Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Fünfter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Geständnis.

In demselben Augenblick hörte man die Stimme des Herrn von Villefort aus seinem Kabinett rufen: Was gibt es denn?

Morel befragte mit dem Blicke Noirtier; dieser hatte wieder seine ganze Kaltblütigkeit erlangt und bezeichnete ihm mit dem Auge das Kabinett, in das er sich schon einmal unter ähnlichen Umständen geflüchtet hatte.

Gleich darauf stürzte Villefort in das Zimmer, lief auf Valentine zu und faßte sie in seine Arme. Einen Arzt! . . . Herrn d'Avrigny! Oder ich gehe vielmehr selbst, rief er und lief aus dem Zimmer.

Durch die andere Tür entfloh Morel. Eine schreckliche Erinnerung regte sich in seinem Herzen: die Unterredung zwischen Villefort und dem Doktor, die er in der Nacht, in der Frau von Saint-Meran starb, gehört hatte. Die Symptome, die dem Tode Barrois' vorhergegangen, schienen ihm dieselben zu sein, die er, wenn auch in etwas geringerem Grade, bei Valentine wahrgenommen hatte. Zugleich tönte an sein Ohr die Stimme des Grafen von Monte Christo, der ihm kaum zwei Stunden vorher gesagt hatte: Wenn Sie etwas brauchen, Morel, so kommen Sie zu mir, ich vermag viel. Diesen Helfer wollte er nun aufsuchen.

Inzwischen fuhr Herr von Villefort bei Herrn d'Avrigny vor; er läutete so heftig, daß ihm der Portier mit erschrockener Miene öffnete. Villefort stürzte nach der Treppe, ohne daß er die Kraft hatte, etwas zu sagen. Der Portier kannte ihn und rief ihm nur nach: In seinem Kabinett, Herr Staatsanwalt!

Villefort stieß bereits die Tür auf.

Ah! sagte der Doktor, Sie sind es? –

Ja, ich bin es und frage Sie, ob wir allein sind. Doktor, mein Haus ist ein verfluchtes Haus!

Wie! sagte dieser scheinbar kalt, jedoch mit tiefer innerer Erschütterung, haben Sie abermals einen Kranken?

Ja, Doktor! rief Villefort, mit krampfhafter Hand seine Haare fassend, ja!

In d'Avrignys Blick lag: Ich habe es Ihnen vorher gesagt. Dann sprachen seine Lippen langsam: Wer soll denn in Ihrem Hause sterben, und welches neue Opfer wird Sie vor Gott der Schwäche anklagen?

Ein schmerzliches Schluchzen entwand sich dem Herzen des Geängsteten, er näherte sich dem Arzte, faßte ihn am Arm und antwortete: Valentine! die Reihe ist an Valentine!

Ihre Tochter! rief d'Avrigny, erschreckt.

Sie sehen, daß Sie sich täuschten, murmelte der Staatsanwalt, kommen Sie, schauen Sie meine Tochter an, und Sie werden sie wegen Ihres Verdachtes auf ihrem Schmerzenslager um Verzeihung bitten.

So oft Sie mich benachrichtigten, war es zu spät, sagte Herr d'Avrigny; doch gleichviel, ich gehe. Eilen wir!

Oh! diesmal, Doktor, werden Sie mir meine Schwäche nicht mehr vorwerfen. Diesmal werde ich den Mörder kennen lernen und treffen.

Suchen wir das Opfer zu retten, ehe wir an die Rache denken, sagte d'Avrigny; kommen Sie!

Inzwischen war Morel bei Monte Christo angekommen. Der Graf saß in seinem Kabinett und las sorgenvoll ein Billett, das ihm Bertuccio in der Eile geschickt hatte. Als er Morel, der ihn vor kaum zwei Stunden verlassen hatte, melden hörte, erhob der Graf das Haupt.

Für Morel, wie für den Grafen hatte sich während dieser zwei Stunden ohne Zweifel viel ereignet, denn der junge Mann, der ihn mit einem Lächeln auf den Lippen verlassen, kam mit verstörtem Gesichte zurück.

Er stand auf, eilte Morel entgegen und rief: Was gibt es denn, Maximilian? Sie sind bleich, und Ihre Stirn trieft von Schweiß.

