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PersonenEin alter Mann
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Ein Kreuzweg in stiller Feldeinsamkeit. Auf kleiner Böschung, zum Teil durch Ginstergestrüpp verdeckt, der Wegweiser. Es ist Spätnachmittag zur Erntezeit.
Wenn der Vorhang sich teilt, ist die Bühne leer. Ein älterer Mann, von einem jungen Burschen gestützt, kommt langsam (von links) und bleibt dann stehen, als suche er ein Ziel.
Der Jüngling
Da steht das Wegkreuz ... Setzt Euch! – Haltet Rast!
Der Alte
Das Kreuz am Wege ist mir wohl bekannt ...
Der Jüngling
Es gibt der Kreuze viel in diesem Land.
Der Alte
Wohl dir, wenn du den Sinn zur Zeit erfaßt ...
Der Jüngling
Den Sinn? – Mir sagte meine Muhme oft,
daß
jedes Menschen Weg ein Kreuzweg sei.
Der Alte
Die Lesart ist nicht neu, doch hinkt sie sehr,
weil Menschenart so sehr verschieden ist.
Art gibt den Ausschlag, Art allein entscheidet.
Der eine hat in seinem Geldsack nichts
und fährt trotzdem im goldenen Siegeswagen
durch alle Himmel, die er sich erträumt;
und selbst der Regenbogen wölbt sich ihm
zur heitern Brücke in ein Paradies.
Der andere aber wühlt im lautern Gold
und hat den Blick in Nichts versenkt; er darbt,
weil seine
innern Wüsten endlos sind.
Unfrei ist alles, – sonderlich der Mensch ...
Die Menschen schmieden sich die Ketten selbst.
Sie binden, was sich frei entfalten sollte,
und ziehen sich mit eitlen Sprüchen groß.
Ein Spruch trübt ihren reinen Kinderblick,
daß sie des Lebens grünen Pfad verlieren.
Sie brauchen einen Spruch als Metermaß,
wenn sie mit andern rechten, andere lieben.
Und wenn ihr eigner Mund verstummt, so steht
auf ihrem Grabstein noch – ein toter Spruch.
(Er setzt sich zu Füßen des Wegweisers nieder.)
Der Jüngling
Nun ruht ein wenig aus; der Abend naht.
Die letzte Amsel floh ins stille Nest.
Bald wird es Nacht; die Fledermäuse kreisen.
Der Alte
Die Fledermaus allein macht nicht die Nacht.
Nacht ist es nur, wo Liebe untergeht.
Der Jüngling
Die Leute haben wahrlich recht, daß sie
Euch gern den alten Philosophen nennen.
Der Alte
Ich bin gewandert und sah manches Land;
ich kam durch Wüsten ohne Quell und Labe.
Es wuchs kein goldenes Reis am Wanderstabe,
den ich auf meiner Wallfahrt irrend fand.
Der Jüngling
Wollt Ihr mir nicht ein wenig
mehr erzählen?
Der Alte
Das Sprechen läßt der Mensch zu allerletzt ...
Komm näher, du sollst mehr von mir erfahren.
(Der Jüngling kniet neben dem Alten nieder.)
Der Alte
Auch ich saß einst wie du, mit Fink und Star,
im Wipfel hoher Pappeln, sturmgebogen,
und warf die Kränze jubelnd in die Sonne.
Und wenn ich auf dem hohen Kirchturm stand,
kreuzblumenüberdacht, vom Blitz gegrüßt,
dann war ich König über Stadt und Land
und lachte wohl der winzig kleinen Wesen,
die drunten kribbelten wie Ungeziefer ...
und einmal trieb es mich, die Eisenschraube
des Knaufs zu lockern und den Steinkoloß
in Teufels Namen in den Grund zu stürzen,
grad auf des reichen Kaufherrn stolzes Haus,
weil er den Wächterhund auf mich gehetzt,
als ich aus seinem großen Blumengarten
mir eine dunkelrote Rose nahm,
um sie der Liebsten in das Haar zu flechten ...
