Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere – Band I
Alexander Dumas d. Ä.

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XXV.

Porthos.

Statt sich unmittelbar nach Haus zu begeben, stieg d'Artagnan vor dem Hotel des Herrn von Tréville ab und sprang rasch die Treppe hinauf. Diesmal war er entschlossen, ihm Alles zu erzählen, was sich ereignet hatte. Er hoffte von ihm einen guten Rat in der ganzen Angelegenheit; indem Herr von Tréville die Königin beinahe täglich sah, so konnte dieser auch bei Ihrer Majestät Erkundigungen über die arme Frau einziehen, welche man ohne Zweifel ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin bezahlen ließ.

Herr von Tréville hörte die Erzählung des jungen Mannes mit einem Ernste an, woraus hervorging, daß er in diesem ganzen Abenteuer etwas Anderes sah, als eine Liebesintrigue. Als d'Artagnan vollendet hatte, sagte er:

»Hm! das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«

»Aber was ist zu thun?« fragte d'Artagnan.

»Nichts, durchaus nichts, zu dieser Stunde, als Paris, wie ich Euch gesagt habe, so schnell als möglich zu verlassen. Ich werde die Königin sehen, ich werde ihr alle einzelnen Umstände von dem Verschwinden der armen Frau, wovon sie vielleicht noch gar nichts weiß, mittheilen; diese Umstände werden ihr als Leitfaden dienen, und bei Eurer Rückkehr habe ich vielleicht gute Kunde für Euch. Verlaßt Euch auf mich.«

D'Artagnan wußte, daß Herr von Tréville, obgleich Gascogner, nicht die Gewohnheit hatte, zu viel zu versprechen, und daß er, wenn er zufällig versprach, Wort hielt. Er verabschiedete sich von ihm, voll Dankbarkeit für das Vergangene und für die Zukunft, und der würdige Kapitän, der eine lebhafte Theilnahme für diesen so muthigen, so entschlossenen jungen Mann fühlte, drückte ihm liebevoll die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.

Entschlossen, sogleich den Rath des Herrn von Tréville in Ausführung zu bringen, wanderte d'Artagnan nach der Rue des Fossoyeurs, um beim Packen seines Mantelsacks gegenwärtig zu sein. Als er sich Nro. 11 näherte, erkannte er Herrn Bonacieux, der in einem Morgenanzug auf der Schwelle seiner Thüre stand. D'Artagnan erinnerte sich alles dessen, was ihm der kluge Planchet Tags zuvor über den zweideutigen Charakter seines Wirthes gesagt hatte, und schaute ihn aufmerksamer an, als je zuvor. Außer der gelblichen krankhaften Blässe, welche die Einsickerung der Galle in das Blut andeutet und nur zufällig sein konnte, bemerkte d'Artagnan etwas duckmäuserisch Treuloses in der Art und Weise, wie er sein Gesicht zu runzeln gewohnt war. Ein Schelm lacht nicht auf dieselbe Art, wie ein ehrlicher Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Thränen, wie ein Mann von Treu und Glauben. Jede Falschheit ist eine Maske; so gut diese auch gemacht sein mag, mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit lernt man sie immer vom Gesicht unterscheiden.

D'Artagnan kam es also vor, als ob Herr Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten, die man sehen konnte.

Ueberwältigt von dem Widerwillen, den ihm dieser Mensch einflößte, ging er an ihm vorüber, ohne mit ihm zu sprechen, als Herr Bonacieux, wie am Tage zuvor, d'Artagnan anrief.

»Ei! ei! junger Mann,« sprach er, »es scheint mir, wir machen Faschingsnächte? Morgens sieben Uhr, pest! Ihr wollt wahrscheinlich den Gebrauch umdrehen, und kommt nach Haus, wenn Andere ausgehen.«

»Euch kann man diesen Vorwurf nicht machen, Meister Bonacieux, denn Ihr seid ein wahres Muster von einem geordneten Mann. Wenn man eine hübsche junge Frau hat, braucht man allerdings dem Glücke nicht nachzulaufen; das Glück sucht Euch auf, nicht wahr, Herr Bonacieux?«

Bonacieux wurde bleich wie der Tod, und schnitt eine Grimasse, welche ein Lächeln bedeuten sollte.

»Ah! ah!« sprach Bonacieux, »Ihr seid ein lustiger Geselle. Aber wo seid Ihr denn die ganze Nacht umhergelaufen, junger Herr? Die Nebenwege scheinen nicht sehr gut gewesen zu sein.«

D'Artagnan senkte seine Augen gegen seine ganz mit Koth bedeckten Stiefel, aber bei dieser Bewegung traf sein Blick zugleich die Schuhe und Strümpfe des Krämers; man hätte in der That glauben sollen, sie wären in denselben Schlamm getaucht worden; an den einen, wie an den andern zeigten sich ganz dieselben Schmutzflecken.

Plötzlich durchzuckte ein Gedanke d'Artagnans Geist; der kleine, kurze, dicke, gräuliche, lakaienartige, schlecht gekleidete Mann, der von den Kriegsleuten, welche die Escorte bildeten, ohne alle Achtung behandelt worden, war Bonacieux selbst. Der Mann hatte die Entführung seiner Frau geleitet.

D'Artagnan fühlte ungeheure Lust, dem Krämer an die Gurgel zu springen und ihn zu erdrosseln; allein er war, wie gesagt, ein kluger Bursche und hielt sich zurück. Aber der Aufruhr, der in seinem Innern vorging, drückte sich so sichtbar auf seinem Antlitz aus, daß Bonacieux darüber in Schrecken gerieth und einen Schritt zurückzuweichen suchte; er befand sich jedoch gerade vor dem geschlossenen Thürflügel, und dieses materielle Hinderniß, auf das er stieß, zwang ihn, auf seiner Stelle zu bleiben.