Morel fiel auf einen Stuhl und erwiderte: Ja, ich bin schnell gelaufen, ich mußte Sie sprechen. Ich bedarf Ihrer. Sie können mir vielleicht bei einer Sache Hilfe leisten, wo sonst niemand helfen kann. – Reden Sie! – Graf, wollen Sie mir erlauben, Baptistin wegzuschicken und in einem Ihnen bekannten Hause Nachrichten einzuziehen? – Ich bin zu Ihrer Verfügung, und Sie mögen also noch viel mehr über meine Bedienten verfügen.

Morel ging hinaus, rief Baptistin und sagte ihm leise einige Worte. Der Kammerdiener eilte fort.

Morel erzählte nun, ohne die Namen zu nennen, dem Grafen, welches Geheimnis er aus dem im Garten des Staatsanwalts belauschten nächtlichen Gespräch erfahren habe, und Monte Christo hörte scheinbar mit der größten Ruhe zu.

Nun! endete Maximilian, der Tod ist zum dritten Male eingekehrt, und weder der Herr des Hauses, noch der Doktor hat etwas gesagt; der Tod wird vielleicht zum vierten Male treffen. Graf, wozu glauben Sie, daß mich die Kenntnis dieses Geheimnisses verpflichtet?

Mein lieber Freund, Sie scheinen mir eine Geschichte zu erzählen, die jeder von uns auswendig weiß. Ich kenne das Haus, wo Sie dies gehört haben, oder kenne wenigstens ein ähnliches: ein Haus, wo sich ein Garten, ein Familienvater, ein Doktor findet, ein Haus, wo sich drei seltsame, unerwartete Todesfälle ereignet haben. Wohl, schauen Sie mich an, mich, der nichts erlauscht hat, und dennoch dies alles so gut weiß wie Sie . . . habe ich Gewissensbedenken? Nein! das geht mich nichts an. Sie sagen, ein Würgeengel scheine dieses Haus dem Zorne des Herrn zu bezeichnen; wer sagt Ihnen denn, daß Ihre Voraussetzung nicht Wirklichkeit ist? Wenn die Gerechtigkeit und nicht der Zorn Gottes dieses Haus trifft, Maximilian, so wenden Sie den Kopf ab und lassen Sie die Gerechtigkeit Gottes ihren Gang gehen.

Morel bebte. Es lag zugleich etwas Finsteres, Feierliches und Furchtbares in dem Tone des Grafen.

Überdies, fuhr er mit so scharf veränderter Stimme fort, daß man hätte glauben sollen, diese letzten Worte kämen nicht mehr aus dem Munde desselben Menschen, – überdies, wer sagt Ihnen, daß es wieder anfangen wird?

Es fängt wieder an, Graf, rief Morel, und deshalb bin ich zu Ihnen gelaufen.

Was soll ich tun, Morel? Soll ich etwa den Herrn Staatsanwalt in Kenntnis setzen?

Monte Christo sprach diese Worte mit solchem Ausdrucke, daß Morel plötzlich aufstand und rief: Graf! Graf! nicht wahr, Sie wissen, von wem ich spreche?

Allerdings, mein guter Freund, und ich will es Ihnen dadurch beweisen, daß ich Namen nenne. Sie sind am Todesabend des Herrn von Saint-Meran im Garten des Herrn von Villefort gewesen. Sie haben Herrn von Villefort mit Herrn d'Avrigny über den Tod des Herrn von Saint-Meran und über den nicht minder erstaunlichen Tod seiner Gattin sprechen hören. Herr d'Avrigny sagte, er glaube an eine Vergiftung, oder sogar an zwei Vergiftungen, und Sie, der vor allen ehrliche Mann, sind seitdem in Gewissensnöten, ob Sie dieses Geheimnis enthüllen, oder ob Sie schweigen sollen. So lassen Sie doch die Leute schlafen, wenn sie schlafen, und schlummern Sie selbst um Gotteswillen, Sie, den keine Gewissensbisse am Schlummern hindern.

Ein furchtbarer Schmerz prägte sich in Morels Zügen aus; er ergriff die Hand des Grafen und rief: Aber, es fängt wieder an, sage ich Ihnen!

Nun wohl, erwiderte der Graf, erstaunt über diese Hartnäckigkeit, die er nicht begriff, während er Maximilian noch aufmerksamer anschaute, lassen Sie es wieder anfangen; es ist eine Atriden-Familie! Gott hat sie verurteilt, und sie werden seinem Spruche unterliegen, sie werden verschwinden. Vor drei Monaten war es Herr von Saint-Meran; vor zwei Monaten war es Frau von Saint-Meran; kürzlich war es Barrois; heute ist es der alte Noirtier oder die junge Valentine.