Denn Gott sprach einst zu mir: Ihr
alle sollt
euch an den Blumen freun: mein Garten wird
nicht kahl, wenn du ein kleines Blümlein brichst ...
Einmal, – du hörst doch? – Einmal kommt die Zeit,
hörst du? – in der auch uns die Rosen blühn,
die Zeit, in der kein Hund mehr nach den
Armen
beißt,
weil sie arm sind, – wo das blöde Vieh
mehr als der Mensch Erbarmen zeigen wird.
Der Jüngling
Ist arm sein denn Verbrechen oder Schuld?
Der Alte
Schuld, die man nicht begreift,
ist keine Schuld.
Der Jüngling
Und doch verlangt die Menschheit »Buße – Buße.«
Der Alte
Das Leid ist nichts, der Tod ist nichts, mein Sohn,
nur eine Frage bleibt bestehn: »Wofür?« ...
(Er sinnt eine Weile vor sich hin.)
Mit dieser Frage rang mein Herz sich wund – –
Dann kam der Tag, an dem ich mich besann,
ich wappnete mein Herz mit harter Brünne,
zwang Löwen vor mein frohes Kampfgespann.
Ich war ja jung, und wollte helfen – helfen!
So warf ich mich dem Strom der Zeit entgegen.
(In seherischer Verklärtheit.)
Und einmal, einmal hörte ich das Lied
der Freude: »Alle Menschen werden Brüder!«
Des Meisters Schöpferhand griff mir ans Herz,
mein Blut gerann; der Atem schien zu stocken,
und in mir läuteten die heißen Glocken
der Menschheitskirche, die erbaut sein will,
und die der Menschheit nie gelingen kann,
solang der Mensch der Feind des Menschen ist.
Ich aber ging und trug die Stirne hoch
und reckte mich zu frohen Brudertaten –
und warf die schweren Schollen um und um,
(in ekstatischer Erregung)
bis meine Pflugschar an den harten Steinen
turmhoher Götzentempel jäh zerbrach ..........
(Er horcht auf. Man hört wie aus weiter Ferne das Allegro assai [alla marcia, 6/8 in B-dur] aus dem vierten Satz der »Neunten Symphonie« von Beethoven. Die ersten 12 Takte bleiben fort. Die gehörte Stelle selbst umfaßt 15 Takte.)
(Apathisch) Heute ist mein Wams zerrissen,
meine Sehnen wurden lahm,
und die Lust verlor die Schwingen ...
Trümmer, alles, was du siehst.
Scherben, die man liegen läßt.
Landstreicher nennen mich seitdem die Menschen.
Der Mensch, der die Hyäne retten würde,
daß sie nicht ausstirbt – edler Tierschutzwahn! –
läßt seinen Bruder darben und verderben ...
Er stiftet Opferkerzen – und wir hungern.
Der Jüngling
Glaubt Ihr an Gott?
Der Alte
Ich glaube an das Gute.
Die gute Tat allein ist gottgewollt.
Und wenn du weiter fragst, was Menschen sind,
ob Fürst und Bischof höhern Rangs als wir,
so sage ich dir, guter kleiner Freund:
Nur wer mehr Güte hat, steht über dir ...
Drum will ich heim zu ihr, die lauter Güte
und lauter Liebe war. Wer will mich hindern?
Die Heimat breitet ihre Mutterarme
dem Kind, dem heimwehkranken, heut entgegen.
Kann ich nicht lauter schreien, hilf mir rufen:
Hier ist ein Kind, das fiebernd heim verlangt ...
(Der Alte ist sichtlich erregt. Er greift mit der Linken nach dem Herzen.)
Der Jüngling
Hilft Euch die Kirche nicht?
Der Alte
Ihr Trost ist schwach.
Weihrauch und Nebel sind Geschwisterkinder.