»Ei! ei! Ihr spaßt, mein guter Herr,« sagte d'Artagnan, »mir scheint es, wenn meine Stiefel des Schwammes bedürfen, so fordern Eure Schuhe und Eure Strümpfe einigermaßen die Bürste. Solltet Ihr etwa ebenfalls herumgestrichen sein, Meister Bonacieux? Ah! Teufel, das wäre unverzeihlich bei einem Mann von Eurem Alter, und vollends bei einem Mann, der eine so hübsche Frau hat, wie Ihr.«

»Ach! mein Gott, nein,« sagte Bonacieux, »aber ich war gestern in Saint-Mandé, um Erkundigungen über eine Magd einzuziehen, da ich nothwendig eine solche dingen muß; und da die Wege schlecht waren, so brachte ich all den Schmutz mit, dessen ich mich aus Mangel an Zeit noch nicht entledigen konnte.«

Der von Bonacieux als Ziel seiner Wanderung bezeichnete Ort war eine neue Bestätigung des Verdachtes, welcher sich in d'Artagnan geregt hatte. Bonacieux nannte Saint-Mandé, weil Saint-Mandé gerade in der entgegengesetzten Richtung von Saint-Cloud lag.

Diese Vermuthung gereichte ihm zum ersten Trost. Wußte Bonacieux, wo seine Frau war, so konnte man immerhin zu gewagten Mitteln greifen und den Krämer zwingen, den Mund aufzuthun und sein Geheimniß zu verrathen. Man mußte diese Vermuthung in Gewißheit verwandeln.

»Ich bitte um Vergebung, mein lieber Herr Bonacieux, wenn ich mit Euch ohne alle Umstände verfahre,« sprach d'Artagnan, »aber nichts greift so sehr an, als eine Nacht nicht geschlafen zu haben, und mich plagt ein wüthender Durst; erlaubt mir ein Glas Wasser bei Euch zu trinken, Ihr wißt, Nachbarn verweigern das einander nicht.«

Und ohne die Antwort seines Wirthes abzuwarten, trat d'Artagnan rasch in das Haus ein, und warf einen Blick auf das Bett. Es war unberührt und Bonacieux hatte sich nicht schlafen gelegt. Es unterlag keinem Zweifel, er war erst seit ein paar Stunden zurückgekehrt und hatte seine Frau an den Ort, wohin man sie führte, oder wenigstens bis zum ersten Relais begleitet.

»Ich danke, Meister Bonacieux,« sagte d'Artagnan sein Glas leerend, »das war Alles, was ich von Euch wollte. Nun gehe ich in mein Zimmer, lasse mir von Planchet meine Stiefel putzen, und ist er damit fertig, so schicke ich ihn, wenn Ihr wollt, zu Euch, daß er Eure Schuhe bürstet.«

Und er verließ den Krämer, der über diesen seltsamen Abschied ganz erstaunt war und sich fragte, ob er sich nicht durch irgend eine unbesonnene Rede bloßgestellt habe.

Oben auf der Treppe fand d'Artagnan seinen Diener Planchet in der größten Bestürzung.

»Ah! gnädiger Herr,« rief der Lakai, sobald er seinen Herrn erblickt, »endlich seid Ihr hier, ich konnte Eure Rückkehr kaum erwarten!« – »Was gibt es denn?« – »Oh! ich wette hundert, ich wette tausend, gnädiger Herr, gegen Eins, daß Ihr den Besuch nicht errathet, den ich in Eurer Abwesenheit für Euch erhalten habe.« – »Wann?« – »Vor einer halben Stunde, während Ihr bei Herrn von Tréville wäret.« – »Wer ist denn hier gewesen? sprich.« – »Herr von Cavois.« – »Herr von Cavois?« – »In eigener Person.« – »Der Kapitän der Leibwachen Seiner Eminenz?« – »Er selbst.« – »Er wollte mich ohne Zweifel verhaften?« – »Ich habe es vermuthet trotz seiner freundlichen Miene. – »Er sah freundlich aus, sagst Du?« – »Er war ganz Honig, gnädiger Herr.« – »Wirklich?« – »Er sagte, er komme von Seiner Eminenz, die Euch sehr wohl wolle, um Euch zu bitten, ihm ins Palais Royal zu folgen.« – »Und Du hast ihm geantwortet?« – »Es sei dies nicht möglich, insofern Ihr Euch außer dem Hause befändet, wie er selbst sehen könne.« – »Was sagte er hierauf?« – »Ihr würdet wohl nicht verfehlen, ihn im Verlauf des Tages zu besuchen; dann fügte er noch ganz leise bei: ›Sage Deinem Herrn, Seine Eminenz sei sehr wohl gesinnt gegen ihn, und sein Glück hänge vielleicht von dieser Zusammenkunft ab.‹ – »Diese Falle war für den Kardinal ziemlich ungeschickt gestellt,« versetzte der junge Mann lächelnd. – »Ich habe die Falle auch gesehen und erwiederte, Ihr würdet bei Euerer Rückkehr sehr bedauern, nicht sogleich da gewesen zu sein.« – ›Wohin ist er gegangen?‹ – fragte Herr von Cavois. – ›Nach Troyes in der Champagne,‹ antwortete ich.« – ›Und wann ist er abgereist?‹ – ›Gestern Abend.‹ »Planchet, mein Freund,« unterbrach ihn d'Artagnan, »Du bist in der That ein herrlicher Bursche.« – »Ich dachte natürlich, wenn Ihr Herrn von Cavois sehen wolltet, so sei es immer noch Zeit, mich Lügen zu strafen und zu sagen, Ihr habet keine Reise unternommen: ich hätte in diesem Falle gelogen, und da ich kein Edelmann bin, so kann ich wohl lügen.« – »Sei unbesorgt. Du sollst Deinen Ruf als wahrheitsliebender Mann behalten; in einer Viertelstunde reisen wir.« – »Diesen Rath wollte ich eben dem gnädigen Herrn geben; und wohin gehen wir? das möchte ich wohl erfahren, ohne neugierig zu sein.« – »Gerade in entgegengesetzter Richtung von der Gegend, die Du genannt hast. Dir scheint übrigens an Nachrichten von Grimaud, Mousqueton und Bazin nicht so viel zu liegen, wie mir an Nachrichten über Athos, Porthos und Aramis.« – »Oh! gewiß! gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »und ich reise, wann Ihr wollt; die Provinzluft taugt, wie ich glaube, in diesem Augenblick besser für uns als die Pariser Luft. Also . . . »Schnüre Deine Bündel, Planchet, und dann vorwärts; ich gehe mit den Händen in der Tasche, damit man keinen Verdacht schöpft, voraus. Du holst mich im Hotel der Garden ein. Doch – beiläufig gesagt – Du hattest Recht in Beziehung auf unsern Wirth, das ist offenbar eine schändliche Canaille.« – »Oh! glaubt mir immer, wenn ich Euch etwas sage; ich bin ein Physiognomiker, ich!«