Sie wußten es? rief Morel so erschrocken, daß Monte Christo bebte, er, den des Himmels Einsturz unempfindlich gefunden hätte. Sie wußten es und sagten nichts?

Was ist mir denn daran gelegen! versetzte Monte Christo, die Achseln zuckend, kenne ich diese Leute?

Aber ich, rief Morel, brüllend vor Schmerz, ich liebe sie!

Sie lieben, wen? rief Monte Christo aufspringend und Morels Hände ergreifend.

Ich liebe bis zur Raserei, ich liebe wie ein Mensch, der all sein Blut hingeben würde, um ihr eine Träne zu ersparen, ich liebe Valentine von Villefort, die man in diesem Augenblicke ermordet! Hören Sie wohl, ich liebe sie, und frage Gott und Sie, wie ich sie retten kann?

Monte Christo stieß einen Schrei aus und rief, die Hände ringend: Unglücklicher! du liebst die Tochter eines verfluchten Geschlechtes!

Nie hatte Morel einen ähnlichen Ausdruck gesehen, nie hatte ein so furchtbares Auge vor seinem Gesicht geflammt, nie hatte der Geist des Schreckens, den er so oft auf den Schlachtfeldern oder in den mörderischen Nächten Algeriens erschaut, so düstere Flammen um ihn her geschleudert. – Er wich erschrocken zurück.

Monte Christo schloß ein paar Sekunden lang nach diesem Ausbruche, wie von inneren Blitzen geblendet, die Augen. Während dieser Sekunden sammelte er sich mit solcher Gewalt, daß man nach und nach die wellenförmigen Bewegungen seiner von Stürmen schwellenden Brust sich legen sah, wie sich nach dem Gewitter unter der Sonne die stürmischen, schäumenden Wogen glätten.

Dann hob er seine bleiche Stirn empor und sagte mit leicht bebender Stimme: Ich, der unempfindlich, und neugierig dastand, ich, der die Entwickelung dieser furchtbaren Tragödie betrachtete; ich, der einem schlimmen Genius ähnlich über das Böse lachte, das die Menschen unter dem Schutze des Geheimnisses tun – ich fühle mich nun selbst gebissen von der Schlange, deren krummen Gang ich betrachtete, und zwar ins Herz gebissen.

Morel stieß einen dumpfen Seufzer aus.

Auf! auf! genug der Klagen, fuhr der Graf fort, seien Sie stark, seien Sie ein Mann, seien Sie voll Hoffnung, denn ich bin da, ich wache über Sie.

Morel schüttelte traurig den Kopf.

Ich sage Ihnen, Sie sollen hoffen, verstehen Sie mich? rief Monte Christo. Erfahren Sie, daß ich nie lüge, daß ich mich nie täusche. Es ist Mittag, Maximilian, danken Sie dem Himmel, daß Sie am Mittag gekommen sind, statt erst am Abend zu kommen. Hören Sie, was ich Ihnen sagen werde, Morel; es ist Mittag; wenn Valentine noch nicht tot ist, so wird sie nicht sterben.

Oh! mein Gott! mein Gott! rief Morel, ich habe sie sterbend zurückgelassen.

Monte Christo legte seine Hand an die Stirn. Was ging in diesem von furchtbaren Geheimnissen beschwerten Kopfe vor? Er hob die Stirn noch einmal, und diesmal war er ruhig wie das Kind beim Erwachen.

Maximilian, sagte er, kehren Sie still nach Hause zurück; ich befehle Ihnen, nichts zu tun, keinen Schritt zu versuchen, über Ihr Antlitz nicht den Schatten einer Unruhe schweben zu lassen, ich werde Ihnen Nachricht geben.

Mein Gott! mein Gott! Graf, Sie erschrecken mich mit Ihrer Kaltblütigkeit. Vermögen Sie etwas gegen den Tod? Sind Sie mehr als ein Mensch?

Und der junge Mann, den keine Gefahr je einen Schritt zurückweichen ließ, wich, von einem unsäglichen Schrecken erfaßt, zurück. Doch Monte Christo schaute ihn jetzt mit einem zugleich so schwermütigen und so sanften Lächeln an, daß Maximilian Tränen in seinen Augen fühlte.

Ich vermag viel, antwortete der Graf. Gehen Sie, ich muß allein sein, mein Freund.

Ohne Widerstreben drückte Morel dem Grafen die Hand und entfernte sich.

Villefort und d'Avrigny waren indessen in größter Eile nach dem Hotel des Staatsanwalts gefahren. Bei ihrer Rückkehr war Valentine noch ohnmächtig, und der Arzt untersuchte die Kranke mit der von den Umständen gebotenen Sorgfalt.

