Alexander Dumas d. Ä.
Zwanzig Jahre nachher. Erster Band
Alexander Dumas d. Ä.

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Marie Michons Abenteuer

Ungefähr um dieselbe Stunde, wo die Fluchtpläne zwischen dem Herzog von Beaufort und Grimaud entworfen wurden, ritten zwei Männer, gefolgt von einem Bedienten, durch die Rue du Faubourg Saint-Marcel in Paris ein. Diese zwei Männer waren der Graf de la Fère und der Vicomte von Bragelonne.

Die Reisenden hielten in der Rue du Vieux-Colombier vor dem Gasthof Zum grünen Fuchs an. Athos kannte die Taverne seit geraumer Zeit. Hundertmal war er mit seinen Freunden dahingekommen; aber seit zwanzig Jahren waren, bei den Wirtsleuten anzufangen, vielfache Veränderungen in diesem Hotel vorgegangen.

Die Reisenden überließen ihre Pferde den Knechten, und da es edle Tiere waren, so befahlen sie, ihnen nur Stroh und Hafer zu geben und die Brust und die Beine mit warmem Weine zu waschen. Sie hatten zwanzig Meilen in einem Tage zurückgelegt. Nachdem sie sich, wie sich's für echte Kavaliere ziemt, zuerst mit ihren Pferden beschäftigt hatten, verlangten sie zwei Zimmer für sich.

Ihr werdet Toilette machen, Raoul, sprach Athos, ich stelle Euch jemand vor.

Heute, Herr? fragte der Jüngling.

Der Jüngling verbeugte sich.

Nicht so ausdauernd wie Athos, der von Eisen zu sein schien, würde er vielleicht ein Bad in der Seine vorgezogen haben. Dann wäre ihm wohl ein Bett willkommener gewesen, aber der Graf de la Fère hatte gesprochen, und er dachte nur daran, ihm zu gehorchen.

Kleidet Euch sorgfältig, Raoul, sagte Athos, man soll Euch schön finden.

Ich hoffe, Herr, erwiderte der Jüngling lächelnd. Es handelt sich doch nicht um eine Heirat? Ihr kennt meine Verbindung mit Luise.

Athos lächelte ebenfalls.

Nein, seid ruhig, sprach er, obgleich ich Euch einer Dame vorstellen werde.

Einer Dame? sagte Raoul.

Ja, ich wünsche sogar, daß Ihr sie liebt.

Der junge Mensch schaute den Grafen mit einer gewissen Unruhe an; aber Athos' Lächeln beruhigte ihn bald wieder.

Und wie alt ist sie? fragte der Vicomte von Bragelonne.

Mein lieber Raoul, sagte Athos, vernehmet ein- für allemal, daß dies eine Frage ist, die man nie tut. Wenn Ihr auf dem Gesicht einer Frau ihr Alter lesen könnt, so ist es unnütz, sie zu fragen; könnt Ihr es nicht, so ist es indiskret.

Ist sie schön?

Vor sechzehn Jahren galt sie nicht nur für die schönste, sondern auch für die anmutigste Frau Frankreichs.

Diese Antwort beruhigte den Vicomte völlig. Athos konnte ihn nicht mit einer Frau verbinden wollen, die schon ein Jahr vor seiner Geburt für die hübscheste und anmutigste Dame Frankreichs gegolten hatte.

Er zog sich also in sein Zimmer zurück und bemühte sich, mit der Koketterie, die der Jugend so gut steht, Athos' Auftrag Folge zu leisten, das heißt, sich so schön als möglich zu machen. Bei dem aber, was die Natur für ihn getan hatte, war dies ein Leichtes.

Als er wieder erschien, empfing ihn Athos mit dem väterlichen Lächeln, mit dem er einst d'Artagnan empfangen hatte, das aber Raoul gegenüber eine noch tiefere Zärtlichkeit abspiegelte.