Ich aber wollte stets nur Klarheit haben.
Gemeinsam suchten wir des Lichtes Pfad;
ich war ihr Meister und ihr Knecht zugleich.
Jedwede Faser bebte für ihr Leben,
im Tod noch wollten wir vom Leben träumen.
Doch meiner Seele Seele wollte sich
nicht ganz entäußern, denn ein heimlich Teil
gehörte meinem Werk ...
Der Jüngling
Starb sie daran?
Der Alte
O, richte diese wehe Frage nicht
vorm Tore meiner letzten Hoffnung auf.
Ich weiß nur, daß ihr zartes Licht verlosch
und glaubte dem Verhängnis lange nicht.
Ich sah sie immer, immer neben mir;
im Morgensonnenstrahl sah ich ihr Auge,
am Weg die Blume war ein Gruß von ihr.
Nun hab ich eine Kirche. Sieh: ihr Grab
wölbt sich zum Dom, in dem ich täglich weile.
Als sie mir starb, ward mir mein Gott geboren,
ein Fernes, das mir niemals näher war,
ein Nahes, das mich in die Ferne zieht.
Doch wär' sie tot, verlör auch Gott den Sinn!
(in feierlicher Gehobenheit)
Drum sag ich dir: wenn du ein liebes Kind
an deine Brust ziehst, – du wirst älter werden –
gib ihm die Liebe ganz und markte nicht.
Betrügst du
sie, hast du auch
dich betrogen.
Drum hüte deine Liebe, Menschenkind,
du stirbst mit ihr, wenn nicht ein letzter Wunsch,
den sie dir sterbend zurief, dich erhält,
weil Unerfülltes noch erfüllt sein will ...
Es gilt
ein Heimweh, das wir
nie bezwingen.
Der Jüngling
Ihr seid erschöpft.
Der Alte
Laß mich ein wenig schlafen.
Der Jüngling
Legt diese Bündel unter Euren Kopf.
(Er rückt ihm den Rucksack zurecht)
So liegt Ihr besser.
Der Alte
Gelt, du bleibst.
Der Jüngling
Ich bleibe.
(Nach einer kleinen Pause)
Dieweil sein
Glück schier unermeßlich war,
ist auch sein
Leid so unermeßlich tief.
(Im Hintergrund des Wegs [rechts] ist eine Zigeunerin aufgetaucht. Sie trägt ein Kind, durch große Tücher verhüllt, auf dem Arm. Als der Knabe sie erblickt, gibt er ihr durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie den Alten nicht stören solle.)
Zigeunerin
(Dadurch nicht beirrt, hockt am Grabenrande nieder und singt mit melancholischer Stimme:)
Schlaf, mein Ärmster, schlaf, mein Sohn,
bald ist diese Nacht entflohn,
und die Sonne ist entklommen,
und man wird dich holen kommen.
In dem Wäldchen eine Tann',
eine Schlinge hängt daran.
Oben hoch der Rabe schwebt,
und der Henker sich erhebt.
Seine Löhnung hat er schon,
und der Strick ist stark, mein Sohn,
und die alte Tanne bebt,
wie die Schlinge sich erhebt.
Auf, erwache, armer Sohn,
horch, der Henker nahet schon.
Tag ist's, und der Rabe schreit,
und der Henker steht bereit.
Der Jüngling
Weiß Gott: ein traurig Lied, das Ihr da singt.
Zigeunerin
Sein Vater brachte es aus Rußland mit.
Der Jüngling
Daß man dort solche Lieder singen muß ...
Als Wiegenlied will es mir schlecht gefallen.
(der Greis erwacht)
Still, er bewegt sich,
wollt Ihr nicht mehr schlafen?
Der Alte
Das Lied, das Kinder in den Schlaf wiegt, reißt
den, der das Leid ermißt, aus allen Träumen
und wirft ihn in die Wirklichkeit zurück.