D'Artagnan ging verabredeter Maßen zuerst hinab und wandte sich, um sich keinen Vorwurf machen zu müssen, zum letzten Mal nach der Wohnung seiner drei Freunde; man hatte keine Nachricht von ihnen erhalten; nur ein ganz von Wohlgerüchen geschwängerter Brief von äußerst zarter und zierlicher Handschrift war für Aramis eingelaufen. D'Artagnan übernahm denselben. Zehn Minuten nachher traf Planchet mit ihm in den Ställen des Hotels der Garden zusammen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte d'Artagnan sein Pferd bereits selbst gesattelt.

»Gut so,« sagte er zu Planchet, als er den Mantelsack festgeschnallt hatte; »nun sattle auch vie drei andern Pferde und dann vorwärts.«

»Glaubt Ihr, daß wir jeder mit zwei Pferden schneller reisen?« fragte Planchet mit einer verschmitzten Miene.

»Nein, nein, schlechter Spaßvogel,« antwortete d'Artagnan, »aber mit unsern vier Pferden können wir unsere drei Freunde zurückbringen, wenn wir sie überhaupt noch lebend finden.«

»Das wäre ein großes Glück,« sprach Planchet, »aber man darf an der Barmherzigkeit Gottes nicht verzweifeln.«

»Amen,« rief d'Artagnan und stieg zu Pferde.

Beide verließen das Hotel der Garden, jedoch auf verschiedenen Straßen, der Eine um den Weg durch die Barrière de la Villete zu nehmen, der Andere, um durch die Barrière Montmartre zu reiten, und jenseits Saint-Denis sollten sie sich sodann wiederzusammenfinden – ein strategisches Manöver, das von beiden Seiten mit gleicher Pünktlichkeit ausgeführt und von den glücklichsten Resultaten gekrönt wurde. D'Artagnan und Planchet ritten also mit einander in Pierresitte ein.

Planchet war allerdings muthiger bei Tag als bei Nacht. Seine natürliche Klugheit verließ ihn jedoch keinen Augenblick. Er hatte keinen von den Vorfällen der ersten Reise vergessen und glaubte in allen Menschen, denen er auf der Reise begegnete, Feinde zu erblicken. Dem zu Folge hielt er unablässig den Hut in der Hand, was ihm strenge Verweise von Seiten d'Artagnan's zuzog, welcher befürchtete, man möchte ihn bei diesem Uebermaß von Höflichkeit für einen Mann von geringem Stande ansehen.

Wurden die Vorübergehenden wirklich durch das artige Benehmen Planchets gerührt oder hatte man diesmal Niemand an dem Wege des jungen Mannes in Hinterhalt gelegt – unsere Reisenden gelangten jedenfalls, ohne irgend einen Unfall zu erleben, nach Chantilly und stiegen vor dem Gasthause zum großen Sanct Martin ab, wo sie bei ihrer ersten Reise angehalten hatten.

Der Wirth trat ehrfurchtsvoll auf die Schwelle seiner Thüre, als er einen jungen Mann, mit einem Lakaien und zwei Handpferden kommen sah. Da d'Artagnan bereits elf Meilen zurückgelegt hatte, so hielt er es für zweckdienlich, einzukehren, ob Porthos in dem Wirthshaus wäre oder nicht. Vielleicht war es auch nicht der Klugheit gemäß, mit der Thüre ins Haus zu fallen und sich sogleich zu erkundigen, was aus dem Musketier geworden. Durch diese Betrachtungen bewogen, stieg d'Artagnan ab, ohne sich nach irgend Jemand zu erkundigen, empfahl die Pferde seinem Lakaien, trat in ein kleines Zimmer, das zur Aufnahme von Gästen bestimmt war, welche allein zu bleiben wünschten, und verlangte von dem Wirth eine Flasche von seinem besten Wein, und ein Frühstück so gut, als man es haben könne; dieses Verlangen bestärkte den Gastgeber noch mehr in der guten Meinung, die er beim ersten Blick von dem Reisenden gefaßt hatte.

D'Artagnan wurde auch mit wunderbarer Geschwindigkeit bedient. Das Regiment der Garden rekrutierte sich unter den ersten Edelleuten des Königreichs; von einem Lakaien gefolgt und mit vier prachtvollen Pferden reisend, mußte also d'Artagnan trotz der Einfachheit seiner Uniform notwendig einiges Aufsehen erregen. Der Wirth wollte ihn selbst bedienen. Als d'Artagnan dieß sah, ließ er zwei Gläser herbeischaffen und knüpfte folgendes Gespräch an:

»Meiner Treu, mein lieber Wirth,« sprach d'Artagnan, die zwei Gläser füllend, »ich verlangte von Eurem besten Wein, und wenn Ihr mich getäuscht habt, so sollt Ihr da gestraft werden, wo Ihr sündigtet, insofern Ihr mit mir trinken müßt, da ich es hasse, allein eine Flasche zu leeren. Nehmt also dieses Glas und laßt uns trinken. Auf was wollen wir trinken, um keine empfindliche Seite zu verletzen? Trinken wir auf die Wohlfahrt Eures Gasthofes.« – »Eure Herrlichkeit erweist mir eine große Ehre,« sprach der Wirth, »und ich danke von Herzen für diesen guten Wunsch.« – »Täuscht Euch nicht,« sprach d'Artagnan, »es liegt in meinem Toast vielleicht mehr Selbstsucht, als Ihr wohl glauben möget. Nur in den Gasthöfen, welche gedeihen, findet man gute Aufnahme; in denjenigen, welche in der Abnahme begriffen sind, geht Alles drunter und drüber, und der Reisende ist das Opfer der Verlegenheiten seines Wirthes. Da ich aber viel und besonders viel auf dieser Straße reise, so wünschte ich, daß es allen Gastgebern wohl erginge.« – »In der That,« sprach der Wirth, »es scheint mir, es ist nicht das erste Mal, daß ich die Ehre habe, den gnädigen Herrn zu sehen.« – »Bah! ich bin mehr als zehnmal durch Chantilly gereist und dabei wenigstens drei bis viermal bei Euch eingekehrt. Ich war sogar vor zehn bis zwölf Tagen hier. Damals begleitete ich Freunde, Musketiere. Zum Beweis hiefür erinnere ich Euch daran, daß einer von ihnen mit einem Fremden, einem Unbekannten, in Streit gerieth, der, Gott weiß warum, Händel mit ihm suchte.« – »Ah, ja, wahrhaftig!« sprach der Wirth. »Eure Herrlichkeit meint wohl Herrn Porthos?« – »Das ist gerade der Name meines Reisegefährten. Mein Gott! mein lieber Wirth, sagt mir, sollte ihm etwa ein Unglück widerfahren sein?« – »Eure Herrlichkeit muß wohl wahrgenommen haben, daß er seine Reise nicht fortsetzen konnte.« – »In der That, er versprach uns, sogleich nachzufolgen, und wir haben ihn nicht wiedergesehen.« – »Er hat uns die Ehre erzeigt, hier zu bleiben.« – »Wie? er hat Euch die Ehre erzeigt, hier zu bleiben?« – »Ja, gnädiger Herr, in diesem Gasthof. Wir sind sogar sehr in Unruhe.« – »Worüber?« – »Ueber gewisse Ausgaben, die er gemacht hat.« – »Gut! aber er wird die Ausgaben, die er gemacht hat, bezahlen.« – »Ah, gnädiger Herr, Ihr gießt mir in der That Balsam in das Blut. Wir haben große Vorschüsse geleistet und noch diesen Morgen erklärte uns der Wundarzt, wenn ihn Herr Porthos nicht bezahle, so werde er sich an mich halten, da ich ihn habe holen lassen.« – »Porthos ist also verwundet?« – »Ich wüßte es Euch nicht zu sagen, gnädiger Herr.« – »Wie, Ihr wüßtet es mir nicht zu sagen? Ihr solltet doch besser unterrichtet sein, als irgend Jemand.« – »Ja, aber wir in unserem Stande sagen nicht Alles, was wir wissen, besonders wenn man uns bedeutet hat, daß unsere Ohren für unsere Zunge haften müssen.« – »Kann ich Porthos sehen?« – »Gewiß, gnädiger Herr, geht die Treppe hinauf und klopft im ersten Stocke an Nr. 1, nur thut ihm kund, daß Ihr es seid.« – »Wie, ich soll ihm kundthun, daß ich es bin?« – »Ja, es könnte Euch sonst ein Unglück widerfahren.« – »Und welches Unglück soll mir widerfahren?« – »Herr Porthos könnte Euch für Jemand aus dem Hause halten und Euch in einem Anfall von Zorn den Degen durch den Leib rennen oder die Hirnschale zerschmettern.« – »Was habt Ihr ihm denn gethan?« – »Wir haben Geld von ihm gefordert!« – »Ah, Teufel, ich begreife es. Das ist eine Forderung, welche Porthos sehr übel aufnimmt, wenn er nicht bei Kasse ist; aber ich weiß, daß er dies sein sollte.« – »Das haben wir auch gedacht, gnädiger Herr; da in diesem Hause große Ordnung herrscht, und wir jede Woche unsere Rechnungen machen, so überreichten wir ihm nach Verlauf von acht Tagen unsere Note; aber es scheint, wir hatten hiezu einen ungünstigen Augenblick gewählt, denn bei dem ersten Wort, das wir über diesen Gegenstand sprachen, wünschte er uns zu allen Teufeln; allerdings hatte er den Tag vorher gespielt.« – »Wie, er hatte gespielt, und mit wem?« – »O mein Gott, wer weiß? Mit einem durchreisenden vornehmen Herrn, dem er eine Partie Landsknecht antragen ließ.« – »Das ist es, der Unglückliche wird wohl Alles verloren haben.« – »Bis auf sein Pferd, gnädiger Herr, denn als der Fremde abreisen wollte, gewahrten wir, daß er das Pferd des Herrn Porthos durch seinen Lakaien satteln ließ. Wir machten ihm hierüber eine Bemerkung, aber er erwiederte uns, wir mischen uns in Dinge, die uns nichts angehen, und das Pferd gehöre ihm. Wir ließen auch Herrn Porthos von dem Vorfall in Kenntniß setzen, doch er antwortete, wir seien Schufte, daß wir an dem Wort eines Edelmannes zweifelten, und da dieser uns gesagt habe, das Pferd gehöre ihm, so müsse es wohl auch so sein.« – »Daran erkenne ich ihn,« murmelte d'Artagnan. – »Darauf ließ ich ihm sagen,« fuhr der Wirth fort, »wenn wir uns in Betreff der Bezahlung nicht verstehen können, so müsse ich hoffen, daß er wenigstens die Güte habe, die Gunst seiner Kundschaft meinem Kollegen, dem Wirth zum goldenen Adler, zuzuwenden; aber Herr Porthos antwortete mir, da mein Gasthof der beste sei, so wünsche er hier zu bleiben. Diese Antwort war zu schmeichelhaft, als daß ich auf seinem Auszug bestehen konnte. Ich bat ihn also blos, er möchte mir sein Zimmer, das schönste im Gasthof, zurückgeben und sich mit einem hübschen Cabinet im dritten Stock begnügen. Hierauf aber erwiederte Herr Porthos, da er jeden Augenblick seine Geliebte, eine der vornehmsten Damen des Hofes erwarte, so müsse ich einsehen, daß das Zimmer, welches er zu bewohnen mir die Ehre erweise, immer noch sehr mittelmäßig für eine solche Person sei. Obschon ich die Wahrheit des Gesagten vollkommen einsah, glaubte ich dennoch auf meiner Forderung bestehen zu müssen. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe, sich mit mir in eine Discussion darüber einzulassen, sondern nahm seine Pistole, legte sie auf seinen Nachttisch und erklärte, daß er beim ersten Wort, welches man über ein Ausziehen nach einem andern Gasthof oder im Innern des Hauses zu ihm zu sprechen sich erfreche, demjenigen die Hirnschale zerschmettern werde, der so unklug wäre, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die ihn nichts anginge. Seit dieser Zeit, gnädiger Herr, betritt außer seinem Bedienten Niemand mehr sein Zimmer.« – »Mousqueton ist also hier?