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Ein stummer Bericht von einem Schiffbruch

Hatte die Hoffnunglosigkeit jemals einen Gewerbeschein gelöst, um sich in einer Kommune niederzulassen, so mußte es in dieser Strandgemeinde gewesen sein. Traurige Sandmeiler, langgestreckt und einförmig wie die Traurigkeit selbst; halbverwischte Dünen gegen das Meer zu; Wrackstümpfe als Wegweiser, wo kein Weg war; eine unablässig nervös umflatternde Möve als Belebungmittel; die ewigen Strichregen eines unbeständigen Himmels, der am Tage ebenso oft weinte wie ein kränkliches Kind; hier und da zwischen den Meilern ein paar Häuser und Halbhufen von einem recht trübseligen Aussehen; Andeutungen von Weiden mit einem Gespenst von einer Kuh und zwei Schafen, so mager wie Windspiele; ein säuerlicher oder ganz saurer Geruch von stillstehenden Wasseransammlungen in den Dünen – und wendete man sich dann durch die Düne hinaus und kam zu dem flachen Strand hinab, so hatte man dort diese Brandung, die über die Riffe herein auf den Sand zu lief und lief und brauste und Atem holte wie ein Mann, der zu schnell gegangen ist und eine Begebenheit erzählen will, eine sehr ernste Begebenheit – rein herausgesagt: eine schlimme Geschichte; aber er kann nicht dazu kommen; das eben verwehrt es ihm. Und er verdreht die Augen im Kopfe und ächzt und murmelt: »Oh... oh, Gott helfe mir... Gott helfe mir...!«

Der Wagen war ohne Federn – natürlich; aber der breite Sitz hing in seinen Lederriemen, und der Landdoktor und ich hatten gut Platz da. Wir hatten zu gut Platz, und wir kamen des öftern in nähere Berührung mit unsern Schultern und unsern Kappenschirmen, als es bei einer Wagentour unter gewöhnlichen Umständen der Fall zu sein pflegt.

»Pardon... oh, Pardon... das ist aber doch...!« Und dann mußten wir lächeln, wurden aber gleich wieder ernst. Und dann waren unsere Pfeifen neu anzustecken.

Wir schwenkten da eben zum Strande hinab. Ich vergaß meine Pfeife anzuzünden, der Doktor aber ließ sich nicht genieren.

»Sie sind daran nicht gewöhnt!« sagte er und knippste den Deckel wieder zu. »Ja, ich leugne nicht, daß es hier trist aussieht, verdammt triste, besonders an einem Herbsttag. Aber wenn man fast täglich hierherkommt – und auch in den Nächten – so – schon wieder ausgegangen – back, back, back – so – Sie verstehn – Gewohnheit ist halbe Natur – und überdies – wogegen stumpfen nicht auf die Dauer unsere Sinne ab?«

»Haben Sie je eine Strandung gesehen – mit eigenen Augen?« fragte ich.

»Massen! Das heißt – hm! eigentlich gesprochen – ich bin immer hinterher gekommen – zur Leichenbeschau und dergleichen.«

»Ja, ich auch!« antwortete ich.

Wir fuhren weiter, schweigend. Der Wagen wurde von den armen Pferden durch den Sand gezerrt; unser Kutscher schlug auf sie ein, ohne was zu sagen; mir kam der Gedanke, daß er es auch hätte lassen können, die Peitsche zu brauchen, aber ich konnte die nötigen Worte nicht hervorbringen; ich war gedrückt, dumpf, irritiert, leidend, aber stumm, vor allem stumm, unlustig zum Sprechen. Und ewig spülte diese Brandung gegen uns heran, mit diesem kurzatmigen Laut, der sich in der Grabesstummheit der Dünen verlor. Wie an einer halb zusammengesunkenen Kirchhofmauer fuhren wir; und auf der andern Seite dieses Meer mit seinem unveränderlichen: »Oh, Gott helfe mir...!«

»Na, bearbeiten Sie den Stoff?« kam es von meinem Nebenmann.

»Welchen Stoff?«

»Strandungen!«

»Ich habe keine gesehen, sage ich Ihnen; und Sie auch nicht. Sonst könnten Sie mir wenigstens eine erzählen!«

»Nichts leichter. Ich habe in diesen vier Jahren genug davon gehört – man hört ja nur davon. Man spielt sein L'Hombre und redet über Strandungen, hier bei uns. Warten Sie, da war die letzte...«

Die Pferde waren stehn geblieben. Sie mußten sich verschnaufen. Der letzte Strichregen war über uns hingegangen, und wir hatten jeder die Pfeife im Munde. Das Meer hatte sich zu erheben begonnen; es murmelte nicht mehr, sondern rief mir etwas laut zu; aber ich verstand es nicht.

Von den Dünen her, aus den Gräben, knapp vor dem Wagen, kam eine Gestalt mit einem aufgerollten Tau über der Schulter. Es war ein hoher, magerer, kräftig aussehender Mann, etwas vorgebeugt, wie es der Küstenbewohner an diesem Strande leicht wird. Er machte die Leine klar, nachdem er ganz hinunter in den Schwemmsand getreten war, wo er dann in die Wogen hinaussah, als habe er ihnen etwas zu sagen – oder als lausche er dem, was sie riefen. Darauf wirbelte er die Windungen der Leine von sich, hinaus in das siedende Wasser, zog sie wieder ein, schien zu stutzen, lief ein wenig zurück, warf wieder und stieß während dieses sonderbaren Spiels ein Grunzen aus, das im Grunde nicht viel Menschliches an sich hatte.

Er geberdete sich bei diesem Spiele wie ein Kind; ich sah ihn an: sein Haar war eher weiß als grau, und doch deutete nichts bei ihm auf ein höheres Alter. Er starrte auf uns, ziemlich gleichgültig gegen unsere Anwesenheit. Dann begann er sein Spiel von vorn.

»Da haben wir ja Mads!« sagte der Doktor. Und direkter zu mir gewendet, fuhr er fort: »Sehen Sie, Mads wäre gerade der Mann für Sie. Er war allein hier auf diesem öden Strich in den Dünen eines Abends, als ein großes Schiff zugrunde ging. Er wohnte der ganzen Vorstellung bei, von Anfang bis Ende. Es war allerdings ein ganz extraer Fall. Er hätte Ihnen davon erzählen können. Leider ...«

»Leider?« fragte ich.

Der Doktor blinzte mich an und ließ darauf die Brühe aus seiner Pfeife laufen.

»Er wurde etwas wunderlich nach dieser Nacht – wie Sie sehen. Und merkwürdig genug, die Sprache verlor er auch. Von der Haarfarbe gar nicht zu reden; – die war vorher feuerrot.«

»Er wurde wahnsinnig?« fragte ich leise.

»Ja und stumm. Er mag wohl Dispositionen gehabt haben ...« sagte der Landdoktor.


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