(Von rechts kommen zwei Männer. Der eine [Botaniker] bückt sich und hebt eine Blume auf, der andere [Philosoph] sieht schweigend zu. Sie sind von dem Wegweiser mehrere Schritte entfernt und haben die Gruppe noch nicht bemerkt.)
Botaniker
(nachdem er, durch die Lupe schauend, die Blüte betrachtet hat)
Die Staubgefäße sind nicht mehr zu sehen.
Philosoph
Da seid Ihr gleich mit dem Latein zu Ende ...
Vom Wesen einer Pflanze ahnt Ihr nichts.
Nur gut, daß Ihr nicht auch die Menschen müßt
nach Staubgefäßen, Blütenblättern ordnen.
Botaniker
Ich bin Botaniker, kein Zoologe.
Philosoph
Das überhebt Euch jeder Menschenkenntnis?
Botaniker
In meinem Fache bin ich Spezialist.
Philosoph
In Eurem Fach. Das trifft der Sache Kern.
Was weiß der Mensch vom Menschen? Wenig? Nichts.
Ein
alter Narr zieht
junge Narren groß.
Das ist der Pädagogik bittre Regel.
Zigeunerin
Siehst du das Irrlicht?
Der Alte
Glühwurm will sich gatten.
(Die andern horchen auf)
Botaniker
(leise) Sieh' dort zwei Wegelag'rer, oder drei,
ach, daß man sich einmal so pflegen könnte.
Zigeunerin
Ein Glühwurm war das nicht, Ihr könnt mir's glauben.
Da schaut – da tanzt es wieder, winkt und flieht.
(Sie gewahrt die beiden Männer und schrickt zusammen)
Maria – Josef. Wie bin ich erschrocken.
Philosoph
Seh' ich so schreckhaft aus?
Zigeunerin
Ein Irrlicht schreckte
uns alle auf; Ihr dürft uns drum nicht schelten.
Philosoph
Was Ihr gesehen, ist ein harmlos Spiel,
das die Natur mit ihren Kindern treibt.
Aus feuchten Wiesen läßt sie Nebel steigen,
aus Sumpf und Weiher quirlen Gase auf,
der Aberglaube macht Gespenster draus,
er läßt die Seelen nächtlich sich ergehen,
und auf den Wiesen Elfenreigen drehn.
Die Phantasie ist nirgends angebunden,
sie findet mehr, als was sie fiebernd sucht,
und was ihr Auge prunkvoll ausstaffiert,
ist oft nur ein verfaulter Weidenstumpf,
der Phosphor eines modernden Gehirns,
das einem Grab entstieg, die Welt zu äffen ...
Ein Sonnenstrahl macht allen Spuk zunichte,
Licht ist der Meister aller Truggesichte.
Botaniker
Mir scheint, Ihr lest ein Privatissimum
für taube Ohren, spart doch Eure Mühe.
Philosoph
Mein Freund, es gibt der Dinge mancherlei,
die nicht auf Eurem Blumenbeete wachsen ...
Da stelzt Ihr vor der Jugend auf und ab,
voll Wissenschaft gepfropft – des Wissens bar,
Unwissenschaftlich wissend wäre mehr!
Zigeunerin
(zum Botaniker) Zürnt Ihr mir, weil Ihr klüger seid als ich?
O scheint nicht härter, als Ihr wirklich seid.
Die Menschen sind halt zu verschieden, Herr.
Der Jüngling
(zur Zigeunerin) Sagt doch dem Herrn, daß er ein wenig helfe.
Botaniker
(aufhorchend) Wo fehlt es denn?
Der Jüngling
(leise) Ich glaube, er muß sterben.
Botaniker
Kommt, laßt uns gehen; – wo der Tod regiert,
wird die Natur zur schaurigen Kulisse.
Philosoph
Du sprichst vom Sterben. Siehst du jenen Baum?