« – »Ja, gnädiger Herr. Fünf Tage nach seiner Abreise ist er in sehr übler Laune zurückgekehrt. Es scheint, es sei ihm auch eine Unannehmlichkeit auf seiner Reise widerfahren. Leider ist er noch flinker als sein Herr und kehrt für diesen das Unterste zu oberst; da er glaubt, man könnte ihm verweigern, was er fordert, so nimmt er Alles, was er braucht, ohne zu fordern.« – »Ich habe bei Mousqueton allerdings stets eine ungewöhnliche Ergebenheit und Geisteskraft wahrgenommen,« erwiederte d'Artagnan. – »Das ist möglich, gnädiger Herr; aber setzt den Fall, ich komme nur viermal im Jahre mit einer solchen Ergebenheit und Geisteskraft in Berührung, so bin ich ein zu Grunde gerichteter Mann.« – »Nein, denn Porthos wird Euch bezahlen.« – »Hm,« murmelte der Wirth mit zweifelhaftem Tone. – »Er ist der Günstling einer vornehmen Dame, die ihn wegen einer Bagatelle, die er Euch schuldig ist, nicht im Stich lassen wird.« – »Wenn ich es wagte, Euch zu sagen, was ich hierüber denke . . .« – »Was denkt Ihr hierüber?« – »Ich dürfte sogar sagen: was ich hierüber weiß.« – »Was Ihr wißt?« – »Und sogar was ich ganz gewiß weiß.« – »Und was wißt Ihr gewiß? Laßt hören!« – »Ich dürfte sagen, ich kenne diese vornehme Dame.« – »Ihr?« – »Ja, ich.« – »Und woher kennt Ihr sie?« – »O, gnädiger Herr, wenn ich mich Eurer Verschwiegenheit anvertrauen dürfte . . .« – »Sprecht! und auf Edelmannswort, Ihr sollt Euer Vertrauen nicht zu bereuen haben.« – »Wohl, gnädiger Herr. Ihr begreift, daß die Besorgniß zu allerhand Dingen leitet.« – »Was habt Ihr gemacht?« – »Oh! nichts, was nicht in der Befugniß eines Gläubigers läge.« – »Nun?« – »Herr Porthos übergab uns ein Billet für diese Herzogin, mit dem Befehl, es auf die Post zu bringen. Sein Bedienter war noch nicht angelangt. Da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so mußten wir seine Aufträge zur Besorgung übernehmen.« – »Weiter?« – »Statt den Brief auf die Post zu bringen, was nie ganz sicher ist, benützten wir die Gelegenheit, da gerade einer von unsern Aufwärtern nach Paris ging, und beauftragten ihn, den Brief der Herzogin selbst zuzustellen. Dieß hieß den Absichten von Herrn Porthos entsprechen, der uns seinen Brief so sehr empfohlen hatte, nicht wahr?« – »Ungefähr.« – »Nun, gnädiger Herr, wißt Ihr, wer diese große Dame ist?« – »Nein, ich habe nur Porthos von ihr sprechen hören.« – »Wißt Ihr, wer diese angebliche Herzogin ist?« – »Ich wiederhole Euch, ich kenne sie nicht.« – »Es ist eine alte Frau, die Gattin eines Prokurators beim Chatelet, gnädiger Herr, Madame Coquenard; sie hat wenigstens ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken und spielt noch die Eifersüchtige. Das kam mir auch ganz sonderbar vor – eine Prinzessin, die in der Rue aux Ours wohnt!« – »Woher wißt Ihr dies?« – »Weil sie in gewaltigen Zorn gerieth, als sie den Brief empfing, und sagte: Herr Porthos sei ein flatterhafter Mensch und habe wohl irgend einer Frauensperson wegen den Degenstich bekommen.« – »Er hat also einen Degenstich bekommen?« – »Ah! mein Gott! was habe ich da gesagt?« – »Ihr sagtet, Porthos habe einen Degenstich bekommen.« – »Ja, aber er hat mir streng verboten, darüber zu sprechen.« – »Warum dies?« – »Weil er sich gerühmt hatte, er werde diesen Fremden, mit dem Ihr ihn im Streite zurückließet, durchbohren, während dieser Fremde im Gegentheil ihn trotz aller seiner Prahlereien zu Boden streckte. Da nun Herr Porthos ein sehr eitler Mann ist, zumal seiner Herzogin gegenüber, die er durch Erzählung seines Abenteuers für sich gewinnen zu können geglaubt hatte, so will er Niemand zugestehen, daß er einen Degenstich erhalten hat.« – »Also hält ihn ein Degenstich im Bette zurück?« – »Und zwar ein Hauptstich. Die Seele Eures Freundes muß mit Pflöcken im Körper befestigt sein.« – »Ihr wäret also dabei?« – »Gnädiger Herr, ich folgte ihnen aus Neugierde, und sah den Kampf, ohne daß die Kämpfenden mich sehen konnten.« – »Und wie ging es dabei zu?« – »Oh! die Sache dauerte nicht lang, dafür kann ich Euch wohl stehen. Sie nahmen ihre Stellung. Der Fremde machte eine Finte und stieß zu, und zwar so schnell, daß Herr Porthos, als er zur Parade gelangte, bereits drei Zoll Eisen in der Brust hatte. Der Fremde setzte ihm sogleich die Spitze seines Degens an die Gurgel, aber als sich Herr Porthos der Gnade seines Gegners preisgegeben sah, erklärte er sich für überwunden; der Fremde fragte ihn hierauf nach seinem Namen, und als er erfuhr, daß er Herr Porthos und nicht Herr d'Artagnan hieß, so bot er ihm seinen Arm, führte ihn bis zum Hotel, stieg zu Pferde und verschwand.« – »Also wollte der Fremde Herrn d'Artagnan an den Leib gehen?« – »Es scheint so.« – »Und wißt Ihr, was aus ihm geworden ist?« – »Nein, ich habe ihn bis zu diesem Augenblicke nicht gesehen, und er ist uns auch seitdem nicht wieder zu Gesicht gekommen.« – »Gut, ich weiß, was ich wissen wollte. Ihr sagt also, das Zimmer von Porthos sei im ersten Stock Nro. 1?« – »Ja, gnädiger Herr, das schönste des Gasthofes; ein Zimmer, das ich schon mehr als zehnmal zu vermiethen Gelegenheit gehabt hätte.« – »Bah, beruhigt Euch,« sprach d'Artagnan lachend, »Porthos wird Euch mit dem Gelde der Herzogin Coquenard bezahlen.« – »O gnädiger Herr, Procuratorfsrau oder Herzogin, wenn sie nur ihre Börse öffnen wollte, das wäre mir gleich viel; aber sie hat geradezu erklärt, sie sei der Forderungen und Treulosigkeiten des Herr Porthos müde, und sie werde ihm nicht einen Pfennig schicken.« – »Und habt Ihr diese Antwort Eurem Gaste wieder mitgeteilt?« – »Wir hüteten uns wohl, er würde gesehen haben, auf welche Weise wir seinen Auftrag besorgten.« – »Also wartet er immer noch auf sein Geld?« – »O mein Gott, ja, er hat gestern erst geschrieben, aber dießmal brachte sein Bedienter den Brief auf die Post.« – »Und Ihr sagt, die Person sei alt und häßlich?« – »Wenigstens fünfzig Jahre alt, gnädiger Herr, und durchaus nicht schön, wie Pathaud behauptet.« – »Dann seid ohne Sorgen, sie wird sich erweichen lassen. Ueberdies kann Euch Porthos nicht viel schuldig sein.« – »Wie, nicht viel schuldig! Bereits zwanzig Pistolen, den Arzt nicht zu rechnen. O! er versagt sich nicht das Mindeste, man sieht, daß er gut zu leben gewohnt ist.« – »Wenn ihn seine Geliebte auch verläßt, so wird er doch Freunde finden, dafür bürge ich Euch. Seid also ganz ruhig, mein lieber Wirth, und widmet ihm alle Sorgfalt, welche sein Zustand fordert.« – »Der gnädige Herr hat mir versprochen, den Mund über die Procuratorsfrau nicht zu öffnen und keine Silbe über die Wunde zu sagen!« – »Das ist eine abgemachte Sache. Ihr habt mein Wort darauf.« – »Oh, er würde mich sicherlich umbringen!« – »Seid ohne Furcht! Er ist nicht so teufelmäßig als er aussieht.«