Athos warf einen Blick auf Füße, auf Hände und Haare des Jünglings, diese drei aristokratischen Kennzeichen. Seine schwarzen Haare waren gleichmäßig abgeteilt, wie man sie in jener Zeit trug, und fielen, sein Gesicht umrahmend, auf die Schultern herab. Handschuhe von grauem Damhirschleder, welche mit seinem Hute im Einklang standen, hoben eine feine, elegante Hand hervor, während seine Stiefel, von derselben Farbe wie seine Handschuhe und sein Hut, einen Fuß umspannten, der einem zehnjährigen Kinde zu gehören schien.

Gut, murmelte er; wenn sie nicht stolz auf ihn ist, so muß sie sehr anspruchsvoll sein.

Es war drei Uhr nachmittags, das heißt, die schickliche Stunde zu Besuchen. Die zwei Reisenden gingen nach der Rue de Grenelle, schlugen den Weg nach der Rue des Rosiers ein, traten in die Rue Saint-Dominique und hielten vor einem prachtvollen Hotel an, das den Jakobinern gegenüber lag und mit dem Wappen des Hauses Luynes geschmückt war.

Hier ist es, sprach Athos.

Er trat in den Palast mit dem festen, sichern Schritte, der dem Portier andeutet, daß der Eintretende das Recht hat, so zu handeln. Er stieg die Treppe hinauf, wandte sich an einen Bedienten, der in großer Livree wartete, und fragte, ob die Frau Herzogin von Chevreuse den Herrn Grafen de la Fère empfangen könne.

Einen Augenblick nachher kam der Lakai zurück und sagte, obgleich die Frau Herzogin von Chevreuse nicht die Ehre habe, den Herrn Grafen de la Fère zu kennen, so bitte sie ihn doch, eintreten zu wollen.

Athos folgte dem Bedienten, der ihn eine lange Reihe von Zimmern durchwandern ließ, und blieb endlich vor einer geschlossenen Türe stehen. Man fand sich in einem Salon. Athos machte dem Vicomte von Bragelonne ein Zeichen, da zu verweilen, wo er war.

Der Lakai öffnete und meldete den Herrn Grafen de la Fère.

Frau von Chevreuse, von der wir so oft in den Drei Musketieren gesprochen haben, ohne sie selbst unsern Lesern vorzustellen, galt immer noch für eine sehr schöne Frau. Obgleich sie zu dieser Zeit 44 bis 45 Jahre alt war, so schien sie doch kaum 38 bis 39 zu zählen. Sie besaß immer noch ihre schönen blonden Haare, ihre großen, lebhaften, verständigen Augen, welche die Intrige so oft geöffnet und die Liebe so oft geschlossen hatte, und ihren Nymphenwuchs, der sie, wenn man sie von hinten erblickte, immer wie ein junges Mädchen erscheinen ließ.

Sie war übrigens immer noch das tolle Geschöpf, das seinen Liebschaften ein solches Gepräge von Originalität verliehen hatte, daß ganz Frankreich davon erfüllt war.

Die Herzogin befand sich in einem überaus prächtigen kleinen Boudoir, dessen Fenster auf den Garten ging. Sie hielt in der Hand ein halb geöffnetes Buch, und der Arm, der das Buch hielt, ruhte auf einem Kissen. Bei der Meldung des Bedienten erhob sie sich ein wenig und reckte neugierig den Kopf vor.

Athos erschien. Er war in veilchenblauen Samt mit ähnlichen Posamenten gekleidet. Die Nesteln waren von mattem Silber, seine Mantel hatte eine goldene Stickerei, und eine einzige veilchenblaue Feder schwankte an seinem schwarzen Hut.

Er trug Stiefel von schwarzem Leder, und an seinem Gürtel hing der Degen mit dem prachtvollen Griffe, den Porthos so oft in der Rue Feron bewundert hatte. Herrliche Spitzen bildeten den zurückgeschlagenen Kragen seines Hemdes, Spitzen fielen auch an seinen Stiefeln herab.

In der ganzen Person des Mannes, den man unter einem Frau von Chevreuse völlig unbekannten Namen gemeldet hatte, kam so sehr der vollkommene Edelmann zum Ausdruck, daß sie sich halb erhob und ihm mit einem anmutigen Zeichen bedeutete, er möge sich in ihrer Nähe niedersetzen.