Durch jedes Blatt rauscht ein verwehter Ton
vom Scheidenmüssen und vom Abschiednehmen.
Wir – als Gelehrte – sagen: alles stirbt.
Sieh nur den Grashalm, wie er früh verwelkt.
Dies Ende ist uns allen vorbestimmt,
und dieser Eine wird es nicht verwehren ...
Der Mensch stirbt schon vom ersten Tage an,
um leidgepeinigt schließlich tot zu sein.
Oft legt das Alter sich auf junge Stirnen,
und mancher trägt den Tod als grüne Frucht
seit Kindheitstagen in der wehen Brust.
Es ist nicht leicht, den eignen Tod zu sterben;
die meisten welken
vor der Reifezeit,
unfruchtbar in sich selbst; Tod ist ihr Feind.
Drum ist ihr Tod ein Ende, kein Erleben.
(Er geht langsam auf den Alten zu und nimmt seine Hand)
Sein Haar ist feucht, sein Puls jagt Fieberschwaden
durch alle Adern, und das Herz stöhnt auf,
als wolle es das Leid der Erde zwingen.
Der Alte
(wie tastend, suchend)
Es ist so dunkel, zündet Lichter an!
Wer zog den schwarzen Vorhang vor die Sonne? ...
Treibt einer mit mir seinen Schabernack?
Ich bin nicht müde, ich will erst beginnen!
Wem fiel es ein, mich in die Welt zu schleudern,
um nur ein kleines Weilchen Mensch zu sein?
(Er erwacht aus dem Fiebertraum und sieht die Männer)
Wer seid Ihr und was hat Euch hergeführt?
Wollt Ihr ein Menschenwrack im Mondlicht schaun?
Ihr irrt! Was Ihr hier seht, ist noch nicht reif ...
Reif sein zum Sterben heißt sich selbst entleben.
Hörst du den Türmer? Er befiehlt der Zeit.
Ich bin
nicht willig, weil die
Glocke ruft.
Warum schlägt denn die Uhr nur immer zwölf?
Sagt, kann sie denn nicht einmal dreizehn schlagen?
(Über dem Holzkreuz des Wegweisers ist ein Totenkopf sichtbar
geworden.)
Der Tod
Du bist den Weg, den du gewollt, gegangen.
Der Alte
Was weißt du von dem Weg, der
vor mir liegt?
Du kennst nur deinesgleichen, die Enterbten.
Der Tod
Mir scheint jedoch, du gleichst mir auf ein Haar.
Warum nur stellst du mich so furchtbar hin?
Mich ruft der letzte Schrei von Millionen.
Vergiß nicht, daß nichts Menschliches mich trübt.
Ich bin
kein Wesen, Mensch, ich bin
Gesetz.
Der Alte
Für mich bist du ein toter Paragraph,
und darum haß' ich dich wie alles Tote.
Der Tod
Und dennoch folgst du mir?
Der Alte
Gib acht! Als Sieger!
Der Tod
Was heißt das: Sieger und Besiegter sein?
Sind
beide nicht dem gleichen Spruch verfallen?
Was haderst du mit Gott und mit der Welt?
Soll ich dir ihre Leichenfelder zeigen?
Billionen gingen vor dir diesen Weg,
Billionen folgen, – warum haderst du?
Der Alte
Verurteilt also ... ohne Unterschied
der grauenvollen Ohnmacht hingegeben? – –
Entflohen aus der Erde Dunkelsein,
bohrt sich mein Blick in sternenlose Nächte,
und eine Frage türmt sich vor mir auf:
Schuf Gott die Seele? Schuf die Seele Gott?
Der Tod
Greifst du nach mir mit kindlich frommen Händen?
So wisse denn: Im Anfang war der Tod.
Ein unsichtbarer Chor
(in breiter, wuchtiger Monotonie, als fernes Echo)
Im Anfang – war – der – Tod.
Der Alte
Mir bist du weder Anbeginn, noch Ende.
