstens,
62 Daß du so hohes Verdienst mir zuschreibst, freundlichen Sinnes.
Hab' ich, weihenden Blicks, ins Leben geholfen den Tierchen:
Wünsch' ich aber nun auch, sie alle zu sehn und zu streicheln.«

Froh nun wurden zuerst in den Töpfen betrachtet die Küchlein,
Wärmung suchend und gebend, das eine gedrängt an das andre;
Manche gesenkt zum Schlummer den Kopf und geschlossen die Augen,
Aber allmählich erweckt vom laut-unruhigen Nachbar,
Plötzlich die piependen Schnäbel, die Köpfe, die Häls' aus den Federn
Reckend und streckend im bunten Gewühl; bald dieses, bald jenes
Hob sich erhebend im Kampf, und wieder in Federn versinkend –
Schmerzlos aber der Kampf, und der Zwist gleich wieder vergessen –
Wie sich die Wellen im See jetzt ein' um die andere heben,
Jetzt sie, alle versöhnt, ganz sanft in einander verfließen.

Dann auf klüglich umrandeten Tisch, mit Futter bestreuet,
Wurden die Küchlein, ein nach dem andern, gestellet mit Vorsicht;
Weich und reinlich die wolligen Leibchen und Köpfchen bekleidet;
Manche noch wankend im Stehn, doch dreist schon laufend die meisten;
Eigene Tafelmusik mit Piepen und Picken sich machend;
Nippend am Wassergefäß, dann hebend die Köpfe zum Schlucken
Hoch in die Höh', als riefen sie Erd' und Himmel zu Zeugen,
Daß sie vollbrachten die That, die bedenkliche, Wasser zu kosten;
Jetzt ausstreckend ein Beinchen, dazu langdehnend den Flügel;
63 Manche zu scharren versuchend, wenn nichts zu erscharren auch da war;
Drauf sich die Zeit zu vertreiben, mit eben gewetzetem Schnabel,
Hackend das eine das andre, zum Vorspiel künftiger Kämpfe;
Jedes im Wesen und Thun darstellend die Hühnernatur schon,
Ohne zu brauchen Papas und Mamas kunstmäßiges Vorbild.

Beid' um die Wette, die, alles entzückt auffassenden Jungfrau'n,
Priesen, und küßten, und drückten an Brust und Wangen die Küchlein,
Wie mit dem Püppchen das Kind, mit dem Säugling koset die Mutter.
Immer das nämliche Spiel, doch neu sich immer gestaltend,
Reizt' es sie stets aufs neue, bis freundlich sie mahnete Martha,
Endlich zu enden die Lust, und Ruhe zu gönnen den Kleinen.

Gleich nun wurden sie wieder gesetzt in die wärmenden Federn.
Abschied nehmend davon, nahm jede der lächelnden Jungfrau'n
Einen der Töpf' in die Hände, hinweg ihn wieder zu tragen.

Keck hob hoch aus Antoniens Topf sich ein piepender Wildsang.
Hannchen befürchtend, er stürzte heraus, will eilig ihn fassen –
Ach, da gleitet der Topf, hilf, Himmel! aus zitternder Hand ihr,
Stürzt zu Boden, und bricht, laut klirrend, in klägliche Scherben!

Laut aufschreien sie beide, die Jungfrau'n: selber die Mutter
Schreit: »Was schreit ihr denn so?« Doch Hannchen, verstummend auf einmal,
Wanket und sinkt, ohnmächtig beinah', in die Arme der Mutter.
Wasser verlanget die Mutter; Antonie Hilfe zu leisten,
Will hinsetzen den Topf, den fester, als Hannchen, sie faßte;
Aber–o dreimal wehe!–sie setzt ihn zu Boden so unsanft,
64 Daß auch dieser, wie jener, zerbricht in die kläglichsten Scherben!
Neu aufschreiend, erbleicht auch sie, hinwankend zum Lehnstuhl,
Wirft sich hinein, mit händebedecktem Gesicht, und erwidert
Auf den erneuten Ruf nach Wasser: »Ach, Himmel: ich selber
Brauche ja was! Ich hatte so eben das nämliche Unglück!«