Athos grüßte und gehorchte. Der Lakai war im Begriff, sich zurückzuziehen, als ihn Athos durch ein Zeichen bleiben hieß.

Madame, sprach er zu der Herzogin, ich habe die Kühnheit gehabt, mich in Eurem Hotel einzufinden, ohne Euch bekannt zu sein. Diese Kühnheit ist mir gelungen, denn Ihr hattet die Gnade, mich zu empfangen; nun wage ich es noch, Euch um eine Unterredung von einer halben Stunde zu bitten.

Ich bewillige sie Euch, mein Herr, antwortete Frau von Chevreuse mit ihrem anmutigsten Lächeln.

Doch das ist noch nicht alles, Madame; oh! ich bin ein gewaltig ehrgeiziger Mensch, ich weiß es wohl. Die Unterredung, die ich mir von Euch erbitte, ist eine Unterredung unter vier Augen, in der ich wünschen muß, nicht unterbrochen zu werden.

Ich bin für niemand zu Hause, sagte die Herzogin von Chevreuse zu dem Bedienten; geht!

Die Herzogin von Chevreuse unterbrach zuerst das Stillschweigen, das nach der Entfernung des Lakaien eingetreten war.

Nun, mein Herr, sagte sie lächelnd, seht Ihr nicht, daß ich mit Ungeduld warte? – Und ich, Madame, erwiderte Athos, schaue mit Bewunderung. – Mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, entschuldigt mich, aber ich wünschte sogleich zu wissen, mit wem ich spreche. Ihr seid ein Mann vom Hofe, das ist unbestreitbar, und dennoch habe ich Euch nie bei Hofe gesehen. Kommt Ihr etwa aus der Bastille? – Nein, Madame, antwortete Athos lächelnd, aber vielleicht bin ich auf dem Wege, der dahin führt. – Ah, dann sagt mir geschwind, wer Ihr seid, und geht, erwiderte die Herzogin mit dem lustigen Tone, der bei ihr einen so großen Zauber ausübte; denn ich bin in dieser Beziehung bereits arg genug kompromittiert und kann mich nicht noch mehr kompromittieren. – Wer ich bin, Madame? Man hat Euch meinen Namen gesagt: der Graf de la Fère. Diesen Namen habt Ihr nie gekannt; ich führte einst einen andern, den Ihr vielleicht gewußt, aber sicherlich vergessen habt. – Nennt ihn immerhin, mein Herr. – Früher, versetzte der Graf de la Fère, nannte ich mich Athos.

Frau von Chevreuse machte große, verwunderte Augen. Offenbar hatte sich dieser Name in ihrem Gedächtnisse nicht ganz verwischt, obgleich er mit vielen alten Erinnerungen vermengt war.

Athos? sagte sie, wartet doch ein wenig . . .

Und sie legte ihre Hände an die Stirne.

Soll ich Euch helfen, Madame? sagte Athos lächelnd. – Ja doch, erwiderte die Herzogin, des Suchens bereits müde; Ihr tut mir einen Gefallen damit. – Dieser Athos stand in Verbindung mit drei jungen Musketieren, und diese drei Musketiere hießen d'Artagnan, Porthos und . . .

Und Aramis, sprach die Herzogin lebhaft. – Und Aramis, so ist es, versetzte Athos. Ihr habt also diesen Namen nicht gänzlich vergessen? – Nein, sprach sie, nein! Armer Aramis! er war ein reizender Kavalier, elegant, verschwiegen und machte artige Verse. Ich glaube, es hat eine schlimme Wendung mit ihm genommen. – Äußerst schlimm: er ist Abbé geworden. – Ah, welch ein Unglück! rief Frau von Chevreuse, nachlässig mit ihrem Fächer spielend. In der Tat, mein Herr, ich danke Euch. – Wofür, Madame? – Daß Ihr diese Erinnerung in mir zurückgerufen habt, denn sie gehört zu den angenehmsten Erinnerungen meiner Jugend. – Dann erlaubt Ihr mir also, eine zweite in Euch zurückzurufen? – Welche mit dieser in Verbindung steht? – Ja oder nein. – Meiner Treu, versetzte Frau von Chevreuse, sprecht immerhin. Bei einem Manne, wie Ihr seid, wage ich alles.