Der Tod
Was
bin ich denn, wenn du mich besser kennst?
Der Alte
Meist bist du Sklave, selten Überwinder.
Kein Herr und Meister, nur ein anderes Schauen,
ein Fort von Kaste, Sitte und Moral,
jedweder Bindung eingefleischter Feind,
so seh' ich dich, und so
will ich dich haben.
Der Tod
Sieh meine Krone an!
Der Alte
Du eine Krone?
Die Angst der Menschen setzte sie dir auf, –
mich schreckst du nicht!
Der Tod
Dich juckt die Lust zum Kampf.
Gib acht, daß du das Treffen nicht verlierst.
Der Alte
Wer droht, ist stets im Unrecht, spute dich!
Der Tod
Du wirst mich bald als deinen Herrscher grüßen.
Der Alte
Ich will dich überwinden, nicht dir dienen.
Philosoph
(zum Botaniker) Gelt, Freund, mit unserm Wissen steht es schlecht?
Des Wissens Leuchte ist ein dürftig Licht,
ein Licht, das dochtverqualmt des Abends endet ...
Einst bot uns Gott der Weisheit heilge Schale,
doch Götter sterben an dem eignen Wort.
Und was der
letzte Vorhang uns verhüllt,
erfährt nicht einer, wie er sich auch mühe ...
Der Tod
Viel Licht ist gut, doch zuviel, wähn ich, blendet.
Philosoph
Ein Hirn, das unermeßlich in Gedanken,
zwingt keiner in des Grabes dunkles Joch.
Auf Sonnenrossen jagt es durch den Raum,
den grenzenlosen, ewig lichtgeboren.
Der Alte
Du hast das Wort gefunden, das ich suchte.
Philosoph
Für das Lebendige gibt es keine Gruft.
Die »Toten« sind es, die uns gütig leiten;
sie sind die Gärtner unsrer inneren Weiten.
Der Alte
Ich weiß, daß es so ist und zweifle doch.
Ich will ein Zeichen, das Gewißheit bringt.
Philosoph
Daß Ihr nur immer Zeichen sehen müßt! ...
Der Alte
Ich sage dir, der fromme Jakob hat
Nicht so mit seinem Gott gerungen, wie
ich mit den Geistern der Vernichtung rang.
Philosoph
Und hast du sie bezwungen?
Der Alte
Eine Weile!
Philosoph
Wir sind nur Sieger eine Spanne Zeit.
Der Alte
Kleinliche Götter, die in Raten zahlen!
Philosoph
Die Götter sind so groß wie unsere Ziele.
Der Alte
Das Ziel ist immer Täuschung, immer Trug.
Ist wo ein Käferlein, ein Wurm, ein Molch,
der nicht
auch Wonnen fühlte seines Lebens?
Der Mensch allein, der arme, steht enterbt,
Und
sucht den Sinn der Schöpferlust vergebens.
Noch einmal, Gott, ich will ein Zeichen sehen.
Schon rundet sich mein Leben wie ein Kreis,
Und rollt hinein in leere Ewigkeiten.
Bald bin ich auf dem Plan, wo Sonnen kreisen,
Mein Ohr vernimmt der Sterne Glockenspiel ...
Ich hab mein schönstes Lied noch nicht gesungen.
(Er lehnt zurück und streckt wie verlangend die Hände aus. Aus der
Versenkung steigt ein
Mädchen. Es trägt einen Blumenkranz in
den blonden Locken und schreitet in feierlicher Anmut auf den Sterbenden
zu)
Der Alte
Wer bist du, lege deine reine Hand
auf meine Stirn, daß ich das Licht gewahre,
das du mir bringst – und das ich einst
verlor.
Mädchen
Ich bin der Frühling, der dich wieder fand.
(Sie kniet nieder und streichelt seine Wangen)
Der Alte
Wie sind deine Haare so gülden, mein Kind,
wie hold deine Augen, dein rosiger Mund.
