Arthur Conan Doyle
Was ist Spiritismus?
Arthur Conan Doyle

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Zweiter Teil: Die Offenbarung

Jetzt kann ich mich mit einiger Erleichterung der Betrachtung dieses Problems von einem weniger persönlichen Standpunkt aus zuwenden. Ich habe bereits von einer neuen Lehre gesprochen, Woher kommt sie? Im Wesentlichen auf dem Wege des automatischen Schreibens – wenn die Hand des menschlichen Mediums unter Kontrolle steht, angeblich entweder unter der Kontrolle eines verstorbenen Menschen (wie im Falle des Mediums Miß Julia Arnes) oder unter Kontrolle eines angeblich höheren Wesens (wie im Falle des Mr. Stainton Moses). Diese geschriebenen Mitteilungen werden durch eine große Zahl von Äußerungen, welche im Trancezustande ausgesprochen wurden, ergänzt, ebenso wie durch wörtliche Meldungen von Geistern, übermittelt durch den Mund von Medien. Manchmal kamen sie auf dem Wege direkter Stimmen, wie Admiral Usborne Moore in seinem Buche »The Voices« (Die Stimmen) beschreibt. Gelegentlich bei Sitzungen auch auf dem Wege des Tischrückens; zwei derartige Fälle aus meiner eigenen Erfahrung habe ich bereits geschildert. Auch ereignete es sich (wie in einem von Miß Morgan geschilderten Fall), daß die Botschaft durch die Hand eines Kindes übermittelt wurde.