Athos verbeugte sich.

Aramis, fuhr er fort, stand in Verbindung mit einer Näherin in Tours. – Mit einer Näherin in Tours? fragte Frau von Chevreuse. – Ja, einer Verwandten von ihm, die Marie Michon hieß. – Ah, ich kenne sie! rief Frau von Chevreuse; es ist diejenige, an welche er aus dem Lager vor La Rochelle schrieb, um sie von einem Komplott in Kenntnis zu setzen, das man gegen den armen Buckingham angesponnen hatte. – Ganz richtig; wollt Ihr mir erlauben, von ihr zu sprechen?

Frau von Chevreuse schaute Athos an und sagte nach kurzem Stillschweigen: Ja, vorausgesetzt, daß Ihr mir nicht zu viel Schlimmes von ihr sagt. – Ich wäre ein Undankbarer, erwiderte Athos. – Ihr, undankbar gegen Marie Michon! rief Frau von Chevreuse, und suchte in Athos' Augen zu lesen. Wie könnte dies sein? Ihr habt sie nie persönlich gekannt. – Ei, Madame, wer weiß! versetzte Athos. – Oh! fahrt fort, mein Herr, fahrt fort, sagte Frau von Chevreuse lebhaft. Ihr könnt nicht glauben, wie angenehm mir diese Unterhaltung ist. – Ihr ermutigt mich, und ich fahre fort. Diese Base von Aramis, diese junge Näherin hatte trotz ihres niedrigen Standes die höchsten Bekanntschaften. Sie nannte die vornehmsten Damen des Hofes ihre Freundinnen, und die Königin, so stolz sie auch in ihrer doppelten Eigenschaft als Österreicherin und Spanierin war, nannte sie ihre Freundin.

Oh! sprach Frau von Chevreuse mit einem leisen Seufzer und einer kleinen Bewegung der Augenbrauen, die nur ihr eigentümlich war, die Dinge haben sich seit jener Zeit gewaltig verändert.

Und die Königin hatte recht, fuhr Athos fort, denn sie war ihr sehr ergeben, so ergeben, daß sie ihr als Vermittlerin bei ihrem Bruder, dem König von Spanien, diente.

Was ihr jetzt als ein großes Verbrechen angerechnet wird, versetzte die Herzogin.

So groß, fuhr Athos fort, daß der Kardinal, der wahre Kardinal, der andere, an einem schönen Morgen beschloß, die arme Marie Michon verhaften und nach dem Schlosse Loges führen zu lassen. Glücklicherweise ließ sich die Sache nicht so geheim ausführen, daß der Plan nicht ruchbar geworden wäre. Man hatte den Fall vorhergesehen: wenn Marie Michon von irgend einer Gefahr bedroht wäre, sollte ihr die Königin ein in grünen Samt gebundenes Gebetbuch zuschicken.

So ist es, mein Herr, Ihr seid gut unterrichtet.

Eines Morgens kam das Buch, überbracht von dem Prinzen von Marsillac. Es war keine Zeit zu verlieren. Glücklicherweise wußten Marie Michon und ihre Dienerin, eine gewisse Ketty, sich auf eine bewundernswürdige Weise in Männerkleidern zu bewegen. Der Prinz verschaffte ihnen solche, Marie Michon eine Kavalierstracht und Ketty einen Lakaienanzug und übergab ihnen zwei Pferde. Die Flüchtigen verließen rasch Tours und erreichten Spanien, zitternd bei dem geringsten Geräusche, auf Fußpfaden im Walde, weil sie es nicht wagten, auf der Landstraße zu reisen, und Gastfreundschaft ansprechend, wenn sie keine Herberge fanden.