Sofort stieg d'Artagnan die Treppe hinauf, der Wirth aber war in Beziehung auf die zwei Dinge, auf welche er sehr viel zu halten schien, nämlich seine Schuldforderung und sein Leben bedeutend ruhiger.

Oben an der Treppe war an die augenfälligste Thüre der Hausflur mit schwarzer Farbe ein riesiges Nro. 1 geschrieben; d'Artagnan klopfte an, und trat auf die Einladung, welche hierauf erfolgte, in das Zimmer.

Porthos lag im Bette und spielte zum Zeitvertreib eine Parthie Lanzknecht mit Mousqueton, während sich ein mit Rebhühnern beladener Spieß vor dem Feuer drehte und in jeder Ecke eines großen Kamins auf zwei Gluthpfannen zwei Kasserole kochten, aus denen der doppelte Wohlgeruch von Gibelotte und Matelote lieblich hervorströmte. Die Oberfläche eines Schrankes und die Marmortafel einer Kommode waren überdies mit leeren Flaschen bedeckt.

Beim Anblick seines Freundes erhob Porthos ein Freudengeschrei; Mousqueton stand ehrfurchtsvoll auf, trat ihm seinen Platz ab und ging zu den Gluthpfannen, um einen Blick in die Kasserole zuwerfen, deren Oberaufsicht ihm anvertraut zu sein schien.

»Ah, bei Gott, Ihr seid es,« sprach Porthos zu d'Artagnan. »Seid mir willkommen und entschuldigt, daß ich Euch nicht entgegengehe. Aber,« fügte er bei, und schaute d'Artagnan zugleich mit einer gewissen Unruhe an, »Ihr wißt, was mir begegnet ist?« – »Nein.« – »Der Wirth hat Euch nichts gesagt?« – »Ich habe nach Euch gefragt und bin sogleich heraufgegangen.«

Porthos schien freier zu athmen.