Selbstverständlich macht sich sofort der Einwurf geltend: Woher wissen wir denn, daß diese Botschaften wirklich aus dem Jenseits stammen? Woher wissen wir denn, daß das Medium nicht im Zustande des Bewußtseins schreibt – oder daß, wenn es unbewußt die schriftliche Mitteilung macht, nicht das Unterbewußtsein die ausschlaggebende Rolle spielt? Diese Kritik ist eine durchaus gerechte und muss in jedem einzelnen Falle schonungslos geübt werden. Denn wollte sich die ganze Welt mit minderwertigen Propheten anfüllen, wollten sie alle ihre eigenen Anschauungen geltend machen, ohne weiteren Beweis für die Echtheit derselben als die eigene Versicherung, dann würden wir allerdings in die dunklen Zeiten kritikloser Glaubenstorheit hinabgleiten. Wahrhafte Zeichen müssen wir deshalb verlangen, Zeichen, die wir prüfen können, da uns sonst für die Mitteilungen selbst die Möglichkeit der Prüfung fehlt. Zeichen verlangte man in alten Zeiten von einem Propheten. Das war ein vernünftiges Verlangen, welches auch heute noch seine Gültigkeit hat. Kommt jemand zu mir mit einem Bericht über angebliches Leben nach dem Tode, ohne anderen Beweis als seine eigene Behauptung, so steht für derartige Kunde der Papierkorb bereit. Das Leben ist zu kurz, um die Glaubwürdigkeit solcher Erzeugnisse abzuwägen. Kommt aber jemand zu mir, wie William Stainton Moses, mit seinen »Geisterlehren«, die angeblich aus dem Jenseits stammen, und besitzt solcher Mann eine große Zahl abnormer Gaben (Stainton Moses war einer der hervorragendsten, vielseitigsten Medien, die England je hervorgebracht hat), dann betrachte ich die Sache schon in einem ernsteren Lichte. Und ferner, wenn Miß Julia Arnes dem Herrn Stead Begebnisse aus ihrem Erdenleben mitteilen kann, von denen Herr Stead vorher unmöglich Kenntnis haben konnte, und wenn diese Mitteilungen sich als wahr erweisen, dann ist man allerdings schon eher geneigt, auch den Teil der Mitteilungen, der sich nicht nachprüfen lässt, für wahr zu halten. Oder aber, wenn »Raymond« eine Photographie schildern kann, von der keine Kopie jemals England erreichte, und wenn die Schilderung sich mit der Photographie als genau übereinstimmend erwies, ferner, wenn »Raymond« durch den Mund mit Mediumkraft begabter Fremder alle möglichen Einzelheiten seines häuslichen Erdenlebens angeben kann, – Angaben, die von seinen eigenen Verwandten untersucht und für wahr befunden wurden, ist dann noch die Annahme unvernünftig, daß seine Schilderung seiner Erfahrungen nach dem Tode und seiner Existenzbedingungen zur Zeit solcher Mitteilung wenigstens einigermaßen den tatsächlichen Verhältnissen entspricht? Oder wenn Herr Arthur Hill Botschaften von Leuten empfängt, deren Existenz ihm völlig unbekannt war, und wenn alle Einzelheiten dieser Botschaften sich als wahr erweisen, ist dann die Schlußfolgerung unvernünftig, daß die Urheber solcher wahren Angaben auch bezüglich ihres derzeitigen Zustandes wahrhafte Aufklärung geben? Ich erwähne von mannigfachen mir zur Verfügung stehenden Fällen nur einige wenige. Mir kommt es darauf an, daß dieses ganze System, angefangen mit dem niedrigsten physischen Phänomen des Tischrückens, bis zur höchsten inspirierten Äußerung eines Propheten, ein einheitliches Ganzes bildet, bei dem sich Glied an Glied reiht. Und als der erste unscheinbare Anfang dieser Kette in die Hand des Menschen gelegt wurde, da geschah es mit der Absicht, daß wir mit Fleiß und Vernunft unseren Weg nach oben hinauf suchen müssen, hinauf zur Offenbarung, die uns am anderen Ende erwartet. Man soll über das unscheinbare Anfangsglied nicht verächtlich die Achseln zucken, soll nicht höhnisch lächeln über die Bewegung des Tisches, über das Fliegen der Tamburinen, wie oft auch derartige Phänomene in betrügerischer Absicht mißbraucht worden sein mögen. Der fallende Apfel lehrte uns das Gesetz von der Schwerkraft, der kochende Teekessel brachte uns die Dampfmaschine, der zuckende Froschschenkel öffnete das Gebiet der Elektrizität. So haben die unscheinbaren Manifestationen von Hydesville Forschungsgebiete eröffnet, mit denen sich während der letzten zwanzig Jahre die wichtigsten Intellekte dieses Landes beschäftigt haben, und haben heute schon Resultate gezeitigt, deren Bestimmung ist, die menschliche Erkenntnis in höhere Regionen zu tragen, als die Menschen jemals vorher erreichten. Leute, deren Urteil ich hochachte, besonders Sir William Barratt, versichern, daß psychische Forschung und Religion sich wesentlich voneinander unterscheiden. Gewiß, das heißt in dem Sinne, daß ein psychischer Forscher ein sehr schlechter Mensch sein kann. Aber die Resultate psychischer Forschung, die aus denselben sich ergebenden Deduktionen und Lehren, predigen von dem fortdauernden Leben der Seele, schildern die Art dieses Lebens und seine Beeinflussung durch unser Verhalten auf Erden. Wenn all dieses sich von Begriff und Wesen der Religion unterscheidet, dann – so muss ich bekennen – ist solcher Unterschied mir unverständlich. Für mich ist das eben Religion, der wahrhafte, wesentliche Kern derselben. Aber damit ist nicht gesagt, daß sich notwendigerweise nun eine neue Religion herausbilden muss. Ich für meine Person hoffe, daß dies nicht der Fall sein wird. Wahrlich, wir sind heute schon uneinig genug in religiösen Fragen. Ich hoffe vielmehr, daß die neue Erkenntnis sich als große vereinigende Kraft bewähren werde, als die einzige im Zusammenhang mit jeder Religion beweisbare Tatsache, gleichgültig, ob diese Religion christlicher oder nichtchristlicher Weltanschauung sei, – daß diese neue Erkenntnis die gemeinsame, feste Basis bilden werde für die verschiedenen Formen religiöser Bekenntnisse (wenn diese nun einmal verschiedengestaltig existieren müssen, um an die verschiedengestaltigen Typen von Gemüt und Verstand zu appellieren). Südliche Rassen werden immer eine mildere Form verlangen als die nördlichen. Der Westen wird immer kritischer sein als der Osten. Die Menschen lassen sich eben nicht alle über denselben Kamm scheren. Wenn aber verbürgte aus dem Jenseits übermittelte Nachrichten als breite Grundlage anerkannt werden, so hat die menschliche Rasse einen großen Schritt vorwärts zum religiösen Frieden und zur Einigkeit getan.

Nun tritt uns die Frage entgegen, wie die neue Erkenntnis auf die älteren organisierten religiösen Lehren und Philosophien einwirken wird, auf diese Weltanschauungen, die bisher für die Handlungen der Menschen die Richtschnur gaben. Einer einzigen dieser Weltanschauungen bringt die neue Offenbarung Vernichtung: der materialistischen. Aus mir spricht nicht der Geist der Feindschaft den Materialisten gegenüber. Sie sind, meiner Ansicht nach, als Ganzes betrachtet, eine ebenso ernsthafte und moralische Gemeinschaft, wie irgendeine andere. Doch ist die Tatsache klar, daß der materialistischen Lehre der Boden entzogen wird, auf dem sie ruht, wenn Geist ohne Materie existieren kann. Damit stürzt ihr ganzes System zusammen.