In der Tat, es ist durchaus so, rief Frau von Chevreuse, in die Hände klatschend; es wäre wirklich seltsam . . . sie hielt inne.

Wenn ich den zwei Flüchtlingen bis ans Ende ihrer Reise folgte? sprach Athos. Nein, Madame, ich werde Ihre Augenblicke nicht so sehr mißbrauchen, und wir begleiten sie nur bis in ein kleines Dorf im Limousin zwischen Tulle und Angoulème, in ein kleines Dorf, das man Roche-l'Abeille nennt.

Frau von Chevreuse stieß einen Schrei des Erstaunens aus und betrachtete Athos mit einem Ausdruck von Verwunderung, der den ehemaligen Musketier lächeln ließ.

Geduld, Madame, fuhr Athos fort; denn was ich Euch noch zu sagen habe, ist viel seltsamer, als das bereits Gesagte.

Mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, ich halte Euch für einen Zauberer und bin auf alles gefaßt. Aber gleichviel, fahrt nur fort.

Diesmal war die Tagereise lang und ermüdend gewesen. Es herrschte bereits eine lästige Kälte, denn es war am 11. Oktober. Das Dorf, das die beiden Flüchtenden erreicht hatten, bot weder ein Schloß noch eine Herberge. Die Bauernhöfe sahen armselig und schmutzig aus. Marie Michon war eine sehr aristokratische Person und, wie die Königin, ihre Schwester, an gute Gerüche und feine Wäsche gewöhnt. Sie beschloß also, sich Gastfreundschaft im Pfarrhause zu erbitten.

Athos machte eine Pause.

Oh, fahrt fort, sprach die Herzogin, ich sagte Euch bereits, ich sei auf alles gefaßt.

Die Reisenden klopften an die Türe. Es war spät, der Priester hatte sich bereits zu Bette gelegt, er rief ihnen zu, sie möchten eintreten. Sie traten ein, denn die Türe war nicht geschlossen. Es brannte eine Lampe in dem Zimmer, wo sich der Priester befand; Marie Michon, die den reizendsten Kavalier der Welt vorstellte, stieß die Türe auf, steckte den Kopf hinein und verlangte Gastfreundschaft.

Sehr gern, mein junger Kavalier, sprach der Priester, wenn Ihr Euch mit den Überresten meines Abendessens und der Hälfte meines Zimmers begnügen wollt.

Die Reisenden berieten sich einen Augenblick. Der Priester hörte, wie sie in ein Gelächter ausbrachen: dann erwiderte der Herr oder vielmehr die Herrin: Ich danke, Herr Pfarrer, und nehme es an.

Dann speist und macht so wenig als möglich Geräusch, versetzte der Priester, denn ich bin auch den ganzen Tag umhergelaufen, und es wäre mir nicht unangenehm, diese Nacht schlafen zu können.

Frau von Chevreuse ging augenscheinlich von Verwunderung zu Erstaunen und von Erstaunen zu Verwunderung über. Ihr Gesicht nahm, während sie Athos anschaute, einen Ausdruck an, der sich nicht wohl beschreiben läßt. Man sah, daß sie gern gesprochen hätte, und dennoch schwieg sie, um nicht ein einziges von seinen Worten zu verlieren.

Hernach? fragte sie.

Hernach, sagte Athos, ah! das ist gerade das Schwierige.

Sprecht, sprecht, sprecht! man kann mir alles sagen. Überdies geht es mich nicht an; es ist Marie Michons Geschichte.

Ah, das ist richtig, versetzte Athos . . . Nun, also Marie Michon verzehrte die Überreste des Abendbrotes mit ihrer Dienerin und kehrte, nachdem sie gegessen hatte, der ihr gegebenen Erlaubnis zufolge in das Zimmer zurück, wo ihr Wirt ruhte, während Ketty es sich in einem Lehnstuhl, im ersten Zimmer, das heißt in dem, wo man gespeist hatte, bequem machte.

In der Tat, mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, wenn Ihr nicht der Teufel in Person seid, so weiß ich nicht, wie Ihr alle diese einzelnen Umstände zu kennen vermöget.