An seinen Lippen und seinen Blicken hängend, erwartete Villefort das Resultat der Prüfung. Bleicher, als das Mädchen, gieriger auf eine Lösung, als Villefort selbst, wartete Noirtier ebenfalls.

Endlich sprach d'Avrigny langsam die Worte: Sie lebt noch.

Noch? rief Villefort, oh! Doktor, welch ein furchtbares Wort haben Sie da ausgesprochen!

Ja, sagte der Doktor, ich wiederhole meine Behauptung; sie lebt noch, und ich bin darüber erstaunt.

Doch sie ist gerettet? – Ja, da sie lebt.

In diesem Moment begegnete der Blick d'Avrignys dem Blicke Noirtiers. Er erglänzte von so außerordentlicher Freude, daß der Arzt sich dadurch betroffen fühlte.

Er ließ das Mädchen, dessen bleiche, weiße Lippen sich kaum noch vom übrigen Gesicht abhoben, wieder auf den Stuhl fallen und sagte zu Villefort: Rufen Sie gefälligst die Kammerjungfer des Fräuleins.

Villefort ließ den Kopf seiner Tochter los, den er unterstützte, und lief weg, um die Kammerjungfer zu rufen.

Sobald Villefort die Tür zugemacht hatte, näherte sich d'Avrigny Herrn Noirtier und fragte ihn: Sie haben mir etwas zu sagen?

Der Greis blinzelte auf eine ausdrucksvolle Weise mit den Augen; es war dies, wie man sich erinnert, sein bejahendes Zeichen.

Gut, ich werde bei Ihnen bleiben.

In diesem Augenblick kehrte Villefort mit der Kammerjungfer zurück; hinter dieser ging Frau von Villefort.

Aber was hat denn das liebe Kind? rief sie: . . . sie ging von mir weg, beklagte sich zwar etwas über Unpäßlichkeit, doch ich glaubte, es sei von keiner Bedeutung.

Und die junge Frau näherte sich Valentine mit Tränen in den Augen und mit allen Zeichen der Zuneigung einer wahren Mutter, und nahm sie bei der Hand.

D'Avrigny schaute Noirtier fortwährend an; er sah, wie seine Augen sich erweiterten, wie seine Wangen zitterten und erbleichten, wie der Schweiß auf seiner Stirn perlte.

Oh! stieß er unwillkürlich hervor, während er der Richtung der Blicke des Greises folgte, das heißt, seine Augen auf Frau von Villefort heftete. Diese sagte wiederholt: Das arme Kind wird besser in seinem Zimmer sein. Kommen Sie, Fanny, wir wollen Valentine zu Bette bringen.

Der Arzt, der in diesem Vorschlag ein Mittel sah, mit Noirtier allein zu bleiben, erklärte dies für das beste, verbot aber, sie irgend etwas anderes nehmen zu lassen, als was er verordnen würde.

Man trug Valentine weg; sie hatte wieder das Bewußtsein erlangt, vermochte aber weder sich zu bewegen, noch zu sprechen, so sehr waren ihre Glieder durch die Erschütterung, die sie erlitten, gelähmt. Sie hatte indessen die Kraft, mit einem Blicke ihren Großvater zu grüßen, dem man, als man sie wegtrug, die Seele zu entreißen schien.

D'Avrigny folgte der Kranken, gab weitere Vorschriften, hieß Villefort selbst zum Apotheker fahren, dort die verordneten Tränke bereiten lassen, sie selbst zurückbringen und ihn im Zimmer seiner Tochter erwarten.

Nachdem er abermals eingeschärft, Valentine nichts nehmen zu lassen, ging er wieder zu Herrn Noirtier hinab, schloß sorgfältig die Tür, überzeugte sich, daß niemand horchte, und sagte: Mein Herr, Sie wissen etwas über die Krankheit Ihrer Enkelin? – Ja, machte der Greis.

Hören Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren, ich will Sie fragen, und Sie antworten mir. Haben Sie den Unfall vorhergesehen, der heute Valentine begegnet ist? – Ja.

D'Avrigny dachte einen Augenblick nach, näherte sich sodann Noirtier und fuhr fort: Verzeihen Sie mir, was ich Ihnen sagen werde; doch in der furchtbaren Lage, in der wir uns befinden, darf kein Anzeichen vernachlässigt werden. Haben Sie den armen Barrois sterben sehen?

Noirtier schlug die Augen zum Himmel auf.