Auch das konventionelle Christentum würde durch Annahme der uns aus dem Jenseits gebrachten Lehre auf das tiefste erschüttert. Doch handelt es sich hierbei mehr um Erläuterung und Entwicklung als um Widerspruch. Die neue Lehre würde schwere Mißverständnisse, welche von jeher die Vernunft eines jeden denkenden Menschen beleidigt haben, aufklären und in neue Bahnen lenken, würde aber die Tatsache des Lebens nach dem Tode als Basis jeder Religion bestätigen und ihren unleugbaren Beweis erbringen. Sie würde die Existenz höherer Wesen, die wir bisher Engel nannten, bekräftigen, das Vorhandensein ewig aufsteigender Sphären, in welchem Christus, der Geist, sein Wesen treibt, – Sphären, die sich in unendlichen Höhen verlieren, wie wir sie mit dem Begriffe der Allmacht und Gottheit verbinden. Sie würde die Himmelsidee aufrechterhalten, die Lehre vom Zustand zeitlicher Strafe, die mehr dem Begriffe des Fegefeuers als dem der Hölle entsprechen würde. In wesentlichen Punkten zerstört also die neue Lehre durchaus nicht den alten Glauben. Von allen ernsten Gläubigen aller Bekenntnisse sollte die neue Offenbarung also als machtvollster Bundesgenosse begrüßet und nicht als teuflische Ausgeburt verabscheut werden.

Und in welchen Beziehungen erfährt die christliche Religion eine Läuterung durch die neue Offenbarung?

Die christliche Religion muss sich ändern oder untergehen. Diese Wahrheit muss sich vielen aufdrängen, so sehr sie dieselbe auch beklagen mögen. Die Forderung des Sich-Anpassens ist das Gesetz des Lebens. Die christliche Religion hat dieser Entwicklung allzu lange widerstrebt, so lange, bis ihre Kirchen sich halb leerten, bis ihre Anhängerschaft hauptsächlich aus Frauen bestand, bis auf der Höhe der Leiter der Gesellschaft die Gebildeten und in der Tiefe die Armen sich von ihr abwandten, in der Stadt wie auf dem Lande. Diese Erscheinung zeigt sich bei allen christlichen Sekten und stammt aus gemeinsamer Quelle. Wir wollen versuchen, derselben nachzuspüren. Wir sind der christlichen Religion entfremdet, weil wir ihre Lehren nicht glauben können, die uns als wahrhaftige Tatsachen verkündet werden. Unsere Vernunft und unser Gerechtigkeitssinn werden beleidigt. Wir können keine Gerechtigkeit in dem Opfer eines unschuldigen Stellvertreters erblicken. Können keinen Gerechtigkeitswillen bei einem Gotte anerkennen, der sich durch solche Mittel besänftigen lässt. Und viele von uns können Ausdrücke nicht verstehen, wie: »Gereinigt durch das Blut das Lammes« oder »Erlösung von der Sünde«. Solange ein Sündenfall überhaupt in Frage kommen konnte, ließen sich derlei Redensarten auf die eine oder andere Art erklären. Seitdem sich aber mit Sicherheit erwies, daß ein Sündenfall niemals stattgefunden haben kann – seitdem wir mit stetig wachsender Kenntnis unseren Vorfahren nachspüren können, durch das Stadium des Urmenschen und Höhlenmenschen hindurch, zurück in die weiten Fernen der Entwickelung des affenähnlichen Menschen aus dem menschenähnlichen Affen, seitdem wir imstande sind, auf diesen ungeheuren Zeitraum des Werdens zurückzublicken, erkannten wir, daß das Leben sich hindurch- und hinaufgerungen hat von Stufe zu Stufe. Niemals hat es einen Beweis irgendwelcher Art für einen Sündenfall gegeben. Aber ohne Sündenfall, was wird da aus der Vergeltung, aus der Erlösung, aus der Erbsünde, aus einem beträchtlichen Teil der mystischen christlichen Philosophie? Selbst dann, wenn diese Philosophie so sinnig wäre, wie sie unsinnig ist, würde sie in krassem Widerspruche zu den Tatsachen stehen.