Es war eine reizende Frau, diese Marie Michon, fuhr Athos fort, eines von den tollen Geschöpfen, denen unablässig die seltsamsten Gedanken in den Kopf kommen, eines von den Wesen, die geboren sind, uns allen die Verdammnis zu bringen. Während sie nun bedachte, daß ihr Wirt ein Priester war, kam es dem koketten Ding in den Kopf, es möchte neben so vielen lustigen Erinnerungen, die sie hatte, eine sehr lustige Erinnerung für ihr Alter sein, einen Abbé in die Verdammnis gebracht zu haben.

Graf! rief die Herzogin, auf mein Ehrenwort, Ihr erschreckt mich!

Ach, versetzte Athos, der arme Abbé war kein heiliger Ambrosius, und ich wiederhole, Marie Michon war ein anbetungswürdiges Geschöpf.

Mein Herr, sprach die Herzogin und ergriff Athos bei den Händen, sagt mir sogleich, woher Ihr alle diese Umstände wißt, oder ich lasse einen Mönch aus dem Augustinerkloster kommen und Euch beschwören.

Athos brach in ein Gelächter aus.

Nichts leichter, Madame. Ein Kavalier, der mit einer wichtigen Sendung beauftragt war, kam eine Stunde vor Marie Michon in das Pfarrhaus und erbat sich Gastfreundschaft, und zwar in dem Augenblick, wo der Pfarrer, zu einem Sterbenden gerufen, nicht nur sein Haus, sondern das Dorf für die ganze Nacht verließ. Voll Vertrauen zu seinem Gaste, der übrigens ein Edelmann war, hatte der Geistliche diesem sein Haus, sein Mahl und sein Zimmer überlassen. Marie Michon hatte also vom Gast des guten Abbé und nicht vom Abbé selbst Gastfreundschaft gefordert.

Und dieser Kavalier, dieser Gast, dieser Edelmann, der vor ihr ankam?

War ich, der Graf de la Fère, sprach Athos aufstehend und sich ehrfurchtsvoll vor der Herzogin von Chevreuse verbeugend.

Die Herzogin blieb einen Augenblick ganz verblüfft; dann fing sie plötzlich an, laut zu lachen.

Ah! meiner Treue, sagte sie, das ist drollig. Und diese tolle Marie Michon fand es besser, als sie erwartet hatte. Setzt Euch, lieber Graf, und fahrt in Eurer Erzählung fort.

Nun bleibt mir nur noch übrig, mich anzuklagen, Madame. Ich sagte Euch vorhin, daß ich selbst in einer dringenden Sendung reiste. Schon bei Tagesanbruch ging ich geräuschlos aus dem Zimmer und ließ meinen reizenden Lagergefährten schlafen.

Im ersten Zimmer schlief ebenfalls, den Kopf auf einen Lehnstuhl zurückgelegt, die Kammerfrau, in allem ihrer Gebieterin würdig. Ihr hübsches Gesicht fiel mir auf, ich näherte mich ihr und erkannte die kleine Ketty, die unser Freund Aramis bei ihr untergebracht hatte. So erfuhr ich, die schöne Reisende sei . . .

Marie Michon, fiel Frau von Chevreuse lebhaft ein.

Marie Michon, versetzte Athos. Ich verließ nun das Haus, ging in den Stall, fand mein Pferd gesattelt und meinen Bedienten bereit; wir reisten ab.

Und Ihr seid nie mehr durch dieses Dorf gekommen? fragte Frau von Chevreuse.

Ein Jahr nachher, Madame.

Nun?

Nun, ich wollte den guten Pfarrer wieder besuchen. Er war sehr bekümmert wegen eines Ereignisses, das er nicht begreifen konnte. Er hatte acht Tage vorher in einer kleinen Wiege einen reizenden Knaben von drei Monaten nebst einer wohlgespickten Börse und einem Billett erhalten, auf dem nur die einfachen Worte standen: 11. Oktober 1633.