Wissen Sie, woran er gestorben ist? – Ja.

Glauben Sie, sein Tod sei natürlich gewesen?

Etwas wie ein Lächeln trat auf die trägen Lippen Noirtiers.

Es ist Ihnen also der Gedanke gekommen, Barrois sei vergiftet worden? – Ja. – Glauben Sie, das Gift, dem er unterlegen ist, sei für ihn bestimmt gewesen? – Nein.

Meinen Sie, dieselbe Hand, die Barrois statt eines andern getroffen, treffe heute Valentine? – Ja. – Sie wird also ebenfalls unterliegen? fragte d'Avrigny, einen tiefen Blick auf Noirtier heftend. – Nein, erwiderte dieser mit triumphierender Miene. – Sie hoffen also? fragte d'Avrigny erstaunt. – Ja. – Was hoffen Sie?

Der Greis machte durch die Augen begreiflich, er könne nicht antworten.

Ah! ja, das ist wahr, murmelte d'Avrigny.

Dann sagte er: Sie hoffen, der Mörder würde müde werden? – Nein. – Also hoffen Sie, das Gift werde ohne Wirkung auf Valentine sein? – Ja. – Denn nicht wahr, ich belehre Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, man habe sie in der Tat zu vergiften gesucht?

Der Greis machte mit den Augen ein Zeichen, das keinen Zweifel in dieser Beziehung übrig ließ.

Wie hoffen Sie dann, daß Valentine entkommen werde?

Noirtier hielt hartnäckig seine Augen auf einen Punkt geheftet; d'Avrigny folgte der Richtung seiner Augen und sah, daß sie auf eine Flasche zielten, die den Trank enthielt, den man ihm jeden Morgen brachte.

Ah! ah! sagte d'Avrigny, plötzlich von einem Gedanken erleuchtet, sollten Sie den Einfall gehabt haben . . . – Noirtier ließ ihn nicht vollenden. Ja, machte er. – Sie gegen das Gift zu verwahren? – Ja. – Indem Sie Valentine allmählich daran gewöhnten, da Sie mich haben sagen hören, es komme Brucin in den Trank, den ich Ihnen gebe. – Ja, ja, ja, machte der Greis, entzückt, verstanden zu werden. – Und Sie gewöhnten sie an dieses Getränk und wollten dadurch die Wirkungen eines solchen Giftes aufheben?

Dieselbe triumphierende Freude bei Noirtier.

Und es ist Ihnen wirklich gelungen! rief d'Avrigny. Ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre Valentine heute getötet, getötet ohne die Möglichkeit einer Hilfe; der Schlag war heftig, doch sie wurde nur erschüttert, und diesmal wenigstens wird Valentine nicht sterben.

Eine übermenschliche Freude glänzte in den mit einem Ausdrucke unsäglicher Dankbarkeit zum Himmel aufgeschlagenen Augen des Greises.

In dieser Minute kam Villefort zurück.

Hier, Doktor, sagte er, hier ist das Verlangte. – Dieser Trank ist in Ihrer Gegenwart bereitet worden? – Ja. – Er ist nicht aus Ihren Händen gekommen? – Nein.

D'Avrigny nahm die Flasche, goß ein paar Tropfen von ihrem Inhalt in seine hohle Hard und verschluckte sie.

Gut, sagte er, gehen wir zu Valentine! Ich werde dort meine Vorschriften geben, und Sie selbst, Herr von Villefort, wachen darüber, daß niemand davon abgeht.

In dem Augenblick, wo der Doktor in das Zimmer Valentines, von Villefort begleitet, zurückkehrte, mietete ein italienischer Priester das an das Hotel des Herrn von Villefort anstoßende Haus.

Man konnte nicht erfahren, was die drei Mieter dieses Hauses bewogen hatte, zwei Stunden nachher auszuziehen. Aber es ging allgemein das Gerücht in der Gegend, das Haus ruhe nicht fest auf seinem Grunde und drohe einzustürzen, was den neuen Mieter aber durchaus nicht abhielt, noch an demselben Tage gegen fünf Uhr einzuziehen.

Der Mietvertrag wurde für drei Jahre abgeschlossen und der Hauszins von dem neuen Mieter namens Signor Giacomo Busoni sechs Monate vorausbezahlt.

Es wurden sogleich Arbeiter gerufen, und noch in derselben Nacht sahen einige Verspätete beim Vorübergehen mit Erstaunen Zimmerleute und Maurer mit Ausbesserung des wankenden Hauses beschäftigt.


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