Viel zu viel ist von dem Tode Christi gemacht worden. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß Menschen ihr Leben für eine Idee opfern. Alle Religionen hatten ihre Märtyrer. In allen Zeiten starben Menschen für ihre Überzeugung. So sterben Tausende unserer jungen Menschen in diesem Augenblick auf französischem Boden. So schön auch die Erzählung der Heiligen Schrift an und für sich ist, der Tod Christi hat eine ungebührliche Bedeutung angenommen ... als sei das Sterben im Dienste einer Reform eine ganz isolierte Erscheinung. Und im Gegensatze zum Tode Christi ist die Bedeutung seines Lebens viel zu wenig hervorgehoben worden. In seinem Leben lag die wahre Herrlichkeit seiner Lehre. So spärlich die auf uns übergegangenen Nachrichten sind, keine einzige kündet von irgendeinem Zuge seines Lebens, der nicht herrlich wäre. Voll von Duldsamkeit für andere, voll von Barmherzigkeit, von großzügiger Mäßigung, von Überzeugungsmut, immer dem Fortschritt zustrebend und neuen Anregungen zugänglich, dennoch aber ohne Bitterkeit gegen die Anschauungen, die er bekämpfte, wenn er auch gelegentlich den engherzigen Vertretern derselben seinen Ärger zeigte. Besonders liebenswert erscheint uns sein Eifer, den Geist der Religion zu erfassen, indem er Formelkram und Wortherrlichkeit beiseite schob. Allen ein leuchtendes Beispiel des gesunden Menschenverstandes und des Mitgefühls mit den Schwachen. Dieses so wunderbar sich aus dem Gewöhnlichen hervorhebende Leben ist es, das den wahren Mittelpunkt der christlichen Religion bildet, und nicht sein Tod.

Welche Aufklärung können wir von unseren Geisterführern aus dem Jenseits über diese Frage des Christentums erhalten? Ihre Ansichten dort sind ebenso wenig völlig übereinstimmend wie unsere Ansichten hier auf Erden. Wenn ich eine Anzahl ihrer Botschaften zusammenfasse, ergibt sich im Wesentlichen das Folgende: Bei unseren Verstorbenen befinden sich viele überlegene Geisterwesen, welche verschiedenen Stufen der Entwickelung angehören. Man kann sie »Engel« nennen, will man in Berührung mit alter religiöser Vorstellung bleiben. Hoch über ihnen allen schwebt das höchste der Geisterwesen, von dem sie Kenntnis haben – – nicht Gott, denn Gott ist so unendlich, daß er sich ihrer näheren Kenntnis entzieht, – – aber ein Wesen, das Gott näher steht, und dementsprechend für ihn eintritt. Das ist der Christus-Geist, dessen besonderer Sorge die Erde anvertraut ist. Er stieg zur Erde herab in Zeiten großer Verderbnis als sie beinahe so schlecht war wie zur heutigen Zeit, – – um den Menschen die Lehre seines großen Lebens zu geben. Dann kehrte er zurück in seine Sphären und hinterließ das Beispiel, das auch heute noch ab und zu Nachfolger findet. So lautet die Lehre der Geister über Christus. Nichts enthält sie über Vergeltung oder Erlösung. Aber durchaus vernünftig ist sie und verständlich, so daß ich wenigstens gern bereit bin, ihr Glauben zu schenken.

Würde solche Anschauung über das Christentum allgemeine Annahme finden, würde sie bestärkt werden aus dem Jenseits durch Wort und Demonstration als neue Offenbarung, dann wäre ein Glaube entstanden, der die verschiedenen Kirchen einigen kann, der mit der Wissenschaft in Einklang gebracht werden kann, der allen Angriffen gewachsen sein und den christlichen Glauben in unbegrenzte Zeiten tragen würde. Dann hätte endlich die Stunde der Versöhnung geschlagen für Vernunft und Glauben – – wir wären von einem Alpdrucke befreit und geistiger Friede würde uns verbinden. Nicht als plötzlicher Sieg oder gewalttätige Revolution wird meiner Ansicht nach solcher Umschwung kommen, vielmehr als still friedliches Durchdringen der Wahrheit, wie ja auch innerhalb unseres eigenen Erdenlebens rohe Vorstellungen gleich der von der ewigen Hölle langsam verblassen. In der Zeit der Not, wenn die Seele des Menschen zerrissen wird durch Sorge gleich dem Acker, den der Pflug durchzieht, dann ist der Augenblick der Aussaat für den Samen der Wahrheit gekommen. Und so wird sicherlich in Zukunft eine geistige Ernte reifen aus unseren Tagen des Jammers.