Das war das Ende des seltsamen Abenteuers, versetzte Frau von Chevreuse.

Ja, aber er begriff nichts davon, denn er wußte nur, daß er diese Nacht bei einem Sterbenden zugebracht hatte; Marie Michon hatte das Pfarrhaus vor seiner Rückkehr wieder verlassen.

Ihr wißt, mein Herr, daß Marie Michon, als sie im Jahr 1643 wieder nach Frankreich kam, sogleich Kunde über dieses Kind einziehen ließ. Auf ihrer Flucht konnte sie es nicht behalten; aber nun, in Paris, wollte sie es bei sich erziehen lassen.

Und was sagte ihr der Abbé? fragte Athos.

Ein vornehmer Herr, den er nicht kenne, habe sich für die Zukunft des Kindes verbürgt und es mitgenommen.

Es war die Wahrheit.

Ah, dann begreife ich. Dieser Herr waret Ihr, es war sein Vater.

Stille, sprecht nicht so laut, Madame. Er ist da!

Er ist da! rief Frau von Chevreuse rasch aufstehend, er ist da, mein Sohn, der Sohn der Marie Michon ist da! Ich will ihn sogleich sehen.

Gebt wohl acht, Madame, er kennt weder seinen Vater, noch seine Mutter.

Ihr habt das Geheimnis bewahrt und bringt ihn mir hierher, weil Ihr denkt, Ihr macht mich sehr glücklich. Oh! ich danke, ich danke, mein Herr, rief Frau von Chevreuse, faßte seine Hand und suchte sie an ihre Lippen zu führen, ich danke. Ihr habt ein edles Herz.

Ich bringe ihn Euch, sagte Athos, seine Hand zurückziehend, damit Ihr ebenfalls etwas für ihn tun möget. Bis jetzt sorgte ich allein für seine Erziehung, und ich habe, glaube ich, einen vollendeten Edelmann aus ihm gemacht; aber der Augenblick ist gekommen, wo ich mich abermals genötigt sehe, das umherirrende, gefährliche Leben eines Parteigängers zu ergreifen. Schon morgen stürze ich mich in ein gefährliches Unternehmen; dann hat er niemand mehr als Euch, der ihn fördern und hüten könnte

Oh! seid ruhig, rief die Herzogin; leider habe ich nicht mehr viel Ansehen, aber was mir davon übrig geblieben ist, gehört ihm. Was sein Vermögen und seinen Titel betrifft . . .

Darüber beunruhigt Euch nicht, Madame. Ich habe ihn zum Erben von Bragelonne eingesetzt, wodurch er den Titel Vicomte und 10 000 Livres Renten bekommt.

Bei meiner Seele, mein Herr, sprach die Herzogin, Ihr seid ein wahrhafter Edelmann. Aber es drängt mich, unsern jungen Vicomte zu sehen; wo ist er denn?

Dort in dem Salon; ich will ihn holen, wenn Ihr wollt.

Athos machte eine Bewegung nach der Türe. Frau von Chevreuse hielt ihn zurück.

Ist er hübsch? fragte sie.

Athos lächelte und erwiderte: Er gleicht seiner Mutter.

Hierauf machte er dem jungen Menschen ein Zeichen, und dieser erschien auf der Schwelle.

Frau von Chevreuse konnte sich eines Freudenschreis nicht enthalten, als sie einen so reizenden Kavalier erblickte, der ihre stolzesten Hoffnungen übertraf.

Vicomte, nähert Euch, sagte Athos; Frau von Chevreuse erlaubt Euch, ihr die Hand zu küssen.

Der Jüngling näherte sich mit seinem anmutsvollen Lächeln und mit entblößtem Kopf, setzte ein Knie auf die Erde und küßte die Hand der Frau von Chevreuse.

Nun, Herr Graf, sprach er, sich gegen Athos umwendend, habt Ihr mir nicht, um meine Schüchternheit zu schonen, gesagt, Madame sei die Herzogin von Chevreuse, und ist es nicht vielmehr die Königin?