Während die eine nun noch, todblaß, in dem Arme der Mutter,
Klagend die and're im Lehnstuhl lag, da begannen am Boden
Federn und Küchlein schon, aus wilden, chaotischen Knäueln
Sich zu entwirren. Es wogten umher die beweglichen Federn;
Jedes der Küchlein strebte, des Köpfchens, der Flügel, der Füße
Herr aufs neue zu werden, entzog sie dem lästigen Nachbar;
Und als jegliches nun sich wieder erobert das seine,
Standen und liefen sie hin, wie jegliches eben für gut fand.

Glücklich ermutigt' Antonien das; sie enthüpfte dem Lehnstuhl,
Rief, mit neckendem Scherz und tröstlichen Worten, die Freundin
Wieder zum Umschau'n auf, und streichelt' ihr freundlich die Wange.
Doch als dieser zurück die Besinnung gekehrt, da erneut' ihr
Sich die bethörende Angst um die fallengelassenen Küchlein!
Trostlos bückte sie sich, zum Sammeln der Leichen des Schlachtfelds,
Wie es Antonie that auf ihrem besonderen Wahlplatz.
Scherben und Federn genug gab's auf vom Boden zu nehmen;
Aber die Toten, die Schelm', aus Furcht vor Sarg und Begräbnis,
Waren entlaufen, und thaten Verzicht auf Klagen und Thränen!

Wie es allmählich sich kund nun that, daß alle gerettet,
Und kaum merklich verletzt nur einige wenige waren,
Weil beim Fallen die Menge der Federn sie schützend umhüllte:
65 Wurde die Angst zum Staunen, und dies zur steigenden Freude,
Welche zuletzt ausbrach in der fröhlichsten Laune Gelächter.
Neckend die eine die andr', und spottend nun über sich selber,
Fingen sie ein die entlaufenen Küchlein, jedem den Schrecken,
Den es gehabt, abbittend mit zärtlichen Worten und Küssen.

Aber die Mutter, die schon zwei andere Töpfe herbei trug,
Lächelnden Ernstes begann sie anjetz auf die Tochter zu schelten:
»Wahrlich, geschickter, als du, sind, wenn sie erschrecken, die Küchlein!
Fallen sie auch in den Staub: will keines doch fallen in Ohnmacht.
Das mag passen für städtische Damen, magnetischer Laune;
Doch Landmädchen, wie du, sonst frisch, und gesund, und verständig,
Müssen so vornehm nicht altmodische Mütter erschrecken:
Und am wenigsten vollends im Beisein einer Gespielin,
Die, sympathetisch, des Schwesterchens Kunststück meisterhaft nachmacht,
Und, statt Hilfe zu leisten, heroisch sich wirft in den Lehnstuhl!
Wahrlich! erschrecket ihr je mich wieder auf ähnliche Weise;
Ruf' ich den Dorfschulmeister herbei mit dem birkenen Scepter!«

Lachend umhalseten die Gescholtnen die scheltende Mutter,
Beide, die Töpfe gewiß nun fester zu halten, gelobend,
Auch bei künftigem Schreck sich zu halten auf festeren Füßen.
Hannchen versicherte noch: »Beim Feuergeschrei in der Pfarre
War ich erschütterter nicht, als jetzt beim Fallen des Topfes!
Wären auch nicht, ganz wider Erwarten, erhalten die Küchlein:
Hätt' ich in Ewigkeit nicht mich wieder zufrieden gegeben!
Doch jetzt sind sie dafür ans Herz mir doppelt gewachsen,
Und ich pflege sie nun mit erneuter, verdoppelter Liebe!«


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