Wenn ich heute das Neue Testament im Lichte meines spiritistischen Wissens lese, dann drängt sich mir die Überzeugung auf, daß die frühe Kirche eines sehr beträchtlichen Teiles der Lehre Christi verlustig gegangen ist und daß außerordentlich wichtige Tatsachen unseren Zeiten nicht überliefert worden sind. Alle jene Anspielungen auf den Sieg über den Tod besitzen meines Erachtens geringe Bedeutung in der gegenwärtigen christlichen Philosophie. Für diejenigen aber, die, wenn auch noch so nebelhaft, durch den Schleier gelugt haben, für alle, denen es vergönnt war die aus dem Jenseits entgegengestreckten Hände zu berühren – – wenn auch noch so leicht, – – für sie alle ist die Überwindung des Todes Tatsache geworden. Wenn wir lesen, wie die Schrift so oft Bezug nimmt auf Phänomene, mit denen wir wohl vertraut sind (Phänomene wie Aufschweben von Körpern, das Reden mit »feurigen Zungen«, »der rauschende Wind«, die Wirkung spiritistischer Gaben, der Vollzug von »Wundern«), dann sind wir sicher, daß die im Mittelpunkt stehende Tatsache, die Fortdauer des Lebens und der Verkehr mit den Toten, damals zweifellos schon bekannt war. Wir horchen auf bei Aussprüchen wie: »Hier verrichtet er keine Wunder, weil die Leute keinen Glauben hatten.« Stimmt das nicht völlig mit unserer Kenntnis psychischer Gesetze überein? Oder wenn Christus sagt, als die kranke Frau ihn berührt: »Wer hat mich berührt? Viel ›Tugend‹ hat mich verlassen«. Könnte er klarer das ausdrücken, was auch heute noch ein heilendes Medium ausdrücken würde, nur mit dem Unterschied, daß das Medium das Wort »Kraft« gebrauchen würde, an Stelle des Wortes »Tugend«. Oder wenn wir lesen: »Erprobe die Geister, ob sie von Gott kommen«. Würden wir nicht einem Neuling denselben Rat bei einer Sitzung geben? Die Frage ist eine so umfangreiche, daß ich sie hier nur andeuten kann. Aber ich glaube, daß dieser Punkt, den die christlichen Kirchen jetzt so bitter angreifen, tatsächlich den Kernpunkt der ganzen christlichen Lehre bedeutet.

Denjenigen, die hierüber mehr lesen möchten, empfehle ich Dr. Abraham Wallaces Büchlein »Jesus von Nazareth«. Mit überzeugender Kraft legt er dar, daß »die Wunder« Christi sich alle innerhalb psychischer Gesetze bewegten, wie wir dieselben jetzt kennen. Zwei Beispiele sind bereits früher von mir mitgeteilt worden, viele andere befinden sich in der erwähnten Schrift. Die Schilderung des Vorganges der Materialisation durch die beiden Propheten stimmt außerordentlich genau mit den psychischen Gesetzen überein und wirkt deshalb mit überzeugender Kraft. Petrus, Jakobus und Johannes wurden auserwählt – sie bildeten den psychischen Kreis, als der »Tote« zum Leben zurückgerufen wurde; sie besaßen wahrscheinlich die stärksten Gaben. Zu beachten ist ferner, daß der hohe Berg mit seiner reinen Luft ausersehen wurde, zu beachten ist die Benommenheit der mitwirkenden Medien, – – die Verwandlung – – die leuchtende Kleidung – – die Nebel – – und die Worte: »Laß uns drei Tabernakel bauen«, oder, wie eine Lesart sagt: »drei Hütten oder Zellen«. Das ist gerade die ideale Stätte, um die psychischen Kräfte zu konzentrieren und Materialisation hervorzubringen. Alle diese Einzelheiten geben uns eine starke Grundlage der Beurteilung der Art dieser Vorgänge. Und außerdem: die einzelnen Gaben, welche St. Paul als notwendige Erfordernisse eines Jüngers Christi anführt, sind genau die Gaben eines stark wirkenden Mediums – – mit Einschluß der Prophetengabe Heilkraft, Vollbringen von »Wundern« (d. h. physischer Phänomene), Hellsehen usw. (Vgl. I Korinth. XII, V. 10-11.) Wahrlich, die frühe christliche Kirche war durchdrungen vom Spiritismus, und ihre Anhänger scheinen den alttestamentarischen Bestimmungen keine Beachtung geschenkt zu haben, welche die Ausübung spiritistischer Kräfte in der Absicht untersagten, dieselben der Priesterschaft zum alleinigen Gebrauch und Nutzen zu reservieren.


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