Nein, Vicomte, erwiderte Frau von Chevreuse, nahm ihn ebenfalls bei der Hand, hieß ihn zu sich sitzen und schaute ihn mit Augen an, die vor Vergnügen glänzten. Nein, leider bin ich nicht die Königin, denn wenn ich es wäre, so würde ich sogleich alles für Euch tun, was Ihr verdient. Aber sagt mir, so wie ich bin, fügte sie bei, indem sie sich kaum enthalten konnte, ihre Lippen auf seine so reine Stirne zu drücken, sagt mir, welche Laufbahn wünscht Ihr einzuschlagen?

Athos schaute, dabei stehend, beide mit einem Ausdruck unaussprechlichen Glückes an.

Madame, sagte der Jüngling mit seiner zugleich weichen und sonoren Stimme, es scheint mir, es gibt für einen Edelmann nur eine Laufbahn, die der Waffen. Der Herr Graf hat mich, wie ich glaube, in der Absicht erzogen, einen Soldaten aus mir zu machen, und er machte mir Hoffnung, mich in Paris jemand vorzustellen, der mich vielleicht dem Herrn Prinzen empfehlen könnte.

Ja, ich begreife, es steht einem jungen Soldaten, wie Ihr seid, gut an, unter einem jungen General zu dienen, wie er ist. Doch Geduld . . . persönlich bin ich durchaus nicht mit ihm befreundet, wegen der Streitigkeiten der Frau von Montbazon, meiner Schwiegermutter, mit Frau von Longueville. Aber durch den Prinzen von Marsillac . . . Ei, wahrhaftig, Graf, so geht es. Der Herr Prinz von Marsillac ist ein alter Freund von mir, er wird unsern jungen Freund an Frau von Longueville empfehlen, die ihm einen Brief an ihren Bruder, den Prinzen, gibt, welcher sie zu zärtlich liebt, um nicht sogleich für sie alles zu tun, was sie von ihm verlangt.

Nun wohl, das geht vortrefflich, sprach der Graf; nur nehme ich mir die Freiheit, Euch den größten Eifer anzuempfehlen. Ich habe Gründe, zu wünschen, daß der Vicomte morgen abend nicht mehr in Paris sei.

Soll man wissen, daß Ihr Euch für ihn interessiert, Herr Graf?

Es wäre vielleicht besser für seine Zukunft, wenn man gar nicht wüßte, daß er mich je gekannt hat.

O! Herr, rief der Jüngling.

Ihr wißt, Bragelonne, sprach der Graf, daß ich nie etwas ohne Grund tue.

Ja, antwortete der Jüngling, ich weiß, daß die höchste Weisheit in Euch herrscht, und werde Euch gehorchen, wie ich dies gewohnt bin.

Nun wohl, Graf, überlaßt ihn mir, sagte die Herzogin; ich will Befehl geben, daß man den Prinzen von Marsillac aufsuche, der glücklicherweise in diesem Augenblick in Paris ist, und ich gehe nicht eher von ihm, als bis die Angelegenheit zu Ende gebracht ist.

Schön, Frau Herzogin, tausend Dank. Ich habe selbst heute mehrere Gänge zu machen, und bei meiner Rückkehr, das heißt gegen sechs Uhr abends, erwarte ich ihn im Hotel.

Was macht Ihr heute abend?

Wir gehen zu dem Abbé Scarron, an den ich einen Brief habe, und bei dem ich einen von meinen Freunden finden soll.

Das ist gut, sagte die Herzogin von Chevreuse, ich werde selbst einen Augenblick dahin kommen; verlaßt also seinen Salon nicht eher, als bis Ihr mich gesehen habt.

Athos verbeugte sich vor Frau von Chevreuse und schickte sich an, wegzugehen.

Wie, Herr Graf, sagte die Herzogin lachend, verläßt man seine alten Freunde auf eine so zeremoniöse Weise?

Ah, murmelte Athos, ihr die Hand küssend, wenn ich früher gewußt hätte, daß Marie Michon ein so reizendes Geschöpf sei . . .

Und er entfernte sich seufzend.



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