Mädchen
Die Mutter gab mir alles, was ich trage.
Auch dieses Bild
(sie löst ein Medaillon, das sie am Halse trägt)
– ein Bild von meiner Mutter!
Der Alte
(jubelnd) Nun, Herz, brich auf, dem großen Tag entgegen,
sucht ihr das Nichts, das in den Wolken thront:
Ich weiß ein Wesen, das mich aufwärts trägt.
Mich lehrte meine Mutter dies Gebet:
»Wie dir geschah, so soll's auch mir geschehn,
Nur wo du hinkamst, will auch ich hingehn:
Ich will ins Licht nur, wirst im Licht du sein,
Bist du in Nacht, so will ich in die Nacht,
Bist du in Pein, so will ich in die Pein.
Von dir getrennt hab ich mich nie gedacht,
Zu dir will ich, zu dir will ich allein!«
Mädchen
Was wir geliebt, das bleibt uns tief verbunden,
selbst unser Unglück wird ein Teil von uns.
(Sie schlingt die Arme um seinen Nacken.)
Der Alte
Nun aber grüßt uns
eine Morgenröte,
ein göttlich Lichtmeer flutet um mich her;
nach viel durchgrämten Nächten wird es Tag:
Das Eis zerschmolz im kalten Menschenland,
denn von den Bergen, die der Gottheit Schemel,
stieg heut der Liebe Licht erneut zu Tal:
Zum letzten Mal ist meine Lende kalt;
du nimmst mich wärmend in die Kinderarme,
wie
sie einst tat;
sie ist in dir verjüngt.
Du bist sie selbst! Nun laß mich Abschied nehmen,
und wenn mein Herz den letzten Schlag getan,
werft Grün und wilde Rosen über mich,
tragt meinen Leichnam singend durch die Felder,
die mir so eng, so tief verbunden sind.
Wer Tränen hat, laß' sie auf Blumen fallen.
Botaniker
Ihr liebt die Blumen, wie man Kinder liebt ...
Habt Ihr nicht auch für mich ein Abschiedswort?
Der Alte
Vergiß, wenn du zu deinen Blumen gehst,
die Menschen nicht. Auch Menschen sind wie Blumen.
Im ärmsten Wesen mußt du Gott erkennen.
Drum
lerne Ehrfurcht vor den Menschen, Mensch.
Ehrst du die Menschen nicht, so höhnst du Gott.
Ein jeder Mensch schafft sich sein Golgatha.
Sorgt immer, daß es viele Hände gibt,
die segnend sich um Euer Lager scharen,
wenn Eure Stunde kommt. Doch
bis sie kommt,
sät Liebe, Menschen, Liebe! Nichts als Liebe!
Botaniker
So du den Himmel denn geöffnet siehst:
Gewahrst du auch der Hölle dunkles Tor?
Der Alte
Die Hölle konnte nur ein Mensch erfinden,
der schuldbedrückt durch dieses Leben schlich.
Warum verschließt du dich dem Bruder-Schrei?
Wirf Wenn und Aber jubelnd hinter dich,
stürz wie ein Blutstrom aus, was dich erfüllt.
Die Liebe ist des Lebens einzger Stern,
dem forsche nach, dem folge bis ans Ende.
Botaniker
Und wenn die Welt der großen Flut erliegt? ...
Der Alte
Sorgt, daß ein Schiff zur Stelle, tragt ein
Herz
als
Zeichen vor Euch her, denn ohne Liebe
treibt Euer Schiff kieloben und
versinkt.
Und jetzo richte ich ein Zeichen auf,
als Talisman:
im Anfang war das Herz.
Das lohte auf am dunkeln Firmamente
und kündete: ich bin der Sinn der Welt.
Es warf den ersten Funken in die Welt ...
Zwei Feuer lohten plötzlich:
Haß und
Liebe.