»Und was ist Euch denn begegnet, mein lieber Porthos?« fuhr d'Artagnan fort. – »Als ich gegen meinen Widersacher ausfiel, dem ich bereits drei Degenstiche beigebracht hatte und mit dem vierten den Garaus machen wollte, stieß ich mit dem Fuß an einen Stein und verstauchte mir das Knie.« – »Wirklich?« – »Auf Ehre! zum Glück für den Schurken, denn ich hätte ihn todt auf dem Platze gelassen, dafür stehe ich Euch.« – »Und was ist aus ihm geworden?« – »Oh! ich weiß es nicht. Er hatte genug und zog ab, ohne den Rest von mir zu fordern; aber Ihr, mein lieber d'Artagnan, was ist Euch begegnet?« – »Also,« fuhr d'Artagnan fort, »also fesselt Euch diese Verstauchung an das Bett?« – »Ach! mein Gott, ja, nichts Anderes; übrigens werde ich in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein.« – »Aber warum habt Ihr Euch nicht nach Paris transportiren lassen, Ihr müßt Euch hier schrecklich langweilen?« – »Es war meine Absicht, doch ich muß Euch etwas gestehen.« – »Was?« – »Gerade weil ich mich schrecklich langweilte, wie Ihr sagtet, und die fünf und siebzig Pistolen in meiner Tasche hatte, die Ihr mir zutheiltet, ließ ich, um mich zu zerstreuen, einen vorüberziehenden Edelmann zu mir heraufkommen und bot ihm eine Würfelpartie an. Er willigte ein, und, meiner Treu, meine fünf und siebzig Pistolen gingen aus meiner Tasche in die seinige über, mein Pferd gar nicht zu rechnen, das er noch in den Kauf bekam. Aber Ihr, mein lieber d'Artagnan?« – »Was wollt Ihr, mein lieber Porthos, man kann nicht auf jede Weise bevorzugt sein,« sagte d'Artagnan. »Ihr kennt das Sprüchwort: ›Unglück im Spiel, Glück in der Liebe!‹ Ihr seid zu glücklich in der Liebe, als daß sich nicht das Spiel rächen sollte. Aber was kümmert Ihr Euch um den Umschlag des Glückes? Habt Ihr, glücklicher Bursche, der Ihr seid, nicht Euere Herzogin, die Euch nothwendig zu Hülfe kommen muß?« – »Seht, mein lieber d'Artagnan, wie Alles gegenwärtig bei mir schief geht,« antwortete Porthos mit der freimüthigsten Miene von der Welt; »ich schrieb ihr um etliche fünfzig Louisd'or, deren ich in Betracht meiner dermaligen Lage durchaus bedürfe.« – »Nun?« – »Nun! sie muß auf ihren Gütern sein, denn sie hat mir gar nicht geantwortet!« – »Wahrhaftig!« – »Nein; auch schickte ich ihr gestern eine neue Epistel noch viel dringenderen Inhaltes als die erste zu; aber da Ihr jetzt hier seid, so sprechen wir von Euch, mein Liebster! Ich gestehe, daß ich über Euch unruhig zu werden anfing.« – »Doch Euer Wirth benimmt sich gut gegen Euch, mein lieber Porthos,« sprach d'Artagnan und deutete auf die vollen Kasserole und die leeren Flaschen. – »So so!« erwiederte Porthos. »Der unverschämte Kerl brachte mir schon vor drei oder vier Tagen seine Rechnung, aber ich warf beide, seine Rechnung und ihn, zur Thüre hinaus, so daß ich hier wie eine Art von Sieger, wie ein Eroberer lebe. Auch bin ich, wie Ihr seht, bis an die Zähne bewaffnet, da ich immer einen Angriff auf meine Stellung fürchten muß.« – »Ihr scheint mir indessen von Zeit zu Zeit Ausfälle zu machen« sprach d'Artagnan lachend und deutete abermals auf die Flaschen und Kasserole. – »Nein, leider nicht ich,« sagte Porthos. »Diese elende Verstauchung hält mich im Bett, aber Mousqueton zieht zu Felde und bringt Proviant mit. Mousqueton, mein Freund,« fuhr Porthos fort, »Ihr seht, daß wir Verstärkung bekommen, wir bedürfen einen Zusatz an Victualien.« – »Mousqueton,« sprach d'Artagnan, »Du mußt mir einen Gefallen thun.« – »Welchen, gnädiger Herr?« – »Du mußt mir Dein Recept für Planchet geben; ich könnte ebenfalls belagert werden, und es würde mir leid thun, wenn ich nicht dieselben Vortheile genösse, mit denen Du Deinen Herrn erfreust.« – »Ei, mein Gott, gnädiger Herr,« sprach Mousqueton mit bescheidener Miene, »nichts leichter auf der Welt. Man muß nur geschickt sein, das ist das Ganze. Ich bin im Felde aufgezogen worden, und mein Vater war in seinen müßigen Augenblicken ein wenig Wildschütze.« – »Und was machte er die übrige Zeit?« – »Gnädiger Herr, er trieb ein Gewerbe, das mir immer sehr glücklich vorkam.« – »Welches?«

»Da er in der Zeit der Kriege der Katholiken und Hugenotten lebte und sah, wie die Katholiken die Hugenotten und die Hugenotten die Katholiken ausrotteten, Alles im Namen der Religion, so hatte er sich einen gemischten Glauben gebildet, was ihm bald Katholik, bald Hugenott zu sein erlaubte. Er ging nun gewöhnlich, seine Stutzbüchse auf der Schulter, hinter den Hecken spazieren, welche die Wege begränzen, und wenn er einen Katholiken allein kommen sah, so gewann die protestantische Religion sogleich in seinem Innern die Oberhand. Er senkte seine Stutzbüchse in der Richtung des Reisenden, und wenn dieser etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, knüpfte er ein Gespräch an, welches beinahe immer damit endigte, daß ihm der Reisende, um sein Leben zu retten, seine Börse abtrat. Es versteht sich von selbst, daß er sich, wenn er einen Hugenotten erblickte, von einem so glühenden katholischen Eifer erfaßt fühlte, daß er gar nicht begriff, wie er eine Viertelstunde vorher an dem hohen Vorzug unserer heiligen Religion hätte zweifeln können. Denn ich, mein Herr, ich bin Katholik, während mein Vater, seinen Grundsätzen getreu, aus meinem älteren Bruder einen Hugenotten machte.«