Und
weil das Unglück
mit dem Glück geboren,
ist
ewig Zwiespalt zwischen Nacht und Helle.
Mit
jedem Christus muß ein
Judas ringen.
Philosoph
Wenn Gott und Teufel ewig hadern müssen
der
Seele wegen,
ist die Seele
ewig,
und was der Mensch
nach dieser Zeit erfährt,
ist nicht der Tod, ist ungelebtes
Leben.
Mädchen
Seht hin, der Tod erblaßt; er ist besiegt.
Schaut her, er stirbt den allerletzten Tod.
(Der Totenkopf fällt in sich zusammen, die Szene steht in magischem Licht.)
Es wächst ein Leuchten aus des Ackers Tiefe,
die Erde hat ihr Teil zurückverlangt,
nun sprengt der Geist des Himmels goldnes Tor.
Philosoph
Der Mensch lebt für sein Glück, doch wenn er stirbt,
ist seine Sehnsucht die Vollkommenheit.
Der Tod hat ihm den Weg ins Licht gezeigt,
daß seinem Blick die Fäden sich entwirren,
die Weltenwahnwitz durcheinander warf.
Eine Stimme
Kein Unterschied im Werden und Vergehen!
Zeugung und Tod sind ewig eng verbunden.
Doch wer sich selbst entstirbt, nicht sich entlebt,
der hat den Ursinn alles Seins gefunden.
Was greifst du nach Sternen, was bangst du in Nöten?
Wirf alle Mühsal ins Meer des Nichts!
Nur wer sein eigenes Sternbild gefunden,
Eint sich dem Urquell des göttlichen Lichts.
Pilger bist du gewesen auf Erden ...
wird dir die Wandlung der Stunde bewußt?
Über die Klüfte, die namenlosen,
wölbt sich der Bogen der göttlichen Lust.
Der Alte
Ja, eine neue Sonne steigt empor,
dieweil die alte blutend untergeht,
und unter ihr reift meine letzte Frucht.
Das Chaos flieht, Urlicht wird wieder wahr;
ins Welthirn münden meine letzten Wünsche:
Weltherz, du größtes Wunder, nimm mich auf.
(Er breitet verlangend die Arme aus.)
Die Stimme
Über Himmel – über Höllen,
über Grüfte ohne Ende
reicht ein Bruder, eine Schwester
dir beseligt beide Hände.
Fühlst du, daß dein Tag erglüht?
Der Alte
(visionär)
Es tönt ein ewig neues Heimwehlied
durch meine Seele, und ihr Dom wird weit;
sie aber steht vor mir in Himmelsschöne
und trägt der hehren Gottheit Gnadenkleid.
(Seine Arme senken sich langsam und bleiben seitwärts ausgebreitet
liegen. Die Männer haben ihr Haupt entblößt.)
Philosoph
Seht hin, es neigt ein Bildnis holder Güte
sich zu ihm nieder ... Letzte Träne fließt,
wer scheidend solcher Liebe Trost genießt,
des Herz steht noch im Grab in froher Blüte.
Die Stimme
So schreitest du auf lichtbestrahltem Pfad,
den deiner Sehnsucht tiefste Qual dir baute ...
Sie war die Gärtnerin, du warst die Saat,
und heute reist die Frucht, die schmerzbetaute.
Es fiel von dir die allerletzte Last,
Kampf hinter dir; vor dir die heilge Ruh ...
und was du liebend dir errungen hast,
trägt jubelnd dich der ewgen Sonne zu.
Die Helligkeit der Szene steigert sich bis zur höchsten Lichtflut. In der Ferne ertönt das Tenorsolo: »Froh – froh, wie seine Sonnen ...« aus dem vierten Satz der Neunten Symphonie von Beethoven bis zum Einsatz des Chors. (Die Tenorstimme kann auch von einer Sologeige ersetzt werden.) Erst wenn der letzte Takt verhaucht ist, langsam
– Vorhang. –