»Und wie hat dieser würdige Mann geendet?« fragte d'Artagnan. – »Oh! auf die allerunglücklichste Weise, gnädiger Herr. Er befand sich eines Tags in einem Hohlweg zwischen einem Hugenotten und einem Katholiken. Er hatte bereits mit Beiden zu thun gehabt. Beide erkannten ihn wieder, vereinigten sich gegen ihn und hingen ihn an einem Baume auf. Dann kamen sie in das Wirthshaus des nächsten Dorfes, wo ich mit meinem Bruder trank, und erzählten den albernen Streich, den sie gemacht hatten.« – »Und was thatet Ihr?« sprach d'Artagnan. – »Wir ließen sie reden,« erwiederte Mousqueton; »da sie jedoch, als sie das Wirthshaus verließen, eine entgegengesetzte Route einschlugen, so legte sich mein Bruder an dem Wege des Katholiken und ich mich an dem des Protestanten in Hinterhalt. Zwei Stunden nachher war Alles vorbei. Wir hatten mit Jedem das Geschäft abgemacht, jedoch nicht ohne die Klugheit unseres Vaters zu bewundern, der so vorsichtig gewesen war, jeden von uns in einer andern Religion erziehen zu lassen.« – »In der That, Mousqueton, Dein Vater scheint, wie Du behauptest, ein sehr gescheidter Bursche gewesen sein. Und Du sagst also, der brave Mann habe in seinen müßigen Augenblicken das Wildschützenhandwerk getrieben?« – »Ja, gnädiger Herr, er hat mich eine Schlinge binden und mit Legangeln umgehen gelehrt. Als ich nun sah, daß uns unser Schurke von einem Wirth mit Massen von schwer verdaulichem Fleische, höchstens gut für Bauern und keineswegs zuträglich für zwei so sehr geschwächte Magen, fütterte, so pflegte ich wieder ein wenig mein altes Gewerbe. Während ich im Walde spazieren ging, legte ich Schlingen auf die Wechsel; während ich am Rande des Wassers lag, ließ ich Leinen in die Teiche gleiten. Auf diese Art fehlt uns, Gott sei Dank! jetzt nichts mehr, wie sich der gnädige Herr selbst überzeugen kann. Wir haben Feldhühner und Kaninchen, Karpfen und Aale, lauter leichte und gesunde, für Kranke zweckdienliche Nahrungsmittel.« – »Aber den Wein,« sprach d'Artagnan, »wer liefert den Wein? Euer Wirth?« – »Das heißt: ja und nein.« – »Wie, ja und nein?« – »Er liefert ihn allerdings, aber er weiß nicht, daß er diese Ehre hat.« – »Erklärt Euch näher, Mousqueton. Eure Unterhaltung ist äußerst lehrreich.« – »So hört, gnädiger Herr: der Zufall wollte, daß ich auf meinen Wanderungen einen Spanier traf, der viele Länder und unter Anderem auch die neue Welt gesehen hatte.« – »In welchem Zusammenhang kann die neue Welt mit den Flaschen stehen, die ich auf dem Schrank und auf der Kommode erblicke?« – »Geduld, gnädiger Herr, Alles zu seiner Zeit.« – »Das ist richtig, Mousqueton; fahre fort, ich höre.« – »Dieser Spanier hatte einen Lakaien in seinem Dienste, der mit ihm nach Mexiko gereist war. Dieser Lakai war ein Landsmann, und wir knüpften um so leichter ein freundschaftliches Verhältniß an, als eine große Ähnlichkeit der Charaktere zwischen uns stattfand. Wir liebten Beide ganz besonders die Jagd, und er erzählte mir, wie die Eingebornen des Landes auf den Ebenen von Pampas den Tiger und den Büffel ganz einfach mit Schlingen jagen, die sie den furchtbaren Thieren um den Hals werfen. Anfangs wollte ich nicht glauben, daß man einen solchen Grad von Geschicklichkeit erreichen könne, auf zwanzig bis dreißig Schritte das Ende des Strickes dahin zu werfen, wohin man will. Aber ich mußte die Wahrheit anerkennen, als er mir Proben zur Bestätigung seiner Behauptung ablegte. Mein Freund stellte eine Flasche auf dreißig Schritte Entfernung auf, und bei jedem Wurf faßte er den Hals mit der Schlinge. Ich übte mich in der Kunst, und da mich die Natur mit einigen Fähigkeiten ausgerüstet hat, so werfe ich heute den Lasso mit so viel Geschicklichkeit als irgend ein Mensch in der Welt. Nun begreift Ihr? Unser Wirth hat einen sehr wohl ausgerüsteten Keller, dessen Schlüssel er jedoch immer bei sich trägt. Dieser Keller hat aber ein Luftloch, durch dieses Luftloch werfe ich nun den Lasso, und da ich weiß, wo der rechte Winkel ist, so schöpfe ich aus diesem. Auf diese Art, gnädiger Herr, steht die neue Welt mit den Flaschen auf dem Schrank und auf der Kommode in Verbindung. Wollt Ihr nun unsern Wein kosten und uns ohne Vorurtheil sagen, was ihr davon denkt?« – »Ich danke, mein Freund, ich danke, ich habe leider schon gefrühstückt.« – »Gut,« sprach Porthos, »stelle den Tisch hieher, Mousqueton, und während wir frühstücken, wird uns d'Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen, seit er uns verlassen hat, begegnet ist.« – »Sehr gerne,« erwiederte d'Artagnan.

Während Porthos und Mousqueton mit dem Appetit von Wiedergenesenden und mit der brüderlichen Herzlichkeit frühstückten, welche die Menschen im Unglück einander näher bringt, erzählte d'Artagnan, wie Aramis in Crevecoeur verwundet zurückbleiben gemußt, wie er Athos zu Amiens in einem Handgemenge mit vier Menschen, die ihn der Falschmünzerei angeklagt, zurückgelassen hatte, und wie er, d'Artagnan, um England zu erreichen, genöthigt gewesen war, den Grafen von Wardes an den Boden zu spießen.

Damit endeten die Mittheilungen d'Artagnans; er sprach nur noch davon, daß er bei seiner Rückkehr aus Großbritannien vier prachtvolle Pferde mitgebracht habe, wovon eines für ihn, und ein anderes für jeden von seinen Gefährten; dann schloß er mit der Ankündigung, das für Porthos bestimmte stehe bereits im Stall des Gasthofes.

In diesem Augenblick trat Planchet ein. Er meldete seinem Herrn, die Pferde seien hinreichend ausgeruht, und man könne wohl bis zum Abend Clermont erreichen und dort ein Lager suchen.

Da d'Artagnan in Beziehung auf Porthos ziemlich beruhigt war, und es ihn drängte, auch von seinen zwei andern Freunden Kunde zu erhalten, so reichte er dem Kranken die Hand und sagte ihm, er werde sogleich abreisen, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Er hoffe übrigens auf demselben Weg zurückzukehren und gedenke Porthos, wenn er sich in sechs bis acht Tagen noch im Hotel zum großen Sanct Martin befände, im Vorüberziehen mitzunehmen.

Porthos erwiederte, aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm seine Verstauchung die Abreise um diese Zeit noch nicht erlauben; überdies müsse er in Chantilly bleiben, um die Antwort seiner Herzogin abzuwarten.

D'Artagnan wünschte ihm ein baldiges und erfreuliches Eintreffen dieser Antwort, empfahl Porthos noch einmal der Sorge Mousqueton's, bezahlte dem Wirth seine Rechnung und setzte seine Reise mit Planchet fort, der nun bereits von einem seiner Handpferde befreit war.



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